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Transkript:

00:36-00:45 Yu Xinpei, Unternehmerin, Shanghai Ich vergleiche mich nicht. Im Vergleich zu anderen bin ich nicht besonders erfolgreich, aber wenn ich nur schaue, was ich selbst erreicht habe, bin ich zufrieden. 00:48-00:59 Chen Mingming, Vertreter des Außenministeriums Sehen Sie doch, wie die Menschen im Ausland leben. Ist es da nicht legitim, dass wir Chinesen die gleiche Lebensqualität haben möchten? 01:02-01:13 Zhuang Biaowei, Techniker für Online-Spiele Wenn ein Haushalt über ein Vermögen von mehr als einer Million Euro verfügt, gilt er in Shanghai als Mittelklasse-Haushalt. 01:15-01:21 Liu Jieyi, außenpolitischer Sprecher der chinesischen KP Wenn Sie die Chinesen fragen, werden sie Ihnen sagen, dass Chinas Entwicklung in die richtige Richtung geht. 01:29-01:51 Zhu Ling, Professorin, Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften (CASS) Die größte Veränderung ist, dass ich genug zu essen habe. Außerdem hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir Autobahnen haben würden, dass ich mit einem Flugzeug fliegen oder im Ausland studieren würde. Die Veränderungen sind gewaltig. 01:58 Kommentar Vor dreißig Jahren galt China als Entwicklungsland. Heute ist es die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und eine Supermacht, an der kein Weg mehr vorbei geht. 02:14 Kommentar Nie zuvor in der Geschichte hat ein Land so schnell den Wandel von Armut zu Wohlstand, von Mangel zu Überfluss vollzogen. 02:24-02:40 Kommentar Die dramatischen Ereignisse vom Sommer 1989 erwähnt die offizielle chinesische Geschichtsschreibung allerdings mit keinem Wort. Dabei sind sie indirekt verantwortlich für den ökonomischen Aufschwung. 02:49 Kommentar Als Chinas erster kommunistischer Führer Mao Tse Tung 1976 starb, folgte ihm Deng Xiaoping. Unter seiner Führung wandte sich China von der Wirtschaftspolitik der Mao-Ära ab.

03:08 Kommentar Die neue Politik, die von den Volkswirtschaften des Westens inspiriert war, führte in den 1980er Jahren zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise - zu Arbeitslosigkeit, Inflation und Korruption. Diese Verschlechterungen hatten Unzufriedenheit und Proteste zur Folge. Mitte der 1980er Jahre wurden die Forderungen nach wirtschaftlichem und politischem Wandel immer lauter. 03:45 Kommentar Im Frühling und im Sommer 1989 gipfelten die Proteste in den Ereignissen vom vierten Juni, die als Massaker auf dem Tiananmen-Platz in die Geschichte eingingen. 04:03 Kommentar Dieses Datum und diese Ereignisse sind im heutigen China nahezu unbekannt. Sie sind zu heikel, als dass sie in der Öffentlichkeit erwähnt würden. 04:19-04:27, Yu Hua, Schriftsteller Die Erinnerung daran ist mir unvergesslich. Diese Ereignisse haben mein Leben sehr geprägt. 04:29 05:05 Kommentar Yu Hua ist einer der renommiertesten Schriftsteller Chinas. Er hat Millionen von Büchern verkauft. Im Westen kennt man ihn als Autor des Buches Leben, das unter dem gleichen Titel auch verfilmt wurde. In seinem Buch China in zehn Wörtern äußert Yu Hua seine Ansichten zu China. Jedes Kapitel ist einem Begriff, einem sorgsam ausgewählten Wort gewidmet. Das erste Kapitel trägt die Überschrift Volk. Darin erinnert sich Yu Hua an die Atmosphäre und die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz, und an die Nacht des vierten Juni 1989. 05:08 06:08 Yu Hua, Schriftsteller Als ich den Platz gegen zwei oder drei Uhr morgens verließ, war es eiskalt und stockdunkel. Damals waren die Straßen noch ziemlich eng; die Atmosphäre war ganz anders als heute. Plötzlich spürte ich, wie mir eine Woge heißer Luft entgegenkam. Mehr als zehntausend Menschen sangen die Nationalhymne. Das war ein unglaublich mitreißendes Erlebnis. Später schrieb ich in einem Essay, dass ich immer geglaubt hatte, Licht sei intensiver als Klang und Klang intensiver als Wärme; aber damals verstand ich auf einmal, dass Wärme intensiver ist als Licht und Klang, wenn Menschen sich zusammenschließen. Das war ein unglaubliches Gefühl. Ich habe seitdem nie wieder etwas Vergleichbares empfunden. 06:15 06:26 Kommentar Die Studentenproteste hatten sich im Frühjahr immer mehr ausgeweitet. Am Abend des vierten Juni 1989 beschloss die Regierung, den Platz räumen zu lassen.

