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Transkript:

Aufsätze, Abhandlungen Der geodätische Raumbezug in Nordrhein-Westfalen gestern, heute und zukünftig Von Wolfgang Irsen Einleitung Der geodätische Raumbezug steht in Deutschland vor einem großen Umbruch. Die Auswirkungen des Global Positioning System (GPS) machen sich überall im Vermessungswesen bemerkbar, nicht zuletzt bei der Einführung eines einheitlichen, europaweiten Bezugssystems in allen Bereichen der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters. Die AdV hat 2004 in einem Grundsatzbeschluss eine Strategie für den einheitlichen Raumbezug in Deutschland vorgeschlagen. Möglichkeiten für die in NRW beabsichtigte Umsetzung dieses Beschlusses werden vorgestellt und diskutiert. 1 Wie war der geodätische Raumbezug bisher festgelegt und geregelt? Um Punkte in der Ebene oder im dreidimensionalen Raum untereinander in Beziehung zu bringen, werden bekanntlich Koordinaten und Höhen benutzt, die in einem festgelegten Bezugssystem bestimmt sind. Grundlegende Bedingung hierfür ist der Bezug auf eine einheitliche geodätische Grundlage. Diese Grundlagen ermittelten in zurückliegender Zeit die einzelnen Staaten jeweils für sich, sodass es für Europa über mehrere Jahrhunderte hinweg keine einheitlichen Festlegungen gab, sondern stets nur nationale Referenzsysteme. Dabei wurde die Positionierung von Punkten an der Erdoberfläche in die lagemäßige und in die höhenmäßige Bearbeitung aufgeteilt, bedingt durch verschiedene Messverfahren der Lage- und Höhenmessung wie auch durch die Tatsache, dass für beide Angaben völlig andersartige Bezugssysteme zugrunde liegen. Während Lageangaben stets auf einer mathematisch definierten, geometrischen Bezugsfläche basieren, gründen sich Höhensysteme meist auf physikalisch festgelegte Bezugsflächen. Die Realisierung der Bezugssysteme für die Lage, die Höhe und die Schwere erfolgte durch dauerhaft vermarkte Festpunkte an der Erdoberfläche, für die jeweils Koordinaten, Höhen oder Schwerewerte in den jeweiligen Bezugssystemen bestimmt und nachgewiesen wurden. Neben der Bestimmung der Referenzwerte dieser Punkte erforderte vor allem die Pflege und Erhaltung der Festpunkte einen großen und kostenträchtigen Personaleinsatz. 1.1 Lagebezug Der heutige amtliche Lagebezug in Nordrhein- Westfalen geht zurück auf die Königlich Preußische Landesaufnahme nach 1875 und in einigen Bereichen sogar auf die Zeit davor, also datiert in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mehrfach wurde der Lagebezug im Laufe der Zeit erneuert und den Gegebenheiten und Erfordernissen abgepasst, vornehmlich in solchen Gebieten, in denen sich die Erdoberfläche als Auswirkung von Bergbauaktivitäten veränderte. So verzeichnen wir heute in NRW mehr als 20 unterschiedliche Lagebezugssysteme, die zwar zumeist nur regionale Bedeutung haben, aber oft nicht zueinander kompatibel sind und nicht miteinander vermischt werden dürfen. Eine durchgreifende Erneuerung erfuhr der Lagebezug in NRW in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Das bis dahin zugrunde liegende Lagefestpunktfeld war fast ausschließlich durch Winkelmessung entstanden, seinen Maßstab erhielt das gesamte trigonometrische Netz in Preußen lediglich durch einige wenige, über Preußen verteilte Basismessungen. Ein Maßstabsgefälle im gesamten Netz sowie Spannungen bei der Stückvermessung im Liegenschaftskataster im Detail waren die Folge. Durch die in den 1970er Jahren aufkommende elektronische Streckenmessung : NÖV NRW 2/2006 3

