Flüchtlinge und Kriminalität

Transkript

1 Bremen, 4. November 2016 Flüchtlinge und Kriminalität Dr. Christian Walburg

2 I. Flüchtlinge: Über wen sprechen wir überhaupt? Diskurs über Zuwanderung aus Drittstaaten: (Hoch-)Qualifizierte Arbeitnehmer Flüchtlinge isv GFK, Qualifikations-RL, GG Wirtschaftsmigranten / -flüchtlinge gesellschaftlicher Aushandlungsprozess (Bsp.: Roma/Balkan, Afghanen, seit März 2016: Syrer aus der Türkei ) nationale ökon. und polit. Interessen Menschenrechte, Moral survival migration : Motivbündel, keine trennscharfe Unterscheidbarkeit zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Migration

3 Facetten des Themas Migration/Flucht und Kriminalität Kriminalität als Ursache von Migration Kriminalität durch Migranten Kriminalisierung von Migration / Migranten Migration und Kriminalität Kriminalität gegenüber Migranten Strafrecht und gesellschaftliche Pluralisierung Art u. Funktion des Diskurses über Migrantenkriminalität

4 II. Flüchtlinge in der Polizeilichen Kriminalstatistik Unterteilung der nichtdeutschen Tatverdächtigen nach dem Aufenthaltsgrund Asylbewerber TV Geduldete (z.b. abgelehnte Asylbewerber) TV Kontingent-/Bürgerkriegsflüchtlinge TV Illegal Aufhältige TV Nicht gesondert: anerkannte Asylbewerber Neue Sammelkategorie (seit 2015): Zuwanderer TV Gesamt: 5,7% Leben: 8,2% Sex. Selbstbestimmung: 4,8% Körperverletzung: 5,7% TV gesamt (2015): rund 2 Mio. TV-Anteile Zuwanderer : Raub: 11,1% Ladendiebstahl: 14,2% Taschendiebstahl: 33,5% Wohnungseinbruch: 10,2% Beförderungserschleichung: 12,3%

5 Deliktsspektrum bei Zuwanderern (PKS 2015) Sonstige Delikte (13%) Gef./schw. Körperverletzung (10%) Ladendiebstahl (34%) Einfache Körperverletzung (14%) Sonst. Diebstahl (10%) Beförderungserschleichung (19%)

6 Flüchtlinge und registrierte Kriminalität: Zwischenfazit Nur ein kleiner Teil strafrechtlich auffällig; viele Nichtauffällige, kleine Gruppe von (z.t. hochbelasteten) Mehrfachtätern Geringere Registrierungshäufigkeit als in den 1990er Jahren (obwohl jünger, mehr Alleinreisende) Wie in den 90er Jahren dominieren bei den meisten Bagatelldelikte deutliche Unterschiede nach Herkunft: - Geringe Anteile bei Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen (v.a. Syrien, Irak; auch: Afghanistan) günstige Bleibeperspektive, Integrationsangebote 35,3 - Höhere Anteile bei Menschen aus anderen Herkunftsregionen ungünstige Perspektiven, aber z.t. auch andere demographische / soziale Zusammensetzung; z.t. schon vor Einreise straffällig (Bsp. Teil der Migranten aus dem Maghreb; Georgien)

7 III. Erfahrungen und Perspektiven 1. Generation erwachsener Flüchtlinge / Migranten: Late Onset (später Einstieg in Kriminalität) ab gewissem Alter auch nach Migration unwahrscheinlich; zudem häufig vermutet: geringere Erwartungen, geringere Frustrationen? (Perspektive auf) Zugang zum Arbeitsmarkt zentral lange Phasen der Statusunsicherheit, Passivität und Isolation vermeiden zügig Sprachförderung, Berufsqualifizierung, Kontakte; Familiennachzug?! wenig Erkenntnisse zu (unbegleiteten) Jugendlichen, Heranwachsenden und Jungerwachsenen; besondere Herausforderungen? Soweit geringe soziale Bindungen, (zunächst) unklare Perspektiven und Enttäuschungen/Frustrationen: Risiken des Abrutschens in kriminelle Milieus? Sonderfall Migration bereits Straffälliger

8 Ausländische Tatverdächtige (Diebstahlsdelikte) nach Anlass des Aufenthalts (Quelle: BKA, PKS) Unerlaubter Aufenthalt Touristen/Durchreisende Sonstiger legaler Aufenthalt (ab 2010: ohne Geduldete) Stationierungskräfte Gewerbetreibende Geduldete Asylbewerber Student/Schüler Arbeitnehmer Jahr

9 Zweite Generation (als Kinder zugewandert / hier geboren) in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten erhöhte Risiken Wesentlich: Teilhabechancen, Perspektiven, Zugehörigkeitsgefühl; Gewaltakzeptanz: Hinweise auf herkunftskulturelle Einflüsse (z.b. KFN: Kultur der Ehre /gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen); aber auch (stärker) Ausfluss von marginalisierter Männlichkeit (d.h. abhängig von sozialer Lage im Aufnahmeland); Straßenkultur als Ergebnis von Identitätsproblemen und Suche nach Anerkennung unterprivilegierter männlicher Jugendlicher (z.b. Zdun 2007 in Bezug auf die mitgenommene Generation junger (Spät-)Aussiedler) Familien (z.t. geschwächte Bindungen/Aufsicht; Konflikte) zentraler gesellschaftlicher Ansatzpunkt: Kitas, Schulen offenes Aufnahmeklima Delinquenz bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund (v.a. 3. Generation) zuletzt ebenso wie bei autochthonen Jugendlichen stark rückläufig (auch: Gewalt) (s. Walburg 2016)

10 Besondere Risiken Zusammenhänge mit Aufenthaltsstatus Studie NL (Asylsuchende , Tatverdächtige 2004) anerkannte Asylbewerber 3,4% Asylbewerber im Verfahren 5,4% abgelehnte Asylbewerber 9,9% v.a. Überlebenskriminalität (Diebstahl, Drogenhandel ) (de Boom / Snel / Engbersen 2010) Risiken der Separierung und Marginalisierung von Zuwanderern mit (unterstellter) geringer Bleibeperspektive (aktuell z.b. Afghanistan) Steigender Anteil von Geduldeten und irregulär Aufhältigen ohne Zugang zum (formellen) Arbeitsmarkt, begrenzter Zugang zu Sozialleistungen Differential Opportunity Structures : Straffälligkeit abhängig von 1. Zugang zu formellen Institutionen, 2. Zugang zu informellen, legalen Institutionen (Community), 3. Zugang zu illegalen Institutionen (kriminelle Strukturen) Nebenwirkungen einer auf Abwehr/Abschreckung unerwünschter Migration ausgerichteten Politik: Überlebenskriminalität, Schleuserkriminalität

11 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kontakt:

12 Literaturhinweise: Baier et al. (2009): Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt ( De Boom, Snel, Engbersen (2010): Asielmigratie, verblijfstatussen en criminaliteit, in Tijdschrift voor Criminologie 2010 (52/2), S. 155 Engbersen et al. (2015): No time to lose: from reception to integration of asylum migrants ( Policy_Briefs/WRR_Policy_Brief_WEB_-_No_time_to_lose_04.pdf) Walburg (2014): Migration und Jugenddelinquenz (Münster: Waxmann) Walburg (2016): Migration und Kriminalität aktuelle kriminalstatistische Befunde ( Zdun (2007): Ablauf, Funktion und Prävention von Gewalt: Eine soziologische Analyse gewalttätiger Verhaltensweisen in Cliquen junger Russlanddeutscher (Frankfurt a.m.: Peter Lang)