Buchtipp des Monats Januar 2012 Diejenigen, die noch immer der Überzeugung sind, dass ein Text nur dann ein Gedicht ist, wenn er sich reimt, dürfen hier gleich aufhören zu lesen. Denn Reime finden sich in Nora Gomringers Gedichten nicht. Auch diejenigen, die der Überzeugung sind, dass ein Gedicht in gehobener Sprache geschrieben werden muss, sollten hier aufhören. Denn sie werden keine Freude an Gedichten haben, in denen die Autorin eine direkte, deutliche Sprache spricht. Das ist wohl auch Nora Gomringers Einbindung in die Poetry Slam- und Performance-Poesie-Szene geschuldet, die sicher mehr als die Schreiber/innen im Elfenbeinturm die Wirkung ihrer Texte auf das Publikum im Auge hat. Worüber schreibt Nora Gomringer in Nachrichten aus der Luft? Über Liebe und ihr Ende, über Reisen, über Sprache über Nähe und Ferne. Und sie schreibt so, dass diese Gedichte mir als Leser etwas sagen, bevor ich mir was Lehrer ja geradezu zwanghaft tun (müssen?) Gedanken über sie als Sprachkunstwerke mache. Darüber ließe sich noch viel und Genaueres schreiben. Aber das stiehlt nur Zeit, die zum Lesen der Gedichte gebraucht wird. Also los! Die Nachrichten aus der Luft sind übrigens auch etwas für Menschen, die (bisher) der Überzeugung sind, Gedichte seien eigentlich grundsätzlich nicht das richtige für sie. Sind sie doch! Übrigens: Wer nicht lesen will, kann hören vielleicht zumindest als Einstieg. Denn dem Buch beigegeben ist eine Audio-CD, auf der Nora Gomringer etliche der im Buch enthaltenen Gedichte selbst liest. Nora Gomringer Nachrichten aus der Luft Verlag Voland & Quist Dresden und Leipzig 2010 74 Seiten 15,90 ISBN 978-3-938424-53-7 Michael Hellwig
Buchtipp des Monats Februar 2012 Sind Sie schon einmal dem Wahnsinn begegnet? Nein? Dann gehen Sie mit Käpt'n Blaubär auf die Reise. In seiner Gegenwart können Sie neben dem Wahnsinn jede Menge fantastische Wesen wie Zwergpiraten, schlechte Ideen, aber auch den hochbegabten Professor Abdul Nachtigaller erleben. Wer jetzt denkt, dies sei eine Geschichte für Kleinkinder, der irrt... Walter Moers (übrigens ein sehr bekannter Comic-Zeichner) schafft mit seinem Roman eine ganz eigene Welt rund um den Kontinent Zamonien, den der Protagonist Käpt'n Blaubär bereist. Auf seiner Reise durchquert Käpt'n Blaubär unter anderem Dimensionslöcher und große Köpfe, während er ein Leben nach dem anderen riskiert. Damit ausländische Daseinsformen wie wir sich in Zamonien zurechtfinden und überleben, kommen dem Leser kleine eingeschobene Lexikonartikel aus dem Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller zur Hilfe. Oder wissen Sie, wie man sich vor dem Wahnsinn retten kann? - Eben. Dieser Roman besticht nicht durch besonders gewählte Sprache, sondern durch Abwechslung in Wort und Bild, Witz und jede Menge Fantasie. Er ist besonders geeignet für Comic-Fans, die auch mal ein dickes Buch lesen wollen, Fantasyliebhaber mit Humor und Lehrer/innen mit wahnsinnigen - pardon - postmodernen Vorlieben. Und wer nicht genug hat, kann gleich alle Romane aus der Zamonien-Reihe lesen oder sich als Hörbuch, gesprochen von Dirk Bach, vorlesen lassen. Walter Moers Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär Goldmann Verlag München 2001 704 Seiten 12,50 ISBN: 978-3-442-41656-1 Sabrina Jäkel
