Gesprächsanalyse Schütz Garfinkel Sacks/Schegloff/Jefferson



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Transkript:

Gesprächsanalyse Schütz Garfinkel Sacks/Schegloff/Jefferson

Alfred Schütz: 1932: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt Untersuchungsziel: Methode: Strukturen der Alltagswelt. Verstehende Soziologie Soziologie soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ( Max Weber: 1922) Ł Ablehnung von rein statistischen und quantitativen Verfahren. Interesse an subjektiven Verfahren.

Vorgehen: Frage: Wie entsteht sozial geteilte Wirklichkeit? Methode: natürliche Haltung als Beteiligter aufgeben und alle Prozesse (also den Alltag an sich!) in Frage stellen. Ł Später in der Ethnomethodologie Garfinkels wurde dieser zweite Blick auf die Spitze getrieben! Ergebnisse: Schütz stellte fest, dass wir im Alltag unhinterfragt von folgenden Grundannahmen ausgehen: 1. Die anderen nehmen auf die gleiche Weise wahr wie man selbst. 2. Die anderen haben (ungefähr) das gleiche Wissen.

Die beiden Grundannahmen führen zu zwei Idealisierungen: 1. Vertauschbarkeit der Standpunkte : Jeder denkt, der andere würde genauso handeln, wenn er an der eigenen Stelle wäre. 2. Kongruenz der Relevanzsysteme : Jeder denkt, der andere hat die gleichen Vorlieben, kulturellen Erfahrungen, Wertvorstellungen etc. Biographische, regionale etc. Unterschiede werden als vernachlässigbar eingestuft. Die beiden Idealisierungen ergeben die Generalthese der wechselseitigen Perspektiven (Reziprozitätsthese)

Alltagserfahrungen scheinen uns ständig Recht zu geben: 1. Sprache kann nur funktionieren, wenn man sich darauf verlassen kann, dass der andere die gleichen Konzepte und das gleiche Wissen hat. Im Normalfall funktioniert das auch (auf der Oberfläche). 2. Sprache und Verständigung kann nur dann entstehen, wenn es tatsächlich die Wechselseitigkeit der Perspektiven gibt. So versteht man z.b. das Lallen von Kindern durch das Sich-Hineinversetzen in mögliche Wünsche, die damit ausgedrückt werden könnten.

Vom subjektiven Sinn über den objektiven Sinn zum Muster: Der subjektive Sinn wird durch die Reaktion des Anderen zunächst zum objektiven Sinn, d.h. man überwacht, ob die eigene Intention auch verstanden wird, indem man sich an der Reaktion des Gegenüber orientiert: Man legt sein Verhalten dort, wo es darauf ankommt, auf die Deutung des Verhaltens anderer an. Resultat: Man erhält Erfahrungswerte, was wann wie funktioniert. Was funktioniert, wird immer wieder eingesetzt und wird so noch stabiler: Sprache wird so zum Reservoir an durch dauerhaftes Anwenden verfestigter Muster, Fahrpläne, Typisierungen etc., die sich insofern bewährt haben, als man die Erfahrung gemacht hat, dass sie eine hohe Chance haben, von den anderen als geteiltes Wissen oder geteilte Erfahrung akzeptiert zu werden.

Bedeutung von Schütz für die Gesprächsanalyse: -Interesse an Alltag und Mikrostruktur. -Interesse daran, wie aus subjektivem Sinn gesellschaftliches Wissen werden kann. -Erklärungsansatz, warum wir einerseits sehr formelhaft Sprechen und viele Regeln (besser: Regularitäten) in Sprache-in-Interaktion haben, diese aber nicht bewusst lernen (und oft gar nicht benennen können).

Harold Garfinkel: Student von Alfred Schütz. Begründer der Ethnomethodologie (Richtung der Verstehenden Soziologie ). Studies in Ethnomethodology (1967) Remarks on Ethnomethodology (1972)

Schütz Ł Garfinkel: Schütz hatte die Grundlage für das Interesse an den Strategien gelegt, mit denen die Interagierenden Sinn im Alltag herstellen. Ł Verlagerung der Sinngebung vom Individuum auf die Interaktion Garfinkel griff dieses Forschungsinteresse von Schütz auf und entwickelte daraus eine soziologische Theorie: Die Ethnomethodologie.

Was ist Ethnomethodologie? v Zentrale Frage: Wie wird die soziale Wirklichkeit aus der Perspektive der Teilnehmer dieser Kultur konstruiert: Ethnomethoden. v Vorgehen: Den Alltag genau beobachten und so die primären Konstrukte (der Interagierenden) erkennen und als sekundäre Konstrukte zu beschreiben: Rekonstruktion als zentrale Methode v ALLES ist der Untersuchung wert, egal wie belanglos es scheint: sociology of nothing happened today (Sacks). v ethnomethodologische Indifferenz : Ethno-Methoden sind überall am Werk, daher kann man überall mit der Forschung beginnen.

