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3 DAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN Hausmitteilung Betr.: Strauß, Umfragen Der SPIEGEL mußte am 16. März 1970 widerrufen, Franz Josef Strauß sei ein der Korruption schuldiger Minister. Inzwischen wissen wir: Er war es, wie auch in seiner Zeit ein der Korruption schuldiger Ministerpräsident Bayerns. Darum widerruft Rudolf Augstein seinen damaligen Widerruf. Bayern wurde unter Franz Josef Strauß Amigo-Land. Und die dortigen Sümpfe scheinen heute noch tiefer, als zu Lebzeiten des Chef-Amigo FJS ruchbar wurde. Das Zwick, Koch in Zwicks Garten bei Lugano belegen Gespräche, die Strauß-Freund Dr. med. Eduard Zwick und SPIEGEL-Redakteur Dirk Koch rund 20 Stunden lang in Zwicks luxuriöser Villa über dem Luganer See führten. Seit seiner Flucht vor dem deutschen Fiskus hatte Zwick geschwiegen, jetzt packt er aus und erzählt auch über Straußens diskrete Bankverbindungen zu den Eidgenossen. Zwick ist verbittert über eine heuchlerische CSU, die ihn jetzt als Kriminellen hinstelle, früher aber sein Geld gern genommen habe. Amigo Edmund Stoiber, der neue, saubere Zeiten in der CSU versprochen hat, könnte Zwicks Bekenntnisse zur Entsorgung der Altlasten verwenden. Der Steuerflüchtling in der Schweiz signalisiert sogar Zahlungsbereitschaft (Seite 18). Novität in der Welt der Meinungsumfragen: Amerikas New York Times, Japans Asahi Shimbun, Englands Guardian und Deutschlands SPIEGEL ließen einem repräsentativen Querschnitt von Bürgern ihrer Länder erstmals die gleichen Fragen stellen. Und was kommt heraus? Die Deutschen zeigen sich, sieht man ihre derzeitige Verfassung, erstaunlich selbstbewußt, die Japaner zurückhaltend, die Briten pessimistisch, die Amerikaner kreisen um sich selbst (Seite 78). Die Befragung über Kontinente und Kulturen hinweg wird fortgesetzt. DER SPIEGEL 14/1994 3

4 TITEL Das Schnorrer-Genie Franz Josef Strauß...18 Aktenvermerke bringen Finanzminister Waldenfels in Bedrängnis...26 SPIEGEL-Gespräch mit dem Bäderkönig Eduard Zwick über Franz Josef Strauß und das Amigo-System...28 Wie Zwick zum Multimillionär wurde...30 I N H A L T Bayern im Amigo-Sumpf Seiten 18, 26, 28 SPIEGEL-ESSAY Rafael Seligmann: Republik der Betroffenen...92 DEUTSCHLAND Panorama...16 Europa: Franzosen fürchten deutschen Einfluß...32 Wahlen 94: Klaus von Dohnanyi über den Wirtschaftswahlkampf...34 Verfassung: Ernst Gottfried Mahrenholz plädiert für ein Plebiszit über das erneuerte Grundgesetz...37 Spionage: Ein Dreifachagent narrte den Verfassungsschutz...48 Neonazis: Das neue Führungstrio der Ultrarechten...53 Forum...57 Parteien: Kandidatenmangel in den neuen Ländern...59 Seuchen: Brüssel rügt Schweineschmuggel...66 Müll: High-Tech hilft Abfall vermeiden...69 Schulen: Schlechte Noten für Englischlehrer...73 Weltumfrage: Vier Nationen im Vergleich...78 Rheinland-Pfalz: Kohls Heimatland soll wieder schwarz werden...83 Verkehr: Tempolimit für Rollstuhlfahrer...88 Zeitgeschichte: Erich Wiedemann über den SS-Mann und Judenretter Alfons Zündler...94 Ministerpräsidenten: Genossen wollen Eichel stürzen...97 WIRTSCHAFT Trends Unternehmen: Privates Kapital soll der Lufthansa weiterhelfen Exporte: Dubioses Milliardengeschäft mit dem Irak Entsorgung: Konzerne kontrollieren das Geschäft Forsten: Adlige kaufen ostdeutsche Wälder Autovermieter: Hart getroffen vom Abschwung Manager: VW-Vorstand López unter Verdacht der Falschaussage Bausparen: Niedergang der Bausparkasse Wüstenrot GESELLSCHAFT Frauen: Bettina Musall über die Ausbildung von Elite-Soldatinnen in den USA Werbung: Wie Tabakreklame auf Kinder wirkt Spectrum Scheidungen: Zeitschrift für Ehen im Endstadium Comics: Mecki-Ausstellung in Hamburg Jubilar Zwick, Gratulant Strauß Franz Josef Strauß und sein CSU-Gefolge herrschten in Bayern wie mittelalterliche Fürsten. Politik und Privates, Partei- und Geldgeschäfte gingen nahtlos ineinander über. Jetzt packt einer der Amigos aus: Multimillionär und Strauß-Mäzen Eduard Zwick bringt von seinem Schweizer Exil aus die Regierung Stoiber in Bedrängnis. Lufthansa-Notruf an den Kanzler Seite 102 Lufthansa-Jets Die Lufthansa, die bereits ihre Kosten drastisch senken und ihre Verluste verringern konnte, sieht ihre Sanierungspläne gefährdet, wenn es nicht gelingt, ein Milliardenproblem zu lösen die betriebliche Altersversorgung. Rutscht der Anteil des Staates an der Fluggesellschaft unter 50 Prozent, müssen die Beschäftigten neu versichert werden. Das könnte passieren, wenn die Lufthansa sich über die Börse frisches Kapital beschafft. Nun soll der Kanzler helfen, das schwierige Problem zu beseitigen. Volksparteien ohne Parteivolk Seite 59 Entwickelt sich Deutschlands Osten zur Demokratie ohne Demokraten? Vier Jahre nach den ersten freien Wahlen in der Ex-DDR mangelt es den Parteien in den neuen Ländern allerorten an Mitgliedern und Kandidaten. Hitlers endgültiger Triumph Seite 92 Die Juden versenken sich in den Holocaust, die Deutschen pflegen eine Betroffenheitskultur so kritisiert der jüdische Autor Rafael Seligmann Juden und Deutsche nach dem Brandanschlag von Lübeck. Deutschland ist ihm eine Republik der Betroffenen, der Phrasendrescher. Und die Identifizierung der Juden mit dem Holocaust wäre der endgültige Triumph Hitlers. 4 DER SPIEGEL 14/1994

5 Bronx in Osteuropa Seite 142 Vertriebene Bosnier, heimatlose Afghanen, verfolgte Liberianer über eine Million Menschen drängeln sich in Osteuropa, seit Bonn die Grenzen dichtgemacht hat. Den wirtschaftlich maroden Nachbarn fehlt das Geld, um den Zustrom zu bewältigen. Im Osten, befürchten Flüchtlingsexperten, könnte die Bronx von Europa entstehen. Neo-Punker in London Schlafraum im ungarischen Lager Kerepestarcsa Das Comeback des Punk Seite 216 Wolf Sie sind jung, frustriert und wütend. Sie singen Tötet John Major und schreien ihre Hoffnungslosigkeit heraus: Wie ihre Vorbilder aus den siebziger Jahren benutzen auch die neuen Punker laute Musik und schrille Mode als Symbole für ihre Rebellion. Doch die Revolte ist auch Geschäft: Die Kulturindustrie vermarktet den Jugendaufstand. Blinde Liebe zur DDR Seite 194 Erst hat er sie gefördert und ihren Ruhm vermehrt nun geht er um so härter mit ihr ins Gericht: Marcel Reich- Ranicki attackiert Christa Wolf und ihr neues Buch. Die Ost-Berliner Schriftstellerin trauert darin den vertanen Chancen des Sozialismus nach, der Frankfurter Kritiker bescheinigt ihr Larmoyanz und blinde Liebe zur DDR. Reich-Ranicki Durch Magenmittel blind und taub? Seite 231 Das von Ärzten hochgeschätzte Medikament Antra bewahrt Patienten mit Magengeschwüren vor innerem Verbluten. Nun ist der Pharma-Bestseller in Verdacht geraten, bei großzügiger Dosierung Kranke blind und taub zu machen. AUSLAND Panorama Ausland Asylanten: Flüchtlingsflut überschwemmt Osteuropa Italien: Berlusconis beispielloser Erfolg SPIEGEL-Gespräch mit dem Publizisten Indro Montanelli über den Wahlsieg der Rechten Südafrika: Bürgerkrieg gefährdet Wahlen Walter Mayr über das Blutbad beim Zulu-Marsch auf Johannesburg Ukraine: Triumph der Extremisten Juden: Matthias Matussek über die Ghetto-Kultur der Satmar-Chassidim in New York Bücherspiegel Laos: Die Brücke am Mekong Balkan: Interview mit Mazedonien- Präsident Kiro Gligorov über den Konflikt mit Serbien und Griechenland SPORT Kampagnen: Zweifel am Sinn der Aktion Keine Macht den Drogen Boxen: Frauen drängen in den Ring KULTUR Szene Autoren: Marcel Reich-Ranicki über Christa Wolfs politische Prosa Film: Shadowlands von Richard Attenborough Musik: Reformkurs bei den Salzburger Osterfestspielen Architektur: Historische Holzmodelle zeigen die Baukunst der Renaissance Zauberer: Das Zeitalter der Scharlatane Clowns: Frieder Nögges schwäbische Scherze Soziologie: Günter Dux und seine Theorie der Liebe Bestseller Jugend: Die zweite Punk-Generation Produkte: Pink Floyd spielen für VW Pop: Pomp-Rocker Meat Loaf auf Tournee Nachruf: Eugène Ionesco Fernseh-Vorausschau TECHNIK Prisma Waffen: Todbringende Landminen in jedem dritten Land der Erde Automobile: Mercedes erprobt die Brennstoffzelle Biographien: Sowjet-Ingenieur warnte Stalin vor Technik-Größenwahn WISSENSCHAFT Biologie: Seescheiden knollige Schlürfer am Meeresgrund Medikamente: Verdacht schwerer Nebenwirkungen beim Magenmittel Antra Briefe... 7 Impressum...14 Personalien Hohlspiegel/Rückspiegel DER SPIEGEL 14/1994 5

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7 Weit überlegen (Nr. 12/1994, Titel: Sündenfall Hillary Clinton Die Bürde des US-Präsidenten) Endlich mal eine First Lady, die mehr beherrscht als die Rolle der ewig lächelnden Präsidentengattin. Ihren Vorgängerinnen im Weißen Haus ist Hillary Clinton weit überlegen. Flensburg LEIF BOYSEN Na und? Man vergleiche Hillary Clinton nicht etwa mit der vielleicht sauberen, dafür aber höchstens mittelmäßigen Hannelore Kohl. Als erfolgreiche und sozial engagierte Anwältin, Feministin und Mutter wäre sie auch der weitaus bessere Kanzler und als Präsidentin besser als ihr Mann. Amerika muß sich BRIEFE Für den ehemaligen Industriellen Flick war juristisches Gedankengut eher hinderlich, sofern Geschäfte erfolgreich in die Zielgerade liefen. Deshalb sollten Volljuristen à la Hillary und Bill Clinton die Finger insbesondere vom Immobilienhandel lassen. Denn zum diesbezüglichen Erfolg fehlte ihnen offensichtlich der Instinkt eines reißenden Wolfes, der einem juristisch unverdorbenen Makler verfügbar ist und daher zur bargeldvermehrenden Krönung gereichen wird. Köln KARL-AUGUST PÜTZ Im Fall Whitewater gibt es einige Ungereimtheiten. Hillary Clinton nun aber unter anderem eine vollkommen nachvollziehbare Kündigung eines Hausdieners anzukreiden beziehungsweise Präsidentengattin Clinton, Ehemann (r.): Zum Erfolg fehlte der Instinkt eben erst an das gewöhnen, was bei uns (noch) undenkbar ist eine First Lady, die für Reformen eintritt, Politikern und Versicherungskonzernen auf die Füße tritt, sich für die Minderheiten einsetzt und die Presse nicht hofiert. Bonn KAY MILNER Daß Hillary Clintons Weste nicht schneeweiß ist (übrigens die von Bill auch nicht), ist ein gefundenes Fressen für all die, die eine Präsidentengattin lieber so sehen wie Barbara Bush oder Nancy Reagan: als ständig lächelnde, beruflich erfolglose und ihren erfolgreichen Mann bewundernde Ehefrau. Berlin JENNY HERRLICH Ein neuer Frauentyp, der alles haben will: Beruf und Ehe, Kinder und Karriere mein Gott, Herr Widmann, sind Sie niedlich. Leben Sie schon im 19. Jahrhundert oder noch im 18.? Mannheim BRIGITTE STRAUB sie gar mit Imelda Marcos zu vergleichen ist mehr als unsachlich. Es scheint sich dabei eher um ein Problem des Autors mit dieser attraktiven, sehr intelligenten, durchsetzungsfähigen Frau zu handeln. Berlin ANIA BOTHE Furztrockenes Gebrüssel (Nr. 12/1994, Europäische Union: Ein Deutscher, die Norweger und der Fisch) Ich habe den Bericht in mich aufgenommen wie ein Mahl aus delikaten Sardinen und gebuttertem Kabeljau. Meine Mundwinkel troffen dabei immer wieder vom Schmunzeln. Es ist in diesem Artikel absolut nichts von einem furztrockenen Gebrüssel enthalten, sondern die Worte schwimmen wie auf einer spritzigen Nordseewoge mit weißem Kronenschaum, den am liebsten spani- DER SPIEGEL 14/1994 7

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10 BRIEFE sche Flotten durchpflügen. Natürlich werde ich diesen SPIEGEL nicht schubladisieren, sondern möchte mit Freunden darüber knödeln, wie weit das Brüsseler Ellbogen-Biotop suboptimal gediehen ist. Tirschenreuth (Bayern) FRANZ KÜHN Pervertierte Einstellung (Nr. 11/1994, Sterbehilfe: SPIEGEL- Streitgespräch über Euthanasie und den Fall Atrott und Nr. 12/1994, Sterbehilfe: Wie eine Mutter ihre 13jährige Tochter mit Zyankali tötete) Wer das Leben vergötzt und seinen Wert in jeder Lage und um jeden Preis hochhält, belastet nicht nur die zur Herrn Atrott sind zweifellos widerwärtig und durch nichts zu entschuldigen. Aber: Während meiner achtjährigen Tätigkeit als Krankenschwester mußte ich mehrmals erleben, wie Ärzte sogar schwerstkranke und über 95jährige Patienten, für die der Tod eine Erlösung von langem Leiden war, zu reanimieren versuchten. Solange Ärzte eine solch pervertierte Einstellung zum Sterben haben, verwundert die ideologische Debatte über aktive Sterbehilfe wohl kaum. Denn ihrer Radikalität steht ein Extrem gegenüber, das ebensowenig ethisch vertretbar ist wie die Machenschaften Atrotts. Berlin ANNE ESSMANN Es ist unerträglich, daß Professor Pohlmeier es wagt, das klerikale Schimpfwort Selbstmord in den Mund zu nehmen. Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben sollte er wissen, daß die korrekte Bezeichnung Freitod lautet. Ich bin der DGHS beigetreten, um das Recht auf Freitod und Euthanasie zu erkämpfen und auch die reale Möglichkeit zu diesen Handlungen, sobald wir eine davon wünschen. Bochum L. M. BINNINGER Sterbehilfe-Kassette (von Atrott) Freier Wille verdient Respekt Solidarität mit immer mehr Bedürftigen zwangsverpflichtete Gemeinschaft, sondern mißachtet auch die Spielregeln der Natur, die ja eben kein Recht, allenfalls die Chance auf Leben für den bereithält, der dazu aus letztlich eigener Kraft fähig ist. Hamburg DR. RAINER GEHRMANN Der freie Wille des Menschen verdient allseits Respekt. Die Würde des Menschen ist durch die Freiheit des Geistes nachgerade definiert, sie ist das Grundgesetz der Gesellschaft. Keine Theologie und keine Ideologie hat die Kompetenz, dem Menschen eine Ethik vorzuschreiben, welche dieser Würde widerspricht. Darüber ist keine Diskussion möglich. Marbach am Neckar DR. ALFONS REUKE Vom Hänschen zum Hans (Nr. 12/1994, Drogen: Hasch, Koks und Alkohol bei der Bundeswehr) Die Bundeswehr bemüht sich in ihren Werbekampagnen stets, als völlig normaler und zur Gesellschaft gehöriger Teil des Staates zu erscheinen. Dann muß sie auch akzeptieren, daß sie ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, daher ein Drogen- und Alkoholproblem nicht dementieren darf, das es in der Gesellschaft nachweislich gibt. Brunnthal (Bayern) ANDREAS KIRCHNER Es erhebt sich die Frage, wer zu Recht zu tadeln ist; die armen Würstchen von Rekruten, die durch Suff und zwanghaft Die kriminellen Machenschaften des Bundeswehrsoldaten in der Mittagspause Innere Not signalisieren 10 DER SPIEGEL 14/1994

11 gesuchte künstliche Highs ihre innere Not signalisieren, oder jene geistigen Väter, die zwecks Erhaltung militärischer Kampfkraft kein ziviles Leben zulassen. Doktert man mit den erwähnten Disziplinarmaßnahmen nicht an der falschen Seite herum? Wen sollte eine Gesellschaft sinnvollerweise disziplinieren beziehungsweise zivilisieren, Hänschen Klein oder jeden großen dicken Hans, der Hänschen nicht zum mündigen Hans werden läßt? Königstein (Hessen) EVA MATERN-SCHERNER Die andere Seite (Nr. 12/1994, SPD: Joachim Preuß über den Offenbacher Stadtsanierer Gerhard Grandke) Wenn eine Stadt ein Unternehmen ist, dann ist ihr Kulturleben wohl die Betriebssportgruppe. Um die BSG Offenbach ist es schlecht bestellt: Museen und Jugendzentren kämpfen um den Klas- Stadt für die Bürger bedeutet, hört man nicht. Für eine Paßbeantragung muß man mindestens eine Stunde Wartezeit veranschlagen. Eine Antragstellung auf Wohngeld bedingt mindestens ein Vierteljahr Bearbeitungszeit. Dies ist die andere Seite der verdreckten und häßlichen Großbaustelle Offenbach. Offenbach URSULA SCHÜLLER Im Artikel ist die Rede davon, daß für Herrn Grandke die Stadt Offenbach mit einem Unternehmen gleichzusetzen sei. Allerdings übersieht Geschäftsführer Grandke einige wesentliche Dinge: Ein Unternehmen kann seine sozialen Folgekosten der Allgemeinheit aufbürden, eine Stadt nicht. Ein Unternehmen ist an Rentabilitätskriterien orientiert, eine Kommune auch am Gemeinwohl. Ein Unternehmen kann Arbeitskräfte entlassen, eine Stadt ihre Bevölkerung nicht. Ein kurzfristiger Verkauf von Tafelsilber (Grundstücke, Immobilien, Schulen, Bäder und so weiter) verbessert die Bilanzen, verschlechtert aber Geschlossenes Theater in Offenbach: Fell über die Ohren ziehen senerhalt, das Kulturleben im Offenbacher Schlachthof muß dem Wohnungsbau weichen, Theatergruppen verlieren ihre letzten Spielstätten, Vereine und Initiativen werden an ihr eigenes Netzwerk verwiesen Grandkes Hilfe zur Selbsthilfe. Sollte Offenbach nach acht Jahren saniert sein, dann wohl als farbund kulturloser Wurmfortsatz Frankfurts. Es bleibt höchstens die Erinnerung an die Stadt, deren Einwohner früher den Kühen das Fell über die Ohren zogen, bevor ihnen selbst das Fell über die Ohren gezogen wurde. Offenbach MICHAEL JUNCK Aus allen Medien erfährt man Lobendes über Herrn Grandke, was jedoch der fast 50prozentige Personalabbau der die zukünftige Lebens- und Wohnqualität einschneidend. Als Sprachrohr der Sparopfer, Benachteiligten und aus der Stadt Gedrängten hat sich die Soziale Offensive Offenbach (SOO) gegründet, die massiv gegen das Offenbacher Modell Stellung bezieht. Offenbach KLAUS DENFELD Sehr geholfen (Nr. 12/1994, Medizin: Kardiologen contra Herzchirurgen Wem gehört der Infarktpatient?) Der Streit der Mediziner um das bessere Verfahren Bypass-Operation oder Ballonkatheter interessiert mich herz- DER SPIEGEL 14/

12 Ballonkatheter-Operation Das freut die Krankenkassen BRIEFE Mißverständnis ausgesetzt (Nr. 12/1994, Schüler: Geschockt von Schindlers Liste ) Spielbergs Oscar-gekrönter Film ist einem Mißverständnis ausgesetzt und wird dadurch gelobt und kritisiert für etwas, was er nicht ist: Schindlers Liste ist trotz vielbeschworener Authentizität kein Film über den Holocaust, sondern ein Film über Oskar Schindler. Er stellt nicht die Regel dar, sondern die Ausnahme. Spielberg exemplifiziert den Holocaust nicht. Nicht ein Teil der sechs Millionen Toten sind das Thema des Films, sondern die wenigen hundert Überlebenden. Darmstadt UDO MAYER lich wenig. Die Hamburger Kardiologen Mathey/Schofer haben mir jedenfalls sehr geholfen bei der zweiten Ballondilatation unter Verwendung eines Lasers. Das dürfte auch die Krankenkassen freuen: Meine Verweildauer im Krankenhausbett betrug jeweils nur 24 Stunden. Klar, daß sich die Chirurgen empören, wenn sie glauben, daß ihnen die Arbeit weggenommen werden könnte. Lübeck WOLFGANG OTTE In Hamburg folgt man oftmals nicht den Qualitätsanforderungen, die die Deutsche Gesellschaft für Herz- und Kreislaufforschung fordert: Patienten werden nach Eingriffen am Herzen trotz bekanntgewordener schwerwiegender Komplikationen weiterhin auf kleine periphere Krankenhäuser im Umland verteilt. Hamburg DR. LIESELOTTE HEIDRICH-FESTGE Sag, warst du schon in Schindlers Liste? Natürlich war ich, heil ge Pflicht! Ich gehe nicht, weil ich nicht wüßte, warum dies Zeug nochmals ans Licht. Ich wag es nicht, es ist mir zu real, das Thema ist zu trivial. Was wagt ein Ami-Cineast, zu filmen, was uns hier nicht paßt? Ich wußte viel und hab s verdrängt, ich hab sie doch nicht aufgehängt. Was haben wir gelernt? Was lange schien entfernt, das hat man uns zurückgegeben, damit die Toten ewig leben, nicht um uns neue Schuld zu zeugen, vielmehr, daß wir mit kühlen Sinnen, verhindern, daß sie neu beginnen, die braunen Horden, mit dem Morden. Das kann dem Sterben Sinn erwerben. Hamburg BJÖRN HÜCKEL Szenenfoto aus Schindlers Liste : Kein Film über den Holocaust 12 DER SPIEGEL 14/1994

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14 20457 Hamburg, Brandstwiete 19, Telefon (040) , Telefax (040) , Telex CompuServe: ,3164 (Internet: @compuserve.com) HERAUSGEBER: Rudolf Augstein CHEFREDAKTION: Dr. Wolfgang Kaden, Hans Werner Kilz REDAKTION: Karen Andresen, Ariane Barth, Dieter Bednarz, Wolfram Bickerich, Wilhelm Bittorf, Peter Bölke, Jochen Bölsche, Dr. Hermann Bott, Klaus Brinkbäumer, Stephan Burgdorff, Werner Dähnhardt, Dr. Thomas Darnstädt, Hans-Dieter Degler, Dr. Martin Doerry, Adel S. Elias, Rüdiger Falksohn, Nikolaus von Festenberg, Jan Fleischhauer, Uly Foerster, Klaus Franke, Gisela Friedrichsen, Angela Gatterburg, Henry Glass, Rudolf Glismann, Johann Grolle, Doja Hacker, Dr. Volker Hage, Dr. Hans Halter, Werner Harenberg, Dietmar Hawranek, Manfred W. Hentschel, Ernst Hess, Hans Hielscher, Heinz Höfl, Clemens Höges, Joachim Hoelzgen, Jürgen Hogrefe, Dr. Jürgen Hohmeyer, Carsten Holm, Hans Hoyng, Thomas Hüetlin, Rainer Hupe, Dr. Olaf Ihlau, Ulrich Jaeger, Hans-Jürgen Jakobs, Urs Jenny, Dr. Hellmuth Karasek, Sabine Kartte-Pfähler, Klaus-Peter Kerbusk, Ralf Klassen, Petra Kleinau, Sebastian Knauer, Dr. Walter Knips, Susanne Koelbl, Siegfried Kogelfranz, Christiane Kohl, Dr. Joachim Kronsbein, Karl Heinz Krüger, Bernd Kühnl, Dr. Romain Leick, Heinz P. Lohfeldt, Udo Ludwig, Klaus Madzia, Armin Mahler, Dr. Hans-Peter Martin, Georg Mascolo, Gerhard Mauz, Walter Mayr, Gerd Meißner, Fritjof Meyer, Dr. Werner Meyer-Larsen, Joachim Mohr, Mathias Müller von Blumencron, Rolf S. Müller, Bettina Musall, Hans-Georg Nachtweh, Dr. Jürgen Neffe, Dr. Renate Nimtz-Köster, Hans-Joachim Noack, Gunar Ortlepp, Rainer Paul, Christoph Pauly, Jürgen Petermann, Joachim Preuß, Dr. Rolf Rietzler, Dr. Fritz Rumler, Dr. Johannes Saltzwedel, Karl-H. Schaper, Marie-Luise Scherer, Heiner Schimmöller, Roland Schleicher, Cordt Schnibben, Hans Joachim Schöps, Dr. Mathias Schreiber, Bruno Schrep, Helmut Schümann, Matthias Schulz, Hajo Schumacher, Birgit Schwarz, Ulrich Schwarz, Claudius Seidl, Mareike Spiess- Hohnholz, Dr. Gerhard Spörl, Olaf Stampf, Hans Gerhard Stephani, Günther Stockinger, Hans-Ulrich Stoldt, Peter Stolle, Barbara Supp, Dr. Rainer Traub, Dieter G. Uentzelmann, Klaus Umbach, Hans-Jörg Vehlewald, Dr. Manfred Weber, Susanne Weingarten, Alfred Weinzierl, Marianne Wellershoff, Peter Wensierski, Carlos Widmann, Erich Wiedemann, Dr. Dieter Wild, Christian Wüst, Dr. Peter Zolling, Helene Zuber REDAKTIONSVERTRETUNG BONN: Winfried Didzoleit, Manfred Ertel, Dirk Koch, Ursula Kosser, Dr. Paul Lersch, Elisabeth Niejahr, Olaf Petersen, Rainer Pörtner, Hans-Jürgen Schlamp, Gabor Steingart, Alexander Szandar, Klaus Wirtgen, Dahlmannstraße 20, Bonn, Tel. (0228) , Telefax REDAKTIONSVERTRETUNGEN DEUTSCHLAND: Berlin: Wolfgang Bayer, Petra Bornhöft, Christian Habbe, Dieter Kampe, Uwe Klußmann, Jürgen Leinemann, Claudia Pai, Hartmut Palmer, Norbert F. Pötzl, Michael Schmidt-Klingenberg, Harald Schumann, Kurfürstenstraße 72 74, Berlin, Tel. (030) , Telefax ; Dresden: Sebastian Borger, Dietmar Pieper, Detlef Pypke, Königsbrücker Str. 17, Dresden, Tel. (0351) , Telefax Düsseldorf: Ulrich Bieger, Georg Bönisch, Hans Leyendecker, Richard Rickelmann, Rudolf Wallraf, Oststraße 10, Düsseldorf, Tel. (0211) , Telefax Erfurt: Felix Kurz, Claus Christian Malzahn, Dalbergsweg 6, Erfurt, Tel. (0361) , Telefax Frankfurt a. M.: Peter Adam, Wolfgang Bittner, Annette Großbongardt, Annette Littmann, Ulrich Manz, Oberlindau 80, Frankfurt a. M., Tel. (069) , Telefax Hannover: Ansbert Kneip, Rathenaustraße 16, Hannover, Tel. (0511) , Telefax Karlsruhe: Dr. Rolf Lamprecht, Amalienstraße 25, Karlsruhe, Tel. (0721) , Telefax Mainz: Birgit Loff, Wilfried Voigt, Weißliliengasse 10, Mainz, Tel. (06131) , Telefax München: Dinah Deckstein, Annette Ramelsberger, Dr. Joachim Reimann, Stuntzstraße 16, München, Tel. (089) , Telefax Schwerin: Bert Gamerschlag, Spieltordamm 9, Schwerin, Tel. (0385) , Telefax Stuttgart: Dr. Hans-Ulrich Grimm, Sylvia Schreiber, Kriegsbergstraße 11, Stuttgart, Tel. (0711) , Telefax REDAKTIONSVERTRETUNGEN AUSLAND: Bangkok: Dr. Tiziano Terzani, 18 Soi Prommitr, Sukhumvit Soi 39, Bangkok, Tel. (00662) , Telefax Basel: Jürg Bürgi, Spalenring 69, 4055 Basel, Tel. (004161) , Telefax Belgrad: Renate Flottau, Teodora Drajzera 36, Belgrad, Tel. ( ) , Telefax Brüssel: Heiko Martens, Marion Schreiber, Bd. Charlemagne 45, 1040 Brüssel, Tel. (00322) , Telefax Jerusalem: Dr. Stefan Simons, 1, Bet Eshel, Old Katamon, Jerusalem 93227, Tel. (009722) , Telefax Johannesburg: Almut Hielscher, Royal St. Mary s, 4th Floor, 85 Eloff Street, Johannesburg 2000, Tel. 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(00431) , Telefax ILLUSTRATION: Renata Biendarra, Martina Blume, Barbara Bocian, Ludger Bollen, Katrin Bollmann, Thomas Bonnie, Regine Braun, Martin Brinker, Manuela Cramer, Josef Csallos, Volker Fensky, Ralf Geilhufe, Rüdiger Heinrich, Tiina Hurme, Antje Klein, Eva-Maria von Maydell, Ursula Morschhäuser, Cornelia Pfauter, Monika Rick, Chris Riewerts, Julia Saur, Detlev Scheerbarth, Claus-Dieter Schmidt, Manfred Schniedenharn, Frank Schumann, Rainer Sennewald, Dietmar Suchalla, Karin Weinberg, Matthias Welker, Rainer Wörtmann, Monika Zucht SCHLUSSREDAKTION: Rudolf Austenfeld, Horst Beckmann, Sabine Bodenhagen, Lutz Diedrichs, Dieter Gellrich, Hermann Harms, Bianca Hunekuhl, Rolf Jochum, Karl-Heinz Körner, Inga Lembcke, Christa Lüken, Reimer Nagel, Dr. Karen Ortiz, Andreas M. Peets, Wolfgang Polzin, Gero Richter-Rethwisch, Thomas Schäfer, Wilhelm Schöttker, Ingrid Seelig, Hans-Eckhard Segner, Tapio Sirkka, Hans-Jürgen Vogt, Kirsten Wiedner, Holger Wolters, Peter Zobel VERANTWORTLICHER REDAKTEUR dieser Ausgabe für Panorama, Titelgeschichte, Zwick-Gespräch, Europa, Wahlen 94, Verfassung, Spionage, Weltumfrage: Dr. Gerhard Spörl; für Neonazis, Forum, Parteien, Seuchen, Müll, Schulen, Rheinland-Pfalz, Verkehr, Ministerpräsidenten: Jochen Bölsche; für Hausmitteilung, SPIEGEL-Essay: Dr. Dieter Wild; für Trends, Unternehmen, Exporte, Entsorgung, Forsten, Autovermieter, Manager, Bausparen: Peter Bölke; für Werbung, Spectrum, Scheidungen, Comics, Jugend, Produkte, Pop, Fernseh-Vorausschau: Hans-Dieter Degler; für Panorama Ausland, Asylanten, Italien, Montanelli-Gespräch, Südafrika, Ukraine, Bücherspiegel, Laos, Gligorov-Interview: Dr. Olaf Ihlau; für Kampagnen, Boxen: Alfred Weinzierl; für Szene, Autoren, Film, Musik, Architektur, Clowns, Bestseller: Dr. Martin Doerry; für Prisma, Waffen, Automobile, Biographien, Biologie, Medikamente: Jürgen Petermann; für namentlich gezeichnete Beiträge: die Verfasser; für Briefe, Personalien, Nachruf, Hohlspiegel, Rückspiegel: Dr. Manfred Weber; für Titelbild: Rainer Wörtmann; für Gestaltung: Dietmar Suchalla (sämtlich Brandstwiete 19, Hamburg) DOKUMENTATION: Jörg-Hinrich Ahrens, Dr. Harro Albrecht, Werner Bartels, Sigrid Behrend, Ulrich Booms, Dr. Jürgen Bruhn, Lisa Busch, Heinz Egleder, Dr. Herbert Enger, Johannes Erasmus, Dr. Karen Eriksen, André Geicke, Ille von Gerstenbergk-Helldorff, Dr. Dieter Gessner, Hartmut Heidler, Wolfgang Henkel, Gesa Höppner, Jürgen Holm, Christa von Holtzapfel, Joachim Immisch, Hauke Janssen, Günter Johannes, Angela Köllisch, Sonny Krauspe, Hannes Lamp, Marie-Odile Jonot-Langheim, Walter Lehmann, Michael Lindner, Dr. Petra Ludwig, Sigrid Lüttich, Roderich Maurer, Rainer Mehl, Ulrich Meier, Gerhard Minich, Wolfhart Müller, Bernd Musa, Christel Nath, Anneliese Neumann, Werner Nielsen, Paul Ostrop, Nora Peters, Anna Petersen, Peter Philipp, Axel Pult, Ulrich Rambow, Anke Rashatasuvan, Dr. Mechthild Ripke, Hedwig Sander, Constanze Sanders, Rolf G. Schierhorn, Ekkehard Schmidt, Marianne Schüssler, Andrea Schumann, Claudia Siewert, Margret Spohn, Rainer Staudhammer, Anja Stehmann, Stefan Storz, Monika Tänzer, Dr. Wilhelm Tappe, Dr. Eckart Teichert, Jutta Temme, Dr. Iris Timpke-Hamel, Carsten Voigt, Horst Wachholz, Ursula Wamser, Dieter Wessendorff, Andrea Wilkens, Karl-Henning Windelbandt BÜRO DES HERAUSGEBERS: Irma Nelles NACHRICHTENDIENSTE: ADN, AP, dpa, Los Angeles Times/Washington Post, Newsweek, New York Times, Reuters, Time SPIEGEL-VERLAG RUDOLF AUGSTEIN GMBH & CO. KG Abonnenten-Service: Tel , Telefax (040) Postfach , Hamburg Abonnementspreise: Normalpost Inland: sechs Monate DM 130,00, zwölf Monate DM 260,00. Normalpost Europa: sechs Monate DM 184,60, zwölf Monate DM 369,20; Seepost Übersee: sechs Monate DM 189,80, zwölf Monate DM 379,60; Luftpostpreise auf Anfrage. Verlagsgeschäftsstellen: Berlin: Kurfürstenstraße 72 74, Berlin, Tel. (030) /26, Telefax ; Düsseldorf: Oststraße 10, Düsseldorf, Tel. (0211) , Telefax ; Frankfurt a. M.: Oberlindau 80, Frankfurt a. M., Tel. (069) , Telefax ; Hamburg: Brandstwiete 19, Hamburg, Tel. (040) , Telefax ; München: Stuntzstraße 16, München, Tel. (089) , Telefax ; Stuttgart: Kriegsbergstraße 11, Stuttgart, Tel. (0711) , Telefax Verantwortlich für Anzeigen: Horst Görner Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 48 vom 1. Januar 1994 Postgiro-Konto Hamburg Nr BLZ Druck: Gruner Druck, Itzehoe; maul belser, Nürnberg VERLAGSLEITUNG: Fried von Bismarck, Burkhard Voges GESCHÄFTSFÜHRUNG: Rudolf Augstein, Karl Dietrich Seikel DER SPIEGEL (USPS No ) is published weekly. The subscription price for the USA is $280,00 per annum. Distributed by German Language Publications, Inc., 153 South Dean Street, Englewood, NJ Second class postage is paid at Englewood, NJ and at additional mailing offices. Postmaster: Send address changes to: DER SPIEGEL, GERMAN LANGUAGE PUBLICATIONS, INC., P.O. Box 9868, Englewood, NJ BRIEFE Schon wieder out (Nr. 12/1994, Jugend: Wie Graffiti- Sprayer verfolgt und vermarktet werden) Stupide Imitationen eines US-amerikanischen Großstadtphänomens, pubertäre Kritzeleien unterstimulierter Teenager zur Kunst hochzujubeln und diese dann zu vermarkten zeugt von der nach wie vor existenten kulturellen und politischen Vasallenmentalität der Europäer. Zur Beruhigung: Graffiti sind schon wieder out, hoffentlich merken s die Vermarkter bald. Smørum (Dänemark) PETER HEINEN Graffiti sind schon vor Jahren eine Kunstform geworden. Wer hier von krimineller Veranlagung spricht, hat wohl längst das Gefühl für die Kälte und Menschenfeindlichkeit unserer Großstädte verloren oder nie gespürt. Graffiti sind eine zugegeben offensive Art, Individualität zu zeigen, sich abzuheben, Lebensinhalte aufzuarbeiten. Berlin MARIO KRAUS Entfernung eines Graffito Offensive Art, Individualität zu zeigen Angesichts der geschilderten Äußerungen und Verhaltensweisen der jugendlichen Graffiti-Sprüher würde ich mir gern erlauben, mal eben deren Kleidung, Möbel oder, in naher Zukunft, Auto nach meinen Vorstellungen zu verschönern. Berlin JAN GYMPEL Da bei den Düsseldorfer S-Bahnen umweltfreundliche Wasserfarben benutzt werden, müssen alle besprühten Waggons zum Ausbesserungswerk, was einen Ausfall von mindestens 14 Tagen bedeutet. Sowohl für die Umwelt als auch für die dort arbeitenden Kollegen ist das nicht gerade gesund. Düsseldorf WILFRIED BÖCK Eine Teilauflage dieser SPIEGEL-Ausgabe enthält eine Beilage der Staatlichen Lotterie-Einnahme Günther, Bamberg, sowie des manager magazins, Hamburg. 14 DER SPIEGEL 14/1994

15 Werbeseite Werbeseite

16 DEUTSCHLAND P A N O R A M A Südafrika Millionen für Inkatha Die Inkatha-Bewegung des südafrikanischen Zulu-Chefs Mangosuthu Buthelezi wird seit Jahren mit deutschen Steuergeldern unterstützt. Allein die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung finanziert das Inkatha Resource and Information Centre mit insgesamt sechs Millionen Mark. Das Geld stammt aus dem Haushalt des Bonner Entwicklungsministeriums und soll, so Staatssekretär Wighard Härdtl, zu einem erfolgreichen demokratischen Wandel in Südafrika beitragen, vor allem die Dialogbereitschaft der südafrikanischen Parteien fördern. Das Ministerium fördert etliche Entwicklungshilfeprojekte über parteinahe Stiftungen. Tatsächlich versuchen die Anhänger Buthelezis, die ersten freien Wahlen in dem früheren Apartheidstaat mit allen Mitteln zu verhindern, Schäuble Finanzpolitik 16 DER SPIEGEL 14/1994 Zulus (beim Marsch nach Pretoria) und drohen die Abspaltung ihres Stammesgebietes an. So finanzieren wir den Bürgerkrieg mit, empört sich Hans Wallow, Entwicklungshilfe-Experte der SPD. Stasi-Vergangenheit Nachsicht für IM Das brandenburgische Innenministerium plädiert für einen nachsichtigen Umgang mit der Stasi-Vergangenheit. Höhere Steuern? Die Spitze der CDU/CSU-Fraktion erwägt höhere Verbrauchs- und Vermögenssteuern sowie die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr. Auf eine weitere Erhöhung der Mineralölsteuer soll verzichtet werden. So sieht es ein noch geheimes Konzept vor, das Fraktionschef Wolfgang Schäuble bis zum Sommer vorlegen will. Mittelfristig sollen danach die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt, Investitionen gefördert werden, ein Vermögensbildungsplan könnte Arbeitnehmern und Gewerkschaften zusätzlichen Spielraum in der Tarifpolitik eröffnen. Schäuble hat das Konzept zur geheimen Kommandosache erklärt (ein CDU-Abgeordneter). Finanzminister Theo Waigel (CSU) ist noch nicht informiert. Er fürchtet eine Diskussion um Steuererhöhungen vor der bayerischen Landtagswahl im September. In einer Vorlage des Ministeriums für die Innenminister- Konferenz der ostdeutschen Länder heißt es, Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der früheren DDR-Staatssicherheit dürften im Öffentlichen Dienst beschäftigt werden, wenn trotz empfangener Orden und Geschenke des MfS eine Mitarbeit wegen fehlender Akten nicht zur Last gelegt werden könne. Ähnliches müsse für jemanden gelten, der offensichtlich ohne sein Wissen als IM geführt worden sei. Das Papier sei, so die Kritik des sächsischen Stasi-Beauftragten Fritz Arendt, maßgeblich auf die persönliche Verteidigungsstrategie des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) zugeschnitten, der als IM Sekretär mit Stasi-Orden ausgezeichnet wurde. Rechtsextremismus DVU will verzichten Die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) des Münchner Verlegers Gerhard Frey, 61, will nicht mit einer eigenen Liste an den Europa- und Bundestagswahlen teilnehmen. Nachdem die DVU bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg den Einzug ins Landesparlament verfehlt hatte, verzichtete sie bereits auf die Teilnahme an den Landtagswahlen in Niedersachsen. Die Partei propagiert jetzt eine Einigung mit den Republikanern. Der Republikaner-Chef Franz Schönhuber lehnt jedoch eine Kooperation ab. Republikaner Hetze gegen die Juden Die antisemitischen Ausfälle des Rep-Chefs Franz Schönhuber gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sind nach Informationen des Verfassungsschutzes Teil einer systematischen Kampagne. Die Republikaner setzen, so der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz-Chef Fritz- Achim Baumann, auf antisemitische Hetze, weil das Thema Ausländerpolitik nach der Verschärfung der Asylgesetze nach Ansicht der Rechtsextremisten zur Polarisierung in der Bevölkerung nicht mehr taugt. Der Verfassungsschutz hat Kenntnis von sogenannten Musterreden, die offensichtlich vom Bundesvorstand der Partei formuliert wurden. Darin werden Repräsentanten der jüdischen Gemeinden als deutsche Oberhasser verunglimpft. Bundeskanzler Helmut Kohl, heißt es in ei- Bubis

17 ner Musterrede, setzte sich das Käppi auf, damit der Herr Galinski zufrieden ist. Heinz Galinski war Vorgänger von Bubis als Zentralratsvorsitzender. Bundespresseamt Noch mehr Kanzler-Werbung Das Bundespresseamt (BPA) hat weitaus umfangreicher als bisher bekannt mit Steuergeldern verdeckte Werbung für die Bundesregierung betrieben. Das Amt soll nach einer internen Untersuchung mindestens zwölf parteiische Radiokommentare, in denen die SPD heftig kritisiert wird, über Spezialagenturen an öffentlich-rechtliche und private Sender geliefert haben. BPA-Chef und Re- Vogel gierungssprecher Dieter Vogel hatte vor dem Bundestag nur drei Beiträge als beanstandenswert eingeräumt. Das Presseamt will zu den internen Vorgängen derzeit nichts sagen. Die Kommentare, die nicht als von der Regierung gesteuerte Kanzler-Werbung erkennbar waren, stammten zumeist von den Journalisten Egge Weers und Karl-Ludwig Kelber. Beide profitieren auch auf andere Weise von Vogels Amt. Sie sind Redakteure des Nachrichtendienstes Presseplan, der einen sechsstelligen Betrag vom Presseamt erhält. Der Dienst beliefert 60 kleine und mittlere Tageszeitungen mit Artikeln und Kommentaren über die Bonner Politik. Die SPD fordert die Entlassung Vogels. DER SPIEGEL 14/

