TCM ist mehr als ein Produkt von Tchibo!

Transkript

1 TCM ist mehr als ein Produkt von Tchibo! Vortrag auf den Mettenhofern Kulturtagen 2015 von Udo Lorenzen TCM = Tchibo Certified Merchandise, ist eine zertifizierte Handelsware von Tchibo, die bis 2007 als Handelsmarke von Tchibo bekannt war. Im April 2007 gab Tchibo bekannt, dass die unter Druck geratene Eigenmarke TCM, die im Jahr 2006 noch zu den zehn populärsten Marken in Deutschland zählte, eingestellt wird (Quelle: Handelblatt). TCM = Traditionelle Chinesische Medizin, eine Bezeichnung für die chinesische Medizin seit dem 20. Jahrhundert unter Mao Ze Dong, Zhong Yi Xue 中 醫 學 = Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), eine eher ärztlich angewendete Form, die klinisch orientiert ist. Zhong Hua Yi Yao 中 華 醫 藥 = Klassische Chinesische Heilkunde, eine über 2000 Jahre alte Medizin, die nach naturphilosphischen Prinzipien ausgerichtet ist. Worin liegt der Unterschied? Warum gibt es solch einen Hyphe um die TCM? Wie immer geht es um viel Geld! Marktwert/Umsatz: Tchibo: 3,4 Milliarden (2014) in Deutschland TCM Medizin: 3,2 Milliarden (2005), jährliche Steigerung von 20% in Deutschland VR China: 85 Milliarden Euro (2014) für den Export von TCM-Artikeln in den Westen (Heilkräuter). Zum Vergleich (momentaner Börsenwert in USA): VW: 52 Milliarden Dollar Daimler: 84 Milliarden Dollar Microsoft: 420 Milliarden Dollar Google: 488 Milliarden Dollar Apple: 666 Milliarden Dollar. 1

2 Geschichte der Akupunktur und TCM in Deutschland: Die Anfänge der Akupunktur in Deutschland ab 1950 wurden von einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Therapeuten (Heilpraktikern und Ärzten) getragen, deren Wissen überwiegend aus französischen Quellen stammte. Es gab in der Zeit um 1955 gerade mal 5 Lehrbücher über die Akupunktur in deutscher Sprache. Ein Verwertungsinteresse der Akupunktur war in dieser Zeit noch nicht relevant. Die Zahl der Heilpraktiker, die um 1955 schwerpunktmäßig die Akupunktur ausübten betrug ca. 60, die der ärztlichen Akupunkteure ca Allen Bemühungen zum Trotz verebbte das Interesse an der Akupunktur bis 1970 wieder. Die Ärzte fanden immer weniger Akzeptanz bei ihrem Berufsstand, die Unwissenschaftlichkeit der Akupunktur ließ eine ordentliche Abrechnungspolitik und Anerkennung der Krankenkassen nicht zu und der Zeitaufwand rechnete sich in einer zunehmend geräteorientierten Praxis nicht mehr. Die Zahl der Ärzte um 1970, die Akupunktur ausübten, wurde auf eine Anzahl von 300 geschätzt, die der Heilpraktiker auf ca. 400 Therapeuten. Erst die Öffnung Chinas zum Westen im Jahre 1971 und der Chinabesuch des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon 1972 veränderte das Verhalten und die Einstellung der westlichen Welt gegenüber der chinesischen Medizin. Auslöser war ein entzündeter Blinddarm des begleitenden Journalisten James Reston, der allein mit Akupunktur geheilt wurde. Die Reston-Story ging durch die ganze Welt als eine wundersame Heilung mit einer 2000 Jahre alten Therapie. Bereits 1971 wurden in China über Patienten mit einer Quote von 90% erfolgreich mit Akupunktur-Analgesie operiert. Damit wurde die chinesische Medizin auch im Westen wieder hoffähig. Es gab wissenschaftliche Berührungspunkte, und Akupunktur anstelle von Narkotika anzuwenden, um eine Schmerzunempfindlichkeit beim Patienten herbeizuführen, galt als ein Durchbruch in der chirurgischen Anästhesietechnik. Daraufhin setzte ab 1972 ein regelrechter Akupunktur-Boom ein. Wundersame Heilungen mit Nadeln wurden nun zu beliebten Themen in den Medien. 2

