Fotografie, Film, Video, Plastik, Skulptur, Objektkunst, Installation

Transkript

1 Fischli / Weiss, Die gefeierte Rübe, 1984, Schwarzweissfotografie Bearbeitungstiefe Name Fischli / Weiss Lebensdaten [Zusammenarbeit von ] Staatszugehörigkeit CH Vitazeile Tätigkeitsbereiche Lexikonartikel DE EN Produktionsgemeinschaft Peter Fischli und David Weiss. Zusammenarbeit von Plastik, Fotografie und Film Fotografie, Film, Video, Plastik, Skulptur, Objektkunst, Installation Als Sohn des Architekten, Bildhauers und Malers Hans Fischli wuchs Peter Fischli in einem künstlerischen, der Ästhetik des Bauhauses verpflichteten Milieu auf Studium an der Accademia di Belle Arti in Urbino, anschliessend bis 1977 an der Kunstakademie in Bologna. Der sechs Jahre ältere David Weiss wurde als Sohn eines protestantischen Pfarrers in Zürich geboren besuchte er die Kunstgewerbeschule Zürich und anschliessend während zweier Jahre die Bildhauerklasse an der Kunstgewerbeschule Basel erste Ausstellung (zusammen mit Urs Lüthi) in der Galerie Stähli, Zürich; Teilnahme an verschiedenen Gruppenausstellungen im Inund Ausland ist David Weiss in Zürich verstorben posthume Einzelausstellung David Weiss. Arbeiten/Works im Bündner Seite 1/7,

2 Kunstmuseum Chur sowie im Swiss Institute in New York; diese lässt im Rückblick erkennen, wie das Frühwerk von David Weiss den Nukleus für das Gemeinschaftswerk von Fischli/Weiss bildet erscheint in einer Re-Edition des 1976 erstmals veröffentlichten Buches Die Wandlungen, eine Serie von Zeichnungen, die zwischen 1975 und 1979 in Marrakesch, Carona und Zürich entstanden sind. Die Zusammenarbeit von Peter Fischli und David Weiss beginnt 1979 mit der Fotoarbeit Wurstserie; 1980 entsteht in Hollywood der 16 mm- Film Der geringste Widerstand erscheint im Eigenverlag das Künstlerbuch Ordnung und Reinlichkeit; die international beachtete Ausstellung Plötzlich diese Übersicht in der Galerie Stähli in Zürich legt den Grundstein zur Karriere des Künstlerduos; Realisation des Films Der rechte Weg und der Polyurethan-Skulpturen Mad Max. Ab 1984 rege Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland; es entstehen die Fotoserie Stiller Nachmittag und die Gummiplastiken Präsentation des Films Der Lauf der Dinge an der documenta 8 in Kassel, der zum Publikumsliebling wird und den internationalen Durchbruch bringt; mehrere Einzelausstellungen in den USA Teilnahme an der Gruppenausstellung Aperto an der Biennale di Venezia rund 20 Ausstellungen in Europa und Übersee; Arbeit an der Fotoserie Surrli; Publikation der Photographs anlässlich der 20. Bienal de São Paulo, zu der Fischli/Weiss als Vertreter der Schweiz eingeladen sind erscheinen der Fotoband Airports und das Buch Das Geheimnis der Arbeit; Reisen nach Australien, Asien, Schottland und in die USA für die Fotoserie Bilder, Ansichten Ausstellung im Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Sevilla sowie Retrospektive im Musée national d'art moderne, Centre Georges Pompidou, Paris Präsentation der Arbeit Der Tisch und der Fotoserie Siedlungen, Agglomeration sowie des Kanalvideos; feste Installation Raum unter der Treppe im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Video-Installation Arbeiten im Dunkeln im Schweizer Pavillon an der Biennale di Venezia Retrospektive In a Restless World in den USA und Europa Teilnahme an der documenta X, Kassel; Gartenprojekt an Skulptur. Projekte in Münster Kleine Fragen grosse Fragen, Biennale di Venezia umfassende Retrospektive Fragen & Blumen in der Tate Modern, London, im Kunsthaus Zürich und in den Deichtorhallen, Hamburg Einzelausstellung Are Animals People? in Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid an der Hauptausstellung Illuminations an der Biennale di Venezia vertreten. Seite 2/7,

