Kindeswohlgefährdung durch elterliche Partnerschaftsgewalt und die kindschaftsrechtlichen Aspekte der FGG-Novelle

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Transkript:

Herbstakademie Kindeswohlgefährdung durch elterliche Partnerschaftsgewalt und die kindschaftsrechtlichen Aspekte der FGG-Novelle Deutsche Richterakademie, Trier, 6.-10. Oktober 2008 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 1

Kindeswohlgefährdung durch elterliche Partnerschaftsgewalt Charakteristik und Mechanismen häuslicher Gewalt Marion Ernst Dipl.-Soziologin Koordinierungsstelle gegen Häusliche Gewalt Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit u. Soziales des Saarlandes Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 2

Wozu eigentlich die Beschäftigung mit der Paarebene? Relevanz für die Kinder Die Kinder erleben die Gewalt (mit). Ihr Alltag und ihre weitere Entwicklung werden mehr oder minder dadurch geprägt Sie sind je nach Gewaltformen und -ausmaß in unterschiedlicher Weise betroffen Die Paarebene ist nicht loslösbar von der Elternebene Die Gewalt wirkt sich nachhaltig auf den gewalterleidenenden Elternteil aus und sie korreliert mit einer Einschränkung der Erziehungsfähigkeit des gewaltausübenden Elternteils Die Partnerschaftsgewalt hat typischerweise Auswirkungen auf das Verhalten der Eltern als Prozessbeteiligte Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 3

Partnerschaftsgewalt und Kindesmisshandlung Mit Häufigkeit und Schweregrad von Partnerschaftsgewalt wächst die Wahrscheinlichkeit von Kindesmisshandlungen Je nach Fragestellung und Forschungsdesign: 30-60% Kindesmisshandlung bei Partnerschaftsgewalt Ross 1996: bei einer Gewalttat gegen die Partnerin im Jahr: in 5% der Fälle auch Kindesmisshandlung bei fast wöchentlicher Partnerschaftsgewalt: in nahezu 100% der Fälle auch Kindesmisshandlung Kindler Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 4

Partnerschaftsgewalt und Kindesmisshandlung Partnerschaftsgewalt ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für Kindesmisshandlung Bekannte und teilweise kulturübergreifend validierte Risikofaktoren unterschiedlicher Vorhersagestärke Z.B. schwacher RF: relative Armut V (RR 1,5-2,5) Z.B. moderater RF: Depression MH (RR 3-4) Z.B. starker RF: Partnerschaftsgewalt MH (RR 6-12) (V = Vernachlässigung, MH = Misshandlung) Kindler, DJI-Handbuch Kindeswohlgefährdung und ASD) Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 5

Inhalt Häusliche Gewalt Prävalenzen und Phänomenologie Gesundheitliche Folgewirkungen Gewaltmuster und -mechanismen Risikofaktoren und Kriterien der Gefährdungsanalyse Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 6

Definition Häusliche Gewalt bezeichnet (in der Regel) Gewalt zwischen Erwachsenen in einer partnerschaftlichen Beziehung, die derzeit besteht, sich in Auflösung befindet oder aufgelöst ist unabhängig von gemeinsamer Haushaltsführung oder Tatort ~ Partnerschaftsgewalt ~ Gewalt in Paarbeziehungen Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 7

Häusliche Gewalt und Stalking Häusliche Gewalt Stalking Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 8

Gewaltformen Körperliche Gewalt von der Ohrfeige bis zur Tötung: Stoßen, Treten, Schlagen, Verbrennen, Würgen, Waffengebrauch... Sexuelle Gewalt Vergewaltigung, Einführen von Gegenständen, erzwungene Handlungen, Erzwungenes Anschauen von Pornografie Psychische Gewalt Drohungen, Systematische Beschimpfungen und Demütigungen, Verfolgung, Isolation und Kontrolle Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 9

