Monatspredigt Juli / August 2018 Pfr. Sebastian Noss Hört nicht auf die Propheten Jeremia 23,16-29 16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. 18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. 21 Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. 23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR. 25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. 26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeisst? Liebe Gemeinde, Zur Zeit als Jeremia Prophet in Israel war, gab es viele Propheten. Sie verdienten sich ihren Lebensunterhalt z. B. im Tempel von Jerusalem, wo sie den Menschen die Stimme und den Willen Gottes offenbarten. Dafür bezahlte man gerne etwas. Denn so bekam man Orientierung, Ermutigung, Trost oder auch Warnung für den zukünftigen Lebensweg. In anderen Kulturen gab es Orakel (das Orakel von Delphi ist weltberühmt geworden). Heute gibt es dafür Horoskope und Wahrsager und Kartenleger und Handleser und auch solche, die sich Propheten nennen. Egal ob diese Gestalten und Angebote nun religiös oder christlich oder sonst wie orientiert sind, am Ende gibt es all das, weil in uns eine Sehnsucht danach besteht zu wissen, was in der Zu-
kunft auf uns zukommt und ob wir auf dem richtigen Weg sind. Wir wollen wissen, ob unser Handeln uns Glück bringt und /oder Erfolg oder wenigstens zu dem führt, was wir wollen. (Wenn wir wissen, was wir wollen. Das ist ja nun auch nicht immer so einfach herauszufinden.) Von all diesen vielen Propheten, die es damals gab, wissen wir heute nur noch von wenigen. Darin besteht aber ja gerade sozusagen das Gütesiegel für einen Propheten: Wenn sie so viele Jahrhunderte später immer noch gekannt werden. Der grosse Prophet Jeremia ist einer davon. Wir kennen seinen Namen. Seine Prophetie ist uns im Alten Testament überliefert. Er ist einer der vier sogenannten Grossen Propheten im Alten Testament (neben Jesaja, Hesekiel und Daniel). Wir wissen anhand der Geschichte des Volkes Israel, dass Jeremia mit seiner Prophetie Recht behalten hat. Für die Leute damals kann das natürlich nicht so klar gewesen sein, wer Recht haben würde von den ganzen Propheten, die alle unterschiedlich von den zukünftigen Dingen gesprochen und prophezeit haben. Ist Jeremia jetzt ein wahrer Prophet und konnte deswegen die Wahrheit sagen? Oder hat sich hinterher herausgestellt, dass seine Prophezeiung auch eingetreten ist und er uns deshalb heute als wahrer Prophet noch bekannt ist? Für uns ist jedenfalls klar: Es kam, wie Jeremia es verkündete. Für die Leute damals war das eher schwierig zu glauben. Sie wussten nur, dass Jeremia etwas prophezeite, was wenig populär war. Es ging ihm um Ungerechtigkeit, die zwischen den Menschen seiner Zeit bestand, ein grosses Thema. So ist es überhaupt bei den Propheten, die wir im Alten Testament finden. Sie haben sich oft an den sozialen Fragen abgearbeitet. Sie haben ihre Berufung zum Propheten oft aus dem Leiden am Umgang mit den Schwachen und Armen der Gesellschaft bekommen. Jeremia kritisiert und legt den Finger in die Wunde. Es hat sich im Rückblick gezeigt, was wahr war. Das ist ja meistens so: Das Leben und was da- 3
rin geschieht, verstehen wir erst, wenn wir es durchlebt haben. Hinterher weiss man immer mehr. Hinterher ist man immer klüger. ABER leben müssen wir nun mal nach vorne. Wir können gar nicht anders. Und bei den Entscheidungen, die wir treffen und bei den Wegen, die wir einschlagen, ist oft gar nicht klar, was daraus wird. Jeden Tag umgeben uns Worte und Stimmen (sie deuten, sie drängen, sie fordern und werben um unsere Aufmerksamkeit). Sie wollen etwas von uns und für uns. Manche meinen es gut. Bei anderen weiss man es nicht so richtig. Wer ist mir vertrauenswürdig? Warum schenke ich wem Vertrauen? Auf wen höre ich? Woher weiss ich, wenn jemand lügt? Hört nicht auf die Worte der Propheten