jessica maria toliver. scherenschnitte Ausgereifte Frühstadien- Die abstrakten Scherenschnittarbeiten von Jessica Maria Toliver Die Künstlerin Jessica Maria Toliver hat sich in mehrjähriger Auseinandersetzung mit der Technik des Scherenschnitts das Vokabular der gegenständlichen Form erschlossen. In (teils) großformatigen Arbeiten begibt sie sich nun darüber hinaus und findet zu biomorphen bis abstrakten, teils archetypischen Strukturen von dynamischer Ausdruckskraft und eindringlicher ästhetischer Wirkung. Wo man die Kompositionen nicht unbedingt als schön im nur lieblichen Sinne bezeichnen möchte, ist ihnen doch in jedem Fall eine Größe und Klarheit zu Eigen. Der starke Kontrast von Schwarz und Weiß hat in den gewählten Arrangements eine zur Wachheit führende, dynamisierende Wirkung. Das Dickicht der Linie lockt uns, weckt eine Art Abenteuerlust, die erstaunlichen Verästelungen mit den Augen zu erforschen. Jessica Maria Toliver spielt gekonnt mit Symmetrien und deren Brechung, mit Wiederholungen und deren Abwandlung. So ist auch die Linie, der Strich in ihren Arbeiten hoch komplex, in ständiger Bewegung, nie gleich oder gleichförmig und dadurch äußerst lebendig. (...) Es ist dieses Spiel von Symmetrie und deren Brechung, von Wiederholung und Abwandlung, sowie jene auf steten Wandel beruhende Lebendigkeit der Linie, die bewirken, daß wir uns von Tolivers Scherenschnittobjekten so eigentümlich nah und von innen angesprochen fühlen, handelt es sich hier doch um für das menschliche Leben selbst wesentliche Prinzipien. Das vollkommen symmetrische Gesicht bleibt uns fremd, der exakt wiederkehrende Tagesablauf wirkt ermüdend. In einer Technik, die traditionell eher dem Kunsthandwerk zugeordnet wird und die wir im Allgemeinen eher mit der Darstellung von Zivilisation oder sogar Idylle verbinden, stellt Jessica Maria Toliver uns Motive vor, denen im wahrsten Sinne des Wortes etwas UN-Heimliches innewohnt, denn wo wir Gestalthaftes ausmachen können, sehen wir eine Figürlichkeit in derber bis obskurer Darstellung, oder Wurm- und Käferartiges, hier und da mit schnurrbarthaarigen Auswüchsen. In einigen Arbeiten ist es nur die Bewegung der Linien die uns ein wehenartiges An- und Abschwellen oder ein urtümliches Wogen und Wälzen erleben lässt. Dann wieder lassen uns die organisch kurvigen Konturen an Zellwelten denken, oder an Bewohner unbekannter Meerestiefen. (...) So sehen wir graphische Werke von großer ästhetischer Präsenz, die zwischen den Polen von Urenergie und Komplexität dynamisch schwingen und ein optisches Abenteuer, ja ein Faszinosum bilden.
