3 Vor noch nicht all zu langer Zeit, an einem nicht all zu fernem Ort, da geschah etwas ganz Sonderbares, an einem schönen, milden Maienabend. Die Luft roch nach Blütenstaub, Wiese und Nacht. In einem Kinderzimmer brannte noch Licht. Ein kleiner Junge, namens Lukas, wohnte hier. Er war ein netter aufgeweckter Junge von 5 Jahren, der ab und an ein Abenteuer suchte. In seiner Fantasie war er schon überall auf der Welt gewesen und auch an Orten, die man lieber nicht besuchen sollte. Die Abenddämmerung löste das Licht des Tages ab und nahm Besitz von dem nächtlichen Horizont. Lukas wurde langsam müde und es war ja auch Zeit an das Schlafengehen zu denken. Er rieb seine Augen und legte sich in sein weiches Bett, nahm seine Kuscheltiere und den alten Kapitän Flint in den Arm. Seine Mutter kam zur Tür herein und deckte ihren Jungen zu. Sie streifte mit ihrer Hand sanft über sein Haar. So mein kleiner Prinz, jetzt ist Schlafenszeit. Träum etwas Schönes. Sie gab Lukas noch einen Kuss, ging zur Tür und löschte dann das Licht. Die Stille der Nacht füllte das kleine Kinderzimmer aus. Doch plötzlich unterbrach etwas die Lautlosigkeit. Lukas hörte eine ihm fremde Stimme flüstern: He, pssst Lukas, he! Er saß sofort kerzengerade in seinem Bett und sah sich erschrocken im Kinderzimmer um. Jetzt konnte er sein Herz pochen hören. Es kam ihm vor, als wolle es aus seinem Hals springen. In dieser Dunkelheit konnte man ja nicht viel erkennen, aber er gab sich sichtlich Mühe, etwas zu finden. Ist da wer? Seine Stimme fing ein wenig an zu zittern.
4 Lukas hatte ein ganz klein bisschen Angst. Je mehr er sich auch anstrengte in diesem Dunkel etwas zu sehen, er konnte in seinem Zimmer niemanden entdecken. Lukas versuchte sich wieder zu beruhigen. Vielleicht hatte er sein Spielzeug reden hören. So etwas sollte ja ab und an des Nachts vorkommen. He, Lukas, ich bin es, dein Traumfänger. Willst du in dieser Nacht etwas erleben? Traumfänger! Was für ein Traumfänger? Von einem Traumfänger hatte Lukas bis jetzt noch nie etwas gehört. Wo bist du denn? Ich kann dich gar nicht sehen. Hmm, streng dich mal ganz doll an, Lukas und versuch mich in deinen Gedanken zu finden, dann wirst du mich auch sehen. Woher kommst du denn Traumfänger? Ich komme aus deiner Fantasie. Lukas tat, was ihm der Traumfänger geheißen. Er kauerte sich hin, presste seine kleinen Hände gegen den Kopf und strengte sich so sehr an, dass er ganz komische Geräusche von sich gab. Es dauerte gar nicht lange, da kamen Schritte auf seine Türe zu. Lukas? Ist mit dir alles in Ordnung, mein Junge? Ja, Mama. Ich habe bloß ein wenig über etwas laut nachgedacht. Gleich werde ich schlafen, versprochen. Es dauerte noch ein wenig und langsam entfernten sich ihre Schritte wieder von der Tür. Du, Traumfänger. Bist du noch hier? Brauchst keine Angst zu haben, es war ja nur meine Mutter. Sie tut dir nichts.
5 Natürlich bin ich hier. Wo soll ich sonst sein?, murmelte der Traumfänger etwas mürrisch. Ich will doch mit dir heute Nacht etwas erleben. Siehst du mich nun? Nein, nicht wirklich. Lukas vielen fast seine Augen heraus, so strengte er sich an. Okay Lukas, stell dir einfach das Spielzeug vor, was dir am liebsten ist. Oh, das ist Klasse., rief Lukas und stellte sich vor, dass sein Seeräuber Kapitän Flint lebendig würde. Da geschah etwas ganz Unvorstellbares. Zuerst roch es etwas muffig, dann fingen die Möbel an zu wackeln, und mit einem Mal hockte sein alter Kapitän Flint mit Holzbein, Augenklappe und allem drum und dran, in voller Größe vor seinem Bett. Lukas fing zu lachen an und klopfte vor Freude auf sein dickes Federbett, so dass viele kleine Gänsefedern herumschwebten. Es sah so aus, als ob Frau Holle gerade ihre Betten geschüttelt hätte und kleine Schneeflöckchen vom Himmel schwebten. Das war ja echt Klasse. Er konnte kaum seine Freude darüber unterdrücken und lief Gefahr, dass ihn seine Mutter hören und in sein Zimmer kommen würde. Hättest du nicht an etwas anderes denken können? Der Traumfänger war nicht gerade glücklich über Lukas Vorstellungskraft. Etwas anderes hätte es ja auch getan, oder? Jetzt muss ich mit dir so die ganze Nacht durch deinen Traum ziehen, mit Holzbein und Augenklappe. Lukas kratzte sich hinter seinem linken Ohr. Das machte er immer, wenn er über etwas nachdachte. Aber du selber hast zu mir gesagt, ich soll an das Spielzeug denken, was mir am liebsten ist. Und das ist eben mein alter Kapitän Flint. Nun war es dir auch nicht recht!
