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- Melanie Müller
- vor 8 Jahren
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1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst Die 24-Stunden-Polin Bugmula Kolpowska pflegt alte Menschen in Deutschland Autor: Redaktion: Jürgen Salm Nadja Odeh Sendung: Montag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Leben (Montag bis Freitag bis Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de SWR2 Leben können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören:
2 MANUSKRIPT Ich komme wieder. Das habe ich versprochen. Herr O.: Das ist eine Hoffnung. Wir haben uns so aneinander gewöhnt. Letzter Arbeitstag in Bermatingen. Bogumila Kolpowska hat hier einen alleinstehenden 94-Jährigen betreut. Der ehemalige Unternehmer sitzt im Rollstuhl. Er wohnt allein in seiner Villa. In den letzten drei Monaten war aber auch Bogumila im Haus. Dem alten Mann fällt der Abschied schwer. Ich werde ganz vorsichtig fahren. Herr O.: Hast Du mir versprochen. Ja, habe ich versprochen. Bogumila arbeitet für eine Agentur, die polnische Haushalthilfen in Deutschland vermittelt. In der Regel bleibt sie zwei oder drei Monate in einem Haushalt. Dann wird sie abgelöst von einer anderen Betreuerin. Kennen gelernt habe ich sie vor zwei Jahren in Heidelberg. Damals hat sie meine Mutter betreut. (am Telefon) Hallo? (Gespräch auf Polnisch) "Es hat die neue Frau angerufen. Sie wird schon um kurz nach zwölf in Friedrichshafen sein." Die neue Haushaltshilfe wird gleich da sein, auch sie kommt aus Polen. Bogumila wird sie vom Busbahnhof abholen. In der Zwischenzeit ist die Tochter des alten Mannes eingetroffen. Sie ist Lehrerin und lebt in einer Kleinstadt am Bodensee, knapp vierzig Autominuten vom Haus ihres Vaters entfernt. Tochter von Herrn O.: Also wir haben den Eindruck, dass es unserem Vater sehr viel besser geht, seit diese Frauen hier sind. Er kann in Würde in seinem Haus alt werden, er lebt in seiner Umgebung, er wird versorgt. und was wir festgestellt haben, dass es ihm psychisch unendlich viel besser geht. Den eigenen Vater in fremde Hände zu geben, das war keine leichte Entscheidung. Schon deshalb hatte sich die Lehrerin ihre Gedanken gemacht, was das wohl für Frauen sind, die in das Haus ihres Vaters einziehen würden. 2
3 Tochter von Herrn O.: Man stellt sich da natürlich zunächst einmal, das gebe ich ehrlich zu, eher einfache Frauen vor. Wir waren also äußerst überrascht, als wir bei den Profilen, die wir von der Organisation bekamen, gesehen haben, dass die meisten der Frauen eigentlich Abitur hatten, zum Teil ein angefangenes oder fertiges Studium, also es sind gebildete Frauen, die wir jetzt bisher hatten. Die Frage von uns war natürlich immer, warum arbeiten die nicht in ihrem erlernten Beruf oder studierten Beruf, und dann kam meistens die Antwort, dass es eben sehr schwierig ist, da eine Stelle zu finden, zum Beispiel hatten wir mal eine Fast-Architektin, eine Innenarchitektin. Und eben der Verdienst. Dass der Verdienst hier in einem Monat so viel ist wie sie dort eben in einem halben Jahr verdienen würden. Auch meine Mutter hatte alleine gelebt, 27 Jahre lang. Aber dann ging es nicht mehr. Sie war gestürzt - danach konnte sie sich nicht mehr aus eigener Kraft auf den Beinen halten. Was tun, fragten sich mein älterer Bruder, meine jüngere Schwester und ich. Sollten auch wir uns eine Polin für unsere Mutter besorgen? Eine Unterbringung im Heim wollten wir vermeiden. Bald stellte sich heraus, dass in unserem Bekanntenkreis fast jeder eine Polin kennt, die putzt oder im Haushalt hilft oder Alte pflegt. Schwarz wollten wird jedoch niemanden beschäftigen. Wir haben uns deshalb für eine Agentur entschieden, die polnische Betreuungskräfte nach Deutschland vermittelt - relativ teuer, aber dafür legal und mit Sozialabgaben. Die Agentur wirbt mit dem Slogan "24 Stunden-Betreuung aus Osteuropa". Sie schickte uns Bogumila. Jetzt sitze mit Bogumila in ihrem Auto. Die 57-Jährige hat mich eingeladen, sie auf dem Weg vom Bodensee in ihre Heimatstadt Posen in Nordpolen zu begleiten. Dort werde ich ihre Familie kennen lernen. Meine Familie kennt sie schon. Vor uns liegen knapp Kilometer Autofahrt. Bogumila hat ihr Navi eingeschaltet, um den kürzesten Weg zur Autobahn zu finden. Nach rechts sollen wir abbiegen, sagt das Gerät. Atmo: Navi mit polnischen Ansagen Bogumila hatte sich wohlgefühlt bei dem Unternehmer in Bermatingen. Es war eine gute Zeit für sie, trotz der anstrengenden Arbeit. Ich habe versucht, niemals zu denken, das ist meine Arbeit. Weil das kann man bestimmt psychisch nicht aushalten, 24 Stunden pro Tag. Das ist natürlich keine 24 Stunden Arbeit, aber 24 Stunden muss man zur Verfügung stehen. Und deswegen habe ich nicht gedacht, das ist meine Arbeit. Ich habe gedacht, jetzt, in diesem Moment ich lebe mit dieser Person wie mit meinem eigenen Vater oder mit meiner Oma oder mit meiner Tante, ja, als würde ich das für meine Familie machen, für meine Mutter oder meinen Vater. 3