konnte man erstmals die Strecken zwischen Trigonometrischen Punkten (TP) unmittelbar messen und somit die Mängel des bestehenden Lagebezugsnetzes aufdecken und nachweisen. Sehr bald genügte das vorhandene Lagenetz nicht mehr den Anforderungen und man entschloss sich zu einer groß angelegten Netzerneuerung, die hauptsächlich auf dem Verfahren der Trilateration basierte. In vielen Bundesländern machte man ähnliche Erfahrungen; man konnte sich jedoch aus verschiedenen Gründen nicht zu einem bundesweit einheitlichen Handeln verständigen. So entstanden unterschiedliche Realisierungen dieser Netzerneuerung auf der Ebene einzelner Länder, wie z.b. in NRW das Netz77, in Rheinland-Pfalz das Netz80 oder in Niedersachsen das Netz mit der Bezeichnung Lagestatus 100. Für NRW wurde durch geeignete Anschlussvermessungen und -berechnungen ein nahtloser Übergang zu den Nachbarländern sicher gestellt. 1.2 Höhenbezug Auch der amtliche Höhenbezug in Nordrhein- Westfalen geht zurück auf die Königlich Preußische Landesaufnahme. Nach einer ersten weitmaschigen Höhenmessung und -auswertung ohne Berücksichtigung des Erdschwerefeldes erneuerte man ab 1912 das Höhenfestpunktfeld unter Verwendung normalorthometrischer Korrektionen. Die Höhen werden als Höhen über Normal Null (NN) bezeichnet, Ausganghöhe war in beiden Fällen der Haupthöhenpunkt bei Berlin, der vom Amsterdamer Pegel abgeleitet worden war. 1980 1986 haben die (alten) Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland das Haupthöhennetz nach einheitlichen Kriterien neu gemessen und anschließend in einer Gesamtausgleichung ausgewertet (DHHN85). Bevor die Ergebnisse des neuen Haupthöhennetzes in den Bundesländern eingeführt waren, kam es zur Wiedervereinigung mit der DDR. Da auch dort nur wenige Jahre zuvor eine Erneuerung des Höhennetzes durchgeführt worden war, hat man auf Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland (AdV) Verbindungen zwischen den beiden Höhennetzen gemessen und eine Gesamtausgleichung aller Nivellementmessungen durchgeführt. Das Ergebnis ist das heutige amtliche Höhenbezugssystem, das Deutsche Haupthöhennetz 1992 (DHHN92). Die Gebrauchshöhen sind als Normalhöhen nach Molodenski berechnet und werden als Höhen über Normalhöhennull (NHN) bezeichnet. Bezugsfläche ist das Quasigeoid, das unter Verwendung von Parametern des GRS80 berechnet ist und durch den Nullpunkt des ehemaligen Amsterdamer Pegels verläuft. 1.3 Schwerebezug Die Entwicklung der Schweremessungen hoher Genauigkeiten ist sehr eng mit der Entwicklung geeigneter, vor allem auch mobiler Geräte verbunden. In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland die Schwere im Rahmen der geophysikalischen Reichsaufnahme durch Pendelbeobachtungen im Potsdamer Schweresystem bestimmt. Mit der technischen Verbesserung der Absolut- und der Relativgravimeter wurden in der Folge immer wieder amtliche gravimetrische Beobachtungen in Netzen durchgeführt, die heute nur noch historische Bedeutung haben (Günther, 2005). Heutige Grundlage des Schwereniveaus in Deutschland ist das Deutsche Schweregrundnetz 1994 (DSGN94). Durch Einrechnung des Deutschen Hauptschwerenetzes 1982 in dieses Grundnetz entstand in den alten Bundesländern das Deutsche Hauptschwerenetz 1996 (DHSN96), während es in den neuen Bundesländern durch Neumessung entstand (AdV, 1999). 2 Änderungen durch das Satellitenpositionierungssystem GPS Infolge der Ende des 20. Jahrhunderts ständig fortschreitenden Entwicklung des weltweit zugänglichen Global Positioning Systems (GPS) und dessen Nutzbarmachung für Positionierungen und hochgenaue Vermessungsarbeiten entstanden sehr bald Forderungen nach einem europaweit einheitlichen Bezugssystem. Diese Vorschläge wurden durch die zur gleichen Zeit ständig wachsende europäische Integration auf politischer Ebene einschl. der Wiedervereinigung der deutschen Staaten 1990 unterstützt. Bereits 1989 fand auf Anregung europäischer Vermessungsverwaltungen eine erste, weite Teile Europas umfassende 4 : NÖV NRW 2/2006

