Gottesdienst am (1.Advent) Predigt zu Offenbarung 5,1-7

Transkript

1 1 Gottesdienst am (1.Advent) Predigt zu Offenbarung 5,1-7 von Pfr. Dr. Jochen Denker 1 Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. 2 Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme: Wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen? 3 Und niemand, weder im Himmel noch auf Erden noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. 4 Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. 5 Und einer von den Ältesten spricht zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, aufzutun das Buch und seine sieben Siegel. 6 Und ich sah mitten zwischen dem Thron und den vier Gestalten und mitten unter den Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet; es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die sieben Geister Gottes, gesandt in alle Lande. 7 Und es kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß. Offenbarung 5,1-7 heute beginnt das neue Kirchenjahr. Mit Vorbereitung auf das Kommen Jesu soll es beginnen, Wir wollen unser eigenes Leben und das Leben auf unserer Erde im Licht des kommenden Herrn anschauen, der richten wird, zurechtbringen, heilen und befreien. Letzten Sonntag haben wir die große Trost- und Hoffnungsbotschaft gehört, die am Ende der Offenbarung laut wird: Gott wir sein Zelt aufschlagen unter den Menschen. Leid, Geschrei, Schmerz und Tod werden nicht mehr sein und alles was uns von Gott trennt, wird weggenommen. Der Bibeltext heute lenkt unseren Blick zunächst noch einmal von der großen Verheißung weg auf die Wirklichkeit, in der wir leben und die uns oft große Not macht, weil Unrecht, Geschrei, Leid und Tod eben noch immer das Leben prägen. Auf so vieles finden wir keine Antwort, aber Antworten bräuchten wir, weil wir verstehen müssen, um Frieden finden zu können.

2 Unser eigenes Leben und das unserer Welt ist uns oft ein Buch mit sieben Siegeln. Könnten wir doch in ihm lesen. Könnten wir verstehen, was um uns und in uns geschieht, vielleicht wären wir dann ruhiger und getroster. Aber wir können es nicht. Unser Leben ist uns stets eine Frage. Und wir erleben Dinge, die uns deutlich machen, dass es sogar fraglich ist. Wenn in unserer Familie oder Nachbarschaft Krankheit und Tod nach Menschen greift, wird uns bewusst, wie gefährdet unser eigenes Leben ist. Wer kann sich denn seines Lebens sicher sein? Niemand! Der Tod wartet nicht irgendwo am Ende einer langen Strecke auf uns, sondern sozusagen immer am Wegesrand, jeden Moment des Lebens gleich nah oder fern. Unsere nackte Existenz ist schon für die kommende Stunde fraglich. Wenn wir sehen, was Menschen Menschen antun, bleiben oft nichts als Fragezeichen. Wenn uns klar wird, dass die Natur nicht nur wunderschön ist, sondern auch mit unerbittlicher Gewalt zeigt, wie wenig Interesse sie am Menschen hat, stehen wir da und können nur hoffen und beten, dass da jemand ist, der jedem gelebten und geliebten Leben zu seinem Recht verhilft. Das Leben ist nicht fair. Ganz oft nicht. Und wir können nicht begreifen. Die Welt, das Leben, wir selber sind ein Buch mit sieben Siegeln. Ich weinte sehr, sagt Johannes, weil niemand für würdig befunden wurde, die Siegel zu lösen und das Buch aufzutun. Aber in diesem verschlossenes Buch, steht doch etwas über uns, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft. Es zu lesen und zu verstehen, würde jeden von uns betreffen. gewiss finden wir viele Antworten, wenn wir unsere Welt analysieren. Manches können wir nachvollziehen, können Gründe finden und Erklärungen versuchen. Unsere Weltordnung oder sagen wir besser -unordnung produziert mit tödlicher Sicherheit Opfer und Täter. Vieles kommt nicht von ungefähr, sondern hat Wurzeln im Verhalten der Völker, in ihren Lebensgewohnheiten, in ihren Einstellungen, vieles hat mit mir selber und meinem Verhalten zu tun und wir sollten um Gottes Willen nicht darauf verzichten, die offenen und versteckten Ursachen für Hass, Gewalt und Leiden beim Namen zu nennen und das unsere zu tun, sie zu beheben. Und doch wird ein Rest bleiben, nein, es wird der größte Teil bleiben, den wir nicht verstehen. Wir verstehen die Menschen nicht, denen ihr eigenes und das Leben anderer so wenig wert ist, dass sie Bomben legen, sich selbst sogar in die Luft sprengen, um möglichst viele mit in den Tod zu reißen. Wir verstehen die Menschen nicht, die verblendet andere mit politischer Agitation und Religion und einer teuflischen Mischung aus beidem manipulieren. Wir verstehen uns selber nicht. Oft wissen wir nicht, was wir tun und noch öfter tun wir nicht, was wir doch wissen. Und wir verstehen Gott nicht, der sich das alles nur anzuschauen scheint. 2

