Sergi Belbel MOBIL. Comèdia telefònica digital. (Katalanischer Originaltitel: Mòbil [Comèdia telefònica digital])

Transkript

1 Sergi Belbel MOBIL Comèdia telefònica digital (Katalanischer Originaltitel: Mòbil [Comèdia telefònica digital]) Aus dem Katalanischen von Klaus Laabs 1

2 Sergi Belbels Stück Mòbil. Comèdia telefònica digital wurde im uar 2006 in Kopenhagen uraufgeführt. Die deutschsprachige Erstaufführung fand am 1. Oktober 2006 in Hannover statt. Die Originalfassung enthält die Widmung A Magdalena, sempre mòbil 2006 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F2 2

3 Zeit der Handlung Jetzt Ort der Handlung Bahnhof, Autos, Flughafen, Zimmer, Hotel (Lobby, Suite, Zimmer), vor dem Hotel Personen, 55, 30, 49, 27 Szenen Achtundzwanzig (Nach der Szenennummer steht in Klammern die Anzahl der auftretenden Personen.) 3

4 Szene 1 (2) Bahnhof. und Wir kommen zu spät. Wir kommen nicht zu spät. Welcher Bahnsteig ist es? Da steht es doch. Wo. Auf der Anzeige. Welche Anzeige, da ist alles voll mit Anzeigen, welche Anzeige? Die da. Wunderbar. Ich guck ja schon. Und was steht da? Richtung Flughafen. Bahnsteig drei. Drei? Drei. Bist du sicher? Setz die Brille auf. Warum kommst du nicht mit? Geht das wieder los? Ich fahr nach Hause. Mama, bitte, genug jetzt! Seit zwanzig Jahren bin ich nicht allein gefahren! Oder dreißig! Siehst du. Da ist er, Bahnsteig drei! Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich bin so unentschlossen. Dir wird es gutgehen dabei. Und du wirst nicht allein sein. Hier, nimm. 5

5 Das, was ist das? Ein Geschenk, ein schönes Geschenk. Für dich. Mach auf. Was ist das? Ach, meine Nerven wieder. Egal, wo du bist. Wenn du willst, wirst du nicht allein sein. Wie? Ein Handy! (Pause.) FINDEST DU DAS EIN SCHÖNES GESCHENK?! Szene 2 (2) Zwei Autos, mehrere Kilometer voneinander entfernt. Eins fährt, das andere. Sie telefonieren mit der Freisprechfunktion. Du mußt mir die Handy-Modelle der neuesten Generation zeigen, die, die noch gar nicht auf dem Markt sind, das, das ich bei mir hab, ist ein Scheißding, das hast du mir vor drei Monaten geschenkt, das ist schon uralt, meine Freundinnen können mit ihren lauter Sachen machen, die meins nicht kann. DAS IST PEINLICH! Ich kann nicht mit so einem Schrott rumrennen, verstehst du, meine Freundinnen sind ein Nothing, und da ist es UNERTRÄGLICH, wenn die Modelle haben, die viel moderner sind als meins, du weißt doch, was du zu tun hast?, hast du kapiert?, he, hörst du mir überhaupt zu? Ja. Warum sagst du dann nichts! Ich hör dir zu. Wo bist du, was ist das für ein Lärm? Wo soll ich sein zu Hause ich arbeite ich habe auf Freisprechen gestellt Du arbeitest? darum bin ich so schlecht zu verstehen. Du arbeitest? Was arbeitest du?! Was willst du? Soll ich dir ein neues Handy besorgen? 6

