Sabu ein Elefant auf Abwegen Glasbauten: Todesfalle für Vögel

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1 3/2010 PRO SCHWEIZERISCHE GESELLSCHAFT FÜR TIERSCHUTZ Sabu ein Elefant auf Abwegen Glasbauten: Todesfalle für Vögel

2 Vogelschlag : Glasfassaden als Todesfallen Oben : Vögel werden durch die Spiegelung verleitet, zu den vermeintlichen Bäumen zu fliegen und kollidieren in vollem Flug mit dem Glas. Von Nathalie Dubois und Helen Weiss Jedes Jahr werden in der Schweiz rund eine Million Vögel Opfer von Kollisionen mit Glasgebäudefronten. Denn Vögel können Glas nicht als Hindernis erkennen. Moderne Architektur um jeden Preis oder bringt urbanes Bauen auch eine ethische Verantwortung mit sich, Vogelschutz-relevante Aspekte zu berücksichtigen? Ein dumpfer Schlag kündet von einem neuerlichen Unglück. Mit gebrochenem Genick und verdrehten Flügeln liegt die Amsel tot auf dem Boden. Vögel können Glas nicht erkennen sie sehen nur die Landschaft, die durch das Glas hindurch sichtbar ist oder sich darin spiegelt. Die gefiederten Wildtiere fliegen deshalb oft mit voller Wucht gegen Fensterscheiben und Glasfronten. Doch wie viele Vögel werden tatsächlich Opfer der für sie unsichtbaren Fallen? Im September 2009 lancierte das Wissensmagazin «Einstein» des Schweizer Fernsehens zusammen mit der Vogelwarte Sempach und dem Schweizer Vogelschutz SVS unter dem Namen «Vogelkiller Glas» eine Studie zur Beobachtung von problematischen Fenster- und Glasflächen. Denn bisher war das Problem von Vogelkollisionen zwar bekannt, aber genauere Zahlen fehlten. Die Resultate der Erhebung zeigten : Selbst Scheiben und Fenster, die von Fachleuten als eher unproblematisch eingestuft wurden, haben zum Tod von Vögeln geführt. Sie ergaben zudem, dass unter den Opfern sämtliche Vogelarten zu finden sind : vom Zaunkönig bis zum Eichelhäher. Die Zahl der jährlichen Scheibenopfer für die Schweiz dürfte um ein Vielfaches höher liegen als bis anhin vermutet. Die Fachleute gingen aufgrund einer amerikanischen Studie von ein bis zwei toten Vögeln pro Jahr und Gebäude aus. «Vogelkiller Glas» zeigte, dass im Durchschnitt aber fünf bis sechs Vögel je Haus realistisch sind. Somit sterben jährlich rund eine Million Vögel allein in der Schweiz. Die 10 ProTier 3/10

3 Problematik verschärft sich jeweils massiv, wenn sich Zugvögel im Herbst auf den Weg in den Süden machen. «Das sind jedoch Hochrechnungen», sagt Eva Inderwildi, Projektleiterin Vögel und Glas beim Schweizer Vogelschutz SVS / BirdLife Schweiz. Denn nicht alle Vögel sterben sofort, sondern leben zum Teil noch stunden- oder tagelang, bevor sie an inneren Verletzungen zugrunde gehen. Zudem sind tote oder verletzte Tiere am Fuss von Gebäuden ein gefundenes Fressen für Marder, Füchse und Katzen, die solche «Futterstellen» regelmässig aufsuchen. Bau-Trend zu «Glaspalästen» Glas liegt derzeit im Trend und ist bei vielen Architekten ein immer beliebteres Gestaltungselement. Gerade im urbanen Bereich werden viele Prestigebauten komplett verglast gebaut. Aktuelles Beispiel ist der Prime Tower in Zürich mit seiner durchgehenden Fassade aus insgesamt 4300 Glasplatten über eine Gesamthöhe von 126 Metern. Vor einigen Jahren hat bereits das praktisch komplett verglaste «Elsässertor» in Basel Negativschlagzeilen gemacht, weil unzählige Vögel an den spiegelnden Glasfronten den Tod gefunden haben (siehe Kasten). Eine ähnliche Todesfalle könnte der Neubau des Messezentrums, ebenfalls in Basel, darstellen. Lange Zeit war in der Architektur das Vogelsterben an Glasscheiben ein kaum beachtetes Thema und in der einschlägigen Literatur über Glasarchitektur praktisch inexistent. Mit dem zunehmenden Trend hin zum Bau von «Glaspalästen» drängt sich eine Auseinandersetzung mit der Problematik aber immer mehr auf. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen Vogelschutzorganisationen, Wissenschaft und Architekten zur Ausarbeitung lösungsorientierter Ansätze und Entwicklung neuer Technologien ist unumgänglich. Architekten und Behörden tragen Mitverantwortung Quelle : Marc Tschudin Quelle : Marc Tschudin 1 Star 3 Gimpel 2 Neuntöter 4 Bild 1 : Die Problematik des Vogelschlags verschärft sich, wenn sich die Zugvögel ab Mitte August auf den Weg in den Süden machen. Bild 2 & 3 : Rund eine Million Vögel werden jährlich allein in der Schweiz Opfer der unsichtbaren Todesfalle Glas. Bild 4 & 5 : Tote oder verletzte Tiere nach einer Kollision sind ein gefundenes Fressen für Marder, Füchse und Katzen. Es ist illusorisch Bauten mit Glasfassaden zum Schutz der Vögel verbieten zu wollen. Es kann aber nicht sein, dass gesetzliche Bestimmungen zum Vogelschutz, die bei einer Baueingabe zwingend erfüllt sein müssten, fehlen. Deshalb ist es überaus wichtig, dass auch vermehrt die Bau- und Verwaltungsbehörden ihre, letztlich auch ethische, Verantwortung wahrnehmen. So hatte noch 2006 die Stadt Zürich die Baubewilligung Ringeltaube 5 ProTier 3/10 11