6 Ist schon in Ordnung, Lukas. Ich musste mich bloß erst einmal an diesen Anblick und das Stehen auf einem Holzbein gewöhnen. Das ist nicht ganz einfach! Na komm, lass uns in das Land der Träume und der großen Abenteuer ziehen. Im Übrigen, man nennt mich Djadar. Komischer Name für einen Traumfänger, dachte sich Lukas. Flint wäre viel besser und einfacher zu merken. Langsam und voll Magie öffnete sich das schwere alte Holzfenster und die mild duftende Nachtluft strömte in das Zimmer. Am ganzen Himmel sah er viele kleine Wölkchen aus purem Sternenstaub und Kometen, die mit einem riesigen Schweif am Himmel vorbeizogen. Das war einfach toll. Es geht los mein kleiner Freund. Lass uns ein großes Abenteuer erleben. Die Nacht ist kurz. Mit einem Mal tauchte wie aus dem Nichts, von dem fernen Horizont, eine wunderschöne weiße Viermastbark vor dem Kinderzimmerfenster auf. So ein Schiff hatte Lukas vorher noch nie gesehen. Vor ihm schwebte der Traumsegler im Sternenmeer. Ihm blieb der Mund vor lauter Staunen offen stehen und seine Augen wurden immer größer. Eine Viermastbark, wie er es aus seinem Buch des Wissens kannte. Aber diese Ausführung war ihm völlig unbekannt. Djadar lächelte: Das ist mein Schiff. Damit werden wir durch diese Nacht, in die Welt der Kinderträume und der Fantasie segeln. Mit diesem Schiff sind schon viele Kinder durch ihre Träume gezogen. Jetzt bist du an der Reihe. Am Heck des Schiffes war eine blaue Flagge zu sehen mit vielen großen und kleinen Sternen. Sie wedelte ganz wild hin und her. Was ist das für eine Flagge?, fragte Lukas.
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8 Es ist die Flagge der Traumsegler. Jeder Stern auf dieser Flagge ist ein erfüllter Traum von einem Kind. Nach dieser Nacht kommt ein neuer Stern dazu. Es wird dein Stern sein. Komm jetzt zum Steuer, heute darfst du das Schiff auf große Fahrt bringen. Lukas Augen blitzen vor Neugier. Er konnte es kaum erwarten, zu dem mannshohen Steuerrad zu gehen und das Schiff zu steuern. Du darfst heute entscheiden, wo die Reise hingehen soll Lukas. Ich denke erstmal gerade aus. So richtig weiß ich es auch noch nicht. Die Segel bliesen sich auf und mit einem riesigen Satz brauste der alte große Segler durch die Nacht der Träume. Lukas winkte ganz freudig vom Steuerrad dem Mondmann zu und dieser zwinkerte ihm freundlich zurück. Und weiter ging die Reise. Hier gab es vielleicht komische Sterne! Alle hatten verschiedene Formen und Farben. Es sah wirklich lustig aus. Lukas konnte sich daran kaum satt sehen. Waren das alles Traumsterne? Und wann würde endlich sein Stern kommen! Er konnte es nicht erwarten, an Land zu gehen und große Abendteuer zu bestehen. Schau mal, da kommt uns ja ein anderer Traumsegler entgegen., Djadar lachte: davon wirst du noch ganz viele sehen auf unserer Reise. Es träumen alle Kinder einen Traum. Ich könnte das mit meinem alten Traumsegler allein gar nicht schaffen. Ahoiiiiiiii. Lukas dreht das riesige Steuerrad backbord und sauste auf einen Stern namens Slürrg zu. Da will ich hin, Kapitän Djadar.
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