Noch hat China im Südchinesischen Meer nicht gewonnen

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1 Noch hat China im Südchinesischen Meer nicht gewonnen... Experte Walter Lohman Region: Süd- und Südostasien Chinas Neun-Striche-Linie überlappt mit den territorialen Forderungen von fünf anderen Ländern. Im vergangenen Jahr hat ein internationales Gericht diese Grenzziehung zurückgewiesen (Quelle: macpixxel for GIS) Um Chinas Aktivitäten im Südchinesischen Meer wurde viel Wirbel gemacht um seine militärische Aufrüstung auf Landerhebungen, um seine ökonomischen Machtspiele sowie um seine Ansprüche auf territoriale Souveränität. Dies trug dazu bei, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass Peking in diesem geopolitischen Tauziehen die Oberhand gewonnen habe. Allerdings zeigt ein genauerer Blick, dass China weit davon entfernt ist, seine Ziele zu erreichen und dass es sogar einige große Rückschläge erleiden musste. Um zu wissen, ob China seine Ziele erreicht hat, muss man zuerst verstehen, wie diese aussehen. Es gibt drei Dinge, die Peking im Südchinesischen Meer absichern will: seine Hoheitsgewalt, den strategischen Vorteil und einen wirtschaftlichen Nutzen. SEITE 1

2 Hoheitsgewalt China hat schon lange seine Ansprüche auf diese umstrittenen Gewässer in einer Art und Weise formuliert, die seine Hoheitsgewalt betont. Ein von Peking im Jahr 2009 verfasster Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen war der Ausgangspunkt für einen Großteil der aktuellen Spannungen. In dem Brief verweist Peking auf seine Neun-Striche-Linie (eine Linie auf Karten, die Pekings Ansprüche umreißt) und es verwendete eine Formulierung, die es seit Mitte der 1970er Jahre nutzt: China besitzt die unbestreitbare Hoheitsgewalt über die Inseln im Südchinesischen Meer und deren angrenzende Gewässer. Selbst die Formulierung, die Deng Xiaoping in den 1980er Jahren im Zuge seiner Politik der Beilegung von Streitigkeiten und der Verfolgung einer gemeinsamen Entwicklung vorgestellt hatte, begann mit den Worten: Wir haben die Hoheitsgewalt. Allerdings war China noch nie eindeutig, wenn es darum ging, was genau von seinen Hoheitsansprüchen umfasst wird: die Landerhebungen im Meer allein oder beides also die Inseln und das sie umgebende Meer. Sollte es China vor allem um die Hoheitsgewalt über die Landerhebungen innerhalb seiner Neun-Striche-Linie gehen, dann wäre Peking seinem Ziel heute nicht näher als im Jahr Die anderen fünf Parteien im Streit um das Südchinesische Meer (Brunei, Malaysia, die Philippinen, Taiwan und Vietnam) pochen standhaft auf ihre eigenen Ansprüche. Tatsächlich hat ihr Verdacht, dass Chinas Ziel in der Beschlagnahme aller Landerhebungen im Meer liegen könnte, als Rechtfertigungsgrund für ihre eigenen Okkupationen, Rückforderungen und Militäreinsätze gedient. Dies gilt insbesondere für die Spratly-Inseln, wo Vietnam die meisten der besetzten Landerhebungen kontrolliert und wo Taiwan die größte natürlich gewachsene Landerhebung des Archipels eingenommen hat. Auch die Philippinen haben in den vergangenen zehn Jahren den Schutz der von ihnen besetzten Inseln erhöht, ungeachtet der jüngsten Annäherungsversuche Präsident Dutertes an China. Auf den Paracel-Inseln begrenzt die langjährige chinesische Besetzung und Kontrolle SEITE 2

