Der Jüdische Friedhof Rappenau Folge 2



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Der Jüdische Friedhof Rappenau Folge 2 Die Gleichstellung der Bürger jüdischen Glaubens mit denen christlichen Glaubens Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Errichtung des jüdischen Friedhofs Rappenau 1881 möglich gemacht. Damit fanden Verstorbene aus Rappenau und Siegelsbach, aber auch aus zwei Wimpfener Familien auf dem neuen Friedhof ihre letzte Ruhestätte. Womit hängt das letztere zusammen? Ein Blick in die Begräbnis-Ordnung von 1888 gibt uns Aufschluss: Sie soll im Folgenden vorgestellt werden als Beispiel der inzwischen erfolgten (und mit großen Hoffnungen verbundenen) Assimilation an das Vereinswesen des deutschen Bürgertums: Begräbnis-Ordnung S. 1 Begräbnis-Ordnung Nachdem im Jahr 1881 aus einem Verein hiesiger Israeliten der Friedhof hier errichtet und nach dessen Fertigstellung der isr. Gemeinde übergeben worden ist, hat der Synagogenrat in heutiger Sitzung zur Handhabung Nachstehendes beschlossen: 1 Mitglied ist jedes hier wohnende in der isr. Gemeinde eingekaufte Gemeindemitglied sowie dessen Angehörige, auch wenn solche hier wegziehen & sich wieder hier beerdigen lassen wollen. 2 Bei einem Sterbefalle haben die Hinterbliebenen für Besorgung der Beerdigung selbst zu sorgen, ebenso ist von denselben die Beerdigungskosten zu entrichten. Anspruch auf irgend welche Beihilfe der Mitglieder ist damit nicht verbunden, ebenso wenig auch irgend welche Vorschrift bezüglich ritueller Gebräuche bei der Beerdigung. 3 Verlangen die Hinterbliebenen eines oder einer Verstorbenen einen Begräbnisplatz neben diesem reservirt, so ist dafür sofort ein Platzgeld von Fünf Mark zu entrichten, jedoch kann dieses nur von Eheleuten beansprucht werden. Im Falle der Nichtbenützung dieses Platzes fällt nach Ableben der bestimmten Person derselbe wieder der Gemeinde zur anderweitigen Benützung zurück. 4 Allenfalls entstehente Kosten für Erhaltung, Reparatur & Erweiterung des Friedhofes werden aus der z.zt. bestehenten Friedhofskasse gedeckt. Uebersteigt jedoch die Ausgabe den vorhandenen Cassabestand, so ist solcher gleichmäßig auf die Mitglieder des Friedhofes zu verteilen, der auf hiesigen Umlagenpflichtigen fallenden Theil wird aus der Gemeindekasse gedeckt. Weggezogene hiesige Gemeindemitglieder, die keine Umlagen mehr hierher bezahlen, aber hierher beerdigt sein wollen, werden gleich den anderen Auswärtigen behandelt. 5 Der Austritt aus dem isr. Gemeindebegräbniß kann jederzeit nach geschehener schriftlicher Anzeige erfolgen, jedoch werden die geleisteten Beiträge nicht zurückbezahlt.