18 TITEL EDI, DAS MACHEN WIR Amigo-Land Bayern: Franz Josef Strauß war groß im Nehmen, sein Vermögen bunkerte er auf Schweizer Konten. Sein schwerreicher Unternehmerfreund Eduard Zwick versorgte ihn privat und finanzierte auch die CSU. Dafür stand der Ministerpräsident dem Bäder-Mogul in dessen Steuerstreit mit dem Fiskus hilfreich zur Seite. Zwick-Gast Strauß, Gastgeberfamilie Zwick in Südfrankreich, Privatbank Pictet in Genf, Amigos Strauß, Zwick*: Die ranz Josef Strauß stattete der Privatbank Pictet in Genf einen Besuch Fab. Höflich und diskret, wie in diesem feinen Geldhaus üblich, wurde der bayerische Ministerpräsident in ein Séparée komplimentiert. Dort rückte der CSU-Vorsitzende mit der Sprache heraus: Er würde sich gern über den Stand seiner Konten informieren, die bei der Bank für ihn unter dem Namen eines Freundes geführt würden. Man kenne ihn doch, fügte der weltberühmte Bayer mehr feststellend als fragend hinzu. Ebenso dezent wie bestimmt blockten die Schweizer Bankiers ab. Die Bank würde sich überaus glücklich schätzen, könnte sie dem Herrn Ministerpräsidenten zu Diensten sein. Aber er führe nun mal kein Konto bei der Bank, sondern sein Freund, auch wenn es sich um das Geld von Herrn Strauß handeln sollte. Er müsse schon, da bitte man um Verständnis, eine Vollmacht seines Freundes mitbringen. Beglückt zog Strauß ab. Hochzufrieden erzählte er sein Erlebnis wenig später einem anderen Freund und bedankte sich überschwenglich. Er habe ihm eine ganz ausgezeichnete Empfehlung gegeben, lobte Strauß den Bäderkönig aus Bad Füssing, Eduard Zwick. Pictet sei tatsächlich sehr diskret und zuverlässig. Da fühle er sich gut aufgehoben. Der CSU-Chef habe sich 1979, erinnert sich der schwerreiche Zwick, an ihn gewandt: Er sei, so Strauß, mit seiner bisherigen Schweizer Bankverbindung, Vontobel in Zürich, nicht mehr zufrieden, der Konditionen wegen. Ob der liebe Edi ihm raten könne, wo sich sein Geld besser plazieren ließe? Persönlich führte Zwick, wenig später nach seiner Flucht in die Schweiz von den bayerischen Behörden wegen Steuerschulden von über 70 Millionen Mark per Haftbefehl gesucht, den bayerischen * Bild oben: Ehefrau Angelika, Sohn Johannes, Eduard Zwick (r.) auf der Terrasse ihrer Villa Bavaria in Le Rayol-Canadel-sur-Mer; Bild Seite 19 rechts: mit Wolfgang Gröbl, damals CSU-Landrat in Miesbach, heute Parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Landwirtschaftsministerium. 18 DER SPIEGEL 14/1994

19 Ministerpräsidenten bei dem Genfer Bankhaus ein, seiner eigenen Hausbank. Zwick hatte den renommierten Neu- Kunden avisiert. Ganz begeistert, erzählte er später, hätten die Genfer Bankiers auf den Namen Strauß reagiert und Vorzugskonditionen zugesichert. Der Unternehmer aus Bad Füssing hatte gerade selber ausgezeichnete Erfahrungen mit dem Institut gemacht: Ihm habe das Haus Pictet bei einer umfangreichen Silberspekulation zur Seite gestanden, die dem Doktor aus Deutschland einen fetten Gewinn einbrachte, steuerfrei. Für Zwick war selbstverständlich, daß sein Freund FJS genug auf der Naht hatte, um sich in einem eidgenössischen Bankhaus dieser Güte als Kunde sehen zu lassen. Ein paar kräftige Millionen, erläutert Zwick, sollte man schon dabei haben (siehe SPIE- GEL-Gespräch Seite 28). Der bayerische Ministerpräsident (Jahresgehalt: etwa Mark) hat offenbar über reichlich Geld verfügt. Er war, gibt sein Vertrauter Walter Schöll an, auch Kunde der Züricher Bank Bär. Beim Anbahnen dieser Verbindung hatte ihm Amigo Schöll assistiert. Der Münchner PR-Agent geleitete Strauß so um 1980 herum in der Züricher Bahnhofstraße zu Bärs bis in den dritten Stock. Schweizer Bankkonten, da decken sich Volksmund und Wirklichkeit, dienen Bundesbürgern schon mal zum Hinterziehen von Steuern. Denn wer in München wohnt, kann ja eigentlich ordentliche Institute wie die Sparkasse oder die Deutsche Bank mit der Verwaltung seines Geldes beauftragen. War Strauß, der Freund des Steuerflüchtlings Zwick, selber Steuerflüchtling? Entzog der einstige Bundesfinanzminister (1966 bis 1969) und Unions-Kanzlerkandidat des Jahres 1980 wie Zwick Teile seines Vermögens dem Zugriff des deutschen Fiskus? Und: Woher kam das Geld? Franz Josef Strauß, über Jahrzehnte die schillerndste Figur in der deutschen Politik, hatte viele Gesichter: Er war der brillante Analytiker der Weltläufte, der 1971 vor dem New Yorker Plaza- Hotel von Prostituierten ausgenommen wurde; er wollte ein weitsichtiger Staatsmann sein, umworben von den Großen dieser Erde, und legte sich mit einem unbotmäßigen Verkehrspolizisten an; er war der hochgebildete Altphilologe, der griechische und lateinische Zitate ins Gespräch einfließen ließ, und fiel in den Tagen der Schleyer-Entführung 1977 durch verantwortungslose Reden auf. Strauß brachte Geld vor den Sozis in Sicherheit Stoiber, der amtierende Ministerpräsident, und sein Finanzminister Georg von Waldenfels die Verhaftung des Zwick-Sohns wegen Steuerhinterziehung gut hießen, ist der Vater in Rage. Alle hätten alles gewußt in der Steuersache Zwick: Edi, das bringen wir in Ordnung, das machen wir, habe Strauß mehr als einmal beim Wein in Bad Füssing versprochen. Und nun das, die Familie werde verfolgt. Listig lenkt Zwick den Blick der Öffentlichkeit auf die Strauß-Konten in der Schweiz. Die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, heute als Staatssekretärin im bayerischen Kultusministerium Mitglied der vermeintlich sauberen Gesellschaft, hat schließlich geerbt. Haben schillerndste Figur der deutschen Politik regierte in Bayern wie ein Medici und suchte die Nähe der Reichen Daß der bayerische Ministerpräsident, der sein Land wie ein Medici regierte, gern die Nähe reicher Leute suchte, wußte man in Umrissen. Friedrich Karl Flick, der Milliardär, und Friedrich Jahn, der Hendl-Brater mit dem allzeit bereiten Privatjet, gehörten zum Strauß-Clan. Lange Jahre aber und über den Tod des letzten Titanen (Die Zeit) hinaus, war das Publikum, begierig auf die bunten Geschichten am bayerischen Hofe, auf Vermutungen angewiesen. Denn die Spezis schwiegen. Jetzt aber redet einer. Aus seiner prunkenden Villa im schweizerischen Lugano nimmt einer der engsten Strauß-Freunde, Eduard Zwick, 72,Bayerns derzeitige Macht-Elite unter Feuer. Seit Edmund sie und ihre Brüder Max Josef und Franz Georg den deutschen Finanzbehörden von jenem Geld erzählt, das ihr Vater angeblich hinter den Bergen verborgen hatte? Haben sie Erbschaftsteuer gezahlt, sind Steuern auf die Kapitaleinkünfte fällig? Gegenüber dem SPIEGEL weigerten sich die Kinder Strauß, über Einzelheiten der Vermögensanlage ihrer Eltern Rechenschaft abzulegen. Alle Konten, wie auch deren Erträge und Zuflüsse, seien ordnungsgemäß versteuert worden. Von einem Vermögen in Höhe von ein paar Millionen oder gar von einem dreistelligen Millionenbetrag könne nicht die Rede sein, teilte Strauß-Sohn Max Josef dem SPIEGEL DER SPIEGEL 14/

20 mit. Gegenüber einem Freund bestätigte Max Josef, der Vater habe tatsächlich bei Pictet und Vontobel Geld vor den Sozis in Sicherheit gebracht. Mit einer Mischung aus Spott und Wut legt Zwick bloß, wie er über viele Jahre der CSU, ihren Würdenträgern und ihrem Boß über die Hürden des Alltags half und die Feiertage versüßte. Jahr für Jahr feierte der Strauß-Freundeskreis den Geburtstag des Meisters an der Côte d Azur. Zwick bezahlte. Die Kosten, so Zwicks Schätzung, beliefen sich jedes Mal so auf zwischen und Mark, die Unterbringung und Reisekosten der Gäste eingerechnet. Schnorrer-Genie Strauß flog gern. Er hatte absolute Priorität (Zwick) beim Zugriff auf das Fluggerät der Chartergesellschaft, die der Dr. Amigo gegründet hatte. Im Wahlkampf 1980 ließ Zwick eine seiner für den Kanzlerkandidaten Strauß bereitgehaltenen Maschinen mit den Buchstaben D-IFJS am Leitwerk schmücken. TITEL Obwohl beim Bund die Kosten in Höhe regulärer Lufthansa-Tickets für mitreisende Sicherheitskräfte abgerechnet werden konnten, mußte Zwick kräftig zuschießen. Seine Verluste gingen in die Hunderttausende. Das Finanzamt erkannte das Minus aus dem Flugbetrieb, wie Zwick noch heute bekümmert sagt, nicht als steuermindernd an. Zwick zahlte, als ein Strauß-Amigo Probleme mit einer Freundin bekam. Die wollte nicht nur die Ehefrau, sondern auch die Öffentlichkeit darüber informieren, was sie im Dunstkreis des CSU-Chefs alles erlebt hatte. Erst protestierte Zwick noch: Weshalb denn ausgerechnet er zahlen solle, er habe doch mit der Dame nichts gehabt. Strauß habe den Widerspruch erstickt: Du nicht, aber andere. Die Amiga mußte sich schriftlich zum Schweigen verpflichten, erhielt Mark und versprach, sich zur Opernsängerin ausbilden zu lassen. Ging man gemeinsam aus in Südfrankreich, pflegte Zwick immer mal wieder zu sagen: Gell, Franz, heute abend zahlst du. Und steckte dem CSU-Boß gebündelte 1000-Francs-Scheine in die Brusttasche. Zwick zahlte für Strauß- Aufkleber, Strauß-Bierkrüge, Strauß-Plakate. Er zahlte für die tropenfest verschweißten Porträtfotos, die der CSU-Boß einem besonderen Spezi, dem Diktator Mobutu von Zaire, gleich palettenweise zukommen ließ. Die Kosten: Hunderttausende von Mark. Die Affären des FJS Schützenpanzer HS 30 Im Januar 1957, kurz nach Amtsantritt als Verteidigungsminister, bestellte Strauß 4472 Stück des Schweizer Schützenpanzers HS 30 der größte Rüstungsauftrag, den die junge Bundeswehr bis dahin vergeben hatte. Doch die Panzer erwiesen sich als Fehlkonstruktion und wurden nie geliefert. Eidgenossen hatten 18 Millionen Mark an Schmiergeldern und Provisionen investiert, um das Gerät in alle Welt zu verkaufen. Wer in Bonn kassiert hatte, konnte auch ein Untersuchungsausschuß nicht klären. Onkel Aloys Aloys Brandenstein war ein väterlicher Freund der Strauß- Ehefrau Marianne. Sie nannte ihn Onkel Aloys. Als Brandenstein in finanzielle Schwierigkeiten geriet, knüpfte das Strauß-Ministerium den Kontakt zu einem Oberst im Beschaffungsamt der Bundeswehr. Der drängte den Onkel einer Panzerkettenfabrik als Generalbevollmächtigten auf das Unternehmen war auf Bundeswehraufträge angewiesen. Lockheed Strauß ließ für die Luftwaffe 1958 den Starfighter F-104G der US-Firma Lockheed anschaffen. Der amerikanische Schönwetterflieger war für Mitteleuropa völlig ungeeignet und mußte total umkonstruiert werden. Doch der Umbau machte das Flugzeug noch unsicherer. Bei 269 Starfighter- Abstürzen kamen 110 Piloten ums Leben. Weltweit mußten Politiker von ihren Ämtern zurücktreten, weil sie von Lockheed Geld genommen hatten nur in Deutschland nicht. Als Strauß 1962 das Verteidigungsministerium verließ, verschwanden mit ihm wichtige Lockheed-Akten. Fibag Verhaftung des Zwick-Sohnes Johannes*: Neue, saubere Zeiten Der Arzt hielt Mark bereit für eine Anzeigenboykott-Aktion im Kanzlerwahlkampf Jeder Betrieb von fünf Mitarbeitern an, jede Werbeagentur sollte von einer Gesellschaft gegen den Sozialismus einen Warn-Brief erhalten. Darin hieß es: Würden Sie einem Mann, der Ihr Haus anzünden will, auch noch Feuer geben? Die groß angelegte Hetzkampagne der marxistischen Linken gegen Unionspolitiker, insbesonde- * Am 11. Januar in Landshut. Die Fibag (Finanzbau-AG) wurde 1960 gegründet, um 5000 Wohnungen für die US-Truppen zu bauen. Hans Kapfinger, Duzfreund von Strauß, war mit 25 Prozent an dem Unternehmen beteiligt. Strauß schrieb ihm ein Empfehlungsschreiben ( To whom it may concern ). Auch ein Untersuchungsausschuß konnte nicht klären, ob Kapfinger Strauß meinte, als er bei Abschluß des Bombengeschäftes vor Zeugen bedauerte, mit ihm teilen zu müssen. DER SPIEGEL Am 26. Oktober 1962 besetzten und durchsuchten Polizeibeamte die Redaktion des SPIEGEL. Der Vorwurf: Landesverrat durch die bundeswehrkritische Titelgeschichte Bedingt abwehrbereit. Hinter der Staatsaktion steckte der durch SPIEGEL-Berichte über Fibag und Onkel Aloys beleidigte Strauß. Er ließ höchstpersönlich und rechtswidrig den Redakteur Conrad Ahlers in Spanien festsetzen, behauptete aber vor dem Bundestag: Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Wegen dieser Lüge mußte Strauß am 11. Dezember 1962 zurücktreten. 20 DER SPIEGEL 14/1994

21 re gegen Franz Josef Strauß, wurde maßgeblich von Spiegel und Stern unterstützt. Ihre Anzeige/Inserat paßt nicht in diese Linkspostillen. Inserieren Sie nicht mehr in Spiegel und Stern dann machen Augstein und Nannen Pleite. Anderenfalls machen Sie Pleite. Zwick las Strauß den Text vor. Der sei begeistert gewesen. Die Aktion wurde dennoch abgeblasen. Strauß bekam vermutlich Angst, er könne als Hintermann auffliegen und die gesamte deutsche Presse wegen des Anschlags auf die Pressefreiheit gegen sich aufbringen. Sein Scheckheft hatte Zwick auch parat, um die von Strauß betriebene bundesweite Ausdehnung der CSU zu unterstützen. Der Vorsitzende hatte eine Kladde angelegt, in der er säuberlich eintrug, wieviel er von seinen Millionärsfreunden für seine bundesweite Vierte Partei erhalten würde. Zwick ließ sich erst mal mit zwei Millionen Mark einschreiben. Doch Strauß machte, nachdem 1976 in Wildbad Kreuth bereits die Trennung der CSU von der CDU beschlossen worden war, unter dem Druck der eigenen Partei einen Rückzieher. Besondere Bitterkeit befällt Eduard Zwick, wenn er auf Edmund Stoiber zu sprechen kommt. Der ehemalige Bürochef von Franz Josef Strauß, heute Ministerpräsident in Bayern, gibt sich als Saubermann. Anders als seine Vorgänger im Amte des Ministerpräsidenten, Max Streibl und Franz Josef Strauß, verzichtete er auf ein Zusatzeinkommen in Höhe von jährlich rund Mark als Testamentsvollstrekker der Friedrich-Baur-Stiftung. In der CSU haben Stoibers Reinigungsarbeiten beträchtliches Gegrummel ausgelöst. Stoiber will weiter so! Sauberkeit einkehren lassen in der verfilzten bayerischen Staatspartei. Nicht zuletzt mit Stoibers Nachhilfe ist Ministerpräsident Streibl über seine Amigo-Connections Besondere Bitterkeit befällt Zwick, wenn er über Stoiber spricht gestürzt, die ihm zu Gratis-Urlauben in Lateinamerika und Afrika verholfen hatten. Stoiber räumt auf unter der Strauß-Kamarilla. Wer Regierungsämter und Geschäfte miteinander verquickt hat, muß gehen. Strauß-Liebling Peter Gauweiler, der für Mark monatlich seine Anwaltsmandanten verpachtete, verlor den nen wurde ihm erlassen politisch zu verantworten. Waldenfels will aber nichts von den Verhandlungen seiner Beamten gewußt haben (siehe Seite 26). Eine Woche lang verteidigte Waldenfels im vorigen Oktober noch den Pakt mit Zwick, ehe er die Aufhebung verfügte. Nun hängt Waldenfels selber mit drin. Er soll Mitwisser gewesen sein bei angeblich erschlichenen Subventionen: Die gemeinsame Zwick/Tandler- Firma Bavaria Internat GmbH & Co. Vermietungs- und Verpachtungs KG in Altötting, eine Hotelfachschule, sei von einem Spezl mit erheblicher staatlicher Unterstützung gekauft worden, auf die der Käufer kein Anrecht gehabt habe. Anfang des Jahres zog sich Stoiber mit seiner Tugend-Revolution endgültig den Zorn des Zwick-Patriarchen zu. Am 11. Januar griff sich die bayerische Justiz den Zwick-Sohn Johannes und Männerfreunde Zwick, Strauß in Bad Füssing, bei Geburtstagsfest*: Ein Herr mit den besten Tugenden eines Mannes Posten als bayerischer Umweltminister. Gerold Tandler, einer der engsten Strauß-Vertrauten, mußte als stellvertretender CSU-Vorsitzender abdanken, nachdem bekanntgeworden war, daß er Kredite und Bürgschaften von Zwick erhalten hatte. In der Amtszeit des bayerischen Finanzministers Tandler wurde die Niederschlagung Zwickscher Steuerschulden betrieben. Als nächster könnte Georg von Waldenfels fallen. Der gegenwärtige bayerische Finanzminister hat den in seiner Amtszeit unterschriebenen Steuer-Deal zwischen dem Freistaat Bayern und Zwick der Arzt zahlte 8,3 Millionen, der Rest der 70 Millio- * Zwick (r.) übergibt ein Ölgemälde an Strauß. hält ihn seither mit wechselnder Begründung in Untersuchungshaft. Erst sollte Zwick junior beim Ankauf der Aktien des väterlichen Unternehmens via Luxemburg dem Staat Steuern in vielfacher Millionenhöhe vorenthalten haben. Als dieser Vorwurf der Staatsanwaltschaft bei Gericht unhaltbar erschien, wurde Johannes Zwick mit dem Argument hinter Gittern gehalten, er habe zur Steuerhinterziehung des Vaters Beihilfe geleistet. Nicht einmal gegen eine Kaution von 60 Millionen Mark in bar, die das Landgericht Landshut angesichts einer streitigen Steuerschuld von rund 22 Millionen für angemessen hielt, kam DER SPIEGEL 14/

22 der 38jährige Familienvater frei. Die Staatsanwaltschaft legte erfolgreich Beschwerde ein. Eiferer Stoiber hat den Fall Zwick zur Chefsache erklärt. Er habe, schrieb er dem SPIEGEL, als Ministerpräsident Entscheidungen veranlaßt, die eine Aufklärung des Steuerfalls Zwick voranbringen werden. Zweifel an der politischen Unabhängigkeit der bayerischen Justiz mindern derlei starke Worte des Landesvaters nicht. Die neuen sauberen Zeiten in der CSU könnten nur einziehen, sprach Stoiber im Vorstand seiner Partei, wenn wirklich radikal mit der Vergangenheit gebrochen werde. Was das heißt, wissen alle in der CSU-Spitze: Entsorgung der Altlast Strauß. Stoibers Schlag gegen seinen politischen Ziehvater könnte für den weißblauen Ableger der Christenunion ernste Folgen haben. Über den Tod hinaus besaß die CSU in Strauß, diesem Politiker im Weltmaßstab (so einst der CSU-Politiker Friedrich Zimmermann), TITEL Stoiber bringt sich selber in Gefahr. Jetzt reden andere, auch über ihn. Gerold Tandler etwa erinnert sich, daß jene Strauß-Geburtstagsfete im September 1983 in Südfrankreich, an der Stoiber und Gattin auf Kosten des Steuerflüchtlings Zwick (Flugreise und Hotel inklusive) teilgenommen hatten, anders abgelaufen ist, als es der Ministerpräsident schildert. Stoiber behauptet, er habe nicht gewußt, wer für seine Einladung bezahlt habe. Ob er etwa den Jubilar Strauß danach hätte fragen sollen? Stoiber brauchte nicht zu fragen. Laut Tandler, damals ebenfalls unter den Gästen, ist eigentlich den ganzen Abend nur über den Steuerfall Zwick gesprochen worden. Das Geburtstagskind Strauß dankte allen Gästen für ihr Kommen. Sein besonderer Dank galt jenen beiden, die nicht gekommen waren: Angelika und Eduard Zwick sie hätten alles so schön arrangiert. Der Ministerpräsident bat Welche Faszination von FJS auf seine Gefolgschaft ausging, belegt ein Schreiben Zwicks an den Meister: Leider gibt es nicht mehr viele Männer, Persönlichkeiten Deines Ranges in einem Zeitalter, das durch die manipulierte Schicht der Kleinbürger einerseits und die im Grunde hilflose Arroganz ideologisierter Individuen andererseits charakterisiert ist. Oder: Du, lieber Franz, warst und bleibst für mich ein Herr mit den besten Tugenden eines Mannes. Heute noch schwärmen Zwick senior und Ehefrau Angelika für FJS selig obwohl er im Grunde nichts für uns getan hat, so Eduard Zwick, wir aber ihm jeden Wunsch erfüllt haben. Das war das Besondere am Amigo- System der Ära Strauß: Er hat weit mehr genommen als gegeben. Seine engsten Kumpane Schöll und der inzwischen verstorbene Rechtsanwalt Franz Dannecker spielten, wie Ministerpräsident Strauß, Zwick-Sanatorium in Bad Füssing, Strauß-Kinder bei Strauß-Staatsakt in München (1988)*: eine identitätsstiftende Kultfigur, vergleichbar Charles de Gaulle für die Gaullisten. Bis heute gefällt sich die CSU als Nachlaßverwalterin jenes heimatverbundenen Konservativen, dessen Name in Washington wie in Peking und Moskau Gewicht besaß. Nun hat Stoiber angefangen, die andere, die dunkle Seite des Franz Josef Strauß auszuleuchten. Seit seinen Tagen als Bundesverteidigungsminister war FJS in Affären verwickelt, bei denen es fast immer auch um den Verdacht der Geldannahme ging. Strauß-Consigliere Schöll könnte recht behalten mit seiner Warnung: Der Eiferer in der Staatskanzlei habe die Omertà gebrochen. Das wird sich rächen. die Tochter Luitgard und den Sohn Johannes, die mit an der Tafel saßen, den Eltern in der Schweiz ganz herzliche Grüße auszurichten. Strauß-Vertrauter Schöll will wissen, daß es in der Staatskanzlei nichts gegeben hat, von dem Stoiber nichts gewußt hat. Stoiber war von 1982 an Chef der bayerischen Regierungszentrale. Strauß, kein Freund der Alltagsarbeit, hatte so gut wie alle laufenden Geschäfte an den hohlwangigen Büromenschen delegiert. Und dieser Adlatus soll nichts gewußt haben von jenen Telefonaten, bei denen sich Bedienstete der Staatskanzlei im Finanzministerium nach dem Stand der Steuer-Causa Zwick erkundigten? Schöll, in Wahlkampfzeiten sogar den Chauffeur. Sie waren, wenn dem Meister der Sinn danach stand, zur Stelle, zu jeder Zeit an jedem Ort. Sie kamen bei allerlei Geschäften nicht zu kurz und hatten ihren materiellen Vorteil einfach schon durch die allseits bekannte Nähe zu Strauß. Werbeagent Schöll konnte bei Akquisitionsgesprächen Eindruck schinden, wenn, wie zufällig, Strauß mal eben im Büro seines Freundes Walter vorbeischaute. Oder der Ministerpräsident kreuzte beim alljährlichen Schlachtfest * Bild links: bei der Übergabe des ersten Pan-Am- Airbusses 1984; Bild Seite 23 rechts: Max Josef und Franz Georg Strauß, Monika Hohlmeier. 22 DER SPIEGEL 14/1994

23 in Schölls Chieminger Villa auf. Der war Repräsentant der Großkunden Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, des Fleischimperiums der Gebrüder März, der Restaurantkette Wienerwald und der Bundesanstalt für Arbeit. Für Zwick war es eine Ehre, wenn Strauß seine Geschenke annahm. Der Brauchte die CSU Bares, sprang das Haus Zwick ein erflucht in die Schweiz, flossen monatlich Beträge zwischen und Mark aus dem Hause Zwick auf unverfängliche Konten. Der Wahlschweizer beklagt jetzt die Doppelmoral in einer Partei, deren Finanzminister Waldenfels ihn öffentlich als Steuerkriminellen diffamiere, obwohl es doch prominente CSUler gewesen seien, die ihn zu Steuermanipulationen angestiftet hätten. So habe Klaus Rose, der heute als Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses über das Finanzgebaren des Bundes wacht, einst in einem Bettelbrief detaillierte Handlungsanweisungen für den Steuerbetrug gegeben. Mit einem CSU-Druckereibesitzer, schrieb Rose, läßt sich schon was machen. Nachdem er aber auch bereits für Max Gerstl (kürzlich verstorbener langjähriger CSU-Landtagsabgeordneter, Red.), Rechnungen gestellt hat, scheint es ihm bei mir nur unter der Trick einfallen lassen. Zwick sollte ihm Briefmarken im Werte von Mark zukommen lassen und die Porti unter den Betriebsausgaben seines Bades absetzen. Müller weiß die Höhe der Zahlung heute nicht mehr genau, aber die Briefmarken habe ich bekommen, das war so. Das Finanzamt hat nichts gemerkt. Auch Strauß, obwohl als Ministerpräsident seit 1978 den Regeln über Vorteilsannahme im Amt unterworfen, plagten keine Gewissensbisse, wenn er wertvolle Geschenke bekam. Gefiel dem Nimrod ein barockes Jagdmotiv, das er erst auf der Titelseite der Füssinger Kurzeitung und dann in Zwicks Villa als Original entdeckte bald darauf besaß er das Gemälde. Kunstfreund Zwick hatte das Bild für etliche tausend Mark einst in Wien ersteigert. Wie selbstverständlich schenkte er es dem Freund zum Geburtstag, so wie ein andermal ein ähnlich wertvolles Werk über Karl V. Wir haben ihm jeden Wunsch erfüllt nahm gern und schätzte an dem Arzt, so Schöll, überdurchschnittliche Intelligenz und Unternehmerbegabung. Die Zwick-Zuwendungen summierten sich. Strauß und Schöll antichambrierten bei dem Unternehmer, wenn es dem chronisch defizitären Parteiblatt Bayernkurier mal wieder besonders schlecht ging der Besitzer des Bad Füssinger Johannesbades gab Mark. Obendrein zahlte er in aller Stille Mark Bußgeld beim Landgericht Landshut. Denn Quittungen für angeblich in größerem Abständen geschaltete Anzeigen im Bayernkurier waren beim Finanzamt wegen eines Leichtsinnsfehlers aufgefallen: Sie stammten allesamt vom selben Block und waren durchgehend numeriert. Das Finanzamt gab die Sache zu Gericht. Mit der Buße vermied Zwick ein öffentliches Verfahren und sieht sich heute als Opfer seiner Großzügigkeit gegenüber der CSU. Brauchte die Partei Bares, zahlte Zwick. Auch 1983 noch, nach der Steu- Voraussetzung möglich, daß Dr. Zwick auch tatsächlich in seiner Kundenkartei geführt wird für den Fall, daß irgendwann das Finanzamt Stichproben macht. Er kann ja nicht größere Rechnungen an eine Firma stellen, für die er nichts arbeitet. Zwick sollte, fuhr Rose fort, irgendeinen Auftrag geben, der ganz bescheiden sein könne, den der Drucker aber dann in der Rechnung größer erscheinen lassen würde. Rose schlug den Gönner 1981 für das Bundesverdienstkreuz vor. Der konnte den Orden jedoch wg. Haftbefehls nicht in der Münchner Staatskanzlei abholen. CSU-MdB Günther Müller hatte sich, erinnert sich Zwick, einen anderen Der Landesvater gab sich offensichtlich auf seine Weise großzügig. Ein besonderer Dorn im Auge des Heilbadbetreibers Zwick, erinnert sich ein alter Freund, war stets die Konkurrenz der kommunalen Kurmittelhäuser. Sie dürften sich keinesfalls ausbreiten, die müßten weg, lag er seinem Freund Strauß in den Ohren. Strauß habe zugesagt, so bald wie möglich, den staatlichen Träger-Verband aufzulösen und dessen Einrichtungen zu privatisieren. Bad Füssing werde kein Staatsbad, versprach der bayerische Regierungschef öffentlich. Eines Tages aber war Zwick wirklich in Not. Lokalpolitiker standen in Bad Füssing gegen ihn, allen voran ein höhe- DER SPIEGEL 14/

24 rer CSU-Funktionär. Den müßt ihr kippen, ordnete Strauß nach Zwicks Erinnerung an, da müßt ihr mir die Grundlagen liefern. Zwick fiel, glücklicher Zufall, die eidesstattliche Erklärung einer damals 23jährigen Frau vom 15. Juli 1976 in die Hände. Das Pflegekind des störenden Parteifreundes beschuldigt den Ziehvater darin, es habe durch ihn seit dem 11. Lebensjahr einen praktischen Aufklärungsunterricht in den verschiedensten Formen und Ausführungen erlitten. Sie hasse ihren Pflegevater, der inzwischen durch Geldzuwendungen mein Schweigen zu erkaufen versucht, um weiterhin ungestört seine geachtete Rolle im öffentlichen Leben wahrnehmen zu können. Die Geschichte endete wie gewünscht: Der CSU-Funktionär verzichtete 1978 auf seine Wiederaufstellung. Anzeige gegen ihn wurde nicht erstattet. Zwick, Anfang der siebziger Jahre durch Vermittlung des örtlichen CSU- TITEL Oder man machte bei einer Art Insidergeschäft gemeinsame Sache. Wienerwald-Chef Jahn hatte vor, sich groß in einer Fast-food-Kette in den USA zu engagieren. Er gab seinen Amigos einen Tip, daß die Aktienkurse der amerikanischen Firma hochschnellen würden. Der Clan-Chef plazierte Mark. Zwick stieg über Strohmann Schöll mit einer Million ein. Doch die Kurse zogen nicht an. Nur mit großer Mühe gelang es Strauß und Zwick, ihr Geld zurückzubekommen. Der Füssinger Unternehmer, stets auf der Suche nach steuermindernden Anlagemöglichkeiten, will von dem früheren Bundesfinanzminister Strauß mancherlei Tips erhalten haben, wenn die Kumpels gemeinsam durch die Welt jetteten. So verschlug es den Bäder-Mogul auch in das Uganda des Idi Amin. Zwick wollte dort mit Medikamenten Geschäfte machen, aber das Chaos in dem schwarzafrikanischen Staat war ihm zu groß. tralafrikanischen Staat. Die Präparate verschwanden 1977 in dem von den Katanga-Unruhen erschütterten Land. Zwick erzielte keine Profite, sondern bekam Vorwürfe aus Afrika zu hören: Bei einem Teil der angelieferten Medikamente sei bereits das Verfallsdatum überschritten gewesen. Enttäuschung auch zu Hause: Wieder wollte das Finanzamt Passau das Verlustgeschäft nicht anerkennen. Und so ging es weiter. Zwick, dessen Großzügigkeit gegenüber dem Freund Strauß gepaart war mit äußerster Zurückhaltung, wenn es ans Steuerzahlen ging, geriet immer heftiger mit den Finanzbehörden Bayerns aneinander. Mal ging es um zwei Millionen Mark Schwarzgeld, die sich der Bäder-Krösus beim Verkauf eines Flugzeugs über die offiziellen Mark hinaus angeblich unter dem Tisch hatte zustekken lassen. Bei einer Betriebsprüfung war aufgefallen, daß Zwick den Zwei- Befreundete Ehepaare Strauß, Zwick in Südfrankreich, Zwick-Flugzeug*, Strauß-Helfer Stoiber, Chef (1986): Hoffnung Bundestagsabgeordneten Herbert Prochazka mit dem CSU-Boß bekannt geworden, hatte schon früh das Ehepaar Strauß beraten und unterstützt. Marianne Strauß, die sich für eine begabte Geschäftsfrau hielt, steckte damals in Schwierigkeiten Mark, die sie auf Anraten eines Unternehmensberaters, des von der FDP zur CSU gewechselten Bundestagsabgeordneten Siegfried Zoglmann, in Supermärkte der Firma Bentz gesteckt hatte, waren in Gefahr. Zwick stieg mit drei Millionen ein, übernahm den Strauß- Anteil und konnte schließlich mittels einer massiven Klagedrohung sein Geld und das des Ehepaares Strauß retten. Vielversprechender schon ein anderes Engagement, wieder angeblich auf Anraten von Strauß: Zwick gründete in Kinshasa/Zaire ein Pharma-Unternehmen, an dem er zu 50 Prozent den damaligen Minister Mandungu Bula Nyati beteiligte. Geplant war ein Arzneimittel-Werk, das die am dringendsten benötigten Medikamente für den Zaire- Markt und für den Export in benachbarte Länder produzieren sollte. Als Vorleistung lieferte Zwick auf eigene Rechnung für angeblich vier Millionen Mark Medikamente in den zen- * Bild links: Angelika Zwick, Marianne Strauß mit dem CSU-Politiker Max Gerstl; Bild Mitte: am Leitwerk die Strauß-Initialen FJS. Millionen-Scheck unter dem Stichwort Auslandsgeschäft bei der Münchner Bank Merck, Finck & Co. eingelöst hatte. Mal ging es um gut Mark Einkommensteuerverkürzung bei den Erträgen aus Festgeldkonten. Die Spannungen zwischen den Finanzbehörden und Zwick stiegen. Der Arzt glaubte, in CSU-Chef Strauß einen überstarken Verbündeten gegen die Finanzbeamten zu haben. Doch Strauß konnte oder wollte seine Hilfszusagen nicht einhalten. Von den Finanzbehörden in die Enge getrieben, bedrängte Zwick den Freund. Der hielt seinen Edi hin. Strauß habe behauptet Zwick zugesagt, er werde Gespräche unter vier 24 DER SPIEGEL 14/1994

25 Augen mit dem bayerischen Finanzminister führen. Der Steuerfall, so der Ministerpräsident bald darauf, sei jedoch überaus verzwickt, weil zu viele Beamte involviert seien. Es sei nahezu unmöglich, von oben herab Einfluß zu nehmen. Das Ganze werde wohl weiter eskalieren. Strauß und er, so Zwick, seien nach und nach zur Überzeugung gekommen, es sei nicht unklug, wenn sich der Doktor um einen Schweizer Paß bemühe war es dann soweit. Zwick senior gab die Unternehmensführung an seinen Sohn ab und zog sich ins schöne Lugano zurück. Festredner bei dem Abschied in Johannesbad: Dr. h.c. Franz Josef Strauß. Der Senior fühlte sich wohl nicht zu Unrecht abgeschoben. Denn dem Zwick-Sohn Johannes Strauß nutzte das für ihn reservierte luxuriöse Apartment 600 in Bad Füssing auch weiterhin zu Heißwasser-Kuren soll der Ministerpräsident aufgetragen haben: Der Der komplizierte Fall brauchte Zeit. Strauß vertröstete den Gönner und Haft- sowie Verhandlungsunfähigkeit attestieren zu lassen dann, so geht es zu in Bayern, wurde der Haftbefehl aufgehoben. Und Strauß, so Zwick, war auch hilfreich, die Niederschlagung der Steuerschulden in die Wege zu leiten. Über seine Schwester Maria habe er einen Kontakt zwischen dem damaligen Finanzminister Streibl und dem Zwick-Sohn Johannes anbahnen lassen. Man habe sich insgeheim getroffen. Streibl habe gefragt: Wieviel wollen Sie zahlen? Zwick junior: Zehn Millionen. Auf dieser Basis nahmen Beamte und Anwälte beider Seiten die Verhandlungen auf, die 1990 zur Niederschlagung führten. ungestört in Erinnerungen schwelgen. Etwa an die Herren-Partien jener Jahre. Strauß, Dannecker, Schöll und er, Zwick, hätten sich dann am Flughafen München-Riem überlegt, wohin man denn mit seiner Privatmaschine fliegen solle zu einem trockenen Wein nach Venedig, zum Ouzo nach Piräus oder auch nach Wien. Bei einem der Abstecher in die österreichische Hauptstadt hätten die Herren ein verschwiegenes Etablissement angesteuert und sich dort vergnügt. Die Puffmutter habe erzählt, ihr sei eine Lizenz für ein Hotel in der Nähe des Sacher in Aussicht gestellt worden, das sich in eine Edel-Absteige für Diplomaten und andere gehobene Kreise ausbauen lasse. Ob die Herren sich an Kauf und Renovierung beteiligen wollten? Das Quartett sei begeistert gewesen, auf Servietten hätten sich die vier phantastische Gewinne (Zwick) ausgerechnet. auf den überstarken Verbündeten im Steuerstreit mit den bayerischen Beamten Senior solle sich still verhalten. Er könne sich auf ihn, Strauß, verlassen. Der komplizierte Fall aber brauche Zeit, mußte Strauß seinen Gönner vertrösten. Der gesamte Vorgang müsse auf die nächsthöhere Ebene gelangen, erst dann lasse sich ein Vergleich aushandeln. Der Ministerpräsident habe auch gewarnt: Ein Haftbefehl sei wohl unvermeidlich. Die Rufschädigung müßten die Eltern eben in Kauf nehmen. Zwick senior fühlte sich verraten, drohte Strauß mit Enthüllungen. Anstatt sich ganz aus der Affäre zu ziehen, was er wohl am liebsten getan hätte, gab Strauß seinem Spezi immerhin den Tip, sich in der Schweiz ärztlich untersuchen Es ging um exakt Mark, darin enthalten steuerliche Nebenleistungen wie Säumniszuschläge von über 30 Millionen Mark. Verabredet wurde zunächst in dem Deal, daß Zwick zehn Millionen zahlen sollte, verteilt auf eine einmalige Zahlung von fünf Millionen und dann über fünf Jahre hinweg von jeweils einer Million. Am Ende einigte man sich anders: Zwick senior zahlte auf einen Schlag 8,3 Millionen Mark. Um seinen Frieden zu haben und seinen Sohn aus dem Gefängnis zu befreien, signalisiert Zwick inzwischen Bereitschaft nachzuzahlen. In seiner Villa Orbisana hoch über dem Luganer See möchte Zwick senior Im Auto sei es zum Ortstermin gegangen. Die Mittlerin habe den vier Bayern in diesem Etablissement auch ein Chambre séparéevorgeführt, wo ein Angehöriger des österreichischen Hochadels beim Liebesspiel sein Leben ausgehaucht haben soll. Als Kontaktmann für weitere Schritte sei Schöll ausgeguckt worden. Der habe auch alsbald Post aus Wien erhalten die Pläne für den Umbau. Gemeinsam habe man sich über die Zeichnungen gebeugt. Schließlich habe jedoch die Vernunft über die Geldgier gesiegt. Denn Strohmann Schöll habe befunden: Wir vier können uns einiges erlauben. Aber ein Freudenhaus aufzumachen, das geht zu weit. DER SPIEGEL 14/