3 der dortigen Erhebungen die physischen Maßnahmen, die andere Länder ergreifen könnten, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Doch das hat Chinas Konkurrenten, vor allem die Vietnamesen, nicht daran gehindert, sich so lautstark wie eh und je zu äußern. Angrenzende Gewässer Wenn es um chinesische Ansprüche auf die Landerhebungen im Südchinesischen Meer geht, besteht Peking darauf, dass diese Frage durch die unmittelbar betroffenen Parteien selbst entschieden werden sollte. Allerdings hat China nie abgeklärt, wie genau es die angrenzenden Gewässer definiert. Beansprucht es die international anerkannten Rechte an den Gewässern, die die Erhebungen umgeben, welche Peking für sich reklamiert? Oder beansprucht es die gesamten Gewässer innerhalb der Neun-Striche-Linie seinen blauen Boden, wie die chinesische Regierung es offiziell genannt hat? Diese Zweideutigkeit hat die diplomatischen Bemühungen Chinas in der Region verkompliziert und die Front der anderen Staaten in dieser Frage zusammengeschweißt. Ein chinesischer Anspruch auf die gesamten Gewässer innerhalb der Neun-Striche-Linie würde auch Jakarta in den Konflikt hineinziehen, da sie die Abgrenzung der indonesischen Exklusiven Wirtschaftszone (EEZ) in der Nähe der Natuna-Inseln überlappt. Falls sich die Forderungen Chinas auch über die Souveränität über das Meer erstrecken, steht es auf verlorenem Posten. Mehrere der Streitparteien auch Indonesien haben gegen einen derartigen Anspruch formell Protest eingelegt. Im vergangenen Jahr hatte der Ständige Schiedshof (PKA) in Den Haag ein Urteil erlassen, in dem die maritimen Forderungen Chinas komplett abgelehnt wurden. Man stellte zudem fest, dass einige der Landerhebungen, wie das Mischief Reef, Reed Bank und Second Thomas Shoal, generell keinen Hoheitsansprüchen unterlägen, da es sich bei ihnen technisch betrachtet weder um Inseln noch um Felsen handelt. Und da diese Erhebungen innerhalb der philippinischen Wirtschaftszone und auf dem Festlandsockel liegen, hat das Gericht festgestellt, dass die Philippinen die Rechte an ihnen und den umliegenden Gewässern haben. Es entschied auch, dass China die philippinischen Rechte auf Zugang zu den Fischgründen in der Nähe eines anderen potenziellen Flammpunktes, dem Scarborough Shoal, verletzt habe. SEITE 3

4 Noch wichtiger ist, dass die chinesischen Ansprüche auf das gesamte Meer den Streit über den Kreis der regionalen Kläger hinaus auch auf andere Staaten mit in der Region tätigen Flotten ausgedehnt hat wie die Vereinigten Staaten. Diese auswärtigen Seemächte sind davon stark betroffen, weil Pekings Ambitionen die international anerkannten Rechte der Schifffahrt einschränken könnten. Unter diesen Umständen klingen die Versprechungen Chinas, die Rechte der Handelsschifffahrt zu garantieren, nicht gerade beruhigend. Einige, wie die Europäer, sorgen sich um den Präzedenzfall, der hier entstehen könnte. Washingtons Anliegen konzentrieren sich auf die Sicherheitsgarantien für Taiwan, Japan und Südkorea. Im Falle eines Konflikts, in den eines dieser Länder hineingezogen würde, müssten die US- Streitkräfte das Südchinesische Meer unbehelligt durchqueren können. Solange die chinesischen Ansprüche auf das Südchinesische Meer auch die internationalen Seewege beinhalten, werden sie auch weiterhin mit dem starken Widerstand der auswärtigen Mächte konfrontiert werden und der Streit mit den Nachbarländern dürfte sich weiter verkomplizieren. Wenn aber die Chinesen klarstellen würden, dass sich ihre Neun-Striche-Linie nur auf die Landerhebungen und die daraus abzuleitenden Rechte fokussieren, könnten sie die Einwände der betroffenen auswärtigen Mächte ins Leere laufen lassen. Zwar gäbe es noch immer Meinungsverschiedenheiten über einige dieser Rechte, die unter dem Schutz des Übereinkommens der Vereinten Nationen über das Seerecht stehen, aber dies würde vom Gesetz definiert werden, und nicht vom Einverständnis Chinas. Geopolitischer Vorteil Chinas zweites Ziel ist es, einen geopolitischen Vorteil zu erreichen. Hier kann Peking bessere Ergebnisse vorweisen. Seine Kontrolle über die Landerhebungen der Paracel-Inseln ist bereits sehr gut etabliert. Bei den Spratly-Inseln haben die sieben von Peking errichteten künstlichen Inseln dem Reich der Mitte eine neue strategische Stellung beschert. Dies ist aus vier Gründen wichtig. Erstens geht es um die Machtprojektion. In einem Brief an den Vorsitzenden des Streitkräfte-Komitees des US-Senats aus dem vergangenen Jahr formulierte der damalige Nationale Geheimdienstdirektor James Clapper seine Einschätzung, nach SEITE 4