Buchtipp des Monats März 2012 Dieser Buchtipp ist eventuell etwas zwiespältig: Zum einen stellt sich die Frage, ob auf der Seite der Fachschaft Deutsch auch Tipps für Bücher nicht deutschsprachiger Autor/inn/en gegeben werden dürfen. Und zum anderen stellt sich die Frage, ob es sinnvoll sein kann, auf ein Buch hinzuweisen, das aus einer Serie stammt, aber nicht deren Anfang darstellt. In beiden Fällen ist die Antwort Ja. Ein Beschränken auf Werke deutschsprachiger Autor/inn/en würde die Lesewirklichkeit auch von Lehrer/inne/n kaum widerspiegeln. Und selbst dann, wenn man Serien falls überhaupt tatsächlich am besten von Beginn an liest, um die Entwicklung einer Figur verfolgen zu können, kann auch der Einstieg an einer anderen Stelle anregend sein. Das gilt zweifelsfrei für Spur der toten Mädchen ( The Reversal ) des Amerikaners Michael Connelly. Connelly führt hier nämlich die Protagonisten aus zwei Serien zusammen und damit zwei Lebenswelten und Denkweisen. Und die sind bei ihm das, was fasziniert. Connelly, der lange als Polizeireporter gearbeitet hat, kennt die Welt/en, über die er schreibt. Und er interessiert sich für die Menschen, über die er schreibt. Und die interessieren mich persönlich letztlich sogar mehr als der eigentliche Fall. Aber genug des allgemeinen Redens, sonst glaubt niemand mehr, dass es sich bei Spur der toten Mädchen um einen spannenden Kriminalroman handelt. Der Strafverteidiger Michael ( Mickey ) Haller wird gebeten, die Seite zu wechseln und bei der Wiederaufnahme eines 24 Jahre alten Falles von Kindesmord die Anklage zu vertreten. Als Polizeiermittler unterstützt ihn Hieronymus ( Harry ) Bosch vom Los Angeles Police Department. Beide sind überzeugt, dass der Angeklagte, Jason Jessup, der Täter ist. Doch trotzdem stimmt Haller dem Antrag der Verteidigung zu, Jessup bis zum Prozessende auf freiem Fuß zu lassen. Und plötzlich entsteht eine Bedrohung auch für Hallers und Boschs eigene Töchter. Connelly wechselt immer wieder die Perspektive. Mal berichtet der Ich-Erzähler Mickey Haller, mal wird aus Harry Boschs Sicht erzählt [personale Erzählperspektive ;-)]. Auch wenn sie dasselbe Ziel haben, ihre Vorstellungen über den Weg dorthin decken sich nicht immer. Das kommt dabei heraus, wenn zwei Einzelkämpfer zusammenarbeiten müssen. Noch einmal zu dem Stichwort zwei Serien : Es lohnt sich unbedingt, die Romane um Harry Bosch (noch 14 bzw. 15) und Mickey Haller (zwei) zu lesen in der Reihenfolgen des Entstehens. (Im zweiten Haller-Roman treffen er und Bosch übrigens das erste Mal zusammen und stellen fest, dass sie Halbbrüder sind.) Michael Connelly Spur der toten Mädchen Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb Knaur Taschenbuch Verlag München 2011 [amerikanische Originalausgabe The Reversal 2010 bei Little, Brown and Company, New York] 491 Seiten 9,99 ISBN 978-3426-50790-2 Michael Hellwig
Buchtipp des Monats April 2012 Martin Mosebachs Roman Der Mond und das Mädchen hält genau, was der Titel verspricht, und ist zugleich völlig anders. An der Oberfläche ist es die zarte Geschichte der Liebe zu einem Mädchen, das ihrem Geliebten im Mondlicht noch schöner, reiner und idealer scheint als ohnehin schon. Eine junge Frau im Mondlicht, viel mehr Romantik geht wohl kaum. Da Martin Mosebach das auch weiß, bricht er dieses Bild, das gewissermaßen den Anfang seines Romans bildet, bereits recht schnell und zwingt den Leser, irritierende Unter- oder eher Nebentöne wahrzunehmen. Zu dem Mondmädchen