3 Johannes ist uns nicht fremd und die Tränen die er weint, haben auch unsere Augen schon rot gemacht. Aber seht, bei der unbeantworteten Frage nach dem Sinn bleibt Johannes nicht stehen. Gottlob geht unser Bibeltext nämlich nicht so: Und ich sah in der Hand dessen, der auf dem Thron saß ein Buch, beschrieben innen und außen, versiegelt mit sieben Siegeln. Und niemand, weder im Himmel noch auf der Erde noch unter der Erde, konnte das Buch auftun und hineinsehen. Und ich weinte sehr, weil niemand würdig war das Buch aufzutun und hineinzusehen. Doch mein Weinen wurde nicht gesehen. Kein Trost kam. Das Buch blieb verschlossen, die Welt ungelesen und mein Leben ein sinnloses Rätsel. Und der Thron verschwand und mit dem Thron der, der auf ihm saß. Und Finsternis bedeckte die Erde, und die Erde ward wüst und leer. Und kein guter Geist Gottes schwebte über den Wassern, und keine Stimme rief Es werde Licht. Das war das Ende, die Rückkehr ins Nichts. Alles war umsonst, ohne Sinn und das Lachen des Todes hallte durchs Universum, denn er allein hatte gewonnen. Gott sei Dank lautet Gottes Wort nicht so! Das Weinen des Johannes wird gesehen. Er hört eine Stimme, die sagt: Weine nicht. Da ist jemand, der die Siegel auftun kann. Der Löwe aus dem Stamm Juda. Und dann sieht Johannes ein Lamm stehen, wie geschlachtet und doch mit den Zeichen der Macht und Weisheit Gottes. es wäre ein ganz eigenes Thema über die Bildwelt der Offenbarung zu sprechen. Sie speist sich vor allem aus den Propheten Israels und bleibt in vielem absichtlich geheimnisvoll. Ich will heute Morgen bei dem bleiben, was den ersten Christen ziemlich klar gewesen sein wird und keiner mühsamen Entschlüsselung bedurfte. Johannes wird ein Löwe angesagt, der König der Tiere, ein Symbol für Stärke und Erhabenheit. Und als er hinschaut sieht er ein Lamm, mit tödlichen Wunden gezeichnet. Aber es steht und strahlt Würde aus. Dieses Lamm ist der Löwe aus Juda. Und es nimmt das versiegelte Buch aus der Hand dessen, der auf dem Thron sitzt, in Empfang. Das Buch wird nicht verschlossen bleiben. Da ist jemand, der würdig ist, die Siegel zu öffnen, jemand, der die unbeantworteten Fragen des Lebens beantworten kann, weil er selber unschuldig geblieben ist an dem ewigen Auf und Ab, an dem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, weil er als unschuldiges Opfer nicht zum schuldigen Täter wurde. Für Johannes ist deutlich, wer dieses Lamm ist. Er nennt ihn nicht beim Namen und doch ist klar, dass er Jesus meint, den auferweckten Gekreuzigten, das Lamm Gottes, das die Schuld der Welt trägt, wie ein anderer Johannes einmal sagte. Er ist würdig, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen. Seht, das ist der Beginn der Antwort. 3