5 der China die notwendige Infrastruktur errichtet [habe], um im Südchinesischen Meer militärische Kapazitäten über das Maß hinaus zu erreichen, was zur Verteidigung seiner Vorposten erforderlich wäre. Eine Luftaufnahme der chinesischen Infrastrukturen auf dem Johnson South Reef in den umstrittenen Spratly-Inseln, die derzeit von China kontrolliert und von den Philippinen beansprucht werden (Foto: dpa) Die Marine-Kämpfer der Volksbefreiungsarmee hatten zu dieser Zeit bereits die Hafen-Anlagen einiger der größten künstlichen Inseln genutzt. Seitdem hat China mindestens einmal Militärflugzeuge auf einer der künstlichen Inseln innerhalb der Spratly-Formation stationiert. Das US-Pazifik-Kommando stellte fest, dass die Flugzeug-Hangars, die auf den Inseln errichtet werden, 72 Kampfflugzeuge und zehn größere Flugzeuge wie Bomber oder Lufttanker beherbergen können. Chinas Antwort auf diese Vorwürfe bestand darin, sein souveränes Recht zu verteidigen, derartige Einsätze vornehmen zu können während man abstritt, dass diese Schritte eine Militarisierung darstellten. SEITE 5

6 Zweitens stellte ein langjähriger Analytiker, Captain Bernard Cole vom National War College, fest, dass Chinas Bauten auf den Spratly-Inseln über dem Gebiet nahezu eine elektronische Kriegsführung und Dominanz in der Radar-Abdeckung etabliert haben. Falls Peking jetzt noch Einrichtungen auf dem Scarborough Shoal bauen würde, wäre China in der Lage, sich ein vollständiges Bild des Meeres zu machen. Diese Art von Kapazitäten ist wichtig für die Überwachung von Verstößen, die China als Verletzung seiner Hoheitsrechte interpretieren würde. Sie wären auch der Schlüssel zur Verteidigung dieser Rechte, falls es jemals zu einem See-Konflikt zwischen den USA und China käme. Inselketten Drittens beinhaltet die Neun-Striche-Linie die südliche Hälfte der sogenannten Ersten Inselkette, die Ostasien wie eine Halskette umgibt. Die Chinesen haben ein Interesse daran, ihre militärische Dominanz in diesem Gebiet zu etablieren, um damit sowohl das Ostchinesische Meer als auch das Südchinesische Meer zu umfassen. Aus der Perspektive Chinas blockieren die US-Allianzen und ihre militärischen Einrichtungen entlang dieser Offshore-Barriere (einschließlich Japans, Okinawas, Taiwans und der Philippinen) den Zugang zum dahinter liegenden Ozean. Würde Peking zur dominierenden Militärmacht im südlichen Segment dieser Kette werden, wäre diese Einkreisung durchbrochen. Dies könnte es China ermöglichen, die Zweite Inselkette, zu der auch die US-Territorien in den Nördlichen Marianen und Guam gehören, zu gefährden. Dies könnte die militärischen Pläne der USA verkomplizieren, in einem Konflikt mit China einzugreifen. Und schließlich könnten die Chinesen das Südchinesische Meer als Bastion für ihre U-Boote mit Nuklear-Bewaffnung ansehen. Die Chinesen verfügen über vier moderne, nuklear angetriebene ballistische Raketen-U-Boote, ein fünftes befindet sich im Bau und es gibt Pläne für eine nächste Boots-Generation. Der Zweck dieser Waffen ist es, Chinas nukleare Zweitschlags-Kapazitäten in einem größeren Konflikt mit den USA zu garantieren. Eine derartige Bastion, die durch andere Seestreitkräfte geschützt würde, wäre ein attraktiver Standort für China, um seine U-Boote mit Nuklear-Bewaffnung zu SEITE 6

7 stationieren falls es nicht in der Lage wäre, die Erste Inselkette zu dominieren oder die notwendige Technologie zu entwickeln, um diese unentdeckt zu durchqueren. Die zu erwartende Verstärkung im Bereich der U-Boot-gestützten Raketen Chinas unterstreicht die Faszination dieser Option. Das größte Hindernis hierfür wäre eine allgegenwärtige, betriebsbereite und aktive US-Marine, die in engem Kontakt mit ihren Verbündeten und Partnern in der Region steht. Wirtschaftlicher Vorteil Pekings drittes Ziel dreht sich um wirtschaftliche Vorteile. China ist zunehmend auf den Handel mit auf dem Seeweg beförderten Gütern angewiesen. Der Handel repräsentiert etwa 40 Prozent seines BIP, und der Großteil dieser Güter wird auf dem Seeweg transportiert. Dazu gehören auch Energieressourcen. Bis 2030 wird China seinen Ölverbrauch verdreifachen und es wird 60 Prozent der weltweiten Kohle verbrennen. Auch bei der inländischen Produktion wird die chinesische Wirtschaft weiterhin von den fossilen Brennstoffeinfuhren abhängen. Aufgrund dieser Trends hat Peking eine umfassende, langfristige Strategie entwickelt, die die Kontrolle über das maritime Territorium beinhaltet. Peking will auch seine Energiequellen absichern. Die U.S. Energy Information Administration schätzt, dass das Südchinesische Meer kaum mehr als 11 Milliarden Barrel Öl beherbergt das entspräche etwa den Vorkommen Mexikos. Doch chinesische Schätzungen beziffern das Potenzial auf 125 Milliarden Barrel dieser Wert würde sogar die Vorkommen in Kuwait übertreffen. Was auch immer am Ende stimmt: Der Großteil dieses Öls liegt in Küstengebieten, die von Chinas Neun- Striche-Linie umfasst werden. Peking war besonders aktiv in der Herausforderung der philippinischen Interessen an der Reed Bank, einem sehr ölreichen Gebiet auf dem Festlandssockel der Philippinen. Die Situation bei den Erdgasreserven liegt ähnlich. Während in den Hauptinselketten des Südchinesischen Meeres den Spratly- und den Paracel-Inseln keine Öl- und Gasreserven gefunden werden können, stellen diese dennoch einen signifikanten strategischen Wert dar, weil sie China den Zugang zu den Ressourcen in der Nähe ermöglichen. SEITE 7