Jessica Maria Toliver zum Projekt Sicherheit Von Februar 2009 bis Februar 2010 sind insgesamt vier künstlerische Arbeiten zum Thema Sicherheit entstanden: Innere Sicherheit, Definition Sicherheit, Altar und ninehappymuschis. Alle Arbeiten finden ihren inhaltlichen Ursprung in einer Lesung der Vagina Monologe in Schwerte, die ich mit drei anderen Frauen unter der Regie von Mehrdad Kameneh aufgeführt habe. Die Vagina Monologe stellen, kurz gesagt, in verschiedenen (realen) Interviews Frauen unterschiedlichster ethnischer und gesellschaftlicher Herkunft vor, die in teilweise schonungsloser Direktheit ihre Erfahrung mit der eigenen Sexualität und Weiblichkeit schildern. So zeigt meine erste Arbeit Innere Sicherheit ein Selbstportrait mit meiner Hündin auf einem runden Bett, eingerahmt von Kissen, Decken, zahlreichen Mustern und Ornamenten. Geht man von der allgemeinen Definition der inneren Sicherheit aus, so ist damit die Wahrung der Sicherheit innerhalb eines Staates indem seine Menschen leben, gemeint. Diese Sicherheit ist zu beschützen und notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen, denkt man an aktuelle politische Geschehnisse, in denen Terroranschläge und organisierte Gewaltverbrechen an der Tagesordnung sind und deren Ziel es ist, diesen sicheren und geschützten inneren Raum zu bedrohen. Bezug nehmend auf den Titel Innere Sicherheit erschließt sich bei intensiver Betrachtung eine komplexe Gefühlswelt, eine Welt auf der Suche nach der ganz persönlichen Inneren Sicherheit, die anscheinend nur in dieser intimsten Zone, dem eigenen Bett, zu finden ist. Aber es ist nicht nur der Ort an sich, sondern viel mehr ein mentaler Zustand in den es sich hineingewünscht und hineingeflüchtet wird, eine Art embryonaler Rückzugsort, ein Zustand kindlicher Geborgenheit und Reinheit. Auch ist der Hund nur sinnbildlich zu verstehen, vielmehr steht er hier für etwas Wölfisches, Beschützendes, Ur-Wissendes. Die amerikanische Psychologin Clarissa Pinkola-Estes spricht in ihrem Buch Die Wolfsfrau von...der Kraft der weiblichen Urinsinkte(...). In diesem Bild ist es vielleicht genau diese Kraft, nach der es sich zu suchen lohnt- nämlich nach einer inneren Stärke und Selbstsicherheit. Vielleicht versinbildlicht ja auch gerade die Fragilität des Scherenschnitts, dieses zwar großen aber doch durchlässigen Netzes aus Linien und Krümmungen die Verletzbarkeit einer solchen inneren Sicherheit.
Details Innere Sicherheit Scherenschnitt, 2009 Papier, Farbe, Neonröhren 220cm x 150cm
Definition Sicherheit Scherenschnitt-Installation 6m x 1,5m Die zweite Arbeit des Projekts Sicherheit ist eine 6m lange und 1,5m breite Rauminstallation aus Papier. Sie stellt verschiedene geschnittene Zitate des Wortes Sicherheit aus der allgemein gültigen Version des Brockhaus dar. Die Installation ist, wie alle meine schnitte, komplett aus einem Stück geschnitten und hält so in sich. Wie ein Teppich scheint sie durch den Raum zu schweben, unberührt und leicht, wie ein Netz aus Worten, daß in der Dichte erst seine Bestimmung erfährt.
ninehappymuschis, 2010 ninehappymuschis ist die letzte Arbeit des Projektes Sicherheit. Sie besteht aus neun gerahmten Scherenschnitten, die auf Stahlnägel mit leichtem Abstand in schwarzen, mit rauchgrauem Taft ausgeschlagenen Kastenrahmen ausgestellt sind. Ähnlich den Schautafeln für Schmetterlinge haben die ninehappymuschis etwas Insektenartiges, Glänzend- Morbides an sich, strahlen eine ästhetisch- bedrohliche Eleganz aus. Es verbleibt beim Betrachter, welche Assoziazionen die skizzenhaften ninehappymuschis in ihm hervorrufen.
Details ninehappymuschis 2010 neun gerahmte Scherenschnitte Papier, Blut, Lack, Stahlnägel, Taft je 50cm x 50cm
Insgeheim wünschte sie sich 2010 Acrylglas, Papier 21cm x 26,5cm x 15cm
Kurzbiographie: Jessica Maria Toliver geboren 27.10.1976 in Coburg, Bayern 1997-99 Fachoberschule für Gestaltung, Dortmund 1999 Fachabitur 1999-2003 Ausstattungsassistenzen am Theater Dortmund und dem BAT Berlin 2004 Hinwendung zum Scherenschnitt, freischaffend 2008 Nachwuchspreis des Kunstvereins Coburg Aufnahme in den BBK Ruhrgebiet seit 2009 Dozentin an der Villa Post in Hagen für experimentellen Scherenschnitt Projekt Sicherheit Nominierung für den Dortmunder Kunstpreis DEW21 Seit 01/2010 künstlerisches Gesamtkonzept für das Industriedenkmal Rohrmeisterei Schwerte Teilnahme am Grafikkalender der Stadt Dortmund Starke Orte Ruhr 2010, Phönixhalle Dortmund 31.10.2010 FORUM 2010, Burg Vischering Lebt und arbeitet in Schwerte, NRW