Zur Aufhebung der Immunität eines Landtagsabgeordneten.
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- Ferdinand Neumann
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1 Zur Aufhebung der Immunität eines Landtagsabgeordneten. GG Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 46 Abs. 2 LV NRW Art. 30 Abs. 2, 48 VerfGHG NRW 44 Abs. 1 VerfGH NRW, Beschluss vom VerfGH 8/05.
2 VerfGH 8/05 B e s c h l u s s In dem verfassungsgerichtlichen Verfahren des Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen, Landtag Nordrhein-Westfalen, Platz des Landtags 1, Düsseldorf, Antragstellers, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte g e g e n den Landtag Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Präsidenten des Landtags Nordrhein-Westfalen, Platz des Landtags 1, Düsseldorf, Antragsgegner, wegen Verletzung des Immunitätsrechts hat der VERFASSUNGSGERICHTSHOF FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN durch die Verfassungsrichter Präsident des Verfassungsgerichtshofs Dr. B e r t r a m s, Präsident des Oberlandesgerichts D e b u s m a n n, Präsident des Oberlandesgerichts R i e d e l, Professor Dr. S c h l i n k, Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht a.d. P o t t m e y e r, Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. B r o s s o k und Professor Dr. T e t t i n g e r am 29. Juli 2005
3 2 gemäß 19 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1989 (GV NRW S. 708) VerfGHG - beschlossen: Der Antrag wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. G r ü n d e : I. Der Organstreit betrifft die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten. Der Antragsteller war Mitglied des 13. Landtags des Landes Nordrhein-Westfalen. Er gehörte der SPD-Fraktion an. Bei der Wahl zum 14. Landtag am 22. Mai 2005 hat er sich erneut um ein Mandat beworben. Er ist allerdings weder im Wahlkreis direkt noch über die Landesliste der SPD gewählt worden. Auf der Landesliste war er auf Platz 104 aufgestellt. Von den 74 Abgeordneten der SPD-Fraktion des 14. Landtags sind 35 über die Liste gewählt worden. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelte gegen den Antragsteller seit mehr als drei Jahren im Zusammenhang mit seiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer zweier zur Trienekens-Gruppe gehörenden Firmen. Auf Grund eines Beschlusses des Amtsgerichts Köln vom 13. Februar 2002 wurden im Zuge der Ermittlungen das Privathaus des Antragstellers sowie die Räume der von ihm geführten Firma durchsucht. Der für diese Durchsuchung zuständige, zwischenzeitlich abgelöste Staatsanwalt habe so der Antragsteller die Absicht zu erkennen gegeben, ihm die Ausübung eines politischen Amtes unmöglich zu machen. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 22. Februar 2002 wurde der Antragsteller über die beabsichtigte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens informiert. Mit Schreiben vom glei-
4 3 chen Tag wurde dies auch dem Präsidenten des Landtags angezeigt. Im Dezember 2002 kam es zu einer weiteren Durchsuchung. Ende Januar 2004 legte die Polizei ihren Abschlussbericht vor. In der 13. Kalenderwoche des Jahres 2005 erhielt die Verteidigung des Antragstellers erstmals vollständige Einsicht in die Akten. Mit Schreiben vom 31. März 2005 beantragte der Leitende Oberstaatsanwalt beim Antragsgegner die Aufhebung der Immunität des Antragstellers. Der Antragsteller, der durch Presseberichte am 11. April 2005 von dem Begehren der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung seiner Immunität Kenntnis erhalten hatte, verlangte mit Schreiben vom selben Tag sowie vom 12. April 2005 an den Präsidenten des Landtags die Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft. Der Rechtsausschuss des Landtages befasste sich in seiner Sitzung vom 13. April 2005 mit der Sache. Der Justizminister erklärte gegenüber dem Ausschuss, dass nach Auskunft des Generalstaatsanwaltes ein Anklageentwurf vorliege und beabsichtigt sei, auf der Grundlage dieses Entwurfs eine Anklage zu erheben. Daraufhin empfahl der Rechtsausschuss nach eingehender Diskussion einstimmig die Aufhebung der Immunität des Antragstellers. In seiner Sitzung vom 21. April 2005 folgte der Antragsgegner der Empfehlung und hob die Immunität des Antragstellers auf. Am 21. April 2005 hat der Antragsteller Antrag im Organstreitverfahren erhoben. Er beantragt festzustellen, dass der Antragsgegner seine Rechte aus Art. 48 Abs. 1 ivm Art. 30 Abs. 2 der Landesverfassung NRW dadurch verletzt hat, dass er in der 150. Sitzung der 13. Wahlperiode am 21. April 2005 seine Immunität auf den ermessensfehlerhaften und willkürlichen Antrag der Staatsanwaltschaft Köln hin aufgehoben hat.