3 Im Zuge dieser Neubewertung der Akupunktur kam es auch zum Durchbruch anderer chinesischer Therapieformen. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) begann den Markt der alternativen Heilkunde zu erobern. Nicht nur Akupunktur, sondern auch Qi Gong, Taiji Quan, Tuina-Massage, chinesische Pharmakologie und chinesische Diätetik wurden nun als Bestandteile der chinesischen Heilkunde bekannt und man versuchte, für sie einen Platz auf dem deutschen Gesundheitsmarkt zu finden. Die Zeit von 1972 bis heute kann als die Phase des Ringens um Akzeptanz und Integration der TCM in das medizinische Versorgungssystem Deutschlands angesehen werden. Heute ist die TCM im deutschen Gesundheitswesen weitgehend etabliert. Gegenwärtig (2014) gibt es in Deutschland über akupunktierende Ärzte. Bei über organisierten Heilpraktikern in Deutschland sind es mehr als 4000 Heilpraktiker, die mehr oder weniger die Akupunktur in ihrer Praxis anwenden. Nicht vergessen werden dürfen die zahlenmäßig nur schwer zu fassenden Anbieter der anderen Therapierichtungen der TCM: Qigong, Taijiquan, Tuina, Diätetik, chinesische Pharmakologie, Akupunktur in der Geburtshilfe (ein Bereich, in dem auch Hebammen akupunktieren dürfen), Physiotherapeuten und Masseure, die in einer Grauzone mit chinesischen Therapiemethoden arbeiten, ganz zu schweigen von der Vielzahl nicht professioneller Laienbehandler, die sich der Akupunktur nähern und schon mal im Wohnzimmer anwenden. Wellness -Anbieter (in Abgrenzung zu Therapie ) und ihre Ableger haben ebenfalls die Gunst der Stunde genutzt und viele Aspekte der chinesischen Medizin in ihre Angebote integriert; oft mehr schlecht als recht, aber durchaus gewinnbringend. Die Gerac-Studie (2004) brachte den wissenschaftlichen Beweis, dass Akupunktur bei Rücken- und Knieschmerzen wirksam ist. Zum 1. Januar 2007 wurde die Akupunktur als vertragsärztliche Leistung in das Kapitel Schmerztherapie aufgenommen. Die Ergebnisse der GERAC-Studie waren ein gefundenes Fressen für die Medien. Der Spiegel ( Die eingebildete Heilung ) postulierte, es sei egal, wo man hinpiekst, die Heilung mit Akupunktur werde im Wesentlichen über einen Placeboeffekt erzielt durch die vermehrte Aufmerksamkeit dem Patienten gegenüber. 3

