2.1 Verarbeitungstechnische Kennwerte
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- Paulina Winter
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1 Fließkurven, Viskosität 79 den Herstellbedingungen der Formteile und den daraus resultierenden Eigenspannungen, Orientierungen, Kristllisationsgraden und Strukturen. Hierzu werden in den folgenden Kapiteln Beispiele erläutert Verarbeitungstechnische Kennwerte Die Herstellung von Formteilen aus Kunststoffen erfolgt bei Thermoplasten, Thermoelasten und Duroplast-Formmassen durch Ausformen bei erhöhten Temperaturen, wobei dieser Vorgang bei den Thermoplasten und Thermoelasten mehrfach wiederholbar ist. Duroplaste härten bei der Formgebung aus, sie vernetzen und sind deshalb nicht wieder aufschmelzbar. Gießharze werden nach speziellen Verfahren verarbeitet, Abschn Der Verarbeitungprozess ist mitbestimmend für die Qualität und die Herstellungskosten eines Formteils. Für die Werkstoffauswahl und die Vorbereitung der Produktion ist deshalb die Kenntnis folgender Werte wichtig: rheologisches Verhalten, Erstarrungsverhalten, Entformungsverhalten, Abbauverhalten, Schwindungsverhalten und Toleranzen, Orientierungen, Kristallisationsverhalten. Zu Abschnitt 2.1.1, u vgl. Plaste u. Kautschuk 39 (1992) 1, S. 329ff Rheologisches Verhalten Die Fließfähigkeit einer Kunststoffschmelze bei der Verarbeitungstemperatur ist sowohl für die Anzahl als auch für die Anordnung der Angüsse bei einem Spritzgießwerkzeug maßgebend. Außerdem hängt von ihr in Kombination mit dem Erstarrungsverhalten die erreichbare minimale Wanddicke ab. Die minimale Wanddicke ist zugleich ein Maß für den erforderlichen Materialeinsatz Fließkurven, Viskosität Bei Thermoplasten wird das rheologische Verhalten durch Fließkurven beschrieben (DIN 54811: Bestimmung des Fließverhaltens mit einem Kapillar-Rheometer). Sie vermitteln den Zusammenhang zwischen der Scherviskosität (das Verhältnis der Schubspannung zur Schergeschwindigkeit in einer fließenden Substanz und damit ein Maß für den Widerstand, den die Schmelze der Strömung entgegensetzt) in Pa s und der Schergeschwindigkeit in 1/s. In Bild 2.2 sind die bei verschiedenen Verarbeitungsverfahren auftretenden Schergeschwindigkeitsbereiche eingezeichnet. In Tafel 2.3 sind Ausführungsformen einiger Rheometer mit Hinweisen auf Anwendungsbereiche zusammengestellt, nach K.H. Moos.
2 Verarbeitungstechnische Kennwerte Tafel 2.3 Ausführungsformen einiger zur Prüfung hochviskoser Polymerschmelzen geeigneter Rheometer-Typen Rotations-Rheometer Messspalt experimentell erfassbarer Schergeschwindigkeitsbereich zu ermittelnde Materialfunktionen (10 2 bis 10 2 )s 1 rotierender Betrieb: t, h = f (r, T, g, t) oszillierender Betrieb: h', h"; G', G" Koaxiale Zylinder Searl- bzw. Couette-Rheometer Messspalt Parallel-Platten-Rheometer Messspalt Kegel-Platte-Rheometer Kapillar-Rheometer F diskontinuierlich Kapillare Kapillare rotierender Betrieb: t, h, s = f (r, T, g, t) oszillierender Betrieb: h', h"; G', G" (10 2 bis 10 5 )s 1 t, h, s = f (r, T, g ) r = Druck Pa t = Zeite s T = Temperatur C s = Zugspannung Pa t = Schubspannung Pa g = Scherung m g = Schergeschwindigkeit m s 1 h = Viskosität Pa s G = Schubmodul Pa h'; G' = elastischer Anteil Pa s h"; G"= viskoser Anteil Pa s kontinuierlich Die Scherviskosität wird meist in Kapillarviskosimetern aus der Materialmenge bestimmt, die unter bestimmtem Druck aus einer Kapillare austritt. On-Line-Rheometer gestatten die Überwachung von Extrusionsprozessen. Mit Hilfe von Zahnradpumpen wird hierbei dem Volumenstrom des Extrudates ein Teilstrom nach dem Bypassprinzip entnommen., s. Bild 2.1 (Melt Flow Monitor, Fa. Rheometrics). Aus dem von den Zahnradpumpen vorgegebenen Volumenstrom und der im Bypass über die Messstrecke gemessenen Druckdifferenz errechnet sich die Viskosität. Bei Variation der Fließgeschwindigkeit im Bypass kann eine Fließkurve aufgenommen
3 Fließkurven, Viskosität 81 2 Bild 2.1 On-line-Rheometer, Bypassprinzip Bild 2.2 Schmelze-Viskosität einiger Thermoplaste für die normale obere bzw. untere zulässige Schmelztemperatur