3 Peter Fischli und David Weiss gehören zu den international angesehensten Vertretern der zeitgenössischen Schweizer Kunst. Das Aufgreifen alltäglicher Themen, oft in parodistischer Form, erlaubt einen direkten Zugang zu den Werken ohne kunsthistorisches Vorwissen. Ihre vielschichtigen Arbeiten spielen oft ironisch auf künstlerische Paradigmen an: Als Referenzpunkte können etwa Marcel Duchamp, Dieter Roth oder Jean Tinguely genannt werden. Charakteristisch für die künstlerischen Produktionen von Fischli/Weiss ist die Verwendung unterschiedlichster, oft nicht traditionell künstlerischer Medien sowie das Arbeiten in abgeschlossenen Serien, die auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. Erst aus der Distanz lassen sich einige grundlegende Themenschwerpunkte und Strategien feststellen. Bereits in ihrem ersten Film Der geringste Widerstand von 1981, der im Rückblick als eine Art Exposé für die weitere Arbeit gesehen werden kann, setzen die beiden Künstler, verkleidet als Ratte und Bär, auf einem abenteuerlichen Spaziergang durch Los Angeles dazu an, die chaotische Wirklichkeit (un)systematisch zu erfassen. Ein Jahr später wird dieser Ansatz explizit: In Plötzlich diese Übersicht zeugen rund 250 kleine Tonplastiken vom augenzwinkernden Versuch, ein visuelles Verzeichnis der Welt zu erstellen. Dabei wird zwischen banalen und bedeutsamen Dingen und Ereignissen nicht unterschieden; die Auflösung von herkömmlichen (Werte-)Hierarchien wird zu einem bestimmenden Moment in der Arbeit von Fischli/Weiss. Weitere Arbeiten, die sich diesem enzyklopädischen Streben zuordnen lassen, sind die beiden Fotoserien Bilder, Ansichten (1980), Airports (1989) sowie Siedlungen, Agglomerationen (1993), aber auch die 80 Stunden umfassende Videoproduktion Arbeiten im Dunkeln (1995), in der die Künstler unspektakuläre Szenen aus ihrem Alltag ins Museum holen. In die Sichtbare Welt (2000) reiht sich nahtlos das Schweizer Mittelland an den subtropischen Regenwald, Venedigs Sonnenuntergang an die Stadtwüste Los Angeles. Nur selten sind auf diesen Bildern Menschen zu sehen, nichts Individuelles haftet ihnen an. Sie gleichen Postkarten oder Aufnahmen aus Reiseprospekten. Alltäglich ist auch das Motiv der Blume, die um 1997 im Werk von Fischli/Weiss auftaucht. Nachdem sie an der Ausstellung Skulptur. Projekte in Münster 1997 einen Garten mit Nutz- und Zierpflanzen angelegt haben, feiern sie die Schönheit der Natur in einer Ausstellung in Paris 1999 mit wandfüllenden, doppelbelichteten Fotoprojektionen von Blumen, die fliessend ineinander übergehen und damit eine Seite 3/7,

