Inn-Lesebuch Carolina Schutti Wer getragen wird, braucht keine Schuhe

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Transkript:

Inn-Lesebuch Carolina Schutti Wer getragen wird, braucht keine Schuhe Literaturhaus am Inn

Carolina Schutti Wer getragen wird, braucht keine Schuhe Carolina Schutti: Wer getragen wird, braucht keine Schuhe. Otto Müller Verlag, 1. Auflage, Salzburg 2010 Abdruck des Textauszugs mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlags. Herausgeber und Impressum Literaturhaus am Inn, Herz und Mund und Tat und Leben, Josef-Hirn-Straße 5 / 10. Stock, 6020 Innsbruck, Tel. +43 512 / 507-4514, E-mail: literaturhaus@uibk.ac.at Internet: literaturhaus.uibk.ac.at

I. a. Wenn man mit einem harten Absatz auf eine Glasmurmel tritt, die Ferse dabei hin und her dreht, erwartet, das geheime bunte Innenleben der Murmel untersuchen zu können, wird man enttäuscht. Es bleiben nichts als feine Splitter, die man besser nicht in die Hand nimmt. Keine blauen und roten Wellen, die sich in die Luft pusten oder wie Schiffchen auf eine Pfütze setzen lassen. I. b. Kinder verlieren Schuhe, einfach so, ohne dass man es merkt. Man trägt sie und sie strecken ihre Füße und streifen die Schuhe ab. Wer getragen wird, braucht keine Schuhe. Wer getragen wird, zertritt keine Glasmurmeln. Wer getragen wird, hat einen Träger. 5

1 Es ist noch zu früh, um aus dem Haus zu gehen und zu spät, um mit etwas Neuem zu beginnen. Die Geräusche von der Straße dringen nur ganz leise durch das doppelte Fenster und die dicken, roten Vorhänge. Anna hockt mitten im Zimmer auf dem Boden, die Tube mit Schuhcreme liegt neben ihr, sie wischt mit einem Lederlappen über ihre schwarzen Schuhe, bis sie glänzen. Mit ihrem Rücken lehnt sie am Tischbein, es ist ein kleiner Tisch, ein alter, einer der beiden Stühle dient ihr als Kleiderablage. Bis auf die Schuhe hat sie schon alles hergerichtet, sie hält Ordnung in diesem kleinen Zimmer. Sie lässt ihren Blick über die vergrößerten Fotografien wandern, die sie eng nebeneinander an die freie Wand gehängt hat, damit sie jederzeit auf Wälder oder auf Wiesen oder in den Sternenhimmel schauen kann. Über der Heizung trocknen zwei Handtücher. Anna verräumt den Lederlappen und die Tube, nimmt die Kleider vom Stuhl, sie lässt sich Zeit dabei. Für Umwege, damit sie nicht zu lange vor verschlossener Tür warten muss, ist es zu kalt. Sie hört die Uhr ticken, das einzige Geräusch, es scheint niemand im Haus zu sein und wenn, dann schleichen die Nachbarn auf Filzpantoffeln durch ihre Wohnungen oder liegen auf Sofas oder Betten oder Teppichen, atmen leise ein und aus und warten darauf, dass die Zeit vergeht. Anna setzt sich aufs Bett, es steht in der hinteren Ecke des Zimmers, tagsüber wirft sie eine gesteppte Decke darüber. Vom Bett aus kann man in die kleine Küche sehen, gleich neben dem Herd ist die dunkelbraun lackierte Eingangstür, an der Anna zwei Haken für Mantel und Jacke befestigt hat. 6 Anna zieht auf dem Bett sitzend schwarze Strümpfe an, dann steht sie auf, der Holzboden knarrt, sie schließt den kurzen schwarzen Rock vor dem Spiegel, zuletzt knöpft sie die schwarze Bluse zu. Die Reihenfolge bleibt immer gleich, die Farbe auch, sie ist vorgeschrieben, was Anna nicht unangenehm ist, denn hinter schwarzen Kleidern kann man sich besser verstecken. Sie schließt die obersten beiden Blusenknöpfe, obwohl sie das nicht müsste, unter dem Stoff zeichnen sich die Umrisse einer Halskette ab. Ihre Haare bindet sie zusammen, dann steigt sie in die Schuhe. Neben dem Spiegel befindet sich eine Kommode. Ein großer Stoffhase sitzt darauf, seine Beine baumeln auf einer Seite herunter, sein Fell ist abgegriffen. Auf seinem Schoß liegt Annas Tasche, Anna nimmt sie mit der einen Hand und rückt gleichzeitig den Hasen mit der anderen zurecht. Der Hase ist fast so alt wie sie, nur ihn und eine Reisetasche mit Kleidern hat sie damals mitgenommen, die Schranktüren hat sie offen gelassen und Nachricht hat sie keine geschrieben. Es suchte dann auch niemand nach ihr, man ließ sie gehen, sie würde zurechtkommen, es war besser so, besser für zwei den Tisch decken als für drei und dabei an den vierten, leeren Platz denken. Die Mutter schloss die Schranktüren und bereitete das Abendessen zu, der Vater sah, dass nur für zwei gedeckt war und sagte nichts, vielleicht dachte er, es sei besser so, vielleicht konnte er nicht mehr brüllen, geändert hätte das ohnehin nichts. Anna streicht dem Hasen kurz über den Kopf und tritt auf den Hausflur hinaus. 7