in ihrer Reinheit und Unschuld treten eine dominante Übermutter, ein zwielichtiger marokkanischer Hausverwalter, ein durch Elitebewusstsein vor der Welt geschütztes Akademikerpärchen, ein Ägypter mit dem ultimativen Kellner-Talent und eine weltgewandte alte Dame mit britischem Akzent und arabischem Namen. So entspinnt sich eine unterhaltsame Geschichte, die zwar leichthin und sommerlich-zart erzählt ist, es aber durchaus in sich hat und bei genauerer Betrachtung vor Unfassbarkeiten nur so strotzt. Insgesamt habe ich den Roman als sehr angenehme Lektüre empfunden, obwohl oder vielleicht gerade weil die Figuren teilweise wie aus der Zeit gefallen scheinen. Die Mutter des Mondmädchens beispielsweise gehört eigentlich in einen Roman wie die Buddenbrooks, das junge Ehepaar Hans und Ina, um deren Liebe sich die Romanhandlung entspinnt, wirkt wie ein Ehepaar aus den frühen Fünfzigern: jung, sauber, anständig, unschuldig. Dieser Eindruck ist wohl auch dem wunderbar selbstverständlichen auktorialen Erzählen geschuldet. Insbesondere Ina ist in der Gegenwart, die Martin Mosebach seinem Roman als Handlungszeit zuweist, letztlich ein Anachronismus: Wenn sie zusammen mit dem Handy des Hausverwalters auf ein und derselben Buchseite auftaucht, so muss ich mich immer wieder neu daran erinnern, dass die Handlung ja in der Gegenwart spielt und nicht vor sechzig Jahren. Auch wirkt sie leicht 10 Jahre jünger, als sie vermutlich ist, denn den Typus des Mondmädchens haben wir wohl eigentlich in dieser Welt nicht mehr. Ob sie als ein solches trotzdem in der Gegenwart leben kann, bleibt bis zum Ende offen, die letzten Zeilen allerdings bieten dann doch eine recht eindeutige Einschätzung des Erzählers, denn er ist einfach ein Meister alter Schule. Also: eine gutes Buch, das Freude macht zu lesen. Martin Mosebach Der Mond und das Mädchen Deutscher Taschenbuch Verlag München 2010 192 Seiten 9,90 ISBN: 978-3423139021 Constanze Fischer
Buchtipp des Monats Mai 2012 Dieses Buch verkaufte mir die Buchhändlerin mit den Worten Eine sehr gute Wahl. Die Kameliendame ist einer von diesen Romanen, von denen beinahe jeder schon einmal gehört hat und die einen derart unangefochtenen Platz unter den Klassikern der Weltliteratur haben, dass man sie einfach gelesen haben muss. Immer mal wieder führt ein solches Klassiker-lesen-Projekt ja leider zu großer Ernüchterung, aber dieser Roman ist wirklich eine sehr gute Wahl und ich empfehle ihn aus vollem Herzen weiter. Der Roman hat über 150 Jahre auf dem Buckel und das macht den ersten Zugriff möglicherweise für den ungeübten Leser etwas schwierig. Die Sprache ist elegant und anspruchsvoll, aber auch wirklich schön. Vor allem aber ist die Geschichte der großen, verzehrenden Liebe zwischen Armand, Sohn aus gutem Hause mit mittlerem Einkommen, und Marguerite, Kurtisane im Paris des 19. Jahrhunderts, sehr sehr anrührend und fesselnd. Alexandre Dumas der Jüngere hat eine komplizierte Erzählsituation konstruiert, indem er einen Ich-Erzähler auf Armand treffen lässt, der dann seinem neuen Freund in einem langen, nur kurz unterbrochenen, eigenen Ich-Erzählerbericht von seiner Liebe erzählt. Diese Wiedergabe der Ereignisse wird noch durch die Tagebuchaufzeichnungen der Kameliendame Marguerite selbst sowie einer Freundin ergänzt, so dass sich ein Kaleidoskop von verschiedenen Perspektiven ergibt. Diese innere Struktur