8 Auch die Fischgründe sind wichtig. Im Südchinesischen Meer findet 10 Prozent des weltweiten Fischfangs statt, und Fisch ist eine lebenswichtige Protein-Quelle für die Chinesen. Es ist kein Zufall, dass sich der Großteil der Spannungen um das Südchinesische Meer um Fischerboote dreht. China fühlt sich durch die Reihe von US-Basen und -Verbündeten entlang der sogenannten Ersten und Zweiten Inselkette an den östlichen Randzonen Asiens eingeschränkt. Pekings Strategie zielt darauf ab, diese Barriere zu durchbrechen (Quelle: macpixxel for GIS) Gemischter Erfolg China hat gemischten Erfolg, wenn es um seine wirtschaftlichen Ziele im Südchinesischen Meer geht. Seine Seewege sind derzeit nicht bedroht, aber es dürfte noch lange dauern, bis China sie allein absichern kann. Sicherlich werden der Ausbau der chinesischen Marine und deren Präsenz auf den Paracel-Inseln und nun auch auf den Spratly-Inseln dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen. Aber Peking müsste auch die US-Marine verdrängen, und dies scheint in der nahen Zukunft unwahrscheinlich. Im besten Fall hat China die Grundlagen gelegt, um dieses Ziel irgendwann später zu erreichen. Was die Energie betrifft: China produziert bereits in den Gebieten des SEITE 8

9 Südchinesischen Meeres, wo es unbestrittene Hoheitsrechte ausübt. Die chinesische Produktion in den umstrittenen Gebieten dürfte auch weiterhin einen sehr hohen diplomatischen Preis haben, da Vietnam, die Philippinen und andere ihre eigenen Forderungen nicht aufgeben oder ihre bereits laufende Exploration und Produktion stilllegen werden. Falls China beabsichtigt, die Energieressourcen anderer Kläger zu besetzen, hat es bisher keine Fortschritte gemacht, um dieses Ziel zu erreichen. Angesichts der gemeinsamen Entwicklung der Energieressourcen im Meer wäre der plausibelste Weg für die Chinesen Zugangszonen, die weit entfernt von ihren Ufern liegen und damit stünde Peking auf verlorenem Posten. Seine Aggressivität vergiftet die Perspektiven für die Zusammenarbeit mit den anderen Klägern. Doch wenn es um die Fischerei geht, erreicht Peking seine Ziele: Trotz der diplomatischen Spannungen ist die Anwesenheit der riesigen chinesischen Fischereiflotten im gesamten Südchinesischen Meer ein Beweis für seinen Erfolg. Unerreichte Ziele Haben die Chinesen im Südchinesischen Meer gewonnen? Dies hängt von der Perspektive ab. Peking ist der Etablierung von Hoheitsrechten über die Gebiete innerhalb der Neun-Striche-Linie nicht näher gekommen, unabhängig davon, ob man nur die Landerhebungen oder auch die Wasserstraßen berücksichtigt. Das Urteil des Ständigen Schiedshofs war in dieser Hinsicht ein Rückschlag für China. Das chinesische Militär etabliert eine Meeres-Präsenz, die in der Lage ist, die anderen Kläger einzuschüchtern, aber noch ist diese nicht stark genug, um die strategischen Ziele zu erreichen es sei denn, die USA zögen sich zurück. In Bezug auf die wirtschaftlichen Ziele hat China es versäumt, sich neue Energieressourcen zu erschließen, aber es konnte sich den Zugang zu Fischgründen sichern und es macht Fortschritte auf dem Weg zu seinem langfristigen Ziel: dem eigenständigen Schutz der für seine Wirtschaft wichtigen Seewege. SEITE 9