Ehen mit Fremden in der NS-Zeit Lebensumstände und Überlebensstrategien. Vortrag von Dr. Irene Messinger Verein Fibel,

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Transkript:

Ehen mit Fremden in der NS-Zeit Lebensumstände und Überlebensstrategien Vortrag von Dr. Irene Messinger Verein Fibel, 12.06.2014

Aufbau Mischehen Rechtliche Rahmenbedingungen Lebensbedingungen in der NS-Zeit Ehen mit Ausländern Rechtliche Rahmenbedingungen Scheinehe als weibliche Fluchtoption Jüdische Eheschließungen in Wien 1938

Fremd? 1. Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit 2. Personen, die nach NS-Klassifikation als jüdisch definiert wurden

Begriffsdefinition Mischehe Bis in die 1920er Jahre: Interkonfessionelle Ehe, Heirat von Personen unterschiedlicher christlicher Konfessionen Interreligiöse Ehe, Heirat von Personen unterschiedlicher Religionsgruppen Seltener: Interkulturelle bzw. binationale Ehe

Begriffsdefinition Mischehe Mischehe als amtliche Bezeichnung für Ehen zwischen Einheimischen und deutschen Siedlern in den Deutschen Kolonien für Ehe zwischen Juden/Jüdinnen und Deutschblütigen

Blutschutzgesetz 1935 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre Verbot der Eheschließungen zwischen Deutschblütigen und Juden/Jüdinnen Geplante Zwangsscheidung von Mischehen konnte nicht durchgesetzt werden Rassenschande : außereheliche Beziehungen zwischen diesen Personengruppen strafbar

Blutschutzgesetz 1935 Quelle: United States Holocaust Memorial Museum Collection

Ehestandsdarlehen wurde in Deutschland im Juni 1933 eingeführt, in Österreich seit April 1938 in Kraft. Bis 1.000 Reichsmark zinsenloses Darlehen für arische Paare Rückzahlungspflichten reduzierten sich mit der Zahl der Kinder, mit 4 Kindern abgegolten

(Nicht-) privilegierte Mischehen Mischehe mit Kindern, die nicht dem jüdischen Kultusverband angehörten Option 1: Ehemann deutschblütig Familie muss nicht in ein Judenhaus umziehen. Vermögenübertrag auf Mann oder Kinder möglich. Option 2: Mutter deutschblütig Familie muss vorläufig nicht in ein Judenhaus umziehen. Das Vermögen kann auf die Kinder übertragen werden.

(Nicht-) privilegierte Mischehen Mischehe ohne Kindern Option 3: Ehemann deutschblütig Gleichstellung Mischehen mit Kindern Familie muss nicht in ein Judenhaus umziehen. Übertrag des Vermögens auf Mann oder Kinder möglich. Option 4: Ehefrau deutschblütig Beide Ehegatten können in Judenhäusern oder jüdischen Vierteln untergebracht werden. Vermögensübertragung bleibt untersagt.

(Nicht-) privilegierte Mischehen Privilegierte Mischehe : Option 1 (Mann deutschblütig ) oder mindestens ein Kind, das getauft war ( Mischling 1. Grades ) Alle anderen Mischehen nichtprivilegiert Beispiel Davidstern (September 1941) Mischlinge 1. Grades u. Juden/Jüdinnen in privilegierte Mischehen waren befreit Ausnahme Wien Diskriminierung und Privilegierung regional unterschiedlich!!!

Eheschließung von Halb- / Vierteljuden Halbjuden ohne Bindungen zum Judentum: konnten Antrag zur Heirat eines Deutschblütigen stellen, wurde aber meist abgelehnt, Ausnahme: besondere Verdienste um die Bewegung (NSDAP) Geltungsjuden (= Halbjuden mit Bindungen zum Judentum): eherechtlich wie Volljuden Vierteljuden jüdische Mischlinge zweiten Grades, ohne Bindungen zum Judentum durften Deutschblütige ehelichen, ohne besondere Genehmigung.

Eheschließung von Halb- / Vierteljuden

Ehegesetz 1938 Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung Rassische Differenzen als Eheannullierungsund Scheidungsgrund

Ehegesetz 1938 Rückgang der Mischehen im Deutschen Reich: 1933 wird die Zahl auf 35.000 geschätzt, Volkszählung 1939 noch 20.454 Mischehen 2 Wellen der Scheidungen: 1935; nach 11/1938 Hamburg: Gestapo Terror System gegen Mischehen (Quelle: Beate Meyer: Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 1945. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg 2006)

Ehegesetz 1938 Rückgang der Mischehen in der Ostmark: Keine präzisen Zahlen Privilegierte Mischehen im Dez 1942: 3.683 Febr. 1945: 3.433 Nicht-Privilegierte Mischehen: Dez 1942: 1.881 Febr. 1945: 1.350 Abzüglich 327 Juden/Jüdinnen in Mischehen die aus Wien deportiert wurden, bedeutet: knapp 400 Nicht-/Scheidungen = 7% (Quelle: Evan Burr Bukey: Jews and Intermarriage in Nazi Austria, 2011)

Überleben in einer Mischehe Rund 90% der Juden/Jüdinnen in Mischehen überlebten (Quelle: Evan Burr Bukey: Jews and Intermarriage in Nazi Austria, 2011) Wien: Von 220.000 Wiener Juden/Jüdinnen haben 5.700 überlebt, 80% in einer Mischehe

Überleben in einer Mischehe Victor Klemperer (1881 1960) jüdischer Intellektueller und Literaturhistoriker Berlin Heirat 1905 mit der evangelischen Konzertpianistin Eva Klemperer Dokumentation: Die Sprache lügt nicht http://www.youtube.com/watch?v=dd-wrm86in8 Bericht über Hausdurchsuchung ab 45:30

Apokalyptische Jahre Tagebücher der Therese Lindenberg Therese Lindenberg (geb. Trestl, 1892 1980) ausgebildete Sängerin Katholikin, inoffiziell Halbjüdin Verheiratet mit assimilierten jüdischen Mann 1915 am Wiener Magistrat eine interkonfessionelle Notzivilehe

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