20 2. Babylonisches Exil und Perserzeit (6. 4. Jh. v. Chr.) tung und Unterdrückung. Auch Israel und Juda erfuhren die ganze Härte der assyrischen Politik, als sie zu jeweils unterschiedlichen Zeiten unter assyrische Vorherrschaft gerieten. Der Nordstaat Israel mit der Hauptstadt Samaria war bereits von den Assyrern erobert und die Bevölkerung deportiert worden (722 v. Chr.). Die Spuren der Deportierten hatten sich verloren. Damit hatten die Assyrer es geschafft, die Existenz des Nordstaats Israel und die Identität der Bevölkerung zu vernichten. Im 7. Jh. v. Chr. stand das assyrische Reich auf der Spitze seiner Machtfülle: Unter den Königen Assarhadon (681 669) und Assurbanipal (669 631) erlebte es seine größte Ausdehnung und erstreckte sich bis nach Ägypten. Doch in den folgenden Jahren erstarkten an den Rändern des auf ständige Expansion ausgelegten assyrischen Reichs neue Mächte: An der südlichen Grenze des assyrischen Reichs, wo Eufrat und Tigris in den persischen Golf münden, waren bereits im 9. Jh. v. Chr. aramäisch-chaldäische Stämme eingewandert und hatten die Führung in diesem Bereich übernommen. Doch über 400 Jahre lang war Babylon kein bedeutender politischer Faktor auf gesamtpolitischer Ebene. Zerstritten durch die verschiedenen Bevölkerungsgruppen stand das Gebiet lange direkt oder indirekt unter assyrischem Einfluss. Dies änderte sich erst mit Nabopolassar (626 605), der sich zum König über Babylon machte. Er stammte aus der Volksgruppe der Chaldäer, einer Randgruppe der babylonischen Gesellschaft, und bezeichnete sich selbst als Sohn eines Niemands. Er hob so bewusst seine geringe Herkunft hervor, um seine besondere Erwählung zum König durch Marduk und andere Götter zu betonen. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten erlangte Nabopolassar in jährlichen Kämpfen gegen Assyrien mehr und mehr die Oberhand. Dazu verbündete er sich mit den Medern, die zur zweiten Großmacht im Vorderen Orient werden sollten. Die Meder hatten die einfallenden Skythen am Kaspischen Meer besiegt und waren nun an der Sicherung ihrer westlichen Grenze interessiert. Daher griffen sie unter ihrem König Kyaxares (625 585) Assyrien an und drangen weit in assyrisches Gebiet ein. Mit den erfolgreichen Medern schlossen die Babylonier ein Bündnis zur Vernichtung Assyriens. So geriet das assyrische Reich von Süden durch die Babylonier und von Osten durch die Meder in Bedrängnis. 614 wurde die Hauptstadt Assur erobert und zerstört, 612 griffen Babylonien und Medien gemeinsam Ninive an und legten die Stadt in Schutt und Asche (vgl. Nah 2,2 3,19). Mit diesen Eroberungen war das Undenkbare geschehen: Die mächtigen und prachtvoll ausgebauten Weltstädte des assyri-
2.2. Schlacht von Karkemisch und Nebukadnezzar (605 v. Chr.) 21 schen Reiches waren erobert und vernichtet. Damit stand die Frage im Raum, wer die Vorherrschaft über die bisher von den Assyrern beherrschten Gebiete im Westen übernehmen würde. 610 nahmen die Babylonier auch das in Syrien gelegene Haran (heute: Türkei) ein. Nach der Thronbesteigung des neuen Pharaos Necho, der Anspruch auf das westsyrische Gebiet erhob, versuchte Ägypten noch den Assyrern zu Hilfe zu kommen. Mit großem Heer zog Pharao Necho daher nach Palästina hinauf. Joschija, der König von Juda, wurde 609 in Megiddo getötet. Der für die Geschichte Judas so einschneidende Tod Joschijas war auf weltpolitischer Ebene gänzlich unbedeutend. Er zeigt jedoch, dass der syro-palästinische Raum für kurze Zeit unter ägyptischen Einfluss geriet (2 Kön 23,31 35). 