GPS-Beobachtungskampagne zur Realisierung eines einheitlichen europaweiten Bezugssystems statt, die sogenannte EUREF-Messung, die Geburtsstunde des Europäischen Terrestrischen Referenz Systems 1989 (ETRS89). Schon 2 Jahre später, im Mai 1991, hat die AdV die Einführung dieses europaweit favorisierten Bezugssystems ETRS89 für die Bereiche Landesvermessung und Liegenschaftskataster beschlossen. Dieser Beschluss wurde 1995 nach sorgfältiger Prüfung nochmals bestätigt und gleichzeitig die Universale Transversale Merkator Abbildung (UTM) als verebnete Darstellung für groß- und kleinmaßstäbige Karten festgelegt (AdV, 1995). Das ETRS89 ist ein geozentrisches Bezugssystem, das auf dem weltumspannenden Internationalen Terrestrischen Referenzsystem (ITRS) basiert. Aufgrund der Plattentektonik und anderer globaler Einflüsse unterliegen die Koordinaten der erdfesten ITRS-Stationen einer ständigen Änderung. Daher wird das ITRS in etwa zweijährigen Abständen unter Einsatz von GPS und weiterer hochgenauer Messverfahren wie Satellite-Laser-Ranging (SLR) und Very Long Baseline Interferometry (VLBI) neu beobachtet und ausgewertet. Diese ständig eintretenden Veränderungen in den Koordinaten der ITRS-Stationen sind im vermessungstechnischen Alltag äußerst störend. Deshalb wurden die in und um Europa gelegenen Stationen des ITRS mit den zum Jahresbeginn 1989 gültigen Koordinaten festgehalten und als Grundlage für das ETRS89 festgelegt. Alle das ETRS89 definierenden Stationen des ITRS liegen auf der eurasischen Platte, die in sich als weitgehend stabil angesehen wird. Von diesen, also als gegenseitig fest anzunehmenden Stationen ausgehend, wurden durch umfangreiche Messungen in ganz Europa weitere Vermessungspunkte mit ETRS89-Koordinaten bestimmt und bilden den Rahmen für das zeitgemäße, europaweit einheitliche Bezugssystem ETRS89. Das ETRS89 definiert ein dreidimensionales kartesisches Koordinatensystem mit Ursprung im Massenschwerpunkt der Erde (Geozentrum). Die Z-Achse ist die Erdachse, die X-Z- Ebene steht senkrecht auf der Äquatorebene und verläuft parallel zur Meridianebene der Sternwarte von Greenwich, ihre Schnittgrade mit der Äquatorebene ist die X-Achse; die Y- Achse ist durch 90 -Drehung der X-Achse gegen den Uhrzeigersinn definiert. Durch die Dreidimensionalität des Bezugssystems steht für geodätische Anwendungen ein auf einfache Weise nutzbares einheitliches Bezugssystem für die Lage und die Höhe zur Verfügung. Als Bezugsfläche für das ETRS89 wird das geozentrisch gelagerte Erdellipsoid des Geodätischen Referenzsystems 1980 (GRS80) verwendet. Die geozentrische Lagerung des Ellipsoids unterscheidet sich hier von nahezu allen anderen herkömmlichen Landesvermessungen, bei denen die Referenzellipsoide jeweils über konkrete Punkte für begrenzte Bereiche bestanschließend zur Erdoberfläche gelagert sind. Die mit dem Satellitenpositionierungssystem ermittelten Höhen beziehen sich auf den Erdschwerpunkt bzw. auf das im Erdschwerpunkt gelagerte GRS80-Ellipsoid, weshalb sie auch als ellipsoidische Höhen bezeichnet werden. Sie sind mit den Gebrauchshöhen der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters nicht unmittelbar vergleichbar, sondern sie müssen durch rechentechnische Umformung mittels geeigneter Passpunkte oder Parameter (Undulationen) erst in Gebrauchshöhen umgewandelt werden (Abb.1). Abb. 1: Zusammenhang zwischen ellipsoidischen und Gebrauchshöhen Das ETRS89 wird durch an der Erdoberfläche vermarkte Punkte realisiert, wie bisher auch die anderen Bezugssysteme. Es wird aber auch durch die GPS-Satelliten transportiert und übermittelt: Die aus GPS-Messungen abgelei- : NÖV NRW 2/2006 5

teten Koordinatenunterschiede im Bezugssystem der Satelliten, das World Geodetic System 1984 (WGS84) basieren auf gleichen geodätischen Grundlagen wie das ETRS89 und sind mit ihm nahezu identisch. Hierdurch kommt dem Satellitenpositionierungssystem der deutschen Landesvermessung SAPOS, das auf dem GPS basiert, in zweifacher Hinsicht große Bedeutung zu; zum einen ist es ein äußerst wirtschaftliches Vermessungssystem, zum anderen dient es der Realisierung des Bezugssystems ETRS89. Alle mit SAPOS bestimmten Koordinaten sind unmittelbar diesem europaweit einheitlichen Bezugssystem ETRS89 zugehörig. Man bezeichnete also nicht ohne Grund bald nach den ersten Einsätzen von GPS in der Landesvermessung im Jahre 1983 die GPS-Satelliten auch als aktives Festpunktfeld, im Gegensatz zum passiven Festpunktfeld der vermarkten Vermessungspunkte. 