4 Die neue Haltestelle am Wettsteinplatz in Basel ist ein Beispiel vorbildlicher Bauweise : ansprechendes, modernes Design, das durch die Streifenmuster für die Vögel als Hindernis erkannt wird. für den Prime Tower unverständlicherweise ohne jegliche Auflagen für die Fassadengestaltung erteilt. Die Ausarbeitung von Richtlinien und Auflagen bei Neubauten mit Glasfassaden ist für den Vogelschutz also dringend erforderlich. Es kann nicht einfach dem Goodwill des Architekten oder Bauherrn überlassen werden, sich Gedanken zum Vogelschutz zu machen und nach Gutdünken geeignete Mittel zur Verhinderung von Vogelschlag in Betracht zu ziehen. Denn gerade in den Städten gibt es immer weniger Platz für Mensch und Tier. Wir tragen deshalb aus ethischer Sicht eine Verantwortung, mit unserem Lebensraum und dem unserer Mitgeschöpfe, sorgsam und umweltverträglich umzugehen. Ökologisches, sprich klimaverträgliches Bauen ist bereits an der Tagesordnung. Dasselbe sollte in naher Zukunft auch für eine gewisse Tierschutzverträglichkeit gelten. Interessanterweise haben Studien ergeben, dass oftmals Lösungen, die einen angemessenen Vogelschutz bieten, sich auch klimatechnisch optimal verhalten. Mögliche Massnahmen und Lösungen In Deutschland etwa wurde in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck- Institut für Ornithologie ein Spezialglas namens Ornilux entwickelt. Eine neuartige Beschichtung mit UV-optischer Wirkung sorgt dafür, dass die Vögel das Glas leichter als Hindernis erkennen. «Ohne den Menschen die Sicht zu behindern, mindert Ornilux das Risiko von Vogelschlag um rund drei Viertel», heisst es seitens des Herstellers. «In der Schweiz durchgeführte Tests mit ähnlichem Glastyp zeigten jedoch kein solch eindeutiges Resultat», bedauert Eva Inderwildi vom SVS. Die Fachfrau weist deshalb auf Markierungen hin Streifen oder graphische Muster die vom Hersteller direkt ins Glas gefräst werden. Die Form der Musterung spielt dabei keine Rolle. «Dadurch spiegelt die Scheibe nicht mehr und wird von Vögeln als Hindernis erkannt», erklärt Inderwildi. Vogelschutzfolie, aber auch Kinderzeichnungen mit Fensterfarbe oder Wandtattoos, die aussen auf die Scheibe aufgeklebt werden, schützen Vögel vor der Todesfalle Glas. Überhaupt liegt eine grosse Hoffnung in der Entwicklung neuer Technologien, um für den Menschen nicht oder kaum, wohl aber für Vögel, sichtbare Strukturen in das Glas einzuarbeiten. Auch die Reduzierung des Aussenreflexionsgrads, und damit der Spiegelwirkung des Glases auf maximal 15 Prozent, entschärft das Problem. Weitere geeignete Massnahmen sind spezielle Netze, bombiertes (gewölbtes) Glas oder geneigte Glasflächen. Vogelschutz im privaten Bereich Doch auch wer sich im privaten Bereich in einem Neubau oder einer Mietwohnung mit grossflächigen 12 ProTier 3/10