4 kinematografische Illusion erzeugen. Mit dem Video Büsi (2001), das sechs Minuten lang eine milchschleckende Katze zeigt, wird auch die Tierwelt gewürdigt. Bezeichnenderweise kommen alle Publikationen, die diese Werkserien begleiten, ohne Begleittext und Bildlegenden aus, und auch in den Ausstellungen fehlen die entsprechenden Hinweise. Um ein Inventar oder Wertesystem zu errichten und zu festigen, bedarf es eines Regelwerkes. In mehreren Werkgruppen beschäftigen sich Fischli/Weiss mit Massstäben, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Beispiel dafür sind die Gummiplastiken, die weniger narrativ als die Tonserie von 1981 die Unterschiede sowohl in Dimension, Materialität wie auch Bedeutung zwischen Eigenheim, Krähe, Kanalarbeitern und Hundenapf einebnen. Noch deutlicher wird der aus der Manipulation der Grössenverhältnisse resultierende Erkenntnisgewinn beim Haus, das während der Skulptur-Projekte in Münster 1987 durch seine merkwürdige Zwischengrösse die umgebende Nachkriegsarchitektur konkurrenziert und gleichzeitig deutlich (Kunst-)Modell bleibt. Das Verhältnis von Schein und Wirklichkeit erfährt in den Anfang der 1990er- Jahre entstandenen Installationen Raum Hardturmstrasse, Raum unter der Treppe sowie Der Tisch eine Zuspitzung: Ein Atelierausschnitt mitsamt herumliegenden Werkzeugen und anderen Utensilien wird in Polyurethan täuschend echt nachgeformt und damit die Ready-made- Strategie Duchamps ad absurdum geführt. Das Festhalten von Situationen kurz vor der Katastrophe oder das Zusammenbrechen von Systemen ganz allgemein kennzeichnet einen weiteren Werktypus, der die Bestandesaufnahme der Welt in prozessuale Abläufe überführt: Während für die Equilibres aus der Fotoserie Stiller Nachmittag waghalsige Objektmontagen inszeniert werden, bauen die beiden Künstler im Film Der Lauf der Dinge eine Serie von mechanischen Konstruktionen in prekärem Gleichgewicht auf, setzen sie in Bewegung und initiieren damit eine Kettenreaktion unaufhaltsamer «Unfälle», die die Beziehung von Ursache und Wirkung auf erheiternde Weise illustriert. Nicht nur die sichtbare Welt, auch die Metaphysik hat es den beiden Künstlern angetan: Zurückgreifend auf den Fragentopf (1984) projizieren sie in ihrem Beitrag für die 50. Biennale di Venezia 2003 Hunderte von Fragen in einem dunklen Raum: «Warum geschieht nie Nichts?» «Kommt ein Bus?» «War ich noch nie ganz wach?» Kennzeichen dieser Fragen, die von tief trivialem bis hoch philosophischem Niveau reichen, Seite 4/7,

5 ist ihre «prinzipielle Unbeantwortbarkeit» (Boris Groys). Denn es sind keine Wissensfragen, sondern Erkundigungen über das Wesen der Welt. Vor allem aber sind es Fragen, die im philosophischen Diskurs der Moderne verboten waren, weil sie nicht der Aufklärung, sondern im Gegenteil der Verunklärung dienten. «Ich hasse dieses Chaos auf der Welt. Nichts funktioniert. Alles ist hoffnungslos und traurig», meint bereits 1981 der Bär in Der geringste Widerstand. In der Installation Fragen Projektionen ( ) erkennen wir die pessimistischen Philosophen wieder, die damals zu ihrer langen Wanderung in die chaotische Welt aufbrachen und noch immer nicht angekommen sind. Das Künstlerduo Fischli/Weiss, dessen dialogisches Grundprinzip in allen Arbeiten spürbar ist, verfolgt einen erfolgreichen Kurs zwischen konzeptuellem Anspruch, sinnlicher Vergegenwärtigung und Unterhaltungswert, der als zentrales Anliegen die Infragestellung geltender Werthierarchien innerhalb und ausserhalb der Kunst anstrebt. Das Spiel mit Authentizität und Fiktion, mit Wirklichkeit und Schein ist die Klammer, die alle ihre Arbeiten, so unterschiedlich sie vordergründig sind, zusammenhält. Werke: The Baltimore Museum of Art; Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kunstmuseum und Museum für Gegenwartskunst; Basel, Schaulager der Emanuel Hoffmann-Stiftung; Museu d Art Contemporani de Barcelona; Berlin, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart; Kunstmuseum Bern; Frankfurt am Main, Museum für Moderne Kunst; London, Tate Britain; Los Angeles, The Museum of Contemporary Art; München, Sammlung Goetz; New York, Solomon R. Guggenheim Museum; New York, Museum of Modern Art; Paris, Centre Georges Pompidou, Musée national d'art moderne; Saarbrücken, Kraftwerk, Ohne Titel, 1990; San Francisco Museum of Modern Art; Vaduz, Kunstmuseum Liechtenstein; Vancouver Art Gallery; Winterthur, Fotomuseum; Kunstmuseum Wolfsburg; Kunsthaus Zürich; Zürich, Sammlung Hauser & Wirth; Zürich, Haus mit Schrift, 1991, Siebdruck auf Hausfassade; Zürich, Neue Börse, Ohne Titel, 1992,. Edith Krebs, 2005, aktualisiert 2015 Literaturauswahl - Peter Fischli David Weiss. How to Work Better. New York, The Solomon R. Guggenheim Museum, 2016; Mexico City, Museo Jumex, Organized by Nancy Spector and Nat Trotman. New York, Munich: Seite 5/7,