607 überschritten die Babylonier erstmals den Eufrat, 605 setzte Nebukadnezzar im Auftrag seines Vaters den Herrschaftsanspruch auf die westlichen Gebiete in der Schlacht von Karkemisch auch gegen Ägypten durch. Damit war die großpolitische Lage entscheidend verändert: Das assyrische Reich war geschlagen und Ägypten zurückgedrängt (vgl. 2 Kön 24,7). Die Babylonier und die Meder waren nun die neuen Mächte, die das assyrische Reich unter sich aufteilten: Medien besetzte das Kerngebiet von Assyrien mit dem Mittel- und Oberlauf des Tigris als seiner Westgrenze. Babylonien hingegen war im Besitz von Mesopotamien und dem Eufrattal und erhob Anspruch auf die Gebiete westlich des Eufrat. Die Herrschaft der Babylonier dauerte im Vorderen Orient nur 88 Jahre (626 539). Babylon war damit eines der kurzlebigsten Weltreiche für Juda jedoch hatte die babylonische Oberherrschaft einschneidende Konsequenzen. Als der in Karkemisch siegreiche Nebukadnezzar erfuhr, dass sein Vater im August 605 in Babylonien verstorben war (vgl. TGI Nr. 44; TUAT I 403 404), kehrte er in Gewaltmärschen nach Babylon zurück, um seine Herrschaft zu sichern. Im September wurde er in der Hauptstadt sowie in den übrigen Städten des Reiches als König anerkannt. Mit Nebukadnezzar (605 562) bestieg der glänzendste und bedeutendste Herrscher Babylons den Thron. Durch gezielte Maßnahmen, etwa den Ausbau und die gewissenhafte Pflege der Bewässerungskanäle, gelang es ihm in seiner 43-jährigen Regierungszeit, die Produktivität so zu steigern, dass Babylonien in der folgenden Zeit zu einem wirtschaftlich blühenden Land avancierte. Dass Handel und Gewerbe blühten, belegen eine Fülle von Urkunden und Dokumenten sowie finanzielle Transaktionen und Bankgeschäfte. In seinem riesigen Reich baute er zudem eine gut funktionierende Verwal-
22 2. Babylonisches Exil und Perserzeit (6. 4. Jh. v. Chr.) tung auf, die eng an das assyrische Vorbild angelehnt war. Mit den erwirtschafteten Geldern sowie einer immensen, von der Bevölkerung verlangten Arbeitsleistung betätigte sich Nebukadnezzar als Bauherr und verwirklichte militärische Baumaßnahmen, etwa die sog. Medische Mauer 60 km nördlich von Babylon sowie zahlreiche Prestigebauten. Der Schwerpunkt seiner Arbeit galt Babylon, der Hauptstadt seines Reiches. Die Stadt wurde nach außen mit zahlreichen Mauern gesichert, nach innen prachtvoll zu einer Stadt von fast tausend Hektar Fläche und 18 km Umfang ausgebaut. Es entstanden Palastbauten mit hunderten von Räumen, die mit buntglasierten Ziegeln und Terrassengärten ( hängende Gärten ) ausgestattet waren. Diese werden zu den sieben Weltwundern der Antike gezählt. Bestehende Tempelanlagen wurden renoviert und monumental ausgebaut. Zu den beeindruckendsten Bauten in der Stadt Babylon gehörten der Ausbau des Marduktempels Esangila wie auch die Vollendung der Zikkurat (= Stufentempel) Etemenanki. Berühmt sind das Ischtartor sowie die Prozessionsstraße, die mit glänzenden, bunt gebrannten Fayenceziegeln ausgestattet waren einem großen Luxus in einer brennholzarmen Region. Diese sind heute im Pergamon museum in Berlin zu bewundern. Mit seinen Baumaßnahmen wollte Nebukadnezzar gezielt die Baupolitik der Assyrer übertreffen. Damit hat er einen so tiefen Eindruck hinterlassen, dass noch von den griechischen Schriftstellern seine Tätigkeiten gerühmt werden (vgl. Hdt I 178 184 u.a.). 2.3. Die erste Eroberung Jerusalems und die erste Deportation durch die Babylonier (597 v. Chr.) Im Westen, dem syro-palästinischen Raum, sah die Situation nicht so eindeutig aus wie in den babylonischen und den assyrischen Kerngebieten im Osten. Durch das Ende der assyrischen Herrschaft war im Westen eine Art Machtvakuum entstanden: Die assyrische Oberherr schaft existierte nicht mehr, der babylonische Herrschaftsanspruch auf den Westen hatte sich noch nicht durchgesetzt und Ägypten erstarkte aus einer lange währenden politischen Handlungsunfähigkeit. Durch diese Konstellation bot sich einzelnen Kleinstaaten Raum zu Machtspielen und politischen Experimenten, in der diese mal mit der einen, mal mit der anderen Großmacht paktierten in der Hoffnung, Nutzen aus der Situation zu ziehen und eigene Macht(t)räume zu verwirklichen. So waren es für Juda poli-
2.3. Eroberung von Jerusalem und erste Deportation (597 v. Chr.) 23 tisch sehr unruhige Zeiten, die von heftigen Auseinandersetzungen der unterschiedlichen politischen und religiösen Parteien geprägt waren. Sobald sich Nebukadnezzar in Babylonien durchgesetzt hatte, nahm er den wegen des Todes seines Vaters nach der Schlacht von Karkemisch abgebrochenen Plan wieder auf. Er kehrte in den folgenden Jahren regelmäßig nach Syrien zurück, um im Westen seinen Machtanspruch durchzusetzen. In Syrien scheint Nebukadnezzar nicht auf nennenswerten Widerstand gestoßen zu sein. Viele Städte unterwarfen sich ihm kampflos und zahlten freiwillig die Tribute. So eroberte er beispielsweise 604 Askalon. In den Jahren 603 / 602 unterwarf sich auch Juda unter König Jojakim freiwillig den Babyloniern. 601 kam es zur Schlacht zwischen den Babyloniern und den Ägyptern in Pelusion am Rande des Nildeltas: Necho, der in der Zwischenzeit sein Heer hatte reorganisieren können, hinderte Nebukadnezzar daran, in Ägypten einzudringen (vgl. TGI Nr. 44; TUAT I 403 404). Beide Heere erlitten schwere Verluste und die Schlacht ging unentschieden aus. Dennoch waren damit die Grenzen des babylonischen Reiches abgesteckt: Es erstreckte sich vom Persischen Golf im Südosten bis nach Lydien im Norden und bis nach Ägypten im Südwesten. Der unentschiedene Ausgang der Schlacht von 601 zwischen Ägypten und Babylonien hatte den judäischen König Jojakim ermutigt, die Tributzahlungen an Babylon einzustellen und damit den Vasallenvertrag aufzukündigen (vgl. 2 Kön 24,1). Das konnte Nebukadnezzar freilich nicht hinnehmen: Nach den schweren Verlusten in der Schlacht gegen Ägypten musste Nebukadnezzar zwar sein Heer neu organisieren, nahm aber schon 599 seine Syrienfeldzüge wieder auf. Im Zuge dieser Feldzüge in den Westen kam es zu den Eroberungen von Jerusalem in den Jahren 598 / 597 und 587, die für die Geschichte Judas einschneidend waren (vgl. Kap. 2.1.). Bei der harten Gegenreaktion Babyloniens auf den Abfall Judas war es nicht das primäre Anliegen, Juda