06:28-06:55 Yu Hua, Schriftsteller Die Soldaten erhielten die Erlaubnis zu schießen; aber nur in den Boden oder in die Luft. Viele Menschen starben, weil sie von Querschlägern getroffen wurden. Weiter oben gab es keine Einschüsse, aber es gab viele Einschüsse in Bodennähe. 06:57 07:06 Kommentar Sicherheitsleute unterbrechen unser Interview, als sie hören, dass wir über den 4. Juni 1989 sprechen. Sie fordern uns auf zu gehen. 07:07-07:09 Männliche Stimme Wer hat Ihnen die Erlaubnis erteilt? 07:10 07:13 Reporterin (TV-Team) Herr Zhang. Er hat uns das Interview gestattet. 07:14 07:16 Männliche Stimme Worum geht es? 07:20 08:28 Yu Hua, Schriftsteller Er ist ein ganz normaler Bürger. Aber als er hörte, dass wir über das Massaker sprachen, sagte er: Sprechen Sie nicht über Dinge, die unserer Nation schaden könnten, oder über unerlaubte Themen. Als ich ihn fragte, was das sei, wusste er es nicht. Er sagte: Sie dürfen der Gesellschaft nicht schaden! Ich fragte ihn: Wem gehört die Gesellschaft? Er antwortete sehr wütend: "Das entscheiden nicht Sie! 07:55 Damals waren hier eine Million Menschen versammelt, manche sagen sogar fast zwei Millionen. Auf jeden Fall war es eine riesige Menschenmenge. 08:08 Die Studenten forderten Demokratie und Freiheit. Für die einfachen Leute war das zu abstrakt. Was die einfachen Leute wirklich berührte, und sie dazu brachte, sich den Studenten anzuschließen, das war ihre Empörung über die Korruption, die sich in Folge der Reformen ausgebreitet hatte. 08:31 Kommentar Die Zahl der Menschen, die bei dem Massaker ums Leben kamen, ist unbekannt. Vielleicht starben zweihundert Menschen, vielleicht tausend. Viele wurden verhaftet und viele flohen ins Ausland. 08:47-10:02 Yu Hua, Schriftsteller

Würden die Ereignisse von 1989 heute stattfinden, wäre es unmöglich, sie unter Kontrolle zu halten. Direkt nach der Kulturrevolution 1976 waren die sozialen Konflikte noch nicht so tief gewesen und die Wirtschaft wuchs. 09:06 Ein paar Jahre später dann, 1989, dachten einige Verantwortliche, sie müssten mit Waffengewalt verhindern, dass China ins Chaos stürzt und die Wirtschaft stagniert. 09:26 Nach den Ereignissen kam der politische Reformprozess zum Erliegen. Die Kommunistische Führung hatte Angst, ihre Macht zu verlieren. Stattdessen reformierte sie wie besessen die Wirtschaft. Sie orientierte sich nicht an den europäischen Volkswirtschaften, sondern am amerikanischen Kapitalismus. Das ist die schlimmste Form des Kapitalismus. 09:51 Ich wünschte, es wäre nie passiert. Es war eine Tragödie. Es war wirklich eine Tragödie, sowohl für das Volk als auch für die Regierung. 10:05 Kommentar Stille legte sich über den Tiananmen-Platz und begrub die Ereignisse unter einem Mantel des Schweigens. Ein weiteres dramatisches Kapitel in der Geschichte Chinas war beendet. 10:29 Kommentar China ist nicht nur eine der größten und bevölkerungsreichsten Volkswirtschaften der Welt. Es ist auch der älteste Staat, die älteste Zivilisation. 