6 Seite 6/7, Guggenheim, DelMonico Books, Prestel - Peter Fischli. David Weiss Views of Airports. Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König, Renate Goldmann: Peter Fischli, David Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Ausstellungen. Ein offener Index. Köln: Walther König, 2006 (Kunstwissenschaftliche Bibliothek 25) - Peter Fischli & David Weiss. Fragen & Blumen. Eine Retrospektive. London, Tate Modern, ; Kunsthaus Zürich, 2007; Hamburg, Deichtorhallen, Bice Curiger, Peter Fischli und David Weiss (Hrsg.). Zürich: JRP/Ringier, Robert Fleck, Beate Söntgen and Arthur C. Danto: Peter Fischli / David Weiss. London: Phaidon, Peter Fischli, David Weiss. Sichtbare Welt. Museo d'art Contemporani de Barcelona, Köln: Walther König, 2000 [im Rahmen der Ausstellung Peter Fischli David Weiss. Món visible] - Peter Fischli, David Weiss. Musée d'art Moderne de la Ville de Paris, [Text:] Boris Groys. Paris: Musée d'art Moderne de la Ville de Paris; Köln: Walter König, Peter Fischli, David Weiss. Gärten. Köln: Oktagon, 1998 [Publikation anlässlich der Ausstellung Skulptur. Projekte in Münster, ] - Peter Fischli, David Weiss. Die Filme. Berlin, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Katalog: Anne Marie Freybourg und Eugen Blume. Berlin, Peter Fischli, David Weiss. In a Restless World. Minneapolis, Walker Art Center, 1996; [...]; Wolfsburg, Kunstmuseum [Texts:] Elizabeth Armstrong, Arthur C. Danto and Boris Groys. Minneapolis, 1996 [deutsche Parallelausgabe unter dem Titel Peter Fischli, David Weiss, Arbeiten im Dunkeln] - Peter Fischli, David Weiss. Siedlungen, Agglomeration. Kunsthalle Zürich, Zürich: Patrick Frey, Das Geheimnis der Arbeit. Texte zum Werk von Peter Fischli & David Weiss. Kunstverein München, 1990; Düsseldorf, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Hrsg.: Patrick Frey. München und Düsseldorf, Patrick Frey: Ein ruheloses Universum. Zu den gemeinsamen Arbeiten von Peter Fischli und David Weiss. Kunsthalle Basel; Groninger Museum, Zürich, Peter Fischli, David Weiss. Stiller Nachmittag. Kunsthalle Basel, Peter Fischli, David Weiss. Plötzlich diese Übersicht. Zürich: Stähli, 1982 [Künstlerbuch zur Ausstellung, ; 4. Auflage,

7 2001] Nachschlagewerke Verweise - Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst. Dictionnaire biographique de l'art suisse. Dizionario biografico dell'arte svizzera. Hrsg.: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich und Lausanne; Leitung: Karl Jost. Zürich: Neue Zürcher Zeitung, 1998, 2 Bde. - Künstlerverzeichnis der Schweiz. Unter Einschluss des Fürstentums Liechtenstein. Répertoire des artistes suisses, la Principauté du Liechtenstein incluse. Dizionario degli artisti svizzeri, incluso il Principato di Liechtenstein Hrsg.: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich und Lausanne; Leitung: Karl Jost. Frauenfeld: Huber, 1991 Weiss, David (* Zürich, Zürich) Fischli, Peter (* Zürich) Direktlink Letzte Änderung Disclaimer Alle von SIKART angebotenen Inhalte stehen für den persönlichen Eigengebrauch und die wissenschaftliche Verwendung zur Verfügung. Copyright Das Copyright für den redaktionellen Teil, die Daten und die Datenbank von SIKART liegt allein beim Herausgeber (SIK-ISEA). Eine Vervielfältigung oder Verwendung von Dateien oder deren Bestandteilen in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung von SIK-ISEA nicht gestattet. Empfohlene Zitierweise AutorIn: Titel [Datum der Publikation], Quellenangabe, <URL>, Datum des Zugriffs. Beispiel: Oskar Bätschmann: Hodler, Ferdinand [2008, 2011], in: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, Zugriff vom Seite 7/7,