23. Sonntag nach Trinitatis, 30. Oktober 2016, St. Lukas Augsburg, Vikarin Lisanne Teuchert

Transkript

1 23. Sonntag nach Trinitatis, 30. Oktober 2016, St. Lukas Augsburg, Vikarin Lisanne Teuchert Liebe Gemeinde, morgen wird s also ernst: das Reformationsjubiläum biegt in die Zielgerade ein: ein Jahr bis zum Reformationstag Ein Jahr noch bis zum großen Festakt in Wittenberg. Wenn Sie auf die Homepage der EKD gehen, begrüßt Sie erstens Jürgen Klopp und zweites die Überschrift: 500 Jahre Reformation: 31. Oktober 2016 bis 31. Oktober Ab morgen sind wir also mitten drin, im Reformationsgedenken. In der letzten Zeit haben viele Veranstalter immer wieder danach gefragt, was denn nun der eigentliche Kern der Reformation sei. Was da eigentlich gefeiert wird. Und eine Antwort, auf die sich wohl die meisten evangelischen Christinnen und Christen einigen können, ist: die Freiheit. Von der Freiheit eines Christenmenschen hat Luther eine seiner programmatischen Schriften genannt. Frei werden von der Angst, vor Gott nicht bestehen zu können. Frei werden von menschengemachten Vorschriften, die in der Bibel keinen Anhalt haben. Frei werden von kirchlicher Bevormundung. Das bewegte Luthers Herz und das seiner Mitstreiterinnen und Freunde. Nun ist es mit der Freiheit so eine Sache. Auf der einen Seite war es für Luther das größte Geschenk seines Lebens, frei werden zu können durch das Evangelium. Auf der anderen Seite verlangte ihm diese Freiheit so einiges ab. Vor dem Wormser Reichstag berief er sich auf die Bibel und sein Gewissen. Hier stehe ich und kann nicht anders solange ich nicht aus der Schrift widerlegt werde. Für Luther war das eine Sache der Gewissensfreiheit. Und wenn ich dieses Wort dazusage: Gewissen dann dämmert es mir, dass ich in dieser Freiheit auch herausgefordert werde. Ich glaube, wir dürfen uns Luther nicht nur als entschlossenen Helden vorstellen, für den alles glasklar war. In langen Nächten hat er mit sich gerungen, mit den Texten der Bibel, mit Gott. Leichter wäre es für Luther gewesen, in Worms seine Thesen zu widerrufen. Freier war es aber, zu dieser Gewissensentscheidung zu stehen. Das ist das Vertrackte an der evangelischen Freiheit: sie schenkt mir viel und sie verlangt viel von mir. Beides finde ich in dem Predigttext wieder, der uns heute für den 23. Sonntag nach Trinitatis aufgegeben ist. Auf die Frage, ob man dem Kaiser Steuern zahlen soll oder nicht, lässt sich Jesus eine Münze geben. Er fragt: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Und sie sagen: Des Kaisers! Und weil der Kaiser die Münze mit seinem Namen und Abbild markiert hatte, deswegen gehöre sie ihm auch. So argumentiert Jesus. Doch was frage ich Sie, liebe Gemeinde was ist denn dann das, was Gott gehört? Für mich ist das der spannendste Punkt 1

