Lou Andreas-Salomé Ruth

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Transkript:

Lou Andreas-Salomé Ruth

Lou Andreas-Salomé Ruth Erzählung Anaconda

Die Erstausgabe des Textes erschien 1895 bei J. G. Cotta in Stuttgart. Textgrundlage dieser Ausgabe ist: Lou Andreas-Salomé Ruth. J. G. Cotta sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart/Berlin, 1928. Orthografie und Interpunktion wurden für diese Ausgabe auf neue deutsche Rechtschreibung umgestellt. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2017 Anaconda Verlag GmbH, Köln Alle Rechte vorbehalten. Umschlagmotiv: Raphael Kirchner (1875 1917),»Art Nouveau style. Elegant young woman gazing at a green snake«(ca. 1900), INTERFOTO / Mary Evans / Peter & Dawn Cope Collection Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de Satz und Layout: Andreas Paqué, www.paque.de Printed in Czech Republic 2017 ISBN 978-3-7306-0468-7 www.anacondaverlag.de info@anacondaverlag.de

Muschka gewidmet

I In der Morgenstille war nichts vernehmbar als das helle, lang gezogene Trillern der kleinen Buchfinken im jungen Birkenlaub. Die breite, ungepflasterte Straße, die sich, nicht weit von der russischen Hauptstadt, in der Richtung der finnländischen Bahnlinie ins flache Land erstreckt, lag einsam im Frühnebel da. Dann holperte ein Leiterwagen, mit einigen Möbelstücken bepackt, schwerfällig des Weges; der Fuhrmann kletterte von seinem Sitz, warf den kurzen Schafpelz von den Schultern, und im roten Hemde neben seinen beiden magern Gäulen hergehend, stimmte er eine Volksweise an, die schwermütig in den Vogelgesang hineinklang. Hinter den Birken tauchte hie und da ein Landhaus auf, meist ein Holzbau, mit geschlossenen Fensterläden und bretterverschlagener Balkontür; oder es schimmerte ein Garten hervor, wo man eifrig beschäftigt war, das Winterlaub zusammenzukehren und die Beete für den Sommer instand zu setzen. Aber erst nach Beginn der städtischen Schulferien wurde es in dieser Gegend lebendig. Der Möbelwagen hielt vor einem Hause, das ganz abseits, weit entfernt von jeder Nachbarschaft, zwischen niedrigem Weidengebüsch und etwas feuchtem Wiesengrund lag. Es war nicht sonderlich groß, besaß aber von allen den schönsten Garten. Die Frühlingsbäume, die es umstanden, breiteten einen zarten bräunlichen Schleier darüber, und rings über den 7

8 verwitterten Lattenzaun drängte sich der Flieder in hellgrünen Blattknospen.»Die Pforte von außen aufstoßen!«, schrie eine vergnügte Stimme in gebrochenem Russisch dem Fuhrmann entgegen, und gleich darauf kam ein halbwüchsiger Knabe durch den Garten gelaufen. Langsam bewegte sich der Wagen über den Kiesweg bis hinter das Haus, wo einige Stufen zur offenen Terrasse mit der Eingangstür emporführten. Eine ältliche Magd, mit einer sonderbaren Friesenhaube auf dem Kopf, wartete schon unten, griff kräftig mit an und ließ die abgeladenen Möbelstücke in dem Wohnzimmer niedersetzen, das mit seinem breiten Fenster auf die Terrasse hinaussah. Im Wohnzimmer stand die Tür zu einem kleinern Nebengemach auf, das bereits vollständig eingerichtet zu sein schien. Von den Sachen, die man beim Auszug aus der Stadtwohnung im gemieteten Landhause vorgefunden hatte, war offenbar alles Beste und Bequemste hier zusammengetragen worden, um Ordnung und Gemütlichkeit zu schaffen. An der Tür lag auf einem deckenumhangenen Ruhebett eine bleiche, nicht mehr junge Frau, deren feine Gesichtszüge jedoch Spuren ungewöhnlicher einstiger Schönheit zeigten. Unter den halb gesenkten Augenlidern folgte sie aufmerksam jeder Bewegung der Kommenden und Gehenden. Da vernahm sie von der Terrasse her eine Stimme, bei der ein Lächeln durch die großen blauen Augen ging.»erik!«, rief sie bittend,»komm doch her zu mir. Komm doch her.«er stand vor dem Terrassenfenster, in dunkler Morgenjoppe, die Hände in den Seitentaschen ver-

senkt, zwischen den Zähnen eine Zigarette. Auf den Zuruf seiner Frau wandte er sich um und ging in das Zimmer. Ihr schien immer: Ein Strom von Leben käme mit ihm, wenn er so zu ihr trat.»nun, Bel«, sagte er heiter,»du sollst sehen, jetzt bricht die Sonne durch den Nebel, und dann trag ich dich in den Garten hinaus. Deinen großen Liegestuhl haben wir schon dort hinten am Springbrunnen aufgestellt.«sie schüttelte den Kopf.»Ich habe keine Ruhe draußen, solange hier alles noch in solcher Verwirrung ist. Wie mag es nur in deinen Zimmern aussehen, Erik? Seitdem wir gestern herkamen, habt ihr nur für mich gesorgt. Ach, weißt du, das ist das Schlimmste: Im ganzen Leben wird nichts mehr recht ordentlich werden. Alles wird herumliegen.aber, Bel!«, versetzte er spottend,»welchen Sinn hätt es auch sonst, aufzuräumen? Was sind das für Sorgen und Schmerzen!«Doch Klare-Bel stimmte in den scherzenden Ton nicht mit ein, sondern sah betrübt vor sich hin. Da fügte er ungeduldig hinzu:»damit musst du dich ernstlich abfinden. Nicht immer wieder davon anfangen. Sicherlich bist du dazu geschaffen, als die peinlichste aller Hausfrauen hinter der blitzendsten aller Teemaschinen zu sitzen, und musst nun stattdessen jahraus, jahrein daliegen und es untätig mit ansehen, wie deine beiden männlichen Hausfrauen, Jonas und ich, es sorglos treiben. Das ist schwer, ich weiß. Es ist schwer, sein Talent zu unterdrücken. Aber es kann dir nicht erspart werden, du musst es endlich überwinden.«9