Manchmal, wie jetzt, stellte ich mir vor, dass ich ein Teil dieser strahlenden Welt meiner früheren Mitschülerinnen war. Wie sie mich auf einem Foto von einer Party mit Alkopops verlinkten und etwas drunter schrieben wie Daisy, du hast mal wieder alle unter'n Tisch gesoffen, hahaha! Oder auf einem Foto, wo ich mich gegen die Brust eines wahnsinnig gutaussehenden Typens lehnte, so a la Jannis Niewöhner, mit dem dazu passenden Kommentar: Du bist die Liebe meines Lebens. Und diese Träume oder eher Wunschvorstellungen machten mich jedes Mal aufs Neue unglücklich; nicht, weil ich wusste, dass sie total unrealistisch waren, sondern weil es mich schlicht nervte, dass ich trotz dieser echt beschissenen Panikattacken, die mich anders als alle anderen machten, im Grunde genommen doch
genauso war wie alle anderen 16-Jährigen Mädchen. Das nervte mich so sehr, dass ich mir etwas ganz Eigenes ausgedacht hatte. Eine Art Spiel, welches ich mit mir selbst spielen musste. Ich wusste, dass manche Mädchen eine Liste mit den Stars führten, mit denen es okay wäre, ihren mehr oder minder vorhandenen Partner zu betrügen. Und um mich von eben diesen Mädchen abzugrenzen, führte ich in meinem Kopf eine Liste mit den allerschlimmsten Dingen, die in meinem Leben passieren könnten. Ironischerweise stand ganz oben auf meiner persönlichen Worst-Case-Szenarien- Liste: Schwanger werden. Ich musste zugeben, sonderlich viele Gedanken machte ich mir bei der Liste nicht. Denn um überhaupt das Risiko einer
Schwangerschaft einzugehen, bräuchte man einen Kerl, der mit einem schlafen wollte im Idealfall war das der feste Freund. Da es in meiner Reichweite niemanden gab, der mit mir intim werden wollte, konnte ich diesen Punkt genauso gut wieder streichen. An zweiter Stelle stand: Genau in dem Augenblick, wenn ich mein schwarzgefärbtes Haar für lang genug empfand, an Krebs zu erkranken und eine Chemo machen zu müssen. Das klang makaberer, als ich es meinte, weshalb es ganz gut war, dass diese Liste nur in meinem Kopf existierte. Es gab nicht vieles, was ich so richtig an mir mochte. Ich war an den falschen Stellen knochig oder zu flach, und nahm an den ungünstigsten Stellen zu wenn ich überhaupt zunahm. Meine Augen waren so
hellblau, dass ich manchmal selbst erschrak, wenn ich in den Spiegelschaute. Zusammen mit meinen fliederfarbenen Augenringen und meiner noch dazu viel zu blassen Haut, gehörte ich eher Geisterwesen an als den Homo sapiens. An meinem Körper konnte ich allerdings nichts ändern. Aber ich konnte mich um meine Haare kümmern. Sie waren inzwischen lang genug, um meine kleine Oberweite zu kaschieren. Immer, wenn ich es für nötig hielt, schnitt Nadja mir die Spitzen mit einer Schere, die sie sich extra dafür angeschafft hatte. Seht ihr? Ich musste gar nicht zwangsläufig das Haus verlassen. Nadja sorgte dafür, dass alles Notwendige in unseren vier Wänden zu finden war. An dritter Stelle meiner Liste stand: Von Aliens entführt werden.
Man sollte meinen, dass wäre der Wunsch eines Mädchen, die nie das Haus verließ, aber ich dachte dabei an die Zeit nach der Entführung. Wenn mich die Aliens wieder aussetzten, irgendwelche Menschen mich im Nirgendwo aufgabelten und zur Polizei brachten, wo ich verhört wurde, nur um am Ende noch viel verrückter da zu stehen. Dann war ich nicht nur die Irre, sondern der irre Freak. Und an vierter Stelle stand: Zum fünften Mal die Pflegefamilie wechseln zu müssen. Ich glaubte zwar nicht, dass Nadja mir das antun würde, und vermutlich würde das Pflegesystem mich im Falle eines Falles eher ins betreute Wohnen schicken, aber die Angst war unterschwellig immer schon da gewesen; seit dem Tag, an dem Nadja mich zu sich geholt hatte. Immerhin schränkte ich ihr Leben auch ein. Von ihren Männern, die sie