Dr. med. Magnus Heier. Nocebo: Wer s. glaubt wird krank. Gesund trotz Gentests, Beipackzetteln und Röntgenbildern. mit Cartoons

Transkript

1 Dr. med. Magnus Heier Nocebo: Wer s glaubt wird krank Gesund trotz Gentests, Beipackzetteln und Röntgenbildern H I R Z E L mit Cartoons

2 Inhalt Ein paar Worte zu Beginn Placebo und Nocebo heimliche Heiler und unheimliche Krankmacher Placebo: die gute Seite der Suggestion Nocebo: Angst, Röntgenbilder und falsche Worte machen krank Wie der Glaube im Körper wirkt Exkurs: Livebilder aus dem Gehirn Nicht eingebildet, sondern echt: wie Placebos und Wunderheilungen funktionieren Hirn und Nocebo Ein Herz und eine Seele Voodoo: Der schwarze Magier braucht gläubige Patienten Nocebo bei Tieren die Projektion von Frauchen und Herrchen. 63 Ärzte, Ängste und der Alltag in den Praxen Rückenschmerz: schöne Röntgenbilder, schlechte Prognosen. 69 Beipackzettel: Ein Blatt Papier macht krank Blau, rot oder gelb: Farbe, Form und Preis der Tabletten bestimmen ihre Wirkung Risiko Privatpatient von eifrigen Ärzten, Check-up-Kliniken und vielen Befunden Internet, Zeitschriften, Fernsehen: Es geht auch ohne Arzt Cyberchonder: Google statt Arzt Morbus Mohl: Eine Fernsehsendung wird zur Dienstagskrankheit Massenhysterie und Elektrosmog Lebensmittel machen krank Wunderheiler außer Kontrolle Inhalt 5

3 Die Zukunft Gläserne Gene: Statistische Risiken machen krank Was tun? Die Falle der Aufklärung Aufklärung und Unheilbarkeit: Wie viel Wahrheit erträgt der Mensch? Placebo und Nocebo: Was tun? Anhang Was Andere sagen Das Internet für Patienten und Ärzte Quellen Register Inhalt

4 Wunderheiler außer Kontrolle Der Wunsch nach Heilung macht Patienten unkritisch und lässt viele Osteopathen, Heilpraktiker und Ärzte jenseits aller Vernunft praktizieren. Ein Fall aus der Praxis Ich war mit meiner Migräne beim Osteopathen. Er hat festgestellt, dass sie von meiner Leber kommt, weil die nicht ausreichend durchblutet ist. Was meinen Sie dazu? Die Frage kommt von einer jungen Frau im Publikum. Ich halte einen Vortrag über Migräne aus Sicht des Neurologen streng schulmedizinisch. Und so frage ich nach: Wie hat er denn gemessen? Die Antwort ist verblüffend: Er hat seine Hand auf den Bauch gelegt und die Durchblutung gemessen. Mit der Hand? Mit der Hand! Auch wenn einige im Publikum amüsiert sind: Der Frau ist es ernst. Sie will eine Bestätigung ihrer Therapie. Und sie ist nicht belustigt, als sie die nicht bekommt. Sie will und wird weiter an ihren Osteopathen glauben. Und sie will nichts hören von Entzündungen als Ursache der Migräne, von Entspannungstechniken oder gar von Tabletten. Sie hat ihren Heiler. Die Behandlung ist frei Was ist eigentlich ein Osteopath? Es gibt zwei Möglichkeiten: Es gibt Osteopathen, die haben eine sich über fünf Jahre hinziehende Ausbildung mit Wochenendkursen absolviert. Die Voraussetzung dafür: Sie müssen schon vorher Arzt sein, Krankengymnast, Heilpraktiker oder Bademeister. Die leichtere Methode ist: sich einfach Osteopath zu nennen. Denn der Begriff ist nur in Hessen geschützt. In den anderen 15 Bundesländern darf jeder ein Osteopath sein. Wie viele Menschen in Deutschland einfach so praktizieren, ist unbekannt. Aber ihr Leistungsspektrum ist groß: Obwohl auf der Homepage des Verbandes nur davon die Rede ist, Bewegungseinschränkungen aufzuspüren und zu lösen wird die Osteopathie auch gegen Herzrhythmusstörungen eingesetzt oder eben gegen Migräne. Sogar Depressionen gehören zum Spektrum. Osteopathie gegen Depressionen 106 Internet, Zeitschriften, Fernsehen: Es geht auch ohne Arzt

5 ist Humbug es gibt keine einzige wissenschaftlich fundierte Untersuchung, die irgendeinen Nutzen dieser Behandlung im psychiatrischen Bereich auch nur andeutet, sagt Frank Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Gemacht wird es trotzdem und von vielen Kassen sogar bezahlt. Gefährlich ist es allerdings nur indirekt: Durch die Behandlung kann akut bedrohten Patienten eine direkt wirksame Behandlung vorenthalten werden. Was bei Migräne schmerzhaft, bei Depressionen lebensgefährlich werden kann. Dürfen die das? Sie dürfen! Schulmedizinische Behandlungen unterliegen einer Kontrolle alternativmedizinische nicht. Wie auf einer Kaffeefahrt Mit Kochsalz gegen Schmerzen hieß das Thema des Vortrags. Der Referent stellt eine vermeintlich hochwirksame Behandlung vor: Eine Kochsalzlösung wird in spezielle Nervenknotenpunkte gespritzt. Das Verfahren sei vollkommen unschädlich. Ist dabei aber erstaunlich wirksam und universell: gegen Rückenschmerzen und Gelenks arthrose, gegen Tinnitus und Migräne, gegen Herzschwäche und Erkrankungen der inneren Organe. Also praktisch gegen alles. Und in einem Video wird sogar ein Mann vorgestellt, der im Rollstuhl gesessen hatte und durch die Kochsalzinjektionen von seiner Lähmung geheilt wurde. Wunderheiler außer Kontrolle 107