ist wohl auch der Grund, warum der Roman auch über die Grenzen der Epochen hinweg vielen Lesern sehr nahegeht. Insgesamt vier verschiedene Erzähler bieten einen Blick auf die Ereignisse, wobei natürlich die Darstellung Armands am längsten ist und der Leser somit vor allem seine Sichtweise teilt. Die große Nähe, die der Leser während seiner Schilderung verspürt, erzeugt vor allem Identifikationspotential (übrigens durchaus über Geschlechtergrenzen hinweg), während Marguerites Bericht vor allem Mitleid auslöst und die einrahmenden Passagen, die von Marguerites Freundin und dem Ich-Erzähler stammen, sind deutlich reflektierter oder um es mal mit Deutschlehrersprech zu sagen auktorialer. Diese Vielzahl der Perspektiven macht den Roman insgesamt zu weit mehr als einem kitschigen Rührstück, es macht ihn neben der hochsensiblen Schilderung der Empfindungen der Liebe und intelligenten Überlegungen zur Natur der wahren Liebe zu großer Literatur. Alexandre Dumas (der Jüngere) Die Kameliendame Deutscher Taschenbuch Verlag München 2008 272 Seiten 6,90 ISBN: 978-3423137089 Constanze Fischer
Buchtipp des Monats Juni 2012 Alle, die älter sind als fünfzehn Jahre, sind verschwunden! Das merkt Ben, als er das neue Computerspiel Die Stadt der Kinder spielt. Kann ein Spiel Wirklichkeit werden? Dieser Frage gehen Ben und seine Freunde nach. Level 4 Die Stadt der Kinder erzählt von einem ständig wechselnden Szenario, in dem sich langsam die virtuelle Welt eines Computerspiels zur Probe fürs Erwachsensein entwickelt. Die Sporthalle wird zum Schlafplatz, Versammlungen werden abgehalten, ungewöhnliche Dinge müssen gesucht und gefunden werden, Strategien entwickelt werden und vieles mehr. Aber die Situation ist ernster als gedacht, was auch Ben und seine Freunde bald merken. Denn in der Stadt bricht Chaos aus, und Kolja, eines der älteren Kinder, randaliert und macht mit hinterlistigen Plänen den anderen Kindern das Leben sehr schwer. Der einzige Weg, Kolja zu überlisten, ist, ihn nach den Regeln des Computerspiels zu bekämpfen, denn die kennt er nicht. Nach und nach erreicht die Gruppe der Kinder Ebene für Ebene, bis zum alles entscheidenden Level 4. Geschickt erzählt Andreas Schlüter in seinem spannenden Debütroman von dem Abenteuer der Freunde und zieht den Leser mit seinen lebensnahen Dialogen und der tollen Erzählweise in seinen Bann. Genial und spannend bis zuletzt erzählt der 1994 vorgelegte Jugendroman mit viel Spannung und Fantasie von mutigen Kindern. Die Romanfiguren sind wirklichkeitsnah, doch das Ende kommt ziemlich plötzlich. Wer Krimi- und Computer-Fan ist, für den ist Level 4 Die Stadt der Kinder genau der richtige Roman. Wir finden es für jedes Geschlecht, egal ob Junge oder Mädchen, geeignet, da es davon erzählt, dass das Erwachsenwerden auch spannend sein kann, man aber vorerst seine Kindheit genießen sollte. Andreas Schlüter Level 4 Die Stadt der Kinder Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv junior) München 2012 (19. Auflage) 272 Seiten 7,95 ISBN 978-3-423-70914-9 Ab 11 Felix Dammeyer, Marie Krumnow, Sina Olfermann (Klasse 6d)