4 Verarbeitungstechnische Kennwerte werden. Die Viskosität kann auch direkt im Haupt-Volumenstrom bestimmt werden, allerdings nur bei der vom Prozess vorgegebenen Schergeschwindigkeit. Um die Fließkurven bei der Auslegung von Spritzgieß- und Extrusionswerkzeugen mit Hilfe von Rechenprogrammen (s. Abschn ) verwenden zu können, werden die Abhängigkeiten zwischen Viskosität, Schergeschwindigkeit und Temperatur durch Stoffgesetze, z.b. unter Nutzung von Potenzformeln oder des sog. Carreau-Ansatzes beschrieben. Die entsprechenden Konstanten sind in den Datenbanken CAMPUS der einzelnen Rohstoffhersteller enthalten. Mit ihrer Hilfe kann der Druckverlust beim Spritzgießen in Kanälen, Düsen und Werkzeugen berechnet werden. Bei Verarbeitungsverfahren mit hohem Dehnanteil an der Verformung der Schmelze, wie dem Blasen von Kunststoffteilen, spielt auch die Dehnviskosität eine Rolle. Sie ergibt sich aus dem Verhältnis der auf eine Schmelze wirkenden Zugspannung zur zeitlichen Änderung der Zugdehnung und wird ebenfalls in Pa s angegeben Schmelze-Volumenfließrate MVR und Schmelze- Massenfließrate MFR Als reine Vergleichszahl für das Fließverhalten einer Schmelze, nicht jedoch für die Berechnung, wird die Schmelze-Volumenfließrate MVR benutzt. Sie ist definiert als das Volumen einer Schmelze, das in 10 min bei vorgegebener Temperatur und vorgegebenem Druck durch eine Kapillare festgelegter Abmessungen fließt (cm 3 /10 min). Weniger gebräuchlich ist die Schmelze-Massenfließrate MFR, die unter gleichen Bedingungen ermittelt, aber in g/10 min angegeben wird. Beide Methoden werden nach ISO 1133 durchgeführt. Beim Vergleich solcher Werte muss darauf geachtet werden, dass sie auch unter gleichen Bedingungen, also bei gleichem Druck und gleicher Temperatur, ermittelt werden, s. Tafel Fließweg-Wanddicken-Diagramm Zur ersten Abschätzung der erreichbaren minimalen Wanddicke beim Spritzgießen werden häufig Fließweg-Wanddikken-Diagramme herangezogen. Sie gelten für normale Verarbeitungsbedingungen und werden entweder mit Rechenprogrammen aus Stoffwerten berechnet (s. Abschn ) oder beruhen auf Praxiserfahrungen. Das Diagramm in Bild 2.3 wurde rechnerisch ermittelt, wobei die Einspritzzeit jeweils so gewählt wurde, dass die Schmelzetemperatur sich über dem Fließweg nicht ändert, d.h., die Abkühlung wird durch die Wärmedissipation kompensiert.
5 Fließverhalten von duroplastischen Formmassen 83 2 Bild 2.3 Fließweg-Wanddicken-Diagramm für PC-ABS-Blend, rechnerisch ermittelt Fülldruck Eine Beurteilung des Fließverhaltens von Thermoplastschmelzen ist auf einfache Weise praxisnah mit Hilfe der Fülldruckbestimmung beim Spritzgießen möglich. Dazu wird im Spritzgießwerkzeug angussnah ein Drucksensor eingebaut. Mit diesem Sensor wird der Druck an der Unstetigkeitsstelle im Werkzeuginnendruck-Verlauf zwischen dem flacheren Druckanstieg während der Formfüllphase und dem steileren Anstieg während der Verdichtungsphase der Schmelze bestimmt, Bild 2.4. Dieser Druck ist der Fülldruck und ein Maß für die Viskosität der Schmelze. Bei gleichem Werkzeug und gleichen Spritzgießparametern besteht eine gute Korrelation zur Schmelzeviskosität, Bild 2.5. Das Verfahren eignet sich gut zu Qualitätsüberwachung, z.b. bei der Eingangskontrolle Fließverhalten von duroplastischen Formmassen Duroplastische Formmassen werden in verschiedenen Einstellungen geliefert, die sich im Fließverhalten (hart: höchste Viskosität, normal: normale Viskosität, weich: niedrige Viskosität) und in den Härtegeschwindigkeiten unterscheiden. Das Fließvermögen wird bei der Herstellung von Formteilen (Platte, Stab oder Becher) im Pressverfahren ermittelt. Versuchsparameter sind der Fließ-Druck, der Fließ-Weg oder die Fließ- Zeit. Je dünner die Platte oder die Becherwandung oder je länger der Stab sind, um so höher ist die Fließfähigkeit der Formmasse. Als Maß für die Härtegeschwindigkeit gilt die Schließzeit, das ist die Zeit vom Beginn des ersten Druckanstiegs bis zum Stillstand des Presskolbens (DIN 53465, Becherverfahren).