5 4 Der Antragsteller ist der Ansicht, der Antragsgegner hätte den Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnen oder zumindest mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl seine Entscheidung verschieben müssen. Die Aufhebung seiner Immunität sei willkürlich, weil vernünftigerweise kein Zweifel an der sachfremden, politisch motivierten Zielrichtung des staatsanwaltlichen Vorgehens bestehen könne. Die Willkür dieses durch "Jagdeifer" gekennzeichneten Vorgehens ergebe sich aus der Länge des Ermittlungsverfahrens sowie insbesondere dessen Abschluss gerade zum Ende des Wahlkampfes. Sie zeige sich aber auch in weiteren Unregelmäßigkeiten des Verfahrens. So sei die Durchsuchung im Februar 2002 ungeachtet seiner Immunität als Landtagsabgeordneter erfolgt. Die Äußerung des damals zuständigen Staatsanwaltes habe die politische Stoßrichtung deutlich gemacht. Verfahrensfehlerhaft sei zudem, dass er erst durch die Presse von dem Aufhebungsverlangen der Staatsanwaltschaft erfahren habe. Da die Staatsanwaltschaft nach Stellung ihres Antrages auf Aufhebung der Immunität gegenüber der Öffentlichkeit erklärt habe, eine Anklageerhebung sei noch nicht beschlossen, habe ihr Antrag auf einen unzulässigen Vorratsbeschluss gezielt. Ihm sei zudem durch die verspätete Gewährung von Akteneinsicht das rechtliche Gehör verweigert worden. Nach Ankündigung einer Stellungnahme hätte die Staatsanwaltschaft ihr im Übrigen unter Umgehung des Dienstweges über den Generalstaatsanwalt und das Justizministerium an den Antragsgegner gerichtetes Ersuchen jedenfalls zurückziehen müssen. Mit dem Ersuchen habe sie dem Antragsgegner auch nicht die notwendigen Informationen verschafft, auf deren Grundlage dieser eine Sachentscheidung hätte fällen können. Der Rechtsausschuss des Antragsgegners habe seinerseits die vom Antragsteller vorgetragenen Anhaltspunkte für ein willkürliches Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht hinreichend gewürdigt. Der Antragsteller ist auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach 19 VerfGHG NRW hingewiesen worden.
6 5 II. Der Antrag hat keinen Erfolg. Bereits gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen mit Blick auf die notwendige Antragsbefugnis und das fortbestehende Rechtsschutzinteresse des Antragstellers Bedenken. Nach 44 Abs. 1 VerfGHG NRW muss der Antragsteller geltend machen können, dass er durch die Aufhebung der Immunität in seinen ihm durch die Verfassung übertragenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Ob die in Art. 48 LV NRW garantierte Immunität ein solches Recht des Abgeordneten umfasst, ist streitig. Unzweifelhaft dient der Genehmigungsvorbehalt für die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten vorrangig dem Parlament. Teilweise wird hieraus gefolgert, dem einzelnen Abgeordneten komme nur ein Rechtsreflex zugute, dem keine im Organstreit geltend zu machende Rechtsposition entspreche (vgl. Löwer: in Löwer/Tettinger, LV NRW, Art. 48 Rdnr. 14). Demgegenüber leitet das Bundesverfassungsgericht aus den vergleichbaren Regelungen des Art. 46 Abs. 2 ivm Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ab, der einzelne Abgeordnete habe einen Anspruch darauf, dass sich das Parlament bei der Entscheidung über die Aufhebung der Immunität nicht den repräsentativen Status des Abgeordneten grob verkennend von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lasse (vgl. BVerfGE 104, 310, 325 ff.). Jedoch kann diese Frage ebenso offen bleiben wie die nach dem Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses, nachdem der Antragsteller nicht mehr dem 14. Landtag als Abgeordneter angehört und auf Grund seiner Listenplatzierung nicht mit einem späteren Nachfolgen während der jetzigen Wahlperiode zu rechnen ist. Denn ungeachtet dieser Bedenken gegen die Zulässigkeit ist der Antrag jedenfalls offensichtlich unbegründet. Der Antragsgegner hat durch die Aufhebung der Immunität des Antragstellers mit Beschluss vom 21. April 2005 nicht dessen Rechte aus Art. 48 Abs. 1 ivm Art. 30 Abs. 2 LV NRW verletzt.