5 Glasscheiben konfrontiert sieht, kann Abhilfe schaffen. Zur Abschreckung gedachte Greifvogel-Silhouetten sind dabei jedoch wenig wirkungsvoll, besonders dann nicht, wenn sie von innen an die Scheiben geklebt werden. Durch die Spiegelung können viele Vögel sie nicht erkennen. Zudem werden solche schwarze Silhouetten in der Dämmerung ganz und gar wirkungslos. Daher wären, wenn überhaupt, gelb-rote Aufkleber zu wählen, wie sie bei der Schweizerischen Vogelwarte Sempach erhältlich sind. Um wirksam zu sein, müssen die Markierungen aber dicht genug (etwa eine Handbreite) angebracht werden. Die Fenster müssen jedoch nicht zwingend mit Silhouetten von Greifvögeln beklebt werden. Ebenso wirkungsvoll sind etwa so genannte «Birdstripes», gelbe, zwei Zentimeter breite Streifen, die im Abstand von vier bis zehn Zentimetern senkrecht von aussen auf die Scheibe geklebt werden. Der SVS bietet zudem halbtransparente Folien in Kreis- oder Quadratform zum Aufkleben an. Erste Hilfe Massenkollision am Elsässertor in Basel Im Herbst 2005 kam es zu einer aussergewöhnlichen Invasion von Tannenmeisen, wie sie nur alle paar Jahre vorkommt. Damals fielen rund um das Elsässertor zu Dutzenden tote Vögel vom Himmel. Der prunkvolle Neubau entpuppte sich als tödliche Vogelfalle. Obwohl man die Probleme mit Vögeln und Glasfassaden kannte, dachten die Star-Architekten Herzog & de Meuron offenbar keinen Moment an Vogelschutz. Die Ästhetik war ihnen wichtiger. Pro Tag starben an diesem Bau 20 bis 30 Vögel. Die kollidierten Tiere lagen überall tot auf dem Boden. Ein jämmerliches Bild. Zusätzlich zum Verhängnis wurden den Vögeln die um das Gebäude gepflanzten Bäume, die sich im Glas spiegeln und ihnen eine «Scheinwelt» vorgaukeln. Im Sinne einer kurzfristigen Massnahme liess man einen Teil der Fensterfront mit speziellen Netzen verkleiden. Damit wurde dem Glas die Spiegelung genommen und das Gebäude, für Vögel, als Hindernis erkennbar. Die Netze wurden nach dem Vogelzug aber wieder entfernt. Weitere, längerfristige Vorkehrungen sind bisher unverständlicherweise nicht getroffen worden, die Vogelfalle ist somit keineswegs entschärft. Sollte es wieder zu einer ähnlichen Vogelinvasion kommen ist das nächste Massaker vorprogrammiert. Findet man einen verunfallten, noch lebenden Vogel, sollte man ihn behutsam in eine Kartonschachtel mit Luftlöchern legen, die man ein bis zwei Stunden an einem dunklen, ruhigen Ort stellt. Vögel ziehen sich bei solchen Kollisionen im besten Fall «nur» eine Hirnerschütterung zu, von der sie sich bei entsprechender Ruhe relativ schnell wieder erholen. Danach kann man den Patienten draussen, in der Nähe von schützenden Sträuchern, wieder frei lassen. Gelingt es dem Vogel aber nicht zu starten oder ist er beim Auffinden offensichtlich verletzt oder blutet sogar, sollte er sofort in eine Pflegestation oder zu einem Tierarzt gebracht werden (siehe Links). «Vögel haben nach dem Aufprall oft schwere, innere Verletzungen», so Inderwildi. Die Chancen auf Heilung stehen deshalb leider meist schlecht. Weitere Informationen : Schweizer Vogelschutz SVS / BirdLife Schweiz Postfach 8036 Zürich T : svs@birdlife.ch Schweizerische Vogelwarte 6204 Sempach T : info@vogelwarte.ch Leitfaden «Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht» / Download unter Links : Pflegestationen für verunfallte Vögel : pflegestationen.pdf Merkblätter Vögel und Scheiben : merkblaetter.html ProTier 3/10 13