2 an dieser Geschichte, denn das lässt Jesus offen. Der Kaiser bekommt die Münze, aber was bekommt Gott? Der Kirchenvater Tertullian hat hier auf geniale Weise weitergedacht, wie ich finde. Er fragt: Wo finden wir denn Gottes Bild? Gott hat sein Bild nämlich keiner Münze aufgeprägt. Keinem Flugzeug, keinem Business Tower, keiner Werbefläche im Fußballstadion. Er markiert seine Herrschaft nicht, indem er jeden öffentlichen Platz, jedes T- Shirt und jeden Bildschirmhintergrund mit seinem Namen markiert. Er hat sich ein lebendiges Ebenbild geschaffen nämlich den Menschen. Zum Bilde Gottes schuf er ihn, heißt es in der Schöpfungsgeschichte. Und das macht uns als Menschen frei. Im Kern unserer Persönlichkeit gehören wir niemandem sonst als Gott. Wir sind keine Werbefläche für jemand anderen. Wir sind Bilder Gottes. Keiner sonst darf uns sein Herrschaftszeichen aufdrücken. Wenn überhaupt, dann tragen wir die Erinnerung an Gottes befreiendes Handeln mit uns. So wie die Israeliten. Nachdem Gott sie aus Ägypten befreit hat, sagt er zu Mose: Es soll dir ein Zeichen sein auf deiner Hand und ein Erinnerungszeichen zwischen deinen Augen. Deswegen tragen orthodoxe Juden bis heute kleine Schriftrollen auf der Stirn. Sie erinnern sich dadurch, wem sie gehören, weil er sie freigemacht hat, frei vom Pharao. Seien Sie gewiss: Keine Macht dieser Welt hat Anspruch auf Ihr ganzes Herz, auf Ihre ganze Seele und Ihre ganze Kraft. Von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzer Kraft sollen wir nämlich Gott lieben. Gottes Liebe allein füllt das Innerste meiner Person als Christ oder Christin. Und das macht frei, auch wenn Sie wie Luther vor den Herrschern dieser Welt stehen. Aber damit geht es erst eigentlich los. Wenn ich mein Herz, meine Seele, meine Kraft Gott widme was mache ich dann eigentlich damit, wenn es um Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geht? Wenn ich als ganzer Mensch Gott gehöre dann gehört ihm ja unter anderem auch: meine Stimme. Meine Stimme, die ich erheben kann, um mich für Minderheiten stark zu machen. Meine Stimme auf dem Wahlzettel. Meine Stimme, mit der ich protestieren kann, so wie das gute Protestanten von Zeit zu Zeit tun. Meine Stimme, mit der ich meine Meinung vertreten kann oder lieber nicht, wenn alle anderen dagegen sind. Wenn ich als ganzer Mensch Gott gehöre, dann gehören ihm auch meine Augen und Ohren. Womit beschäftige ich mich? Worüber informiere ich mich, wen nehme ich wahr und wen nicht? Ich finde es manchmal schon schwierig, im Tagesgeschehen auf dem Laufenden zu bleiben. Über das Fernsehen, das Radio, die Zeitungen und das Internet stehen mir unüberschaubar viele Informationen zur Verfügung. Und da noch zu überblicken, wo ich im Moment meine Stimme erheben müsste...wo wirklich Skandale auf der Welt ablaufen das 2

3 kriege ich nicht immer hin. Wem oder was leihe ich mein Ohr? Und dann im Anschluss meine Stimme und meine Hände? Als ganzer Mensch Gott zu gehören, das fordert mich heraus. Eine besonders heikle Sache bleibt dabei das Geld heute wie damals. Die Pharisäer merken, dass sie selbst längst Teil eines Wirtschaftssystems sind, das zur Unterdrückung der Israeliten durch die Römer beiträgt. Sie haben die Münze in der Tasche. Die Münze mit dem Kaiserbild. Und Sie und ich, die wir heute hier sind, haben auch Geld in der Tasche. Oder auf dem Konto. Die eine mehr, der andere weniger. So oder so müssen wir damit umgehen. Ein freier Christenmensch könnte sich jetzt z.b. Folgendes überlegen: Nachher ist Weltladenverkauf. Ok, ein Kaffee oder eine Tafel Schokolade, das kaufe ich schon gerne fair gehandelt. Aber so weit gehen, auch meine Kleider aus dem fairen Handel zu kaufen? Ich weiß nicht. Irgendwo wird es ja schon teuer. Und ob das so gut aussieht Und bringt der faire Handel überhaupt etwas? Macht es Sinn, einen Markt abseits der normalen Handelswege aufzubauen? Dazu müsste ich mich allerdings erst wieder kundig machen. Und das ist mir jetzt zu mühsam. Da gibt es so unterschiedliche Meinungen So könnte der freie Christenmensch denken. Letztlich ist das eine Gewissensentscheidung wie er in Freiheit mit seinem Geld umgeht. Das ist anstrengend und das fordert eine eigene Entscheidung. Und doch stellt uns Jesus mit seiner Antwort genau in diese Situation: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und Gott, was Gottes ist. Aber Gott hat ja den viel höheren Anspruch auf unser Leben. Da muss ich abwägen und entscheiden, wie ich mit meiner Freiheit umgehe. Kein Priester und kein Fürst schreibt mir vor, was richtig und was falsch ist. Aber ich spüre die Verantwortung deutlich. So ist das mit der Freiheit. Ich möchte Sie heute ermutigen, diese Gewissensfreiheit auszuhalten. Denn immer wieder hat es Versuche gegeben, beides säuberlich aufzuteilen: das, was wir in der Welt tun sollen, und das, was wir für Gott tun sollen. Calvin meinte z.b., für Gott sei das Innere des Menschen reserviert. Und für den Kaiser oder die Welt eben das Äußerliche. Und so könnte ich Ihnen ein schiedlich-friedliches Nebeneinander predigen: die Steuer für den Staat, das Herz für Gott. Aber ich glaube nicht, dass das funktioniert: Denn wir leben ja als ganze Menschen mit unserem Inneren und mit unserem Äußeren. In dieser Welt sollen wir zuerst Gottes Reich suchen, so haben wir gesungen. Und wenn wir Gott lieben, dann gibt es keinen Bereich der Welt, der davon nicht betroffen wäre. Auch die sogenannten Äußerlichkeiten nicht. Lassen Sie uns die Frage stellen, von Fall zu Fall neu: Was gehört dem Kaiser, was Gott? Geht beides gut zusammen oder muss ich nach einer Alternative fragen? Lassen Sie uns diese Fragen aushalten und uns tatsächlich stellen. 3