Ja, aber auf wen denn dann? Auf uns selbst? Auf mein Herz? Den Bauch? Den Kopf? Alles, aber immer schön in der richtigen Balance? Auf meine Eltern? Meine Partnerin oder meinen Partner? Auf die, die es gut mit mir meinen? Oder mich das glauben lassen? Auf die Politiker und Politikerinnen? Ja, und auf welche denn nun bitte? Die Bibel? Und in welcher Übersetzung am besten? Und nach welcher Auslegungsmethode? Was führt in die Irre? Was führt zum Leben? Und dann vielleicht noch die aller schwierigste und immer wieder brennende Frage: Wie erkennen wir die Stimme Gottes zwischen den vielen Stimmen um uns und in uns? Also glauben Sie mir, wenn es eine einfache, allgemein verständliche Antwort dazu gäbe, Sie würden sie wissen und ich würde sie auch wissen, wir wären dieser so wichtigen Frage längst nachgegangen und alles wäre in Ordnung, denn wir wüssten endlich was ganz genau zu tun ist. Ich werde manchmal etwas ratlos, wenn es um den Willen Gottes in ganz spezifischen Si- 4
tuationen geht. Ich frage mich auch immer, woher andere es eigentlich so genau wissen. Na ja, grundsätzlich bin ich schon davon überzeugt etwas vom Willen Gottes verstanden zu haben: Gott will sein Reich aufrichten und er tut dies indem er die Welt liebt und ihr diese Liebe in Jesus Christus offenbart hat. (vgl. Johannes 3,16) Bei ganz vielen der alltäglichen Fragen, scheint Gott mir allerdings ein hohes Mass an Entscheidungskompetenz zuzugestehen. DAS GOTTESBILD DES JEREMIA Jeremia zeigt uns Gott nicht als den Lückenbüsser, der immer dann einspringt, wenn wir gerade mal nicht weiterwissen. Gott ist kein Gott, der auf jede Frage eine Antwort hat für uns. Puh! Das klingt schon nicht so schön. Jeremia gibt diesen Umstand so wieder: Bin ich ein Gott, der nahe ist und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe? Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR. Was Jeremia uns hier weitergibt ist ein ziemlich tiefes und durch viele Erfahrungen und gelebte Gottesbeziehung gereiftes Gottesbild: Gott ist nicht nur der nahe Gott. Er ist auch fern und rätselhaft und das ist für uns herausfordernd und bedrohlich. Aber dann kann er auch sagen: Das Gott eben nie aus den Augen verliert, was uns bewegt und was uns geschieht. Er sieht es und er durchdingt es. Dort wo durch Gottes Nähe in uns und um uns herum Leben entsteht, erleben wir ihn. Dort wo das Leben uns durch die Finger zu gleiten scheint und sogar an seine Grenzen gerät, ist es geborgen in Gott, der auch in die dunkelsten Winkel des Lebens schaut. Aber wann ist Gott nah? Und wann ist er fern? Wann gibt er uns etwas zu verstehen? Und wann gibt er uns nur Rätsel auf? Eine Antwort, die Sie an dieser Stelle immer wieder bekommen können ist, dass das beharrliche GEBET, Ihnen den Willen Gottes offenbaren kann. Das mag sein, 5
aber wir missverstehen, glaube ich, oft worum es beim Gebet wirklich geht. Beten Sie, um in Beziehung zu Gott zu kommen. Beten Sie, um sich selbst Ihrer Lebensmitte zu vergewissern. Beten Sie, um sich auszustrecken nach den Kraftquellen, die im Gespräch mit dem lebendigen Gott erschlossen werden. Beten Sie, um immer wieder den liebenden Blick zu spüren, den Jesus in jeder Sekunde unseres Lebens auf uns gerichtet hat. Beten Sie, um diesen Blick auch auf sich selbst zu erlangen und auf die anderen. Aber beten Sie nicht, um anderen besser sagen zu können, was sie tun und lassen sollen. Beten Sie nicht, um eine Wirkung zu erzielen bei anderen. Beten Sie nicht, um hinterher eine gute Entschuldigung zu haben, wenn etwas schiefgelaufen ist. Nach dem Motto: Gott hat es mir gezeigt. Er hat es eben so oder so gewollt. Ich kann nichts dafür. Das Gebet ist weder die Lösung für alle Entscheidungsschwierigkeiten, noch eine Entschuldigung für die eigenen Misserfolge. Aber es ist ein lebendiges, fortwährendes Gespräch mit der Quelle und dem Ziel des Lebens, also