26 26 DER SPIEGEL 14/1994 TITEL Völlig harmlose Notizen Schmierzettel und Akten bringen Finanzminister Waldenfels in Verdacht eorg Freiherr von Waldenfels, 49, Bayerischer Staatsminister der Fi- Gnanzen, gibt sich hart, aber gerecht. Er räumt auf im Amigo-Sumpf, ganz wie sein Regierungschef Edmund Stoiber es will. Ohne Wenn und Aber widerrief der CSU-Politiker am 13. Oktober vorigen Jahres einen der größten Deals der deutschen Steuergeschichte. Ende 1990 hatten die bayerischen Finanzbehörden mehr als 70 Millionen Mark Steuerschulden des in die Schweiz geflüchteten Bäder-Unternehmers und langjährigen Strauß-Freundes Eduard Zwick gegen die vergleichsweise bescheidene Ausgleichszahlung von 8,3 Millionen Mark heimlich niedergeschlagen. Erst alsdie fragwürdige Aktion publik geworden war (SPIE- GEL 41/1993), kam auch Waldenfels die ganze Konstruktion spanisch vor. Er habe, sagte er, alles nochmals eingehend prüfen lassen und dann die Niederschlagung mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Weil Vater Eduard Zwick nicht zu greifen war, sitzt Sohn Johannes seit Januar in Untersuchungshaft. Der dringende Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren, Vergehen der Hinterziehung von Schenkungsteuer, der Körperschaftsteuerhinterziehung und Einkommensteuerhinterziehung... von mehr als 100 Mio. DM (Haftbefehl) schmolz nach mehreren gerichtlichen Prüfungsterminen allerdings zum Vorwurf der Beihilfe zur Hinterziehung von 22 Millionen Mark Steuern. Als politisch Schuldiger wurde Waldenfels-Vorgänger Gerold Tandler ausgemacht und Mitte März zum Rücktritt von seinem Parteiamt gezwungen. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende hatte mit Hilfe des Spezis Zwick Millionen gescheffelt, schuldet dem mutmaßlichen Steuerkriminellen, wie Waldenfels den Zwick senior nennt, noch heute mindestens Mark. In Tandlers Verantwortung im Finanzressort falle der Zwick-Freikauf. Ich, so der Nachfolger Waldenfels, bin seinerzeit persönlich nicht befaßt worden. So reden Minister vor ihrem Rücktritt immer. Akten, Aktenvermerke und Zeu- nen diese ständigen Rückstände nicht vor uns herschleppen, wurde Referatsleiter Miehler im Finanzministerium nach seiner Erinnerung informiert. Jede Statistik wird kaputtgemacht. Die Bereinigung der Statistik um den Fall Zwick war fast abgeschlossen nur noch Mark waren offen genaussagen wecken den Verdacht, daß, da erklärte sich der offenbar ahgenaussagen Georg von Waldenfels früher und präziser nungslose Steuerschuldner bereit, in ei- informiert war, als er wahrhaben nem Vergleich 8,3 Millionen Mark zu will; daß er tiefer in die Zwick-Affäre zahlen. Miehler einigte sich mit den verstrickt ist, als er zugibt als Politiker Anwälten und dem Zwick-Sohn Johannes und auch privat. auf die Niederschlagung sämtli- Nie, sagt der damalige Leiter des cher Ansprüche gegen den Zwick-Vater. Vollstreckungsreferates im Münchner Ehe er den Handel mit einem Finanzministerium, Kurt Miehler, habe Schreiben offiziell abschloß, hatte der er im Alleingang entschieden. Über penible Staatsdiener am 16. November fast ein Jahrzehnt habe man mit einen Vermerk ins Ministerbüro runter Zwick über dessen Steuerschulden gereicht. Darin beschrieb er, wie verhandelt, und die Spitze des Ministeriums ich zu verfahren gedachte. sei immer gründlich informiert Auf dem Chefsessel im Finanzmini- gewesen: 1988 Max Streibl, 1989 Gerold sterium saß, seit gut zwei Wochen, Georg Tandler und 1990 auch Georg von Freiherr von Waldenfels und hatte Waldenfels. gewiß viel zu tun. Doch daß der brisanteste Vorgang im Hause an ihm vorbeilief wer mag das glauben? Zumal der Name Zwick dem adoptierten Adelsmann (geborener Meyer) aus Hof durchaus geläufig sein mußte. Seit 1985 pflegt Waldenfels mit der Pressesprecherin der Zwickschen Kurbäder und engen Mitarbeiterin des Juniorchefs, Constanze Müller, Kontakt. Als die CSU sich von der Zwick-Schutz- zur Zwick-Verfolgungstruppe verwandelte, den Steuerdeal stornierte, als der Zwick-Sohn in Haft genommen, sein Vermögen mit Arrest belegt wurde, telefonierten der Finanzminister und die Zwick- Angestellte fast täglich. Immer nur, wie Frau Müller heute behauptet, über rein private Dinge? Die private Beziehung ins Finanzminister Waldenfels: Persönlich nicht befaßt Zwick-Reich bestand schon, als 1986 der damalige Wirtschafts- Kein Wunder, jeder im Hause wußte Staatssekretär Waldenfels erstmals auch ja um die Männerfreundschaft zwischen von Amts wegen mit der Unternehmensgruppe dem Steuerschuldner und dem bayerischen befaßt war. Parteifreund und Ministerpräsidenten. Beamte aus Zwick-Spezi Tandler war in Bedrängnis. der Staatskanzlei fragten regelmäßig im Die Bavaria Internat GmbH & Co. Finanzressort wegen der Causa Zwick KG, von Tandler mit Eduard Zwick gegründet nach. Mit eigener Hand mahnte Franz und von dessen Bürgschaft getra- Josef Strauß am 24. März 1987 das Finanzministerium: gen, sollte verkauft werden. Der Käufer, Kann man denn Tandlers langjähriger Geschäftspartner nicht dieses Verfahren zu Ende bringen?borgtem Konrad Ries, wollte das Geschäft mit Ge- und einer Staatsbürgschaft fi- Man konnte. nanzieren. Seinen Aktienbesitz in Liechtenstein, In den Jahren 1988 und 1989 schlug der solche Subventionen in Fra- das Finanzamt Passau, jeweils nach ge gestellt hätte, verschwieg Ries dabei. Rücksprache mit der Münchner Oberfinanzdirektion, Als die Beamten im Wirtschaftsmini- Zwicks Steuerschulden sterium dahinterkamen und sich an- nach und nach nieder freilich ohne es schickten, den Bürgschaftsantrag wegen dem Schuldner mitzuteilen. Wir kön- Betrugsverdacht der Staatsanwaltschaft

27 zu übergeben, griff Wirtschaftsstaatssekretär Waldenfels ein: Ries durfte ein Gutachten nachschieben, das die Liechtenstein-Aktien für wertlos erklärte, und bekam Staatsförderung. Tandler wurde seinen Anteil an Ries für 5,4 Millionen Mark los. Ein Manko der Operation zeigte sich erst später. Am 7. Oktober vorigen Jahres, just als der Zwick-Skandal ruchbar Zwick spielte mit dem Fiskus Katz und Maus wurde, schrieben Beamte des Wirtschaftsministeriums ihrem neuen Chef Otto Wiesheu zur Vorsicht einen Vermerk über die Intervention des ehemaligen Staatssekretärs Waldenfels: In diesem Zusammenhang muß ggfs. offengelegt werden, daß die Verwaltung von einer von ihr zunächst als geboten erachteten Mitteilung an die Strafverfolgungsbehörden... nach Einschaltung der Spitze des Hauses Abstand genommen und damit auch eine positive Entscheidung in der Bürgschaftsfrage initiiert hat. Auch ein Schmierzettel des einstigen Staatssekretärs Waldenfels, zufällig in den Akten an seinem ehemaligen Arbeitsplatz im Wirtschaftsministerium gefunden, bringt dem Minister Waldenfels die Erinnerung an die Aktion von 1986 nicht zurück. Die Notizen, möglicherweise nach einem Gespräch mit dem damaligen Wirtschaftsminister und Waldenfels- Chef Anton Jaumann niedergelegt, lassen einen Zusammenhang zu der liegengelassenen Strafanzeige gegen Ries immerhin ahnen. Auf dem Zettel steht: Jaumann: liegen lassen, Ries = unbedarft. Weiter hatte Waldenfels notiert: Polit. Intervention? Darunter stehen die Namen einer Reihe von Firmen, die einen Bezug zum Ries-Partner Tandler hatten. Waldenfels kann sich heute keinen Reim darauf machen. Er weiß allerdings, daß die Notizen völlig harmlos seien. Im Klartext und mit Aktenzeichen (38-G 1400Z ) intervenierte das von Waldenfels geführte Finanzministerium zugunsten des Zwick-Clans im Januar vorigen Jahres. Das Bundesamt fürfinanzen hatte, bevor noch der Zwick-Deal öffentlich gemacht war, massive rechtliche Bedenken gegen die Übertragung der Zwickschen Johannesbad-Aktien vom Vater auf den Sohn unter mißbräuchlicher Zwischenschaltung von luxemburgischen Briefkastenfirmen angemeldet und dem zuständigen Finanzamt nahegelegt, wenigstens hinterzogene Schenkungsteuern einzutreiben. Davon riet das bayerische Finanzministerium ( i. A. Schauer, Ministerialrat ) dringend ab: Die Ansicht des Bundesamtes sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich nicht haltbar. Im Hause Waldenfels empfahl man statt dessen genauso wie in all den Jahren, in denen Zwick mit dem Fiskus Katz und Maus gespielt hatte weitere Aufklärung des Sachverhaltes, selbst wenn auch hier zu befürchten ist, daß die Ermittlungsmöglichkeiten im Ausland enden. Mit dieser Tradition in dubio pro Zwick brach das Steuerressort erst, als der Millionenhandel öffentlich wurde. Da reagierte die Waldenfels-Behörde um so krachlederner und dubios. Bei den Verhandlungen über die Niederschlagung der Zwick-Schulden habe Sohn Johannes, der für die exilierten Eltern sprach, einen falschen Vermögensstand angegeben und die Behörden beim Aktienübergang vom alten auf den jungen Zweig der Familie getäuscht, hieß es nun: All das habe man erst jetzt Stoiber räumt auf erfahren, vor allem aus einem so die Anlage zum Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß jetzt bekannt gewordenen Protokoll des Kreditausschusses des Verwaltungsrates der Bayerischen Landesbank-Girozentrale vom In der protokollierten Sitzung gewährte die Landesbank im Konsortium mit anderen Geldhäusern den Zwicks 150 Millionen Mark für die Aktien- Übergabe via Luxemburg. Daß es sich bei der gewählten Konstruktion vor allem wohl aus steuerlichen Gründen lediglich um eine Vermögensumschichtung innerhalb der Familie handle, trug der Kreditdezernent in der Sitzung eigens vor. Ausweislich des Protokolls nahmen an der Sitzung hochrangige bayerische Staatsdiener teil: Umweltminister Alfred Dick, die Staatssekretäre Heinz Rosenbauer (Innen) und Alfons Zeller (Wirtschaft), für den verhinderten Finanzminister Max Streibl sein Ministerialdirigent Gerhard Jooss. Doch die Informationen von der Zusammenkunft hätten das Finanzministerium erst kürzlich erreicht, sagte Waldenfels-Mitarbeiter Miehler vor der Staatsanwaltschaft aus, sechs Jahre später, zufällig nachdem Presseberichte über die Firmentransaktionen erfolgt waren. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß wir den großen Steuerschuldnern entgegenkommen, während wir die kleinen an der Gurgel packen, gab Waldenfels nun als Devise aus. Der Strauß-Günstling wurde über Nacht zum Kriminellen, und der Sohn gleich mit rette sich von den Amigos, wer kann. Süddeutsche Zeitung Wie medienwirksam die Verhaftung des Bäder-Chefs inszeniert wurde, verwunderte nicht nur den Passauer CSU-Landtagsabgeordneten Konrad Kobler. Unerklärlich sei ihm, schrieb er dem zuständigen Amtsrichter in Landshut, wieso Fernsehteams offensichtlich geraume Zeit vor Dr. Johannes Zwick und vor dem Eintreffen der Polizei... anwesend sein und die Gefangennahme filmen konnten. Der tapfere Christsoziale aus der niederbayerischen Provinz ist überzeugt, daß bei Anwendung gleicher Maßstäbe mit Zwick senior auch damalige Vertreter des öffentlichen Lebens inhaftiert werden müßten. DER SPIEGEL 14/

28 TITEL SPIEGEL-Gespräch Ich habe gern gegeben Der Millionär Eduard Zwick über Franz Josef Strauß und das Amigo-System SPIEGEL: Herr Dr. Zwick, Sie sind vermögend. Warum zahlen Sie Ihre Steuerschulden nicht wie jeder andere Bürger auch? Sie wären dann zwar um viele Millionen Mark ärmer, aber immer noch reich. Und Ihr Sohn Johannes säße nicht im Gefängnis. Zwick: Ich habe bisher zu allen Vorwürfen und Verleumdungen geschwiegen. Die üblen Nachreden und Belästigungen haben aber unerträgliche Ausmaße angenommen. Ich bin in erster Linie Mediziner und dann Unternehmer. Dies gilt auch für meinen Sohn. Im Wirrwarr der Steuergesetze habe ich mich nie ausgekannt. Ich habe mich darum nicht gekümmert, ich habe mich auf meine Steuerberater und Anwälte verlassen. SPIEGEL: Warum begleichen Sie die Schuld nicht jetzt? Zwick: Eine Steuerschuld von 70 Millionen Mark entbehrt nach Ansicht meiner Anwälte jeder Rechtsgrundlage. Sie dienen jetzt allein einer üblen Stimmungsmache. Laut Aussage des zuständigen Finanzamtschefs Dr. Jäger vor dem bayerischen Untersuchungsausschuß hat er die Akte Zwick Anfang der achtziger Jahre mit einer Steuerschuld von sechs Millionen Mark übernommen. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Höhe der Steuerausstände rühren daher, daß Abschreibungen oder Verluste anerkannt, später aber nach meinem steuerlichen Wegzug aus Deutschland widerrufen wurden. SPIEGEL: Warum sind Sie vor dem deutschen Fiskus in die Schweiz geflohen? Zwick: 1982 bin ich von meiner unternehmerischen Tätigkeit in Deutschland zurückgetreten und in die Schweiz übergesiedelt. SPIEGEL: Sie wurden zeitweilig per Haftbefehl gesucht... fochten worden. Das Prozeßrisiko für die Finanzverwaltung belief sich auf über 20 Millionen Mark. Davon habe ich ohne eine Rechtspflicht, ich bin seit 1982 in der Schweiz steuerpflichtig dennoch 8,3 Millionen Mark bezahlt. SPIEGEL: Sie stellen sich jetzt also auch noch als besonders zuvorkommend dar? Zwick: Wenn allen Einsprüchen und Klagen stattgegeben worden wäre, das war drin, hätte der Staat nicht mal die 8,3 Millionen bekommen, sondern gar nichts. Ich überlege, gegen die Aufhebung der Steuerbereinigung zu klagen Zwick-Anwesen in Lugano, Strauß-Freund Zwick, Ehepaar Zwick*: Wollen die mich kriminalisieren? Zwick:... der dann ja aufgehoben wurde. Ich bin nicht geflüchtet. Wie sich die Steuerschulden auf 70 Millionen Mark addiert haben, ist im unklaren geblieben. Die Finanzverwaltung hat willkürlich geschätzt, Zinsen, Säumniszuschläge aufgeschlagen, bis über 60Prozent Wertsteigerung der ursprünglichen Forderung erreicht waren. Ehe es in meiner Sache 1990 zur inzwischen ja wieder aufgehobenen Steuererledigung durch das bayerische Finanzministerium kam, waren die zugrundeliegenden Steuerbescheide von mir mit über 50 Einsprüchen und 4 finanzgerichtlichen Klagen ange- * Mit SPIEGEL-Redakteur Dirk Koch (2. v. r.), der das Gespräch führte. und meine alten Einsprüche wieder in Kraft zu setzen. SPIEGEL: Also nochmals: Wieviel Steuern haben Sie hinterzogen? Zwick: Ich habe nichts hinterzogen. Weisen Sie mir doch das Gegenteil nach. Ich bin niemals verurteilt worden. SPIEGEL: Als Sie 1982 in die Schweiz zogen, wußten Sie doch: Da ist zuviel in der Schwebe, es ist für mich und mein Vermögen vorteilhafter, mich dem Zugriff der Finanzämter zu entziehen. Zwick: Daran dachte ich sicherlich nicht. Ich kann Ihnen bis heute nicht einmal sagen, wie man eine Abschreibung macht, damit sie steuerlich hält. SPIEGEL: Einem alten Fuchs wie Ihnen kann man das nicht glauben. 28 DER SPIEGEL 14/1994

29 Zwick: Es ist aber so. Ich habe eine tiefe innere Abneigung gegen diese ganze Steuer-Geschichte. Und es gibt viele Ärzte, denen das widerlich ist. Wenn die eine oder andere Geschichte nicht Rechtens war, war ich völlig überfordert. Dann hätten meine Berater sagen müssen, daß das nicht richtig ist. Ich habe immer ein unangenehmes Gefühl gehabt, wenn einer mit einem Zettel vom Finanzamt kam. SPIEGEL: Dann haben Sie fahrlässig gehandelt. Zwick: Nur weil ich so anständig war, denen 8,3 Millionen zu zahlen, ohne daß ein Gericht mich dazu gezwungen hat? Das habe ich denen in den Rachen geschmissen. Ist das der Dank? Was steckt sonst dahinter? Nur weil ich mit Strauß befreundet war? Wollten Stoiber und seine Leute deshalb daraus ein Politikum machen? Wollten die mich kriminalisieren, um Strauß dabei mit zu treffen? SPIEGEL: 8,3 Millionen Mark haben Sie bezahlt sind Sie zu weiteren Zahlungen bereit, um den ganzen Steuerstreit aus der Welt zu schaffen? Zwick: Das ist eine sehr heikle Frage. Eigentlich ist es ein wunderbarer Gedanke. Der bayerische Landesvater könnte ja sagen: So, jetzt kommt mal her, ihr vom Finanzamt und ihr von der Gegenseite. Vielleicht sollte man auch den alten Zwick dazurufen. Und wenn es dann hieße: Hört mal her, wie können wir alle uns jetzt einigen? Ich wäre der erste, der dazu ja sagen würde. SPIEGEL: Wieviel von den rund 22 Millionen Mark, die nach Meinung des bayerischen Finanzministers Georg von Waldenfels noch streitig sind, wollen Sie zahlen? Zwick: Ich bin zu einem Kompromiß bereit. Mehr will ich jetzt nicht sagen. Am liebsten wäre mir, ich könnte das Geld dann nicht dem Staat, sondern einer gemeinnützigen Institution geben. SPIEGEL: Das können Sie ja bald vor dem bayerischen Zwick-Untersuchungsausschuß darlegen, der Sie als Zeugen geladen hat. Gehen Sie hin? Zwick: Ich habe kein schlechtes Gewissen. Warum soll ich da nicht hingehen? Wenn ich aber der Gefahr der Festnahme oder Taschenpfändung ausgesetzt bin, wie es ja der Herr von Waldenfels verkündet hat, werde ich mich hüten, das Land noch mal zu betreten. SPIEGEL: Sie verlangen freies Geleit? Zwick: Nein, nicht einmal daran würde ich glauben. Selbst wenn dieser Freistaat Bayern, diese Leute dort mir das schriftlich geben würden, wäre ich mißtrauisch. SPIEGEL: Wenn Sie nach Deutschland reisen würden, könnten Sie Ihren Schweizer Paß vorlegen. Zwick: Aber es bliebe das Risiko, daß die Deutschen sich an kein Gesetz und kein Recht halten. SPIEGEL: Das wollen Sie doch nicht ernsthaft behaupten. Zwick: Aber ja. In welchem Rechtsstaat wäre es möglich, daß für die Haftverschonung meines Sohnes 60 Millionen Mark verlangt werden, obwohl nur 22Millionen Mark Steuern streitig sind? SPIEGEL: Die Staatsanwälte haben dagegen wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr mit Erfolg Beschwerde eingelegt. Wären diese 60 Millionen Mark denn aufzubringen gewesen? Zwick: Nicht von mir allein. Aber eswäre möglich gewesen, über eine Finanzierungsgesellschaft diese 60 Millionen Mark zu besorgen. Die Ablieferung von hundert Kilo Tausendmarkscheinen bei Gericht war vorbereitet. Mein Sohn wäre nicht geflohen. Daß Johannes dennoch nicht freikam, sehe ich als Sippenhaft an. Saubermann Stoiber braucht einen Gefangenen Zwick in seinem Wahlkampf. SPIEGEL: Finanzminister Waldenfels hat erklärt, sobald die 22 Millionen Steuern eingetrieben wären, ließe sich über Haftverschonung reden. Zwick: Hören Sie mir doch auf mit diesem Herrn. Der Finanzminister hat über Jahre, ohne Rücksicht auf Datenschutz oder das Ausspähungsverbot für den Staat gegenüber seinen Bürgern, eine Quelle im Objekt gehabt. Es ist doch ein Skandal, daß Waldenfels gerade in der Zeit, in der mein Sohn nicht zuletzt auf indirekte Veranlassung dieses Herrn in Untersuchungshaft sitzt, besondere Beziehungen zu einer der engsten Mitarbeiterinnen meines Sohnes, zur Leiterin der Presseabteilung des Füssinger Johannesbades, unterhält, die bei allen Was steckt dahinter? Nur weil ich mit Strauß befreundet war? wesentlichen Beratungen der Unternehmensführung dabei war. SPIEGEL: Das ist eine Unterstellung. Zwick: Keineswegs. Die Dame hat in einer schriftlichen Erklärung zugegeben, daß sie mit Waldenfels befreundet ist und mit ihm in ständigem Kontakt stand. Was, meinen Sie wohl, hat ihm seine Freundin berichtet? Nur von ihrer Wohnungseinrichtung in Passau? Oder über steuerliche Interna? Handelte von Waldenfels da auch im Auftrag von Stoiber? SPIEGEL: Zahlen Sie es Waldenfels jetzt heim, daß er die Aufhebung des Steuer- Deals mit Ihnen verfügt hat? Bei Waldenfels-Vorgänger Gerold Tandler, Ihrem Geschäftspartner und Schuldner, wäre Ihnen das wohl nicht passiert? Zwick: Ja, wir waren Partner. Ich gewährte Tandler 1976 ein Darlehen von Mark sowie eine Bürgschaft in Höhe von Mark für eine Beteiligung an der Hotelfachschule. Tandler war CSU-Generalsekretär. Und mit der Beteiligung an dieser Schule, die auch Betreuer kranker Menschen ausbildete, konnte ich auf geschultes Personal für meine Klinik zurückgreifen. Das Kreditverhältnis ist inzwischen bis auf das Darlehen von Mark rückabgewickelt worden. SPIEGEL: Wir hören, daß Ihr Sohn die Zinsen für Tandler auch als er dann Finanzminister war bezahlt hat? Zwick: Das weiß ich nicht. Da müssen Sie meinen Sohn fragen. SPIEGEL: Das Mark-Darlehen wollten Sie Tandler schenken? Zwick: Nein. Als Fälligkeitstermin wurde 1996 vereinbart. Ich hoffe, daß er diese Mark Darlehen auch verzinsen wird. Es wurde darüber kein schriftlicher Vertrag gemacht. SPIEGEL: Sie haben ihm also die Mark aufgrund einer bloß mündlichen Abrede gegeben? Zwick: Richtig. Man nimmt doch nicht an, daß man es mit Verbrechern zu tun hat. SPIEGEL: Zu welchem Zinssatz? Zwick: Wir haben keinen fixen Zinssatz etwa vier oder fünf Prozent vereinbart. So geschäftlich haben wir es nicht gemacht. Ich war über Franz Josef Strauß mit Tandler in engen persönli- DER SPIEGEL 14/

30 TITEL Vorstoß ins Geniale Wie Eduard Zwick mit warmem Wasser zum Millionär wurde offnungsvoll bohrten Prospektoren aller Art in den sechziger HJahren auf Äckern und Wiesen in Niederbayern nach Erdöl und Heißwasserqellen. Doch die meisten schürften nur im Dreck. Mehr Glück hatte ein Einwanderer aus dem rumänischen Banat, der sich zuletzt als Tropenarzt auf Sumatra durchgeschlagen hatte und nun in Füssing bei Passau gelandet war: Dr. med. Eduard Zwick. Der Mediziner stieß schon bei seiner ersten Bohrung im Jahr 1964 auf 56 Grad Celsius heißes Wasser, das alsbald heftig zu sprudeln begann. Bayerns Innenministerium registrierte die Quelle unter der Nummer II B b 54. So begann die Unternehmensgeschichte des CSU-Mäzens Zwick. Auf dem Grundstück, das er preiswert für Mark erworben hatte, entstand das Sanatorium Johannesbad, benannt nach dem auf Sumatra geborenen Sohn. Das Thermalbad nahm schon in den siebziger Jahren, wie Zwick senior sich später selbst erinnerte, eine goldgräberähnliche Entwicklung. In den achtziger Jahren, als Zwicks Steuerschulden sich auftürmten, brachte die Kurklinik zweistellige Millionengewinne ein. Exzellente Geschäfte machte der im Lande als Bäderkönig titulierte Zwick mit den Landesversicherungsanstalten (LVA). Einige Direktoren, so erinnern sich ehemalige Zwick-Mitarbeiter, seien von dem Warmwasser-Unternehmer vor Jahren mit Aufmerksamkeiten bedacht und gelegentlich auch ins Zwicksche Feriendomizil an der Côte d Azur eingeladen worden. Innerhalb von fünf Jahren verdoppelte allein die LVA Niederbayern- Oberpfalz ihre Aufwendungen für Rehabilitationsmaßnahmen auf über zehn Millionen Mark. Fast ein Fünftel davon entfiel auf das Johannesbad. LVA-Chef Axel Haltenberger konnte bei einer Festansprache in Bad Füssing versichern: Mir ist um dieses Haus nicht bange. Das Unternehmen, das 1988 bei einer dubiosen Transaktion vom steuerflüchtigen Vater auf den Sohn überging, hat mittlerweile kräftig expandiert. Das Stammhaus Johannesbad steht nach wie vor in Niederbayern, der Sitz der Dachfirma Johannesbad Reha-Kliniken AG wurde aus steuerlichen Gründen nach Saarbrücken verlegt. Johannes Zwick, der Junior, betreibt jetzt Filialen im ganzen Bundesgebiet, unter anderem im saarländischen Orscholz und auf der Ostseeinsel Usedom. Ein Großsanatorium ist im thüringischen Altenburg geplant. Bei alldem, soistaussaarländischen Regierungskreisen zu hören, mischt hinter den Kulissen auch Papa Eduard Zwick schon wieder maßgeblich mit. Eine exotische Dependance des Zwick-Imperiums entstand im Pazifik: Auf Westsamoa, wo auch die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung eine Filiale unterhält, kaufte Zwick eine stillgelegte Nagelfabrik mit einem Penthouse. Dahin wollte sich der Alte zusammen mit dem Spezi Franz Josef Strauß im Fall eines Atomkrieges zurückziehen. Seit 1979 machte Zwick Geschäfte mit dem damaligen bayerischen Innenminister und langjährigen CSU- Generalsekretär Gerold Tandler. Die gemeinsame Firma Bavaria Internat betrieb offiziell einen Internatsbau als Ergänzung zu Tandlers Hotelfachschule in Altötting. Inoffiziell diente sie jedoch offenkundig auch anderen Zwecken: für Zwick als Abschreibungsunternehmen, für Tandler als Kreditquelle in Gestalt seines Partners und Bonitätsbürgen Zwick. Im Vorstand der Johannesbad-Gesellschaft saßen zeitweise namhafte CSU-nahe Persönlichkeiten etwa der Münchner Anzeigenkaufmann und Strauß-Berater Walter Schöll. Vorstandsmitglied war auch der frühere Oberlandesanwalt am Verwaltungsgerichtshof München, Rudolf Samper. Seine Festreden im Johannesbad gerieten regelmäßig zu Hymnen. Zwicks Streben sei stets darauf gerichtet, Großes und immer wieder Neues zu schaffen, tönte der Spezi: Das kann ins Geniale vorstoßen. Übertroffen wurde der eloquente Jurist da gelegentlich nur von einem anderen Lobredner. Eduard Zwick habe, so rühmte ihn Franz Josef Strauß, aus Wasser Gold gemacht. chen Kontakt gekommen. Ich weiß noch genau, wie Tandler mich gebeten hat, ich solle doch mal mit dem Boß reden, er wolle als Generalsekretär ein bißchen mehr Gehalt haben. SPIEGEL: Strauß hat seine Generalsekretäre knapp gehalten, weil die ja später Karriere machen und viel Geld verdienen würden. Zwick: Ich habe also mit dem Alten gesprochen. Seine Frau war dabei. Marianne sagte dann: Franz, der Edi hat schon recht. Wenn du gute Leute haben willst, mußt du denen schon mehr bezahlen. Er hat dann auch mehr gekriegt. SPIEGEL: Und Tandler hat sich später erkenntlich gezeigt bei der Niederschlagung Ihrer Steuern in Höhe von knapp 62 Millionen Mark? Zwick: Nein, Tandler hat nichts für mich getan. Er war kein Mutiger. SPIEGEL: Im Untersuchungsausschuß ist festgestellt worden, daß Tandler sich immer wieder bei seinen Beamten erkundigt hat, wie die Sache Zwick stehe. Amigos Zwick, Wiesheu, Zechgenossen Zwick: Erkundigen kann er sich doch. Das hat der Strauß doch auch gemacht. Aber wenn selbst ein Strauß nicht weitergekommen ist, wie sollte dann ein Tandler weiterkommen? SPIEGEL: Amigo Strauß hat viel für Sie getan? Zwick: Strauß war ein Freund, ja, ein Amigo, dazu bekenne ich mich. Ja, er hat in meiner Steuersache 1982 einen Anstoß gegeben. Das lief über seine Schwester Maria sie kannte den damaligen Finanzminister Max Streibl von Kindheit an. Danach hat mein Sohn, von Streibl an den zuständigen Beamten verwiesen, verhandelt. Daraus wurde dann der Kaiserschnitt von zehn Millionen fünf Millionen sofort 30 DER SPIEGEL 14/1994

31 und je eine Million in Jahresraten, abgezinst 8,3 Millionen Mark. Diese Vereinbarung stand, bevor Tandler Finanzminister wurde. Weder mein Anwalt noch ich haben mit ihm jemals darüber gesprochen. SPIEGEL: Strauß hat noch mehr für Sie getan, zum Beispiel Tips gegeben, wie man sich Haft- und Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen läßt. Zwick: Ich bin herz- und zuckerkrank, war klinisch tot. Ich hatte keinen Puls, keinen Blutdruck. Vier Ärzte haben sechs Stunden lang gearbeitet, um mich zu reanimieren. Strauß hat sich um mich gekümmert. Er hat mich auch in der Schweiz besucht, als der Haftbefehl schon gegen mich ergangen war. Er war eben ein Freund. SPIEGEL: Und er hat Ihnen schriftliche Ratschläge gegeben, wie der Haftbefehl unwirksam zu machen sei. Zwick: Er hat mir geschrieben: Laß dich doch krankschreiben. Von der Staatsanwaltschaft Landshut kam die Bitte, mich Strauß, Zwick: In bar einem Dritten gegeben amtsärztlich untersuchen zu lassen. Ich wurde in Lugano drei Tage lang amtsärztlich untersucht. Hier muß der Amtsarzt an Eides Statt erklären, daß sein Befund der Wahrheit entspricht; es gibt kein Gefälligkeitsgutachten. Nicht einmal den Originalbefund habe ich bekommen; auch das ist verboten. Der wurde direkt an die Staatsanwaltschaft Landshut geschickt und dort nochmals von einem Amtsarzt überprüft. SPIEGEL: Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Wie haben Sie sich erkenntlich gezeigt? Zwick: Strauß persönlich hat von mir nie Geld verlangt. Natürlich hat er erwartet, daß ich die CSU unterstütze. Das habe ich als parteiloser Bürger auch uneigennützig getan. SPIEGEL: Sie haben Strauß auch wertvolle Geschenke gemacht, Gemälde zum Beispiel. Zwick: Wissen Sie, das habe ich aus Asien, diese Güte. Ich war oft bei Chinesen eingeladen. Wenn ich mir etwas, das mir gefiel, besonders lange angesehen habe, wurde es, wenn ich dann ging, eingepackt und mir geschenkt. Sie standen auf dem Standpunkt, ich hätte dazu eine stärkere Bindung als sie selbst. So habe ich es auch gehalten. SPIEGEL: Hat Strauß des öfteren lange Ihren Tresor angesehen? Er hat Sie häufiger gebeten, Eduard, hilf! Einmal ging es um Otto Wiesheu, der 1983 nach einem Verkehrsunfall böse in der Klemme steckte. Zwick: Strauß hat sich bei mir für Wiesheu verwendet, der damals größte Schwierigkeiten hatte es gab auch noch familiäre Probleme, seine Anwälte zu bezahlen. Ich erinnere mich an ihn als einen anständigen und bescheidenen Menschen. Besonders sympathisch hat ihn meine Frau gefunden, sie hätte ihn gern zum Schwiegersohn für unsere Tochter Luitgard gehabt. SPIEGEL: Wieviel haben Sie gegeben? Zwick: Das waren Mark. Ich habe das Geld, das für Wiesheu bestimmt war, in bar einem Dritten gegeben, mit der klaren Auflage, es Wiesheu auszuhändigen. SPIEGEL: Wer war der Dritte? Wiesheu behauptet heute, er hätte nichts bekommen. Zwick: Ich will da nicht nachhaken. Von mir war es der Wille, einem Menschen zu helfen. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, daß Wiesheu ein anständiger Mensch ist. Ich habe immer gern gegeben. SPIEGEL: Für die CSU sind Sie dennoch heute ein mutmaßlicher Steuerkrimineller, wie von Waldenfels sagt. Zwick: Ich würde denen nie mehr einen Pfennig geben. SPIEGEL: Auch die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, eine stellvertretende CSU-Vorsitzende, rückt von Ihnen ab, Die junge Dame sollte sich gut überlegen, was sie sagt indem sie erklärt, Sie seien in den siebziger Jahren mal ein angesehener Geschäftsmann gewesen. Zwick: Die junge Dame sollte sich gut überlegen, was sie sagt. Sonst müßte ich Fragen stellen, die sie in Bedrängnis bringen könnten. Sie ist ja noch Staatssekretärin in der Münchner Regierung. Wie hoch ist denn tatsächlich das Kapitalvermögen der Erbengemeinschaft Strauß? Welche Größenordnungen befanden oder befinden sich im Ausland? SPIEGEL: Hatte Strauß in der Schweiz Geld untergebracht? Zwick: 1979 bat mich Strauß, ihn bei der Genfer Privatbank Pictet einzuführen. Das habe ich getan. Einen Kontoauszug hat er mir nie gezeigt. SPIEGEL: Von welcher Größenordnung an interessiert sich eine Bank wie die Pictet überhaupt für einen Kunden? Zwick: Mit 5000 oder Franken können Sie da nicht hingehen. Ein paar kräftige Millionen sollte man schon dabeihaben. SPIEGEL: Sie haben vor Jahren schon zu einem Vertrauten gesagt, Strauß habe Ihrer Kenntnis nach einen dreistelligen Millionenbetrag in der Schweiz. Zwick: So, hab ich das? Ich möchte mit all dem nichts mehr zu tun haben. Schauen Sie, ich habe vor Jahren der Kirche in Bad Füssing die größte Glocke gespendet, die Johannes-Glocke. Ich wünsche mir, daß sie bald für Freiheit für meinen Sohn und für Frieden durch Einsicht der Behörden oder durch mutige Entscheide der Gerichte läutet. SPIEGEL: Wie teuer war die Glocke? Zwick: Mark. SPIEGEL: Haben Sie die Glocke von der Steuer abgesetzt? Zwick: Das könnte sein. SPIEGEL: Herr Dr. Zwick, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. DER SPIEGEL 14/

32 DEUTSCHLAND Europa Nur nichts überstürzen Der deutsche Eifer, die EU nach Osten zu erweitern, macht den Franzosen Angst. ei seiner Ankunft in Paris hatte der deutsche Außenminister Klaus BKinkel (FDP) nur Gutes im Sinn. Die Tagesvisite an der Seine sollte ein rechtes Fest der Freude werden. Das Schaustück gelang, die Franzosen spielten artig mit. Alain Juppé, Chef des Pariser Außenamtes, lobte die große Qualität der deutsch-französischen Beziehungen. Kinkel versicherte, Bonn und Paris, die bald nacheinander die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union (EU) übernehmen, hätten eine gemeinsame Vision von Europas Zukunft. War da noch was gewesen? Etwa das alliierte Kriegs-Gedenken in der Normandie ohne Helmut Kohl? Oder Frankreichs Botschafter, der gegen deutsches Großmachtgetue in der EU gewettert hatte? Nichts davon. Jetzt wolle man, so der Gast, den Maastrichter Vertrag entschlossen verwirklichen und mit einer gemeinsamen Ostpolitik die Staaten Mittel- und Osteuropas zügig integrieren. Sie können jetzt den Botschafter Frankreichs hereinbitten! 32 DER SPIEGEL 14/1994 EU-Politiker Juppé, Kinkel: Gemeinsame Vision Das schönt die schnöde Wirklichkeit. Die Franzosen lassen sich nur widerwillig einspannen. Für Paris hatte bislang die Vertiefung der Gemeinschaft absoluten Vorrang der Weg zu einer europäischen Regierung mit weitgehenden Kompetenzen bei der Wirtschafts-, Finanz- oder Außenpolitik. Das deutsche Drängeln, sich nun ebenso eifrig um das Wohl der Tschechen, Polen oder Letten zu kümmern, ist der französischen Regierung suspekt. Bereits die für 1995 geplante EU-Erweiterung um Schweden, Österreicher, Finnen und Norweger verschiebt die Gewichte zuungunsten der Franzosen. Stuttgarter Zeitung Deutschland rückt immer mehr vom Rand in die Mitte Europas. Düster prophezeit der Pariser Politologe Alfred Grosser: Wenn eine deutsch-französische Krise ernst werden kann in den nächsten Wochen und Monaten, dann diese. Viele Franzosen argwöhnen, Bonn suche im Osten eigenmächtig nach Verbündeten, wolle sich langsam aus der Westbindung lösen. Als das Bonner Außenamt vor wenigen Wochen Pariser Terminvorschläge für ein Treffen deutscher und französischer Osteuropa-Botschafter mit den beiden Außenministern in den nächsten Monaten ablehnte, nahmen Juppé-Mitarbeiter das als Versuch, im Osten alles allein machen zu wollen. Dabei hatte der FDP-Chef Kinkel einfach im Superwahljahr Angst vor Terminnöten. Tatsächlich sucht der Bonner ( keine Alleingänge ) engen Kontakt zu seinem Pariser Kollegen. Als der deutsche Außenminister im Herbst vorigen Jahres eine neue Initiative für einen Friedensschluß im Balkan-Krieg startete, zog er den Franzosen hinzu. Der Vorstoß erhielt den Namen Kinkel-Juppé-Initiative. Gemeinsam mühen sich die beiden Außenminister um eine Assoziierung Polens an das Sicherheitsbündnis der Westeuropäischen Union (WEU). Doch eine gemeinsame Sicherheitspolitik ist den Deutschen zuwenig. Sie drängen auf mehr französisches Engagement bei den Bemühungen, die Osteuropäer auch wirtschaftlich an die EU zu binden. Wenn es in Warschau oder Prag kriselt, so die Einschätzung im Auswärtigen Amt, treffe dies als erstes die Deutschen. Den Polen, Ungarn und anderen sei der Beitritt zur Europäischen Union

33 zugesagt worden, erinnerte Kinkel die Franzosen. Deshalb müsse der Westen schon jetzt seine Märkte zügig öffnen. Dies ist eine Aufgabe von historischem Rang. Auch Paris zweifelt mittlerweile nicht mehr, daß die Union erweitert werden soll. Aber es geht um das Wie. Die Pariser Diplomaten bauen immer neue Hürden auf. Ein Kriterienkatalog, forderten sie gegenüber Bonn, sollte aufzählen, welche Bedingungen Beitrittskandidaten aus dem Osten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, bei der Einhaltung von Demokratie und Menschenrechten zu erfüllen haben. Die Bonner lehnten ab. Dabei haben sie Verständnis für das Pariser Spiel auf Zeit: Je schneller die Billigproduzenten aus dem Osten auf die westeuropäischen Märkte exportieren dürfen, desto schwieriger wird es für die alten EU-Mitglieder. Die Aspiranten produzieren genau das, was die EU schon im Überfluß hat: Stahl, Textilien, Schuhe und Agrarprodukte. Als die Europäer im Sommer vorigen Jahres überlegten, den EU-Markt vorzeitig für Schweinefleisch aus dem Osten zu öffnen, blockte denn auch das Bonner Landwirtschaftsministerium: Der Markt sei bereits gesättigt, die Fleischpreise würden sinken, die Einkünfte der EU- Bauern auch. Eine Ost-Erweiterung der EU wird das Agrarsystem der Union sprengen, das heute gut 50 Prozent des Gemeinschaftshaushaltes verschlingt. Die Franzosen, größter Nutznießer der EU-Landwirtschaftspolitik, träfe dies am stärksten. Es komme darauf an, warnt Alain Juppé alle Drängler, nur nichts zu überstürzen. Die Gemeinschaft müsse ein engverbundenes Gemeinwesen bleiben, dessen Institutionen in ihrer Wirksamkeit nicht durch den Prozeß einer unkontrollierten Erweiterung ausgedünnt werden dürfen. In diesem Punkt, immerhin, sind Deutsche und Franzosen völlig einig. In ihrer jetzigen Verfassung wäre die Gemeinschaft, die einst mit einem halben Dutzend Mitgliedern begann, einer Erweiterung auf rund zwei Dutzend Länder nicht gewachsen. Noch ehe überhaupt ein osteuropäisches Land Zutritt zur EU bekommt, sollen die Entscheidungsmechanismen der Union angepaßt werden. Im Arbeitsprogramm für ihre Präsidentschaften haben Bonn und Paris verabredet, die europäische Debatte um die Rechte desparlaments, desministerrates und den Wechsel in der Präsidentschaft zu beschleunigen. Bereits nach der Regierungskonferenz 1996 sollen die EU- Institutionen fit sein für späteren Zuwachs aus dem Osten. Wenn die Gemeinschaft daran scheitere, so ein Kinkel-Berater, fliegt uns das ganze Ding in die Luft.

