Christkönig (A) Nachprimiz ist St. Augustin/Wien 20. November 2011 Homilie 1. Lesung: Ez 34,11-12.15-17 / 2. Lesung: 1 Kor 15,20-26.28 / Evangelium: Mt 25,31-46 Schwestern und Brüder in Christus. Das Bild vom Hirt und der Herde, das uns Ezechiel heute in der ersten Lesung vorgestellt hat, weckt in mir spontane Sympathie. Die Orte, wo mir und ihnen Schafherden begegnen, sind natürlich selten geworden, da muss man schon weit raus aus unseren Städten. Eigentlich passt dieses Wort nicht ganz in unsere auf Sesshaftigkeit und Besitz ausgerichtete Gesellschaft und Kultur. Aber dennoch faszinieren mich solche Bilder. Die Schafe haben freien Auslauf, und trotzdem geht kein Tier verloren. Alle wissen, wo es hingeht. Die Ruhe und Gelassenheit des Hirten beeindruckt mich ebenso, wie seine ganz andere Art zu leben immer unterwegs, wie ein Nomade. Hirten mit Herden sind nicht nur etwas Seltenes geworden, sie sind auch etwas Exotisches. Zurück zum Text, den uns die Kirche am heutigen Christkönigsonntag vorlegt: Nach einer alten Tradition bezeichnet man im Orient Könige als Hirten. Dies war auch zur Zeit des Propheten Ezechiel in Israel so. Doch Ezechiel lässt zunächst in der Vorgeschichte kein gutes Haar an 1
diesen Hirten, an den Königen seines Volkes. Sie waren wohl mehr Wölfe im Schafspelz, haben in heuchlerischer Weise ihr Königtum missbraucht. Sie haben für sich selbst gesorgt und das Volk ausgebeutet und zugrunde gerichtet. Unrecht und Chaos breitete sich aus, so dass das ganze Volk in den Untergang stürzte. Juda war erobert, Jerusalem 586 zerstört, das Heiligtum, der Tempel niedergebrannt. Die Bevölkerung wurde vertrieben, ihr Los war die Verbannung ins ferne Babel. Dort lebten sie in der Fremde, heimatlos und zerstreut. In diese Situation hinein verkündet Ezechiel einen Gott, der sich selbst um die Tiere seiner Herde kümmern will, der jetzt allein ihr Hirt sein will. Er will seine Schafe suchen und zu einer neuen Herde sammeln. Er will die vertriebenen zurückbringen und selbst für alle sorgen. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert [ ] so kümmere ich mich um meine Schafe. 1 Gott selbst vergleicht sich mit einem Hirten, dessen Engagement den zerstreuten, kranken und schwachen Tieren der Herde gilt. Was ist ein Hirt ohne die Zusammengehörigkeit und den Zusammenhalt der Herde! Offenbar ist die Rede von einem Hirt, der sich seine Herde überhaupt erst dadurch sammelt, dass er sich der in Not Geratenen annimmt. 1 Ez 34,12 2
Durch das Sakrament der Priesterweihe, das ich am 25. Juni im Regensburger Dom empfangen habe, wurde mir auch ein solches Hirtenamt übertragen. Die besondere Aufgabe des Pfarrers, [die Gemeinschaft einer Pfarre zu leiten,] erwächst aus seiner besonderen Beziehung zu Christus, dem Haupt und Hirten. Es ist eine Aufgabe, die sakramentalen Charakter hat. 2 Sie wurde mir und jedem anderen Priester nicht von der Gemeinschaft anvertraut, sondern sie wird immer aufs Neue vom Herrn selbst übertragen durch den Bischof. Freilich braucht es dazu auch die Mitarbeit anderer, die diese sakramentale Ähnlichkeit mit Christus nicht empfangen haben. 3 Und wie geht es Ihnen, geht es uns, wenn wir den Text aus einer anderen Perspektive betrachten? In mir sperrt sich nämlich etwas, mich als Herdentier zu sehen. Ich möchte mich als Mensch und auch als Priester von Menschen nicht vereinnahmen oder bevormunden lassen. Ich will selbst entscheiden, mich nicht so einfach einer fremden Führung anvertrauen. Vielleicht möchte ich, im Bild gesprochen, doch manchmal lieber ein schwarzes Schaf sein. 2 KONGREGATION FÜR DEN KLERUS: Instruktion DER PRIESTER, HIRTE UND LEITER DER PFARRGEMEINDE vom 4. August 2002, Ziff. 5. 3 Vgl. ebd. 3
Erkennen wir diese kritische Botschaft im Text, nicht wieder blind anderen, politischen Führern nachzulaufen? Nicht jeder Hirt ist nämlich auch wirklich ein guter Hirt, dies hat schließlich nicht nur das Volk Israel bitter erfahren. Aber Ezechiel wirbt ja für einen Gott, der sich als Hirt gerade jetzt bedingungslos seiner Herde annehmen will, der mit seiner Leitung dem geprüften Volk wieder Hoffnung und Orientierung gibt. Er verlangt kein blindes Vertrauen. Gott gibt Kriterien an die Hand, an denen das Volk seine Vertrauenswürdigkeit ermessen kann. Gott macht sich als Hirt kontrollierbar durch die Zusage, verlorene Tiere zu suchen und vertriebene zurückzubringen, verletzte zu verbinden, schwache zu kräftigen und alle zu behüten. Und er wird für Gerechtigkeit in der Herde sorgen. Daran kann sich das Volk vergewissern, dass es auf Gott als Hirt zu Recht vertrauen darf. Anlässlich des Besuchs in seinem und meinem Heimatland Deutschland hat Papst Benedikt XVI. am 22. September in einer viel beachteten Rede vor dem Deutschen Bundestag gesagt, letzter Maßstab und der Grund für seine Arbeit als Politiker darf nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn sein. Die Politik muss Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Friede schaffen. 4
Weltliche Könige, Herrscher und Politiker brauchten und brauchen Erfolg, der ihnen überhaupt die Möglichkeit politischer Gestaltung eröffnet. Aber der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet. Erfolg kann auch Verführung sein und kann so den Weg auftun für die Verfälschung des Rechts, für die Zerstörung der Gerechtigkeit. Nimm das Recht weg was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande, zitiert der Papst den Heiligen Augustinus. Die Botschaft des Ezechiel hat also 2600 Jahre später auch für uns heute noch große Aktualität. Die Warnung des großen Propheten vor dem blinden Vertrauen gilt auch uns. Sie hat ein eminent politisches Anliegen: allein dem Führungsanspruch Gottes zu vertrauen, und der ist ganz konkret. Gottes Führung und die Königsherrschaft Christi, seines Sohnes ist ein Engagement für diejenigen, die am Rand stehen. Sie stehen bei ihm im Zentrum. Die Randständigen unserer Gesellschaft heute, die Flüchtlinge und Asylbewerber, die Ausländer, die Arbeitslosen, die Kranken und Alten, das sind die Verlorengegangen, Vertriebenen, Verletzten und Schwachen, von denen Ezechiel spricht. Wo sie nicht mehr am Rand, sondern im Mittelpunkt unseres Denkens und Tuns 5
stehen, da ist Gott als Hirt erfahrbar. Wo wir uns ohne Berührungsängste, ohne ein Ja aber nicht nur um diese Menschen kümmern, sondern auch ernst nehmen, dass Gott aus ihnen wie aus uns, die wir im Bild des Propheten gesprochen vielleicht die Fetten und Starken sind, das Volk neu sammeln will, da haben auch politische Führungen unser Vertrauen verdient, weil Gott dort selbst mit am Werk ist. Amen. 6