6 Der Referent bleibt auch auf Nachfrage jeden Beleg für die angepriesene Heilmethode schuldig. Es gibt offensichtlich keine Studien. Aber die Zuhörer wollen es nur zu gern glauben. Und sie sehen sogar über die erheblichen Kosten von mehreren tausend Euro hinweg wenn es denn hilft. Die einzige Frage, die wirklich diskutiert wird, lautet: Zahlt die Kasse? Und tatsächlich obwohl es keinen Beleg für die Wirksamkeit dieser potenziell auch gefährlichen Behandlung gibt, wird sie von den privaten Kassen meist erstattet. Sogar von einigen der gesetzlichen, wie der Referent betont. Weitere Nachfragen sind nicht möglich, der Referent will den Kritiker sogar des Saales verweisen: Sie sind vermutlich Arzt? Wir haben schon seit langem aufgegeben, mit Ärzten zu diskutieren. Dabei ist sein Chef eben auch Arzt Orthopäde. Aber auch das lässt die Zuhörer nicht aufhorchen. Sie haben Schmerzen, sie suchen oft seit Jahren nach einer Lösung. Und wenn ein skrupelloser Mediziner diese Lösung verspricht, wird ihm geglaubt. Am Ende des Vortrags werden Finanzierungspläne vorgestellt wenn die Kasse nicht zahlt, kann man die Kosten der Kochsalzinjektionen auch abstottern. Ein Nachtrag: Der Orthopäde ist in einem Fachverband organisiert, womit er auf seiner Homepage auch wirbt, und damit seine Seriosität unterstreicht. Eine Nachfrage beim Verband führt dort nur zu einer kurzen Irritation. Handlungsbedarf sieht man nicht. Der Orthopäde darf weiter spritzen. In aller Kürze Wer sich in Deutschland medizinisch behandeln lässt, geht meist davon aus, dass der Therapeut und seine Methode in irgendeiner Weise kontrolliert werden. Im schulmedizinischen Bereich ist das tatsächlich der Fall: Medikamente müssen sich in Studien beweisen, Ärzte müssen studieren, Fachärzte eine Weiterbildung absolvieren. Im alternativmedizinischen Bereich ist es anders: Hier ist erlaubt, was der Therapeut sich zutraut. Und Therapeut ist, wer sich so nennt. Ein weißer Kittel, eine Praxis, eine Phantasieurkunde sind keine Garantie für eine verantwortungsvolle Behandlung. 108 Internet, Zeitschriften, Fernsehen: Es geht auch ohne Arzt

7 Die Zukunft

8 Gläserne Gene: Statistische Risiken machen krank Immer mehr Gentests bieten immer mehr Informationen über immer mehr Krankheitsrisiken gegen die meisten gibt es keine Therapie. Ein Fall aus der Praxis Eigentlich ging es um Osteoporose: Die 50-Jährige sollte getestet werden, um herauszufinden, woher ihre Osteoporose kam. Aber irgendwie hatte ihr Arzt auf dem Anforderungszettel sehr großzügig angekreuzt. Und ohne dass die Frau wirklich begriffen hatte, worum es ging, hielt sie am Ende einen zehnseitigen Bericht über ihre genetischen Risiken in der Hand. Nicht nur über Osteoporose. Sondern umfassend. Sie verstand nichts. Der Bericht warnte aber an einigen Stellen vor erhöhten Risiken. Ihr Hausarzt setzte sie schließlich noch zusätzlich unter Druck: Es wäre, wegen der Risiken, sinnvoll, auch ihre Töchter zu testen. Völlig verunsichert kam sie schließlich in die Genambulanz der Kölner Uniklinik. Das Urteil der Experten: Humbug. Die Tests waren größtenteils noch nicht einmal wissenschaftlich kontrolliert. Ein weiterer Test ihrer Töchter war verzichtbar die lange Unsicherheit der Frau auch. Die Popstars der Genetik Besondere Entdeckungen verdienen besondere Maßnahmen: Im Jahr 1953 entdeckten die beiden Genies James Watson und Francis Crick die Sprache unseres Körpers die Molekülstruktur der DNA. Sie hatten verstanden, dass diese Sprache aus vier Basen besteht, die wie vier Buchstaben alle für das Leben relevanten Informationen im jedem Zellkern gleichermaßen abspeichern. Die jungen Forscher (Watson war 25, Crick 37) waren so von sich begeistert, dass sie so erzählt man sich noch heute in Cambridge, dem Ort dieser Entdeckung in den benachbarten Pub gingen und dort eine Kurzvorlesung über ihre Entdeckung hielten. Eine Tafel würdigt heute den Ort dieser Kneipenlesung. Mehr Selbstbewusstsein geht nicht. Normalerweise werden Gläserne Gene 111