34 DEUTSCHLAND Wahlen 94 Korea liegt an der Oder Sozialdemokrat Klaus von Dohnanyi über den Wirtschaftswahlkampf der Parteien Dohnanyi, 65, früherer Bundesbildungsminister und Hamburger Bürgermeister, ist Aufsichtsratsvorsitzender der Leipziger Takraf Schwermaschinenbau AG. or einigen Wochen saßen wir, nicht weit von Bonn, freundschaftlich Vbeisammen: ein sehr einflußreicher westdeutscher CDU-Politiker, ein prominentes Mitglied des Bündnis 90/Die Grünen und ich. Unser Thema: Alle drei wußten wir nicht, wie wir am 16. Oktober wählen sollten. Wir waren einig, daß es nach über zwölf Jahren CDU/CSU-geführter Bundesregierung Zeit für einen Wechsel sei. Zumal die Regierung, nach großen und historischen Leistungen des Kanzlers in Deutschland und in Europa auch darin stimmten wir überein, in den letzten Jahren einen unklaren, unentschlossenen und auch erschöpften Eindruck hinterlassen hat. Aber was ist die Alternative? Wohin sollte der Weg gehen? Hat die SPD hierfür das richtige Programm? In welchem Bündnis könnte sie Deutschland aus der Krise führen, die ja nicht nur in den Folgen der Vereinigung wurzelt? Ist es nur Zeit für einen Wechsel der Regierung oder ist es auch Zeit für einen Wechsel der Richtung? Parteimitglieder sind keine Wechselwähler. Wenn die Verunsicherung selbst sie erreicht, muß eine wirkliche Richtungsentscheidung bevorstehen. Nur zweimal, so glaube ich, hat es in der fast 50jährigen demokratischen deutschen Nachkriegsgeschichte eine vergleichbare Situation gegeben: 1952/53, als Adenauer die Republik auf die aktive Teilnahme im Atlantischen Verteidigungsbündnis festlegte und ein so überzeugter Marktwirtschaftler wie Gustav Heinemann Regierung und CDU verließ aus außenpolitischer Überzeugung; 1969/1972, als der langjährige Vorsitzende der FDP, Erich Mende, mit vielen Freunden seine Partei und das sozial-liberale Bündnis verließ und Richard von Weizsäcker, Walther Leisler Kiep und andere aus ihrer CDU/CSU-Oppositionsfraktion ausscherten, um mit Willy Brandt für die Ostpolitik zu stimmen; wiederum aus außenpolitischen Gründen. Bedeutet 1994 wieder eine solche, diesmal wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidung? Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen, um die es 1994 geht, sind nicht neu. Durch die kommunikative Verflechtung der Weltwirtschaft wird die internationale Arbeitsteilung immer mehr zur prägenden Kraft auch der nationalen Arbeitsmärkte. Und je höher entwickelt eine Volkswirtschaft ist, desto eher bietet siekonkurrenten ausniedriglohn-ländern Angriffsflächen für den Einbruch in angestammte Märkte. Wie kann sich die hochentwickelte Industriegesellschaft wehren? Eine Welt, in der Harvard-ausgebildete indische Ingenieure am CAD-Zeichenbrett mit ihren über Satelliten verbundenen Kollegen in München High- Tech-Entwicklungen vorantreiben, kennt keine nationalen Arbeitsmärkte mehr. Das nationale Lohnniveau gerät mit allen sozialen Nebenwirkungen schrittweise unter Druck. Die Facharbeiter in den USA hatten seit Jahren keine Industriepolitiker Dohnanyi Weniger Staat, mehr Unternehmer realen Einkommenszuwächse mehr. Und durch die Öffnung nach Osten erleben wir Deutschen das noch in besonderer Weise: Korea liegt jetzt an der Oder. In diesem Prozeß verlieren Wirtschaft und Gesellschaft ihre nationalen Profile. Die Kernfrage lautet immer wieder: Was sind die unausweichlichen internationalen Zwänge, und wo gibt es noch nationale Spielräume? Die Einsicht dämmert wohl auch vielen Arbeitnehmern aber ist das die Mehrheit der Wähler? Geben sie der Produktivität die Schlüsselrolle? Wenn die Wähler die entscheidenden Zusammenhänge nicht verstehen, wird die Politik ihren Beitrag zur internationalen Wettbewerbsorientierung der Gesellschaft nicht leisten können. Hier erwächst den Parteien eine wichtige Rolle. Präsident Clinton formulierte es auf dem Arbeitsgipfel der 7er- Gruppe in Detroit so: Das ist das Geheimnis. Wir müssen unserem Volk beweisen, daß der Wandel für unsere Bürger von Vorteil ist und Produktivitätssteigerung immer noch den Schlüssel zu Beschäftigung und Wachstum darstellt. Was müssen die deutschen Parteien ihren Mitgliedern und Wählern über diese Wirklichkeit der Welt sagen? Wer harte Konkurrenz hat, muß schnell und beweglich sein. Daraus (und nicht aus Arbeitgeberideologie, wie viele leider noch immer glauben) folgt der Zwang zu immer mehr Flexibilität. Deswegen brauchen wir Deregulierung und eine betriebswirtschaftliche Orientierung des Staates; deswegen sind wir zur Entstaatlichung oder auch zur Privatisierung gezwungen. Wo der Staat sich in eine unternehmerische Aufgabe einmischt, neigt er dazu, die Dinge politisch im nationalen Rahmen zu regeln. Aber betriebswirtschaftliches Handeln muß sich am internationalen Wettbewerbssystem orientieren. 34 DER SPIEGEL 14/1994

35 Mikrochip-Produktion in Südkorea: Angriff mit Niedriglohn Karl Schiller formuliert: Unabhängig von ihrer einstigen Charakterrolle in der Konzertierten Aktion wissen wir natürlich, daß alle Unternehmer in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung die Schlüsselfunktion zu erfüllen haben. Sie sollten Motor des ganzen Systems sein. Der Unternehmer wird immer mehr zur Schlüsselfigur der gesellschaftlichen Entwicklungen. Das heißt allerdings nicht, daß der Staat, daß die Gesellschaft aus der Verantwortung für die Wirtschaft entlassen werden könnten. Es geht in dem vor uns liegenden wirtschaftlichen Wettlauf der Nationen nicht nur um weniger Staat, sondern auch um einen anderen Staat, um einen Staat an anderer Stelle. Es geht zwar einerseits um eine Politik, die mehr von den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten ausgeht als von dem volkswirtschaftlich vielleicht Wünschenswerten. Diese Politik muß aber andererseits zugleich bemüht sein, unter optimalen Standortbedingungen für die Betriebe dennoch möglichst sichere Arbeitsplätze und günstige Bedingungen für die Arbeitnehmer zu schaffen. Aber nur so herum geht es und nicht umgekehrt. Denn dort, wo Betriebe nicht wettbewerbsfähig sind, wird es weder soziale Gerechtigkeit noch zügige Fortschritte im Umweltschutz geben können. Subventionen können immer nur ein Übergang sein. In Ostdeutschland ist diese Lehre vor aller Augen bisher gelernt worden. Für ganz Deutschland steht sie nun auf dem Prüfstand. CDU/CSU und FDP hatten schon immer einen marktwirtschaftlichen Vorsprung. Aus der Sicht der Unionsbasis gehören Begriffe wie Wettbewerbsfähigkeit, Betriebsgewinne und Unternehmerleistungen zum Kernprogramm ihrer Partei, während die Basis der SPD diese Ziele zwar heute auch nicht mehr bestreitet, aber sie doch wohl noch immer geringer bewerten würde. Es sind ja auch Werte, die in der Tradition der alten Arbeiterpartei eher verfemt waren. Es fällt SPD-Stammwählern sehr viel schwerer als denen der CDU/CSU oder FDP, betriebswirtschaftliche Wettbewerbszwänge als Maßstäbe für die nationale Politik zu akzeptieren. Dies ergibt auch heute ein Blick auf die Wahlaussagen beider großen Parteien. Das CDU-Programm für Wachstum und Beschäftigung zum Beispiel wird beherrscht von Begriffen wie neue Technologien, verschärfte Standortkonkurrenz, Vernetzung in der Welt und der Schlüsselstellung des selbständigen Unternehmers. Die SPD will auch eine neue Gründerwelle, und sie will die Unternehmen von Lohnnebenkosten entlasten. Aber den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit will sie mit einem Pakt des Staates, der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Bundesbank gewinnen. Schon diese Reihenfolge zeigt, daß die Sozialdemokraten die große Rolle der Unternehmer noch nicht in den Mittelpunkt rücken. Was für die SPD gilt, ist bei den Grünen noch ausgeprägter. Sie haben natürlich recht, wenn sie langfristig auf die ökologische Erneuerung als Voraussetzung einer zukunftsorientierten Marktwirtschaft verweisen. Aber ihre aktuelle Einstellung zum Beispiel zur Kommunikationswirtschaft (dem Wachstumszweig der kommenden Jahre), zur Gentechnik (von der entscheidende Entwicklungen der Pharmakologie abhängen) oder zur Automobilindustrie (die Schlüsselindustrie der Verkehrstechnik bleiben wird) zeigt, wie wenig wirtschaftspolitischer Verlaß auf diese Gruppierung in einer Koalition wäre. Auf der anderen Seite wird ein aktiver Staat gebraucht, der industriepolitische Ziele setzt, ohne deren Formulierung es heute zum Beispiel keinen Airbus gäbe; der sich aktiv für die eigene Exportwirtschaft einsetzt, wie Japan und jetzt auch die USA es vormachen; der eine aktive Standortpolitik durchführt, ohne die es gerade den jungen Unternehmen in Ostdeutschland nicht möglich sein wird zu überleben; der aber auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik dort macht, wo nach aller Einsicht sonst nur Massenarbeitslosigkeit bleibt. In all diesen Fragen zeigen CDU/CSU und FDP erhebliche Schwächen: Sie glauben oft auch dort an die regulierenden Kräfte des Marktes, wo Marktversagen längst eine erwiesene ökonomische Tatsache ist. Priorität für wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen der Unternehmen, ein pragmatischer Staat als Partner der Wirtschaft und als Beschützer sozialer Gerechtigkeit und der Umwelt: wo im politischen Spektrum Deutschlands können wir diese Koppelung wirtschaftlicher und sozialer Vernunft erwarten? Zwar ist der Grundsatzstreit über Alternativen zur Marktwirtschaft in den Verlautbarungen der Parteien verstummt. Keine Partei (mit Ausnahme der SED-PDS) sucht noch ausdrücklich nach dem Dritten Weg. Aber die Meinungsverschiedenheiten über Prioritäten bestehen in den Stimmungen der Mitglieder, Funktionäre und Wähler fort. Was also soll man im Oktober 1994 wählen? Ich meine, beide großen Parteien müssen ihren Führungsanspruch inhaltlich noch einmal verdeutlichen. Die CDU/CSU müßte klarmachen, wie sie die neue Rolle des Staates in einer Führungspartnerschaft mit der Wirtschaft insbesondere in Ostdeutschland ausfüllen will. Hier und inder Organisation eines Arbeitsmarktes im Osten, wo die schwache Nachfrage zu viele Arbeitslose ihrem Schicksal überlassen würde, müßte sie in erster Linie Klarheit und Erneuerung zeigen. Die SPD, diedasgewichtige Argument des demokratischen Wechsels auf ihrer Seite hat, müßte klarer machen, daß sie es praktisch und ernst meint, wenn sie von der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen spricht; daß es keine Unternehmen ohne Unternehmer gibt. Der Parteitag im Juni bietet Gelegenheit genug. Beide Parteien haben noch Zeit bis zur Sommerpause. Dann müssen wir Wähler uns entscheiden. DER SPIEGEL 14/

36 Werbeseite Werbeseite

37 DEUTSCHLAND Grundgesetz Das Volk, abgewickelt Plädoyer für ein Plebiszit über das erneuerte Grundgesetz / Von Ernst Gottfried Mahrenholz m Wahljahr steht das Volk inmitten. Es ist nicht zu übersehen. Es Iwird gefragt, zur Person der beiden Spitzenkandidaten und zur Sache. Beiseite gelassen wird, wovon die Politiker nicht reden wollen. Wenn sie einträchtig nicht wollen, werden auch die Medien nicht davon reden. Diese Rechnung geht fast immer auf. Sternstunden im trockenen Geschäft des Buhlens um Volkes Gunst. Zur Zeit geschieht dies wieder. Da hat eine Verfassungskommission aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates getagt. Sie schlägt Verfassungsänderungen vor, nach umfassenden Beratungen, die nach den Worten von Rupert Scholz (CDU), einem der Vorsitzenden, sogar den DDR-Verfassungsentwurf des Runden Tisches umfassen sollten; diese Vorschläge sollen nun von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Es ist nicht gar so viel, manche hätten hier gern mehr oder anderes gesehen, andere lieber weniger. Aber nun ist es soweit: Bundestag und Bundesrat beraten über diese Vorschläge. Bis zur Bundestagswahl soll alles in trockenen Tüchern sein. Und dann? Da gibt es einen Schlußartikel 146 im Grundgesetz (GG): Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Die Bestimmung gehört zum Urgestein der westdeutschen Verfassungsgesetzgebung, allerdings ohne den ersten Relativsatz. Er war vereinigungsbedingt und Ernst Gottfried Mahrenholz amtierte bis zur vorigen Woche als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts. Der Sozialdemokrat, 64, einst Kultusminister in Hannover, erregte Aufsehen durch eine Reihe abweichender Voten im Karlsruher Zweiten Senat etwa 1984 für ein Abstimmungsrecht des Bundestages zur Nachrüstung. Gegen die Absicht der Parteien empfiehlt der Staatsrechtler eine Volksabstimmung zum revidierten Grundgesetz, das Ergänzungen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, zur Achtung ethnischer Minderheiten und zum Recht der Länder auf Neugliederung erhalten soll. sollte den vier Mächten und den europäischen Nationen sagen, daß es keine weiteren Vereinigungs- und damit Gebietsansprüche gibt. Der Sache nach ist der Artikel also unverändert geblieben; von dieser Beschlußfassung des Volkes ist, in Übereinstimmung der Unionsparteien und der Liberalen mit den Sozialdemokraten, nicht weiter die Rede. Wasbesagt Artikel 146, und was besagt er nicht? Der Satz hat nicht den banalen Inhalt, daß das Grundgesetz solange währen solle, bis es irgendwann eine neue Verfassung gibt. Dergleichen stand noch nie in einer Verfassung. Von einer neuen Verfassung spricht der Artikel auch gar nicht. Er spricht von einer Verfassung, die das Grundgesetz ablöst. Der Sinn dieser Bestimmung erschließt sich, einfach genug, wenn man sich die Lage des Parlamentarischen Rates im Jahre 1949 vor Augen hält. Er schuf eine Verfassung, aber nur für einen Teil des Volkes. Deswegen benannte er sie auch nicht mit dem gebührenden Namen Verfassung, sondern nannte sie Grundgesetz. Und deshalb besagt Artikel 146 GG, daßdasgrundgesetz seine Gültigkeit verlieren soll, wenn das Volk eine Verfassung beschließt. Durch diesen Beschluß soll die Verfassung zu der des Volkes werden. Daß das wirklich geschieht, wenn das deutsche Volk in Freiheit wieder vereint ist, war für den Grundgesetzgeber, wie Artikel 146 zeigt, unverzichtbar. Der Bezugs- und Zeitpunkt für diese Beschlußfassung ist hiernach diejenige politische Lage, in der das deutsche Volk in freier Entscheidung über eine Verfassung beschließen kann. Die Fassung der Präambel des Grundgesetzes, die es von 1949 bis 1990 gehabt hat, zeigt dies: Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Carlo Schmid, Vorsitzender des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, dem wirdiemeisten Grundsatzaussagen zum Grundgesetz verdanken, äußerte sich hierzu unzweideutig: Auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. Diese wird es DER SPIEGEL 14/

38 erst dann geben, wenn das deutsche Volk Inhalt und Form seines politischen Lebens in freier Entschließung bestimmt haben wird. So definitiv das Grundgesetz in seiner ganzen Struktur auch erscheint als Verfassungsprovisorium für den westlichen Teil Deutschlands hält es im Schlußartikel diese Verbürgung fest, daß das Volk über seine Verfassung abzustimmen habe, um damit zugleich die Wendung aus der Präambel von damals (und unverändert von heute) wahr zu machen, daß eine demokratische Verfassung kraft der verfassunggebenden Gewalt des Volkes in Geltung steht. Heute ist die politische Lage eingetreten, auf die der Parlamentarische Rat zielte. Das war im Jahr der Vereinigung DEUTSCHLAND Unterzeichnung des Bonner Grundgesetzes 1949*: Das deutsche Volk bestimmt der beiden deutschen Staaten den maßgeblichen politischen Kräften auch wohl bewußt. Die Bundesregierung hätte gern den Artikel 146, und damit die Verbürgung der Abstimmung über eine Verfassung für das ganze deutsche Volk, gestrichen; sie wollte auch in der Präambel das Wort Grundgesetz durch das Wort Verfassung ersetzen. Die SPD-Fraktion hat dies, da hierzu eine verfassungsändernde Mehrheit gehört hätte, ebenso verhindert wie die SPD-regierten Länder im Bundesrat. Die Sozialdemokraten wollten nicht, wie sie erklärten, auf die zusätzliche Legitimation verzichten, die eine Volksabstimmung bringt. So blieb das Problem auf der Tagesordnung. Denn die Verfassungskommission ist eine Folge des Einigungsvertrages zwischen den beiden deutschen Staaten; 38 DER SPIEGEL 14/1994 darin hatten die beiden deutschen Regierungen den gesetzgebenden Körperschaften empfohlen, sich mit den Konsequenzen der Einigung für eine Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere mit der Frage der Anwendung des Artikels 146 des Grundgesetzes und in deren Rahmen einer Volksabstimmung. Das Ergebnis dieses vierten einigungsbedingten Tagesordnungspunktes der Verfassungskommission ist: Der Artikel 146 GG bleibt erhalten und unerfüllt. Weder die Vertreter von CDU/ CSU und FDP noch die Sozialdemokraten wollten ihn durch eine Abstimmung über das jetzt zu revidierende Grundgesetz überflüssig machen. Die einen nicht, weil sie diesen Akt nicht mehr für erforderlich halten; das Grundgesetz sei hinlänglich legitimiert und bedürfe hierzu keiner Volksabstimmung. Die anderen, die Sozialdemokraten, möchten diese Abstimmung noch nicht. Ihnen gehen die geplanten Änderungen nicht weit genug, um eine Volksabstimmung lohnend zu machen. PDS und Bündnis 90 sahen das zwar anders, Anträge stellten sie indessen in der Verfassungskommission nicht. Die Frage wurde nicht einmal erörtert, ob es nicht im Bundestag, wie bei der Hauptstadtfrage und dem Gesetz von 1992 zu Paragraph 218 StGB, eine freie Debatte und Beschlußfassung der Abgeordneten geben sollte. Aber wer will leugnen, daß * Im Mai 1949 in Bonn. Am Tisch: Berlins Bürgermeister Ernst Reuter; in der Sitzreihe 2. v. r.: der spätere Bundespräsident Theodor Heuss. das Grundgesetz seine Bewährungsprobe längst hinter sich hat? Ist die Verweisung auf Artikel 146 GG wirklich mehr als ein willkommener Haken, an dem man basisdemokratische Lieblingsideen aufhängen kann? Der zweiten Frage ist entgegenzuhalten, daß es ja nicht basisdemokratische Spinnerei, sondern der Text des Grundgesetzes ist, der das Problem aufwirft. Die erste Frage zielt am Problem vorbei. Denn die Bewährungsprobe hat das Grundgesetz bestanden im Blick auf das Grundkonzept der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ernsten Zweifeln an ihrer Legitimation ist es nicht unterworfen. Geht man freilich in die Details des Grundgesetzes, so haben viele von ihnen angesichts der geschichtlichen Entwicklung der letzten 45 Jahre ihre Bewährungsprobe notwendigerweise nicht bestehen können: Die Finanzverfassung wurde stark unter dem Einfluß der Besatzungsmächte formuliert; sie mußte grundlegend geändert werden; die Wehrverfassung kam in das Grundgesetz hinein, weil und nachdem die Aggressivität des Sowjetkommunismus unübersehbar war; sie wurde auch danach mehrfach geändert, am Ende der Entwicklung sogar um eine zweite komplette Notstandsverfassung ergänzt; Änderungen der Kompetenzordnung nach 1949 stärkten die Bundeskompetenz; selbst die Grundrechte haben bis hin zum Asylrecht Grenzziehungen erfahren müssen. Die Bewährung des Grundgesetzes ist die Bewährung der Standbeine der Verfassung: der grundrechtlichen Freiheiten, der demokratischen Ordnung, der rechtsstaatlichen Struktur und des föderativen Staatsaufbaus. Käme es allein auf diese an, so könnte eine freie Entscheidung des deutschen Volkes (Artikel 146) keinen spezifischen Inhalt haben; dazu bedürfte es keiner durch Abstimmung auszuübenden verfassunggebenden Gewalt des Volkes mehr. Aber der Blick in die europäischen Verfassungen zeigt: Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaat sind zwar überall die Grundpfeiler, aber erst der Verfassungstext ist es, der diese Prinzipien ausmünzt, der die verfassungsrechtliche Währung schafft. Dies zu legitimieren, verbürgt Artikel 146 dem Volk. Das wird deutlich, wenn man sich die Vorgänge der Vereinigung Deutsch-

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41 lands im Jahr 1990 vergegenwärtigt. Die Volkskammer der DDR hat den Beitritt vollzogen. Das heißt, sie hat die Geltung des Grundgesetzes für die Bevölkerung der DDR gewollt. Dort wurden allerdings keine Verfassungsartikel geprüft und für gut befunden. Die Bejahung des Grundgesetzes war die Bejahung des bewährten Grundkonzepts. Doch wurde auch in der Volkskammerdebatte, ganz wie es Carlo Schmid 1949 tat, festgehalten, daß der Beitritt das Grundgesetz nicht zur Verfassung des geeinten Deutschlands wandelt. Die Abgeordneten Wolfgang Ullmann und Wolfgang Thierse, beide heute Bundestagsabgeordnete, haben sich hierzu übereinstimmend geäußert. Thierse so:...daß der Weg zu einer vom vereinten deutschen Volk in freier Selbstbestimmung beschlossenen Verfassung erhalten bleibt als Schritt zur Identitätsbildung des geeinten Deutschlands. Dieses Problem taucht bei Thierse sofort wieder auf, wenn es im neugewählten Bundestag um die Revision des Grundgesetzes geht, die die Verfassungskommission vorbereiten sollte. Dazu sagte er, und insoweit wollte er für die Ostdeutschen sprechen: Wir wollen nicht mehr nur bedauert, bemitleidet, gelobt und schulterklopfend behandelt werden, sondern wir wollen endlich gehört werden, nicht als an etwas Fertiges, so unendlich Gelungenes Angeschlossene, sondern als Gleichberechtigte, denen nicht etwas, sei es das Grundgesetz, geschenkt wird, sondern die am Werk der deutschen Einheit mitarbeiten wollen. Das heißt eben auch an seiner Grundlage, der Verfassung. Auch hinter diesem Satz wird das Problem der Identitätsbildung des geeinten Volkes deutlich. Sie reduziert sich nicht auf das gleiche Lohnniveau und egalisierte Arbeitslosenziffern. Dabei wird man allerdings dem Parlamentarischen Rat nicht unterstellen dürfen (und auch Thierse nicht), er habe daran gedacht, daß in einer Verfassung alles anders sein müsse, als es das Grundgesetz regelt. Carlo Schmid: Leipziger Montagsdemonstration 1989 Wir wollen gehört werden Wir begreifen dieses Wort provisorisch natürlich vor allem im geographischen Sinne, da wir uns unserer Teilsituation völlig bewußt sind, geographisch und volkspolitisch. Aber strukturell wollen wir etwas machen, was nicht provisorisch ist und gleich wieder in die Situation gerät: Heute machen wir etwas, und morgen kann man es wieder ändern, und übermorgen wird eine neue Auseinandersetzung kommen. Wir müssen vielmehr strukturell schon etwas Stabileres hier fertigzubringen versuchen. Es kommt also nicht auf etwas Neues an, ebensowenig auf das Wort Verfassung, nachdem uns der Begriff Grundgesetz gleichsam ans Herz gewachsen ist. Es kommt auf dieses Ja an, in dem Das Grundgesetz hat seine Bewährungsprobe hinter sich sich das deutsche Volk das Grundgesetz als seine Verfassung zueignet. Hat man Angst vorm Nein? Diese Befürchtung stimmte kaum mit der immer wieder laut gewordenen Gewißheit überein, das Grundgesetz sei im Volke akzeptiert und verwurzelt; es stimmte also nicht mit einem Argument überein, mit dem man den Verzicht auf die Abstimmung auch gern begründet. Aber gesetzt den Fall, daß das Grundgesetz in der nunmehr von Bundestag und Bundesrat zu revidierenden Fassung bei der Abstimmung durchfiele, hätten wir dann nicht einen verfassungslosen Zustand? Wir hätten ihn nicht. Dann gilt das Grundgesetz in der Fassung weiter, inder es zur Zeit gilt, freilich nur zeitlich begrenzt. Eine verfassunggebende Versammlung hätte dann das Grundgesetz und vielleicht weitere Verfassungsentwürfe neu zu beraten und das Ergebnis erneut dem Volk zur Beschlußfassung nach Artikel 146 vorzulegen. Indessen ist damit nicht zu rechnen, mögen auch einzelne Gruppen versuchen, mit der Propaganda für ein Nein Spezialanliegen in neuen Verfassungsberatungen durchzubringen. Aber ganz gewiß: Erst die Möglichkeit des Neinsagens macht die Volksabstimmung wichtig. Es unterscheidet das vermutete Ja vom wirklichen Ja. Artikel 146 hat entschieden, daß sich das Volk das Grundgesetz durch einen eigenen Akt der Abstimmung als seine Verfassung zuzueignen hat. Wenn die Parteien dies ignorieren, müssen sie die Frage, ob das auf die Dauer gutgeht, gleichfalls ignorieren. Es muß ja auch gar nichts passieren; bislang, seit dem Beitritt im Jahre 1990, ist ja auch nichts passiert. Eine Garantie ist das allerdings nicht. Politische Unzufriedenheiten suchen ihren Kristallisationspunkt. Wirtschaftskrise, Schuldenkrise, Parteienverdrossenheit bleiben Unwägbarkeiten für solche Unzufriedenheiten. Es ist nicht fernliegend, daß eine Bürgerrechtsbewegung viele Unterschriften bekäme nun aber nicht mehr bloß für eine Volksabstimmung über das Grundgesetz, sondern für die Einsetzung eines Verfassungsrates, der die Verfassung noch einmal neu berät und an den sich Hoffnungen knüpfen; etwa die, die Aufnahme weiterer Staatsziele ins Grundgesetz könne den Staat retten oder reformieren. Parteien könnten sich dem anschließen. Das muß nicht von rechts außen kommen: Statt Partei, Brunners Anti-Europa-Partei, die PDS in den neuen Bundesländern, wo der Unmut über die herrschenden Parteien besonders groß ist, das Bündnis 90 aus der Spätzeit der alten DDR, das sich mit den Grünen zusammengetan hat, leiten hier vielleicht Wasser auch auf ihre Mühlen. Die Verfassungsdebatte wäre der Kristallisationspunkt für vielerlei Unzufriedenheiten, die manche sich schon krisenhaft verdichten sehen. Das schwelt, und niemand weiß, ob es entflammbar DER SPIEGEL 14/

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44 DEUTSCHLAND Verfassung des Volkes, nicht Verfassung für das Volk ist, sich ausbreitet: Da könnte auch geltend gemacht werden, daß bisher 39mal das Grundgesetz geändert worden ist, weil es die da oben für richtig hielten; und man müsse nun auch einmal diejenigen zu Worte kommen lassen, die mit der Verfassung in ganz anderer Weise leben müssen als die politische Klasse. Daß die da unten in Verfassungsdingen Richtiges sehen können, hat das Bundesverfassungsgericht der Politik oft genug bewiesen. Das gegenwärtige politische Szenario ist nicht dazu angetan zu meinen, man behielte schon alles in der Hand. Es könnte klüger sein, jetzt oder nach dem Wahljahr 1994 das zu tun, was zu unterlassen später als schwer begreifliches Versäumnis erschiene. Natürlich, es kann alles gutgehen. Wichtig ist nur dies: Diejenigen, die die herrschende Meinung vertreten, wir brauchten keine Volksabstimmung, haben hierfür nichts in der Hand außer staatsrechtlichen Aufsätzen, denen von anderen Staatsrechtlern widersprochen wird. Das ist im Krisenfall wenig, wenn man begründen will, warum die Zusage des Grundgesetzes, daß das Volk über seine Verfassung abzustimmen habe, nicht gilt und das Volk statt dessen in der Sprache der Einigungspraxis abgewickelt wird, über die Vorstände von vier Parteien. Wie die Parteien agieren, sind sie nicht Parteien des Volkes, sondern Parteien der Vertreter des Volkes. Vor fast zwei Jahrzehnten bereits hat eine vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission Verfassungsreform vor der Tendenz der Parteien zurumdeutung ihrer Mittlerfunktion in eine eigene, sich selbst tragende politische Entscheidungsmacht gewarnt. Die Nation, so wissen wir seit der Französischen Revolution, wählt ihre Vertreter. Aber diesouveränität, um diesen altmodischen Ausdruck zu gebrauchen, liegt bei der Nation. Abstimmung über das Grundgesetz hieße, dies über die Beteuerungen hinaus anzuerkennen. Es könnte ein Signal setzen, dessen Wirkung schwer abzuschätzen ist, das aber das prekäre Verhältnis zwischen den Volksvertretern und den Vertretenen zu entspannen vermag; die Parteien wären nach einer solchen Volksabstimmung nicht mehr die gleichen. Schließlich, aber für manche Politiker wohl am wenigsten beeindruckend: Das Grundgesetz stellt auch eine Wahrheitsfrage. Wahrheitsfragen sind unangenehm, weil sie nicht taktische, sondern moralische Antworten fordern. 44 DER SPIEGEL 14/1994

45 Die Frage: Ist es wahr, daß sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat, wie es die Präambel besagt? Dem Parlamentarischen Rat mochte man die Wendung hingehen lassen, obschon er selbst nicht vom Volk gewählt worden war; er wollte ein Provisorium schaffen unter dem Regime der Besatzungsmächte, und dies für nur einen Teil des Volkes. Aber jetzt? Wieso hat sich jetzt das Deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben? Wer ist das Volk? Jedenfalls beantwortet sich diese Wahrheitsfrage nicht durch den Hinweis, daß es ja Volksvertreter gebe. Das provoziert die nächste Frage: Wer gab ihnen das Mandat, den Artikel 146 beiseite zu setzen? Gewiß, wir haben 1990 den Bundestag gewählt. Die Wahl zum Bundestag umfaßt das Mandat zu allen Funktionen, die das Parlament auszuüben hat: Gesetzgebung, Regierungsbildung und -kontrolle. Die Wahlen 1919 zur Nationalversammlung etwa waren demgegenüber Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung. Sie versah die Aufgaben eines Parlaments gleichsam zusätzlich. Aber den Bundestagsabgeordneten fehlt für dieses Beiseitesetzen des Schlußartikels des Grundgesetzes die Vollmacht des Volkes. Sie üben Macht ohne Vollmacht. Der Vormund handelt ohne Vollmacht des Mündels. Doch kann immerhin das Mündel, wenn es volljährig ist, die Verfügungen des Vormundes durch eigene ersetzen. Gemessen hieran geht es offenbar um eine Dauervormundschaft. Kein Wunder, daß man heutzutage lesen kann, Demokratie sei ein Angebot des Grundgesetzes an das Volk. Fragte jemand nach dem Urheber dieses Angebots, müßte man antworten, daß die Volksvertreter die Urheber sind. Dann hätten wir also die verfassunggebende Gewalt der Volksvertreter. Dies wäre die Denkweise der Bevormundung. Verfassunggebende Gewalt des Volkes heißt Selbstbestimmung des Volkes. Es verhält sich selbst zu einem vorgeschlagenen Verfassungstext, eignet sich an oder verwirft, was dort festgesetzt worden ist. In anderen europäischen Staaten mit Nachkriegsverfassungen war dies selbstverständlich. Die Verfassung ist die Verfassung des Volkes, nicht die Verfassung für das Volk. Wer sich die Frage verfügbar macht, ob man das Volk über das Grundgesetz abstimmen lassen soll, der macht sich eben dieses Volk verfügbar. Legitimationsquelle der Verfassung sind also anstelle des Volkes die hierüber beschließenden Abgeordneten und Parteiinstanzen: Sie sind das Volk. DER SPIEGEL 14/

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48 DEUTSCHLAND Spionage Gedecktes Keilkissen Eine deutsch-deutsche Agenten- Groteske beschäftigt den Bundestag. Muß der Verfassungsschutz für Rechtsbruch Abbitte leisten? aunig begrüßte Klaus Wagner, Vorsitzender Richter des Staatsschutzse- LnatsbeimOberlandesgerichtDüsseldorf, einen alten Bekannten: Man sagt ja, dieguten Tauben finden immer wieder in den Schlag. Na ja, gab der Zeuge Joachim Moitzheim zurück, in seinem Fall könne man wohl eher von einem ausgewachsenen Truthahn sprechen. Gedämpfte Heiterkeit im Saal. Es war die dritte Begegnung der beiden in den terrorsicheren Gerichtskatakomben am Rhein. Zweimal war Moitzheim alszeugegeladen. Zwischendurchwurde er von Wagner wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die DDR zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die sitzt der bald 69jährige derzeit im offenen Vollzug ab. An sich gehört der Fall ins Kuriositätenkabinett, zeigt er doch, wie sich ein Geheimdienst mit den vermeintlich raffiniertesten Methoden selbst austrickst (SPIEGEL 27/1993). Weil aber Unbeteiligte in das dubiose Spiel der Spione einbezogen waren, beschäftigt die Sache jetzt, vier Jahre nach dem Untergang der DDR, den Bundestag. Denn ein vertraulichervermerkdesbundesamtesfürverfassungsschutz (BfV) für die Parlamentarische Kontrollkommission enthüllt, wie freigebig die Kölner Behörde bei der Agentenjagd mit den persönlichen Daten von Mitarbeitern und anderen ahnungslosen Westdeutschen umging und wie locker es die Verfassungsschützer mitden Fakten nahmen, um imdüsseldorfer Prozeß einen ihrer größten Flops in halbwegs mildem Licht erscheinen zu lassen. Die Schlapphut-Posse begann Ende der siebziger Jahre. Da lief der Rheinländer Moitzheim, seit 1957 der Hauptabteilung Aufklärung (HVA) des DDR-Spionagechefs Markus Wolf zu Diensten, in Köln einen Amtsinspektor des BfV an. Der für Sicherheitsüberprüfungen zuständige Mann hatte Zugang zum Nachrichtendienstlichen Informationssystem (Nadis) der westdeutschen Geheimdienste. Der Kölner Beamte meldete den Anwerbeversuch seinen Vorgesetzten, die ihn beauftragten, mitzuspielen. Die Operation erhielt den Code-Namen Holzfäller. Als Moitzheim immer drängender nach dem internen Telefonverzeichnis des BfV verlangte, genehmigte der damalige Präsident Richard Meier die sogenannte Gegenoperation: Der Ostspion wurde vor die Alternative gestellt, jahrelang in den Knast zu gehen oder als Doppelagent zu arbeiten. Moitzheim wählte die Kooperation scheinbar. Tatsächlich offenbarte sich der Doppelagent seinen alten Auftraggebern und mutierte zum Dreifachspion: hie Holzfäller, da Keilkissen. Schließlich entpuppten sich auch noch die Kölner Abwehrspezialisten, die Moitzheim umgedreht hatten, als unzuverlässige Vertreter ihres Gewerbes. Es waren Klaus Kuron und Hansjoachim Tiedge. Kuron war Moitzheims Agentenführer (West). Ohne dessen Wissen diente er sich 1982 der HVA an, die er bis zum Ende der DDR belieferte. Tiedge, Chef der Kölner Spionageabwehr, setzte sich, alkoholkrank und überschuldet, 1985 nach Ost-Berlin ab. Nach seiner Flucht wurden die Akten Holzfäller und Keilkissen geschlossen. Beide Seiten schalteten Moitzheim ab und finanzierten fortan seinen Ruhestand mit monatlich 2000 (BfV) und 1000 Mark (HVA). Vor Gericht hatte sich der Überzeugungstäter gewundert, daß der Senat jene Informationen als Nebensache ansah, die er im Auftrag des BfV nach Ost-Berlin übermittelt hatte. Auch im Ex-Mehrfachagent Moitzheim Ausgewachsener Truthahn 48 DER SPIEGEL 14/1994

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50 DEUTSCHLAND Verfassungsschützer Meier (1981), Hellenbroich (1985): Verbockte Aktion Urteil wiegeln die Richter ab: Zwar habe Moitzheim insgesamt ca Personaldaten an die Stasi weitergegeben, aber die seien vorher vom BfV gefiltert worden und daher ersichtlich als nicht unbedingt geheimhaltungsbedürftig zu bewerten. Die Lieferung des internen Telefonbuchs sei unterblieben. Doch in einem Vermerk für die Bundestagskommission, den BfV-Präsident Eckart Werthebach über die von seinen Vorgängern Meier und Heribert Hellenbroich verbockte Aktion anfertigte, liest sich vieles ganz anders. Verschämt gestehen die mehrfach geleimten Kölner ein, während des gesamten Verlaufs der Operation habe es keine Anhaltspunkte dafür gegeben, daß Moitzheim als Triple-Agent für die HVA weiterarbeitete. Den Ertrag bewertet das BfV gleichwohl hoch: Der vermeintliche Doppelagent habe sein umfassendes Wissen über seine Ost-Berliner Führungsstelle offengelegt und dazu die ihm bekannten aktuellen und erinnerlichen konspirativen Objekte beschrieben. Klar, lästert Moitzheim, alles mit Wissen der HVA. Beeindruckend ist dagegen, was der Verfassungsschutz unter operativer Kontrolle in die DDR fließen ließ: Die HVA in Ost-Berlin fragte über die Achse BfV-Amtsinspektor/Moitzheim insgesamt 338 Personen im Nadis ab; aus seinem Arbeitsbereich Sicherheitsüberprüfung lieferte der BfV- Beamte die Personalien von 1450 Überprüfungskandidaten nach Moitzheims Erinnerung neben Verfassungsschützern Angehörige von Bundesgrenzschutz und Küstenwache, Mitarbeiter des Kernforschungszentrums Jülich und des Luft- und Raumfahrtzentrums Köln-Porz sowie Ingenieure aus der Rüstungsindustrie; für die HVA schrieb der Amtsinspektor insgesamt 37 Biographien und Charakteristika von BfV-Kollegen auf, von denen 27 Personen beim gegnerischen Nachrichtendienst bereits bekannt gewesen seien; bei Abbruch der Aktion hatte der Beamte aus dem internen Telefonbuch Namen und Dienstnummern der Amtsangehörigen bis einschließlich Buchstabe B abgeschrieben und an Moitzheim weitergegeben. Diese schweren Verstöße gegen den Datenschutz hält der Verfassungsschutz auch jetzt noch für gerechtfertigt und durch die damalige Rechtslage gedeckt. Um die mit der Gegenoperation erhofften Informationen über Arbeitsweise und aktuelle Interessen des direkten Gegners zu erlangen, heißt es im Werthebach-Vermerk, hätten die Kölner die von der HVA angeforderten Daten preisgeben müssen; Alternativen, welche die Betroffenen hätten weniger beeinträchtigen können, seien nicht vorhanden gewesen. Dafür hätten die Verfassungsschützer aber alles Denkbare zu deren Schutz unternommen. In den Akten der 1450 Überprüfungskandidaten, deren Namen nach Ost-Berlin gemeldet worden waren, wurde der Vermerk ohne Verschulden eingetragen. In der Parlamentarischen Kontrollkommission des Bundestags, die Moitzheim nach seiner Verurteilung brieflich alarmiert hatte, fanden die Ausflüchte der Kölner freilich keine Gnade: Als eindeutigen Rechtsbruch stuften kürzlich die Geheim-Abgeordneten den Personalien-Verrat ein. Nun obliegt es dem Bundestagsinnenausschuß, über eine dringende Forderung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu befinden. Joachim Jakob ist dezidiert der Meinung, daß die Leute benachrichtigt werden müs- 50 DER SPIEGEL 14/1994

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53 DEUTSCHLAND sen. Das kann im Einzelfall teuer werden, wenn Betroffene beim Kölner Spionenspiel Nachteile erlitten haben. Immerhin scheint Wiederholungsgefahr ausgeschlossen. Am Ende seines Vermerks betont Werthebach, heute müßte das BfV Operationen ähnlich herausragender Bedeutung vor der Weitergabe personenbezogener Daten abbrechen bzw. die Einwilligung der Betroffenen einholen. Neonazis Schwatzhaftes Volk Ein Führungstrio versucht, die zersplitterte rechtsextreme Szene zu einen und alle Parteienverbote zu umgehen. ie Polizisten, die an einem Gasthof im sächsischen Städtchen DBerggießhübel nahe Pirna vorbeifuhren, hatten nichts Verbotenes bemerkt. Draußen wehten Fahnen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ganz legal. Doch hinter der Tarnfassade tagten, bewacht von Ordnern in SA-ähnlicher Kluft, braune Kameraden aus verbotenen oder vom Verbot bedrohten Neonazi-Gruppen. Etwa 50 Kader aus Bayern, Berlin, Brandenburg und Sachsen, überwiegend jünger als 30, applaudierten einem Trio, das die zersplitterte Bewegung wieder in Schwung bringen will. Auf einem Podium, geschmückt mit Schlesienbanner und Reichskriegsflagge, verkündeten zwei Vorsitzende illegaler Organisationen die neue politische Linie: Frank Hübner, 28, aus Cottbus, Führer der seit Dezember 1992 verbotenen Deutschen Alternative (DA), und Michael Swierczek, 32, aus Augsburg, Chef der verbotenen Nationalen Offensive (NO), referierten zum Thema Rechtskampf. Als Dritter im Bunde predigte der Hamburger Christian Worch, 38, über die Wiederauferstehung unseres Volkes. Er ist führender Kopf der Nationalen Liste (NL), gegen die ein Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt wurde. Insgesamt sieben rechtsextreme Organisationen sind seit November 1992 verboten worden. Swierczek fordert deshalb, die Strategie und Taktik umzustellen. Er ruft bislang rivalisierende Gruppen auf, eine gemeinsame Front zu bilden. Ein Netz ohne zentrale Strukturen, das für den Gegner nur schwer erkennbar sei, müsse gebildet werden. Bei konspirativen Treffen haben Hübner, Swierczek und Worch frühere Streitereien um die Wortführerschaft begraben. Eine neue Organisation unter gemeinsamer Führung zu gründen erscheint dem Trio jedoch zu riskant. So warnt Hübner die Kameraden, nicht ins Messer und in die Fallen des Systems zu laufen. Anlaß für solche Appelle: Gegen etwa 100 der 350 früheren Mitglieder der DA laufen Verfahren wegen Verdachts der Fortführung einer verbotenen Vereinigung. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Knast. Zwar hat staatlicher Druck mit Razzien wie im Januar und Februar gegen die Direkte Aktion/Mitteldeutschland, * Mitte Februar im sächsischen Berggießhübel. Neonazi-Führer Swierczek, Hübner, Worch*: Für den Gegner schwer erkennbar DER SPIEGEL 14/

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55 DEUTSCHLAND gegen Mitglieder der NO und der Nationalistischen Front die Reihen der aktiven Neonazis gelichtet. Aber Worch, Hübner und Swierczek setzen darauf, daß ihre Bemühungen um Einigung einen Sog erzeugen. So kooperieren sie bereits eng mit dem Vorsitzenden des verbotenen Nationalen Blocks in Bayern, Fred Eichner, 36, und dem Chef der verbotenen Nationalistischen Front, Meinolf Schönborn, 38. Zudem suchen auch Führungsfunktionäre der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (rund 200 Mitglieder) die Nähe der Troika. Auch jüngere Funktionäre der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), die etwa 400 Mitglieder hat und vor einem Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht steht, zeigen sich von den Einigungsbemühungen angetan. FAP- Chef und Altnazi Friedhelm Busse, 64, Aktivisten der Nationalen Offensive*: Strategie und Taktik umstellen Gegner der rechten Einheitsfront, gerät intern in die Isolation. Die militante Neonazi-Szene zähle, so das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz, rund 2500 Aktivisten, Skinheads nicht mitgerechnet. An Nachwuchs fehlt es den Rechten nicht. So analysiert der Brandenburger Verfassungsschutz, daß das mobilisierbare Potential an rechtsorientierten Jugendlichen derzeit etwa gleichbleibt. Verbote haben für den Rechtsstaat bislang keine große Entlastung bewirkt, bilanziert Lothar Jachmann, stellvertretender Leiter des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz. Mit der Formel, es müsse penetranter Legalismus (Worch) praktiziert werden, suchen die Neonazis nach Aktionsformen, gegen die es keine rechtliche Handhabe gibt. * Vor dem Verbot Ende 1992 in Dresden. So kandidierte DA-Chef Hübner bei den Brandenburger Kommunalwahlen im Dezember vergangenen Jahres auf der Liste der Republikaner-Abspaltung Deutsche Liga für Volk und Heimat für das Amt des Cottbuser Oberbürgermeisters. Mit Parolen gegen Wohnungsnot, Mietwucher und Spekulanten holte er 2,8 Prozent der Stimmen. In den zahlreichen Wahlkämpfen dieses Jahres werden sich die militanten Neonazis, inzwischen meist unauffällig gekleidet und mit längerem Haar, bei Kundgebungen ganz normal unters Volk mischen, sagt Oliver Kulik, 18, ehemals DA-Mitglied und jetzt Leiter eines neonazistischen Arbeitskreises Deutsche Interessen in Berlin. Vor der Bundestagswahl am 16. Oktober wollen die Neonazis ihre Anhänger für ein taktisch motiviertes Aktionsbündnis Republikaner in den Bundestag mobilisieren. Von einem Einzug der Reps und ihres Vorsitzenden Franz Schönhuber, 71, ins Parlament versprechen sie sich eine Stärkung des gesamten rechtsextremistischen Lagers. Zu solchen legalistischen Tricks sehen sich die Strategen der Szene geradezu verdammt. Ihre führenden Kader sind den Sicherheitsbehörden allesamt bekannt. Und daß nationalistische Geheimbünde in Deutschland wenig Chancen haben, wissen die Rechtsextremisten aus einem Klassiker der Bewegung. Es sei nicht möglich, klagt ein brauner Ideologe darin, eine Organisation von einiger Größe aufzubauen und gleichzeitig nach außen geheimzuhalten. Der Grund dafür liege in der Schwatzhaftigkeit des deutschen Volkes. Die Erkenntnis stammt von Adolf Hitler, aus Mein Kampf. DER SPIEGEL 14/