3 Strategie der AdV für ein bundesweit einheitliches Festpunktfeld Sehr schnell erkannte man in der deutschen Landesvermessung die enormen Vorteile des GPS, insbesondere die Realisierung eines einheitlichen Bezugssystems. Die Auswirkungen waren jedoch in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich, die einen stellten zugunsten des Aufbaus von SAPOS jegliche Erneuerungs- und Pflegearbeiten an den traditionellen Lagenetzen ein, während die anderen zunächst die weitere Entwicklung des GPS- Geschehens abwarteten. So entstanden vornehmlich in den 90er Jahren im Lagefestpunktfeld und somit in der Grundlage für das Liegenschaftskataster äußerst heterogene Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. W. Lindstrot u.a. haben diese Ziellosigkeit in einem Bericht über die Anfänge der SAPOS - Permanentstationen in (Lindstrot u.a., 1997) trefflich formuliert: Mit dieser Vision wirft mancher bereits ganze AP-Felder aus dem Fenster des Katasteramtes und hofft damit.. die geforderte Kosteneinsparung zu erreichen. Zwar hatte die AdV bereits recht früh das ETRS89 als einheitliches Bezugssystem für die Bereiche Landesvermessung und Liegenschaftskataster empfohlen, doch wurde nichts über den Aufbau oder die Gestalt eines zukünftigen Festpunktfeldes ausgesagt. Der Aufbau von SAPOS war in den 90er Jahren die wichtigste Aufgabe der Grundlagenvermessung und band so viel Kapazitäten, dass daneben kaum weitere Schwerpunkte, wie insbesondere der Umbau der bisherigen Festpunkfelder, behandelt werden konnten. So befasste sich der Arbeitskreis Raumbezug (damals noch AK Grundlagenvermessung) erst im Jahre 2001 mit dieser Thematik und richtete eine Arbeitsgruppe ein, die die Verfahrensweisen in den traditionellen Netzen überprüfen und Zielsetzungen für den Aufbau und die Gestalt zukünftiger Netze erarbeiten sollte. Der Kernauftrag wurde als Optimierung der Festpunktfelder beschrieben, wobei man an kombinierte Festpunkte mit ETRS- und traditionellen Lagekoordinaten, Höhen- und Schwerewerten in gleichmäßiger Dichte dachte. Zusätzlich waren Stichworte wie z.b. Wirtschaftlichkeitsanalysen, zeitgemäße Vermarkung, Untersuchung rationeller Verfahrensweisen zur Pflege der Festpunktfelder, Aufgabe oder Fortbestand hierarchischer Netze oder Auswirkung neuer Messverfahren in den Auftrag eingebunden eine wirklich nicht einfache Aufgabe! Die verschiedenartigen Vorstellungen der Bundesländer konnten erst unter einen Hut gebracht werden als man 2003 im AK Raumbezug eine langfristig angelegte Gesamtstrategie für die Zukunft aller Festpunkte erarbeitete. Das Ergebnis stellte man der AG in einem Eckpunktepapier als Grundlage für ihre weitere Arbeit zur Verfügung. Im Herbst 2004 beschloss dann das Plenum der AdV auf ihrer Sitzung in Wismar die zuvor im AK Raumbezug kontrovers diskutierte und mit Kompromissen versehene Strategie für den einheitlichen Raumbezug des amtlichen Vermessungswesens in der Bundesrepublik Deutschland (AdV, 2004). Danach wird der Raumbezug des amtlichen Vermessungswesens in Deutschland realisiert durch ein bundeseinheitliches, homogenes Festpunktfeld, das aus vier, z.t. unterschiedlichen Komponenten besteht (Abb. 2): a) Geodätische Grundnetzpunkte im Bezugssystem ETRS89 6 : NÖV NRW 2/2006