in den babylonischen Herrschaftsbereich zurückzuholen, sondern es ging vor allem darum, Ägypten zu zeigen, wer die Vorherrschaft über den syro-palästinischen Raum innehatte. Um seine außenpolitische Macht und Stärke gerade gegenüber Ägypten zu demonstrieren, zog Nebukadnezzar gegen Jerusalem und belagerte die Stadt. Die Eroberung Jerusalems ist das einzige Ereignis, das für das siebte Regierungsjahr in der babylonischen Chronik erwähnt wird: Im 7. Jahr (= 598), im Monat Kislew (= Dezember / Januar) bot der König von Akkad seine Trup-
24 2. Babylonisches Exil und Perserzeit (6. 4. Jh. v. Chr.) pen auf und zog nach Hattu (= Syrien, Phönizien und Palästina). Die Stadt Juda griff er an. Am 2. Adar (= 16. März 597) eroberte er die Stadt (= Jerusalem). Den König (= Jojachin) nahm er gefangen. Einen König nach seinem Herzen (= Zidkija) setzte er über sie. Schweren Tribut nahm er mit und brachte (ihn) nach Babel (TGI Nr. 44; TUAT I 403 404). Dies zeigt, dass es nicht in erster Linie darum ging, das kleine Königreich Juda oder die Stadt Jerusalem zu erobern, sondern das assyrische Erbe im Westen zu sichern. König Jojakim war vermutlich während der Belagerungsphase gestorben. Seine Herrschaft war auf seinen Sohn Jojachin übergegangen (2 Kön 24,6). Nach nur drei Monaten im Amt ergab dieser sich am 16. März 597 freiwillig und öffnete den Babyloniern die Stadttore. Damit verhinderte Jojachin die Zerstörung Jerusalems, jedoch nicht die Plünderung der Stadt und des Tempels. Die Babylonier verhielten sich vergleichsweise maßvoll: Die Stadt wurde erobert, aber nicht zerstört und das Staatsgebiet von Juda nur verkleinert. Dieses Entgegenkommen könnte in der Absicht der Babylonier gründen, einen zuverlässigen Partner und Vasallen im Westen zu haben. Um jedoch den Widerstand in Juda zu brechen, deportierten die Babylonier die Elite von Juda. König Jojachin selbst wurde gefangen genommen und zusammen mit zahlreichen Judäerinnen und Judäern nach Babylonien weggeführt. Davon wird in 2 Kön 24,8 17 aus späterer judäischer Perspektive erzählt. Informationen über das weitere Schicksal des nach Babylon deportierten Königs Jojachin gibt eine Keilschrifttafel aus dem königlichen Archiv in Babylon aus dem Jahr 592, in der Jojachin explizit als König von Juda, seine fünf Söhne und weitere Judäer als Empfänger königlicher Ölrationen genannt werden (vgl. TGI Nr. 46; TUAT I 412 413). In Juda setzte Nebukadnezzar an Stelle des Königs Jojachin den von ihm ausgewählten Mattanja, einen Onkel Jojachins, vermutlich als eine Art Statthalter ein und änderte dessen Namen in Zidkija (598/7 587; vgl. 2 Kön 24,17). Die Deportation weiter Teile der Mittel- und Oberschicht Judas und Jerusalems war für Babylonien offensichtlich unbedeutend, so dass dies nicht in ihren Texten erwähnt wird. Für Juda war sie hingegen ein dramatisches Ereignis. Die Babylonier deportierten in erster Linie Judäerinnen und Judäer mit guter Ausbildung und speziellem Wissen und Fertigkeiten, die ihnen in den Bereichen Sicherheit, Militär, Handwerk und Wirtschaft nützen konnten. Die armen Leute (Jer 39,10; vgl. 40,10) ließen sie im Land zurück. Die Deportierten scheinen bewusst ausgewählt worden zu sein (vgl. 2 Kön 24,14.16; 25,11); zu ihnen zählte auch der Priester Ezechiel.