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57 DEUTSCHLAND F O R U M Fechtsportler Sportförderung Havarie in Becks System Der Deutsche Fechter-Bund hat sich durch schludrigen Umgang mit Geld in einen finanziellen Engpaß manövriert. Nach einer Prüfung durch das Bundesverwaltungsamt hat der Verband in den vergangenen Jahren etwa Mark, die er als Fördermittel vom Bund erhielt, nicht zweckentsprechend verwendet ; die Summe mußte zurückgezahlt werden. Geschäftsführer Berndt Barth führt das Finanzdesaster nicht auf betrügerische Absicht, sondern auf eine Havarie im System der Verbandsbuchhaltung zurück. Dabei hatte der Bundesrechnungshof schon 1991 eine ähnliche Ausgabenpolitik des von Cheftrainer Emil Beck geleiteten Bundesleistungszentrums moniert. Auf einem Fechtertag im Juni soll darüber befunden werden, wie das Geldloch zu stopfen ist wahrscheinlich durch eine deftige Beitragserhöhung für die rund deutschen Fechter. Ideen Telefonieren für die Stadt Die in Finanznot steckende Stadt München möchte demnächst auf unkonventionelle Weise Geld von ihren Bürgern einnehmen. Auf Anregung der Rathaus-Grünen will die Kommune etwa Kulturtelefonkarten zum Preis von 30 bis 40 Mark (Auflage: 3000 bis 4000) produzieren lassen. Jeder Münchner, der damit telefoniert, und jeder Sammler, der eine Karte erwirbt, trägt dann zugleich zum Stadthaushalt bei. Erwarteter Gewinn für die Stadt pro Kartenserie: etwa Mark. Jugend Ost-Mädchen sind politischer In den neuen Bundesländern bezeichnen sich 60 Prozent aller Mädchen und jungen Demonstrierende Rostocker Studentinnen Frauen zwischen 13 und 29 Jahren als politisch interessiert, in Westdeutschland dagegen nur 48 Prozent. Bei den Jungen in Ost und West ist das Politik-Interesse mit 64 beziehungsweise 65 Prozent nahezu gleich. Das zeigt eine Auswertung von Daten, die für eine Jugendstudie der Deutschen Shell AG erhoben wurden. Die Jugendlichen, folgert Klaus-Peter Johanssen, Direktor der Shell-Abteilung Wirtschaftspolitik und Öffentlichkeitsarbeit, empfänden zwar Distanz zu Politikern und Parteien, aber nicht zur Politik. Das Interesse ist groß und halte weiter an, ziele aber weniger auf Parteien als etwa auf außerparlamentarische Gruppen. Frauen Eigene Seilschaften Hanne E. Pollmann, 56, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates, der rund elf Millionen Mitglieder vertritt, fordert eine Universität nur für Frauen SPIEGEL: Haben Studentinnen Angst vor männlichen Kommilitonen? Pollmann: Nein, überhaupt nicht. Sie sind ja genauso gut wie die Männer. Aber Frauen müssen sich immer mit männlichen Hierarchien herumschlagen. Gerade junge Studentinnen werden von Professoren oft nicht objektiv beurteilt, sie werden bevorzugt oder benachteiligt. Und der Versuch, sich von männlichen Kommilitonen abzusetzen, verstärkt den Konkurrenzdruck unter den Studentinnen. Frauen müssen ihre Stärke aus sich selbst ziehen. Pollmann SPIEGEL: Selbsterfahrung in einem männerfreien Refugium? Pollmann: Larmoyante Nabelschau brauchen wir nicht. An einer Frauenuniversität soll auch nicht nur Frauenforschung auf dem Lehrplan stehen. Wir brauchen gute Biologinnen, Informatikerinnen und Ärztinnen. Rivalitäten wird es dort natürlich ebenfalls geben. SPIEGEL: An vielen Hochschulen gibt es Frauenbeauftragte und Frauenförderprogramme. Wozu eine Frauenuni? Pollmann: Ich kann keine Frauenförderung entdecken. Wo sind denn die vielen Professorinnen? An einer Frauenuniversität könnten die Studentinnen und Lehrenden wie unter Männern üblich eigene Seilschaften bilden, um später im Beruf erfolgreich zu sein. SPIEGEL: Wer soll die Frauenuni bezahlen? Pollmann: Die Kultusminister werden das wohl nicht tun, obwohl dies eine gesellschaftliche Aufgabe wäre. Wir suchen Sponsoren und Stifter. Arbeit Prämien für Gesunde Die Stadt Köln will den Krankenstand ihrer Bediensteten durch Prämienzahlungen senken. In einem Modellversuch sollen die rund 240 Politessen der Rhein- Stadt bis zu 5000 Mark jährlich zusätzlich bekommen, wenn sie keinen Tag wegen Krankheit fehlen. Der Bonus wird individuell errechnet und gestaffelt nach Fehlquote, Alter, Sommer- und Winterkrankheiten. Wer 18 Tage oder mehr fehlt, geht leer aus. Entschiedener Gegner des Konzeptes ist die kommunale Personalvertretung. Man habe zwar nichts gegen Leistungszuschläge, so Personalrat Michael Bublies, aber daß man für seinen Lohn auch arbeitet, ist keine Leistung. DER SPIEGEL 14/

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59 DEUTSCHLAND Parteien Bis auf die Fußsohle In den neuen Ländern mangelt es den Volksparteien noch an Parteivolk. Wird der Osten zur Demokratie ohne Demokraten? anchmal sind sie sich doch noch einig. SPD-Bundesgeschäftsfüh- Mrer Günter Verheugen warnt vor einer Demokratie ohne Unterbau. FDP-Generalsekretär Werner Hoyer befürchtet, der Parlamentarismus in Ostdeutschland könnte seine Legitimationsbasis verlieren. Sein CDU-Kollege Peter Hintze verspricht, er werde deshalb den Gesprächsfaden zum Bürger wieder stärker knüpfen. Aus den Klagen über die bröckelnde Basis der Parteien im Wahljahr 1994 spricht nicht nur die übliche Sorge um Machterhalt und Machtgewinn. Das Unisono der Bonner Strategen deutet auf ein reales Problem. Gut zwei Monate vor den Kommunalwahlen in vier der fünf neuen Länder sind die Parteien in Ostdeutschland arm dran. Kein Geld, keine Mitglieder, keine Praxis, klagt Steffen Reiche, Brandenburgs SPD-Landesvorsitzender. Der jungen Demokratie mangelt es vielerorts an Demokraten, die sich in Parteien und Parlamenten engagieren. In unangenehmer Erinnerung ist den Bonner Planern noch die Kommunalwahl in Brandenburg. Obwohl Parteien und Wählerinitiativen landesweit Kandidaten suchten, wollte im vergangenen Dezember in 351 Kleinstgemeinden kein einziger Bürgermeisterkandidat zur Direktwahl antreten. Rund 7000 Bürger in 24 Dörfern hatten nicht einmal bei Gemeindevertretern die Wahl. Der Vorgang könnte sich wiederholen. Nach gutbezahlten Landtags- oder Bundestagsmandaten drängen sich viele; wo aber ehrenamtliche Mitarbeit für die Partei oder das Gemeinwohl gefragt ist, sieht es düster aus den Volksparteien mangelt es an Volk. Alle Parteien setzen auf das bewährte Gegenmittel der offenen Liste. Schon bisher gibt es in Ostdeutschland viele parteilose Kreis- und Gemeinderäte, die auf Parteilisten in die Kommunalvertretungen gewählt wurden. Wenn es nach Sachsens SPD-Chef Karl-Heinz Kunckel geht, soll das auch so bleiben. Es gebe schließlich keine sozialdemokratische Wasserleitung. Ost-Kommunalpolitiker Neumerkel: Ein zähes Geschäft Kunckel ist Realist. Anders als FDP und CDU kann seine Partei, 1989 im Osten wiedergegründet, nicht auf einen Stamm ehemaliger DDR-Funktionäre zurückgreifen. Nur rund Ostdeutsche bezahlen SPD-Mitgliedsbeiträge, das sind gerade drei Prozent der Gesamtparteimitgliedschaft. Viele ostdeutsche Sozialdemokraten fühlen sich von Bonn nicht ernst genug genommen. SPD-Stratege Verheugen räumt ein: Wir kümmern uns zuwenig um die Frage, wie die Menschen im Osten mit ihren Enttäuschungen und Ängsten fertig werden. Die Raffke-Mentalität einiger Politiker im Osten hat die Distanz zwischen Regierenden und Regierten noch vergrößert. In der ersten Legislaturperiode nach der Vereinigung mußten in den neuen Ländern wegen Filz-Affären so viele Regierungschefs und Minister ihren Hut nehmen wie in keinem vergleichbaren Zeitraum zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Zuletzt verstörte der Magdeburger Gehälterskandal die Ostdeutschen, die ohnehin auf Westdeutsche nicht gut zu sprechen sind. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Werner Münch (CDU), aus Niedersachsen zugereist, und drei seiner West-Minister mußten gehen. Tief betroffen seien sie von Münchs Rücktritt, schrieben junge Bitterfelder Christdemokraten in einem Nachruf: Fassungslos stehen wir vor dem von ihm angerichteten Scherbenhaufen. Häufige Ministerwechsel irritieren die Bürger in Ostdeutschland, wo die Autoritätsfixierung aus fast 60 Jahren Diktatur anhält, mehr als Westwähler. Regierungschefs wie Manfred Stolpe oder Kurt Biedenkopf, in der Beliebtheitsskala ganz oben, setzen auf ihr parteiübergreifendes Image als gütige Landesväter. Der Durchschnittsbürger in Ost wie West, so scheint es, wird gern von oben herab regiert selbst mitregieren will er nicht. Daß dies im Osten stärker ins Gewicht fällt, liegt nicht nur an der weitverbreiteten Politikverdrossenheit, sondern auch an veralteten Strukturen: Während in der Ex-DDR fast jede zweite Gemeinde weniger als 500 Einwohner hat, gibt es im Westen nur noch knapp 20 Prozent solcher Kleinkommunen. Viele der noch existierenden Minigemeinden sind auf Dauer nicht lebensfähig. Ihre Selbständigkeit geht schon jetzt verloren, wenn für Gemeindevertretungen die Kandidaten fehlen: Dann wird von der Landesregierung ein Staatskommissar eingesetzt und die Eingemeindung in die Wege geleitet. Doch auch in größeren Orten fehlen die Kandidaten. Als übel für die Demokratie erweist sich, daß das SED-Regime Hunderte politischer Talente aus dem Land gejagt hat. Von der Oppositionsszene im thüringischen Jena, die Anfang der achtziger Jahre Partei und Stasi in Atem hielt, war 1989 kaum mehr etwas übrig. Die Leute wurden schikaniert, eingesperrt und ausgebürgert. Heute will da keiner mehr hin, sagt der frühere Jenaer Dissident Roland Jahn. Die wenigen profilierten Ost-Politiker bekommen aus den westdeutschen Parteizentralen häufig Herablassung, bestenfalls Nichtachtung zu spüren. Mit den Ritualen in Bonn komme er nicht klar, klagt Sachsens Innenminister und CDU-Vize Heinz Eggert, da will ich immer möglichst schnell wieder weg. Verachtet von den eigenen Bürgern, mißachtet von den Parteifreunden im Westen aus dieser Klemme kommen DER SPIEGEL 14/

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62 DEUTSCHLAND Wende-Aktivisten*: Vom politischen Aufbruch erschöpft die Politiker im Osten nur schwer heraus. Wie desolat die Lage insbesondere für die SPD ist, zeigt sich im thüringischen Eisenach. Dort, wo August Bebel 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet hat, sind heute gerade mal 100 der Einwohner SPD-Mitglied. Viele von ihnen müßten folglich in Doppelfunktionen ran, wenn alle Ehrenämter in Parteigliederungen und Kommunalvertretungen besetzt werden sollen, berichtet der Eisenacher SPD-Geschäftsführer Thomas Levknecht. Der Bonner Regierungspartei CDU geht es nicht viel anders. Zwar sorgen Blockflöten in den Kommunalvertretungen für Kontinuität. Doch für die anstehenden Wahlen müssen auch die Christdemokraten intensiv nach Kandidaten suchen, wie der Schweriner CDU-Generalsekretär Klaus Preschle sagt. Im unionsregierten Mecklenburg- Vorpommern gibt es in rund 30 Prozent der Gemeinden keinen CDU-Ortsverband. Die Sozialdemokraten, an der Küste lediglich 3300 zahlende Mitglieder stark, hoffen auf bis zu 3500 Sitze in Kommunalparlamenten bei gutem Abschneiden würden sie mithin mehr Mandate als Mitglieder haben. Auch FDP-General Hoyer registriert in ganz Ostdeutschland viele weiße Flecken. Selbst als Spitzenkandidaten, für die nach der Wahl Posten winken, sind kaum Ostdeutsche zu gewinnen. In der Not greifen die Parteien deshalb sogar * Am 4. November 1989 in Ost-Berlin, bei einer Großdemonstration für freie Wahlen. auf die allseits ungeliebten Wessis zurück. In Dresden kürte Bündnis 90/Die Grünen den Bochumer Michael Merkel, 42, zum Oberbürgermeisterkandidaten, der zudem noch als Amtsleiter in Leipzig, der sächsischen Erzrivalin von Dresden, arbeitet. Wie schwierig die Situation vor allem auf dem Land ist, kann auch Lokomotivführer Rudolf Neumerkel, 48, beurteilen. Bei abendlichen Hausbesuchen versucht der SPD-Gemeindevertreter im sächsischen Neukirchen bei Crimmitschau seit Wochen, Leute im Ort von einer Kandidatur zu überzeugen: Das ist ein zähes Geschäft. Nicht mehr als 5 Mitglieder hat die SPD in dem 3500-Einwohner-Nest Neukirchen, doch bundespolitischer Aufwind und ein schwacher CDU-Bürgermeister lassen auf Stimmenzuwachs hoffen. 10 Namen mindestens gehörten auf die SPD-Liste für die Wahlen zum 20köpfigen Gemeindeparlament, findet Neumerkel, aber die Leute zu finden, das ist ganz schwierig. Immerhin sind inzwischen zu den 4 SPD-Gemeindevertretern, die sich erneut bewerben, 5 Kandidaten gestoßen, die den Sozialdemokraten wenigstens nahestehen. Die Personalsorgen der Parteistrategen sind auch deshalb so groß, weil viele der Menschen, die 1990 vom Aufbruch beseelt waren, nach vier Jahren ehrenamtlicher Arbeit, die weder viel Geld noch Geltung einbringt, erschöpft sind. Rund die Hälfte der mecklenburg-vorpommerschen Kreistagsabgeordneten werde nicht wieder kandidieren, schätzt Rudolf Krohn, Vorsitzender des Landkreistages; es mangele am Willen, sich politisch einzubringen. Manch einer der Wende-Aktivisten hatte die Einflußmöglichkeiten von Landesund Kommunalpolitik schlicht überschätzt. Andere treibt die Angst, in ihrem Beruf den Anschluß zu verpassen, zurück ins Zivilleben. Viele einstmals Bürgerbewegte schrekken auch vor zunehmender Ideologisierung und Polarisierung der Kommunalpolitik zurück. Zunehmend stärker an Parteilinien ausgerichtet sei die Kreistagsarbeit, hat der evangelische Pfarrer Frieder Wendelin, 55, beobachtet. Mit einem Kollegen und zwei Gemeindemitgliedern hatte er sich 1990 auf einer Liste der Bezirkssynode in den Kreistag von Kamenz (Sachsen) wählen lassen. Jetzt verläßt das kirchliche Quartett die Kommunalpolitik: Wir haben unsere Aufgabe erledigt, findet Wendelin. Mancher Politiker hofft, mit Appellen die politikmüden Bürger aktivieren zu können. Es gehe doch darum, bittet Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Berndt Seite, unsere Heimat mitzugestalten. Die SPD hat fast eine Million Mark in Zeitungsanzeigen investiert, die für politisches Engagement werben. Mit ungefähr tausend Leuten stehe die Partei seither in Kontakt, freut sich Jürgen Kriesch, Mitarbeiter der SPD in Sachsen-Anhalt; vielleicht werde ja wenigstens die Hälfte davon auch Mitglied. Bei der CDU können Polit-Interessierte neuerdings Schnupper-Mitglied werden. Ohne Zahlungsverpflichtung sollen Unschlüssige auf Versammlungen mitdiskutieren, allerdings nicht mitstimmen dürfen. Wenn der Personalmangel der Parteien anhält, wird wohl bald ein altes Streitthema neu belebt werden: die Frage, ob frühere SED-Mitglieder in die demokratischen Parteien aufgenommen werden sollen. Der sächsische IG-Metall-Chef Hasso Düvel rät der SPD ab, angesichts des Personalmangels bei Eintrittswilligen eine Fleischbeschau bis auf die Fußsohle vorzunehmen. Düvels Rat: Wer sich drei Jahre als Betriebsrat bewährt hat, den müssen wir nicht fragen, warum er zehn Jahre in der SED war. 62 DER SPIEGEL 14/1994

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66 DEUTSCHLAND Skandal im Sperrbezirk Schweinepest in Niedersachsen Bremerhaven Hamburg Oldenburg Cloppenburg Vechta Diepholz Osnabrück Bremen NIEDERSACHSEN Verden Soltau Nienburg Celle Hannover 50 Kilometer Bisheriges Sperrgebiet 12 Seuchenherde vom bis Ganz Niedersachsen ist zum Sperrgebiet erklärt worden. Hier werden jährlich 11 Millionen Schweine produziert. Davon wurden 2 Millionen lebend exportiert. Das am stärksten von der Schweinepest betroffene Gebiet hat die größte Schweinedichte Europas mit bis zu 1800 Tieren pro Quadratkilometer. Seuchenwarnung in Niedersachsen: Hinhaltende Meldetaktik Seuchen Schwarze Ohrmarke Weil die Deutschen der Schweinepest nicht Herr werden, müssen Tausende von Bauern um ihre Existenz bangen. auer August Kappey, 48, ist vorsichtig geworden. Wenn der Nie- Bdersachse vom Feld kommt und den Schweinestall betritt, wechselt er die Gummistiefel. Besucher dürfen sich die Sauen nur aus der Ferne ansehen, an der Stalltür mahnt ein Schild: Hier wohnt Familie Schwein, die bleibt am liebsten allein. Der ungebetene Eindringling, den Kappey fürchtet, heißt unter Tierärzten Pestivirus sis und gilt als hochgradig infektiös. Das 0,00004 Millimeter kleine Virus ruft die Schweinepest hervor. Seit Monaten grassiert die Seuche in Niedersachsen, rund Tiere mußten bereits vorsorglich geschlachtet werden. Die gut 300 Mastschweine von Bauer Kappey sind bislang virusfrei. Der Hof liegt nahe dem südniedersächsischen Einbeck, 120 Kilometer vom nächsten Seuchenherd entfernt. Dennoch hat Kappey unter den Folgen der Pest zu leiden. Seit Mittwoch vergangener Woche ist aufgrund einer Anordnung der Europäischen Union (EU) der Handel mit lebendem Borstenvieh über die niedersächsische Landesgrenze hinaus verboten. Kappeys Erzeugergemeinschaft Schweinemäster Kappey: Stiefel vor der Stalltür kann den Liefervertrag mit ihrem hessischen Schlachthof nicht mehr erfüllen. Jetzt muß ich einen Schlachthof im Lande suchen, sagt Kappey. Dort führt das Überangebot zum Preisverfall. Das Handelsverbot trifft gut zwei Millionen von elf Millionen Tieren, die in Niedersachsen jährlich produziert werden, die meisten davon in Südoldenburg (siehe Grafik). Dort ist aufgrund intensiver Massentierhaltung die Seuche besonders schwer zu bekämpfen. Mit Getöse machte sich Niedersachsens Landwirtschaftsminister Karl- Heinz Funke (SPD) für die betroffenen Schweinebauern stark. Das Land werde sich an die EU-Beschränkungen nicht halten, kündigte er an wohlwissend, daß er den Gehorsam gar nicht verweigern kann. Zu lange hat Funke darauf gesetzt, er könne die Seuche auf andere Weise eindämmen: Die EU hätte nur seine Forderung erfüllen müssen, niedersächsische Schweine gegen die Krankheit impfen zu lassen. Das aber hat Brüssel bisher abgelehnt. Geimpftes Fleisch läßt sich schlechter verkaufen, außerdem können gespritzte Tiere das Virus in sich tragen und nicht geimpfte Tiere infizieren. Für rund ein Dutzend aktueller Fälle von Schweinepest werde nun das ganze Land in Sippenhaft genommen, klagt Funke: Die wollen uns abstrafen. Grund dafür hat Niedersachsen den Europäern geliefert. Offensichtlich gelingt es den Deutschen nicht, der Pest Herr zu werden. Jedesmal, wenn der EU-Veterinärausschuß auf Drängen der Bundesrepublik Entwarnung geben wollte, wurden neue Fälle bekannt. Mit der Meldepflicht nehmen es die sonst so pingeligen Deutschen nicht sehr genau. Am 11. März waren die EU-Ve- 66 DER SPIEGEL 14/1994

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69 DEUTSCHLAND terinäre bereit gewesen, die Sperrgebiete in Niedersachsen zu verkleinern. Drei Tage später war Brüssel alarmiert: Bereits am 8. März, stellte sich nachträglich heraus, waren in Niedersachsen neue Seuchenfälle festgestellt worden. Außerdem wurde bekannt, daß Bauern aus den bisherigen Sperrgebieten rund um die Seuchenherde mindestens Schweine illegal in andere Bundesländer verkauft hatten. Kein Wunder, daß die europäischen Seuchenwächter nun, zusätzlich zum Handelsverbot, weitere Anweisungen gaben. Die Deutschen sind verpflichtet, die Tiere bei einer serologischen Reihenuntersuchung zu überprüfen und alle niedersächsischen Schweine mit einer schwarzen Ohrmarke zu kennzeichnen, Transportmittel nach jeder Fahrt zu desinfizieren, die Körpertemperatur der Schweine vor dem Verladen rektal zu messen mehr als 40 Grad bedeuten eine Infektion, ein nationales Krisenzentrum einzurichten, in dem die Schweinedaten aus allen Bundesländern schnell bearbeitet werden können. Aus Bonn haben die Schweinemäster wenig Hilfe zu erwarten. Bundesagrarminister Jochen Borchert (CDU) ist verärgert über die kriminelle Energie niedersächsischer Bauern und beklagt die hinhaltende Meldetaktik der hannoverschen Behörden. Immerhin konnte Borchert seinen europäischen Kollegen am Dienstag vor Ostern ein Versprechen abringen: Wenn die Niedersachsen endlich ohne Tricks die Seuche bekämpften, werde der EU-Veterinär-Ausschuß so bald wie möglich über eine Abmilderung des Verbots beraten. Müll Chip an der Tonne High-Tech bei der Müllabfuhr spart Kosten und hilft Abfall vermeiden. Dennoch sind viele Verbraucher skeptisch. er Arbeitstag von Thomas Müller, 27, beginnt mit einem Dialog zwi- D schen Maschine und Mensch. Legen Sie Ihre Chipkarte ein, gebietet der Text auf einem Monitor in seiner Kabine. Anschließend verlangt das Gerät: Bitte identifizieren Sie sich. Mül- Der Müll, die Stadt und der Chip 5 Die Haushalte erhalten in bestimmten Zeitabständen eine individuelle Gebührenabrechnung. Rechnung ler gibt seine Daten ein, dann kann er losfahren. Müllers Arbeitsplatz ist die Fahrerkabine eines Müllwagens in Dresden. Seit Ende 1992 wird ein Teil des Dresdner Abfalls mit elektronischer Hilfe beseitigt. Vier Abfallfahrzeuge und Hausmülltonnen sind mit Rechnern und Mikrochips ausgestattet. Die moderne Technik soll dafür sorgen, daß Abfallgebühren genau berechnet werden. Das Kalkül: Weil der Verbraucher nur für den Müll Gebühren zahlt, den er tatsächlich in die Tonne wirft, wird er sich bemühen, sowenig Abfall wie möglich zu produzieren. Nachdem der Pilotversuch mit Einwohnern erfolgreich abgeschlossen worden ist, soll das System noch in diesem Jahr überall in Dresden ( Einwohner) eingeführt werden. Die sächsische Hauptstadt liegt damit in ihrer Größenklasse bundesweit vorn. Mit Computertechnik rüsten immer mehr Städte und Landkreise ihre Müllkutschen auf. Hans-Joachim Müller, Geschäftsführer beim Verband Kommunale Abfallwirtschaft, sieht einen Trend zur High-Tech-Tonne: Der Weg geht grundsätzlich in diese Richtung. 1 Mülltonne mit Datenchip Ein Bordcomputer speichert die Codenummern der geleerten Mülltonnen auf einer Chipkarte. 2 Beim Leeren der Tonne empfängt der Müllwagen das Codesignal. 4 mfr hjn msedes oklsaw frsedev efdedsa cds bsrdswmk acsdlö derfs Nach Schichtende wird die Chipkarte an die Zentrale weitergegeben. Dort werden die Daten ausgewertet. Müllmann Müller, Bordcomputer: Merkwürdige Wege 3 Von Cuxhaven bis zum Landkreis Passau hoffen die meisten Entsorger, mit der Prozessortechnik die Müllberge zu verkleinern. Das Duale System unter dem Zeichen des Grünen Punkts hat weitgehend versagt, immense Abfallmengen werden nicht wiederverwertet, sondern landen beim Restmüll. Deshalb ist jede Hilfe willkommen, den Unrat zu reduzieren. Durch Verbund von Mikrochip und Mülltonne können die Abfallgebühren besser berechnet werden: Wer wenig wegwirft, spart Geld. Hartmut Eichhorn, Abfallexperte beim Bremer Umweltsenator, hält es für möglich, die 30 Liter Müll pro Einwohner und Woche zu halbieren. Derzeit sind in Bremen Haushalte mit der sogenannten codierten Tonne ausgestattet, rund sollen es Ende des Jahres sein. Nutzer der Elektronik-Tonne zahlen in Bremen zwar zunächst weiter einen DER SPIEGEL 14/

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73 DEUTSCHLAND Festbetrag pro 120-Liter-Behälter 352,80 Mark im Jahr. Bei geringer Müllmenge können die Haushalte aber bis zu 24 Wochen im Jahr auf die Leerung verzichten und dafür je 7,35 Mark Bonus kassieren. Alleinstehende dürfen den Müllwagen noch häufiger passieren lassen. Die Mindestzahl von 28 (bei Singles 16) Leerungen ist in Bremen vorgeschrieben, damit aus dem Anreiz zur Müllvermeidung kein Anreiz zur wilden Entsorgung wird. Abfallmanager Eichhorn warnt: Der Müll sucht sich oft merkwürdige Wege. Das Bemühen, umweltbewußtes Verhalten über Müllgebühren zu fördern, schlägt sich neuerdings auch in Gesetzen nieder. Im niedersächsischen Landesabfallgesetz heißt es: Die Gebühren sollen in der Regel entsprechend dem Gewicht oder Volumen der Abfälle bemessen werden. Nordrhein-Westfalen, das ein solches Verfahren für dieses Jahr sogar zwingend vorschreiben wollte, gewährt den Kommunen noch bis 1996 Aufschub. In Dresden erhofft sich Stadtreinigungschef Konstantin Bogdanzaliev von dem neuen System nicht nur mehr Müllgerechtigkeit. Eine Begleitstudie des Berliner Abfallprofessors Bernd Bilitewski ergibt zudem, daß die Kosten um Mark im Jahr gesenkt werden können. Kernstück der Dresdner Abfallelektronik ist ein Datenträger von der Größe einer Füllerpatrone, der an jeder Tonne angebracht wird. Beim Kippen am Müllfahrzeug sendet dieser sogenannte Transponder einen individuellen Code in den Datenspeicher des Fahrzeugs zum Beweis, daß die Tonne geleert worden ist. Andere Kommunen setzen auf Systeme, die nicht nur die Nummer der jeweiligen Tonne, sondern auch deren Gewicht ermitteln. Gemeinsam ist den diversen Systemen, daß sie ein ungewohntes Maß an Müllkontrolle ermöglichen. Vielfach lehnen Abfuhrunternehmen, Gewerkschaften und Bürger die neue Technik ab. Der Grund, so Müllprofessor Bilitewski: Mit einem Schlag wird alles transparent. Schulen I become Schleimi Der Sprachunterricht in Ostdeutschland, besonders in der Weltsprache Englisch, ist ungenügend. er Wachmann im Londoner Tower, ein buntbetreßter Veteran Dmit gewaltigem Schnurrbart, ließ pflichtwidrig die Tür zu den Kronjuwelen für einen Moment aus den Augen. Zuvorkommend posierte er mit einem Ost-Berliner Schüler für ein Erinnerungsfoto. Während die Kameras klickten, erkundigte er sich britische Art nach * Seminar in Stralsund. Englischlehrerinnen-Fortbildung*: Probleme wie in China und Ägypten DER SPIEGEL 14/

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75 DEUTSCHLAND dem Befinden des jungen Gastes: Well my dear, how are you? Der Schüler antwortete stolz: Germany. Nicht schlimm. Auch nicht so schlimm, daß sich die Teilnehmerin einer ostelbischen Schülerreise zu Shakespeares Geburtsort Stratford-upon- Avon über den Geschmack englischen Apfelsafts empörte. Sie hatte, der fremden Sprache wenig kundig, Apfelessig gekauft die Früchte auf dem Etikett leuchteten so schön rot. Jugendherbergseltern aus der englischen Grafschaft Sussex bezeugen, daß ein sächsischer Schüler allmorgendlich die grau-seimige Haferspeise Porridge mit den Worten bestellte: I become Schleimi. Mit dem Fremdsprachenunterricht und besonders den Englischlektionen steht es im deutschen Osten nicht zum besten. An den Gymnasien der neuen Bundesländer beklagen Schüler immer wieder, sie hätten in der Vergangenheit zwar Vokabeln gepaukt und Dialoge memoriert, nie aber sprechen gelernt. Während Gleichaltrige im Westen die Rolle der Lady Macbeth interpretieren oder die Theorie der amerikanischen Kurzgeschichte büffeln, muß zwischen Saßnitz und Suhl auch in Klasse 11 gepaukt werden, daß der Engländer die Frageform mit to do gebraucht. Das Problem sind nicht die Schüler, sondern die Lehrer. Sie haben gemeinhin große Defizite in Sprachpraxis, Literaturkenntnis und Textanalyse, hat Cordelia Howald von der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung beobachtet. Breiten Nachholebedarf bei Sprache, Literatur und Landeskunde bestätigt auch Siegfried Eisenmann, Leiter des Landesinstituts für Lehrerfortbildung in Sachsen-Anhalt. Den Lehrern fehle es zudem am Willen, beklagt sich Stefan Woll vom brandenburgischen Bildungsministerium, sich von Gewohntem zu verabschieden und Neues zu lernen. Sie würden ständig nach Gehaltsangleichung oder Verbeamtung fragen, zugleich aber Fortbildungsseminare in den Fremdsprachen sausenlassen. Daran allein kann es nicht liegen. Für Englischlehrer in der DDR, die lediglich durch eine Schnellpresse an den Hochschulen in Leipzig oder Berlin gingen, war der Kontakt nach Angelsachsen im wesentlichen aufs Abhören der BBC und die Lektüre der Kommunistenpostille Morning Star beschränkt. Primärliteratur gab es kaum, gelesen wurden ins Deutsche gebrachte Exzerpte. Klassiker wie George Orwells Animal Farm waren verboten. Die Vereinigten Staaten haben Lehrer nur durch verzerrte Darstellungen kennengelernt. Veränderungen kommen nur zäh voran. Noch immer fahren zu wenige Lehrer nach England oder in die USA. Sprachpädagoginnen werden oft durch familiäre Pflichten am Reisen gehindert. Und wenn Frau Lehrerin zaghaft vorschlägt, doch mal Ferien auf den Kanalinseln zu machen, so eine Anglistin, dann halten Mann und Kinder Reisekataloge empor und stimmen für Gran Canaria. Auch der Import westlicher Englischlehrer hat kaum geholfen. Der erfahrene Studienrat, der aus Idealismus von Düsseldorf nach Dresden wechselt, wird noch gesucht: Die Westkollegen waren meist jung, hatten kaum Unterrichtserfahrung und waren nur auf Gymnasialstellen aus, kritisiert der Hallenser Eisenmann. In Mecklenburg-Vorpommern zeigten sich die Folgen besonders deutlich. Von etwa 300 Westlehrern haben 70 Prozent schon wieder aufgegeben. Viele entpuppten sich als fachliche Nieten. Die Examensnote war egal, wenn sie nur aus dem Westen kamen, mokiert sich Ulrich Gibitz vom Schweriner Landesinstitut für Schule und Ausbildung. Viele der Westler werden obendrein als Stellenklauer angefeindet. Das Klima zwischen den Kollegen ist oft schlecht. Westimport Gibitz, der mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst um die Welt kam und dann nach Schwerin ging, hatte ähnliche Probleme nur in China und Ägypten. Sein Fazit: Man ist hier Eindringling. Droht Lehrern, deren Fächer wie Russisch oder Staatsbürgerkunde wenig gefragt oder abgeschafft sind, die Entlassung, schulen sie oft auf Englisch oder Französisch um. Ein recht mühsames Geschäft: Nach Einschätzung des Sprachwissenschaftlers Bernhard Diensberg, der die schwierige Kundschaft an der Technischen Universität Chemnitz-Zwickau unterrichtete, bleibt zumindest die zum Teil katastrophale Aussprache bei den über 30jährigen irreparabel. Etwas Abhilfe leisten die Kultureinrichtungen Frankreichs, der USA und Großbritanniens in Berlin, Leipzig und Rostock. In den Niederlassungen des Institut Français, der Amerikahäuser und des British Council wird von Muttersprachlern Politik, Literatur und Landeskunde unterrichtet. Die Teilnehmerzahlen sind jedoch begrenzt. Lehrer-Ausbilder Eisenmann plädiert für Geduld. Erst 1999 werde es den ersten Abiturjahrgang im Osten geben, der durchgehend Englisch gelernt habe. Gibitz hofft auf die Kraft der Schüler: Die gucken den englischen Musiksender MTV und arbeiten mit Computern. Die werden ihre Lehrer noch überholen. DER SPIEGEL 14/

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78 Weltumfrage Neue Supermacht Japan? Demoskopen fragten gleichzeitig in vier Ländern: Japaner, Briten, Amerikaner und Deutsche gaben Antwort über ihre Ängste, Hoffnungen, über Kriegsgefahr und Friedenseinsätze. Zusammen mit der New York Times, Asahi Shimbun und dem Guardian veröffentlicht der SPIEGEL die Ergebnisse der ersten Weltumfrage. er hat das größte Vertrauen in die Deutschen? WDie Deutschen. Eine Umfrage des Bielefelder Emnid- Instituts brachte es zutage: Das von Wirtschaftskrise, Ausländerhaß und Debatten ums richtige Nationalgefühl und die eigene Vergangenheit geschüttelte Land glaubt sich weltweit im besten Ruf. Mehr als 70 Prozent der Deutschen vermuten, daß ihr Land in der Welt viel Vertrauen oder doch wenigstens einiges Vertrauen genießt. Unter den Unionswählern sind es sogar stolze 81 Prozent. Die Welt sieht das allerdings etwas anders. Wieviel Vertrauen setzen Sie in Deutschland? fragten Demoskopen Vertrauensfrage in Japan, Großbritannien und den USA. Selbst das traditionell gute Gefühl der Amerikaner für den Nato-Partner bleibt weit hinter deutschen Erwartungen zurück. Viel zurückhaltender noch wird das vereinte Deutschland in Japan und Großbritannien eingeschätzt (siehe Grafik). Verheerend das Urteil der Briten: Die Hälfte der Menschen jenseits des Kanals trauen dem Festlandsstaat entweder weniger oder sogar überhaupt nicht. Zahlen über Völkerfreundschaft, Nationalgefühl und andere kollektive Befindlichkeiten sind Ergebnis der ersten multinationalen Umfrage, die der SPIE- GEL zusammen mit der New York Times in den USA, dem Guardian in Großbritannien und Asahi Shimbun in Zu den Deutschen haben einiges Vertrauen oder viel Vertrauen : BRITEN JAPANER AMERIKANER Daß ihr Land in der Welt einiges Vertrauen oder viel Vertrauen genießt, glauben DEUTSCHE 71 Anteil der Deutschen, die einiges Vertrauen oder viel Vertrauen zu anderen Ländern haben: ZU GROSS- BRITANNIEN ZU JAPAN ZU DEN USA Angaben in Prozent Japan veranstaltet hat. Demoskopen interviewten Anfang März im Auftrag der vier Blätter jeweils zwischen 1000 und 2000 repräsentativ ausgewählte Bürger ihres Landes. Die Methoden der Befragung und ihre statistische Auswertung haben die Institute in den beteiligten Ländern miteinander abgestimmt. Die Bewertung der Ergebnisse verantworten die beteiligten Medien jeweils selbständig. Was bislang Gegenstand gepflegter Vorurteile war, läßt sich nun mit Zahlen belegen: die Stimmungslage in vier wichtigen Industrienationen der Erde nach dem Ende des Kalten Krieges. Nicht allein, wer wem vertraut, ist für die Neuordnung der Welt in Bündnissysteme von Bedeutung, sondern auch die Frage, welchen Nationen von den anderen eine Rolle als führende Weltmacht neben den USA zugetraut wird. Den größten Vertrauensbonus der drei anderen genießen die Engländer. Zusammengenommen fast 65 Prozent Das Mißtrauen nimmt mit dem Alter der Bürger ab der Befragten in Japan, den USA und Deutschland erklärten, sie hätten viel oder jedenfalls einiges Vertrauen zu den eigensinnigen Insulanern. Die Deutschen allerdings liegen mit ihrem England-Urteil weit unter dem Durchschnitt. Fast ebensoviel Vertrauen genießen die USA jedoch gibt es bei den Briten einen harten Kern von zehn Prozent, die den Amerikanern überhaupt nicht trauen. Die Japaner stoßen nur bei den Deutschen auf größeres Vertrauen. Im Schnitt der befragten Länder kommen sie auf die geringste Vertrauensquote. Fast 43 Prozent außerhalb des Inselstaates erklärten zusammengenommen, sie hätten nicht viel oder überhaupt kein Vertrauen zu Japan. Die Zahlen werden sich ändern. Schon jetzt ist deutlich, daß das Mißtrauen der Nationen untereinander mit dem Alter ihrer Bürger abnimmt. Die jungen Japaner von 20 bis 29 äußern sich 78 DER SPIEGEL 14/1994

79 überproportional freundlich gegenüber Deutschland, die jungen Deutschen urteilen ebenso vertrauensvoll gegenüber Japan, England, USA. Auf alten und bösen Erfahrungen beruht auch das schlechte Verhältnis der Engländer zu den Deutschen. Der Nachwuchs auf der Insel äußert sich deutlich freundlicher über den einstigen Kriegsgegner. Unter der jungen Generation zwischen 18 und 29 herrscht international auch überdurchschnittlich große Einigkeit, welches Land neben den USA zur neuen Weltmacht aufsteigen wird: Japan. Wesentlich traditionellere Vorstellungen dominieren bei den Älteren. Daß die Industriemacht im Osten das Abendland überflügeln könnte, mögen sich viele noch immer nicht vorstellen. 37 Prozent aller Befragten außerhalb Japans tippen auf Westeuropa als die neue Supermacht. Nur die Japaner sehen das anders: 38 Prozent nennen China. Die Sicht von Osten auf die Weltlage verändert manche Perspektive. Von welchem Land, so fragten die Demoskopen, gehe wohl die größte Kriegsgefahr aus? Die Antwort der Japaner auf die offene Frage ist eindeutig: von den USA (22 Prozent). Das Urteil ist unter den Elf Prozent der Deutschen halten die Uno für unwichtig 20- bis 29jährigen sogar noch deutlicher ausgeprägt (34 Prozent). Die US-Rolle als Weltpolizist ist es wohl, die vielen Japanern angst macht, irgendwann in einen Konflikt hineingezogen zu werden. Überwiegend lehnen es die Japaner deshalb auch ab, daß die Angst vorm Krieg Uno Truppen zur Durchsetzung von Friedensplänen in Krisenherde schickt. Nur 33 Prozent der Befragten sind dafür, hingegen 67 Prozent der Deutschen und sogar 72 Prozent der Briten die zur Zeit Soldaten im bosnischen Bürgerkrieg einsetzen. 50 Prozent der Japaner verneinen zudem die Pflicht ihres Landes, an solchen Einsätzen teilzunehmen, mehr noch als die Deutschen (38 Prozent), die über diese Fragen mit ihrer Verfassungsrechtslage hadern. Weltweit herrscht gleichwohl erstaunliche Einigkeit darüber, daß die beiden Länder, die sich mit Uno-Einsätzen so schwertun, gemeinsam in den Sicherheitsrat aufgenommen werden sollten: 62 Prozent der Briten und 55 Prozent der Amerikaner sind dafür, die Deutschen (73 Prozent) und die Japaner (51 Prozent) sowieso. Sehr wichtig erscheint denn auch den Befragten mehrheitlich die Zusam- Serbische Soldaten in Bosnien DEUTSCHE BRITEN Hungernde im Sudan Welches halten Sie zur Zeit für das weltweit wichtigste Problem? JAPANER Krieg 42 Wirtschaft, Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger 35 AMERIKANER Wirtschaft, Armut, Arbeitslosigkeit, Hunger Umweltverschmutzung Bosnien Krieg 26 Umweltverschmutzung 12 Verbrechen 7 Krieg Wirtschaft, Armut, Hunger Umweltverschmutzung Bosnien Wirtschaft, Armut, Hunger Verbrechen Krieg Drogen DER SPIEGEL 14/

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81 Blauhelme in alle Welt? Halten Sie es für richtig, wenn die Vereinten Nationen Soldaten in Krisenregionen überall in der Welt einsetzen, um Friedenspläne durchzusetzen? Glauben Sie, daß Ihr Land Soldaten zur Durchsetzung von Friedensplänen in Krisenregionen überall in der Welt entsenden sollte, wenn es von der Uno dazu aufgefordert würde? DEUTSCHE Uno sollte Soldaten einsetzen 67 DEUTSCHE Das eigene Land sollte entsenden 57 BRITEN 72 BRITEN 72 JAPANER 33 JAPANER 36 AMERIKANER 63 AMERIKANER 59 Angaben in Prozent Wer soll in den Sicherheitsrat? China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die Vereinigten Staaten sind ständige Mitglieder des Uno- Sicherheitsrats. Glauben Sie, daß Deutschland und Japan einen ständigen Sitz erhalten sollten? DEUTSCHE Deutschland und Japan 73 nur Deutschland 10 nur Japan 2 keines der beiden Länder 8 BRITEN JAPANER AMERIKANER An 100 fehlende Prozent: weiß nicht oder keine Angaben 82 Prozent der Deutschen sind mit der Welt unzufrieden menarbeit in der Uno nach dem Ende des Kalten Krieges etwas zögerlicher allerdings antworteten die Deutschen. 36 Prozent halten auch hierzulande die Kooperation für sehr wichtig, 49 Prozent für eher wichtig, immerhin 11 Prozent für unwichtig. Dabei ist sich die Hälfte der Deutschen, die Mehrheit der Briten (51 Prozent) und der Amerikaner (67 Prozent) in dem Urteil einig, daß die Weltlage nach dem Ende des Kalten Krieges unsicherer geworden ist. Die Japaner mögen sich da nicht so festlegen: 24 Prozent verweigerten die Antwort, 37 Prozent stimmten immerhin zu. Die Furcht vor bewaffneten Konflikten steht bei den meisten Befragten im Vordergrund. Ohne vorgegebene Antworten nach dem heutzutage weltweit wichtigsten Problem befragt, antworteten 42 Prozent der Deutschen, 26 Prozent der Briten, 27 Prozent der Japaner: Krieg. Die Bürger der USA, die nie einen modernen Krieg im eigenen Lande erleben mußten, sehen das ganz anders. Nur 8 Prozent verfallen auf diese Antwort, 17 Prozent, die größte Gruppe der Befragten, nennen statt dessen als weltweit größtes Problem den Krieg im Innern, das Verbrechen. Eine ähnlich selbstbezogene Antwort bekamen die Demoskopen in England, wo immerhin 7 Prozent Furcht vor Verbrechen in den Vordergrund stellten. In Deutschland, dessen Regierung die Angst vor der Mafia zum Wahlkampfthema macht, fällt das Problem weniger als 0,5 Prozent der Befragten ein. In Deutschland wie in Japan nimmt die Kriegsangst mit Distanz zum letzten, verlorenen Krieg ab. Für die Jungen steht das Problem nicht so sehr im Vordergrund. Die 20- bis 29jährigen in Japan nennen den Krieg als Problem beispielsweise nicht häufiger als die Umweltverschmutzung. Umgekehrt ist es allerdings in Großbritannien. Die größte Furcht vor neuen Kriegen haben die Jüngsten. An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend könnte die Stimmung schlechter nicht sein. Wie zufrieden sind Sie mit der Situation auf der Welt heutzutage? fragten, sehr allgemein, die Demoskopen. Die Antwort war eindeutig: 82 Prozent der Deutschen, 85 Prozent der Briten äußerten sich unzufrieden. Etwas besser fühlen sich die Amerikaner (67 Prozent unzufrieden) und die Japaner (66 Prozent unzufrieden). In Deutschland ermittelten die Meinungsforscher eine geschlossene Gruppe, deren Unzufriedenheit offenbar weltweit an der Spitze liegt: die Alternativen. Die Moser-Quote bei den Wählern von Bündnis 90/Grüne beträgt 90 Prozent. DER SPIEGEL 14/