Abb. 2: Grundstruktur des bundeseinheitlichen Festpunktfeldes b) Referenzstationspunkte im Bezugssystem ETRS89 c) Höhenfestpunkte 1. Ordnung im Bezugssystem DHHN92 d) Schwerefestpunkte des Schweregrundnetzes und des Schwerenetzes 1.Ordnung im Bezugssystem DHSN96 Für die Geodätischen Grundnetzpunkte sind folgende Spezifikationen festgelegt: Punktabstand bis 30 km 3D-Vermarkung mindestens 2 Punkt-Sicherung satellitengeodätisch hochgenau bestimmte ETRS89-Koordinaten Anschluss an das amtliche Höhenfestpunktfeld mittels Präzisionsnivellement im System DHHN92 Periodische Überwachung Erhaltungsmaßnahmen und Ersatzpunktbestimmung bei Zerstörung Anschluss an das amtliche Schwerefestpunktfeld Damit alle Bundesländer diesem einheitlichen homogenen Raumbezug zustimmen konnten, wurde als Kompromiss zusätzlich auch zugelassen, dass der Raumbezug des amtlichen Vermessungswesens aufgrund von länderspezifischen Gegebenheiten durch weitere Festpunkte ergänzt werden kann. Diese Anforderungen, der Umfang und die Dichte sind nicht bundeseinheitlich festgelegt; die Ausgestaltung der länderspezifischen Festpunktfelder obliegt den Vorgaben der einzelnen Bundesländer und ist nicht Gegenstand einer bundesweit einheitlichen Regelung. Besonders in der Übergangszeit, bis in allen Bereichen von Landesvermessung und Liegenschaftskataster das ETRS89 als einheitliches Bezugssystem eingeführt ist, wird im Lagebereich dieses Nebeneinander von neuem und altem Bezugssystem erforderlich sein. Danach muss jedes Bundesland für sich entscheiden, welche weiteren Vermessungspunkte man über das einheitliche homogene Festpunktfeld hinaus bereitstellen und pflegen will. 4 Realisierung in Nordrhein-Westfalen Das Gesetz über die Landesvermessung und das Liegenschaftskataster (VermKatG NRW) vom 1. März 2005 legt in 1 fest, dass das amtliche Vermessungswesen den einheitlichen geodätischen Raumbezug einrichtet. Es erhebt hierzu Festpunktdaten und unterhält einen Positionierungsdienst. Der Gesetzgeber weist dem einheitlichen geodätischen Raumbezug hohe Bedeutung zu, denn er ist in Verbindung mit den Geobasisdaten als Grundlage für alle raum- und bodenbezogenen Informationssysteme, Planungen und Maßnahmen der Landesverwaltung und der Kommunen zu verwenden. Andere öffentliche und private Stellen sollen die Daten verwenden. In der Durchführungsverordnung zum Verm- KatG NRW, die bislang nur als Entwurf vorliegt, wird der geodätische Raumbezug weiter präzisiert: Er wird realisiert durch den Satellitenpositionierungsdienst, das Raumbezugspunktfeld der Landesvermessung und die Vermessungspunktfelder des Liegenschaftskatasters. Das Raumbezugspunktfeld umfasst alle geodätischen Grundnetzpunkte, Lagefestpunkte, Höhenfestpunkte, Schwerefestpunkte : NÖV NRW 2/2006 7

und Referenzstationspunkte, die im Geobasisinformationssystem für den Bereich der Landesvermessung geführt werden. Mit dieser Formulierung wird einerseits die neue Philosophie und Terminologie der AdV berücksichtigt und andererseits das Koordinatenkataster im Liegenschaftskataster festgeschrieben. Dadurch wird das einheitliche Bezugssystem neben SAPOS durch jeden in diesem Bezugssystem koordinatenmäßig festgelegten Punkt realisiert. Folglich kann zukünftig, wenn diese Vorgabe konsequent eingeführt und realisiert ist, auf die große Menge der bislang bestimmten und gepflegten Lagefestpunkte und Anschlusspunkte, wie z.b. TP und AP, zu einem großen Teil verzichtet werden. Wie sehen nun die Pläne für eine Realisierung in Nordrhein-Westfalen konkret aus? 4.1 Geodätische Grundnetzpunkte Das LVermA NRW hat nach der Verdichtung des EUREF-Netzes durch das DREF91 bereits 1993 eine weitere Verdichtungsstufe für Nordrhein-Westfalen geschaffen, das NWREF- Netz. 114 gleichmäßig über das Land verteilte Punkte wurden in einer zusammenhängenden Messkampagne mit GPS eingemessen und ausgewertet. Alle Punkte sind nach einheitlichen Kriterien durch Platte mit Kugelbolzen vermarkt, sodass auch eine exakte Höhenbestimmung möglich ist (Geef u.a., 1999). Da für alle Punkte mindestens Koordinaten im Netz77 und im ETRS89 vorliegen, konnten sie seit ihrer Realisierung als Anschluss für weitere GPS-Messungen sowie als Stützpunkte für Transformationen zwischen den beiden Systemen dienen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) hat das LVermA 1999 73 ausgewählte Punkte dieses NWREF-Netzes erneut mit GPS