6 Soll ein Nichtmitglied des Begräbnisses hier beerdigt werden, so bestimmt der Synagogenrat den Betrag hierfür. 7 Das eingehende Pachtgeld von dem übrigen Platz des Begräbnisses fließt in die Gemeindekasse, dagegen soll von demselben die Staatssteuer & kleinere Reparaturen bezahlt werden. 8 Die Friedhofskasse hat der isr. Gemeinderechner zur Verwaltung & hat hierfür am Jahresschlusse mit der Gemeinderechnung Rechnung zu stellen. Rappenau 22. Januar 1888 Der Synagogenrath! Es folgen die Unterschriften von: Herbst Adler Strauß Mitglieder waren und sind: 1. Aron Hirsch 2. Liebman Strauß 3. Isaak Herbst 4. Gustav Adler 5. Salomon Herbst 6. Alexander Adler 7. Maier Holland 8. Julius Hirsch 9. Jos. Rindskopf 10.Hirsch Strauß 11.Daniel Freitag 12.Josef Strauß 13.Feist Würzburger 14.Eug. Js. Herbst 15.Nathan Bär 16.Max Mannheimer Wimpfen 17.Louis Kahn 18.Adolph Bär 19.Josef Mannheimer 20.Josef Würzburger Hier 21.Bernh. Adler 22.Isac 23.Ludwig Herbst Freiburg 24.Lehvi Wolfsbruck Siegelsbach Aus der Liste ist ersichtlich, dass die Familien Bär, Kahn und Mannheimer aus Wimpfen Mitglieder im israelitischen Gemeindebegräbniß waren und damit das Anrecht erworben hatten, auf dem Friedhof bestattet zu werden. Gleichzeitig mit der Begräbnis-Ordnung wurde 1888 ein Begräbnis-Buch angelegt, das die Bestattungen von 1881 bis 1923 verzeichnet. Grabstein Thekla Herbst Die erste Bestattung auf dem neuen Friedhof fand danach am 29. Mai 1881 statt. Es war die dreizehnjährige Thekla, Tochter des Isak Herbst, die zu Grabe getragen wurde. Die letzten Beerdigungen (im Begräbnisbuch nicht mehr erfasst) fanden 1943 und 1944 statt: ein russischer und zwei polnische Kriegsgefangene sowie zwei russische Säuglinge wurden auf dem jüdischen Friedhof begraben. Auf ihren nach 1945 aufgestellten Grabsteinen steht: Diesem Kriegsgefangenen war ein Begräbnis auf einem christlichen Friedhof durch die Nazi-Regierung versagt worden. Ein solches Versagen ist eine Schande in den Augen aller freiheitsliebenden Menschen. Gräber Kriegsgefangene

Auszug aus dem Begräbnisbuch Nun findet sich im Begräbnis-Buch zwischen den Nummern 25 und 26 folgender Eintrag ohne Nummer: totgeborener Knabe des Simon Schlesinger Bonfeld beerdigt am 10. Mai 1909. Der Beerdigungsplatz des Kindes auf dem Jüdischen Friedhof Rappenau ist zwar unbekannt, doch ist zu vermuten, dass er sich in der Reihe der Kindergräber entlang der östlichen Friedhofsmauer befindet (siehe Titelbild dieses Beitrags). Diese Spur führt uns zu der weit verzweigten Familie Schlesinger nach Bonfeld. Deren Vorfahren gehen zurück auf einen Berle Ottenheimer aus Haigerloch, Von dessen Enkel Ruben Lazarus ist das Todesjahr 1791 und sein Aufenthaltsort Bonfeld bekannt. Seitdem lässt sich die Chronik der Familie Schlesinger in Bonfeld bis in die Gegenwart lückenlos nachverfolgen. Die letzte in Bonfeld noch lebende Nachfahrin ist Renate Schlesinger vh. Dorn. Der Vater jenes totgeborenen Knaben, Simon Schlesinger, ist einer ihrer Großonkel. Es ist vor allem diese Generation der Familie, die dem Rassenwahn der Nazis in den Lagern von Minsk / Weißrussland, Theresienstadt / Tschechien, Izbica bei Lublin und Auschwitz / Polen zum Opfer fielen. Von der nächsten Generation haben Etliche den irrigen Glauben, dass der Hitler-Spuk schnell an sein Ende komme, nicht geteilt und sind in die USA und nach Israel ausgewandert. Renate Schlesingers Vater Albert ist auch deshalb nicht abgeholt worden, weil seine Mutter ihn hat taufen lassen. So konnten er und seine Familie in Bonfeld überleben. Anders erging es Renate Schlesingers Großonkel Salomon, einem Vetter des oben genannten Simon Schlesinger. Von ihm ist ein Briefwechsel erhalten, der ein ergreifendes und bedrückendes Bild der schrittweisen Vernichtung seiner physischen (nicht aber seiner