10:40 Kommentar 3500 Jahre lang war China ein Kaiserreich. 1911 wurde der letzte Kaiser in einer Revolution gestürzt. 10: 52 Kommentar Die darauffolgenden Jahrzehnte bis 1949 waren geprägt von der japanischen Besatzung und vom Bürgerkrieg zwischen der Kommunistischen Partei unter Führung von Mao Tse Tung und der regierenden Nationalpartei, unter Führung von Chiang Kai-shek. 11:09 Kommentar Die Kommunistische Partei war 1921 in Shanghai von einer kleinen Gruppe gegründet worden. Aber Mitte der 1930er Jahre war sie bereits einhunderttausend Mann stark, als sie mit ihrer eigenen, roten Armee auf der Flucht vor ihren Gegnern in einem Langen Marsch durch China zog und sich in Yan an niederließ. 11:31 Kommentar Yan an gilt als Geburtsstätte der Chinesischen Revolution. Hier entstand die Vision von der Volksrepublik, die dann von der Kommunistischen Partei am ersten Oktober 1949 ausgerufen wurde.

11:48 Kommentar Heute ist Yan an eine blühende Metropole. Millionen Touristen aus China und aus dem Ausland kommen hierher, um etwas über die moderne Geschichte Chinas zu erfahren. Aber Liu Rong und Liang Diqiu, beide Schauspieler im Ruhestand, erinnern sich noch an ein anderes Ya nan, das Yan an ihrer Kindheit. 12:14-12:32 Liang Diqiu, ehemalige Schauspielerin Meine Familie war nicht sehr wohlhabend. Seit ich drei Jahre alt war, kümmerte sich mein Großvater um mich. Wo immer er unterrichtete, dorthin folgte ich ihm. Ich war immer mit ihm zusammen. 12:36 14:16 Liu Rong, ehemaliger Schauspieler Erst als der Vorsitzende Mao die Rote Armee in die Gegend von Shanbei geführt hatte und die Menschen in Shanbei die Freiheit erlebten, erst dann fühlten auch wir uns frei. Davor litten die Menschen große Not. Ein Grund dafür war das Klima auf der Hochebene von Shanbei. Die Ernten waren dürftig, und die Bauern wurden von den Landbesitzern ausgebeutet. Das Leben war sehr hart. Dann konnten wir über unser Leben selbst bestimmen. Niemand schikanierte uns mehr. Die Landbesitzer wurden durch die Landreform vertrieben. Nachdem die Landbesitzer weg waren, wurde das Land dem Volk übergeben. Sogar meine Familie erhielt etwas Land. Nach der Befreiung verbesserte sich die Lage der Frauen. Sie erhielten das Wahlrecht und konnten sich auch selbst zur Wahl stellen. Auch die gesellschaftliche Stellung der Schauspieler wurde verbessert und Zwangsehen wurden abgeschafft. Jetzt konnte man seinen Partner selbst wählen. Vorher hatten das die Eltern für einen getan. Die Lage der Frauen verbesserte sich in einigen Bereichen. 14:16-14:21 Liang Di-Qiu, ehemalige Schauspielerin Meine Familie wollte zum Beispiel nicht, dass ich ihn heirate. 14:21-14:25 Liu Rong Aber sie hat selbst entschieden. 14:31-14:43 Wang Hui, Professor, Tsinghua Universität, Peking Man kann das heutige China nicht einordnen, ohne das China des 20. Jahrhunderts genau zu betrachten. 14:45-14:54 Kommentar Professor Wang Hui ist ein prominenter Vertreter der so genannten Neuen Linken. Er selbst bezeichnet sich lieber als kritischen Intellektuellen.

14:56-15:33 Wang Hui, Professor Im Verlauf der langen Chinesischen Revolution wurden viele Menschen aus der bäuerlichen Gesellschaft Führungskräfte, Wissenschaftler oder Lehrer; sie ergriffen alle möglichen Berufe. In anderen Gesellschaften, besonders in Ländern der Dritten Welt, ist nie etwas Vergleichbares geschehen. Die Chinesische Revolution hat die gesamte Gesellschaftsstruktur verändert und für eine sehr große soziale Mobilität gesorgt. Das hat auch eine wichtige Rolle für die Reformen in China gespielt. 15:34-15:48 Kommentar Viele Chinesen betrachten Mao Tse Tung als den Befreier Chinas, der die Grundlagen für die wohlhabende Supermacht von heute geschaffen hat unabhängig von ihrer Meinung über die Kommunistische Partei oder die Revolution. 15:50 16:10 Wang Hui, Professor Mao Tse Tung ist das Vermächtnis des China des 20. Jahrhunderts. Mao Tse Tung ist immer ein Thema, ein sehr emotionales, nicht nur ein symbolisches. Wenn wir über China im 20. Jahrhundert sprechen, müssen wir über Mao Tse Tung sprechen. 16:11-16:37 Kommentar: Die Bedeutung Mao Tse Tungs zeigt sich in der Ideologie der Kommunistischen Partei, aber auch daran, dass sein Konterfei noch immer die Yuan-Banknoten ziert. Wer den Tiananmen-Platz besucht, sieht das große Mao-Porträt, das seit 1949 über dem Haupteingang zur Verbotenen Stadt hängt. Der Name des Porträt-Malers wurde bis vor wenigen Jahren geheim gehalten. 16:39 17:04 Wang Qizhi, Maler Der Vorsitzende Mao war der größte Führer von allen. Früher haben wir alle die Ausgewählten Werke von Mao Tse Tung gelesen. Wir hatten eine sehr hohe Meinung von Mao Tse Tung. Er war eine sehr angesehene Persönlichkeit und ich durfte sein Porträt malen 17:06-17:21 Kommentar Wang Qizhi malte 27 Jahre lang das Porträt von Mao Tse Tung. Die Aufgabe hatte er von seinem Vater übernommen. Das Porträt, das auf dem Tiananmen-Platz hängt, wird zwei Mal im Jahr ausgetauscht; und noch immer entscheidet Wang Qizhi, wie es aussehen soll. 17:22 19:10 Wang Qizhi, Maler Die Kunstakademie hatte ein extra Atelier, in dem die wichtigen Porträts gemalt wurden. Dort erhielt ich eine Stelle, um die Porträts wichtiger Leute zu malen. Am Anfang gab es keine Richtlinien für diese Porträts. Aber wir haben uns in den 1950er Jahren

mit unserem Lehrer Zhang Zhenshi Gedanken darüber gemacht. Wir legten Richtlinien fest, wie der Große Vorsitzende zu malen sei. Wir probierten verschiedene Größen aus und entschieden dann, welche Perspektive für den riesigen Platz am besten geeignet war. Damals trug Mao noch seine achteckige Mütze. Die Kulturrevolution hat mich nicht sonderlich beeinträchtigt, schließlich malte ich Maos Porträt. Die meisten Leute respektierten das. Aber manchmal machte ich mir Sorgen. Was mich beschäftigte, war die Frage, ob ich genug rote Farbe verwendete. Hätte ich nicht genug rote Farbe verwendet, hätte ich Schwierigkeiten mit den Roten Garden bekommen. Das wäre schlecht gewesen. Das Porträt des Vorsitzenden Mao sollte neben den ganzen roten Partei- und National-fahnen hängen. Deshalb musste sein Gesicht ziemlich rot sein. Andernfalls hätte es Ärger mit den Roten Garden gegeben. Das war meine Sorge. 19:13-19:37 Kommentar Maos Porträtist war nicht der einzige, der die Roten Garden fürchtete. Sie waren Maos Schutzengel und die wohl bekanntesten Symbole der Kulturrevolution Mao Tse Tungs letzter politischer Kampagne. Sie begann 1966 und endete 1976. Ihr erklärtes Ziel war es, den Kommunismus zu stärken und kapitalistische, traditionelle und kulturelle Bestrebungen zu unterdrücken. 19:38 19:59 Kommentar Noch heute wird Mao Tse Tung in China verehrt. Doch seine Taten sind umstritten. So Maos Kampagne der Große Sprung nach vorn in den späten 1950er Jahren; sie sollte China schnell industrialisieren und zur Großmacht werden lassen. Doch die Kampagne führte zu einer wirtschaftlichen Fehlsteuerung und scheiterte. Als Folge davon starben dreißig bis fünfzig Millionen Menschen an Hunger und Not. 20:00 20:07 Kommentar Auch Maos Kulturrevolution wird heute stark kritisiert. 20:08-21:06 Zhou Dunren, Professor, Fudan Universität, Shanghai Für die Kulturrevolution gab es viele Gründe. Aber selbst heute gibt es nur eine offizielle Erklärung. Sie stammt aus einem Partei-Dokument. Es gab damals Meinungsverschiedenheiten unter den Spitzenfunktionären. Leute, die Maos Kampfgenossen gewesen waren, setzen sich nun für eine andere politische und sozio-ökonomische Entwicklung ein, was Mao missfiel. Heute stimmen Wissenschaftler darin überein, dass einiges, was damals verbreitet wurde und um sich griff, schlecht für die Entwicklung des modernen China war. Zum Beispiel der Personenkult um Mao und die Verfolgungen politischer Gegner. Wenn man sich diese Dinge vor Augen hält, versteht man, was in China geschehen ist. Die Kulturrevolution war ein Unglück; sie hat nichts Gutes gebracht.

21:10 21:44 Kommentar Freunde wurden zu Feinden, Kindern wandten sich gegen ihre Eltern und Ehepartner gegeneinander. Menschen wurden angegriffen, beim leisesten Verdacht, sie würden von Maos Weg abweichen. Manche politische Diskussion führte zu Gewalt und Tod. Am gefürchtetsten waren die Roten Garden; denn sie zögerten nicht zu töten. Die Schätzungen der Zahl der Todesfälle während der Kulturrevolution reichen von 35 000 bis zu mindestens einer halben Million Menschen. 21:52 22:27 Kommentar Es gibt einige schriftliche Dokumente über die Schrecken, denen die Menschen damals ausgesetzt waren, aber es gibt vergleichsweise wenige Bilder, die dokumentieren, was geschah. Es war eine Sensation, als der Fotograf Li Zhensheng seine Aufnahmen in den Vereinigten Staaten veröffentlichte. Er arbeitete während der Kulturrevolution als Pressefotograf. Die 30 000 Negative seiner Fotos aus dieser Zeit hatte Li Zhensheng vierzig Jahre lang versteckt. 22:27-25:48 Li Zhensheng, Fotograf Während der Kulturrevolution war es unsere Aufgabe, Fotos zu machen, die die Zeitungen drucken konnten. Die Zeitungen wollten Bilder mit einer positiven Aussage. Ich machte solche Fotos, aber ich fotografierte auch unerfreuliche Dinge. Wenn meine Kollegen das gemerkt hätten, hätten sie mich angezeigt, wegen Verschwendung von regierungseigenem Film-Material, und weil ich nutzlose Fotos machte, die die Zeitungen nicht drucken konnten. Diese Kamera stammt aus der Sowjetunion. Im Oktober 1968, gab es Streit bei der Zeitung, für die ich arbeitete. Ich spürte, dass ich Schwierigkeiten bekommen würde; also nahm ich jeden Tag Fotos aus dem Büro mit nach Hause. Ich nahm nur Fotos mit, die als negativ galten. Ich sägte an diesem Tisch, an dem mein Sohn hier sitzt, eine Ecke aus. Das dauerte eine Woche. Während ich sägte, hielt meine Frau am Fenster Wache. Die Toilette war direkt da draußen. Immer wenn jemand dorthin ging, hörte ich auf. Ich habe jeden Tag nach der Arbeit gesägt. Es war ein bisschen wie bei einem Gefangenen, der die Gitterstäbe seiner Zelle durchsägen will. An dieses Foto kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich habe darüber geschrieben. Am Anfang sagte Mao, die Kulturrevolution schütze die Partei vor Revisionismus und sie schütze China davor, seine Farbe zu ändern. Der Ausdruck Revisionismus bezog sich auf die Bestrebungen nach Veränderung, die vom sowjetischen Sozialismus ausgingen. Die Farbe ändern bedeutete, vom Kapitalismus beeinflusst zu werden. Die Kommunistische Partei sagte, diese beiden Dinge seien sehr gefährlich. Jedermann hielt das für die Wahrheit und stimmte zu, dass die Führer für ihre Fehler kritisiert werden mussten. Aber das artete in rohe Gewalt aus. Diesen Mann auf dem Foto kannten wir gut. Als Parteisekretär in Harbin hatte er gute Beziehungen zu uns Journalisten. Als er kritisiert wurde, beschmierten die Leute sein Gesicht mit dicker schwarzer Tinte. Dann gossen sie ihm Tinte ins Hemd bis sie aus den Hosen wieder heraustropfte.

Ich war ein gebildeter Pressefotograf und ich hielt das für unmenschlich. Aber niemand machte den Mund auf. Wer es gewagt hätte, dem wäre sofort dasselbe passiert. 25:53 26:16 Wang Hui, Professor, Tsinghua Universität, Peking Die Meinungen über Mao gehen stark auseinander. Nach meiner Beobachtung war ein Großteil der Elite nach der Kulturrevolution ihm gegenüber sehr kritisch eingestellt. Aber die Bauern und die Arbeiter liebten ihn auch in der kritischsten Phase. 26:19 Kommentar Mao starb 1976. Das heutige China scheint Lichtjahre von dem China entfernt zu sein, das Mao bis zu seinem Tod führte. Aber genau genommen stammt die Idee, China zu einer internationalen wirtschaftlichen Supermacht zu machen, von Mao Tse Tung. Er legte 1956 dar, dass China mit seiner riesigen Bevölkerung, seiner reichen Geschichte und seinen natürlichen Ressourcen die Vereinigten Staaten 2006 oder allerspätestens 2016 überholen würde. 26:51 Kommentar Und so ist es gekommen! China hat den schnellsten Wirtschaftsaufschwung aller Zeiten vollbracht und ist heute die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, nur einen Platz hinter den USA. 27:04 27:17 Kommentar Aber Chinas Erfolg hat seinen Preis. Zwar gehören Hunderte Millionen Chinesen zu den Gewinnern, aber zugleich bleiben auch Hunderte Millionen auf der Strecke. 27:17-27:27 Mann von der Straße Wir können nichts kaufen. Wir können es uns nicht leisten. Wir werden jeden Tag ärmer. Die Kommunistische Partei taugt nichts. 27:30-27:44 Frau Zhang, Lebensmittelhändlerin Wir nehmen nie auch nur einen einzigen Tag frei. Wir arbeiten immer. Wir haben keine freien Wochenenden. Wir arbeiten sogar, wenn wir krank sind. Wir haben unseren Laden noch nie geschlossen. 27:47 28:03 Frau auf dem Land Die Politik auf nationaler Ebene ist das Eine, aber auf kommunaler Ebene sieht es ganz anders aus. Sie richten uns Bauern zugrunde! Sie haben uns Strom und Wasser abgestellt, als wir weg waren. Sie könnten uns genauso gut die Kehle durchschneiden!

28:02 Abspann