7 6 Die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten ist eine Maßnahme im Rahmen der Parlamentsautonomie, die der Landtag grundsätzlich in eigener Verantwortung trifft (vgl. BVerfGE 102, 224, 235 f.). Der Genehmigungsvorbehalt bei Durchführung von Strafverfahren gegen ein Mitglied des Landtages dient vornehmlich dazu, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. Der Kern seiner Entscheidung beruht auf einer Interessenabwägung zwischen den Belangen des Parlaments und den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten. Bei dieser Abwägung kommt dem Landtag ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 104, 310, 332). Der Abgeordnete hat keinen Anspruch darauf, dass im Rahmen der Abwägung eine Überprüfung stattfindet, die seine Interessen in den Vordergrund rückt. Selbst wenn ihm mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Anspruch auf willkürfreie Entscheidung über die Genehmigung der gegen ihn gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen zusteht, ist dieser erst dann verletzt, wenn das Parlament bei der erforderlichen Interessenabwägung den verfassungsrechtlichen Status des betroffenen Abgeordneten in grundlegender Weise verkannt hat. Danach ist der Landtag insbesondere nicht verpflichtet, die nachteiligen Folgen zu überdenken, die sich aus der Genehmigung der Anklageerhebung für einen Landtagswahlkampf des Abgeordneten ergeben können. Der Landtag ist auch nicht verpflichtet, im Rahmen der Abwägung die Schlüssigkeit des gegen den Abgeordneten erhobenen Tatvorwurfs und die Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme zu prüfen. Er darf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahmen den hierfür zuständigen Gerichten überlassen. Etwas anderes gilt erst dann, wenn vernünftiger Weise keine Zweifel bestehen können, dass das Strafverfahren gegen den Abgeordneten aus sachfremden Motiven durchgeführt wird. Nur in einem solchen Fall würde der Landtag durch Aufhebung der Immunität sich die sachfremden Erwägungen der Strafverfolgungsorgane zu eigen machen und dadurch selbst willkürlich handeln (vgl. BVerfGE 104, 310, 332 ff.).
8 7 Nach diesem Maßstab scheidet eine Verletzung der vom Antragsteller geltend gemachten Rechte durch Aufhebung seiner Immunität offensichtlich aus. Für den Verdacht, die bevorstehende Anklageerhebung könnte politisch motiviert sein, gab es weder im Zeitpunkt der Entscheidung des Antragsgegners noch jetzt irgendeinen Anhaltspunkt. Der vom Antragsteller erhobene Vorwurf gegen einen früher zuständigen Staatsanwalt ist nach dessen Ablösung weit vor Anklageerhebung vom Ansatz her nicht geeignet, die Sachgemäßheit der Anklage in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen obliegt es den hierfür zuständigen Gerichten, im weiteren Strafverfahren die vom Antragsteller gerügten Gesetzwidrigkeiten im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zu beurteilen. Eine sachfremde politische Motivation der Staatsanwaltschaft, die den Landtag zu einer Ablehnung des Aufhebungsgesuchs verpflichtet hätte, ergibt sich hieraus jedenfalls nicht. Der Zeitpunkt des Antrags auf Aufhebung der Immunität kurz vor der Landtagswahl im Mai 2005 mag für den Antragsteller misslich gewesen sein, indes genügt auch dies nicht für den Verdacht einer sachfremden Zielrichtung des staatsanwaltlichen Vorgehens. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Staatsanwaltschaft trotz Anklagereife das Aufhebungsgesuch mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl hinausgezögert hätte oder dass es der Staatsanwaltschaft um die Erwirkung eines sog. Vorratsbeschlusses für eine spätere Anklage gegangen wäre. Dr. Bertrams Debusmann Riedel Prof. Dr. Schlink Pottmeyer Dr. Brossok Prof. Dr. Tettinger
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