4 Bogumilas Eltern werde ich noch kennen lernen. Zunächst haben wir uns aber vorgenommen, auf unserer Tour einen kleinen Abstecher nach Heidelberg zu machen. Dort wollen wir meine Mutter besuchen. Nach Bogumilas Abschied vor zwei Jahren war sie erneut gestürzt und hatte mehrere Wochen im Krankenhaus gelegen. Eine Rückkehr in die eigene Wohnung war danach nicht mehr möglich. Nun lebt sie in einem Altersheim. Atmo: Altersheim Mutter: Gott wie ist das lange her! Kennen Sie mich noch? Mutter: Dein Deutsch ist tadellos mittlerweile. Während der Zeit mit Bogumila war meine Mutter regelrecht aufgeblüht. Obwohl sie kaum noch auf den eigenen Beinen stehen konnte, hatte sie einmal sogar angefangen zu tanzen. Bogumila hatte eine CD mit der Jupiter-Sinfonie von Mozart aufgelegt und dann die Szene mit ihrer Fotokamera gefilmt. Die Bilder hat sie auf ihrem Laptop gespeichert. Mutter: Und was hast Du da jetzt? Computer. Ich wollte Ihnen diese Aufnahme zeigen, wie Sie tanzen. Das Gerät braucht Zeit. ( Atmo: Computer fährt hoch, danach erklingt die Jupiter-Sinfonie von Mozart Mutter: Ach wie schön! Eine richtige Prima Ballerina. Nicht alles war harmonisch verlaufen. Verzweifelt kämpfte meine Mutter damals gegen den Verlust ihrer Eigenständigkeit - und gegen das Nachlassen ihres Gedächtnisses. Bei Deiner Mutter, ja, war etwas schwierig. Zum Beispiel Deine Mutter hat mich zum Tisch eingeladen, und später hat sie geschimpft: Wie kann das sein, dass eine Fremde zusammen mit ihrem Besuch am Tisch sitzt. 4
5 Und war für mich sehr unangenehm, aber ich glaube sie hat nicht ganz hundertprozentig gewusst, was hat sie gemacht. Weil sie hat mich einmal gefragt, ob es wahr ist, dass sie mich schlecht behandelt hat. Und ich versuche, immer ehrlich zu sein, und ich habe gesagt, das ist wirklich wahr. Nach drei Monaten war Bogumila nach Polen zurückgekehrt, so, wie wir es von vorneherein vereinbart hatten. Eine andere Frau aus Polen sollte ihre Stelle antreten. Meine Mutter hätte Bogumila gerne behalten - trotz aller vorangegangenen Streitigkeiten. Die letzte Monat, wenn sie hat schon gewusst, ich werde in einem Monat nach Hause fahren, sie war jeden Tag so traurig, sie hat jeden Tag darüber gesprochen, warum ich werde sie jetzt verlassen und wegfahren, aber ich musste damals wirklich nach Polen fahren. Meine Mutter stellte Bogumila schließlich ein Arbeits-Zeugnis aus, sie diktierte es ihrer ehemaligen Sekretärin. In dem Schreiben heißt es: Zitat: "Frau Kolpowska war sehr aufmerksam, hilfsbereit, freundlich und zuverlässig. Bei manchmal vorkommenden Auseinandersetzungen und unterschiedlichen Ansichten zeigte sie sich meistens bereit, zu einer guten Lösung beizutragen. ( ) Ich würde mich freuen, wenn sie nach einer Unterbrechung wiederkommen könnte." Atmo: Auto fährt los, Hupen, Von Heidelberg fahren wir weiter Richtung Posen, der Heimatstadt von Bogumila. Sie kennt die Strecke gut. Das Pendeln zwischen Polen und Deutschland ist für sie schon zur Routine geworden. Eigentlich lebt sie jetzt in zwei Ländern. Ob es ihr dabei gut geht, möchte ich von ihr wissen. Ja, sagt sie. Und dann fängt sie an zu erzählen, wie alles anfing, damals vor fünf Jahren. Ich habe in einer Anzeige gelesen, eine Agentur sucht Frauen, die deutsche Senioren betreuen möchten, und ich habe gedacht, vielleicht ich kann ich es probieren. Am Anfang war es sehr schwierig. Kann ich ganz ehrlich sagen, habe ich große Angst gehabt, einfach ins Unbekannte fahren, und damals auch ohne Geld. Ich bin einfach zu einer fremden Familie gekommen mit einem sehr alten Mann, alles war fremd, und die Sprache war auch schwierig, ich war niemals früher in Deutschland gewesen, es gab sehr viele Sachen, die mir Stress gemacht haben. Man kann nicht so einfach für andere Leute arbeiten, die wir nicht richtig kennen. Und meine Eltern waren auch dagegen, dass ich nach Deutschland fahre. Natürlich meine Eltern haben den Zweiten Weltkrieg erlebt, und ich kann verstehen, dass sie nicht besonders lieben die Deutschen. 5
6 Für Bogumila war es keine leichte Entscheidung gewesen, nach Deutschland zu gehen. Auf dem polnischen Arbeitsmarkt hätte sie aber als über 50-jährige Frau kaum eine Chance gehabt, zumal sie auch keinen Berufsabschluss vorweisen konnte. Ich habe kurz Pädagogik studiert, aber ich war damals schon geschieden und habe drei Kinder schon gehabt. Und das war plötzlich zu schwer geworden, und damals, in unserem kommunistischen System, ich habe keine Perspektive gehabt. Auch wenn ich nach fünf Jahren mein Studium beende, dann konnte ich auch nicht viel mehr Geld verdienen, und ich habe ganz alleine für meine Familie und meine drei Kinder gearbeitet. Deswegen habe ich das nicht zu Ende gemacht. Und ich habe deshalb angefangen, in einem Hotel zu arbeiten, und dort habe ich fast zwanzig Jahre gearbeitet. Bogumila mag nicht klagen. Sie möchte mir nur verständlich machen, warum sie gerne in Deutschland ist. Deshalb muss sie auch über ihr Leben in Polen sprechen. Ich war immer seit vielen, vielen Jahren ganz allein. Ich musste immer als eine Frau die Mutter, der Vater und alles für meine Kinder sein. Das Problem war richtig das Geld. Man sagt, das Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld kann man überhaupt nicht leben. Und jetzt bin ich sehr glücklich, dass ich etwas mehr Geld verdiene, ich fühle mich mehr sicher, dass ich eigentlich etwas auf meinem Konto habe, ich werde auch älter, ich weiß nicht, wer kümmert sich um mich, wenn ich alt werde, deswegen ist das Geld auch wichtig, eine Reserve zu haben vielleicht auch für meine Zukunft. Bogumila kann es sich jetzt sogar leisten, auch sich selber gegenüber großzügig zu sein. Sie genießt die neue Freiheit. Das Geld macht mir jetzt auch Spaß, dass ich mir jetzt kann etwas besseres Auto kaufen oder Computer oder Fotoapparat, vielleicht ist das heutzutage kein Luxus, aber sind das Sachen, die helfen mir manchmal, wenn ich auch traurig bin in Deutschland, dort aushalten einfach. Nie habe sie ihre Entscheidung bereut, nach Deutschland zu gehen, sagt sie. Im Gegenteil: Sie sei stolz darauf, dass sie es geschafft hat, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Meine Kinder, jeder hat eine eigene Familie, ich bin allein immer, und ja, warum soll ich hier in Polen irgendwo alleine sitzen und leiden, dass ich nicht genug Geld habe, ich könnte auch nichts mit meinen Enkelkindern unternehmen, nicht ins Kino gehen und solche einfachen Sachen, weil ich einfach kein Geld dazu habe. Und irgendwann habe ich mir vorgenommen, nicht mehr, kann man sagen, wie ein Bettler zu leben und einfach probieren. 6
7 Jupiter-Sinfonie von Mozart Früher ist Bogumila im Bus nach Deutschland gekommen. Jetzt ist sie im eigenen Auto unterwegs. Oft folgt ihr aber das Heimweh. Dann denkt sie an ihre Eltern und an ihre drei Kinder, vor allem aber an ihre sechs Enkelkinder. Wenn sie davon erzählt, hört es sich so an, als müsste sie sich erst selbst noch davon überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hat. Ich habe viele Bilder immer mit von meinen Enkelkindern, aber ich kann das nicht zu oft anschauen, das macht mich sehr traurig. Aber trotzdem, das weiß ich, ich habe keine andere Alternative gehabt. und ich habe mich entschieden, in Deutschland zu arbeiten, und ich muss das aushalten. Außerdem gehen meine Enkelkinder auch schon zur Schule und haben eigene Hobbys und haben auch nicht mehr so viel Zeit. Die Kinder und die Enkelkinder brauchen sie nicht mehr, jedenfalls nicht in dem Maße, wie sie sich das selber wünschen würde. Aber was ist mit ihren Eltern? Da habe ich immer sehr große Angst. Ja, wenn etwas passiert, dann müssen wir Kinder das organisieren. Es gibt bei uns keine Möglichkeiten, eine Betreuerin zu bezahlen, das geht nicht. Atmo: Auto fährt los Knapp 200 Kilometer nach der Grenze hinter Frankfurt an der Oder erreichen wir die Stadt Posen, polnisch Poznań. Eine Woche lang wird Bogumila hier bleiben. Wohnen wird sie bei ihrer Tochter Monika. Sie ist Innenarchitektin, verheiratet und hat zwei Söhne. Dass ihre Mutter jetzt fast nur noch in Deutschland lebt, empfindet sie nicht als Problem - im Gegenteil: Monika: (polnisch) Sprecherin (overvoice): Ich glaube, es war gut für meine Mutter, nach Deutschland zu gehen. Hier hatte sie keine Perspektive. In Deutschland hat sie dagegen viel Neues kennen gelernt: neue Leute und neue Orte! Es passiert was in ihrem Leben! Hier gab es nichts zu tun für sie. Mit 800 Zloty Rente kann man nicht viel machen. Ich glaube, dass sie sich jetzt wieder lebendig und glücklich fühlt. Es geht ihr gut in Deutschland. Früher war die Beziehung zwischen Mutter und Tochter nicht einfach. Seit Bogumila ihre eigenen Wege geht, kommen die beiden aber wieder besser miteinander klar. So sieht es jedenfalls Monika. 7
8 Monika: (polnisch) Sprecherin (overvoice): Ich glaube, es hat uns gut getan. Für uns passt es. Bogumila trifft sich in Posen nicht nur mit ihrer Familie. Sie will auch bei der Agentur vorbeischauen, über die sie ihre Aufträge in Deutschland bekommt. Bogumila braucht Unterstützung bei der Klärung ihrer Rentenansprüche. Außerdem soll sie die Unterlagen bekommen für ihre nächste Arbeitsstelle. Atmo: Freudige Begrüßung in der Agentur In der Büro-Etage herrscht Hochbetrieb, die Geschäfte laufen offenbar gut. Seit vier Jahren vermittelt die Agentur polnische Haushaltshilfen in den gesamten deutschsprachigen Raum. Auch der Chef ist da: Michael Gomola. Mit seiner Biografie bringt er für diese Arbeit beste Voraussetzungen mit Michael Gomola: Ich bin in Polen geboren. Die Eltern sind nach Deutschland migriert, mit sieben bin ich in Deutschland gelandet, habe dort auch die komplette Ausbildung absolviert. Dann ist es so gekommen, dass ich eben in dieser Branche gelandet bin, und das hat mich natürlich wieder bewegt, weil ich hier die Personalgewinnung besser steuern kann, und es muss auch hier jemand sein, der die ganze Geschichte am Laufen hält. Auch einige Kolleginnen von Bogumila sind anwesend. Ich frage sie, wie sie mit der Arbeit in Deutschland zurechtkommen. Ursula: Ja, das ist schwere Arbeit. Manchmal Kopf ist hier und in Polen. Barbara: (Stoßseufzer) Ja, was machen? Ich bin Witwe, alleine, kleine Rente. Aber ich weiß eines schon: Bei jeder Familie die Menschen brauchen viel sprechen. Manchmal Pflege nicht. Nur sprechen, sprechen, sprechen. Ich das verstehen. Ich mag viel sprechen, mir passt, jedes Thema, jeder Tag. In Deutschland leben die Frauen in den Wohnungen der von ihnen betreuten Senioren. Das geht nicht immer gut. Wiederholt klagten junge polnische Frauen über sexuelle Belästigungen von Seiten der pflegebedürftigen Herren. Die Agentur musste deshalb Konsequenzen ziehen. Michael Gomola: Wir haben uns abgewöhnt, junge Frauen zu schicken, sage ich ganz ehrlich. Wir haben uns abgewöhnt, junge und hübsche Frauen zu Herren zu schicken. In der Regel schicken wir wirklich eine Dame, die 50 ist oder 50 plus, und dann entstehen diese Probleme nicht. 8
9 Dafür gibt es dann andere Konflikte, beispielsweise bei der Benutzung des Telefons, wie auch Bogumila bestätigen kann. Ich weiß von meinen Kolleginnen, dass es viele Familien in Deutschland gibt, die verboten haben nach Polen zu telefonieren. Ich kann einfach nicht verstehen, wie die deutschen Familien, die Verwandten von den alten Senioren, wie sie glauben, dass wir gut für ihre Eltern sorgen und kein Kontakt mit unserer Familie haben. Wir verlassen die Agentur und fahren zu Bogumilas Eltern. Sie leben in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Ich, der Besucher aus Deutschland, bin bei den Eltern angekündigt. Atmo: Begrüßung Der Vater, ein kleiner, drahtiger Mann, wirkt mit seinen 84 Jahren noch erstaunlich fit. Natürlich freut er sich, seine Tochter wiederzusehen. Dass sie in Deutschland arbeitet, fand er anfangs allerdings gar nicht gut. Bogumila Kolpowska's Vater: Ich war nicht so sehr zufrieden, weil meine Erfahrungen von das Zweite Weltkrieg - das ist für mich schwer auszusprechen. Jetzt haben wir schon andere Eindrücke, weil die Deutschen haben sich doch verändert, nicht. Sie haben jetzt ein demokratisches System. Das ist sehr wichtig. Deutsch gelernt hat Bogumilas Vater im Zweiten Weltkrieg. Damals wurde er von den deutschen Besatzern zur Zwangsarbeit verpflichtet. Mein Vater war 14 Jahre alt, als der Krieg begonnen hat. Und er muss damals, hier in Posen, in einer Fabrik, das war damals Deutsche Munitionsfabrik, er muss dort arbeiten. Und er hat gesehen, wenn seine Kollegen, wenn sie die Deutschen nicht verstanden, dann sind sie geschlagen worden. Und er von Angst hat anfangen deutsch zu lernen. Er hat immer gedacht, wenn er mit den Deutschen kann besser unterhalten, er kann verstehen, was sie von ihm verlangen, dann wird es auch für ihn besser. Im letzten Jahr des Krieges war mein Vater auch nach Deutschland deportiert um dort zu arbeiten. Und er muss in einem Arbeitslager wohnen und dort in Karlsruhe arbeiten für die Deutschen. Dass sich sein Bild von den Deutschen verändert hat, liegt vor allem an Bogumila. Sie hat ihm viel erzählt von den Familien, für die sie arbeitet. Bogumila Kolpowska's Vater: Sie ist sehr zufrieden. Von ihrer Arbeit, von den Menschen dort, von ihrer Behandlung ist sie sehr zufrieden. Ich bin erstaunt, es hat sich doch viel verändert. Ja, darum sind Sie auch bei uns! 9
10 Jetzt will mir der Vater das Haus zeigen, in dem Bogumila später einmal wohnen könnte. Es ist es eine Baustelle. Die Arbeiten scheinen schon vor langer Zeit eingestellt worden zu sein. Atmo: Bogumilas Vater öffnet die Tür. Und hier sollte die Küche eigentlich sein. Und hier kann vielleicht so eine Speisekammer sein. Das ist die alte Küche. s Vater Ja, in 20 Jahren vielleicht wird das fertig sein. Ich kann mir mein Leben in 20 Jahren überhaupt nicht vorstellen, dann bin ich schon so alt. Ich kann überhaupt nicht alleine leben und nur für mich selber jeden Tag, das wäre schwierig für mich. Deswegen bin ich gerne in Deutschland mit anderen Leuten. Später werde ich Bogumila fragen, wer sich um sie kümmern wird, wenn sie einmal pflegebedürftig ist. Eine deutsche Haushaltshilfe, sagt sie, und lacht. Aber dann wird sie ernst: Warum das die Deutschen nicht machen, das verstehe ich überhaupt nicht, weil ich habe sehr viele darüber klagen gehört, es ist in Deutschland so schwer, die Pensionen sind so niedrig, es gibt in Deutschland auch sehr viele - habe ich selbst kennen gelernt - Frauen, die allein sind, die ganz fit sind, aber unglücklich. Das verstehe ich wirklich nicht warum sie machen einfach nicht so, dass die schließen ihre Wohnung für einen Monat oder zwei, arbeiten bei jemandem und damit noch Geld verdienen, und dann können sie wieder ein oder zwei Monate in der eigenen Wohnung leben - ja wahrscheinlich ist die ökonomische Situation in Deutschland eben doch so gut. Mittlerweile ist Bogumila wieder in Deutschland. Sie arbeitet wieder am Bodensee, bei dem alten Herren in Bermatingen. 10
11 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst Die 24-Stunden-Polin Bugmula Kolpowska pflegt alte Menschen in Deutschland Autor: Redaktion: Jürgen Salm Nadja Odeh Sendung: Montag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Leben (Montag bis Freitag bis Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de SWR2 Leben können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören:
12 MANUSKRIPT Ich komme wieder. Das habe ich versprochen. Herr O.: Das ist eine Hoffnung. Wir haben uns so aneinander gewöhnt. Letzter Arbeitstag in Bermatingen. Bogumila Kolpowska hat hier einen alleinstehenden 94-Jährigen betreut. Der ehemalige Unternehmer sitzt im Rollstuhl. Er wohnt allein in seiner Villa. In den letzten drei Monaten war aber auch Bogumila im Haus. Dem alten Mann fällt der Abschied schwer. Ich werde ganz vorsichtig fahren. Herr O.: Hast Du mir versprochen. Ja, habe ich versprochen. Bogumila arbeitet für eine Agentur, die polnische Haushalthilfen in Deutschland vermittelt. In der Regel bleibt sie zwei oder drei Monate in einem Haushalt. Dann wird sie abgelöst von einer anderen Betreuerin. Kennen gelernt habe ich sie vor zwei Jahren in Heidelberg. Damals hat sie meine Mutter betreut. (am Telefon) Hallo? (Gespräch auf Polnisch) "Es hat die neue Frau angerufen. Sie wird schon um kurz nach zwölf in Friedrichshafen sein." Die neue Haushaltshilfe wird gleich da sein, auch sie kommt aus Polen. Bogumila wird sie vom Busbahnhof abholen. In der Zwischenzeit ist die Tochter des alten Mannes eingetroffen. Sie ist Lehrerin und lebt in einer Kleinstadt am Bodensee, knapp vierzig Autominuten vom Haus ihres Vaters entfernt. Tochter von Herrn O.: Also wir haben den Eindruck, dass es unserem Vater sehr viel besser geht, seit diese Frauen hier sind. Er kann in Würde in seinem Haus alt werden, er lebt in seiner Umgebung, er wird versorgt. und was wir festgestellt haben, dass es ihm psychisch unendlich viel besser geht. Den eigenen Vater in fremde Hände zu geben, das war keine leichte Entscheidung. Schon deshalb hatte sich die Lehrerin ihre Gedanken gemacht, was das wohl für Frauen sind, die in das Haus ihres Vaters einziehen würden. 2
13 Tochter von Herrn O.: Man stellt sich da natürlich zunächst einmal, das gebe ich ehrlich zu, eher einfache Frauen vor. Wir waren also äußerst überrascht, als wir bei den Profilen, die wir von der Organisation bekamen, gesehen haben, dass die meisten der Frauen eigentlich Abitur hatten, zum Teil ein angefangenes oder fertiges Studium, also es sind gebildete Frauen, die wir jetzt bisher hatten. Die Frage von uns war natürlich immer, warum arbeiten die nicht in ihrem erlernten Beruf oder studierten Beruf, und dann kam meistens die Antwort, dass es eben sehr schwierig ist, da eine Stelle zu finden, zum Beispiel hatten wir mal eine Fast-Architektin, eine Innenarchitektin. Und eben der Verdienst. Dass der Verdienst hier in einem Monat so viel ist wie sie dort eben in einem halben Jahr verdienen würden. Auch meine Mutter hatte alleine gelebt, 27 Jahre lang. Aber dann ging es nicht mehr. Sie war gestürzt - danach konnte sie sich nicht mehr aus eigener Kraft auf den Beinen halten. Was tun, fragten sich mein älterer Bruder, meine jüngere Schwester und ich. Sollten auch wir uns eine Polin für unsere Mutter besorgen? Eine Unterbringung im Heim wollten wir vermeiden. Bald stellte sich heraus, dass in unserem Bekanntenkreis fast jeder eine Polin kennt, die putzt oder im Haushalt hilft oder Alte pflegt. Schwarz wollten wird jedoch niemanden beschäftigen. Wir haben uns deshalb für eine Agentur entschieden, die polnische Betreuungskräfte nach Deutschland vermittelt - relativ teuer, aber dafür legal und mit Sozialabgaben. Die Agentur wirbt mit dem Slogan "24 Stunden-Betreuung aus Osteuropa". Sie schickte uns Bogumila. Jetzt sitze mit Bogumila in ihrem Auto. Die 57-Jährige hat mich eingeladen, sie auf dem Weg vom Bodensee in ihre Heimatstadt Posen in Nordpolen zu begleiten. Dort werde ich ihre Familie kennen lernen. Meine Familie kennt sie schon. Vor uns liegen knapp Kilometer Autofahrt. Bogumila hat ihr Navi eingeschaltet, um den kürzesten Weg zur Autobahn zu finden. Nach rechts sollen wir abbiegen, sagt das Gerät. Atmo: Navi mit polnischen Ansagen Bogumila hatte sich wohlgefühlt bei dem Unternehmer in Bermatingen. Es war eine gute Zeit für sie, trotz der anstrengenden Arbeit. Ich habe versucht, niemals zu denken, das ist meine Arbeit. Weil das kann man bestimmt psychisch nicht aushalten, 24 Stunden pro Tag. Das ist natürlich keine 24 Stunden Arbeit, aber 24 Stunden muss man zur Verfügung stehen. Und deswegen habe ich nicht gedacht, das ist meine Arbeit. Ich habe gedacht, jetzt, in diesem Moment ich lebe mit dieser Person wie mit meinem eigenen Vater oder mit meiner Oma oder mit meiner Tante, ja, als würde ich das für meine Familie machen, für meine Mutter oder meinen Vater. 3
14 Bogumilas Eltern werde ich noch kennen lernen. Zunächst haben wir uns aber vorgenommen, auf unserer Tour einen kleinen Abstecher nach Heidelberg zu machen. Dort wollen wir meine Mutter besuchen. Nach Bogumilas Abschied vor zwei Jahren war sie erneut gestürzt und hatte mehrere Wochen im Krankenhaus gelegen. Eine Rückkehr in die eigene Wohnung war danach nicht mehr möglich. Nun lebt sie in einem Altersheim. Atmo: Altersheim Mutter: Gott wie ist das lange her! Kennen Sie mich noch? Mutter: Dein Deutsch ist tadellos mittlerweile. Während der Zeit mit Bogumila war meine Mutter regelrecht aufgeblüht. Obwohl sie kaum noch auf den eigenen Beinen stehen konnte, hatte sie einmal sogar angefangen zu tanzen. Bogumila hatte eine CD mit der Jupiter-Sinfonie von Mozart aufgelegt und dann die Szene mit ihrer Fotokamera gefilmt. Die Bilder hat sie auf ihrem Laptop gespeichert. Mutter: Und was hast Du da jetzt? Computer. Ich wollte Ihnen diese Aufnahme zeigen, wie Sie tanzen. Das Gerät braucht Zeit. ( Atmo: Computer fährt hoch, danach erklingt die Jupiter-Sinfonie von Mozart Mutter: Ach wie schön! Eine richtige Prima Ballerina. Nicht alles war harmonisch verlaufen. Verzweifelt kämpfte meine Mutter damals gegen den Verlust ihrer Eigenständigkeit - und gegen das Nachlassen ihres Gedächtnisses. Bei Deiner Mutter, ja, war etwas schwierig. Zum Beispiel Deine Mutter hat mich zum Tisch eingeladen, und später hat sie geschimpft: Wie kann das sein, dass eine Fremde zusammen mit ihrem Besuch am Tisch sitzt. 4
15 Und war für mich sehr unangenehm, aber ich glaube sie hat nicht ganz hundertprozentig gewusst, was hat sie gemacht. Weil sie hat mich einmal gefragt, ob es wahr ist, dass sie mich schlecht behandelt hat. Und ich versuche, immer ehrlich zu sein, und ich habe gesagt, das ist wirklich wahr. Nach drei Monaten war Bogumila nach Polen zurückgekehrt, so, wie wir es von vorneherein vereinbart hatten. Eine andere Frau aus Polen sollte ihre Stelle antreten. Meine Mutter hätte Bogumila gerne behalten - trotz aller vorangegangenen Streitigkeiten. Die letzte Monat, wenn sie hat schon gewusst, ich werde in einem Monat nach Hause fahren, sie war jeden Tag so traurig, sie hat jeden Tag darüber gesprochen, warum ich werde sie jetzt verlassen und wegfahren, aber ich musste damals wirklich nach Polen fahren. Meine Mutter stellte Bogumila schließlich ein Arbeits-Zeugnis aus, sie diktierte es ihrer ehemaligen Sekretärin. In dem Schreiben heißt es: Zitat: "Frau Kolpowska war sehr aufmerksam, hilfsbereit, freundlich und zuverlässig. Bei manchmal vorkommenden Auseinandersetzungen und unterschiedlichen Ansichten zeigte sie sich meistens bereit, zu einer guten Lösung beizutragen. ( ) Ich würde mich freuen, wenn sie nach einer Unterbrechung wiederkommen könnte." Atmo: Auto fährt los, Hupen, Von Heidelberg fahren wir weiter Richtung Posen, der Heimatstadt von Bogumila. Sie kennt die Strecke gut. Das Pendeln zwischen Polen und Deutschland ist für sie schon zur Routine geworden. Eigentlich lebt sie jetzt in zwei Ländern. Ob es ihr dabei gut geht, möchte ich von ihr wissen. Ja, sagt sie. Und dann fängt sie an zu erzählen, wie alles anfing, damals vor fünf Jahren. Ich habe in einer Anzeige gelesen, eine Agentur sucht Frauen, die deutsche Senioren betreuen möchten, und ich habe gedacht, vielleicht ich kann ich es probieren. Am Anfang war es sehr schwierig. Kann ich ganz ehrlich sagen, habe ich große Angst gehabt, einfach ins Unbekannte fahren, und damals auch ohne Geld. Ich bin einfach zu einer fremden Familie gekommen mit einem sehr alten Mann, alles war fremd, und die Sprache war auch schwierig, ich war niemals früher in Deutschland gewesen, es gab sehr viele Sachen, die mir Stress gemacht haben. Man kann nicht so einfach für andere Leute arbeiten, die wir nicht richtig kennen. Und meine Eltern waren auch dagegen, dass ich nach Deutschland fahre. Natürlich meine Eltern haben den Zweiten Weltkrieg erlebt, und ich kann verstehen, dass sie nicht besonders lieben die Deutschen. 5
16 Für Bogumila war es keine leichte Entscheidung gewesen, nach Deutschland zu gehen. Auf dem polnischen Arbeitsmarkt hätte sie aber als über 50-jährige Frau kaum eine Chance gehabt, zumal sie auch keinen Berufsabschluss vorweisen konnte. Ich habe kurz Pädagogik studiert, aber ich war damals schon geschieden und habe drei Kinder schon gehabt. Und das war plötzlich zu schwer geworden, und damals, in unserem kommunistischen System, ich habe keine Perspektive gehabt. Auch wenn ich nach fünf Jahren mein Studium beende, dann konnte ich auch nicht viel mehr Geld verdienen, und ich habe ganz alleine für meine Familie und meine drei Kinder gearbeitet. Deswegen habe ich das nicht zu Ende gemacht. Und ich habe deshalb angefangen, in einem Hotel zu arbeiten, und dort habe ich fast zwanzig Jahre gearbeitet. Bogumila mag nicht klagen. Sie möchte mir nur verständlich machen, warum sie gerne in Deutschland ist. Deshalb muss sie auch über ihr Leben in Polen sprechen. Ich war immer seit vielen, vielen Jahren ganz allein. Ich musste immer als eine Frau die Mutter, der Vater und alles für meine Kinder sein. Das Problem war richtig das Geld. Man sagt, das Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld kann man überhaupt nicht leben. Und jetzt bin ich sehr glücklich, dass ich etwas mehr Geld verdiene, ich fühle mich mehr sicher, dass ich eigentlich etwas auf meinem Konto habe, ich werde auch älter, ich weiß nicht, wer kümmert sich um mich, wenn ich alt werde, deswegen ist das Geld auch wichtig, eine Reserve zu haben vielleicht auch für meine Zukunft. Bogumila kann es sich jetzt sogar leisten, auch sich selber gegenüber großzügig zu sein. Sie genießt die neue Freiheit. Das Geld macht mir jetzt auch Spaß, dass ich mir jetzt kann etwas besseres Auto kaufen oder Computer oder Fotoapparat, vielleicht ist das heutzutage kein Luxus, aber sind das Sachen, die helfen mir manchmal, wenn ich auch traurig bin in Deutschland, dort aushalten einfach. Nie habe sie ihre Entscheidung bereut, nach Deutschland zu gehen, sagt sie. Im Gegenteil: Sie sei stolz darauf, dass sie es geschafft hat, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Meine Kinder, jeder hat eine eigene Familie, ich bin allein immer, und ja, warum soll ich hier in Polen irgendwo alleine sitzen und leiden, dass ich nicht genug Geld habe, ich könnte auch nichts mit meinen Enkelkindern unternehmen, nicht ins Kino gehen und solche einfachen Sachen, weil ich einfach kein Geld dazu habe. Und irgendwann habe ich mir vorgenommen, nicht mehr, kann man sagen, wie ein Bettler zu leben und einfach probieren. 6
17 Jupiter-Sinfonie von Mozart Früher ist Bogumila im Bus nach Deutschland gekommen. Jetzt ist sie im eigenen Auto unterwegs. Oft folgt ihr aber das Heimweh. Dann denkt sie an ihre Eltern und an ihre drei Kinder, vor allem aber an ihre sechs Enkelkinder. Wenn sie davon erzählt, hört es sich so an, als müsste sie sich erst selbst noch davon überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hat. Ich habe viele Bilder immer mit von meinen Enkelkindern, aber ich kann das nicht zu oft anschauen, das macht mich sehr traurig. Aber trotzdem, das weiß ich, ich habe keine andere Alternative gehabt. und ich habe mich entschieden, in Deutschland zu arbeiten, und ich muss das aushalten. Außerdem gehen meine Enkelkinder auch schon zur Schule und haben eigene Hobbys und haben auch nicht mehr so viel Zeit. Die Kinder und die Enkelkinder brauchen sie nicht mehr, jedenfalls nicht in dem Maße, wie sie sich das selber wünschen würde. Aber was ist mit ihren Eltern? Da habe ich immer sehr große Angst. Ja, wenn etwas passiert, dann müssen wir Kinder das organisieren. Es gibt bei uns keine Möglichkeiten, eine Betreuerin zu bezahlen, das geht nicht. Atmo: Auto fährt los Knapp 200 Kilometer nach der Grenze hinter Frankfurt an der Oder erreichen wir die Stadt Posen, polnisch Poznań. Eine Woche lang wird Bogumila hier bleiben. Wohnen wird sie bei ihrer Tochter Monika. Sie ist Innenarchitektin, verheiratet und hat zwei Söhne. Dass ihre Mutter jetzt fast nur noch in Deutschland lebt, empfindet sie nicht als Problem - im Gegenteil: Monika: (polnisch) Sprecherin (overvoice): Ich glaube, es war gut für meine Mutter, nach Deutschland zu gehen. Hier hatte sie keine Perspektive. In Deutschland hat sie dagegen viel Neues kennen gelernt: neue Leute und neue Orte! Es passiert was in ihrem Leben! Hier gab es nichts zu tun für sie. Mit 800 Zloty Rente kann man nicht viel machen. Ich glaube, dass sie sich jetzt wieder lebendig und glücklich fühlt. Es geht ihr gut in Deutschland. Früher war die Beziehung zwischen Mutter und Tochter nicht einfach. Seit Bogumila ihre eigenen Wege geht, kommen die beiden aber wieder besser miteinander klar. So sieht es jedenfalls Monika. 7
18 Monika: (polnisch) Sprecherin (overvoice): Ich glaube, es hat uns gut getan. Für uns passt es. Bogumila trifft sich in Posen nicht nur mit ihrer Familie. Sie will auch bei der Agentur vorbeischauen, über die sie ihre Aufträge in Deutschland bekommt. Bogumila braucht Unterstützung bei der Klärung ihrer Rentenansprüche. Außerdem soll sie die Unterlagen bekommen für ihre nächste Arbeitsstelle. Atmo: Freudige Begrüßung in der Agentur In der Büro-Etage herrscht Hochbetrieb, die Geschäfte laufen offenbar gut. Seit vier Jahren vermittelt die Agentur polnische Haushaltshilfen in den gesamten deutschsprachigen Raum. Auch der Chef ist da: Michael Gomola. Mit seiner Biografie bringt er für diese Arbeit beste Voraussetzungen mit Michael Gomola: Ich bin in Polen geboren. Die Eltern sind nach Deutschland migriert, mit sieben bin ich in Deutschland gelandet, habe dort auch die komplette Ausbildung absolviert. Dann ist es so gekommen, dass ich eben in dieser Branche gelandet bin, und das hat mich natürlich wieder bewegt, weil ich hier die Personalgewinnung besser steuern kann, und es muss auch hier jemand sein, der die ganze Geschichte am Laufen hält. Auch einige Kolleginnen von Bogumila sind anwesend. Ich frage sie, wie sie mit der Arbeit in Deutschland zurechtkommen. Ursula: Ja, das ist schwere Arbeit. Manchmal Kopf ist hier und in Polen. Barbara: (Stoßseufzer) Ja, was machen? Ich bin Witwe, alleine, kleine Rente. Aber ich weiß eines schon: Bei jeder Familie die Menschen brauchen viel sprechen. Manchmal Pflege nicht. Nur sprechen, sprechen, sprechen. Ich das verstehen. Ich mag viel sprechen, mir passt, jedes Thema, jeder Tag. In Deutschland leben die Frauen in den Wohnungen der von ihnen betreuten Senioren. Das geht nicht immer gut. Wiederholt klagten junge polnische Frauen über sexuelle Belästigungen von Seiten der pflegebedürftigen Herren. Die Agentur musste deshalb Konsequenzen ziehen. Michael Gomola: Wir haben uns abgewöhnt, junge Frauen zu schicken, sage ich ganz ehrlich. Wir haben uns abgewöhnt, junge und hübsche Frauen zu Herren zu schicken. In der Regel schicken wir wirklich eine Dame, die 50 ist oder 50 plus, und dann entstehen diese Probleme nicht. 8
19 Dafür gibt es dann andere Konflikte, beispielsweise bei der Benutzung des Telefons, wie auch Bogumila bestätigen kann. Ich weiß von meinen Kolleginnen, dass es viele Familien in Deutschland gibt, die verboten haben nach Polen zu telefonieren. Ich kann einfach nicht verstehen, wie die deutschen Familien, die Verwandten von den alten Senioren, wie sie glauben, dass wir gut für ihre Eltern sorgen und kein Kontakt mit unserer Familie haben. Wir verlassen die Agentur und fahren zu Bogumilas Eltern. Sie leben in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Ich, der Besucher aus Deutschland, bin bei den Eltern angekündigt. Atmo: Begrüßung Der Vater, ein kleiner, drahtiger Mann, wirkt mit seinen 84 Jahren noch erstaunlich fit. Natürlich freut er sich, seine Tochter wiederzusehen. Dass sie in Deutschland arbeitet, fand er anfangs allerdings gar nicht gut. Bogumila Kolpowska's Vater: Ich war nicht so sehr zufrieden, weil meine Erfahrungen von das Zweite Weltkrieg - das ist für mich schwer auszusprechen. Jetzt haben wir schon andere Eindrücke, weil die Deutschen haben sich doch verändert, nicht. Sie haben jetzt ein demokratisches System. Das ist sehr wichtig. Deutsch gelernt hat Bogumilas Vater im Zweiten Weltkrieg. Damals wurde er von den deutschen Besatzern zur Zwangsarbeit verpflichtet. Mein Vater war 14 Jahre alt, als der Krieg begonnen hat. Und er muss damals, hier in Posen, in einer Fabrik, das war damals Deutsche Munitionsfabrik, er muss dort arbeiten. Und er hat gesehen, wenn seine Kollegen, wenn sie die Deutschen nicht verstanden, dann sind sie geschlagen worden. Und er von Angst hat anfangen deutsch zu lernen. Er hat immer gedacht, wenn er mit den Deutschen kann besser unterhalten, er kann verstehen, was sie von ihm verlangen, dann wird es auch für ihn besser. Im letzten Jahr des Krieges war mein Vater auch nach Deutschland deportiert um dort zu arbeiten. Und er muss in einem Arbeitslager wohnen und dort in Karlsruhe arbeiten für die Deutschen. Dass sich sein Bild von den Deutschen verändert hat, liegt vor allem an Bogumila. Sie hat ihm viel erzählt von den Familien, für die sie arbeitet. Bogumila Kolpowska's Vater: Sie ist sehr zufrieden. Von ihrer Arbeit, von den Menschen dort, von ihrer Behandlung ist sie sehr zufrieden. Ich bin erstaunt, es hat sich doch viel verändert. Ja, darum sind Sie auch bei uns! 9
20 Jetzt will mir der Vater das Haus zeigen, in dem Bogumila später einmal wohnen könnte. Es ist es eine Baustelle. Die Arbeiten scheinen schon vor langer Zeit eingestellt worden zu sein. Atmo: Bogumilas Vater öffnet die Tür. Und hier sollte die Küche eigentlich sein. Und hier kann vielleicht so eine Speisekammer sein. Das ist die alte Küche. s Vater Ja, in 20 Jahren vielleicht wird das fertig sein. Ich kann mir mein Leben in 20 Jahren überhaupt nicht vorstellen, dann bin ich schon so alt. Ich kann überhaupt nicht alleine leben und nur für mich selber jeden Tag, das wäre schwierig für mich. Deswegen bin ich gerne in Deutschland mit anderen Leuten. Später werde ich Bogumila fragen, wer sich um sie kümmern wird, wenn sie einmal pflegebedürftig ist. Eine deutsche Haushaltshilfe, sagt sie, und lacht. Aber dann wird sie ernst: Warum das die Deutschen nicht machen, das verstehe ich überhaupt nicht, weil ich habe sehr viele darüber klagen gehört, es ist in Deutschland so schwer, die Pensionen sind so niedrig, es gibt in Deutschland auch sehr viele - habe ich selbst kennen gelernt - Frauen, die allein sind, die ganz fit sind, aber unglücklich. Das verstehe ich wirklich nicht warum sie machen einfach nicht so, dass die schließen ihre Wohnung für einen Monat oder zwei, arbeiten bei jemandem und damit noch Geld verdienen, und dann können sie wieder ein oder zwei Monate in der eigenen Wohnung leben - ja wahrscheinlich ist die ökonomische Situation in Deutschland eben doch so gut. Mittlerweile ist Bogumila wieder in Deutschland. Sie arbeitet wieder am Bodensee, bei dem alten Herren in Bermatingen. 10
B: bei mir war es ja die X, die hat schon lange probiert mich dahin zu kriegen, aber es hat eine Weile gedauert.
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