psychischen!) Existenz zeichnet., geboren am 27.April 1874 in Bonfeld, war später als Kaufmann in einem großen jüdischen Kaufhaus in Stuttgart tätig, an dem er auch Anteile besaß. Das Foto zeigt ihn mit Stock und Zigarre auf dem Weg durch die Stadt; das Aufnahmedatum ist leider unbekannt, dürfte aber Mitte bis Ende der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts sein. Seit dieser Aufnahme hatte sich bis zum Jahr 1941 seine Lage Schritt um Schritt systematisch verschlechtert, wurde sein û wie der anderen Juden - Lebensraum immer mehr eingeengt. Salomons Gehrock mit Weste Am 9. Oktober 1941 schreibt er an seinen Neffen Albert: (Ergänzungen zum besseren Verständnis sind kursiv gedruckt): Lieber Neffe!,Die mir, mit dem gesandten Paket übermachten Zeilen, sind mir nicht recht verständlich. Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten bereiten, mir fernerhin etwas zu schicken, muß ich eben darauf verzichten, obgleich ich zur Entgegennahme von Liebespäckchen gerne bereit bin & (und) zwar wäre mir zunächst ein Laib Bauernbrot & etwas Obst erwünscht. Nächster Tage sende ich an Deine Adresse: 1 Gehrockanzug, sowie 1 Frack m(it) Weste, wofür ich keine Verwendung mehr habe. Meines Erachtens kann aus dem Gehrock ein Kostüm für deine Frau gefertigt werden, vorausgesetzt, daß deine Frau noch nicht den Körperumfang ihrer Mutter erreicht hat, & zu dem Frack kaufst du deiner Frau ein Reitpferd. Keinesfalls sollten die Kleidungsstück(e) verkauft werden, da hiebei kaum erzielt würde, was allein die Futter gekostet haben, dieselbe sind beste Qualität, ebenso die Weste. Bei m(einen) Glaubensbrüder(n) i(n). Stgt werden z.zt. Umsiedlungen vorgenommen & zwar in der Weise, daß die Leute in Landgemeinden überbracht werden. Zunächst dürfte mich diese

Anordnung nicht treffen, da ich Angestellter bin & zudem in einem kleinen Haus ein einfaches Zimmer bewohne. (Gemeint ist das Leichenschauhaus auf dem Jüdischen Friedhof Bad Cannstatt, wo er angestellt war.) Am liebsten ging(e) ich n(ach) Bonfeld, wenn ein Umzug verlangt würde. Klar ist mir, daß ich bei Euch nicht wohnen kann. Vielleicht wäre es möglich, im Ernstfalle bei Karl Ladenburger ein bescheidenes Zimmer zu erhalten. Du kannst dich gelegentlich bei demselben erkundigen, es eilt nicht. Bitte(n) möchte ich in dem Fall sonst anderen Personen gegenüber Stillschweigen zu bewahren. Ohne mehr für heute, grüße ich Deine Mutter, Frau nebst Kinder bestens & empfange Du selbst die besten Grüße von deinem Onkel Einen Monat später, am 16. November 1941, schreibt Salomon: Lieber Neffe! Renate geb. Schlesinger mit Salomons Zylinderhut Salomons Geschenk für Renate Besten Dank für Übersand(t)es, ebenso für deine l(ieben). Zeilen. Heute habe ich erfahren, dass in den nächsten 14 Tagen Umsiedlung nach dem Osten vor sich geht, ich komme zunächst nicht in Betracht, schon Alters halber & auch m(einer) Beschäftigung wegen, dagegen ist m(ein) Zimmernachbar ein zwanzigjähriger junger Mann dabei. Von Württ(em)b(er)g sollen es insgesamt etwa 1000 Leute sein. Ist von Bonfeld auch jemand dabei? Vor kurzem war Frau Herz hier, von welcher ich erfahren habe, daß deine Mutter den Davidstern trägt, nach m(einem) Erachten hat sie dies nicht nötig, nachdem du Halbjude bist, mit einer Ar(i)erin verheiratet & Deine Kinder arisch sind. Es wäre sowohl für Deine Kinder gut, wenn für Deine Mutter vom Tragen dieses Erkennungszeichens nicht in Frage käme, sowohl für sie selbst, falls eine restlose Räumung vollzogen würde; Du kannst Dich dieserhalb bei der zuständigen Stelle erkundigen, dies wäre in diesem Falle das Bürgermeisteramt. In den nächsten Tagen werde (ich) Dir einen Cylinderhut m(it) Lederschachtel senden, sowie einige für mich nicht mehr in Verwendung kommenden Gegenstände Am 10. August 1942 ist schickt Salomon an seine