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83 DEUTSCHLAND Rheinland-Pfalz Das Duell der Bärte Mit einem Laut-Sprecher will Helmut Kohl seine Heimat wieder zum CDU-Land machen. inmal im Jahr kommt der Mainzer CDU-Bundestagsabgeordnete Jo- Ehannes Gerster, 53, Wählern wie Nichtwählern hoch zu Roß. Als Generalmajor der Ranzengarde, qualifiziert durch Leibesfülle, reitet der zwei Zentner schwere Christdemokrat im Rosenmontagszug mit. In der Garde der dicken Männer fühlt sich der Vertraute von Bundeskanzler Helmut Kohl schon seit mehr als 25 Jahren zu Hause. Helau und Ufftä sind für ihn ein Stück Lebensqualität. Sauertöpfen schleudert er gern die Parole entgegen: Aus einem verzagten Arsch fährt kein fröhlicher Furz. Den landsmannschaftlichen Spezialitäten der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt wird sich Jurist Gerster, seit 1972 mit kurzer Unterbrechung für den Wahlkreis Mainz-Bingen im Bundestag und seit 1992 stellvertretender Vorsitzender der Bonner Unionsfraktion, nach der Bundestagswahl noch intensiver widmen als bisher. Denn Kohl hat seinem Weggefährten, der sich als innenpolitischer Laut-Sprecher der Fraktion mit zackigen Forderungen nach Asyl-Beschränkungen ( Schnelle Verfahren, schnell abschieben ) und nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern profiliert hat, eine wichtige Aufgabe zugedacht: Gardist Gerster, der eigentlich lieber weiter in Bonn Karriere machen würde, ist abkommandiert, das seit knapp drei Jahren von SPD-Chef Rudolf Scharping verwaltete Bundesland für die CDU zurückzuholen. Im Herbst will Gerster aus dem Bundestag ausscheiden und heftig daran arbeiten, den desolaten CDU- Landesverband bis zur Landtagswahl 1996 zu regenerieren. Sollte die CDU auch diese Wahl verlieren, soll der füllige Christdemokrat Oppositionsführer im Landtag werden. Nur drei Monate nach seinem Amtsantritt als Landesvorsitzender macht der neue CDU-Statthalter zunehmend Punkte. Als die Landeszentrale für Gesundheitsförderung kürzlich eine Aids-Aufklärungsbroschüre ( Let s talk about sex ) für Jugendliche herausbrachte, bediente Gerster prompt die Stammtischstrategen im Land. Weil in dem Heft offen über Sexualpraktiken berichtet wird und dabei auch Begriffe wie Arschficken auftauchen, startete Gerster eine Entrüstungskampagne mit bundesweiter Resonanz. Wortreich beklagte der Christdemokrat, der beim Bier gern lautstark Zoten erzählt, die Gossen- und Fäkalsprache und attackierte den verantwortlichen SPD-Sozialminister Ulrich Galle als Pornominister. Prompt gingen die leicht konservativen rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten in Deckung. In einem Brief an Mainzer Fastnachter Gerster: Bisse vom Terrier DER SPIEGEL 14/

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86 DEUTSCHLAND Landeschef Scharping, designierter Nachfolger Beck: Vasall ohne Visionen den Mainzer Bischof Karl Lehmann, der sich ebenfalls über die Broschüre beschwert hatte, versprach Ministerpräsident Scharping, die klerikale Kritik an die verantwortliche Behörde weiterzugeben, die diese Einwände dann beachten wird. Motiviert durch solche Stichel-Erfolge, setzt Gerster immer wieder nach. Der beißt wie ein Terrier, klagen SPD-Landtagsabgeordnete. Auch der designierte Scharping- Nachfolger Kurt Beck, 45, bärtiger Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, weiß, daß er seinen Herausforderer, ebenfalls Bartträger, nicht unterschätzen darf. Beck wird nach den Bundestagswahlen im Oktober Regierungschef in Mainz, weil Scharping auch bei einer Niederlage in Bonn bleiben will. Fraktionschef Beck, ein treuer Vasall des SPD-Bundesvorsitzenden, hat es bislang nicht geschafft, aus dem Schatten von Scharping herauszutreten. Wie sein politischer Freund, der ihn ohne große Debatte als Nachfolger installierte, ist Beck kein Mann großer Visionen. Er bevorzugt die tägliche Kleinarbeit, Auftritte im Rampenlicht sind ihm ein Greuel. Der Sozialdemokrat, gelernter Elektromechaniker, ist ein typischer Funktionär, der stolz auf Errungenschaften wie den Ausbau der Rechte von Personalvertretungen im Öffentlichen Dienst oder die Einführung des Bildungsurlaubs für Arbeitnehmer verweist. Politik betreibt er auch in der Freizeit als ehrenamtlicher Bürgermeister in seiner südpfälzischen Heimatgemeinde Steinfeld. Dem drögen SPD-Mann ist es bislang nicht gelungen, einen Vorsprung vor Gerster zu erzielen. Der Christdemokrat liegt laut Umfrageergebnissen im Duell der Bärte mit seinen persönlichen Werten fast gleichauf mit Beck. Noch im Herbst letzten Jahres hatten sich der damalige CDU-Landesvorsitzende Werner Langen, 44, und der frühere CDU-Fraktionschef Hans-Otto Wilhelm, 53, auf der Beliebtheitsskala meist als Minusmänner präsentiert. Zermürbende Grabenkämpfe zwischen dem einstigen Shooting-Star Wilhelm und Langen hatten die Stimmung in der Partei auf den Tiefpunkt gebracht. Vor zehn Jahren noch hatte Ministerpräsident Bernhard Vogel ( Gott schütze Rheinland-Pfalz ) mit absoluter Mehrheit in Mainz regiert begann der Niedergang. Die Union büßte knapp 7 Prozentpunkte ein, Vogel mußte mit der FDP koalieren. Im April 1991 schließlich rutschte die CDU unter die 40-Prozent-Marke, Scharping führte die SPD (44,8 Prozent) in eine sozialliberale Koalition. Gerster überspielt das Tief, in dem sich der CDU-Landesverband ungeachtet seiner persönlichen Popularität noch immer befindet, mit lauten Attacken gegen die Sozialdemokraten. Regierungschef Scharping, höhnt der CDU-Mann, werde maßlos überschätzt. Die SPD-geführte Landesregierung sei schon am Anfang so lahm wie wir nach 40 Jahren Regierungszeit. Gerster: Der Scharping läuft ja herum wie ein Gründungsvater der SPD. Da lachen selbst Sozialdemokraten. Von Bonner Genossen haben die Mainzer SPD-Strategen jedoch den Rat bekommen, den energischen Gerster, der letztes Jahr eine Lymphdrüsenkrebs-Erkrankung durchgestanden hat, nicht zu unterschätzen. Beck bemüht sich unterdessen um Popularität auf einem eher abseitigen 86 DER SPIEGEL 14/1994

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88 88 DER SPIEGEL 14/1994 DEUTSCHLAND Feld. Der Sozi präsentiert sich neuerdings Speichen, die sich die Gruppe der beiter Fussek von der Münchner Inte- landauf, landab als engagierter Schwerstbehinderten in den vergangegrationsförderung den Kassen vor. Was Tierschützer. Wo immer Demonstranten nen Jahren mühsam aufgebaut hat. Be- sich am Gerät sparen lasse, falle später gegen qualvolle Tiertransporte antroffen sind mehrere tausend Menschen, an Aufwand für isolierte und depressive treten, dürfen sie sich der Unterstützung die auch ihren Oberkörper kaum noch Menschen wieder an. Denn die absurde des künftigen SPD-Ministerpräsidenten bewegen können. Regelung entziehe nicht nur den gewiß sein. In der Bundesrepublik toben schon Hockeyspielern ihren einzigen Sport, es Solche Auftritte, hofft ein Beck- ein Dutzend elektrisch angetriebene bremse die Behinderten auch im täglichen Berater, kommen bei den Leuten besser Hockeymannschaften über das Feld. Sie Leben aus. an als Gersters Tiraden. nennen sich Speedy Wheelers (Nek- Für viele von ihnen zählt ein fixer Un- kargemünd) oder Tigers (Essen), tersatz zu den Herzenswünschen ein Torpedos (Ladenburg) oder Northern Traum, den Regisseur Ralf Huettner in Verkehr Bulls (Neubrandenburg). seinem Behinderten-Film Das Mäd- Trainer Kirtopoulos, selbst im Rollstuhl chen mit den Feuerzeugen in Szene und seit 16 Jahren begeisterter setzte. Als vier junge Rollstuhlfahrer in Spieler, sieht nun das Aus für seinen der Christnacht drei Wünsche frei haben, ist ihr allerwichtigster: schnellere Bulle, Tiger Sport: Wenn die Versicherer bei dem Tempolimit bleiben, können wir unsere Rollstühle. ganze Arbeit vergessen. Das Spiel lebt Hockeyfan Kirtopoulos, der als Industriekaufmann bei einer Reha-Firma ar- und Torpedo davon, daß es rasant ist. Lust am Sport und Lebenshilfe für beitet, rechnet vor: Bisher brauche ich Die Krankenkassen haben die Versicherer, vertreten durch die Innungskrankenkassen mit meinem schnellen Rollstuhl 12 Mi- (IKK), sind das ofnuten zur Arbeit, mit sechs Stundenki- ausgerechnet den Rollstuhlfahrern fenbar keine Argumente. Sie kalkulieren trocken: Ein heißer Rollstuhl kostet ten. Vor allem im Winter, wenn unsere lometern wären es mindestes 22 Minu- ein Tempolimit verordnet. etwa um 800 Mark mehr als ein einfacher Muskeln sowieso schon viel schneller bei Durchschnittspreisen für kalt werden, ist das total blöd. ls Claus Fussek, Leiter der Münchner Behinderten-Integrationsför- Rollstühle von 8000 bis Mark. Für die Sommersaison sieht Kirtopoulos bereits schwarz: Konnte er bisher auf Aderung, das letztemal ein Spiel der Natürlich verschleißen die Batterien Munich Animals sah, schrie er sich auch schneller, und die Räder nutzen der Fahrt zum Biergarten in seinem vor Begeisterung total heiser. Der sich stärker ab, verteidigt Kurt Freigang Rollstuhl mit nichtbehinderten Freun- Trainer der Hockeymannschaft, Wassilios von der IKK das Tempolimit. den auf dem Rad mithalten, sieht er sich Kirtopoulos, trieb die zehn Jungen Er spricht nicht etwa von tiefergelegten, demnächst lahm hinterherrollen. und Mädchen zu Höchstleistungen an aufgemotzten Roadrunnern mit Und auch auf bescheidenen Lustge- in ihren elektrischen Rollstühlen flitzten Spoiler und Rennreifen, sondern von einer winn wird der 28jährige verzichten müs- sie durch die Halle, stellten den Ball und minimalen Mehr-Geschwindigkeit sen. Denn dieses Gefühl, wenn du schlugen gewagte Flanken. von gerade einmal vier Stundenkilometern. nach einem langen Tag in den Engli- Lauter Schwerstbehinderte im Rollstuhl, Denn statt der erlaubten sechs schen Garten fährst und dir sagst: Jetzt zum Teil mit Atemgerät da Stundenkilometer brauchen die Sportler möchte ich mal den Wind im Gesicht könnte man meinen, das ist das geballte zehn für die Versicherung immerhin spüren, so richtig sausen auch das sei Elend, sagt Sozialarbeiter Fussek. prozentual ein hoher Wert. Eine aus der Sicht der Versicherer natürlich Aber wenn die Leute zu spielen anfangen, Milchmädchenrechnung, hält Sozialar- kein allgemeines Grundbedürfnis. vergißt man die Be- hinderung. Das sind keine armen Krüppel, das sind Leistungssportler. Die geben ihr Letztes. Doch das ist offenbar zuviel. Die Gesetzlichen Krankenkassen haben den rasenden Rollern ein Tempolimit verpaßt. Rollstühle, die schneller als sechs Kilometer in der Stunde fahren und teurer sind als die Normalmodelle, werden von den Versicherern nicht mehr bezahlt. Ein schnelles Fortbewegen, so die Begründung, dient nicht der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses. Damit treffen die Kassen nicht nur die Münchner Animals. Sie greifen einer ganzen Sportdisziplin in die Hockeyspieler von den Munich Animals : Wind im Gesicht

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92 SPIEGEL-ESSAY Republik der Betroffenen RAFAEL SELIGMANN ch bin betroffen, meinte Oberinspektor Derrick einst, als er von der Ermordung eines Kollegen erfuhr. Als Iausländische Kinder in Deutschland verbrannt wurden, waren Politiker und Bevölkerung ebenfalls betroffen. Betroffen verlassen Zehntausende deutsche Zuschauer den Spielberg-Film Schindlers Liste. Als die Lübecker Synagoge brannte, reagierten zahlreiche Bürger wiederum betroffen. Die ganze Stadt sollte fünf Minuten den Atem anhalten. Was aber geschieht nach dem unvermeidlichen Ausatmen? Derrick macht in der folgenden halben Stunde den Mörder dingfest. Auch die Täter von Mölln wurden rasch gefaßt, und es ist anzunehmen, daß die Brandstifter von Lübeck ebenfalls gefunden werden. Ändern wird sich dennoch wenig. Deutschland wird die Republik der Betroffenen bleiben. Betroffenheit ist ein unmißverständliches Symptom der Verdrängung und artikulierte Betroffenheit ebenso sinn- und folgenlos wie das Knarren einer Tür. Sie ist schieres Geschwätz. In Deutschland schwafelt man lieber über Moral, statt sie zu praktizieren. Die schwatzhafte deutsche Betroffenheit hat Ursache und Namen: Auschwitz, das Trauma deutscher Moral. Danach über Moral zu reden, Betroffenheit zur Schau zu stellen war und ist allemal bequemer, als eine moralische Neuorientierung zu versuchen, die erneuten Hitlerismus verhindert. Die Folge ist eine Republik der Phrasendrescher. Eines der dümmsten und daher meistgebrauchten Schlagworte lautet die Bewältigung der Vergangenheit. Vergangenheitsbewältigung ist eine Droge. Sie suggeriert, Geschehenes ungeschehen machen zu können, bleibt daher beschränkt auf Theorie und Festreden besonders beliebt zu einer sogenannten Woche der Brüderlichkeit. Wer fragt, wo die Brüderlichkeit in den restlichen 51 Wochen geblieben ist? Und wer, wie es um die Bewältigung der Gegenwart oder der Zukunft bestellt ist? Hier wäre Bewältigung eher möglich und notwendig. Eine andere gebräuchliche Phrase heißt Kollektivscham über ebenjene unbewältigte Vergangenheit. Was hat Scham zur Folge? Das gleiche wie Betroffenheit, nämlich nichts. Ein Kind schämt sich, weil es in die Hosen gemacht hat. Am nächsten Tag wird es wieder in die Hosen machen und sich erneut schämen. Bezeichnenderweise lautete nach dem Lübecker Synagogen-Anschlag, als betroffene Deutsche sich gar den Davidstern anhefteten, die Schlagzeile eines großen Hamburger Blattes: Deutschland schämt sich. Ein ästhetisches Symbol der neudeutschen Betroffenheitskultur ist die Menora, der siebenarmige jüdische Leuchter. Wo früher in deutschen Wohnzimmern der Hirsch an der Wand röhrte oder der Gartenzwerg vor dem Haus treu und fest stand, leuchten heute Kerzen vom Hebräerleuchter. So drückt man seine Verbundenheit mit den Juden aus und holt sich zugleich einen Schuß grausige Exotik ins Haus merke: Auschwitz ist nicht vergessen, nur verdrängt. Daß sinnlose Betroffenheit mit Verantwortungslosigkeit einhergeht, ist belegt. Laut SPIEGEL-Umfrage halten knapp drei Viertel der deutschen Bevölkerung Berichte über Konzentrationslager und Judenverfolgung für wahr (in den neuen Bundesländern 86 Prozent). Die Auschwitz-Lüge hat in Deutschland also keine Chance. Das Wissen um die Schoah läßt die relative Mehrheit der Deutschen jedoch in folgenloser Betroffenheit verharren. 42 Prozent der Bevölkerung lehnen Verantwortung gegenüber den Juden ab. Nur ein Drittel der erwachsenen Deutschen zeigt sich zumindest verbal dazu bereit. Die zur Betroffenheit stilisierte Verdrängung von Auschwitz wird in einer Emnid-Umfrage deutlich, nach der 32 Prozent der deutschen Bevölkerung meinen, die Juden sind mitschuldig, wenn sie gehaßt und verfolgt werden. ie Rationalisierung der Verantwortungslosigkeit geht weiter. In der zitierten Umfrage erklärten 39 Prozent Dder Befragten, daß die Juden den Holocaust für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Wer denkt da nicht an saftige Wiedergutmachungsgelder? Die Wiedergutmachung ist ebenfalls eine Leerformel aus dem Wörterbuch des deutschen Betroffenheitsgeschwätzes. Welches Unrecht wurde wiedergut-gemacht? Dabei scheint die Überzeugung vieler Deutscher von der Holocaust-Ausbeutung der Juden vordergründig sogar zuzutreffen: Ich hatte einst die Tatsache, daß ich Jude bin, vergöttert, spottet der jüdisch-französische Philosoph Alain Finkielkraut. Die Entzückung entsprang bei dem erklärten Atheisten Finkielkraut nicht der Religion, sein jüdischer Auserwähltheitsanspruch rührt vielmehr aus der jüngsten Vergangenheit: Der ewige Jude, das bin ich. Der kahlgeschorene Häftling auf dem Weg in die Gaskammer, der geschundene und ins Ghetto Gepferchte, der kleine Warschauer Junge, der den deutschen Maschinenpistolen entgegentritt mit unglaublich ernstem und würdigem Blick, das alles bin ich. Und weil ihm die Selbstqual soviel Lust verschafft, beschränkt sich Finkielkraut 92 DER SPIEGEL 14/1994

93 nicht auf die Schoah. Er funktioniert vielmehr die gesamte jüdische Vergangenheit zur Leidensgeschichte und sich selbst zum universellen Opfer um: Ich, der in den Folterkammern der Inquisition Gequälte, ich, der blutüberströmte Rabbiner nach einem Pogrom, ich, der auf die Teufelsinsel verbannte Hauptmann Dreyfus. Was bewegt Finkielkraut und mit ihm wohl die Mehrheit der heutigen Juden, sich zum Opfer zu stilisieren? Die Gründe sind teilweise identisch mit denen der deutschen Betroffenheitsakrobaten. Hier wie dort ist es Verdrängung. Die entscheidende Quelle des Judentums war seit jeher die Religion. Mehr als reiner Glaube gab sie ihm den verbindlichen Leitfaden für den Alltag. Die Loslösung von der Religion der Väter wurde erst im Zeichen der rechtlichen Gleichstellung möglich, ein Prozeß, der für die Mehrheit der Juden im Verlaufe des letzten Jahrhunderts stattfand. Die deutschen Juden erlangten die formale Gleichberechtigung bereits 1871, Millionen arabischer und osteuropäischer Juden aber erst seit ihrer Auswanderung nach Israel oder in die Vereinigten Staaten im Gefolge des Zweiten Weltkriegs. Seither nimmt der Einfluß der Religion im Judentum in ähnlichem Maße ab wie die Macht der Kirche in den westlichen Gesellschaften. Die weltliche Heilsbotschaft der Juden, der Zionismus, hat seit ihrer Verwirklichung, also der Errichtung des Staates Israel im Jahre 1948, zwangsläufig ebenfalls an Faszination eingebüßt. Israels Existenz ist heute gesichert. An die Stelle des herbeigesehnten, idealen Judenstaates ist die Realität eines Landes im permanenten Kriegszustand und seit einem Vierteljahrhundert die einer Besatzungsmacht getreten. Die Mehrheit der Juden ist ihrem Judentum trotz des Verlustes ihrer spirituellen und säkular-zionistischen Identität treu geblieben. Nur, was bedeutet ein Judentum ohne weltlichen und religiösen Glauben? Eine leere Hülse. Sie wurde und wird gefüllt durch eine Holocaust-Identität. Dafür gibt es einen psychologischen und einen politischen Grund. Die meisten europäischen Juden waren von der Schoah berührt, kaum eine Familie blieb ohne Opfer. Die ehemaligen KZ-Häftlinge werden bis an ihr Lebensende die Angst vor den Häschern nicht überwinden und haben ihre Kinder entsprechend erzogen. Sie pflanzten ihnen das Opfer-Trauma ein, hegten und pflegten es. Uns wurden als Kinder keine Märchen erzählt. Statt dessen hörten wir ständig von den Schrekkenserlebnissen, die unsere Eltern im Konzentrationslager bestehen mußten, berichtet der Journalist Leibl Rosenberg. Die Eltern begnügten sich nicht mit realen Horrorgeschichten. Die meisten setzten ihre Kinder unter psychischen Druck. Machten sie zu Opfern der Opfer. ieß ich mir zum... Entsetzen meiner Eltern die Haare bis zur Hüfte wachsen, sagten sie: Dafür haben wir Lüberlebt! Ging ich mit Mädchen um, die ihnen nicht gefielen, und das waren fast alle, sagten sie: Dafür haben wir überlebt! Sie hatten nur meinetwegen überlebt, um mich in die Welt zu setzen. Und wie dankte ich es ihnen? Ich quälte sie; meinetwegen mußten sie sich fragen, ob es nicht doch besser gewesen wäre, wenn sie Auschwitz nicht überlebt hätten. Ich empfand Wut auf meine Eltern und Haß auf mich selbst, erinnert sich Henryk M. Broder. An die Stelle der Überlebenden, die zwangsläufig ihre Ängste auf die Nachkommen übertrugen, traten im Laufe der Jahre die Holocaust-Profis. Am 19. August 1953 beschloß das israelische Parlament die Errichtung von Jad Waschem. Die Übersetzung macht die Intention deutlich: Mahnmal und Name. Zweck der Einrichtung Reduzierung des Judentums auf eine Trauer- und Leidensgemeinschaft sollte unter anderem sein, den Gedenktag für den Kampf des jüdischen Volkes in Israel und im Bewußtsein des ganzen jüdischen Volkes als nationalen Trauertag zu verwurzeln. So geriet die Erinnerung an die Toten von einer Privatangelegenheit des Individuums zum Staatszweck. Fortan wurden alle israelischen Schüler und Soldaten nach Jad Waschem beordert, ebenso ausländische Staatsgäste, Sportler, einschließlich der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Feuerwehrkapellen und so fort. Die internationale Aufmerksamkeit für Jad Waschem sowie das weltweite Echo auf die TV-Serie Holocaust veranlaßten seit den siebziger Jahren amerikanische Experten, Anschluß an den Schoah-Boom zu suchen. So entstanden nach und nach in wichtigen US-Metropolen Holocaust-Gedenkstätten. Eine der größten ist das Simon Wiesenthal Center for Holocaust Studies in Los Angeles. Der Name rührt nicht von ungefähr. er Nazi-Jäger Wiesenthal hat sich in den letzten Jahren verstärkt dem Holocaust-Gedenken zugewandt, vor Dallem in seinem Buch Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens. Damit steuert der greise Wiesenthal eine Art geistige Endlösung an: die Reduzierung des Judentums auf eine immerwährende Trauer- und Leidensgemeinschaft. Der Direktor des Simon Wiesenthal Center, Rabbi Marvin Hier, ist der bedeutendste Marktschreier unter den Holocaust- Ideologen. Offen verkündet er sein Credo: Für uns hier ist jede Nacht Kristallnacht. Das Scharnier zwischen Holocaust-Überlebenden und Schoah-Interessierten sollen nach dem Willen von Menachem Rosensaft die Kinder der Davongekommenen bilden. Folgerichtig gründete er das Internationale Netzwerk von Kindern jüdischer Holocaust- Überlebender. Rosensaft bezeichnet die Schoah als Quelle der Stärke und einer einzigartigen Identität. So tritt der Völkermord an die Stelle des religiösen Auserwähltheitsanspruchs, löst Adolf Hitler Gott als Schöpfer jüdischen Seins ab. Nach dem Völkermord der Nazis ist das Judentum am Ende dieses Jahrhunderts in eine nicht minder große, diesmal geistige Gefahr geraten. Nur die gegenwärtige Bedrohung kommt aus den eigenen Reihen. Es ist die Versuchung, das Judentum von seiner Religion, Geschichte und Kultur abzukoppeln, es zur Gemeinschaft der Opfer zu minimieren. Die Identifizierung der Juden mit dem Holocaust aber wäre der endgültige Triumph Hitlers. Die entscheidende Ursache der jüdischen Identitätskrise hat ein deutsches Pendant: die Verdrängung. Juden und Deutsche versuchen, ihre Angst zu übertünchen, die aus der Vergangenheit herrührt und sich in der gleichen Figur überschneidet: Adolf Hitler. Die einen flüchten sich in folgenlose Betroffenheit, die anderen schwelgen in ihrem Schmerz. Dabei drücken sich Juden und Deutsche vor entscheidenden Zukunftsfragen: Welchen Sinn macht Judentum nach dem Verlust Gottes? Er wäre den meisten Israeliten, unabhängig von Auschwitz, ohnehin verlorengegangen. Wie läßt sich die Herausforderung eines wiedervereinigten Deutschlands in einer aus den Fugen geratenen Welt meistern? Beschäftigung mit der Vergangenheit ist notwendig für Deutsche, Juden und andere. Nicht um Geschichte zu bewältigen, sondern um von ihren Lehren für die Gestaltung der Zukunft zu profitieren. Die lähmende Angst aus der Vergangenheit muß überwunden werden. Statt folgenloser Betroffenheit sind Vernunft und Moral gefragt. Dringend. Seligmann, 1947 in Israel geboren, kam 1957 mit seinen Eltern nach Deutschland; er lebt als Autor in München. DER SPIEGEL 14/

94 DEUTSCHLAND Zeitgeschichte Er hatte so gütige Augen SPIEGEL-Reporter Erich Wiedemann über den SS-Mann und Judenretter Alfons Zündler ündler hatte keine Liste. Er half spontan und planlos, wo es sich er- Zgab. Von 1942 bis 1943 rettete er mehrere hundert niederländische Juden vor dem sicheren Tod in der Gaskammer. Alfons Zündler war ein guter Mensch, aber er war unorganisiert und naiv, sagt die jüdische Rentnerin Carla Kaplan-Gobitz aus Amsterdam. So naiv, wie einer sein muß, der über ein Jahr lang fast täglich sein Leben riskiert. Auch Carla Kaplan-Gobitz verdankt Ex-SS-Unterscharführer Alfons Zündler ihr Leben. Bei einem Besuch in München hat sie ihn neulich nach 50 Jahren wiedergesehen. Sie sagt, sie habe ihn gleich an den Augen erkannt. Er hatte schon damals so gütige Augen. Für seine Verdienste um die Menschlichkeit soll Alfons Zündler aus Danzig die Jad-Waschem-Medaille erhalten, die höchste jüdische Auszeichnung, die an Nichtjuden vergeben wird. Dagegen machen orthodoxe niederländische Juden Front. Daß ein SS-Mann einen jüdischen Orden kriegen soll, finden sie volkspädagogisch bedenklich. Sie fürchten auch die provokante Symbolik. Die Ex-SS-Mann Zündler*: Er soll wissen, daß sich gute Taten lohnen Holocaust-Medaille dürfe nicht neben dem Eisernen Kreuz hängen, sagt Regisseur Willy Lindwer vom Komitee Keine Jad-Waschem-Ehren für SS- Mann. Doch Zündler hatte gar kein Eisernes Kreuz. Er war inbrünstiger Nazi-Gegner und deshalb nicht mal Parteimitglied. Die Einheit, in der er als Polizist diente, war nach der Eingliederung Danzigs ins Großdeutsche Reich durch Befehl des Reichsführers SS in die SS-Polizeidivision übernommen worden. Zündler wurde daher auch am 21. April 1948 von der Spruchkammer München III als unbelastet eingestuft. Der Teil der Vita von Alfons Zündler, der hier zur Debatte steht, endet mit einem Todesurteil wegen Judenbegünstigung. Immerhin, er hatte über ein Jahr lang Sand ins Getriebe der Holocaust-Maschine geworfen, bevor sie ihn erwischten. Später wurde er zu zehn Jahren Zuchthaus begnadigt. War er ein guter Deutscher? Nein, meint Lindwer, er war Teil der Nazi-Maschinerie, die in den Niederlanden Juden umgebracht hat. Am Ende würden die Leute noch denken, es sei doch alles halb so schlimm gewesen. SS oder nicht auf den Menschen komme es an, sagt Carla Kaplan-Gobitz. Ohne ihn wären wir im Holocaust umgekommen. Er soll wissen, daß sich gute Taten lohnen. Carla Gobitz wurde an einem Abend des Spätsommers 1942 mit ihrer Mutter und den drei Geschwistern Hennie, Chellie und Jaap in ihrem Reihenhaus in der Vegastraat von Alfons Zündler und zwei holländischen Hilfspolizisten ver- Sammellager Hollandsche Schouwburg (1942): Wer nicht registriert war, war nicht da * Vor einem Zündler-Porträt nach einem Foto aus den vierziger Jahren. 94 DER SPIEGEL 14/1994

95 haftet. Die Holländer waren Angehörige der zwarte politie, jener Truppe von Kollaborateuren, die den Nazis als Spürhunde bei der Judenjagd zur Hand gingen und die wesentliche Mitverantwortung dafür tragen, daß Adolf Eichmanns Judenjäger in den Niederlanden erfolgreicher waren als anderswo im besetzten Europa. Der Vater kam gerade in dem Moment nach Hause, als die Schwarzen oben die Wohnung plünderten. Im Hof fing Zündler ihn ab. Er riß Gobitz die Jacke mit dem Judenstern vom Leib, stopfte sie in eine Abfalltonne und drängte ihn laut schimpfend aus der Tür. Hauen Sie ab, wir brauchen hier keine Christengaffer. Mutter und Kinder wurden gemeinsam mit zwei Dutzend ebenfalls festgenommenen Juden zur Hollandsche Schouwburg gebracht, einem ehemaligen Theater, das als Sammelstelle diente Juden haben 1942 und 1943 auf den Klappstühlen in der Schouwburg eine oder zwei Nächte zugebracht, bevor sie ins Durchgangslager (Dulag) Westerbork und von dort weiter nach Osten verschubt wurden. Draußen vor der Schouwburg mußten die Häftlinge zur Selektion antreten. Die Erwachsenen und Jugendlichen kamen in den Theatersaal, die Kinder in eine Kinderkrippe gegenüber. Carla Gobitz war damals elf. Nach 50 Jahren sind ihre Detailerinnerungen weitgehend verschüttet. Aber die drei Dutzend Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren, die wimmernd auf dem Fußboden lagen und nach ihren Müttern schrien, hat sie nie vergessen. Carla Gobitz und ihre Geschwister verbrachten einen Tag und zwei Nächte in der Kinderkrippe. Dann scheuchte Zündler sie einfach weg. Er hatte die gelbe Ledertasche mit den Ausweispapieren verschwinden lassen, die Mutter Gobitz mitgebracht hatte. Ohne Papiere wurde in der Schouwburg niemand registriert. Und wer nicht registriert war, der war noch nicht da und konnte mithin auch verschwinden, ohne aufzufallen. Weil Alfons Zündler das Haus in der Vegastraat als judenfrei gemeldet hatte, konnte Familie Gobitz dort bis Kriegsende ziemlich unbehelligt wohnen. Mit ihr neun jüdische Flüchtlinge, die der SS und ihren holländischen Greifern entgangen waren. Ich war bei dem nettesten SS-Mann, den es gibt, schrieb die Frankfurter Jüdin Cilly Peiser-Levitus in ihr Tagebuch, nachdem Zündler auf ihr Bitten ihre Schwester vor der Deportation bewahrt hatte. Doch dafür soll er nicht geehrt werden. Ehre verdient er für den Nachweis, daß Befehlsnotstände selbst in unmenschlichen Zeiten nie- DER SPIEGEL 14/

96 Zündler-Lobbyistin Gobitz Ohne ihn wären wir umgekommen manden daran hindern mußten, im Rahmen der Möglichkeiten menschlich zu bleiben, wenn er dazu entschlossen war. Dazu mußte man offenbar kein Held sein. Zündler blickte im entscheidenden Augenblick einfach mal weg. Oder er verzählte sich absichtlich, wenn Sammeltransporte nach Westerbork zusammengestellt wurden. Wenn wir Menschen aus der Schouwburg schmuggelten, trat er einfach einen Schritt zur Seite, sagt Sam de Hond, einer der Aktiven aus dem jüdischen Widerstand. Das Anti-Komitee macht Zündler den Vorwurf, er sei nicht zu allen gleich nett gewesen. Hübsche junge Frauen seien von ihm bevorzugt worden. Sicher ist nur: Er war trotz schwerer Kriegsverwundungen ein lebenslustiger Bursche. Er hatte auch Affären mit jüdischen Mädchen. Aber es gibt kein Indiz dafür, daß er Freiheit gegen Sex verkaufte, wie seine Gegner behaupten. SD-Chef Willy Lages, der später wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt wurde, hat 1945 nach seiner Inhaftierung erklärt, er habe seinerzeit einen gewissen Zindler (mit i ) und zwei weitere SS-Männer wegen Vergewaltigung zum Nachteil einer Jüdin vor Gericht stellen lassen. In Zündlers Personalakte steht davon nichts. Die Vermutung ist zulässig, daß Lages den Fall erfunden hat, um aufzuzeigen, wie sehr er um das Wohl der jüdischen Menschen besorgt war, die er einfangen ließ, um sie in die Gaskammer zu schicken. Im Sommer 1942 mußte sich Zündler vor einem SS-Gericht verantworten, nachdem ein jüdischer Lagerinsasse ihn angeschwärzt hatte. Er wurde jedoch freigesprochen, weil ihm nichts nachzuweisen war. Aber seitdem stand er unter Observation. Im Mai 1943 griff der SD 96 DER SPIEGEL 14/1994

97 eine jüdische Familie auf, die kurz zuvor aus der Schouwburg geflüchtet war. Sie gestand, daß Zündler sie hatte entwischen lassen. Nur weil er Kriegsversehrter war, kam Zündler gnadenweise nach Dachau. Er überlebte, weil er sich kurz vor Kriegsende zum Strafbataillon Dirlewanger nach Prag meldete. Alfons Zündler lebt heute mit seiner Ehefrau Thea in einer Dreizimmerwohnung in München-Haidhausen. Über dem Sofa im Wohnzimmer hängt ein Ölporträt, das seine Frau nach einem Foto aus dem Jahre 1942 von ihm hat malen lassen. Es zeigt einen großen, gutaussehenden Mann in Uniform. Man könne doch wohl verstehen, warum die Mädchen in Amsterdam, auch die jüdischen Mädchen, hinter ihm her waren, sagt Frau Thea. Man kann ihr ansehen, daß sie stolz darauf ist. Zündler schweigt dazu. Seine Lunge ist kaputt. Ein Granatsplitter, der operativ nicht mehr entfernt werden kann, hat aus seiner rechten Herzkammer einen Schwamm gemacht. Er bringt nie mehr als zwei Sätze nacheinander heraus. Mehr Kraft hat seine Lunge nicht. Warum er damals sein Leben riskiert hat? Es waren arme Menschen. Die Leute taten mir so leid, vor allem die Kinder. Daß er sie vor dem Transport nach Auschwitz rettete, das hat er bis zum Schluß nicht mal gewußt. Ja, er freut sich über die späte Ehrung und über die Freunde in den Niederlanden, von denen er nichts wußte. Er würde gern die Einladungen annehmen, die ihm jüdische Familien in Holland übermittelt haben. Aber die Gesundheit läßt das nicht zu. Er schafft ja nicht mal mehr die paar hundert Meter bis zum Park in den Isarauen. Neulich hat der jüdische Physiker Hajo Meyer, der selbst in Auschwitz interniert war, ihn angerufen, um ihm zu sagen, daß er sich für seine Glaubensbrüder schäme. Meyer warf dem Anti-Komitee wörtlich SS-Denkweise vor: Einmal Jude, immer Jude einmal SS-Mann, immer SS-Mann. Jo Michman, Mitglied der Jad-Waschem-Kommission, hält die Reaktion der Anti-Zündler-Aktivisten für Wahnsinn. Trotzdem ist jetzt nicht mehr sicher, daß die Kommission zu ihrer Entscheidung steht und Alfons Zündler die zuerkannte Medaille auch wirklich aushändigt. Deshalb haben seine jüdischen Freunde an seinem 75. Geburtstag in Jerusalem 75 Bäume gepflanzt deutsche Eichen. DEUTSCHLAND Ministerpräsidenten Schlimmer Sumpf Knapp ein Jahr vor der Landtagswahl arbeiten hessische Genossen an einem Szenario zum Sturz ihres Ministerpräsidenten Eichel. Sozialdemokraten Jordan, Eichel: Ablösung am Tag der Wahl? ie Mimik des hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel, 52, ver- Drät stets den jeweiligen Seelenzustand des Sozialdemokraten. Ist er beleidigt, wächst ihm sofort ein Schmollmund, und wenn er um eine Formulierung ringt, spitzt er die Lippen wie zum Kuß. Wähnt er sich aber, wie so häufig in letzter Zeit, zu Unrecht schlecht beurteilt, sinken seine Mundwinkel tief nach unten. Die Mundwinkel zog Eichel auch herab, als sich im Februar sein neuer Regierungssprecher vorstellte. Denn statt ein Loblied auf Eichel zu singen, wie es der Chef erwartete, gab der gelernte TV- Journalist Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, ungewollt, erst einmal Abträgliches von sich: Auch aus diesem Ministerpräsidenten könne man noch etwas machen. Damit muß sich Staatssekretär Schmidt-Deguelle allerdings beeilen. Denn weniger als ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl droht dem Regierungschef Unbill: Das Szenario für den Sturz Eichels, aufgehängt an dem zu erwartenden schlechten SPD-Ergebnis bei der Europawahl im Juni, ist längst entwickelt. Viele Genossen glauben nicht mehr daran, mit dem Spitzenmann auch die nächste Landtagswahl bestehen zu können. Weder in seinem Stammland noch in der Runde der Ministerpräsidenten hat der farblose Eichel in drei Jahren Amtszeit an Statur gewonnen. Und als im vergangenen Jahr die SPD-Spitze neu besetzt wurde, war Eichel der einzige SPD-Regierungschef, der nie als Kandidat für ein Spitzenamt auf Bundesebene genannt wurde. Jeder andere, bringt es ein Frankfurter Parteifunktionär auf den Punkt, ist besser als Eichel. Offiziell herrscht tiefer Frieden unter den hessischen Genossen. Wer das ändern wolle, störe den Betriebsfrieden, meint Armin Clauss, Fraktionschef im Landtag und einst selber scharfer Eichel-Kritiker ( Der labert ). Aber ahnungsvoll räumt Clauss ein: Offenbar zündeln da welche. Dabei weiß in den Spitzenetagen der Hessen-SPD jeder, wer derzeit an der Lunte fummelt: Eichels Superminister Jörg Jordan, 54, im Kabinett zuständig für Landesentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz. Jordan selbst will notfalls den Ministerpräsidenten ablösen. Von dem Altstalinisten, wie Parteifreunde ihn wegen seiner stramm linken Vergangenheit nennen, stammt denn auch der Plan, wie der affärengebeutelte Ministerpräsident abgelöst werden kann. Verliert die Hessen-SPD, wie Jordans Mitstreiter erwarten, bei der Europawahl bis zu drei Prozent mehr Stimmen als die Genossen in anderen Bundeslän- DER SPIEGEL 14/

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100 DEUTSCHLAND dern, soll das Putsch-Szenario greifen. Im Fall signifikanter Unterschiede, droht der Jordan-Flügel, entstehe die neue Lage. Dann sehen die Pläne rasches Handeln vor: Eichel wird zum Rücktritt gedrängt, ein neuer Ministerpräsident präsentiert, vorzugsweise Jordan. Bekommt der nicht alle Stimmen der Koalition, womit Jordans Mitarbeiter wegen dessen linker Position realistischerweise rechnen, wird der Landtag aufgelöst: Das, wissen die Genossen, ist in Hessen, wo schon die absolute Mehrheit aller Landtagsmitglieder für einen solchen Schritt ausreicht, einfacher als anderswo. Über das nötige Durchsetzungsvermögen für den Putsch-Plan verfügt der Verwaltungsjurist seit seiner wilden Juso- Zeit, als er auch nicht davor zurückschreckte, sich mit der Unionsjugend zu prügeln was ihm vor 20 Jahren bei der CDU den Beinamen mieser Schläger einbrachte. Schon Anfang Januar, ganz zu Beginn der hessischen Lotto-Affäre um Genossenfilz und -luxuseinkommen, hatte Jordan sich nach vorn gedrängt und beim Regierungschef personelle Konsequenzen gefordert. Doch Eichel ( Wir stecken in einem schlimmen Sumpf ) zögerte lange; er stand deshalb Ende Januar selbst vor dem Sturz (SPIEGEL 4/1994). Die Südhessen-Genossen waren für einen Wechsel an der Spitze und setzten auf ihren Jordan, Eichels Landsleute aus Nordhessen sprachen dagegen. Am Ende rettete den Ministerpräsidenten nur die Angst vor Abweichlern: Hätte nur ein einziger Abgeordneter der rot-grünen Koalition bei der Neuwahl des Regierungschefs nicht mitgezogen, wäre die absolute Mehrheit dahin gewesen. Eine kleine Kabinettsumbildung sollte Ruhe bringen: Der bisherige sozialdemokratische Fraktionschef Lothar Klemm rückte in die Minister-Riege auf. Doch das Erscheinungsbild der Regierung hat sich dadurch nicht nachhaltig geändert Eichel bleibt eben Eichel, wie ein Ministeriumssprecher feststellt. Jordan stellte seine eigenen Machtpläne nur für kurze Zeit hintan. Mittlerweile konstatieren seine Mitstreiter im Ministerium bereits wieder, die Bewegungsfreiheit der Regierung habe trotz des Revirements nicht zugenommen. Kommt es nach der Europawahl zur Krise, begänne unter Zeitdruck der innerparteiliche Wahlkampf um die Spitzenkandidatur. Dabei müßte Jordan dann allerdings auch mit seinem innerparteilichen Konkurrenten Klemm rechnen. Als denkbaren Neuwahl-Termin für Hessen nannte Jordan intern schon einen Oktober-Sonntag den Tag der Bundestagswahl. Das wäre dann der 20. Urnengang im Superwahljahr. 100 DER SPIEGEL 14/1994