4 Das Superplacebo Akupunktur lässt jede ernsthafte Diskussion über Ausbildungsinhalte und Qualitätsstandards im Keim ersticken. Das Placebo (Placebo = ich werde gefallen ) wurde damit als Erklärungsmodell für Heilungen in der Komplementärmedizin aufgewertet. Nach der Durchführung der Gerac-Studie und die Anerkennung die Akupunktur in der GOÄ (2007) erhielt die Akupunktur erneut einen Aufschwung und die Zahl der akupunktierenden Ärzte verdoppelte sich seitdem. Heute gibt es überall in Deutschland Ärzte, welche die medizinische Dienstleistung Akupunktur auf ihren Schildern führen, unabhängig ihrer fachärztlichen Ausrichtung. Durch die Reduktion der ärztlichen Akupunkturausbildung auf 100 Stunden ist die Akupunktur eine leicht gewonnene Zusatzqualifikation geworden. Die Heilpraktikerschaft bemüht sich immerhin, einen Standard von 750 Stunden Ausbildung zu gewährleisten. Die 5 Säulen der TCM: A). Akupunktur und Moxibustion: Akupunktur und Moxibustion ist eine mehr als 2000 Jahre alte Heilmethode, die durch das Setzen von Nadeln und das Abbrennen von Beifusskraut auf spezifische Punkte körpereigene Selbstheilungskräfte aktiviert, um so die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Aus traditioneller Sicht versteht man darunter die Regulierung der Lebensenergie, die in China Qi 氣 (sprich Tschi) genannt wird. Dieses Qi fließt in einem energetischen Netzwerk von 12 Kanälen (Auch Meridiane oder Leitbahnen), das nicht nur die Akupunkturpunkte, sondern im Inneren auch die Organe miteinander verbindet und beeinflusst. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Liste von Erkrankungen veröffentlicht, die erfolgreich mit Akupunktur und Moxibustion behandelt werden können; hier einige Beispiele: Erkältungen, Bronchitis, Asthma, Sinusitis, Kopfschmerzen, Migräne, Trigeminusneuralgie, Arthritis, Tennisellbogen, Ischialgie, Lumbago, HWS-Syndrom, Magenschleimhautentzündung, Kolitis, Verstopfung, Durchfall, Konjunktivitis, Tinnitus, Katarakt, u.v.m. B). Chinesische Arzneimitteltherapie: Unter den Therapiemethoden in der TCM ist die chinesische Pharmakologie die in China am häufigsten angewendete. Über 70% der Patienten werden hier mit chinesischen Arzneimitteln behandelt. Die chinesischen Drogen sind Produkte aus überwiegend pflanzlicher, mineralischer oder tierischer Herkunft und werden entweder im Ganzen oder in ihren einzelnen Bestandteilen verwendet. Sie können einzeln eingesetzt werden, aber meistens werden sie in Form einer Rezeptur kombiniert verwendet, um synergetisch die Heilkraft der einzelnen Drogen zu optimieren. 4

5 C). Chinesische Diätetik: Der Mensch ist, was er isst, heißt eine Spruchweisheit. Das gilt besonders in der chinesischen Medizin, in der Nahrungsmittel hinsichtlich ihrer energetischen Qualität therapeutisch eingesetzt werden. Lebensmittel werden hier klassifiziert hinsichtlich ihres Temperaturverhaltens oder Thermik, ihres Geschmacks, ihrer Wirkrichtung im Körper sowie ihrer Zuordnung zu den 5 Wandlungsphasen und dem Leitbahnsystem. Ziel der chinesischen Diätetik ist, ein harmonisches Gleichgewicht von Yin und Yang in der Ernährung zu finden. Ernährungstherapie will den Menschen zu einer Lebensweise zurückführen, die ihn in seiner Mitte verankert und seine Schwingungsfähigkeit mit den natürlichen Rhythmen wiederherstellt. D). Tuina - chinesische Massage: Tuina ist eine der fünf großen Behandlungsmethoden der TCM. Sie integriert die manualtherapeutischen Verfahren in das Behandlungskonzept. Tui bezeichnet Schieben, Na bedeutet Greifen und ist danach eine spezielle Therapieform, bei der man durch massierende und mobilisierende Handgriffe Krankheiten verschiedener Fachrichtungen behandeln kann. Insbesondere Erkrankungen der Traumatologie, Orthopädie und Pädiatrie, aber auch der Allgemeinmedizin, Neurologie und Gynäkologie lassen sich mit Tuina gut behandeln. Ziel in der Tuina-Therapie ist es, Blockaden in den Meridianen zu beheben, eine gestörte Qi- und Blutzirkulation zu regulieren und die krankmachenden Faktoren zu beseitigen. E). Taiji Quan chinesische Bewegungstherapie: Das Taiji Quan ist ursprünglich eine Kampfkunst, von mehreren Millionen Menschen weltweit praktiziert wird. Als Säule der TCM werden einzelne Bewegungsabläufe (so genannte Formen) praktiziert, die das Ziel haben, eine innere Harmonie im Menschen herzustellen (Taiji = höchste Harmonie). Dabei wird Taiji Quan als ein System der Bewegungslehre oder der Gymnastik betrachtet, das der Gesundheit, der Persönlichkeitsentwicklung und der Meditation dienen kann. Der eigentliche Kampfkunstaspekt tritt vor diesem Hintergrund immer häufiger zurück. Viele Schulen, viele Meister! F). Qigong Chinesische Atemtherapie: Qigong ist eine Kombination chinesischer Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform zur Kultivierung von Körper und Geist. Zur Praxis gehören Atemübungen, Körper- und Bewegungsübungen, Konzentrationsübungen und Meditationsübungen. Die Übungen sollen der Harmonisierung und Regulierung des Qi-Flusses im Körper dienen. In der Geschichte Chinas hat diese Praxis als Gesundheitsvorsorge immer eine große Rolle gespielt. Die Bezeichnung Qigong für diese Übungen findet jedoch erst seit den 1950er Jahren Verwendung, und die unterschiedlichen Stilarten des Qigong sind zum Teil ganz neue Entwicklungen, die jedoch auf den jahrtausendealten Traditionen basieren. Noch mehr Schulen, noch mehr Meister! Taiji Quan und Qigong sind nicht leicht voneinander zu trennen. War das Taiji ursprünglich eine Kampfkunst, ist das Qigong ursprünglich ein Weg zur Lebensverlängerung und Unsterblichkeit. Beide Therapieformen haben Bewegungsformen, geführte Atmung und das Streben nach Gleichgewicht zwischen Yin und Yang! 5