zehnjährige Großnichte Renate folgenden verspäteten Geburtstagsbrief: Meine l. Renate Daß man so wenig von Euch hört, dürfte vermutlich auf die Schreibfaulheit Deines l. Vaters zurückzuführen sein. Hoffentlich seid Ihr alle gesund & munter, ich kann es nicht besonders loben, woran zunächst die heutige schwere Zeit, sowie mein Alter & auch meine Tätigkeit schuld sein dürfte. Man muß sich eben damit abfinden & vor Augen halten, daß auch der Mensch geboren ist um zu sterben, andererseits sage ich mir auch: Herr wie du willst, ich eile nicht. Ich will kein Klagelied anstimmen, noch einen wissenschaftlichen Vortrag halten, auch dürftest Du in Deinen jungen Jahren wenig Interesse dafür haben. Vielmehr möchte ich Dir eine kleine Freude machen & Dir wenn auch verspätet zu Deinem Geburtstag ein kleines Geschenk übermachen. Sehr erfreut wäre ich wenn ich Deinen & Deiner l. Eltern Geschmack getroffen hätte & Du das Andenken mit Freude trägst mit Gedanken an deine l. Großmutter. Deinen l. Geschwistern würde ich auch gerne zu gegebener Zeit ein Geburtstagsgeschenk zukommen lassen, soweit dies möglich ist & muß ich dich bitten mir gelegentlich die Geburtstagsdaten mitzuteilen. Nehmen Du sowie Deinen l. Eltern und l. Geschwister die herzlichsten Grüße entgegen von Deinem treuen Onkel

Nur 5 Tage später informiert seine Bonfelder Verwandten unverhüllt über sein weiteres Schicksal: Meine Lieben! Heute vorm(ittag). war Tochter d(es). Martin Höllmiller bei mir & hat mir das, von der l. Renate mit dem heute vorm. erhaltenen Brief, avisierte Päckchen überbracht, wofür (ich) m(einen). herzl. Dank ausspreche. Die Würfel sind gefallen, ich bin für den kommenden Sonntag abgehenden Transport bestimmt, derselbe soll nach Mähren dirikirt (dirigiert) werden, Genaues erfährt man nie. Die Teilnehmer sollen aus ü/ (= über) 65jährigen Personen bestehen, in diesem Falle dürfte auch Leopold Schl(esinger) & Frau dabei sein. Erwünscht wäre mir nun, wenn Du l. Albert & Deine bessere Hälfte mich spätestens kommenden Donnerstag besuchen würden & (= um) mich von Euch voraussichtlich für immer zu verabschieden. Ab Donnerstag ist Ausgeheverbot für die Beteiligten. Lieb wäre mir etwas Zucker, Branntwein & Wurst zu erhalten, vielleicht auch ein kleines Kaffeebrot (salziges Weißbrot). In Eile grüßt Euch allesamt herzlich Euer Onkel Albert Schlesinger und seine Frau Sofie haben am Donnerstag, 20.08.1942, noch in Bad Cannstatt besucht. Als letzte Nachricht ist eine Postkarte aus Theresienstadt aus dem Jahr 1943 erhalten. Die Bleistiftschrift ist auf der stark gedunkelten Postkarte nicht mehr vollständig zu entziffern. Der noch lesbare Text ist folgender: Theresienstadt, 20.5.43 Meine Lieben! Erfreulicherweise kann ich Postkarte Vorderseite Euch mitteilen, dass ich gesund bin, hoffe dass auch dies bei Euch der Fall ist. Ich stehe... (es folgt nach... jeweils ein nicht mehr lesbarer Teil)... Du l. Albert wirst... & Du l. Sofie Haushalt... beschäftigt sein. Die Beförderung von Postkarten & Päckchen erfolgt... pünktlich... Mit herzlichen Grüßen & Küssen bin (ich) Euer Onkel. Postkarte Rückseite Abschrift der Postkarten-Rückseite Theresienstadt ist die letzte Station auf dem Weg der schrittweisen Vernichtung von Salomon Schlesinger. Laut Gedenkblatt, das Susan G. Schoenenberger (Maryland / USA) 1998 für das Archiv von Yad Vashem von ihrem Urgroßonkel angefertigt hat, ist er am 07. November 1943 in Theresienstadt ums Leben gekommen. Die Todesursache ist nicht bekannt. Das nicht lokalisierbare Grab eines totgeborenen Knaben aus Bonfeld, dokumentiert mit drei Zeilen im Begräbnisbuch der Jüdischen Gemeinde Rappenau, hat uns so vom dortigen Friedhof auf den Leidensweg eines gebürtigen Bonfelder Juden von der Königstraße in Stuttgart in die Hölle von Theresienstadt geführt. Bernd Göller