6 Kannst du das nicht ausschalten, mit dem Freisprechen, und den Hörer in die Hand nehmen, ich verstehe kein Wort. Woran arbeitest du? Was willst du? Ich soll dir ein neues Handy besorgen? Du bringst es mir auf der Stelle! Ich brauche es in einer Stunde. Ich verreise. Und ich will, daß es hochauflösende Fotos macht, die Kamera, die du mir geschenkt hast, von meinem Geld übrigens, hat einen Virus oder weiß ich was, den hat sie bekommen, als ich meiner Freundin Beti die Fotos von meiner letzten Reise g t habe, und als sie mir zurückg t hat, diese Idiotin, hat sie mir eine Sprengbombe geschickt, die war erst nicht zu sehen und hatte sich auf der Festplatte der Kamera versteckt, und jetzt, anstatt Fotos zu machen, macht das Ding ein Geräusch, als ob es sich den Magen verdorben hätte, aber in Metall, und sie macht krrrks und ist tot. Und es soll auch einen Organizer haben, USB-Anschluß, Infrarotport, und mit GPRS und GPS, das ist klar, damit du weißt, wo ich in Singapur und Seoul gerade stecke. Und noch was, du mußt mich zum Flugplatz bringen. Waaas? Ich habe dir doch gesagt, ich fahre raus aufs Dorf!! Und vorher will ich mir noch eine Wohnung angucken, die zum Verkauf steht und die sehr vielversprechend ist Wo ich doch wo ich doch praktisch schon im Auto sitze! Soll dich dein Chauffeur hinbringen. Außerdem, mein Wagen ist eine Katastrophe, der Motor ist völlig im Arsch, UND DAS WEISST DU GANZ GENAU, immer wenn du einsteigst, muß ich mir anhören: Was hast du nur für ein scheiß Auto! Tut mir leid, aber das geht nicht, ich muß nach Es interessiert mich einen Dreck, wo du hinwillst, heute nachmittag bringst du mich zum Flugplatz, ich kann die Koffer nicht tragen. Und du bist mein idealer Chauffeur. Einen besseren gibt es nicht. Außerdem, was suchst du auf dem Dorf, ich weiß nicht, was zum Teufel du da verloren hast, ausgerechnet jetzt! Und mit wem willst du fahren, wenn man das bitte erfahren darf? Weil, allein fährst du nicht aufs Dorf. WO DU DOCH DAS DORF HASST!!! Und was für eine Wohnung willst du dir, wie du sagst, vorher noch angucken? Was erzählst du da überhaupt? Du hast sie doch nicht mehr alle! WAS, VERDAMMTE SCHEISSE, WILLST DU DIR JETZT FÜR EINE WOHNUNG ANGUCKEN, HE?! UND KOMM MIR NICHT WIEDER SO HINTENRUM MIT DEINEM WAGEN, ICH WEISS SCHON, WAS DU WILLST! Wie lange wirst du weg sein? Ich weiß noch nicht. Das hängt davon ab, wie lange es dauert, bis wir die Koreaner überzeugt haben, damit sie dem Preis für die Fusion zustimmen, die sind verrückt geworden bei dem letzten Angebot, 7

7 das sie uns gemacht haben, das sind auch solche Sie liegen dir mit ihrer Ameisentechnik in den Ohren, und ehe du es gemerkt hast, hast du sie drinnen in deinem Kopf, sie lenken dich ab, und schon haben sie dir ihren Ameisenhaufen in den Kopf gesetzt, mitten rein. Aber die kennen MICH nicht. Und meine Methoden nicht, meine Insektenvernichtungsmittel, hahaha! Wieso willst du wissen, wie lange ich weg sein werde? Wirst du Sehnsucht nach mir haben? Willst du mitkommen, Liebling? Nein. Ich habe zu arbeiten. Tut mir leid. Ich muß jetzt Schluß machen. Ich ruf dich später an. (Legt auf. Drückt eine andere Taste. Eine Stimme ist zu hören: Sie sind verbunden mit der Mailbox von:, anschließend eine sehr sinnliche Stimme: Sònia Bitte hinterlasse deine Nachricht. ) SCHEISSE, VERDAMMTE, WARUM IST DEIN HANDY NIE ANGESCHAL- TET!!! (Reißt das Lenkrad herum und bremst abrupt.) (Im selben Augenblick. Immer noch zu.) Arbeiten? Du, und arbeiten? ICH SCHEISSE AUF DIE MUTTER, DIE DICH GEBOREN HAT, SAUKERL! (Hupt wie wild.) Szene 3 (1) Ein Flughafen. In der Abfertigungshalle rennt mit dem Telefon in der Hand unablässig herum und sucht nach dem besten Empfang. Bis sie schließlich nach vier oder fünf Versuchen die richtige Stelle findet. Drückt zwei Tasten. Schreit fast und holt kaum Atem. Kind!!! Hörst du mich, ich bin es! Ja, ja! Wie? Was!!! Ich würde so laut schreien?!!! Aber wenn ich dir doch sage, daß ich dich nicht verstehe!!! Nichts ist, ich wollte dir nur sagen, daß daß Schau mal auf die Uhr, wie spät es ist, und ich bin immer noch auf dem Flugplatz Ja, mit dem Zug, das hat wunderbar geklappt, ja, wunderbar, auf die Minute, sauber, angenehm, perfekt!, aber kaum war ich auf dem Flugplatz, Kind, ach, Kind, da klappt nichts mehr, eine Schlange bei der Gepäckaufgabe!, und so schlecht erzogene Leute!, weißt du, mehr sage ich dazu lieber gar nicht, sonst sagst du wieder, ich würde immer nur schwarzsehen und über alles nur klagen, aber wie soll ich nicht klagen, wenn das Flugzeug, das ich nehmen muß, sieben Stunden Verspätung hat?! SIEBEN STUNDEN, KIND, SIEBEN STUNDEN! Und da habe ich mich gefragt, was fange ich hier sieben Stunden lang auf dem Flugplatz an, wo ich nichts zu tun habe? Und wie ich mich das so frage, habe ich es auch eines dieser jungen Dinger gefragt, wirklich hübsch, wie ein Model, bildhübsch, mit langem, glänzendem blonden Haar und honigfarbenen Augen wie zwei riesige Mandeln, wunderhübsch, wie ein Barbiepuppe, 8