2 Die Frau nimmt die ganze Wartebank in Anspruch. Links und rechts neben sich hat sie Plastik- und Stofftaschen abgestellt, Anna steht etwas abseits und fühlt in ihren Manteltaschen nach Geldbeutel, Fahrschein und Schlüssel. Dabei tastet sie auch die kleine, verschrumpelte Kastanie ab, die sie vor zwei Jahren aufgehoben hat, als sie in der Stadt ankam. Sie war damals einfach drauflosgegangen, eine viel befahrene Straße entlang und irgendwann abgebogen, da, wo ihr die Häuser freundlich vorkamen und mehr Menschen auf den Gehsteigen unterwegs waren. Sie sah sich die Auslagen der Geschäfte und die Eingangstüren der Häuser an, einmal wich sie einem Rollstuhlfahrer aus, der sich bei ihr mit einem Kopfnicken bedankte. Vor einem Lokal blieb sie stehen. An die Eingangstür war ein handgeschriebener Zettel geheftet. Etwas unschlüssig, ob sie der Aufforderung Folge leisten sollte, einfach einzutreten, wie es hieß, und sich vorzustellen, ging sie ein paar Schritte hin und her. Eine freundliche, tüchtige Servierkraft sei gesucht, stand da, längerfristig. Die Reisetasche hatte Anna auf den Boden gestellt, dabei die Kastanie entdeckt, aufgehoben, in den Händen hin- und hergerollt. Die Tasche war voll gewesen, ein wenig ausgebeult vom Kopf des Stoffhasen. Auf der anderen Straßenseite ein sandiger Spielplatz, metallene, gebogene Stäbe, die im Sommer glühend heiß sein mussten, zumal die Bäumchen nur winzige Schatten warfen. Eine steile Rutsche, ein Kind warf Sand darauf und sah zu, wie er hinunterrieselte. Die Statue eines Dichters stand auch da, es muss einmal ein schöner Platz gewesen sein, dachte Anna. Müde vom ziellosen Herumlaufen trat sie schließlich ein. Es war nur ein Gast im Lokal, er saß hinten im Eck 8 und blätterte in einer Zeitung. Die Wände waren über und über mit Filmplakaten behängt, Holz- und Marmortischchen von unterschiedlichen Stühlen und Fauteuils umringt, zwei Kronleuchter hingen von der Decke, auf einer höhergelegenen Ebene befand sich der Tresen, ganz hinten stand die Tür zur Küche offen. Man konnte hören, wie eine Pfanne auf der Herdplatte hin- und hergeschoben wurde. Eine große, stark geschminkte Frau kam auf sie zu und Anna fragte um die Stelle. Sie gab zu, noch keine Erfahrung zu haben, und ja, sie sei bereits achtzehn, seit heute, und sie werde sich bemühen und nein, sie käme nicht von hier. Anna mache einen etwas scheuen, aber verlässlichen Eindruck, vom Alter her könnte sie ihre Tochter sein, sagte die Frau, zwinkerte Anna zu und rief den Koch, ihren Mann, und der kam aus der Küche, brummte ein bisschen und nickte und streckte dann Anna die Hand hin. Sie könne gleich nach dem Feiertag anfangen, sonntags und an Feiertagen und einen Monat im Sommer hätten sie zu, von Montag bis Samstag solle sie um sechs hier sein, ob ihr das recht sei. Anna nickte und drückte die Kastanie. Glückstag. Die Frau an der Haltestelle sucht etwas in einer der Taschen, eine Konservendose fällt heraus und rollt in Annas Richtung. Die Frau macht keine Anstalten, aufzustehen, sie fixiert Anna und atmet geräuschvoll durch die Nase ein. Anna zögert kurz, dann bückt sie sich. Die Dose verschwindet wieder im Sack, die Frau bedankt sich nicht, sie kratzt sich am Knie und sieht Anna unverwandt an. Anna geht ein paar Schritte auf die Seite und schaut die Straße hinunter. Der Bus sollte schon da sein, sie friert, kalter Wind dringt in ihren Kragen. Sie wird sich bei Britta nach einem 9