Prävalenzen Männliche Gewaltopfer Pilot-Studie BMFSFJ keine repräsentativen Aussagen möglich Hinweise auf: * Gewaltbelastung im Erwachsenenalter deutlich geringer als in Kindheit und Jugend * Großteil der Gewalt gegen Erwachsene in der Öffentlichkeit * Täter ganz überwiegend Männer, ohne Beziehung zum Opfer gesicherte Erkenntnis: in der Partnerschaft kann jede Form der Gewalt gegen Männer vorkommen, auch schwere hinsichtlich Häufigkeit, Schwere u. Verletzungsfolgen deutlich geringer als Partnerschaftsgewalt gegen Frauen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Gewalt gegen Männer in Deutschland. Personale Gewaltwiderfahrnisse von Männern in Deutschland. Pilotstudie 2004 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 10

Prävalenzen Weibliche Gewaltopfer 25 % der in Deutschland lebenden Frauen zwischen 16 und 85 Jahren haben ein oder mehrmals körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Lebenspartner erfahren. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland, 2004 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 11

Gewaltprävalenzen Migrantinnen BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 60 50 40 30 20 10 auch frühere Partner aktueller Partner 0 Osteurop. alle Frauen Flüchtlinge Türkinnen Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 12

Häufigkeit individueller Gewalterfahrung Fallbasis: Gewaltbetroffene BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 mehr als 10 33% einmalig 31% 2-10 Situationen 36% Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 13

Dauer der Gewalt BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 10% 15% 12% 63% bis zu 1 Jahr bis zu 3 Jahren bis zu 10 Jahren mehr als 10 Jahre Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 14

Schwere der Gewalt BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, 2004 Schwere Gewalt (Cluster 3) Gewalt deutlich häufiger nach der Eheschließung u. im Kontext von Schwangerschaft u. Geburt, höchste Dauer und Steigerung Stärkere Bindung an den Partner durch Ehe, gemeinsamen Haushalt u. Kinder hält auch bei Gewalt -> längerer Verbleib, Zunahme von Häufigkeit und Intensität, kein Gewaltende in Beziehung (3 %) Faktoren der Cluster-Bildung: Schwere, Häufigkeit, Dauer, Modus der Beendigung Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 15

Gewalthandlungen Frühere Partner. Mehrfachnennungen BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 wütend weggeschubst 63 getreten, gestoßen 42 gedroht mich umzubringen verprügelt, zusammengeschlagen gewürgt 16 18 21 mit Waffe verletzt 3 Vergewaltigung, Nötigung 25 0 10 20 30 40 50 60 70 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 16

Körperverletzungen Mehrfachnennungen. Fallbasis: Gewaltbetroffene mit Verletzungsfolgen BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 Hämatome, Prellungen 90 Offene Wunden 20 Vaginale Verletzungen Knochenbrüche 4,5 10 Kopfverletzungen 18 Fehlgeburt innere Verletzungen 3,9 2,9 0 20 40 60 80 100 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 17

Gesundheitliche Auswirkungen im gynäkologischen Bereich Störungen der Menstruation Harnwegsinfektionen Schwangerschaftskomplikationen Verletzungen beim Fötus Früh- und Fehlgeburten niedriges Geburtsgewicht des Neugeborenen Hellbernd/Brzank: Wissenschaftliche Begleitung des S.I.G.N.A.L.Projektes; Hagemann-White: Expertise für den Landtag NRW; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen u. Jugend: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 18

Gesundheitliche Auswirkungen: psychosomatische Folgen Übelkeit, Brechreiz Schmerzzustände (o.b.) Schlafstörungen Magen-/ Darmbeschwerden Konzentrationsschwierigkeiten Suchtentwicklung (Nikotin, Medikamente, Alkohol) Essstörungen Erhöhte Krankheitsanfälligkeit Hellbernd/Brzank: Wissenschaftliche Begleitung des S.I.G.N.A.L.Projektes; Hagemann-White: Expertise für den Landtag NRW; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen u. Jugend: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 19

Gesundheitliche Auswirkungen: Psychische Folgewirkungen Angstzustände Scham- und Schuldgefühle Dauerndes Grübeln depressive Verstimmungen bis hin zu Suizidalität (Abgestumpftheit, innere Leere, Sinnlosigkeit, Antriebslosigkeit) Verlust von Selbstachtung und niedriger Selbstwert Reduktion der Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung (eigene Bedürfnisse, Gefühle, Interessen) Störungen des sexuellen Empfindens Angst vor Nähe und Intimität Hellbernd/Brzank: Wissenschaftliche Begleitung des S.I.G.N.A.L-Projektes; Hagemann-White: Expertise für den Landtag NRW; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen u. Jugend: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 20

Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) Intrusionen sich aufdrängende Erinnerungen oder Gedanken (Flashbacks) mit extremer Lebensechtheit u. emotionaler Intensität Übererregung "permanenter Alarmzustand" mit Schlaf- u. Konzentrationsstörungen, Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Affektintoleranz, Vermeidungsverhalten Vermeidung traumaassoziierter Stimuli, psychische Erstarrung, emotionale Taubheit, allgemeiner Rückzug, Teilnahmslosigkeit u.u. zwanghafte Neuinszenierung Erinnerungslücken (partielle Amnesie) z.t. mehrjährige Verzögerung auch durch Beobachtung Herman: Die Narben der Gewalt; Keller, Riedel, Senft, Klinik Berus, Mai 2003 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 21

Häusliche Gewalt: Vorurteile im Alltagswissen Männer, die ihre Frauen schlagen, sind psychisch krank Pack schlägt sich, Pack verträgt sich: Häusliche Gewalt ist ein Unterschicht-Problem Er schlägt nur, weil er getrunken hat Ein Bock stößt nie allein: Sie hat ihn wahrscheinlich provoziert Er war im Stress ihm ist halt mal die Hand ausgerutscht Sie könnte doch einfach gehen es wird nicht so schlimm sein BIG e.v: "Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich. Alte Ziele Neue Wege"; Polizeipräsidium Berlin / BIG e.v.: "Polizeiliches Handeln in Fällen häusl. Gewalt"; Godenzi, Albert: "Gewalt im sozialen Nahraum", Basel und FFM, 1994 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 22

Hindernisse für die Loslösung aus einer Gewaltbeziehung Eigendynamik von Gewaltbeziehungen Schwächung der Opfer aufgrund der psychischen Folgewirkungen der Gewalt Sanktionsvermeidende Maßnahmen der Täter Mangelnde oder unangemessene Unterstützung durch das Umfeld (privat und/oder öffentlich) Angst vor Eskalation der Gewalt bei Trennung Schuldgefühle, den Kindern den Vater zu nehmen Wirtschaftliche Existenzängste Angst vor Einsamkeit Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 23

Gewaltspirale Phase 1: Gewalttat Phase 2: ( Honeymoon ) * Reue des Täters Bitten um Verzeihung, Versprechen, Umwerben * Hoffnung, u.u. neue Verliebtheit * Schweigen über die Gewalt Phase 3: Spannungsaufbau * Schuldverschiebung * zunehmend (verbal) aggressiver * weiterhin Schweigen über die Gewalt Steigerung von Intensität u. Frequenz Lenore E. Walker: Warum schlägst du mich?", München 1994 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 24

Entwicklung der Häufigkeit Fallbasis: mehr als 1 Gewaltsituation erlebt BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 11 2 keine Angabe 12 27 47 häufiger geworden gleich geblieben seltener geworden ganz aufgehört Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 25

Modell der Übergänge nach Prof. Dr. Cornelia Helfferich und Prof. Dr. Barbara Kavemann Entscheidungsmöglichkeit zu gehen nach erster Gewalttat beim Verbleib meist stufenförmige Eskalation der Gewalt die 1. Male er demütigt sie auch vor anderen er würgt sie oder benutzt Waffen er greift auch die Kinder an Nach jeder Stufe kann neu entschieden werden, denn jede Stufe fördert auch Wut und Ekel und kann so Reserven mobilisieren, die zu kleinen Lösungsschritten führen Sozialwissenschaftliches FrauenForschungsinstitut der Kontaktstelle praxisorientierte Forschung e.v. an der evangelischen Fachhochschule Freiburg: Wissenschaftlichen Untersuchung zur Situation von Frauen und zum Beratungsangebot nach einem Platzverweis bei häuslicher Gewalt: Platzverweis > Beratung und Hilfen ; im Auftrag d. Sozialministeriums Baden-Württembg Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 26