101 WIRTSCHAFT T R E N D S Computerspiele Sternenkrieg am Rechner Der Hollywood-Regisseur George Lucas ( Krieg der Sterne, American Graffiti ) recycelt seine Kinomythen erfolgreich für den Personalcomputer. Seit November 1993 hat seine Firma Lucas Arts Entertainment weltweit mehr als Kopien des Computerspiels Rebel Assault verkauft. Die Handlung orientiert sich am Kinovorbild: Die Spieler müssen an der Seite der Filmhelden die dunkle Seite der Macht bekämpfen und das Universum retten. Originalszenen aus der Filmreihe Krieg der Sterne, der Kino-Soundtrack von John Williams und fotorealistische Grafiken begeistern die Fans. Diese umfangreichen Multimedia-Effekte sind möglich, weil das Programm Computerspiel Rebel Assault nur auf dem Datenträger CD-Rom, nicht auf Diskette verkauft wird. Ein Team von 27 Programmierern und Grafikern hat über ein Jahr an der Herstellung gearbeitet. Das Science-fiction-Spiel von George Lucas ist, so der Großhändler Softgold, das erfolgreichste CD-Rom-Produkt in Deutschland. Eine Fortsetzung der Rebel Assault -Abenteuer ist für dieses Jahr nicht mehr geplant. Greenpeace-Protest vor dem Bonner Umweltministerium (1990) Umweltschutz Ozonkiller wird importiert Chemiefirmen wie Hoechst und Solvay fühlen sich von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) verraten. Sie hatten auf Töpfers Druck einen früheren FCKW-Ausstieg akzeptiert und viel Geld in die Entwicklung von ozonfreundlichen Ersatzstoffen investiert. Nun müssen sie feststellen, daß Kühlgaslieferanten wietega und Gerling sowie Laborlieferanten wie Fluka und Merck wieder den Ozonkiller FCKW einsetzen wollen, diesmal aus Drittländern importiert. Töpfer hatte angekündigt, daß schon Mitte 1994 alle deutschen Chemiefirmen auf FCKW verzichten. Doch als die Kommission der Europäischen Union im Februar dielegalen Importmengen vonfckw ineuropäische Länder drastisch erhöhte und damit den FCKW-Ausstieg durchkreuzte, stimmten die Deutschen zu. Der Markt für FCKW-Ersatzstoffe sei kaputt, klagen nun Chemiemanager. Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit der deutschen Umweltpolitik, so die Firma Solvay, seien zerstört. Automobilindustrie Neue Jobs in Detroit Die US-Automobilindustrie hofft nach langer Durststrekke wieder auf gigantische Gewinne. Marktbeobachter gehen davon aus, daß Branchenführer General Motors (GM) in den ersten drei Monaten einen Gewinn von mindestens 1,6 Milliarden Dollar verbuchte. Für Ford erwarten die Experten einen Überschuß von wenigstens 863 Millionen und für Chrysler von 761 Millionen Dollar. Die drei Hersteller hatten in der Krise Fabriken geschlossen, Arbeitsplätze gestrichen und ihre Produktion durchrationalisiert. Nachdem die Autokonjunktur in den USA anzieht, profitieren sie von ihrer neuen Wettbewerbsstärke. GM, Ford und Chrysler wollen nun zusätzliche Arbeitskräfte einstellen. Immobilien Der Alpen-Blick ist teuer Nicht in München ist das Wohnen am teuersten, sondern eine Autostunde weiter: in Rottach-Egern und der Region um den Tegernsee. Nach einer Erhebung des bayerischen Maklerverbands kostet dort ein freistehendes Einfamilienhaus im Schnitt knapp 1,9 Millionen Mark; ein vergleichbares Haus in München ist fast Mark billiger. Auch in anderen Alpenorten wie etwa Garmisch-Partenkirchen sind die Immobilien teurer als in München. Manufakturen Rosenthal-Filiale Rosenthal braucht Messer und Gabel Der bayerische Porzellanhersteller Rosenthal will künftig neben Tellern, Tassen und Teekannen im großen Stil Bestecke verkaufen. Die Firma fertigt schon jetzt Messer, Gabeln und Löffel in einer kleinen Fabrik bei Bayreuth. Gemessen am Gesamtumsatz von rund 400 Millionen Mark fällt das Angebot bislang allerdings kaum ins Gewicht. Das soll sich nun ändern. Rosenthal-Chef Ottmar Küsel verhandelt bereits seit Monaten mit verschiedenen Besteckfabrikanten über ein Kooperationsabkommen oder eine Kapitalbeteiligung. Der Marketingexperte hat die weltbekannte Firma in den vergangenen Jahren von Grund aufsaniert. Nun wollen die Bayern expandieren. Unterschrieben ist bislang allerdings noch nichts. Die besten Chancen hat Küsel nach Ansicht von Branchenkennern bei der Bremer Wilkens AG. Seit es mit der Konjunktur bergab geht, schrumpfen bei dem Silberwarenspezialisten Umsatz und Gewinn. Im vergangenen Jahr mußte das Unternehmen zudem einen Teil seines Personals abbauen. Die feine Manufaktur würde gut zu Rosenthal passen. Beide Unternehmen legen großen Wert auf gutes Design. Außerdem stammen die Chefs beider Firmen aus Bremen. DER SPIEGEL 14/

102 WIRTSCHAFT Unternehmen DEN KNOTEN DURCHHAUEN Die angeschlagene Lufthansa scheint das Schwerste hinter sich zu haben. Die Kosten wurden gedrückt, für dieses Jahr wird ein bescheidener Gewinn erwartet. Jetzt braucht das Unternehmen neues Kapital, doch erst muß ein Milliardenproblem, die Altersversorgung, gelöst werden fürs Management eine Schicksalsfrage. +84,0 +96,5 +121,6 +6, ,0 444,0 373,0 Ende der Turbulenzen? Gewinn- und - Verlust- Entwicklung der Lufthansa; Angaben in Millionen Mark, Konzernzahlen Ergebnis in der jeweils ersten und in der zweiten Jahreshälfte Lufthansa-Maschinen in Frankfurt: Die Beschäftigten mußten Opfer ie sind bei keiner Fluggesellschaft beliebt, die Gäste, die sich ange- Smeldet haben, aber nicht erscheinen. Die No-shows, so werden diese Passagiere genannt, blockieren Plätze, die an andere Kunden hätten verkauft werden können. Das kostet Geld. Bei der Lufthansa addieren sich die Einnahmeausfälle jährlich auf Millionen. Das ist Anreiz genug, darüber nachzudenken, wie den Leerbuchungen beizukommen ist und die Firma hat zumindest für Interkontinentalflüge eine Teillösung gefunden. Computerspezialisten gehen die Namen der gebuchten, aber nicht erschienenen Passagiere durch und fragen nach, ob die Buchung des Rückflugs bestehen bleibt. Geht nach zwei Tagen keine Bestätigung ein, wird der gebuchte Platz freigegeben und verkauft. Das Interessante dabei: Die Jagd auf Phantomflieger läuft über Indien. In Deutschland würde der Aufwand nicht lohnen; in Neu-Delhi, wo der Mann am Computer etwa 300 Mark im Monat verdient, beschäftigt die Lufthansa bereits 70 Leute. Die Gewerkschaften befürchten, daß bald auch andere Zweige elektronischer Datenverarbeitung in Länder mit niedrigen Löhnen verlagert werden könnten. Das sei, so die Deutsche Angestellten- Gewerkschaft, betriebs- und volkswirtschaftlich blanker Unsinn. Lufthansa-Chef Jürgen Weber will sich durch solche Vorwürfe nicht beirren lassen. Er hat den Kurs für die deutsche Fluglinie festgelegt: Kosten drücken, wo immer es geht. Diplomingenieur Weber, der vergangene Woche die Lufthansa-Firma in Neu- Delhi besuchte, hält die Ausgliederung von Arbeiten, die woanders billiger erledigt werden können als in Deutschland, für unerläßlich: Sonst ist die Lufthansa nicht mehr wettbewerbsfähig. Konkurrenten wie die Swissair haben das längst begriffen, sie haben ihre EDV bereits nach Indien ausgesiedelt. Weber steht unter Druck. Noch immer tobt in der internationalen Luftfahrt ein harter Konkurrenzkampf. Noch immer sinken die Flugtarife. Nur Gesellschaften, die rabiat die Kosten senken, haben eine Überlebenschance. Von seinen Aufsichtsräten ließ sich der Lufthansa-Chef ermächtigen, das unbeweglich gewordene Staatsunternehmen neu zu organisieren. Das heißt: Ganze Betriebsteile sollen aus dem Gesamtkonzern herausgelöst werden und selbständig, unter dem Dach der Muttergesellschaft, Gewinn erwirtschaften. Dazu gehören neben der Datenverarbeitung die Fracht, die Technik, die Fluggastabfertigung, die Gebäudeinstandhaltung und der Flugbetrieb. Für das geplante EDV-Systemhaus wurde mit der US-Firma Electronic Data Services (EDS) bereits ein Beteiligungspartner gefunden. Die General-Motors- Tochter will mit 25 Prozent dabei sein. Vor zweieinhalb Jahren hatte Weber von seinem Vorgänger Heinz Ruhnau 102 DER SPIEGEL 14/1994

103 eine fast konkursreife Fluggesellschaft übernommen. Die Neuorganisation der Lufthansa ist für ihn die zweite Phase der Sanierung. Die erste Stufe haben Weber und seine Truppe schneller als erwartet bewältigt. Noch 1992 verbuchte die Lufthansa einen Bilanzverlust von 373 Millionen Mark. Das interne Betriebsergebnis lag sogar mit über einer Milliarde im Minus. Im vergangenen Jahr konnten die Lufthansa-Manager den Betriebsverlust auf weit unter 400 Millionen Mark herunterdrücken. In der Bilanz stehen nur noch 111 Millionen Mark im Minus ein besseres Ergebnis als erwartet. Noch kann sich das Management nicht sicher sein, die Wende bereits geschafft zu haben. Die Analysten der britischen Investmentbank Kleinwort Benson allerdings rechnen mit einem Gewinn von 100 Millionen Mark für das laufende Jahr, 1995 könnten sogar 575 Millionen übrigbleiben. Prompt stieg der Kurs der Lufthansa-Aktie, der noch vor einem Jahr bei 100 Mark dümpelte, auf über 200 Mark. Weber und seine Mannschaft haben vor allem bei den Kosten angesetzt. Sie sparten schon im ersten Jahr der Sanierung eine Milliarde Mark ein, 1993 kamen noch einmal 500 Millionen dazu. Die Beschäftigten haben dafür, wie immer in kritischen Phasen eines Unternehmens, reichlich Opfer bringen gebracht. Die Zahl der Mitarbeiter sank vom Höchststand im Sommer 1992 um mehr als 8000 auf unter Piloten, Stewardessen und die Beschäftigten am Boden arbeiten mehr für weniger Gehalt. Überdies lastet die Lufthansa ihre Flugzeuge stärker als früher aus. Die Maschinen sind länger im Einsatz und besser besetzt. Der Nutzladefaktor der Lufthansa-Jets erreichte die Rekordmarke von beinahe 70 Prozent. Mehr allerdings, das ist Weber seit langem klar, ist aus Menschen und Maschinen kaum herauszuholen. Jetzt kann nur noch der Umbau des Konzerns die Wirtschaftlichkeit verbessern. Das aber wird kaum gelingen, wenn der Lufthansa nicht frisches Geld zufließt. Da der Bund als Hauptaktionär nicht bereit ist, zusätzliches Kapital einzuschießen, lassen sich die benötigten Mittel nur über die Börse beschaffen. Und das wiederum wird nur möglich sein, wenn die Lufthansa auf eine Schicksalsfrage (Weber) die richtige Schädliches Verhalten Der Lufthansa-Gesamtbetriebsrat hat in einem Brief an den Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Röller gefordert, den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl aus dem Aufsichtsrat zu entfernen; Streibl ist Vertreter des Bundes. Auszüge: Herr Streibl hat sich durch die Tatsache, daß er den Vorsitzenden der Republikaner, Herrn Schönhuber, in seinem Privathaus empfangen hat möglicherweise zu vorbereitenden Koalitionsgesprächen, in einer für die Lufthansa schädlichen Weise verhalten. Die Lufthansa als weltweit operierendes Unternehmen und damit ihre Beschäftigten leben vom friedlichen Zusammenleben der Völker. Wenn Herr Streibl als Aufsichtsratsmitglied, der in dieser Funktion dem Wohl des Unternehmens verpflichtet ist, den Antwort findet: Sie muß ein Milliardenproblem lösen die betriebliche Altersversorgung. Bisher sind alle Lufthanseaten in der Versorgungskasse des Bundes und der Länder (VBL) versichert. Die Mitgliedschaft in dieser Pensionskasse ist an Bedingungen geknüpft. Das Unternehmen muß sich zu mehr als der Hälfte im Besitz der öffentlichen Hand befinden. Nicht einmal einzelne Firmen dürfen im nachhinein ausgegliedert werden. Für die Lufthansa-Manager bedeutet das: Sie dürfen weder wie geplant ihr Unternehmen in Teilfirmen zerlegen noch an der Börse Kapital aufnehmen. Durch die Ausgabe neuer Aktien nämlich würde der Anteil des Bundes (bisher 51,4 Prozent) unter die kritische Marke von 50 Prozent rutschen. Die Mitgliedschaft in der VBL würde erlöschen, die Lufthansa müßte vier Milliarden Mark Ablösung zahlen und wäre pleite. Die Lufthansa-Manager entwickelten daher eine andere Variante, das sogenannte Zäsurmodell. Danach würden die bisherigen Mitarbeiter in der VBL bleiben, alle zukünftigen hingegen woanders versichert werden. Dieser gleitende Ausstieg würde die Lufthansa, so glaubte das Management, nur etwa eine Milliarde Mark kosten. Doch es hatte sich geirrt. Gutachter kamen zu dem Ergebnis, daß die Lufthansa bei diesem Modell bis zu 6,4 Milliarden Mark an die VBL zu überweisen hätte. Wegbereiter von Neonationalismus und Schürer von Ausländerhaß und Rassismus, Herrn Schönhuber, insoweit hoffähig macht, daß er ihn als Gast in seinem Haus empfängt, ist er als Mitglied des Aufsichtsrates nicht mehr tragbar. Er gefährdet durch dieses Verhalten die Arbeitsplätze der Lufthanseatinnen und Lufthanseaten und richtet angesichts der vier Millionen Arbeitslosen weiteren volkswirtschaftlichen Schaden an. Sollte Herr Streibl als Mitglied des Aufsichtsrates nicht abbestellt werden, kann nicht ausgeschlossen werden, daß Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter einschließlich des Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats auf der diesjährigen Hauptversammlung das Podium verlassen. Sie werden sich als Vorzugsaktionäre ins Plenum setzen und der Hauptversammlung sowie den Gästen und Journalisten erklären, daß sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, weiterhin mit Herrn Streibl an einem Tisch zu sitzen. Daraufhin dachten sich Weber und seine Experten etwas Neues aus. Nun sollen nur noch diejenigen, die bereits eine Pension beziehen, in der VBL bleiben. Für deren Ansprüche soll der Bund eine Milliarde Mark an die Pensionskasse überweisen. Die Lufthanseaten, die noch arbeiten, sollen von einer privaten Firmenversicherung übernommen werden. Für die etwa drei Milliarden Mark, die Lufthansa-Sanierer Weber Viel Zeit bleibt nicht mehr DER SPIEGEL 14/

104 diese Lösung kosten würde, soll der Bund eine Schuldgarantie übernehmen. Weber glaubte, daß die Bundesregierung diesem Vorschlag zustimmen würde. Die langjährige Schuldgarantie, so rechnete er vor, würde den Bundeshaushalt nicht allzusehr belasten. Die Milliarde für die Pensionäre könnte der Staat über einen Teilverkauf seiner Lufthansa- Aktien schnell wieder hereinholen. Doch der Finanzminister sperrt sich. Einen Termin, bei dem Weber seinen Vorschlag erläutern wollte, sagte Theo Waigel ersatzlos ab. Der Lufthansa-Chef hofft nun auf den Kanzler. In dieser Woche schrieb er Helmut Kohl einen Brief, in dem er ihn um Zustimmung für seine Pläne bat. Weber: Kohl muß den Knoten durchhauen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Die dringend notwendige Kapitalerhöhung muß auf der Lufthansa-Hauptversammlung am 6. Juli beschlossen werden. Da vorher die Tagesordnung festzustehen hat, muß der Aufsichtsrat spätestens auf seiner Sitzung am 11. Mai die entsprechende Entscheidung treffen. Das aber ist nur möglich, wenn das Problem der Altersversicherung gelöst ist. Weber will den Termin auf keinen Fall ungenutzt verstreichen lassen. Er wird dem Aufsichtsrat eine Kapitalerhöhung von 500 Millionen Mark vorschlagen und hofft, damit mindestens zwei Milliarden Mark einnehmen zu können; der Anteil des Staates würde dadurch unter 40 Prozent rutschen. Gleichzeitig soll der Konzernumbau vorangetrieben werden. Alle Sanierungsarbeit der vergangenen Jahre wäre vergeblich, meint Weber, wenn seine Pläne an der Versorgungsfrage scheitern sollten. Der Lufthansa-Chef will dann nicht mehr weitermachen. Exporte Freundliche Helfer Ein unbekannter Geschäftsmann will ein Milliarden-Geschäft mit dem Irak machen. Was steckt dahinter? riedrichsplatz 11 in Mannheim: eine vornehme Adresse, direkt am Was- Fserturm, dem Wahrzeichen der Stadt. Alte Bürgerhäuser säumen den Platz, dazu ein Luxushotel und ein Laden für Designermöbel. Im ersten Stock befindet sich ein edles Juweliergeschäft. Les Créations Schweininger-Dependance, Türschild Scheingeschäfte für Saddam Hussein? d Ary steht auf einem ovalen, goldenen Schild. Doch niemand öffnet, niemand geht ans Telefon. Wir haben nie Kunden kommen sehen, sagen die Nachbarn. Nur eine orientalisch anmutende Dame wird alle paar Tage mal gesichtet. Als Geschäftsführer der Ary Design Schmuck-Gesellschaft firmiert der Diplomingenieur Andreas Schweininger. Am Mannheimer Friedrichsplatz ist der Mann kaum bekannt. In der New Yorker Third Avenue dagegen, dem Sitz der ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der Uno, hat er sich in kurzer Frist einen Namen gemacht keinen guten. Arglos hatten die Diplomaten dem Kaufmann im Februar abgenommen, er sei in der Lage, ein Milliarden-Geschäft mit dem Irak abzuwickeln. Diensteifrig bahnten sie den Kontakt zum Irak- Sanktionsausschuß der Vereinten Nationen an, um möglichst schnell und doch legal den Geschäftsweg in den mit Boykott bestraften Staat des Saddam Hussein frei zu machen. Am Dienstag der vergangenen Woche standen die freundlichen Helfer vom Auswärtigen Amt gelackmeiert da. Die Frankfurter Allgemeine (FAZ) berichtete, Schweiningers angebliche Firma United Oil Company (U.O.C.) sei in der Bundesrepublik nicht einmal im Handelsregister eingetragen. Seither wird gerätselt, was sich hinter dem kuriosen Geschäft verbirgt und warum die Diplomaten es so unbürokratisch förderten. Waren sie einem Hochstapler aufgesessen? Oder wollte Schweininger durch ein Scheingeschäft die auf Bundesbank-Konten eingefrorenen Devisen des irakischen Diktators loseisen? Schweininger startete seinen Versuch, das ganz große Rad zu drehen, im Februar in New York. Bei der Ständigen Vertretung Bonns prahlte er, seine Firma habe Kontrakte über Warenlieferungen in den Irak im Wert von 1,343 Milliarden Dollar. Seit dem Irak-Krieg hat die Uno das Land mit einem Handelsboykott belegt. Ausnahmen sind nur möglich für Nahrungsmittel, medizinische Erzeugnisse und humanitäre Produkte. Schweiningers Liste enthielt Posten aus all diesen Produktgruppen, beispielsweise Palmöl, Corned beef oder Seife insgesamt 1,927 Millionen Tonnen. Solche Importe in den Irak müssen vom Uno-Sanktionsausschuß genehmigt werden. Lebensmittel werden schlicht notifiziert, Güter der anderen Kategorien nur genehmigt, wenn kein Mitglied des Ausschusses Einwände erhebt. Will ein deutscher Kaufmann mit dem Irak Geschäfte machen, muß er zuerst einen Exportantrag stellen. Die zuständigen Bundesbehörden, für Nicht-Lebensmittel das Bundesausfuhramt in Eschborn, überprüfen die Seriosität des Antragstellers, seines Abnehmers im Irak und die Plausibilität des Geschäftes. Dann empfehlen sie Genehmigung oder Ablehnung. Das Auswärtige Amt schickt die Unterlagen ohne Prüfung an die Ständige Vertretung in New York, wo die Diplomaten die Akten an den Sanktionsausschuß weiterschieben. Erst mit Zertifikation aus New York und zum Beispiel Eschborn darf das Geschäft gemacht werden. Das Verfahren kann Monate dauern. Bei Schweininger lief die Sache anders. Er sprach sofort in New York vor. Die dortigen deutschen Beamten sortierten aus dem Gesamtpack von Anträgen vorab schon mal Exportgesuche für Lebensmittel im Wert von 400 Millionen Dollar aus und reichten sie direkt an den Sanktionsausschuß weiter. Sie wählten dabei Waren, die das Uno-Gremium erfahrungsgemäß passieren läßt. Gleichzeitig klärten sie Schweininger auf, er müsse parallel in Eschborn und den anderen Bundesbehörden vorsprechen. Ohne deren Ja laufe nichts. In den vergangenen Tagen Wochen später als beim Uno-Ausschuß gingen die dubiosen U.O.C.-Papiere 104 DER SPIEGEL 14/1994

105 WIRTSCHAFT auch bei den Behörden hierzulande ein: Arzneigeschäfte über 85 Millionen Mark will Schweininger vom Eschborner Amt genehmigt bekommen, der Milliardenbrocken mit Nahrungsmitteln landete auf dem Schreibtisch der Landwirtschaftsbürokraten. Die ungewöhnlich unbürokratische Hilfe der Diplomaten in New York bei einem so heiklen Geschäft ist aus der Sicht des Auswärtigen Amtes nicht zu tadeln. In Eschborn löste das Vorgehen der Diplomaten allerdings Befremden aus. Sprecher Norbert Goworr: Das ist ein ungewöhnliches Verfahren. Schon allein der Umfang der geplanten Warenlieferungen hätte die Kinkel- Truppe warnen müssen, meinen die Exportprüfer. Da verlangt der unbekannte Vertreter einer nicht existenten Firma Milliarden-Bescheide, die jeden Rahmen sprengen zum Beispiel sind in Eschborn insgesamt 100 Exportanträge für den Irak eingegangen mit einem Gesamtwert von nur Mark. Den Prüfern des Uno-Sanktionsausschusses fielen auch noch andere Ungereimtheiten auf. Die Waren sollten über den jordanischen Hafen Akaba angeliefert werden. Dort können nur Frachter mit einer Tonnage von Tonnen abgefertigt werden. Für das Gesamtgeschäft wären, rechneten die Uno-Fachleute aus, 50 Schiffe nötig gewesen. Die Adresse des Zwischenempfängers in Jordanien erwies sich als Hotelpostfach. Und die geforderten Preise waren unrealistisch. Das alles weckte bei den Uno-Experten den Verdacht, Schweiningers Geschäft sei nur ein Vorwand, im Ausland gesperrte Devisen durch Scheinlieferungen frei zu bekommen und die Dollar für Waffenkäufe zu nutzen. Am Mittwoch spekulierte die FAZ, der israelische Geheimdienst Mossad habe die Mannheimer Firma ausgespäht und die Uno gewarnt. Ein solches Geldwäschegeschäft aber wäre in jedem Fall aufgeflogen, versichern die Experten in Eschborn auch ohne die Einwände aus New York. Die Pläne seien allzu offensichtlich unseriös gewesen. Und ohne ein Zertifikat der deutschen Exportbehörde hätte die Frankfurter Bundesbank keine Überweisung auf ein Treuhandkonto der Uno und dann weiter an den Antragsteller U.O.C. ermöglicht. Am Mittwoch sah auch das Auswärtige Amt ein, daß die Diplomaten etwas voreilig gewesen waren. Außenminister Klaus Kinkel bat die Uno, das Genehmigungsverfahren zu stoppen, bis die deutschen Behörden ihre Arbeit getan hätten. Entsorgung An einem Tisch Die großen Konzerne kontrollieren das Geschäft mit dem Müll. Die kleinen Entsorgungsfirmen wollen sich wehren. angsam läßt Reinhard Büchl, 46, die bunten Plastikfetzen durch seine LFinger rinnen, wie Konfetti rieseln sie auf den Boden der Fabrikhalle. Das waren mal Verpackungen mit Grünem Punkt, sagt der bayerische Mittelständler, nun werden Plastikrohre draus. Seit einem Vierteljahr arbeitet Büchls 130-Mann-Betrieb für das Duale System Deutschland, und für das kleine Familienunternehmen in Ingolstadt hat sich in dieser Zeit viel verändert. Gemeinsam mit sechs anderen bayerischen Mittelständlern hatte Büchl zuvor das Gemeinschaftsunternehmen Logex gegründet. Nur so hätten sie Chancen auf den Zukunftsmärkten Elektronik-, Kunststoff- und Automobilrecycling, erkannten die Unternehmer. Immer mehr Kunden wollten Entsorger, die große Flächen abdecken und Spezialisten für besondere Recyclingverfahren beschäftigen. Das Konzept ging auf: Das Gemeinschaftsunternehmen erhielt einen Auftrag für die Entsorgung und Verwertung von Tonnen Altkunststoffen. Entsorger Büchl: Kampf gegen übermächtige Konkurrenz Allein hätte das wahrscheinlich keiner von uns geschafft, glaubt Büchl. Der Unternehmer aus Ingolstadt und seine bayerischen Partner treten gegen eine übermächtige Konkurrenz an. Der bayerische Logex-Verbund ist die Antwort auf eine der heftigsten Konzentrationswellen der Nachkriegszeit. Seit mit Müll üppig verdient werden kann, kaufen vor allem die großen Energiekonzerne kleine und mittlere Entsorgungsunternehmen gleich dutzendweise auf. Die umarmen uns so fest, daß es fast schon weh tut, sagt Adelbert Seeboth, ein Altstoff- und Lumpensammler aus dem thüringischen Mühlhausen, bei dem vor kurzem der Stromriese Vereinigte Elektrizitätswerke (VEW) einstieg. Allein VEW hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 200 Entsorgungsfirmen übernommen; der größte Konkurrent, die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), stieg ebenfalls bei mehr als hundert kleinen Betrieben ein. Er kenne kaum einen in der Branche, sagt Unternehmer Büchl, der in den vergangenen Jahren nicht mehrere Übernahmeangebote bekommen habe. Dabei hat das Gerangel um den Kunststoffmarkt erst richtig begonnen. Ausgerechnet Plastikmüll, lange Zeit als kaum verwertbarer Problemabfall verschrien, ist plötzlich heiß begehrt. So will allein BASF 1996 rund Tonnen Kunststoff verwerten. Der Chemieriese will dafür eigens eine neue Großanlage bauen. Gleichzeitig fürchten einige traditionelle Kunststoffverwerter um ihren Rohstoff. Das Kunststoffangebot liegt inzwischen deutlich unter der Nachfrage der Verwerter, sagt die Beraterin DER SPIEGEL 14/

106 WIRTSCHAFT Agnes Bünemann, die für Kommunen und Öko-Verbände die Konzentration in der Abfallbranche untersucht hat. Das liegt an einer fragwürdigen Institution: der Kölner DKR Gesellschaft für Kunststoffrecycling. Das Tochterunternehmen des Dualen Systems wurde im vergangenen Jahr gegründet, als sich Probleme mit dem Plastikabfall häuften. Es soll jetzt dafür sorgen, daß möglichst viel Kunststoffverpackungen sinnvoll entsorgt und verwertet werden. Bedenklich ist vor allem die Gesellschafterstruktur der DKR: Ausgerechnet die großen Stromkonzerne, die am Kunststoffgeschäft verdienen oder verdienen wollen, haben Sitze im Aufsichtsrat. Und der entscheidet darüber, wer in Deutschland welche Mengen Plastik recyceln darf und wieviel er dafür vom Dualen System kassiert. Müllverarbeitung: Plastik ist plötzlich heiß begehrt Die Kontrolleure überwachen sich also nicht nur selbst, sie legen auch die Preise für ihre eigene Arbeit fest, und sie beschließen, welche Konkurrenten zum Zuge kommen. Mit Wettbewerb hat das nicht mehr viel zu tun, sagt Klaus-Peter Schultz, Abteilungsleiter für den Bereich Entsorgungswirtschaft im Bundeskartellamt. Da sitzen alle Großen der Branche an einem Tisch und entscheiden über Aufträge an sich selbst. Es wäre erstaunlich, wenn sich dabei keine Bevorzugungen ergeben würden. Das merkwürdige Verfahren geht zu Lasten der Verbraucher, der kleineren Anbieter und der Umwelt. Die Verbraucher zahlen einen Preisaufschlag für alle Waren mit Grünem Punkt, obwohl nur aus einem Bruchteil der Abfälle wieder neue Kunststoffprodukte entstehen. Horst Diesel, Leiter des Amtes für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung der Stadt Wiesbaden, ärgert beispielsweise, daß in seiner Kommune etwa ein Drittel der vom Dualen System gesammelten Kunststoffverpackungen auf der städtischen Deponie abgeladen werden. Kleinere Anbieter sind unzufrieden, weil sie deutlich schlechter bezahlt werden als einige DKR-Gesellschafter. Zu den Topverdienern gehört der RWE- Konzern, der pro Tonne 1050 Mark erhält, seine Konkurrenten bekommen teilweise 500 Mark weniger. Auch ökologisch ist die Auftragsvergabe bedenklich. Die großen Interessenten wie BASF setzen nämlich meist auf die sogenannte rohstoffliche Verwertung. Dabei werden aus den Altkunststoffen Öle oder Gase gewonnen. Die meisten kleinen Anbieter hingegen verwerten werkstofflich, es entstehen also neue Kunststoffprodukte. Eine noch unveröffentlichte Studie des Umweltbundesamtes belegt, daß werkstoffliches Recycling wesentlich umweltfreundlicher ist. Dennoch fürchten viele Mittelständler derzeit um die Zukunft ihres Verfahrens: Wenn etwa BASF die neuen teuren Anlagen für die rohstoffliche Verwertung erst einmal aufgebaut habe, so ihre Sorge, wachse auch der Druck, diese auszulasten womöglich zu Lasten der Kleinen. Doch inzwischen regt sich Widerstand gegen die Geschäftspolitik der DKR. Das Bundeskartellamt rügte vergangene Woche in einem Brief an die Anwälte der Kölner Gesellschaft ein besonders dreistes Vorhaben. In den DKR-Verträgen werden die Kunststoffverwerter aufgefordert, sich darüber zu verständigen, wer in welchen Gebieten tätig wird. Die Entsorger sollen also den bundesdeutschen Markt untereinander aufteilen und vor Ort als Monopolisten auftreten. Solche Absprachen seien ein krasser Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, urteilte die Berliner Behörde. Sie könnten nicht toleriert werden. Weiterer Krach zwischen den Großentsorgern und der Berliner Behörde steht bevor. Das Kartellamt will die DKR höchstens zwei bis bis drei Jahre in ihrer heutigen Struktur arbeiten lassen. Die Entsorgerclique möchte noch zehn Jahre so weitermachen wie bisher. Nur so bestehe die Planungssicherheit, die für Investitionen in moderne Recyclinganlagen erforderlich sei. Auch das Bonner Wirtschaftsministerium macht Druck. Die zuständigen Beamten drängen darauf, das Duale System mittelstandsfreundlicher zu machen. Künftig soll derjenige entsorgen und verwerten dürfen, der das am billigsten tun kann. Auf solche Reformen wollen viele Unternehmer allerdings nicht warten. Sie setzen deshalb zunehmend auf Kooperationen wie den bayerischen Logex-Verbund. Im westfälischen Lippe schlossen sich gerade neun kleine Entsorger zusammen; die Bonner Sero Systeme brachte in verschiedenen Pilotprojekten einige Dutzend Mittelständler zusammen, die Altpapier, Glas und Altkunststoffe sammelten und verwerteten. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft will ein komplettes Gegenmodell zum Dualen System aufbauen, die Dualen Systeme Mittelstand. Der Bonner Verband glaubt, deutlich günstiger arbeiten zu können. Für ein echtes Konkurrenzsystem müssen allerdings noch einige Hürden überwunden werden. Vor allem braucht der Verband Lizenzpartner aus der Industrie, also Unternehmen, die Verpackungen verwenden und bislang an das Duale System Gebühren für die Entsorgung entrichten. Hinzu kommen Hemmnisse, die auch bescheideneren Vorhaben wie Logex zu schaffen machen: Gerade gestandene Chefs von Familienunternehmen tun sich mitunter mit Gemeinschaftsprojekten schwer. Auch bei der bayerischen Logex-Riege sitzen, so Geschäftsführer Frederik Cheung, lauter Individualisten beisammen willensstarke Unternehmer, die fast alle seit über 20 Jahren ihren Betrieb so führen, wie es ihnen paßt. Noch vor 3 Jahren hätten wir uns nicht zusammengerauft, gibt auch Firmenchef Büchl zu. Aber jetzt wissen wir einfach, daß es allein nicht mehr geht. 106 DER SPIEGEL 14/1994

107 Forsten Schrille Mischung Graf Stauffenberg privatisiert die ostdeutschen Wälder. Käufer sind vor allem Adlige. in Ausbruch der Gefühle entspricht überhaupt nicht der gemessenen EArt des Grafen. Aber bei der Frage, ob seine Standesgenossen bei ihm Vorrang haben, wird er heftig. Ersetzen Sie das Wort Adlige durch Juden, dann haben Sie die Sprachregelung von 1933, herrscht der Graf den Fernsehreporter vom Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg an. Ich bin nicht bereit, diese Frage zu beantworten. Nächste Frage. Er nimmt die Frage wie eine persönliche Beleidigung seines berühmten Namens auf: Franz Ludwig Gustav Maria Schenk Graf von Stauffenberg, 55, ist ein Sohn des Widerstandskämpfers vom 20. Juli Aber er ist jetzt auch Geschäftsführer der Bodenverwertungsund -verwaltungs GmbH (BVVG) und soll im Auftrag der Berliner Treuhandanstalt Hektar ostdeutschen Wald verkaufen. Vergebens haben Mitarbeiter ihm zugeredet, bei der Adelsfrage nicht jedesmal so aufzuschäumen. Die Rückkehr der Altadligen auf ihre Besitztümer ist im Osten ein heikles Thema. Ein zornesblitzender Graf vor laufender Kamera lädt nur die Spannung weiter auf. Als Geschäftsführer einer Bodenverwertungsgesellschaft dem Vorbild eines Widerstands-Helden gerecht zu werden ist gewiß nicht leicht. Natürlich fragt sich der Sohn des Hitler-Attentäters nicht, wie hätte der Vater in Sachen Wald-Privatisierung entschieden. Aber wie der Vater zu einer eigenen Entscheidung gekommen wäre, darüber denkt der Sohn allerdings nach. Als der Vater 1944 seine Aktentasche mit Sprengstoff unter dem Kartentisch im Führerhauptquartier Wolfsschanze abstellte, war Franz Ludwig sechs Jahre alt und verbrachte die Sommerfrische mit Mutter Nina und seinen Brüdern auf dem Familien-Landsitz Lautlingen auf der Schwäbischen Alb. Von dort wurden einige entfernte Wälder verwaltet. Doch statt in den Wald ging der Graf in die Politik. In der CSU begann er eine Laufbahn, die noch viel erwarten ließ: stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union, Bundestagsabgeordneter für Wald-Privatisierer Graf Stauffenberg: Wir haben ein Nachfrageproblem Wald-Eigner Herzog zu Mecklenburg (l.): Nun bin ich wieder hier angekommen Starnberg mit höchsten Stimmengewinnen, CSU-Vorstandsmitglied. Sein politischer Ziehvater war der legendäre Brandt-Feind Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, dessen Tochter Elisabeth der Graf 1965 heiratete. Seine konservative Gesinnung war ohne Furcht und Tadel: gegen Mitbestimmung, Ostpolitik und Genscherismus. Aber die smarte Wendigkeit eines Polit-Managers lag ihm nicht im Blut. In Bonn war er ein edler Einzelgänger ohne Parteigefolge, ohne Chance auf einen Platz in der Führungsspitze. Mit 46 Jahren zog er ins Europaparlament. Da ereilte ihn endlich der Ruf der Wälder. Die Stauffenbergs hatten 1981 von einer entfernten Tante das kleine Gut Kirchlauter bei Bamberg geerbt, mit knapp 250 Hektar Wald für den Grafen ein Besitzle. Unvorbereitet, aber schnell eignete sich der Jurist die Regeln der Forstwirtschaft an: Wer den Wald hat, braucht für den Schaden nicht zu sorgen. Im Kampf gegen den Baumtod tummelte sich der neue Forstherr im Waldbesitzer-Verein und wurde 1988 zum Vorsitzenden des deutschen Dachverbandes gewählt. Von dort wuchs er fast zwangsläufig in die Position des Wald- Geschäftsführers der BVVG hinein. Allzu viele Leute gebe es nicht, sagt der Graf selbstbewußt, die beim Wald DER SPIEGEL 14/

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110 WIRTSCHAFT nicht nur das Holzprodukt sehen, sondern auch unter forstpolitischen Aspekten den Durchblick haben. Der Wald, besonders der deutsche, besteht nicht bloß aus Bäumen, die zu Brettern werden. Er ist ein Kulturprodukt, sagt Graf Stauffenberg, das Ergebnis jahrhundertelangen menschlichen Schaffens. Eine schöne, schnelle Rendite erwächst da nicht. Waldbesitzer müssen in zwei bis drei Generationen denken, weiß der Graf, dazu braucht es eine bestimmte Ader. Es ist gar nicht weiter verwunderlich, daß in solchen Adern häufig blaues Blut fließt. Unter den etwa privaten Waldbesitzern im Westen findet sich zwar viel gemeines Volk, vom Bauern bis zum Zahnarzt. Aber die haben meistens nur winzige Wäldchen von rund fünf Hektar im Durchschnitt. Die großen Privat-Forste von mehreren tausend Hektar gehören oft noch aus feudalen Zeiten adligen Familien. In diesen Dynastien, so der Graf, ist die geschichtliche Dimension des Waldverstandes sicher ausgeprägt. Unter den Interessenten für die Ausschreibungen des Treuhand-Waldes sind fast zur Hälfte Alteigentümer und Altadlige. Der Rest ist eine schrille Mischung aus Jägern, Spekulanten, Wald- Romantikern und Geldwäschern. Ostdeutsche Bewerber sind noch selten, so der Graf, da sie objektiv nicht die finanziellen Mittel haben. Die Preise für einen Hektar schwanken erheblich je nach Alter und Art, Bestand und Zustand der Bäume zwischen 5000 und Mark. Der ehemalige Volkswald der DDR liegt im Schnitt unter dem Wert des West-Waldes. Natur und Sozialismus ließen die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Auf märkischem Sand etwa gedeiht nur armselige Kiefer, die rote Waldschlächterei (Stauffenberg) schlug schwer ein. Dennoch muß ein Bieter bei den Ausschreibungen der BVVG schon über einige Millionen verfügen können. Bei einem penetranten Interessenten, der seinem Gebot schon zum dritten Mal einen Scheck über eine Mark beifügte, spart sich die Gesellschaft jetzt das gleich hohe Porto für weitere Werbebriefe. Anfang des Jahres konnte der Graf die ersten drei größeren Waldflächen an neue Besitzer übergeben. Es ist nicht seine Schuld, daß die schön ausgewogene Mischung der Erwerber wieder durcheinander kam: eine medizinischökologische Stiftung, ein Fürst von Isenburg und ein Verleger. Der alte Verlagsherr, der sein Vermögen in eine Stiftung einbringen und dabei das Geld auch in Waldbesitz anlegen will, sollte nach der Vorstellung der BVVG den Forst Raben Steinfeld bei Schwerin bekommen. Doch die Landesforstbehörde, die das Betriebskonzept 110 DER SPIEGEL 14/1994

111 der Bewerber prüft und der Auswahl zustimmen muß, wollte lieber den Sohn des alten Landesherrn und vormaligen Besitzers wiederhaben: Christian Ludwig Herzog zu Mecklenburg, 81. Da die Finanzen des Herzogs den Kauf nicht gestatteten, fand sich ein edler Freund, der mit ihm zur Übernahme des Forstes eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gründete: Franz Albrecht Metternich-Sándor Prinz von Ratibor und Corvey, 73. So war denn ausgerechnet in dieser ersten Testserie der Wald- Privatisierung gleich der Hochadel versammelt. Der Adel hängt an den Bäumen. Die fast Hektar herzoglichen Äcker und Wiesen, die nach 1945 bei der Bodenreform enteignet wurden, wollte der Herzog gar nicht zurück haben. Was der Krieg genommen hat, lautet die Weisheit der alten Hoheit, kann der Frieden nie wiedergeben. Auf dem Holzmarkt steigen seit Jahren die Preise kaum Doch mit dem Wald ist es etwas anderes. Da rauscht das Ewige über die Wipfel tief ins Gemüt. Nun bin ich wieder hier angekommen, sagt der greise Forstherr gerührt. Im Kaminzimmer des ehemaligen herzoglichen Landsitzes in Raben Steinfeld, jetzt eine Forstfachschule, findet die Übergabe des zeitweise volkseigenen Waldes an die hochrangigen Käufer mit gehörigem Stil statt. Graf Stauffenberg, der sonst bei diesen Anlässen gern in Trachtenjankerl und Bundhose eigenhändig eine junge Eibe pflanzt, ist leider in der Berliner Zentrale unabkömmlich. Das Geschäft mit dem Wald fordert vollen Einsatz. Bei Hektar haben wir kein Zuteilungsproblem, deutet er dezent an, sondern ein Nachfrageproblem. Die Schicht der ernsthaften Käufer ist sehr dünn. Auf dem Holzmarkt steigen seit Jahren die Preise kaum, die meisten Forstbetriebe arbeiten mit Verlust. Viele Alteigentümer warten das immer noch umstrittene Entschädigungs-Gesetz ab, bevor sie sich an den Wald-Ausschreibungen beteiligen. Es kann Jahrzehnte dauern, bis das letzte Waldstück privatisiert ist. Für diese Lebensaufgabe hat Graf Stauffenberg seine europäische Politiker-Karriere aufgegeben. Damit es keine beleidigenden Unterstellungen wegen angeblicher Interessenkollisionen gibt, hat er auch die Präsidentschaft der Waldbesitzer-Verbände niedergelegt. Und wenn er selbst mehr Wald haben möchte, kauft er sich den in Schottland. Um das Geschäft im Osten DER SPIEGEL 14/