eingemessen und im Rahmen der AdV-Quasigeoidbestimmung durch das BKG auswerten lassen. Die bestehenden Koordinaten wurden durch diese Neubestimmung im Zentimeterbereich bestätigt, was als Bestätigung für die Zuverlässigkeit der gesamten NWREF-Bestimmung angesehen wurde. In Nordrhein-Westfalen werden die 4 EU- REF-, 5 DREF- und 114 NWREF-Punkte zusammen mit den 27 SAPOS -Referenzstationen das Netz der Geodätischen Grundnetzpunkte bilden. Durch die Hinzunahme der Referenzstationen zu den Grundnetzpunkten weicht man zwar von den Vorgaben der AdV ab, aber man sieht durch den Zusammenhang dieser beiden Punktgruppen und deren Wechselwirkung zueinander einen besonders festen Rahmen für die Realisierung des ETRS89. Die Koordinatenbestimmung aller SAPOS - Referenzstationen, die kontinuierlich von 1995 bis 2002 eingerichtet wurden, erfolgte aus dem stabilen NWREF-Netz heraus. Die übrigen Bundesländer bestimmten auf ähnliche Art und Weise die Koordinaten ihrer Referenzstationen, nur selten wurden dabei Verbindungen über die Landesgrenzen hinweg berücksichtigt. Bei der Einführung des Verfahrens der vernetzten SAPOS -Referenzstationen wurden für die SAPOS -Korrekturdatenbestimmung auch die Verbindungen zu den Stationen in den benachbarten Bundesländern geschaffen. Es zeigte sich sehr schnell, dass die innere Genauigkeit des SAPOS -Netzes nun nicht mehr ausreichte; verlangten doch die zur Berechnung einer Echtzeitvernetzung eingesetzten Programme Zentimetergenauigkeit für die Referenzstationskoordinaten untereinander. Diese Genauigkeit war bei den Koordinaten der SAPOS -Stationen insbesondere über die Ländergrenzen hinweg nicht überall gewährleistet. Auch SAPOS -Nutzer, die länderübergreifend tätig sind, verlangten bundesweit hochgenaue und homogene Koordinatensätze für alle SAPOS -Referenzstationen. Die AdV hat deshalb auf ihrer Sondertagung am 20.09.2002 in Hannover beschlossen, zur Diagnose der SAPOS -Netze die Daten aller Stationen einer Woche (GPS Woche 1188, 42. Kalenderwoche 2002) gemeinsam auszugleichen. Das Plenum der AdV legte weiterhin fest, die Neuausgleichung im DREF91 zu lagern, um eine möglichst geringe Abweichung gegenüber der Menge der bereits vor diesem Zeitpunkt im ETRS89 sowohl vom vermarkten Punktfeld als auch von SAPOS -Referenzstationen abgeleiteten Koordinaten zu erhalten. Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass mögliche Spannungen zu den Nachbarstaaten Deutschlands in Kauf genommen werden, die ihre Stationskoordinaten zumeist an 8 : NÖV NRW 2/2006

Abb. 3: Grundstruktur des einheitlichen Festpunktfeldes in Nordrhein-Westfalen die jeweiligen neuesten Lösungen des ITRF anpassen. Die Diagnoseausgleichung wurde vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) ausgeführt und das Ergebnis von der AdV festgestellt, die die Einführung auf allen SAPOS - Referenzstationen mit Nachdruck empfohlen hat. Man erzielte durch diese Neubestimmung für die SAPOS -Referenzstationen in ganz Deutschland einen homogenen Koordinatensatz mit einer inneren Genauigkeit von etwa einem Zentimeter im ETRS89 (Beckers u.a., 2005). Nordrhein-Westfalen hat die neuen Koordinaten, die in der Lage maximal 2 cm, in der Höhe jedoch bis 5 cm von den alten Werten abweichen, zum 1. September 2003 eingeführt und im Anschluss daran sämtliche im ETRS89 bereits vorhandenen Koordinaten der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters an diese neue Realisierung (ETRS89/Realisierung 2003) angepasst. Somit stehen die Koordinaten des NWREF-Netzes in einem sehr engen Zusammenhang zu den SAPOS -Referenzstationen, was die Integration beider Punktgruppen zu Geodätischen Grundnetzpunkten zumindest in NRW rechtfertigt. Die geodätischen Grundnetzpunkte (Abb. 4) werden zukünftig den festen Rahmen für die Realisierung des ETRS89 in Nordrhein-Westfalen bilden; sie werden in einem dreijährigen Turnus vom LVermA NRW überwacht und instand gehalten, während die Masse der übrigen TP nicht weiter gepflegt wird. Dies gilt insbesondere für die Zeit ab 2010, wenn alle Daten des Liegenschaftskatasters in das ETRS89 überführt sein sollen, wie im ETRS89/UTM-Einführungserlass des Innenministeriums NRW vom 9. August 2004 (ETRS89/UTM-Einführungserlass, 2004) festgeschrieben ist. NRW macht also von der Kompromissformel, dass auch länderspezifische Festpunktfelder das Bezugssystem ETRS89 definieren, für den Lagebereich keinen Gebrauch. 