Atomkraftwerke am Beispiel des Kraftwerks Obrigheim. Was lernen wir? Dr. Peter Becker
Das KKW Obrigheim war das erste deutsche Leistungskraftwerk. Das Genehmigungsverfahren war grob fehlerhaft. Es wurde politisch und gerichtlich bekämpft; letztlich erfolgreich, abgeschaltet 2005. Der Kampf gegen das KKW ist sehr lehrreich. Atomkraftwerke - Peter Becker 2
I. Das Genehmigungsverfahren beim Kernkraftwerk Obrigheim (i.f.: KWO) 1962/63 entschließen sich 11 öffentliche Energieversorger in Baden-Württemberg, ein Demonstrationskraftwerk mit zunächst 254 MW zu bauen. Zu den Investoren gehören die Energieversorgung Schwaben (EVS) und das Badenwerk (BW), später EnBW, die zu 90 % dem Staat gehören. KWO ist daher für uns ein Staatskraftwerk. KWO soll von Siemens mit einer Lizenz von Westinghouse gebaut werden, wie der älteste Block von Fukushima. Die letztlich genehmigte Leistung ist 280 MW. Westinghouse brachte aber ein bauähnliches KW mit 300 MW heraus. Atomkraftwerke - Peter Becker 3
Das wollten die Investoren haben. Es waren aber umfangreiche technische Änderungen erforderlich. Z.B. betrug die Wanddicke des Reaktordruckbehälters (RDB) ursprünglich 22 cm. Um eine größere Zahl von Brennstäben unterzubringen, wurde die Wandstärke durch Ausdrehen auf 16 cm verringert. Die Änderungen wurden gegenüber der Behörde verheimlicht. Die Genehmigungsbehörden genehmigten ein Kraftwerk ohne die erforderlichen Zeichnungen und blieben im Glauben, es habe eine Leistung von 280 MW. 1968 geht die Anlage ans Netz. Die Täuschung kam heraus, als die erste Teilbetriebsgenehmigung für den Anfahr- und Probebetrieb ergehen sollte. Atomkraftwerke - Peter Becker 4
Die Behörden trauten sich nicht, eine abschließende Dauerbetriebsgenehmigung zu erteilen. Auch die Errichtung wurde so wie KWO errichtet war nie genehmigt. Atomkraftwerke - Peter Becker 5
II. Wie kam alles heraus? 1. Abläufe im Landtag Im Jahr 1984 kamen die Grünen in den Landtag. Sie gaben ein technisches und Genehmigungsgutachten in Auftrag. Der Landtagsabgeordnete Fritz Kuhn (später Stuttgarter Oberbürgermeister) trägt das fertige Gutachten vor. Die Grünen erstatten Strafanzeige wegen Betriebs eines ungenehmigten Kraftwerks. Die Staatsanwaltschaft lässt ein Rechtsgutachten erstellen, das die fehlende Genehmigung bestätigt. Atomkraftwerke - Peter Becker 6
2. Klage von Bürgern Ich klage im Auftrag einer Bürgerinitiative. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gibt der Klage mit Urteil vom 23.05.1990 statt. Begründung: keine Betriebsgenehmigung. Die Regierung ordnet die Stilllegung an, die ein Jahr dauert. Es kommt zu einer internen Auseinandersetzung in der Behörde. Aber das Bundesverwaltungsgericht hebt mit Urteil vom 07.06.1991 das positive Urteil auf: Zwar muss die Genehmigung für den Dauerbetrieb noch erteilt werden. Aber der Betrieb sei nicht ungenehmigt. Atomkraftwerke - Peter Becker 7
Begründung: Das Kraftwerk könne nicht von selbst von einem genehmigten in einen ungenehmigten Betrieb übergehen. So kam es, dass KWO 24 Jahre auf der Grundlage einer Genehmigung lief, die für eine Laufzeit von 2 Wochen konzipiert war. Weitere Begründung des Gerichts: Der Probebetrieb unterscheidet sich technisch nicht vom Dauerbetrieb. Glatt falsch! Aber die Dauerbetriebsgenehmigung fehlt und muss noch erteilt werden. Ich vertrete die Bürgerinitiative und die Stadt Heidelberg und bekomme Akteneinsicht. Ich erhalte die gesamten Akten über die interne Auseinandersetzung, in der zwei aufrechte Beamte vehement opponiert haben. Atomkraftwerke - Peter Becker 8
Die Dauerbetriebsgenehmigung wird erteilt. Ich klage weiter wegen der fehlenden Errichtungsgenehmigung. Das Bundesverwaltungsgericht gibt mir mit Urteil vom 25.10.2000 Recht. Atomkraftwerke - Peter Becker 9
III. Ende von KWO Die rot/grüne Koalition beschließt im Jahr 2000 den Atomausstieg. Die Behörde nimmt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als Anlass für einen Vergleich. KWO wird 2005 endgültig stillgelegt. Das Land übernimmt sämtliche Kosten der Bürger. Atomkraftwerke - Peter Becker 10
IV. Ähnliche Beispiele KWO ist keineswegs das einzige Beispiel für ein fehlerhaftes Genehmigungsverfahren. Ähnliche Beispiele sind: Mühlheim-Kärlich: wird im Genehmigungsverfahren umgeplant, die endgültige Auslegung wird nie genehmigt. Biblis A: Auch hier sind zahlreiche Änderungen ungenehmigt. Atomkraftwerke - Peter Becker 11
V. Was lernen wir? Erfolgsbedingungen: Funktionierende Demokratie Funktionierender Rechtsstaat Ohne die Grünen, mit denen die SPD den Atomausstieg durchsetzt, wäre es nicht zum Atomausstieg gekommen. Im Falle KWO trugen zur Stilllegung die zahlreichen Prozesse bei, die mit Akteneinsicht letztlich Erfolg hatten. Wir hatten die ganzen Sauereien rausgekriegt und publiziert. Bedingungen des Erfolges: Die Politik funktioniert. Die öffentliche Verwaltung funktioniert (letztlich). Ein großer Schub ist der Öffentlichkeit zu verdanken. Im SPIEGEL war 1994 ein Artikel erschienen: Früh vergreist. Er führte zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Der von der Mehrheitsmeinung abweichende Bericht des Abgeordneten Kuhn (200 Seiten) ist noch heute lesenswert. Atomkraftwerke - Peter Becker 12
VI. Empfehlungen für Japan Das Wichtigste sind der öffentliche und politische Protest! Das anzustrebende Ziel: Atomausstieg nach deutschem Muster. Voraussetzung: Ausbau Erneuerbarer Energien. Japanischer Ministerpräsident war zum Zeitpunkt der Fukushima-Katastrophe Naoto Kan. Er mutierte vom Saulus zum Paulus und beschloss den Atomausstieg. Außerdem setzte er ein japanisches EEG durch. Ferner muss jedes einzelne Kraftwerk, das wieder ans Netz soll, beklagt werden. Voraussetzung: funktionierendes Verwaltungsrecht mit Akteneinsichtsrecht. Atomkraftwerke - Peter Becker 13
Die Untersuchungskommission des japanischen Parlaments macht in ihrem Abschlussbericht Kungeleien zwischen der Regierung, der Atomaufsicht und dem Fukushima-Betreiber Tepco für den Unfall verantwortlich: Die Regulierungsbehörde wurde von der Industrie, die sie regulieren sollte, gefangengenommen. (taz v. 07.07.2012) Atomkraftwerke - Peter Becker 14
VII. Hilfsangebot Die deutsche IALANA bietet den japanischen Kollegen konkrete Hilfe für den prozessualen Widerstand an. Atomkraftwerke - Peter Becker 15