Samstag mit der Bahn aus Berlin gekommen war, um Kevin zu überraschen, mit dem sie ihrer Meinung nach seit drei Monaten zusammen gewesen war. Wie sie vom Neustädter Bahnhof zur Louisenstraße hochgelaufen war und sich dabei bereits auf das erstaunte Gesicht gefreut hatte, wenn er ihr die Tür aufmachte. Doch anstelle dieses Gesichtes hatte sie wenig später zwei Brüste zu sehen bekommen, die mit Sicherheit nicht die von Kevin gewesen waren. Ganz offensichtlich hatte ihr Freund für das Wochenende etwas anderes vorgehabt, als sich von ihr überraschen zu lassen. Als Kevin kurz darauf aus dem Bad gekommen war, hatte er bedingt glaubhaft versucht, Lea im Zuge eines wirren Monologes irgendetwas zu erklären, wobei es um seine Schwester, seine Tante und die Verkettung unglücklicher
Umstände ging, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass er Lea augenscheinlich gegen Mandy zu tauschen beschlossen hatte. In diesem Moment und ungefähr gegen 21:00 hatte sich in ihrem Kopf Uhr das erste zaghafte»arschloch«manifestiert, wovon sie während der nächsten Stunden im Mondfisch jeden einzelnen Buchstaben so lange begossen hatte, bis daraus ein ausgewachsenes»arschloch«geworden war. Im Anschluss daran war ihr klar geworden, dass sie um 2:00 Uhr morgens wahrscheinlich weder mit der Bahn noch der Mitfahrzentrale zurück nach Berlin kommen und Kevin sie möglicherweise heute nicht mehr bei sich schlafen lassen würde. Und genau da hatte sie sich an Katharina Brunner erinnert, die sie vor einiger Zeit bei
Facebook wiedergefunden hatte und von der sie wusste, dass sie in Dresden wohnte und meist sogar um diese Zeit noch online war. Das war sie glücklicherweise auch am Samstag gewesen, hatte Lea keine zwanzig Minuten später vor der Kneipe abgeholt und einfach mit zu sich nach Hause genommen. Dort hatte sich dann auch herausgestellt, warum sie so oft die halbe Nacht lang online war: Katharina Brunner war Mitglied einer Online-Sekte, deren spiritueller Führer seinen YouTube-Kanal zum Aussenden bewusstseinserweiternder Frequenzen nutzte, Edward Snowden als Prophet verehrte und 01001010 01101000 01110111 01101000 00100000 00110100 00110010 00100000 00100000 auf seine Stirn tätowiert hatte. Das bedeutete übersetzt nicht nur Jhwh 42, sondern auch, dass Katharina mit dem @-
Zeichen auf ihrer Stirn irgendwie die bessere Wahl getroffen hatte. Kaum dass Lea ihr am folgenden Morgen, Rotz und Wasser heulend, das Kevin-Tattoo auf ihrer Schulter gezeigt hatte, hatte Katharina sie auch schon zu ihrem persönlichen Tätowierer geschleppt. Der hatte erst einmal versucht, sie zu überreden, das Ganze mit einem π oder einem zu kaschieren. Lea entschied sich allerdings für ein kleines Einhorn, das er ihr schließlich widerwillig in die Schulter stach. Danach hatte Katharina, die sich inzwischen Lorem Ipsum nannte, sie noch ein paar Stunden schlafen lassen, bevor sie schlussendlich bis spät in die Nacht versuchte, ihr die Prinzipien der virtuellen Gnosis nahezubringen. Schaudernd hatte Lea in die wahren Abgründe des Internets
geblickt, an Lorems Seite in einem Google- Hangout mit einigen Digitalnomaden meditiert und zuletzt auch noch ein Chant- Webinar besucht. Anschließend war die Sache mit der Schwesternschaft passiert. Und danach erinnerte Lea sich nur noch dunkel an einige Joints und gleichgeschlechtliche körperliche Interaktion in der thailändischen Lustkoje. Letztere legitimierte sie, um die Angelegenheit vor ihrem prinzipiell heterosexuellen Ich zu rechtfertigen, sich selbst gegenüber als verantwortbare Trotzreaktion gegenüber ihrem Exfreund. Als Lorem ihr jetzt den Yogi-Tee reichte, bat Lea stattdessen um einen Schluck Ritualschnaps. Und kaum dass sie noch ein Ausrufezeichen hinter das»arschloch«gekippt hatte, zog sie ihr ipad hervor, um über BlaBlaCar für den Nachmittag eine