mit Gott selbst, und es lässt uns aufmerksam und empfindsam werden für die Möglichkeiten und die Grenzen unseres Lebens. Das Gebet kann sogar eine grosse Verunsicherung bedeuten. Es kann auch ein Risiko sein überhaupt zu beten. Wer sich öffnet für die Stimme Gottes und nach seiner Wahrheit fragt, kann sich seiner selbst nicht mehr sicher sein. Ein hörender Mensch lebt mit der Möglichkeit, dass das, was bisher für wahr gehalten wurde, falsch ist und das, was für falsch gehalten wurde, richtig ist. Das kann Angst machen. Wie können wir damit umgehen? Am Schluss steht beides: Der Zuspruch und der Anspruch. Denn es gilt Nichts und niemand kann uns von der Liebe trennen, die in Jesus Christus ist. (vgl. Römer 8) 6
Zugleich spüren wir auch, dass wir es da eben mit Gott zu tun haben, der uns etwas zu sagen hat, dass uns auch in Frage stellen und herausfordern kann und uns in Bewegung bringt. Weil wir hören, dass nicht alles in Ordnung ist und sich etwas ändern muss. DAS IST DER HAMMER, DAS WORT DES HERRN ZEIGT WIR- KUNG Das Wort wirkt nicht nur wie ein Wind, der leise über das Gras streichelt, sondern wie ein Felsen zertrümmernder Hammer, wie ein Wälder vernichtendes Feuer. Es verändert etwas. Doch, wo der Prophet uns Gott mit diesem leidenschaftlichen Zorn zeigt. Ist er zugleich auch immer als der leidenschaftlich Liebende offenbart. Der leidenschaftliche Zorn ist zugleich Ausdruck der Liebe Gottes für die unterdrückten und geschlagenen Menschen. Und warum seid ihr nicht zornig und leidenschaftlich liebend?, ist zugleich die Frage, die immer mitschwingt, wenn der Prophet so von Gott redet. Das Wort Gottes, es bleibt nicht ohne Wirkung und wo wir diese Zeichen der Veränderung sehen, da hat es auch etwas mit dem Wort Gottes zu tun. Welche Zeichen der Veränderung sind das? Jesus wurde gefragt, ob er der Retter sei, auf den man gewartet hat. (vgl. Matthäus 11,5) Man konnte sich wohl nicht so richtig einen Reim drauf machen, wer das ist, der da diese Taten vollbrachte und diese eindrucksvollen Worte sprach. Und er antwortete: Blinde sehen. Lahme gehen. Aussätzige werden rein. Taube hören. Den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und das gilt sowohl in diesem Sinn als auch im übertragenen Sinn. Dort wo, wir eine neue Sicht in festgefahrenen Lebenslagen bekommen, wirkt Gottes Wort mit verändernder Kraft. Wo Menschen aus ihren Bewegungslosigkeit befreit werden und Mut für neue Wege bekommen, ist Gottes Wort wirksam. 7
Dort, wo Menschen wieder Beziehungen eingehen können und Liebe erfahren und weitergeben, da wirkt Gottes Wort. Wo wir lernen zu hören, was andere mir sagen und wir uns aus tiefstem Herzen bemühen einander zu verstehen, dort wirkt Gottes Wort. Wo die Armen Worte des Lebens und Taten der Liebe erfahren, da ist Gottes Wort am Werk. Sehen wir das unter uns, im Bund der Schweizer Baptistengemeinden, hier an diesem Ort, in unseren Beziehungen und Lebensverhältnissen, dann haben wir richtig gehört und erleben den lebendigen Gott, wie er seine neue Welt mitten unter uns schafft. AMEN. Herr Jesus Christus, Danke für die deine Liebe zu uns. Du liebst nicht nur uns, sondern die ganze Welt. Lass uns dadurch empfindsamer werden für die Nöte anderer. Danke, dass du in unserem Leben sprichst. Wir vertrauen dir und hoffen auf dich und deinen Frieden, wo wir Orientierung brauchen, wo wir Streit und Konflikte erleben, wo wir nicht wissen, wann das Richtige und Gute zu tun ist. Zeig uns neue Wege, zeig uns wie den Weg des Friedens und gib uns Kraft mutig Entscheidungen zu treffen. Wir hoffen auf dich, wenn das Stimmengewirr zu gross wird, wir hoffen auf dein Wort zu richtigen Zeit, wir hoffen auf deine Versöhnung, wo unsere Beziehungen beschädigt sind. AMEN. Gehalten am 3. Juni 2018 Baptistengemeinde Zürich Evangelische Freikirche Steinwiesstrasse 34 8032 Zürich www.baptisten.ch/zuerich 8