DEUTSCHER PRÄVENTIONSTAG

Transkript

1 DEUTSCHER PRÄVENTIONSTAG Zur präventiven (Nicht-) Wirkung von Sexualstraftäterdateien von Prof. Dr. Christian Grafl Dokument aus der Internetdokumentation des Deutschen Präventionstages Herausgegeben von Hans-Jürgen Kerner und Erich Marks im Auftrag der Deutschen Stiftung für Verbrechensverhütung und Straffälligenhilfe (DVS) Zur Zitation: Michael Breitschwerdt, Christian Grafl: Zur präventiven (Nicht-) Wirkung von Sexualstraftäterdateien, in: Kerner, Hans-Jürgen u. Marks, Erich (Hrsg.), Internetdokumentation des Deutschen Präventionstages. Hannover 2009,

2 Zur präventiven (Nicht-)Wirkung von Sexualstraftäterdateien ao. Univ.-Prof. Dr. Christian Grafl 14. Deutscher Präventionstag 8. Juni 2009

3 Gliederung 1. Öffentliche Annahmen zur Sexualdelinquenz 2. Empirische Daten zur Sexualdelinquenz 3. Internationale Regeln zur Registrierung von Sexualstraftätern 4. Neue gesetzliche Regelung in Österreich 5. Evaluierung der Wirksamkeit von Registrierungsvorschriften 6. Ergebnisse und Diskussion Grafl, 14. DPT 2

4 Annahmen Alle Sexualstraftäter sind gefährliche Monster Die Zahl der Sexualstraftaten ist seit Jahren stark ansteigend Sexualstraftäter weisen eine sehr hohe Rückfälligkeit auf Die Bevölkerung hat ein Recht auf Informationen über den Aufenthalt von Sexualstraftätern Berufsverbote und öffentliche Registrierung dienen der Verhinderung von (weiteren) Sexualstraftaten t Grafl, 14. DPT 3

5 Realitäten Sexualdelinquenz umfaßt vielfältige unterschiedliche Verhaltensweisen Sexualstraftäter sind nicht in einer homogenen Gruppe zusammenzufassen: o Unterscheidung nach rechtlichen h Kriterien i o Unterscheidung nach kriminologischen / therapeutischen Kriterien Die pauschale Etikettierung von Sexualstraftätern als Monster verhindert eine sachgerechte Behandlung und eine rationale Präventionsstrategie Grafl, 14. DPT 4

6 Realitäten 1% 3% 4% Deliktsgruppen, Österreich % Vermögen Leib u. Leben 15% SMG 70% Freiheit Sex. Integrität Rest Grafl, 14. DPT 5

7 Realitäten Grafl, 14. DPT 6

8 Realitäten Rückfallsraten von Sexualstraftätern sind i.d.r. gegenüber anderen Straftätern nicht herausragend hoch, oft sogar niedriger Einschlägige Rückfallsraten sind i.d.r. deutlich geringer als allgemeine Rückfallsraten Rückfallsraten verringern sich i.d.r. deutlich, wenn Straftäter behandelt / therapiert / betreut werden Grafl, 14. DPT 7

9 Realitäten Wiederverurteilungsstatistik Österreich , Anteil mit Folgeverurteilung und mit einschlägiger Folgeverurteilung alle Delikte 38% Delikte gegen Leib und Leben 30% 16% Delikte gegen die Freiheit 46% 12% Delikte gegen fremdes Vermögen 42% 29% Delikte gegen die sexuelle Integrität 24% 4% Suchtmitteldelikte likt 46% 28% Grafl, 14. DPT 8

10 internationale Regelungen 1990: Washington führt Registrierungspflicht für und Informationspflichten des Staates über Sexualstraftäter ein 1994: New Jersey verabschiedet Megan s Law 1997: Sex Offenders Act in UK 2003: Sexual Offences Act in UK 2008: Sex Offender Check Scheme in GB D: (noch?) keine gesetzliche Regelung Grafl, 14. DPT 9

11 Österreich Zweites Gewaltschutzgesetz in Österreich mit wenigen Ausnahmen am in Kraft getreten beinhaltet mehrere gesetzliche Änderungen und Neuregelungen zum Schutz der Opfer von strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung bei bekannt gewordenen Sexualstraftätern soll Rückfallsvermeidung durch Tätigkeitsverbot und gerichtliche Aufsicht erzielt werden Grafl, 14. DPT 10