6 TCM und westliche Medizin im Vergleich: Parameter: Westliche Medizin, Schulmedizin Chinesische Medizin, TCM Menschenbild: Gesundheit Krankheit Diagnose: Therapie: Kausal-analytisch: messbare/sichtbare Ursache Labortechnik, Befund; Quantitative Bestimmung, Standardisierung Getrennte Behandlung, ohne Befund nur symptomatisch Behandler: Viele Symptome = viele Behandler; Spezialisten; wenig Zeit, wenig Beratung Patient: Vorteile: Nachteile: Eher passiv; wenig eigenverantwortlich; bekommt Pillen, wenig Beratung Wenn klarer Befund; Traumata, Operation, Substitution, schwere Infektionserkrankung, Tranplantationen, Schrittmacher etc. mehr NW, Hilflosigkeit o.b.; hohe Kosten; Mensch wird zerlegt, Entfremdung Induktiv-synthetisch: Mensch zwischen Himmel und Erde Schwingungsfähigkeit 4 diagnostische Verfahren; Orientierung am Befinden des Individuums Ganzheitlich, alle Symtome haben miteinander zu tun! Körper-Geist-Seele Versucht eine Synthese herbeizuführen; Schwachstelle finden; mehr Zeit, viel Beratung Aktive Mitarbeit; viel Eigenverantwortung; Zusammenhänge erkennen, Lebenspflege Frühdiagnose von Funktionsstörungen; Prophylaxe; TCM kann Erkrankung o.b. erklären und behandeln; Hilfen zur Selbsthilfe Im Grunde keine bei fachgerechter Anwendung! Zuwenig von der KK gefördert Vita Udo Lorenzen (Heilpraktiker, Medizinhistoriker M.A., Dipl. Sozialpädagoge): Geb in Kiel, seit 1986 Heilpraktiker mit eigener Praxis in Kiel; 1983 Ausbildung an der Academy of Chinese Acupuncture in Colombo/Sri Lanka; seit 1992 Leiter des Ausbildungszentrums Nord für Klassische Akupunktur und TCM; seit 1994 Studienreisen nach China mit Fortbildungen an der University of TCM in Chengdu; Studium in Geschichte der Medizin, Pädagogik und Sinologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), 2006 Abschluss zum Medizinhistoriker M.A. (Magister Artium). Seit 2011 Mitglied der World Federation of Chinese Medicine Societies (Weltverband der internationalen Gesellschaften für Chinesische Medizin,) im Committee of Examination and Evaluation. Webseite: u.lorenzen@ki.comcity.de, Telefon: