Die Hanse - globale Handelsmacht des Mittelalters

Transkript

1 Die Hanse - globale Handelsmacht des Mittelalters (Wolfgang Sander) Vom Juni 2013 findet in Herford der 33. Internationale Hansetag der Neuzeit statt. Viele tausend Gäste aus dem In- und Ausland erwartet ein buntes, spannendes und abwechslungsreiches Programm mit vielen Höhepunkten. Was aber ist der historische Hintergrund dieser Großveranstaltung von europäischer Bedeutung? Vor einigen Jahren, genau im Jahr 2006, feierte der mächtigste Städtebund des Mittelalters, die Hanse, seinen 650. Geburtstag. Die Ursprünge der Hanse führen uns aber noch viel weiter zurück: Etwa vom Jahrhundert beherrschten die Wikinger die Meere des Nordens. Obwohl heute meist als trinkfeste Raufbolde und unerschrockene Krieger bekannt, waren sie auch erfahrene Seefahrer und geschickte Händler. Vor allem die Menschen aus dem Bereich des heutigen Schweden bereisten ausgedehnte Handelswege, die sie von ihrer Heimat über die Ostsee über die Flusssysteme Osteuropas ins Schwarze Meer und von dort aus weiter über Handelswege und Karawanenstraßen bis weit in den Orient führten. Reiche Schatzfunde zeugen noch heute von den Fahrten der Nordmänner. Etwa zur Mitte des 11. Jahrhunderts ging die Zeit der Wikinger zu Ende, ihre Handelswege aber blieben erhalten. Die Ostseeinsel Gotland, auch schon zu Wikingerzeiten ein bedeutendes Handelszentrum, übernahm nun die unangefochtene Führung des lukrativen Osthandels. Die Inselmetropole Visby, in damaligen Zeiten eine Weltstadt mit einer beeindruckenden Skyline, erlebte eine Blütezeit, die ihr den Beinamen Regina maris (Königin der Meere) einbrachte. Fast im Zentrum der Ostsee gelegen, nahm nahezu jedes Handelsschiff Kurs auf das strahlende Handelszentrum. Händler aus allen Regionen der Ostsee ließen sich dort nieder, um vom Handel zu profitieren. Parallel dazu gewann der Fernhandel auch in anderen Ländern an Bedeutung. Bereits im 12. Jahrhundert schlossen sich Kaufleute zum Schutz der Handelswege und ihrer Waren zu Kaufmannsgilden zusammen

2 Auch der Raum Westfalen spielte dabei eine wichtige Rolle. Vor allem Soest übernahm mit der Aufzeichnung seiner Stadtrechte eine Vorbildfunktion für viele aufstrebende Städte. Gegen Mitte des 12. Jahrhunderts tritt zum ersten Mal die Bezeichnung Deutsche Hanse für diesen Kaufmannsbund auf. In London wird 1157 eine Handelsniederlassung eingerichtet. Die Stadt Lübeck, die später die unumstrittene Führung der Gemeinschaft übernehmen sollte, wird nach vorangegangener Zerstörung 1159 durch den Sachsenherzog Heinrich der Löwe neu gegründet. Fernkaufleute, die mit ihren Handelsschiffen die Insel Gotland in der Ostsee bereisen, gründen 1161 eine Gilde der Gotlandfahrer. Wenig später entstehen weitere Handelsstützpunkte in Brügge (Flandern, heute Belgien) und Nowgorod (heute Russland). Die Handelswege der Kaufleute erstrecken sich damit von London über Brügge, Köln, Dortmund, Soest, Lüneburg, Hamburg, Lübeck, Visby (Gotland) bis nach Nowgorod. Lübeck - an einem zentralen Verbindungspunkt der Handelswege zwischen Ost und West gelegen, verdrängt Visby zunehmend aus der Führungsrolle und wird bald als Haupt der Hanse bezeichnet. Nach und nach werden weitere Städte (oft nach Lübecker Vorbild) gegründet, die sich an der südlichen Ostseeküste wie Perlen an einer Schnur aufreihen: Wismar - Rostock - Stralsund - Danzig - Riga - Reval (heute Tallinn) tritt ein entscheidender Wandel ein: Bei der ersten Versammlung der beteiligten Handelsstädte wird aus dem Bund der Kaufleute eine Gemeinschaft der Städte - aus der Kaufmannshanse wird die Städtehanse. Dieses Ereignis war Anlass für die Sonder-Briefmarkenausgaben zum 650. Geburtstag der Städtehanse im Jahr

3 An den Endpunkten ihrer Handelsrouten richtet die Hanse vier Umschlagplätze, die Kontore, ein. Sie befinden sich in London, Brügge, Bergen (Norwegen) und Nowgorod. Sie bilden dort weitgehend eigenständige Stadtbezirke, die zum Teil sogar eigene Gesetze und Rechtsprechung haben. Die mächtiger gewordenen Städte demonstrieren ihre neu gewonnene Stärke selbstbewusst gegenüber den Landesherren. Symbol der Stadtrechte ist der Roland, dessen Statue in vielen Städten anzutreffen ist. Am berühmtesten ist zweifellos der Bremer Roland, der heute mit dem Rathaus der Stadt zum Weltkulturerbe zählt. Mitglied der Hanse können ausschließlich Städte werden - mit einer einzigen Ausnahme: Der Deutsche Orden, ein Ritterorden, der seit dem 13. Jahrhundert große Teile des Baltikums unterworfen hat, ist ein mächtiger Partner, der dem Hansebund angehörte und dessen Interessen an der Ostsee durchsetzt. Er hat Zug um Zug riesige Gebiete erobert, die dort heimischen Völker in seinem Kreuzzug bekehrt und seine Machtposition durch Anlage von Burgen gefestigt. An der Spitze des Ordens steht der aus den eigenen Reihen gewählte Großmeister

4 Mit einer starken Flotte und kampferprobten Rittern trägt der Deutsche Orden wesentlich dazu bei, die für ihre Seeräuberei gefürchteten Vitalienbrüder unter dem Anführer Klaus Störtebeker aus der Ostsee zu vertreiben. Womit handelten die Kaufleute der Hanse? Eigentlich ist die Antwort ganz einfach: Mit allem, was Profit versprach! Natürlich gibt es wichtige Güter, die im Mittelpunkt der Handelsbeziehungen stehen. Eine ganz besondere Bedeutung haben dabei Salz und Fisch: In den Fastenmonaten ist den gläubigen Menschen des Mittelalters der Verzehr von Fleisch verboten. Fisch bildet daher eine begehrte Ergänzung des Speiseplanes. Allerdings gibt es nur zwei Wege, ihn haltbar und transportfähig zu machen: Trocknen oder mit Salz einlegen. Daher verspricht der Handel mit diesen beiden Waren hohe Gewinne, die die risikofreudigen Kaufleute gern einstreichen. Ein bedeutender Salzlieferant ist die Stadt Lüneburg. Salzwedel trägt sein wichtigstes Handelsgut sogar im Namen. Die Alte Salzstraße zwischen Lübeck und Lüneburg ist die wichtigste Zuliefererverbindung. Weitere wichtige Produkte sind Holz und Holzerzeugnisse, Erze und Metalle, Waffen, Nahrungsmittel und Getränke. Bienenhonig und Bienenwachs sind in doppelter Hinsicht bedeutsam: Honig ist das einzige bekannte Mittel, um Speisen zu süßen, und Wachs ist für die Kerzenproduktion, vor allem für kirchliche Anlässe, unerlässlich

5 Bekannt und beliebt ist das Bier aus der Hansestadt Einbeck, die sogar der dort gebrauten Sorte den Namen gibt: Die heute noch aktuelle Bezeichnung Bockbier stammt vom Namen dieser wichtigen Hansestadt ab. Auch Hamburg gilt als Brauhaus der Hanse als wichtiger Bierexporteur. Während Bier eher zu den Nahrungsmitteln zählt, ist guter Wein ein Luxusgut im Hanseraum. Besonders französische Weine sind begehrt und kostbar. Noch heute genießt der Lübecker Rotspon, ein speziell gelagerter Bordeaux-Rotwein, in der ehemaligen Hauptstadt der Hanse einen außergewöhnlichen Ruf. Ein Merkvers (vermutlich aus dem 15. Jahrhundert), der auch in anderen Abwandlungen bekannt ist, überliefert einige der wichtigsten Güter und ihre Herkunftsorte: Lübeck, ein Kaufhaus; Köln, ein Weinhaus; Braunschweig, ein Zeughaus; Danzig, ein Kornhaus; Hamburg, ein Brauhaus; Magdeburg, ein Backhaus; Rostock, ein Malzhaus; Lüneburg, ein Salzhaus; Stettin, ein Fischhaus; Riga, ein Hanf- und Butterhaus; Reval, ein Wachshaus; Krakau, ein Kupferhaus; Visby, ein Pech- und Teerhaus. Hier fehlt allerdings noch eine sehr wichtige Warengruppe: Textilien oder - wie es damals heißt - Tuche. Der Handel mit Wolle, Flachs, Leinen und den daraus erzeugten Produkten ist für die Grundversorgung der Bevölkerung genauso bedeutsam wie für den Luxusanspruch der Reichen. Hauptlieferant für Schafwolle ist in erster Linie Großbritannien. Der Ortsname Woolwich ( Woll- Hafen ) spricht für sich

6 Zwischen- und Endprodukte wie Tuchballen, Garne, aber auch fertige Kleidungsstücke, Teppiche oder Wandteppiche werden im gesamten Hanseraum und weit darüber hinaus gehandelt. Verantwortlich für den aufstrebenden Handel sind gewiefte, wagemutige Kaufleute. Während sie zunächst noch selbst ihre Handelsreisen anführen, steuern sie bald die Unternehmungen von ihren Stammsitzen aus und vertrauen die Ausführung ihren Beauftragen und ihren Kapitänen an. Weit verzweigte Netzwerke, in der auch Familienbande eine wichtige Rolle spielen, garantieren die notwendigen Kontakte und Verbindungen. Bekannte Hansekaufleute sind der Danziger Kaufmann Georg Gisze (obere Marke) und der Kölner Hermann Hillebrand Wedigh (Block), die beide auch im Stalhof (Hansekontor in London) tätig sind, sowie Hans Boner, Kaufmann und Bankier in Krakau (untere Marke und Block Krakau )

7 Mit zunehmender Konkurrenz aus den Seefahrerländern Holland und England sowie der aufkommenden Macht der Nationalstaaten beginnt der Stern der Hanse ab dem 15. Jahrhundert zu sinken. Den Landesfürsten sind die mächtigen und selbstbewussten Städte ein Dorn im Auge, und außerdem sind ihre Gewinne auch für die Herrscher außerordentlich lukrativ. Es gelingt den Fürsten immer mehr, die Macht der Städte zu beschränken und selbst das Ruder zu übernehmen. Gleichzeitig laufen auch die individuellen Interessen der einzelnen Städte auseinander: Während einige Hansestädte weiterhin an dem Bund festhalten, durchbrechen andere die Monopolstellung und gehen Geschäfte mit der Konkurrenz ein. Danzig, das in der späteren Hansezeit eine der wichtigsten Positionen im Hansebund einnimmt, baut seine Handelsbeziehungen zu England aus. Dies gilt auch für Stade, wo sogar eine Niederlassung der englischen Kaufmannsvereinigung Merchant Adventurers entsteht. Neue Handelsrouten bestimmen seit der Entdeckung Amerikas den Welthandel. Die Interessen der Städte haben sich geändert; die Hanse verliert zunehmend an Bedeutung. Der 30-jährige Krieg versetzt dem einst so mächtigen Hansebund den endgültigen Todesstoß. Am letzten historischen Hansetag am 29. Mai 1669 in Lübeck nehmen neben den Gastgebern nur noch Bremen, Hamburg, Danzig, Rostock, Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Köln teil. Ohne Auflösungsbeschluss ist die große Zeit der Hanse zu Ende. Auch Herford war lange Zeit Mitglied des mächtigen Städtebundes: Bereits um 1200 tauchen Herforder Münzen im Ostseeraum auf. Im 15. Jahrhundert ist Herford auf vielen Hansetagen vertreten und damit ähnlich aktiv wie größere und berühmtere Städte dieser Zeit. Mit dem Niedergang der Hanse sinkt auch ihre wirtschaftliche Bedeutung für die Mitgliedsstädte in unserer Region. Gemeinsam mit den Nachbarstädten Bielefeld und Lemgo droht Herford mehrfach mit dem Austritt aus der Hanse. Als 1669 der letzte Hansetag stattfindet, ist Herford längst nicht mehr aktiv vertreten gründen einige ehemalige Hansestädte in der niederländischen Stadt Zwolle den Hansebund der Neuzeit. Seitdem wird (mit Ausnahmen) alljährlich in einer der Mitgliedsstädte der Internationale Hansetag gefeiert. Wie eingangs schon erwähnt, findet das europaweite Großereignis in diesem Jahr vom Juni in Herford statt. Freuen wir uns auf ein schönes Fest in der Gemeinschaft der Hanse, des ersten global player in der Handelsgeschichte unseres Kontinents! - 7 -