Fortsetzung Modell der Übergänge nach Prof. Dr. Cornelia Helfferich und Prof. Dr. Barbara Kavemann Eskalation der Loslösung: die 1. Male sich selbst behaupten oder Widerstand leisten mit Trennung drohen zu Anwältin/Anwalt gehen die Polizei rufen Wenn Angst und Scham (irgendwann) egal sind, kann Trennung erfolgen Manchmal bedarf es einer lebensbedrohlichen Zuspitzung Manchmal geben äußere Umstände den Anlass (z.b. Wohnungs- bzw. Platzverweis durch Polizei, Kontakt mit ASD oder Familiengericht...) Helfferich/Kavemann Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 27

Fortsetzung Modell der Übergänge nach Prof. Dr. Cornelia Helfferich und Prof. Dr. Barbara Kavemann Für Außenstehende ist das allmähliche Loslösen aus der Gewaltbeziehung kaum zu bemerken Nimmt man als Maßstab eine rasche Veränderung der Gewaltsituation, so scheinen viele Schritte zunächst zu scheitern tatsächlich sind sie aber wichtige Elemente des Ablösungsprozesses auch gescheiterte Flucht- und Trennungsversuche können dazu gehören Helfferich/Kavemann Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 28

Verhaltensweisen und Strategien der Gewaltausübenden 1. Einflussnahme auf das Verhalten der Opfer mit den Zielen Verschweigen der Gewalt vor Freunden, Verwandten, Nachbarn, KollegInnen, Arzt, Kindergarten/Schule, Behörden Schweigen während Polizeieinsatz Keine Antragstellung bzw. Zurücknahme des Strafantrags Nichterscheinen bei Gericht Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechts Zustimmung zum Täter-Opfer-Ausgleich Die Darstellung beruht in Teilen auf Seminarunterlagen der Informationsstelle gegen Gewalt, Wien Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 29

Verhaltensweisen und Strategien der Gewaltausübenden II 2. Falsche Darstellung des Sachverhalts Leugnen Bagatellisieren Motiv-Fälschung 3. Rechtfertigung der Gewalt Opferbeschuldigung (victim-blaming) Kontrollverlust Belastungssituation Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 30

Prüfkriterien zur Gefährdungsanalyse 1. Art und Intensität der aktuellen Gewalt 2. Waffenbesitz, Kenntnis von Kampfsporttechniken 3. Gewaltgeschichte gg. der Partnerin 4. Gewalt gegen Dritte 5. Alkohol- und Drogenkonsum 6. Ausgeprägtes Besitzdenken 7. Todes-, auch Suiziddrohungen 8. Situative Risikofaktoren Dr Lesley Laing: Risk Assessment in Domestic Violence; Australian Domestic & Family Violence Clearinghouse, 2004 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 31

Situative Risikofaktoren Trennung und Scheidung Schwangerschaft und Geburt Arbeitslosigkeit Kausale Korrelationen traditionelle Geschlechtsrollen und Abhängigkeiten / gesellschaftliches Machtungleichgewicht Gewalterfahrung in der Kindheit Alkohol- oder Drogensucht BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, Dr Lesley Laing: Risk Assessment in Domestic Violence; Australian Domestic & Family Violence Clearinghouse, 2004 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 32

Gewalthandlungen aktuelle Partner (rot), frühere (blau), Mehrfachnennungen BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 wütend weggeschubst getreten, gestoßen gedroht mich umzubringen verprügelt, zusammengeschlagen gewürgt mit Waffe verletzt Vergewaltigung, Nötigung 3,6 4,1 3,5 3 1,2 6,1 21 18 21 16 25 42 63 75 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 33

Probleme im Kontext des Umgangs Mehrfachnennungen. Fallbasis: Cluster 3, Umgangsprobleme angegeben BMFSFJ: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland 2004 drohte, mir/den Kindern etwas anzutun drohte die Kinder zu entführen 26,9 28,8 entführte die Kinder 9 griff mich körperlich an 41 griff die Kinder körperlich an versuchte mich umzubringen 11,1 14,6 versuchte die Kinder umzubringen 2,6 sonst. Probl. mit Gewalt/Drohung 26,4 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 34

. Vielen Dank! Koordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt, Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes 35