4.2 Höhenfestpunkte 1. Ordnung Die Höhenfestpunkte 1. Ordnung wurden in den neuen Bundesländern zuletzt Mitte der 70er Jahre und in Westdeutschland Anfang der 80er Jahre durch Netzerneuerung neu bestimmt und gemeinsam als DHHN92 in den Nachweis der Festpunkte übernommen. Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass von 2006 bis 2011 ausgewählte Nivellementlinien nach fast 30 Jahren erneut gemessen werden. Unter Berücksichtigung der im Strategiepapier zu einem einheitlichen Raumbezug in Deutschland (AdV, 2004) dargelegten Vorgaben sollen neben dem Präzisionsnivellement auch epochengleiche GNSS- und Absolutschweremessungen durchgeführt werden. Ziel dieses Projektes sind nach (AdV, 2005a): Überprüfung des amtlichen Höhenbezugssystems, Einbindung des DHHN in ein zukünftiges, integriertes Raumbezugssystem, Modellierung hochgenauer Geoidinformationen, Schaffung aktueller Grundlagen für wissenschaftliche Arbeiten (Rezente Krustenbewegungen). Mit einer Fertigstellung dieses Projektes, an dem NRW neben der Messung des eigenen : NÖV NRW 2/2006 9

Abb. 4: Geodätische Grundnetzpunkte in Nordrhein-Westfalen 10 : NÖV NRW 2/2006

Linienanteils auch als Nivellement-Auswertestelle erheblich beteiligt sein wird, kann nicht vor 2013 gerechnet werden. 4.3 Weitere Höhenfestpunkte Der Netzentwurf für das geplante DHHN-Netz ist aus wirtschaftlichen Gründen gegenüber der Messung der 80er Jahre um etwa 40% ausgedünnt. In einem Land wie NRW, das mit seinen geotektonisch und bergbaulich beeinflussten Regionen stets auf aktuelle Höhenangaben angewiesen ist, müssen auf jeden Fall auch die nicht zu dem bundesweiten Projekt gehörenden Niv-Linien des Haupthöhennetzes gleichzeitig neu gemessen werden, um eine homogene Ausgangssituation für Folgearbeiten zu haben. Zu diesen Folgearbeiten zählen auf jeden Fall, die in regelmäßigen Abständen in Kooperation mit den Bergbaubetreibern durchgeführten Leitnivellements, die zur Überprüfung der Gebrauchshöhen in den durch Bergbau beeinflussten Gebieten dienen. Inwieweit auch die Nivellementlinien 2. Ordnung, die zuletzt ab Mitte der 70er Jahre systematisch erneuert und in den Rahmen der 1. Ordnung eingerechnet wurden, wiederum neu gemessen werden, ist noch zu diskutieren. Dies gilt insbesondere auch für die Folgenetze der 3. Ordnung. In NRW kann es also durchaus für den Bereich der Höhenfestpunkte über das homogene Festpunktfeld hinaus zu einer länderspezifischen Lösung kommen. Bei dieser Diskussion ist auch zu berücksichtigen, dass in NRW ein sogenanntes Undulationsmodell zur Verfügung steht, das die mit GPS ermittelten ETRS89-Höhen mittels Quasigeoidundulationen in die Gebrauchshöhen im DHHN92 (Höhenstatus 160) transformiert (Abb.5). Neben der Möglichkeit der Postprocessing-Auswertung gibt es auch ein Modul für die Integration in GPS-Empfänger, sodass bei der GPS-Messung NHN-Gebrauchshöhen in Echtzeit bestimmt werden können. Diese Transformation liefert mit dem heute vorliegenden Modell bereits Genauigkeiten der Höhen im Zentimeterbereich. Verbesserungen des Quasigeoidundulationsmodells, wie z.b. durch die geplanten Maßnahmen zur Erneuerung des DHHN sowie durch die künftige Nutzung des europäischen Satellitennavigationssystems GALILEO lassen noch eine deutliche Steigerung der Genauigkeiten erwarten. Für viele technische Anwendungen reichen derart ermittelte Höhen schon heute aus und eine Nutzen-Kostenanalyse muss erweisen, ob und wie wichtig höhere Genauigkeiten der Gebrauchshöhen