6 Verarbeitungstechnische Kennwerte Bild 2.4 Fülldruckbestimmung aus Werkzeug-Innendruck-Messungen PW-1= Werkzeuginnendruck angussnah PW-2= Werkzeuginnendruck angussfern Ve= Schneckenvorlauf-Geschwindigkeit P F = Fülldruck Bild 2.5 Korrelation Schmelzeviskosität/Fülldruck (nach Anders) Mit einem Pastenreaktometer (SMC-Technologie, Stolberg) lassen sich Rückschlüsse auf das Mischungsverhältnis von Reaktionspartnern, auf die Dynamik im Anlauf der Reaktion, deren Ende und Aushärtungsgrad ziehen, indem das dielektrische Verhalten von Imprägnierpasten für die
7 Siegelindex 85 Herstellung von SMC, BMC oder anderen Halbzeugen in einem 60s dauernden Test untersucht wird. Das Fließverhalten von Gießharzen, z.b. für die GFK-Herstellung, wird durch die Viskosität beschrieben Erstarrungsverhalten Siegelindex Die Wirtschaftlichkeit eines Spritzgießprozesses hängt davon ab, wie schnell die Schmelze im Werkzeug erstarrt, wann der Anguss versiegelt ist und wann das Formteil ohne unzulässige Deformation oder Beschädigung entformt werden kann. Mit DSC-Messungen, vgl. Abschn , kann man zwar die Kristallisations-Temperatur teilkristalliner Kunststoffe ermitteln, diese Temperatur steht jedoch nach Salewski nicht in einem direkten Zusammenhang zum Erstarrungsverhalten eines Formteils. Besser eignet sich der Siegelindex zur Beurteilung, wann eine Entformung zulässig ist. Wie bei der Bestimmung des Fülldrucks, Abschn , werden der Hydraulikdruck und der Werkzeuginnendruck als Funktion der Zeit während der Nachdruckphase gemessen. Wie in Bild 2.6 dargestellt, verläuft die Innendruck-Kurve mit einem deutlichen Knick nach unten, wenn der Nachdruck zu einer bestimmten Zeit (t 3 ) auf Null reduziert wird und der Anguss noch nicht versiegelt ist. Die Schmelze hat die Möglichkeit, sich durch den Anguss zu entspannen. Aus dem Druckverlauf im Werkzeug nach der Abschaltung des Nachdrucks und dem extrapolierten Druckverlauf ohne Nachdruckabschaltung lässt sich der Siegelindex entsprechend Bild 2.6 ermitteln. Er erreicht 100%, wenn nach Abschaltung des Nachdrucks kein Abfall des Innendrucks mehr erfolgt. Der Siegelindex ist zwar von den Prozessparametern und der Formteil- und Angussgeometrie abhängig, aber er ist praxisnah und zum Vergleich verschiedener Formmassen und zur Beurteilung von Neuentwicklungen oder Produktmodifikationen gut geeignet. Bild 2.6 Verfahren zur Bestimmung des Siegelindex (nach Salewski)
8 Verarbeitungstechnische Kennwerte Siegelzeit Die Siegelzeit kann auch etwas aufwendiger durch das Auswiegen der Formteile ermittelt werden. Dabei wird in einer Testreihe die Nachdruckzeit bestimmt, oberhalb der das Formteilgewicht nicht mehr zunimmt. Beide Methoden liefern gleiche Ergebnisse, Bild 2.7. Bild 2.7 Korrelation Siegelindex/Formteilgewicht (nach Salewski) Entformungsverhalten Nach dem Erstarren muss das Formteil aus dem Werkzeug ausgestoßen werden. Hierzu sind unter Umständen beträchtliche Kräfte erforderlich, die über Auswerferstifte oder -platten oder über Druckluft aufgebracht werden müssen. Diese Kräfte entstehen durch das Aufschrumpfen der erkaltenden Formmasse auf Kerne im Werkzeug oder durch das Haften des Formstoffs an der Werkzeugoberfläche, also durch Schwindung und Reibung. Die übliche Methode zur Bestimmung des Entformungsverhaltens einer Formmasse besteht darin, dass man ein Becherwerkzeug abspritzt und über die Auswerfer mit einer Kraftmessdose die Entformungskraft bestimmt. Eine Differenzierung zwischen den beiden Einflussgrößen Schwindung und Reibung ist jedoch nicht möglich. Von Dombrowski und Kaminski wird ein Verfahren beschrieben, mit dem Reibungskoeffizienten unabhängig von Schwindungseinflüssen ermittelt