12 Strafgesetzbuch Gerichtliche Aufsicht bei Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern ( 52a StGB) Tätigkeitsverbot it t ( 220b StGB) Grafl, 14. DPT 11

13 gesonderte Registrierung 2 Abs.1a StRegG: Verurteilungen wegen eines Sexualdelikts sind gesondert zu kennzeichnen Grafl, 14. DPT 12

14 Meldeüberprüfung 3 Abs.2a StRegG: Die BPD Wien hat bei Sexualdelikten die vom Gericht mitgeteilten Daten über Wohnort und Anschrift alle 6 Monate ab Rechtskraft oder nach Verständigung über die Entlassung durch Abfrage im Melderegister zu überprüfen und zu aktualisieren. Die Änderung der Wohnanschrift h ist jenen Sicherheitsbehörden, in deren Sprengel der Entlassene gewohnt hat und zu wohnen beabsichtigt, b t bekanntzugeben Grafl, 14. DPT 13

15 Auskunftspflicht 9a StRegG (Sonderauskünfte zu Sexualstraftätern): Die BPD Wien hat Gerichten, Staatsanwaltschaften, Sicherheitsbehörden, Sicherheitsdienststellen und Strafvollzugsbehörden Auskunft über die besonders gekennzeichneten Verurteilungen wegen eines Sexualdelikts sowie über gerichtliche Aufsicht und Tätigkeitsverbote zu geben. Auskünfte auch an Jugendwohlfahrtsträger, Schulbehörden und Personalstellen von Gebietskörperschaften im Zusammenhang mit Anstellung zur Betreuung etc. von Kindern und Jugendlichen möglich Grafl, 14. DPT 14

16 Begründungen Vorteil von Registrierung und Information: bessere Überwachung durch die Gesellschaft fördert öffentliche Aufmerksamkeit schreckt Täter von weiteren Taten ab fördert Sicherheit für Kinder Nachteil: Gesetze machen mehr Arbeit Informationssammlung über Täter mühsam mitunter Überreaktion der informierten Nachbarschaft Grafl, 14. DPT 15

17 Evaluierung Studie von Schram & Milloy 1995: little effect auf Rückfallsrate Studie von Walker et.al. 2005: kein einheitliches Ergebnis Studie von Prescott & Rockoff 2008: Registrierung i zeigt Einfluß auf Rückfall; Information der Öffentlichkeit it zeigt keinen Einfluß auf Rückfall Studie von Zgoba et.al. 2008: kein nachweisbarer Effekt auf Sexualdelinquenz und Rückfall Grafl, 14. DPT 16

18 Ergebnisse 1. den Sexualstraftäter gibt es nicht 2. Sexualstraftäter stehen überwiegend in familiärer Beziehung zu oder sind Bekannte des Opfers 3. einschlägige Rückfallsraten (im Hellfeld!) sind deutlich niedriger i als öffentlich angenommen; sie verringern sich zusätzlich signifikant bei entsprechender Behandlung der Täter 4. Sexualstraftäterdateien und Information der Bevölkerung in USA seit Ende der 90er-Jahre landesweit in Kraft Grafl, 14. DPT 17

19 Ergebnisse 5. spektakuläre und tragische Einzelfälle führen auch in Europa zum Ruf nach Strafverschärfungen und härterem Umgang mit Sexualstraftätern in Österreich Einführung einer gesonderten Registrierung von Sexualstraftätern und spezieller Auskunftspflichten an Behörden und Gebietskörperschaften 7. Evaluierung von Registrierungspflichten und Informationsrechten der Bevölkerung in Bezug auf Sexualstraftäter in USA ergibt nur sehr eingeschränkte präventive e Wirksamkeit Grafl, 14. DPT 18

20 Diskussion Vor- und Nachteile einer Sexualstraftäterdatei? abschreckend für potentielle Täter? rückfallvermeidend? Unterscheidung der aufgenommenen Personen nach Gefährlichkeit? Mißbrauch der Informationen? net-widening? Grafl, 14. DPT 19