4 Trotzdem möchte ich mich damit nicht aus der Affäre ziehen, liebe Gemeinde, so nach dem Motto: entscheiden Sie einfach selber und Schluss. Ich möchte Ihrer Gewissensfreiheit gerne einen Bereich ans Herz legen, der mit uns als Christen in der Welt zu tun hat. Mein Eindruck ist, dass uns der Kaiser, der heute ja zum Glück keiner mehr ist, grade eher wieder stärker braucht als noch vor 10 oder 20 Jahren. Zum Glück leben wir in einem Staat, die nicht von uns verlangt, einen Menschen wie Gott zu verehren, so wie das damals der Fall war. Sondern in einer Demokratie. Und das ist ein hohes Gut. Aber ich bekomme den Eindruck, dass immer mehr Menschen bereit sind, dieses Gut aufs Spiel zu setzen. Was könnte es da heißen, dem Kaiser zu geben, was er von uns braucht? Drei Dinge möchte ich Ihnen ans Herz legen. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, das kann heute bedeuten: Unterstützt den Rechtsstaat. Beteiligt euch nicht an Forderungen nach einem kurzen Prozess. Wenn Stimmen laut werden, Sexualstraftäter gehörten doch alle sofort lebenslänglich eingesperrt oder sogar hingerichtet, dann könnt ihr Verständnis für die Gefühle haben, die da hochkochen aber werbt für das rechtsstaatliche Verfahren, dass ein Gericht die Indizien prüft und dass ein ordentlicher Prozess mit Anklage und Verteidigung geführt wird. Haltet den Rechtsstaat hoch, wo impulsive Menschen ihn am liebsten übergehen würden. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, das kann heute zweitens bedeuten: Haltet die Grundrechte und die Verfassung hoch. In Polen sagt die Regierung z.b. ganz offiziell: Das Wohl des Volkes steht über der Verfassung. Wenn die Stimmungslage grade umschwingt und das Volk es will, dann können wir uns über die Verfassung und die Grundrechte hinwegsetzen. Dann ist auch Schluss mit langen Verhandlungen und mühseligen Kompromissen. Wir wollen heute und hier machen, wonach uns gerade der Sinn steht. Dagegen höre ich in unserem Text: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist: Unterstützt die Verfassung, die Gesetzgebungsverfahren, die langen Wege der Institutionen. Denn diese Wege schützen davor, dass sich eine momentane Mehrheit über die Rechte von Einzelnen oder Minderheiten hinwegsetzt. Sie schützen die Würde des Einzelnen als Bild Gottes. Haltet daran fest, wo Parolen diese Wege einfach beiseite wischen. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, das kann heute drittens bedeuten: Zahlt tatsächlich eure Steuern. Wandert nicht aus in sogenannte Steuerparadiese, sodass eurem eigenen Land die Mittel für die Schulen und die Straßen fehlen. Seid ehrlich bei der Steuererklärung. Wenn ihr Kinder und Enkel habt, bringt ihnen bei, dass man manches nur gemeinsam schafft. Und nur dann, wenn alle etwas beitragen und sich keiner heraushält. Das ist beim Spendenprojekt einer Schulklasse nicht anders als bundesweit. 4

5 Liebe Gemeinde, auch wenn Sie keine Politiker sind oder viel Macht haben eine Kultur, wie wir uns als Christen in diesem Staat verstehen, können wir alle pflegen und verbreiten. Das Reformationsjubiläum sagt uns vor allem: Geht befreit in die Welt. Keine Macht ist größer als die Liebe Gottes. Lassen Sie uns so an unsere Plätze gehen und unser Gewissen wachhalten. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Lisanne Teuchert 5