9 2.1.4 Abbauverhalten 87 werden können. Es eignet sich sowohl zur Beurteilung der Wirkung von Entformungs-Hilfsmitteln, die der Formmasse beigegeben werden, als auch zur Beurteilung der Einflüsse der Stahlsorten, Oberflächenbehandlungen und Rauhigkeiten der Werkzeuge auf die Reibungskoeffizienten Abbauverhalten Auf dem Weg von der Formmasse zum fertigen Formteil wird der Kunststoff mehrmals einer hohen Temperaturbeanspruchung ausgesetzt: Bei der Granulierung, Compoundierung, Formteil- oder Halbzeugherstellung und bei einer eventuellen Thermoformung. Ob hierbei eine Schädigung auftritt, hängt außer vom Kunststoff vor allem von der Höhe der jeweiligen Temperatur und Verweilzeit ab. Dies kann besonders bei Kunststoff- Blends von Bedeutung sein. Eine Schädigung kann erfolgen, ohne dass diese optisch erkennbar ist. Eine Information über das Temperatur-Verweilzeit-Verhalten ist deshalb wichtig. Eine genormte Prüfmethode hierzu gibt es z.z. noch nicht. In Bild 2.8 ist die thermische Belastung der Schmelze schematisch dargestellt. Ein reales sog. Verarbeitungsfenster ist in Bild 2.9 wiedergegeben: Bei Spritzgießversuchen wurden die Massetemperaturen und Verweilzeiten der Schmelze im Spritzgießzylinder systematisch variiert und an den so hergestellten Formteilen die Lösungsviskositäten als Maß für die Molmasse bestimmt, wobei ein Abfall von 10% noch als tragbar galt. Bild 2.9 zeigt deutliche Unterschiede zwischen den beiden PBT-Typen. Verarbeitungsparameter außerhalb des Fensters können zu einer Qualitätseinbuße des Formteils führen. Bild 2.8 Thermische Belastbarkeit von Kunststoffmassen in Spritzgießmaschinen (schematische Darstellung nach A. Albers)
10 Verarbeitungstechnische Kennwerte Schwindungsverhalten und Toleranzen Bild 2.9 Verarbeitungsfenster am Beispiel von zwei PBT- Typen Schwindung Von einem Kunststoff-Formteil erwartet man, dass es nach dem Herstellungsprozess die Abmessungen mit einem gewissen Toleranzbereich aufweist, die die Funktionsweise fordert. Außerdem sollen die Abmessungen der Formteile während der Lebensdauer unter den gegebenen äußeren Einwirkungen erhalten bleiben. Die Maße von Formteilen aus Kunststoff sind infolge der Verarbeitungsschwindung VS kleiner als die der Formwerkzeuge. Dies liegt an der höheren Kontraktion der Kunststoffe bei der Abkühlung, verglichen mit Stahl, und an der Volumenverringerung beim Vernetzungsvorgang bei Duroplasten bzw. der Kristallisation bei teilkristallinen Thermoplasten. Für die Maßbeständigkeit des Formstoffs kann die Nachschwindung NS infolge chemischer Reaktionen, der Stoffabgabe, Nachkristallisation oder Retardation von Belang sein. Die Nachschwindung stellt sich bei Raumtemperatur innerhalb sehr langer Zeiten ein. Sie kann durch eine Warmlagerung bei stoffspezifischen Temperaturen vorweggenommen werden. Dazu kommen Einflüsse der Formteilgestalt, der Angussart, und der Verarbeitungsbedingungen auf das Schwindungsverhalten. Für die Nachschwindung gilt: Bei amorphen Thermoplasten ist sie meist vernachlässigbar klein, bei teilkristallinen 0,2 bis 0,5%, bei mineralisch gefüllten 0,2%. Duroplaste: PF 0,1 bis 0,6%, UF 0,6 bis 2,2%, UP 0 bis 0,1%.
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