tatsächlich sind. Bei dieser Diskussion müssen auch Sicherheitsgesichtspunkte des Außendienstes einen sehr hohen Stellenwert erhalten, denn Nivellementmessungen, die zumeist auf Straßen stattfinden müssen, stellen in der heutigen stark motorisierten Welt eine große Gefahrenquelle für die Messtrupps, aber auch für die Verkehrsteilnehmer dar. Die Frage wird also zu beantworten sein, wofür man absolute Höhen in der derzeit vorliegenden Genauigkeit tatsächlich braucht oder ob nicht mit GPS ermittelte Höhen für die meisten Zwecke ausreichen. Abb. 5: Ausschnitt aus der Karte der Quasigeoidundulationen von NRW 4.4 Schwerefestpunkte des Schweregrundnetzes und des Schwerenetzes 1. Ordnung Für die Bestimmung hochgenauer Quasigeoide, die für die Ableitung von Gebrauchshöhen aus satelliten-geodätischen Messungen erforderlich sind, kommt den Schwerefestpunkten heute eine entscheidende Bedeutung zu. Alle vorhandenen Schwerefestpunkte liegen in dem im AdV-Beschluss vorgegebenen Schwerebezugssystem des Deutschen Hauptschwerenetzes 1996 vor. Durch die bei der Erneuerung des Haupthöhennetzes vorgesehenen Absolutschweremessungen wird dieser Rahmen noch deutlich verbessert und dürfte für die in absehbarer Zeit erkennbaren Nutzungen voll ausreichen. : NÖV NRW 2/2006 11

5 Perspektiven Der geodätische Raumbezug steht derzeit vor einem großen Umbruch. Durch die schnelle Entwicklung der GPS-Technik und der damit verbundenen Satellitenpositionierungsdienste werden alte traditionelle Realisierungen der Bezugssysteme weitgehend überflüssig. Erste Ansätze und Strategien wurden erarbeitet, doch das volle Potential dieser neuen Technik ist sicherlich noch lange nicht ausgeschöpft. Wenn in wenigen Jahren das europäische Satellitennavigationssystem GALILEO seine volle Operabilität aufnimmt, wird mit den dann weltweit über 60 verfügbaren Satelliten (GPS und GALILEO) nochmals ein gewaltiger Schritt zur Ablösung klassischer Vermessungsverfahren gemacht werden. Die Deutsche Landesvermessung ist schon heute gut aufgestellt, um dann auch diese neuen Entwicklungen wieder für sich nutzbar zu machen. IM NRW: Einführung des Europäischen Terrestrischen Referenzsystems 1989 mit Universaler Transversaler Mercatorabbildung (ETRS89/UTM) als amtliches Bezugssystem für das Liegenschaftskataster in NRW (ETRS89/UTM-Einführungserlass), RdErl. des IM NRW vom 9.8.2004 W. Irsen, M. Spata: ETRS89 European Terrestrial Reference System, NÖV, 32. Jahrgang, 1999, Seiten 135-141 C. H. Jahn: Das Lagebezugssystem heute Grundlagenvermessung 100 Jahre nach Oskar Schreiber, Hannover 2005 W. Lindstrot, K. A. Heinz, F. J. Schauerte, H. Calefice, N. Schlüter, W. Flöck, J. Seidel: Polare GPS-Punktbestimmung ein Praxisbericht, ZfV, 122. Jahrgang, 1997, S. 175-185 Wolfgang Irsen Landesvermessungsamt NRW Muffendorfer Str. 19-21 53177 Bonn E-Mail: irsen@lverma.nrw.de Literaturangaben: AdV: Einführung und Anwendung des European Terrestrial Reference System 1989 (ETRS89), AdV- Beschluss, Potsdam 1995 AdV: Berechnung des Deutschen Hauptschwerenetzes 1996 (DHSN96), AdV-Beschluss, Berlin 1999 AdV: Strategie für den einheitlichen Raumbezug des amtlichen Vermessungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, AdV-Beschluss, Wismar 2004 AdV: Erneuerung des DHHN Kostenabschätzung und Begründung, Vorlage des AK Raumbezug zur 116. Tagung der AdV, 2005 (nicht veröffentlicht) AdV: Erneuerung des DHHN, AdV-Beschluss, Bonn 2005 H. Beckers, K. Behnke, H. Derenbach, U. Faulhaber, J. Ihde, W. Irsen, J. Lotze, M. Strerath: Diagnoseausgleichung SAPOS -Homogenisierung des Raumbezugs im System ETRS89 in Deutschland, ZfV, 130. Jahrgang, 2005, Seiten 203-208 D. Geef,W. Lindstrot, B. Ruf, M. Spata: Zur Realisierung des Systems ETRS89 in Nordrhein-Westfalen Die Bestimmung des NWREF-Netzes, NÖV, 32. Jahrgang, 1999, Seiten 142-155 G. Günther: Schwerenetze in Deutschland und GCG05, Anhang 1 zu Gravimetrisches Glossar, Bonn, 2005 12 : NÖV NRW 2/2006