Buchtipp des Monats Juli 2012 Wolfgang Koeppens Tauben im Gras schafft es, auf einer scheinbar rein deskriptiven Ebene so eindringlich zu sein, dass er gleichsam verwirrend und erhellend ist. Er zeichnet ein ebenso nüchternes, wie verschnörkeltes Bild einer Zeit, die alles andere als unbeschwert erscheint. Auf den ersten Blick besteht Tauben im Gras aus vielen verschiedenen Bruchstücken, die die Lektüre zu einem Denksport machen. Es werfen sich Fragen nach dem Zusammenhang auf und eine Kontinuität des Geschehens lässt sich nur mit Mühe erkennen. Doch mit der Zeit wirkt Koeppens Gebilde aus ineinander verzahnten Rädern, die Übergänge zwischen den Handlungssträngen verschwimmen, bis sie letztendlich ganz verschwinden. Die Orte ändern sich zwar immer noch und die Personen wechseln, aber eines bleibt immer gleich und hält alles zusammen: Die Zeit. Anders als in vielen anderen Romanen stehen hier nicht die Charaktere, sondern einzig und allein die Zeit im Vordergrund. Ein Tag im München des Jahres 1949, ein Tag wie jeder andere und gerade deshalb so wichtig. Koeppen zeigt Menschen mit Problemen; er beschreibt ihr Schicksal, ohne zu urteilen. Die Frau eines ehemaligen Musikoffiziers, die Tochter, die aufgrund ihrer Beziehung zu einem Schwarzen verstoßen wird, und der gescheiterte Literat sind genauso unter ihnen wie ein Arzt, eine Jüdin oder einfache Jugendliche. Zwar erscheinen sie so verschieden wie Tag und Nacht, doch Koeppen verbindet sie eng miteinander. Das Schicksal des Einzelnen verwebt sich mit einem Teppich von Problemen. Probleme, die vor allem aus der Zeit entstehen, in der sich die Menschen 1949 befinden. Das Spektrum der Protagonisten ist so breit gestreut, dass sich alles verallgemeinern lässt. Die Zeit dringt durch jede Tür und jeden Spalt und in jeden Geist. Die Probleme der Nachkriegszeit treffen jeden. Der Nationalsozialismus hinterließ nichts als Leere. Leere, die Zweifel aufkommen lässt, Zweifel an sich selbst, Zweifel an anderen, Zweifel an der Vergangenheit. Grund genug, diese Leere zu stopfen. Mit Alkohol, mit Festen, mit Belanglosigkeiten oder mit körperlicher Nähe. Und genau das ist es, was Koeppen einfängt. Der Wechsel zwischen Selbstzweifel und Selbstbetrug, der die Zeit prägt. Nur unterschwellig und kaum erkennbar ironisiert er einzelne Situationen und zeigt so aus der Position eines neutralen Beobachters Nachkriegsdeutschland sein eigenes Spiegelbild. Zwar driftet Koeppen oft tief in die Psyche einzelner Personen ab, holt deren Essenz aber durch Einbindung von Schlagzeilen und rasanten Schnitten schnell in einen sehr allgemeinen Kontext. Das Auge Koeppens kommt, eilt durch München, verweilt, verschwindet und berichtet dann, was es beobachtete. Im Sinne Marcel Reich-Ranickis lässt sich bestätigen, dass die Tauben im Gras zwar scheinbar planlos und verwirrt sind, der Leser aber immer die Möglichkeit hat, Verwirrung zu entwirren und Gemeinsamkeiten im zeitlichen Kontext, der Vergangenheitsbewältigung, zu sehen. Es handelt sich hier um einen Zeitzeugen-, einen Augenzeugenbericht gepaart mit meisterhafter Erzähltechnik. Um es mit Reich-Ranickis Worten zu sagen: [ ] Nicht die Anklage dominiert, sondern die Klage [ ]. Koeppen richtet nicht in Tauben im Gras, er zeigt auf, und darin liegt der Wert des Romans, sowohl in 1951 als auch heute.
Wer verstehen will, warum Deutschland sich so entwickelt hat, wie es heute ist, der muss sich mit den Nachkriegsjahren beschäftigen, der muss sich mit Tauben im Gras beschäftigen. Wolfgang Koeppen Tauben im Gras Suhrkamp Taschenbuch Verlag Frankfurt 2010 (27. Auflage) 228 Seiten 8,00 ISBN 978-3-518-37101-5 Yves Heuser (Jahrgangsstufe 13)