4 Wir sollen zunächst hören: Deine Fragen werden nicht unbeantwortet bleiben. Dein Leiden an der Unerlöstheit der Welt und an Dir selbst, Deine Angst und Unsicherheit ist nicht das Ziel der Wege Gottes und auch nicht der Sinn oder dann wohl Unsinn Deines Lebens. Du sollst nicht ungetröstet, Deine Tränen nicht ungetrocknet bleiben. Was wir dann nach dem Öffnen der Siegel zu hören bekommen, ist wahrlich ein dunkles Geheimnis, obwohl wir es alle ahnten und befürchteten. Wenn wir weiterlesen, erzählt Johannes, dass beim Aufbrechen der sieben Siegel die Welt aus den Fugen gerät. Es öffnet sich ein gefährliches Buch für alle, die am liebsten alles beim Alten lassen, die gerne die Leichen weiter im Keller halten und das unter den Teppich Gekehrte unter dem Teppich. Alles, was in dieser Welt zum Himmel schreit, kehrt sich wie ein vernichtender Blitz um und schlägt zurück. Das Buch mit den sieben Siegeln, enthält die Weltgeschichte in ihrer ungeschminkten Brutalität, die Ohnmacht und das Leiden der Unschuldigen und Glaubenden. Es berichtet von den Schalen des Zornes Gottes über die Gottlosigkeit und Frechheit seiner Geschöpfe. Das Buch muss geöffnet werden, damit nicht alles beim Alten bleibt. Die Archive müssen geöffnet werden, damit die Opfer nicht auf ewig Opfer bleiben. Wer wüsste das besser als unser Volk, dessen Archive des 20. Jahrhunderts geöffnet wurden, die Nazi-Archive, die Stasi-Akten, damit die Wahrheit herauskommt. So schmerzhaft sie für die Täter und Mitläufer ist, so befreiend und heilend für die Opfer. Und jetzt wird auch klar, warum nicht jeder, die Siegel öffnen darf. Wem soll man ein solches Buch in die Hand geben? Wahrlich keinem Menschen, der selber unter dem Zorn Gottes über das Unrecht steht. Damit dieses Buch nicht zum Schreckensbuch wird, sondern zum Buch der Wahrheit über uns und alle Welt, braucht es einen, der mit ihm umzugehen weiß. Einen, der würdig ist, das Geheimnis der Welt und jedes Menschen zu lüften, weil er sie liebt. Einen, der dem Toben ein Ende macht und den Kreislauf von Gottlosigkeit und Menschenverachtung durchbricht. Jesus hat dieses Buch in Händen, und darum wird in der Offenbarung des Johannes durch alle Schrecken hindurch am Ende der Trost und nicht die Katastrophe besungen. Jesus ist das Lamm in dem die Kraft des Löwen steckt. Der Löwe, der die Verletzlichkeit und Erfahrung des Lammes kennt. Jesus selbst ist es, dem unser Leben, unsere Welt mit allen Geheimnisse und unbeantworteten Fragen übergeben wird. Seht, darin haben die Christen zu allen Zeiten ihre Hoffnung gegründet. Darin haben sie Trost gefunden. Darin haben sie eine mächtigere Wirklichkeit erkannt als alles, was ihnen sonst Wirklichkeit war. Darin haben sie den Beginn einer 4

5 Antwort, ein wirkmächtiges Gegenwort gegen alle Worte gehört, die ihnen Untergang und Ende ansagen und nichts als Verzweiflung übriglassen. Die Fragen sind damit nicht verschwunden. Der Riss geht noch immer durch die Welt und durch uns selbst und doch ist Hoffnung und Zukunft in die Welt gekommen. Es ist Advent. Gott kommt. Unsere Zukunft wird seine Ankunft sein. Wenden wir uns ihm zu und vertrauen wir Jesus das vielfach versiegelte Buch unseres Lebens und unserer Welt mit all seinen abgründigen Geheimnissen und Fragen an. Ich denke manchmal an die Gespräche, die Jesus kurz vor seinem Abschied mit seinen Jüngern führte. Sie fragten ihm Löcher in den Bauch, wollten wissen und verstehen, wie es weitergeht mit ihnen, um sicherer sein zu können, ruhiger und weniger ängstlich. Jesus versucht ihnen zu antworten und merkt doch, wie wenig sie ihn verstehen können. Am Ende sagt er einen Satz, der vielleicht unbefriedigend klingt, der aber wohl die göttliche Kraft des Glaubens enthält: Auch ihr seid nun traurig. Aber ich werde euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von euch nehmen An diesem Tag werdet ihr mich nichts mehr fragen (Joh. 16,22f). Dann wird Friede sein, echter Friede, weil wir verstehen. Möge Gott uns diese Antwort hören lassen, damit wir die heute noch offenen Fragen tragen und ertragen können. Gebe er uns die Hoffnung ins Herz, das alles Dunkel, in dem wir uns vorfinden, nicht das Dunkel einer nicht endenden Nacht, sondern das schwindenden Dunkel des anbrechenden morgens ist. Amen 5