Schal umschauen, am liebsten einem roten aus Angorawolle, in den sie ihr Kinn betten kann, wenn sie auf den Bus wartet und der sich gut vor den Mund ziehen lässt, wenn sie beim schnellen Gehen so tief atmet, dass die kalte Luft in die Lungen schneidet. Wenn sie nicht zu Hause ist, heizt sie nicht, daher kann sie sich nicht aufwärmen, wenn sie nach der Arbeit in der Küche oder auf dem Bett sitzt. So einen Schal könnte ich auch am Abend gut brauchen, denkt Anna. Es wird früh dunkel, doch im Licht der Straßenlaternen lassen sich auch in der Nacht noch Farben unterscheiden. Wenn du einen schwarzen von einem weißen Faden nicht mehr unterscheiden kannst, denkt Anna, dann treffen wir uns. Im Wir schließt sie sich nicht ein, sie borgt sich diesen Satz aus, probiert ihn an, er würde ihr gut stehen. Wenn du einen schwarzen von einem weißen Faden nicht mehr unterscheiden kannst, haben früher Liebespaare zueinander gesagt und sich mit den Fäden in der Hand an ihre Fenster gesetzt und sich auf die Küsse gefreut. Anna steht auch viel am Fenster, sie schaut auf die Straße, auf die graue Mauer und manchmal auf das kleine Stückchen Himmel. Von den Hochhäusern blättert die Farbe ab, einige haben bereits metallene Platten bekommen, die sie neu aussehen lassen sollen. Die Stiegenhäuser sind offen, die Hausgänge sehen aus wie Balkone, auf denen nie jemand sitzt. Von der Haltestelle aus sieht man alle Wohnungstüren, man könnte genau beobachten, wann die Leute heimkommen und wann sie wieder gehen. Und wer Besuch bekommt und wer nicht. Wer viele Einkäufe heimträgt und wer nur einen kleinen Sack voll. Manchmal schaut Anna heimlich jungen Pärchen, die sich in die Stiegeneingänge drücken, beim Küssen zu. Eine Windböe bewegt das Rad eines Einkaufswagens, der umgekippt neben drei anderen auf dem schmalen Grünstreifen steht, der Gehsteig und Wartehäuschen vom nächsten Hochhausvorplatz trennt. Die Häuser sind ständig in Bewegung, denkt Anna, als sie in einigen Fenstern das Licht an- und in anderen ausgehen sieht. Lauter kleine Höhlen, deren Türen sich öffnen und schließen. 10 11

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