Zentrales Ziel: The investigation of the rational properties of indexical expressions and other practical actions as contingent ongoing accomplishments of organized artful practices of everyday life. (Garfinkel)

Was sind indexical expressions? indexical expressions sind alle die Ausdrücke, die ohne Kontext nicht genau zu bestimmen sind: Im engen Sinne alle Deiktika ( ich, hier, jetzt etc.), im weiteren Sinn aber fast jede Art von Ausdruck: grün, Tisch etc. Im Alltag kann man meist gut mit der Indexikalität umgehen. Eine Präzisierung ist meist nicht oder nur unbefriedigend möglich, da dazu ja wieder Ausdrücke verwendet werden müssen, die wieder indexikalisch sind, was zu einer Schleife führt. Daher haben wir eine Ethnoregel:

Eine Ethnoregel, die ihren Ursprung in der Indexikalität hat: Akzeptiere die Vagheit von Ausdrücken und erschließe dir den passenden Sinn. Frage: Wie kann man diese Ethnoregel nachweisen? Ł Brechungsexperimente (breaching experiments) Ł garfinkeln garfinkeln ( Garfinkeling Garfinkeling )

Versuchsperson und Experimentator: V E V E V E V E V Hallo Ray, wie fühlt sich deine Freundin? Was meinst du mit der Frage, wie sich fühlt? Meinst du das körperlich oder geistig? Ich mein: wie fühlt sie sich? Was ist denn mit dir los? (wirkt eingeschnappt) Nichts. Aber erklär mir doch ein bisschen deutlicher, was du meinst. Lassen wir das. Was macht deine Zulassung für die medizinische Hochschule? Was meinst du damit: Was macht sie? Du weißt genau, was ich meine. Ich weiß es wirklich nicht. Was ist mit dir los? Ist dir nicht gut?

Weitere Brechungsexperimente: v tic tac toe : Verhalten bei Spielen v boarders : Verhalten zu Hause v overtaking : Verhalten auf der Straße v Referat J : Verhalten in Referatsgruppe

Harvey Sacks: Arbeitete mit Harold Garfinkel zusammen. Schüler: Gail Jefferson, Emanuel A. Schegloff. Lectures on Conversation (posthum verö. 1992) A simplest systematic for the organization of turntaking for conversation (mit Schegloff und Jefferson) 1974 Opening up closings (mit Schegloff) 1973 The preference for self-correction in the organization of repair in conversation (mit Schegloff und Jefferson) 1977

Schütz Ł Garfinkel Ł Sacks (+ Schegloff + Jefferson): Schütz weckte das Interesse an Alltag, Sinngebung und Strukturfindung im Alltag. Garfinkel entwickelte eine Methode (Experimente; Indexikalität; Prinzipien wie Akzeptiere die Vagheit etc.) Sacks stellte die Methode auf feste Füße: Strikte Empirie. Ausgangspunkt: Notrufe Ł Transkribieren. Arbeit NUR am Material, strikte Beschränkung.

Begründer der ethnomethodological conversation analysis (zusammen mit Emanuel A. Schegloff und Gail Jefferson): In Deutschland unterschiedliche Formen der Rezeption, v.a. in der Sprachwissenschaft, weniger in der Soziologie: - Jörg Bergmann (1981) Ethnomethodologische Konversationsanalyse - Diskursanalyse - Gesprächsanalyse (zahlreiche Varianten)

Beschränkung auf Sprache (bei Garfinkel: alle Strukturen im Alltag): v v v v v leicht aufzuzeichnen Ł vgl. ethnomethodologische Indifferenz wiederholbar, vorspielbar Ł Ergebnisse können leichter diskutiert werden strikte Empiriezentriertheit, Interesse an natürlichen Daten!!!!!!! pragmatische Gründe: Zugang z.b. zu Notruf- Telefongesprächen. Vorteil bei Telefon- und Radiodaten: Das natürliche Setting schließt Gestik/Mimik/Raum aus. Mitschnitte von Gesprächen sind über lange Zeit möglich: Problem des Beobachter-Paradoxes wird so verringert.

Grundfrage identisch mit der von Garfinkel: Wie können sich Personen im Alltag überhaupt unterhalten? Wie verstehen sie sich? Wie erzeugen sie einen intersubjektiv geteilten Sinn? Wie stellen sie Wirklichkeit her? Wie gehen sie mit der Indexikalität von Äußerungen um? Ł Gespräche eignen sich für die Fragen besonders gut, da sie auch Nachfragen, Reparaturen, Abbrüche etc. aufweisen und so ein reiches Datenmaterial bereitstellen. Ł Neu gegenüber Garfinkels Experimenten ist der strikt empirische Zugang: Keine Experiment-Settings sondern möglichst authentische d.h. im Alltag ständig vorkommende Interaktionen werden untersucht.

sociology of nothing happened today (Sacks) v unmotivated looking v why that now? v induktives Vorgehen: Struktur entsteht aus den Daten v wichtiges Interesse: SEQUENZ: geordnete, immer wiederkehrende Strukturen, die Sprecherwechsel, Turns und TCUs ordnen.