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113 WIRTSCHAFT zu beleben, erwägt der Graf jetzt sogar den Waldverkauf gegen Anzahlung. Selbst so klangvolle Namen wie der Prinz von Ratibor, Herr über drei österreichische Schlösser und die ehemalige Abtei Corvey bei Höxter, zahlen den Waldkauf nicht aus der fürstlichen Schatulle. Ein Teil des 3500 Hektar großen Forstes Corvey wurde kürzlich unter Naturschutz gestellt, die wirtschaftliche Nutzung eingeschränkt. Dafür gab es eine schöne Entschädigung, die zwecks Steuerersparnis am günstigsten wieder in Waldbesitz anzulegen war. Auf Kredit zu banküblichen Zinsen, lächeln Durchlaucht fein, hätte man sich keinen einzigen Baum gekauft. Autovermieter Feilschen um zehn Mark Statt Luxuslimousinen mieten Geschäftsleute zunehmend Kleinwagen. Vielen Autoverleihern droht das Ende. esucher der Deutschland-Zentrale des Autovermieters Hertz glauben Bhäufig, sie hätten sich in der Adresse geirrt. An der Fassade des schäbigen Bürohauses im Frankfurter Gallusviertel kleben Plakatfetzen. Stadtstreicher kampieren im Hauseingang. Autoverleiher Sixt Kesse Sprüche und schrille Werbung Avis-Manager Woitscheck: Bald nur noch drei große Anbieter Innen sieht es nicht viel besser aus. Im Treppenhaus liegt der Staub fingerdick. Die schmuddligen Wände müßten dringend getüncht werden. Doch dafür fehlt offenbar das Kleingeld. Weil die Firma 1993 in der Bundesrepublik erstmals Verluste machte, sparen die Manager, wo sie können. Wenn es sein muß, erzählt Deutschland-Chef Patrick Kennedy, feilsche ich mit Lieferanten bis spät in die Nacht um zehn Mark. Alle großen Leihwagenvermieter, ob Hertz, Europcar, Sixt oder Avis, hatten im vergangenen Jahr kräftige Einbußen bei Umsatz und Gewinn. Viele kleine Unternehmen verkauften ihre Flotte komplett oder meldeten Konkurs an. Wenn der Trend anhält, prophezeit Avis-Chef Dieter Woitscheck, gibt es im Jahr 2000 in Deutschland nur noch drei große überregionale Anbieter. Der Abschwung trifft die Autoverleiher denkbar hart. Sie waren in den vergangenen Jahren von der Konjunktur besonders verwöhnt worden. Als die Wirtschaft noch boomte, genehmigten sich Geschäftsleute auf Dienstreisen gern große Limousinen von BMW oder Mercedes-Benz. Auch der Absatz von Gebrauchtwagen lief wie geschmiert. Die ausgemusterten Kraftfahrzeuge waren vor allem in Ostdeutschland heiß begehrt. Beim Wiederverkauf strichen die Verleiher oft mehrere tausend Mark Gewinn ein. Seit es mit der Konjunktur bergab geht, zwängen sich immer mehr Führungskräfte in Kleinwagen wie den Corsa von Opel oder den Ford Fiesta. Wer gerade einige tausend Leute entlassen hat, meint ein Münchner Maschinenbaumanager, kann doch bei Kunden oder Lieferanten schlecht mit der neuen S-Klasse von Mercedes vorfahren. Auch der Absatz der Altautos macht zunehmend Sorgen. Im Osten sind sie kaum noch loszuschlagen. Der Nachholbedarf ist dort längst gedeckt. Etliche Verleiher geben ihre gebrauchten Fahrzeuge deshalb direkt an die Hersteller zurück oft mit Verlust. Einen Teil ihrer Schwierigkeiten haben die Autovermieter jedoch selbst zu verantworten. Die meisten Verleiher verlangen von Großkunden seit einigen Monaten deutlich höhere Preise. Damit wollten sie niedrigere Rabatte der Automobilkonzerne ausgleichen. Das ging gründlich schief. Vielen Firmen sind die neuen Raten zu hoch. Sie schicken ihre Mitarbeiter lieber im Privatwagen oder mit der Bundesbahn auf Dienstreise. Bedrohlich könnte die Situation vor allem für die rund 1100 kleinen regionalen Autovermieter in der Bundesrepublik werden. Sie haben sich auf die Beschaffung von Unfallersatzwagen spezialisiert. Damit fuhren sie in der Vergangenheit üppige Gewinne ein. Die Kleinvermieter berechneten den Assekuranzunternehmen dabei völlig überzogene Preise. Diese wiederum legten die Mehrkosten auf die Prämien ihrer Versicherungskunden um. Seit gut einem Jahr funktioniert das schöne Selbstbedienungssystem nicht mehr. Ende 1992 kündigten die Versicherer die Verträge mit den Vermietern. Die müssen nun neu verhandeln. Einige große Versicherer, darunter die Colonia, die Gothaer Versicherung und die R+V-Versicherung, gründeten vor einigen Wochen eine eigene Mietwagentochter. Die Firma mit dem Namen Carpartner soll Autofahrern, die in einen Unfall verwickelt wurden, günstige Ersatzwagen vermitteln. Branchenkenner vermuten, daß der Versicherungsableger demnächst auch DER SPIEGEL 14/

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115 WIRTSCHAFT noch ins Geschäft mit Firmenkunden und Touristen einsteigen wird. Die etablierten Vermieter wollen das um jeden Preis verhindern. Sie buhlen deshalb besonders stark um die Gunst der Kunden. Hertz-Manager Kennedy und seine Kollegen bieten den neuen Ford Mondeo schon für 99 Mark pro Tag an. Dabei verdienen wir noch Geld, freut er sich. Die Amerikaner wollen außerdem ihre Werbeausgaben in diesem Jahr verdreifachen. Eine andere Strategie fährt der Konkurrent Avis. Er will sein Angebot und die Einsatzplanung verbessern und dem Kunden jederzeit an jedem Ort den Wagen seiner Wahl anbieten. Den größten Wirbel veranstaltet wieder einmal der Münchner Außenseiter Erich Sixt. Der knorrige Bayer nervt seine Konkurrenten gern mit Dumpingpreisen und frecher Werbung. Seit Dezember offeriert er einen Golf Turbo Diesel für 99 Mark pro Tag. Sein neues Angebot garniert der Bayer in bewährter Manier: mit schrillen Anzeigen und kessen Sprüchen. Wir sind nicht so blöd, wie wir aussehen, wir mieten bei Sixt, verkünden auf einer Annonce beispielsweise zwei vertrottelt dreinblickende Geschäftsleute. Einiges Aufsehen dürfte auch ein anderer Coup von Sixt verursachen. Der Unternehmer will in den kommenden Wochen erstmals einige hundert Limousinen von Toyotas Luxusmarke Lexus in seine Flotte aufnehmen. Die meisten anderen Anbieter schrecken vor solchen Offerten noch zurück. Sie wollen einheimische Hersteller nicht verprellen oder haben bindende Abnahmeverträge mit speziellen Produzenten. Für seinen japanischen Leckerbissen hat Sixt auch schon eine aggressive Anzeige entworfen. Sie zeigt einen nagelneuen Lexus und darüber in fetten Lettern den Slogan: Das Sixt-Angebot gegen Ausländerfeindlichkeit. 2,6 2,7 3,4 3,9 3,9 Umsatz in Milliarden Mark 3,3 3, (geschätzt) Manager Nach Aktenlage VW-Manager Ignacio López muß mit einer Verurteilung wegen Falschaussage rechnen. Gebremstes Geschäft Autovermietung in Deutschland Europcar 14,9% Sixt 13,2% Sonstige 40,1% Avis 9,7% Autohansa 6,8% CC 6,8% Hertz 8,5% Marktanteile 1992 VW-Einkaufschef López Die Bilder wollte ich sehen it Gelassenheit hat José Ignacio López stets alle Vorwürfe zur MKenntnis genommen, er habe bei seinem Wechsel von General Motors zu Volkswagen geheime Papiere mitgehen lassen. Seine Anwälte, so der Spanier, würden schon alles richten das sei schließlich ihr Job. Doch leicht wird der Job nicht. Noch ehe die Staatsanwälte entschieden haben, ob López wegen Industriespionage angeklagt wird, droht Ärger auf einem Felde am Rande: López könnte schon bald wegen falscher eidesstattlicher Versicherung vor Gericht stehen. Für Staatsanwalt Andreas Behm in Hamburg hat sich der Verdacht verdichtet, daß eine zehn Punkte umfassende eidesstattliche Versicherung des VW-Managers gleich an mehreren Stellen falsch ist. Das Strafmaß bei falscher eidesstattlicher Aussage reicht von einer Geldstrafe bis zu drei Jahren Haft. Für Volkswagen wäre eine Verurteilung des nach Konzernchef Ferdinand Piëch wichtigsten Managers eine peinliche Sache. VW wäre wahrscheinlich der einzige Konzern, in dessen Vorstand ein verurteilter Manager arbeitet. Anlaß für die Ermittlungen gegen López war dessen Reaktion auf die SPIE- GEL-Titelgeschichte Der Skrupellose (Nr. 21/1993), die sich mit den Spionagevorwürfen gegen den einstigen Einkaufschef von General Motors (GM) befaßte. López und seine Getreuen reagierten mit Gegendarstellungen und Anträgen auf Unterlassung. Gestützt auf die eidesstattlichen Versicherungen des Spitzenmanagers, hatte das Landgericht Hamburg den SPIE- GEL Anfang Juli 1993 zum Abdruck der Gegendarstellungen und zur Unterlassung verpflichtet. Das Widerspruchsverfahren gewann der SPIEGEL in den meisten Punkten. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind eine Folge dieser Auseinandersetzung. Die Widersprüche zwischen den Behauptungen des Spaniers und Zeugenaussagen der Gegenseite waren allzu auffällig. In einem Punkt belastete López sich sogar selbst. So hatte er am 2. Juni 1993 an Eides Statt behauptet: Ich habe keine Fotos des neuen Vectras erbeten oder erhalten. Gut vier Monate später aber, am 15. Oktober, widerrief der VW-Einkaufschef seine Aussage ebenfalls in einer eidesstattlichen Versicherung. Sie war dem Oberlandesgericht Frankfurt in einem Verfahren über ein Beschäftigungsverbot von López und seinen Helfern bei VW vorgelegt worden. In dieser Erklärung räumt López unter Eid ein, die Vectra-Fotos selbst angefordert und von Opel-Manager Michael Heuss erhalten zu haben. Ich erinnere mich, so López in Frankfurt, daß ich in Zürich Anfang Februar 1993 die Bilder von Herrn Heuss erhielt. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es ein Bild oder sechs Bilder waren. Die Bilder wollte ich sehen, weil mir die Abteilung,Advance Purchasing unterstand, also die Abteilung, die für den Einkauf für zukünftige Modelle zuständig ist. Auch Punkt drei der ersten eidesstattlichen Versicherung scheint nach den bisherigen Erkenntnissen, so Staatsanwalt Behm, falsch zu sein. Darin geht es DER SPIEGEL 14/

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118 WIRTSCHAFT um eine Rede, in der López seinen Entschluß erklären wollte, doch bei GM zu bleiben. Zum vorgesehenen Zeitpunkt der Rede aber war der Spanier schon unterwegs nach Wolfsburg. Gegenüber dem SPIEGEL bestritt López seine Urheberschaft: Die Rede, die ich anläßlich meiner,rückkehr am halten sollte, ist von der Presseabteilung von General Motors und nicht von mir verfaßt worden. GM-Pressesprecherin Toni Simonetti sagte dagegen aus, daß ihr López den Text weitgehend diktiert habe. Der Baske hatte außerdem, wie eine den Richtern präsentierte Kopie belegte, das Redemanuskript an vielen Stellen handschriftlich korrigiert. Die Staatsanwaltschaft scheint offenbar entschlossen, den Fall López schon bald abzuschließen. Binnen eines Monats, teilte Behm den Anwälten mit, seien etwaige Einlassungen zu den persönlichen Verhältnissen und zur Sache durch Ihren Mandanten einzureichen. Ansonsten, kündigte Behm an, werde das Verfahren nach Aktenlage abgeschlossen. Und die sieht gar nicht gut aus für López. Bausparen Wie in alten Zeiten Die Bausparkasse Wüstenrot, lange Marktführer, wird mehr und mehr von der cleveren und aggressiven Konkurrenz verdrängt. esuchern gestattet Otto Schäfer, 63, gern den Blick auf die Stuttgar- Bter Region aus seinem Büro im 16. Stock. Dazu erzählt der Chef der Bausparkasse Wüstenrot auch noch ein paar lustige Anekdoten aus dem Ländle. Doch wenn es um seinen Job geht, wird Schäfer ganz bekümmert: Wenn nur die Aussicht im Bauspargeschäft genausogut wäre wie die von meinem Schreibtisch. Der Manager im derb-biederen Jakkett hat zwar vieles probiert alles aber ohne Erfolg. Unaufhaltsam sinkt die Bedeutung seiner Bausparkasse. Schäfer bleibt nur die Erinnerung an die goldenen siebziger Jahre, als seine Kasse noch den Markt beherrschte. Wüstenrot ist zwar der Erfinder des Bausparens (Eigenwerbung) und bis heute das bekannteste Institut. Doch Solidität allein reicht nicht mehr. Müdemacher, witzelt Georg Krupp, 10% 100% 52% 100% Wüstenrot Stiftung Deutscher Eigenheimverein e.v. Wüstenrot Holding GmbH Hausbau Wüstenrot GmbH Bilanzsumme 155 Millionen Mark Wüstenrot Städtebau- und Entwicklungsgesellschaft mbh Bilanzsumme 22 Millionen Mark Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung mbh Bilanzsumme 3 Millionen Mark Wüstenrot Immobilien GmbH Bilanzsumme 3 Millionen Mark 100% Wüstenrot Grundstücksverwertungs- Gesellschaft mbh Bilanzsumme 5 Millionen Mark Konzernbilanzsumme Millionen Mark 90% 100% 10% 15,5 10% 28% 25% 60% 13,4 43 Mitglieder, gemeinnützig Bausparkasse GdF Wüstenrot gemeinnützige Gesellschaft mbh Bilanzsumme Millionen Mark Wüstenrot Bank AG Bilanzsumme 9669 Millionen Mark Wüstenrot Lebensversicherungs-AG Bilanzsumme 3045 Millionen Mark 13,0 12,3 Marktanteile von Wüstenrot bei neuen Geschäftsabschlüssen in Prozent 11,3 100% 75% 10,8 geschätzt: über Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, über die Konkurrenz. Die Großbank hat vor sieben Jahren selbst eine Bausparkasse gegründet. Hans Wielens, Chef der Deutschen Bank Bauspar AG, macht vor, wie sich Bausparen heute noch erfolgreich verkaufen läßt: mit pfiffigen Tarifen, cleveren Vermarktungsstrategien und vielseitigen Absatzwegen. Wüstenrot fehlt es an allem. Altmodisch wirken die meisten der 700 Wüstenrot-Geschäftsstellen ebenso wie die Zentrale in Ludwigsburg. Seit den siebziger Jahren wurde am Interieur greller Teppichfußboden, rustikal-furniertes Mobiliar und Gummibäume offenkundig nichts verändert. Wenig Phantasie hatten die Wüstenrot-Manager auch bei den Bauspartarifen: Den klassischen Einheitstarif variierten sie nur wenig. Die Entwicklung neuer Angebote haben die Ludwigsburger verschlafen. Obendrein läßt Schäfer seine Verträge, wie zu Großvaters Zeiten, vorwiegend über einen eigenen Außendienst verkaufen. Die 1700 Vertreter erreichen jedoch nur ein überwiegend älteres Publikum. Junge Leute gehen lieber zur Bank, dort lassen sie sich dann ihren ersten Vertrag, oft als 936-Mark-Sparen, vermitteln. Daher haben die Verbund-Institute 13 regionale Landesbausparkassen mit den Sparkassen, Schwäbisch Hall mit den Volks- und Raiffeisenbanken Wüstenrot schon vor einigen Jahren von der Spitze verdrängt. Schäfer versuchte mehrmals, mit Banken ins Geschäft zu kommen. Er kaufte 1987 die Deutsche Kredit- und Handelsbank (DKH). Doch die Zusammenarbeit zwischen den biederen Bausparern und den feinen Privatbankern klappte nicht. Ende 1993 verkaufte Schäfer mit rund 80 Millionen Mark Verlust die DKH an die Berliner Grundkreditbank. Dann probierte er es mit Kooperationen. Doch alle Gespräche mit Geldinstituten, darunter die Bayerische Vereinsbank, waren erfolglos. Die Ludwigsburger, sagt ein Münchner Banker, haben halt ein zu starkes Sendungsbewußtsein. Auch innerbetrieblich häufen sich die Probleme. Die Verwaltung und die hauseigene Vertretertruppe, die Schäfer nochmals um 300 Mitarbeiter aufstokken will, verschlingen zuviel Geld. Nun soll die Unternehmensberatung Diebold die Verwaltung durchleuchten. Viel erhofft sich Schäfer davon aber nicht: Wir müssen alles selbst machen. Die hohen Kosten sind eben der Preis für unsere Selbständigkeit. Und die will Schäfer partout nicht aufgeben. Selbst für die Zeit nach seinem Abgang sorgte er vor: Eigentümer des Geldkonzerns ist heute ein eingetragener Verein mit 43 Mitgliedern, der nach den gleichen Regeln wie ein Vorstadt-Turnverein funktioniert. Damit hat sich Schäfer aber möglicherweise selbst geschadet. Denn der Manager, amtsmüde nach den vielen Flops, möchte aufhören, je eher, desto lieber. Weil sich im Wüstenrot-Konzern kein geeigneter Nachfolger fand, beauftragte Schäfer Headhunter mit der Suche. Doch selbst die Profis haben Probleme: Denn die Inzucht bei Wüstenrot, so ein Banker, verschreckt viele Aspiranten. 118 DER SPIEGEL 14/1994

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120 Soldatin Knox beim Gefechtstraining: Kämpfen, wenn jeder angeborene Instinkt diktiert, davonzulaufen Frauen BRUST RAUS: KILL! SPIEGEL-Redakteurin Bettina Musall über die Ausbildung von Elite-Soldatinnen bei den US-Marines ie meisten Mädchen schlafen fest, wenn ihr neues Leben beginnt. 20 DStunden ist es her, daß sie sich vor Sonnenaufgang von Eltern und Geschwistern verabschiedet haben, als ob sie in den Krieg ziehen müßten. Dabei sind sie freiwillig gekommen, aus allen Ecken des Kontinents, hierher in den Südosten der USA, wo sie für drei Monate hinter einem Schlagbaum verschwinden werden. Die letzten Meilen bis zum Stützpunkt der Marines in Parris Island schaukelt ein Bus die übermüdeten Rekrutinnen. Ein vier Spuren überspannendes Transparent markiert die Einfahrt des Kasernengeländes: Where the difference begins, wo der Unterschied anfängt. Hoffnung oder Warnung die jungen Frauen, die hier eine Zukunft suchen oder eine Vergan- Übermüdete Rekrutinnen in Parris Island: Schluß mit dem Gequatsche 120 DER SPIEGEL 14/1994

121 GESELLSCHAFT Appell im Schlafsaal: Was glaubst du, wer du bist? genheit abschütteln wollen, haben kurz vor Mitternacht keine Kraft mehr für Freude oder Furcht. Noch werden sie wie Menschen behandelt. Sergeant Harris brüllt, aber er kreischt nicht: Aufwachen, raus, raus, bewegt euch. Eine Teenie-Meute, ähnlich ihren Vorbildern aus der Schmalzserie Beverly Hills, taumelt die Busstufen hinab. Lolitas, deren Wimperntusche nun Erschöpfungsschatten wirft; Hamburger-gefütterte Darlings in T-Shirt-Zelten, die überzählige Pfunde wegmogeln sollen; Leichtathletinnen, die 100 Meter unter 13 Sekunden laufen und jetzt über die Schnürsenkel ihrer Joggingstiefel stolpern. Auf der Straße vor dem Ankunftsgebäude ist mit gelber Farbe eine Einheit Fußabdrücke auf den Asphalt gemalt, rechter Fuß, linker Fuß, im Winkel von 45 Grad. Da müssen die Neulinge Aufstellung nehmen, die Sneakers nach dem Vorbild ausrichten, und Schluß mit dem Gequatsche, brüllt Sergeant Harris, und habt ihr mich verstanden? Yes, Sir, rufen sie zurück, nicht laut genug: Ihr habt mich verstanden? Und nun klappt es zehn Schreistärken schriller: Sir, yes, Sir. Auf den yellow footprints, sagt Ausbilderin Heike Karr, 32, da beginnt der Unterschied. Zwischen Haltlosigkeit und Disziplin, zwischen Durchschnittsbürger und Soldaten. Noch stehen sie mit zusammengesunkenen Schultern da, aber schon in Reihe und Glied. Noch schmücken bunte Bänder und Spangen die Haare. Eine hat die Lippen rot gemalt, eine trägt einen Walkman, eine hält in ihrer Jackentasche ein Stofftier fest allamerican girls, meist direkt von der Schule. Sie heißen Tamika Graham, Wendy Snipes, Renee Knox. Nahkampftraining: Unser Geschäft heißt Leben und Tod Aber nicht mehr lange, sagt Sergeant Karr. Keine Talismane, keine Süßigkeiten, kein Make-up, nicht mal ein Deodorant dürfen sie benutzen. In 24 Stunden haben diese Mädchen statt ihres Vornamens eine Versicherungsnummer im Kopf: Rekrut Knox, , Platoon Botschaft Nummer eins: Du bist nichts. Botschaft Nummer zwei: Wir machen etwas ganz Besonderes aus dir. Von nun an haben diese Mädchen die Chance, sagt Karr, und das ganze Pentagon spricht aus ihr, von den Schwächsten der Gesellschaft zu den Besten aufzusteigen. Nur die Besten, davon sind hier alle überzeugt, verdienen, zu ihresgleichen zu zählen, zu den Elitetruppen der US-Marines. Ledernacken werden sie genannt, auch die Frauen. Das klingt nach Unverwundbarkeit. Gemeint ist mit dem Leitspruch Semper Fidelis (lateinisch: auf ewig treu) jedoch, daß jede und jeder bereit sein muß, die Individualität gegen eine Uniform zu tauschen, nicht mehr zu denken und zu fragen, sondern Befehlen zu gehorchen und allzeit für Volk und Land das Leben zu opfern. Korea, Vietnam, der Libanon, 1983 in Grenada, 1990 am Persischen Golf, 1993 in Somalia: Seit vor fast 220 Jahren das Marine-Corps gegründet wurde, schicken amerikanische Präsidenten die Meister des todbringenden Handwerks rund um den Globus ins Feuer. Denn die Marines gelten als die Härtesten, die Tollkühnsten. Rund solcher Musterkrieger kann das Weiße Haus aus der Reserve holen, zehn Prozent davon sind Frauen. Die weiblichen Rekruten werden auf der Halbinsel in South Carolina geschliffen, 569 Stunden Drill Brust raus: Kill! Ausgerechnet beim Militär, in einer Hochburg des Patriarchats, suchen Frauen Zuflucht, die in der Zivilgesellschaft nicht weiterkommen. Feministinnen, Juristinnen und Politikerinnen haben für weibliche Soldaten in den vergangenen 20 Jahren mehr und mehr Rechte erstritten. Arbeitslosigkeit und Rezession treiben den Marines obendrein Schulabgängerinnen zu; das Corps finanziert Zeitsoldaten eine Ausbildung und bietet sichere Jobs. Die Rekrutierungsoffiziere sprechen gern von Patriotismus, aber die meisten Frauen kommen, sagt Lieutenant Colonel Kathleen G. Bergeron, die das Frauenbataillon in Parris Island kommandiert, weil es aussichtsreicher ist, beim Militär Karriere zu machen als bei Rank Xerox oder IBM. Da nehmen sie die Härten einer Zuchtanstalt in Kauf. Drei Monate kein Ausgang, kein Besuch, Telefonate nur in Gegenwart des Vorgesetzten. Totale Isolation, bis sie den Sprung unter jene selbsternannten Besten geschafft haben: vom Mamma-Söhnchen, so heißt es in der Rekrutenbibel für beide Geschlechter, zu einer Gefechtsmaschine, die auch dann noch unbeirrbar steht und DER SPIEGEL 14/

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124 GESELLSCHAFT kämpft, wenn jeder angeborene Instinkt diktiert, davonzulaufen. Mächtig und quadratisch trutzen die roten Klinkergebäude des vierten Bataillons die Frauenhäuser von Parris Island inmitten des Ausbildungslagers. Hier gibt es keine Widerworte mehr. Im Schlafsaal des Platoons 4007 schwebt eine Spannung im Raum wie nach einem Bombenalarm. Tag drei im Lager, der offizielle Drill beginnt. Rechts und links an den doppelstöckigen Betten hängen Feldflaschen und Sturmgewehre. In 54 kleinen Seemannskisten sind Haarschmuck, Walkmen, Teddys verstaut. Nichts soll hier von der Kasernierung ablenken. Seit zwei Stunden sitzen die neuen Rekrutinnen im Schneidersitz auf blankem Linoleum. Der Fußboden ist nun Mädchen beim Gewehrreinigen: Ohne Frauen kein Krieg für Wochen ihr Platz. Wer anderswo hockend erwischt wird, sagt Sergeant Karr, landet mit dem Gesicht nach unten auf der Erde Liegestütz. Die Ausbilderinnen, die hier Drill Instructors heißen, müssen schwören, daß sie den Rekrutinnen keinen Schaden zufügen. Sie dürfen sie nicht schlagen. Aber sie dürfen foltern, auf eine Weise, die schon beim Zusehen alle Fluchtinstinkte wachruft. Get up, kreischt plötzlich Drill Instructor Lowell. Die sehnige Frau, die eben noch mit einer Kollegin Wochenenderlebnisse ausgetauscht hat, biegt den Oberkörper vor wie zum Sprung, dreht die Handflächen nach außen, als wolle sie zupacken und schreit. Sie werden Streß-Monster genannt, und sie schreien derart, daß die Befehle kaum zu verstehen sind. Ihre verzerrten Münder berühren beinahe die Ohren der Rekrutinnen: Who are you? Was glaubst du, wer du bist? Don t look at me! Sieh mich nicht an. You look straight! Schau gefälligst geradeaus. Und immer wieder: Who are you? Dieses Schreien erzeugt Panik. Die Mädchen stoßen im Lauf zusammen, kriegen die Schlösser ihrer Kisten nicht auf, eine hält die Kennkarte falsch herum Lowell schreit sie so an, daß die Stimme kippt und der Neuen Schweißtropfen auf die Oberlippe treten. Das Gebrüll ist inszeniert. Die Stimmbänder werden systematisch dafür trainiert. Überall auf dem Gelände üben angehende Drill Instructors im Freien dieses entmenschte Schreien. Es soll eine irrationale Bedrohung auslösen, eine Atmosphäre akuter Angst, eine Art Krieg. Das Lernziel: Auch unter solchem Druck sollen die Soldatinnen funktionieren. Richtig angeschrien, fangen die Mädchen zu zittern an, als hätten sie Schüttelfrost. Der Streß löst in Körper und Seele Alarm aus: Bei fast allen Frauen hört kurz nach Beginn der Ausbildung die Periode auf. Sie entwickeln einen solchen Haß auf ihre Peinigerinnen, daß ihnen beim Schießtraining die Patronen einzeln zugeteilt werden, um Affekttaten vorzubeugen. Nacht für Nacht, drei Wochen lang, lag Rekrut Leslie McKinney, 21, mit Mordgedanken wach. Dann hatten sie der zähen Sportlerin ihre Notwehrimpulse ausgetrieben. An Stelle dessen, was sie selbstkritisch dieses ich, ich, ich, mir, mir, mich, mich nennt, ist ein unerschütterliches Wir-Gefühl getreten. Die Antwort auf das Who are you? kommt prompt: Ich bin niemand. Das Team und das Marine-Corps sind alles. Gemeinschaftsgeist, Selbstdisziplin, Abstand vom Ich solche Werte werden in westlichen Gesellschaften von Eltern und Schulen kaum mehr vermittelt. Rekrut McKinney hat einen Dad, der als Unternehmer genug Dollars verdient; eine Mom, die nur zum Zeitvertreib Eiscreme und Candys verkauft; ein Surfbrett, einen Tennisschläger, einen Boyfriend, eine Partyclique. Was sie nicht hat, als sie die High-School verläßt, ist das Gefühl, für irgend etwas wichtig zu sein. Die Marines locken Jugendliche, die sich danach sehnen, intensiv bis zur Schmerzgrenze zu leben, die nach Herausforderungen verlangen, um Selbstvertrauen zu gewinnen, mit dem militärischen Imperativ: Befehl und Gehorsam, Anpassung, Pflichttreue, Opferbereitschaft. Die Unterwerfungsrituale werden mit vordemokratischen Methoden ähnlich wie in Sekten oder Wehrsportgruppen exekutiert die Person erst einschüchtern, dann entkernen, neu aufbauen und mit Elitebewußtsein ausstatten. Derart aufgewertet, vergessen die Stolzgeschwellten ganz, daß die aufgeblasene Sinngebung letztlich im Dienste des Krieges geschieht. Aber da kein lebender Amerikaner je im eigenen Land im Bombenhagel saß und das importierte Grauen des Vietnamkrieges allmählich verblaßt, sind patriotische Gefühle wieder leichter zu mobilisieren. Vor allem bei jenen, die zum unteren, abgehängten Drittel der Leistungsgesellschaft gehören. Da haben viele mehr Angst, im zivilen Existenzkampf auf der Strecke zu bleiben, als an der Kriegsfront zu sterben. Und wer heilfroh ist, für monatlich 770 Dollar bei den Truppen seines Vaterlandes unterschlüpfen zu können, fragt auch nicht, ob Staat und Politik schuld sind, daß Millionen Jugendlicher in den USA ohne Schulabschluß oder Job auf der Straße enden. Rekrut Knox, 18, ist nicht nur weiblichen Geschlechts und aus einer Drogenfamilie, was in der Sozialbilanz schon zwei Minuspunkte bringt; das Mädchen ist auch noch arm und schwarz wie fast ein Fünftel der US-Armee. Die Schülerin Knox erlebt Horror zu Hause und in ihrem Viertel in East-Austin/Texas, wo die Freunde an der Klebstofftüte oder an der Crackpfeife hängen. Irgendeine Kraft, Knox nennt sie Gott, bewahrt sie vor dem Absturz ins Nichts. Ihre Droge gegen die Hoffnungslosigkeit ist nicht der Stoff, sondern der Sport. Doch nach der High-School ist endgültig Schluß: kein Geld, kein College. Die Marines, sagt Rekrut Knox, vor Dankbarkeit glühend, geben mir zum erstenmal in meinem Leben eine faire Chance. Als das Mädchen mit der 124 DER SPIEGEL 14/1994

125 Bajonettübung: Gleichberechtigt nur beim Sterben Ausstrahlung einer Heilsempfängerin bei der Musterung fragt, ob es störe, daß sie Afro-Amerikanerin sei, bekommt sie eine Antwort, die ihr heute noch das Wasser in die Augen treibt: Bei den Marines unterscheiden wir nur dunkelgrüne und hellgrüne Soldaten hell, wenn die Uniformen von der Sonne und vom Waschen ausgeblichen sind. Auf dem gepflegten Sportplatzrasen vor den weißen Holzvillen der Offiziere trainieren angehende Kriegerinnen das Töten im Nahkampf, Frau gegen Frau. Die Sonne scheint, aber niemand spielt auf den kaserneneigenen Tennisplätzen es ist still wie in einem englischen Countryclub. Drill Instructor White kommandiert in einer Lautstärke, als mache ihm das Rauschen der Kastanienbäume Konkurrenz. Twist! Grab! Pull! Stump! So lernen die Rekrutinnen, dem Gegner einen Arm zu brechen, ihn zu Boden zu zwingen und ihm das Gesicht zu zertreten. Wenn sich die Absätze der Kampfstiefel neben dem Kopf der Übungskameradin ins Gras gebohrt haben, befiehlt Sergeant White: Recover! Hörbar atmen alle 35 Mädchen ein, nehmen Aufstellung und von vorn: Kill! Trotz aller inszenierten Angriffslust fällt es dem Platoon 4035 in dieser Parklandschaft schwer, sich in einen Todeskampf an der Front zu versetzen. In den Sekunden zwischen zwei Kommandos kichern manche unwillkürlich los was hart bestraft wird, viereinhalb Minuten Dauerlauf in einer Sandkuhle, Pause, noch mal viereinhalb Minuten. Sandra Basset kichert nicht. Sandra Basset ist es viel zu ernst damit, endlich etwas zu werden, was sie von allen anderen Frauen in den USA unterscheidet: eine Auserwählte, sagt sie mit corpseigenem Pathos. Das ist viel für eine 24jährige ohne Ausbildung, geschieden, drei Kinder, die bis vor kurzem verzweifelt war, weil es ihr zu spät schien, noch mal von vorn anzufangen. Mit einer Willenskraft, die wohl aus Torschlußpanik entsteht, hat sie sich unter die Sportskanonen ihrer Einheit gequält. Mein Schwangerschaftsbauch ist weg, sagt sie stolz. Die Kinder leben beim Vater. Jetzt will Sandra kämpfen, mit der Panzerfaust im Arm wie die Männer, für ein Leben voller Ehre und Stolz. Oder für einen Tod. Körperlich sind die insgesamt freiwilligen Soldatinnen der US-Streitkräfte fit zu töten und zu sterben wie die Männer. Auf dem Übungsschießgelände in Parris Island liegen oder stehen sie neben den Rekruten, mit der M-16 im Anschlag. Auf dem Leatherneck - Platz hangeln und stemmen sich die Mädchen Schwielen wie die Jungen. Sie robben unter Stacheldrahtschikanen durch, bis das Blut vom Gesicht läuft, halten in der Giftgaskammer Erstickungsängste aus. Und der Mordschrei, den die Nahkämpferinnen ausstoßen, wenn sie mit dem Bajonett einen imaginären Feind im Sandsack durchbohren, klingt wegen der weiblich-schrillen Tonlage sogar bedrohlicher als bei den Männern. Schlußappell vor der Entlassung: Wie geklont Wirklich gleichberechtigt sind die Soldatinnen bisher jedoch nur beim Sterben. Frau gegen Mann kämpfen dürfen sie noch nicht, wohl aber fallen, Beispiel Golfkrieg: 5 der weiblichen Soldaten kamen in schwarzen Leichensäcken aus dem Wüstensturm zurück. Ohne die Frauen, kommentierte General Colin Powell, können wir keinen Krieg mehr führen. Emanzipationsstrateginnen in Washington, allen voran die demokratische Kongreßabgeordnete Patricia Schroeder, geben sich damit nicht zufrieden; sie fordern Gleichstellung bei der Beförderung. Scheinheilig nennt Frauen-Kommandeurin Bergeron Absichtserklärungen von Politikern, die Chancengleichheit ausgerechnet auf dem Schlachtfeld einführen zu wollen. Solange die Rambo-Gesellschaft Mädchen immer noch zu sanften Wesen, Jungen hingegen zu Draufgängern erziehe, fürchtet die Mutter einer Tochter und eines Sohnes, daß Frauen im direkten Kampf Männern psychologisch unterlegen wären. Oberstleutnant Bergeron, die es bis zum General bringen könnte, hält es für verantwortungslos, Emanzipation zu exekutieren. Schließlich verpacken wir hier keinen Zucker. Unser Geschäft heißt Leben und Tod. Air-Force-Pilotinnen dürfen seit vergangenem Jahr Kampfflugzeuge wie die A-10 Thunderbolt II auch im Kriegsfall fliegen. Donnerkeil-Captain Martha McSally, 27, gebietet über Maverick-Raketen und eine Schnellfeuerkanone, mit der sie pro Minute 4200 Schuß abfeuern kann. Die zierliche Pilotin, die kaum über den Rand ihres titangepanzerten Cockpits schaut, ist DER SPIEGEL 14/

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128 GESELLSCHAFT entschlossen, egal an welcher Front, eine verdammt gute Arbeit abzuliefern. Verdammt gute Arbeit, das heißt verdammt viele Tote eine teuer erkaufte Waffengleichheit der Geschlechter. Schon ohne Kampfgetümmel findet Kathleen Bergeron es für die 1400 Rekrutinnen auf der Insel schwierig genug, sich neben Rekruten zu behaupten. Sehr isoliert seien die Frauen, räumt die studierte Literaturwissenschaftlerin ein. Während der Grundausbildung sind private Kontakte mit dem anderen Geschlecht verboten. Wer schwanger wird, fliegt raus. Was ist das beste Verhütungsmittel? ruft die Ausbilderin im Sexualkundeunterricht, und 42 Mädchenstimmen brüllen im Chor zurück wie eine Frau: Abstinenz! Oberstleutnant Bergeron ist mit einem jüngeren, rangniedrigeren Offizier verheiratet. Auf dem Kasernengelände muß er vor seiner Frau salutieren. Aber welcher Mann, fragt die Staatsbürgerin in Uniform, ist schon selbstbewußt genug, mit einem weiblichen Drill Instructor zusammenzuleben? Die Lady mit den Audrey-Hepburn- Augen, die trotz ihrer 45 Jahre manchmal aussieht wie ein hübscher Lümmel, versenkt beide Hände in den Hosentaschen: Und wie viele Frauen, sagt sie und präsentiert den Tarnoverall kokett wie ein Chanel-Model, haben Lust, jeden Tag in diesem Arbeitskostüm ins Büro zu gehen? Nicht mal 30 Prozent der weiblichen Marines wollen Berufssoldatinnen werden. Viele heiraten nach der Grundausbildung oder suchen sich einen zivilen Job. Es ist beinahe unheimlich, wieviel Kraft und Zuversicht von den meisten Mädchen des Marinecorps ausgeht. Sind sie nicht angetreten, ihre Persönlichkeit abzugeben? Haben sie nicht Demütigungen ausgehalten, die das Rückgrat beugen sollen? Der Crashkurs in Stolz und Würde wirkt anscheinend ebenso nach wie die ganze militaristische Dressur. Rekrut Basset setzt diesen Blick auf, diesen geraden Blick in die Unendlichkeit, immer an den Augen des Gegenübers vorbei. Diesen Laserblick kriegen sie alle, wie geklont, wenn sie von ihrem Selbstwertgefühl und von ihrem Auftrag reden, die USA zu schützen. Rekrut Basset, nennt sich Sandra Basset vorschriftsmäßig in der dritten Person, was sich anhört, als spreche sie über eine Science-fiction-Figur, Rekrut Basset wird sich im Leben nie wieder rumstoßen lassen. Auf den Ernstfall fühlt sich Rekrut Basset mental vorbereitet. Ob Sandra Basset aber wirklich töten kann, sagt die junge Mutter und sieht ihr Gegenüber ausnahmsweise an, muß sich im Ernstfall erweisen. Werbung Kippe im Maul Eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums belegt: Zigarettenreklame verführt Kinder zum Rauchen. Werbefigur Old Joe Camel: Bei Kindern so bekannt wie Mickymaus ein Kamel ist cooler als Old Joe Camel. Es spielt Poolbillard, gam- Kmelt im Liegestuhl am Strand herum, und manchmal macht es, bekleidet mit Hut und Sonnenbrille, Jazzmusik mit seiner Kamelband. Und immer hat es eine Kippe im Schlabbermaul. Kamele, das ist die Botschaft, rauchen Camel, jedenfalls wenn sie hip sind. Die Werbung mit der qualmenden Cartoon-Figur kam bei Kindern an. Nach drei Jahren war Old Joe Camel bei Sechsjährigen bekannt wie Mickymaus. Ein Drittel aller Raucher unter 18 Jahren greift nun zur Camel; vor Beginn der Kampagne hatte der Marktanteil bei unter einem Prozent gelegen. Der Erfolg der komischen Figur ist der bisher deutlichste Hinweis darauf, daß Zigarettenwerbung massiv auf Kinder und Jugendliche wirkt und sie zum Rauchen verführt was die Tabakindustrie bestreitet. Sie behauptet, daß ihre Werbung sich nur an diejenigen wende, die bereits Raucher sind. Old Joe Camel gibt es bisher zwar nur in den USA, aber die Debatte um die Wirkung solcher Werbung wird auch in Deutschland geführt. Das Bundesgesundheitsministerium hatte deshalb ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Lage klären sollte. Die Studie soll in Kürze veröffentlicht werden; die Ergebnisse könnten gewaltig stören: Tabakwerbung verführt zum Zigarettenkonsum, Reklameverbote senken ihn. Durch Auswertung internationaler Forschungsergebnisse und eigene Erhebungen sollten die Freiburger Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Forschung in der Medizin (Gesomed) und das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (Bips) klären, ob Zigarettenwerbung Kinder und Jugendliche zum Einstieg in die Sucht verleitet und welchen Effekt Werbeverbote haben. Da Deutschland zusammen mit Großbritannien, Griechenland und den Niederlanden ein europaweites Reklameverbot für Tabakwaren blokkiert, sieht sich die Bonner Regierung in der Pflicht, ihre Verweigerung zu rechtfertigen. Es geht um viel Geld: Rund 33,3 Milliarden Mark setzte die Tabakindustrie 1993 um, etwa 220 Millionen Mark gab sie für Anzeigen und Plakate aus, Sponsoring für Kultur und Sportveranstaltungen nicht gerechnet. Der Bundesfinanzminister kalkuliert jedes Jahr mit 19 Milliarden Mark Tabaksteuer. Weil in Deutschland täglich etwa 1500 Raucher das Qualmen aufgeben oder sterben, müssen die Hersteller ständig jungen Nachwuchs rekrutieren. Denn wer bis zum Alter von 20 Jahren nicht angefangen hat zu rauchen, wird es 128 DER SPIEGEL 14/1994

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130 wahrscheinlich nie tun. Daher muß Zigarettenwerbung auch auf Teenager zielen. In rund 600 Untersuchungen aus aller Welt fanden Bips und Gesomed denn auch Hinweise, daß Jugendliche Zigarettenwerbung stärker alsandere Reklame wahrnehmen. Selbst Vorschulkinder können schon Zigarettenmarken voneinander unterscheiden. Und sie verstehen genau, welches Image die bunten Anzeigen vermitteln wollen: Für John Player lächeln schöne Menschen vor schwarzen Sportwagen werdiezigaretten aus der schwarzen Schachtel raucht, so die Botschaft, hat Spaß. Solche Werbung verführt stärker zum Rauchen als das Vorbild nikotinsüchtiger Eltern. Vermeintlich beruhigende Ergebnisse über den Zusammenhang zwischen Reklame und Rauchen fanden die Forscher dagegen in einer Studie des New Yorker Wissenschaftlers Jean Boddewyn. Er untersuchte 16 Staaten, in denen Tabakwerbung eingeschränkt ist. Ergebnis: Verbote hielten Jugendliche nicht vom Qualmen ab. Der Umkehrschluß kommt den Geschäftemachern zwischen Lebenslust und Lungenkrebs zupaß: Es darf weiter geworben werden. Die Bremer und die Freiburger werfen der amerikanischen Studie jedoch vor, die befragten Teenager seien nicht repräsentativ ausgewählt. Auch der Ruf des Autors sei nicht makellos seine Studie war von der Tabakindustrie bezahlt worden. Genauso umstritten sind allerdings Untersuchungen, welche zu belegen scheinen, daß Werbeverbote den Konsum senken. Der Engländer Michael Stewart entzauberte eine internationale Vergleichsstudie aus Neuseeland damit, daß nicht mal die zugrundegelegten Zigarettenpreise in den untersuchten Staaten gestimmt hätten. Doch nicht nur die ausländischen Forschungsergebnisse widersprechen einander die beiden deutschen Institute interpretieren sie auch noch gegensätzlich. Die Bremer fanden genügend Nachweise für die Wirkungen von Werbung, die ein Verbot rechtfertigten. Erwiesen sei beispielsweise, daß Kinder eine positive Einstellung zur Zigarettenreklame entwickelten, bevor sie anfingen zu rauchen. Die Freiburger dagegen bezweifeln grundsätzlich den Nutzen von Werbewirkungsstudien zum Thema Rauchen, also auch den ihrer eigenen. GESELLSCHAFT Rauchende Jugendliche auf dem Schulhof Wer mit 20 Jahren nicht raucht, wird es nie tun Forscher gegen Forscher, Studien gegen Studien, Volksgesundheit gegen Zigarettenindustrie: Weil das Interessenknäuel so schwer entwirrbar ist, forderte das Gesundheitsministerium zwei weitere Gutachten an, welche die Bremer und Freiburger Studie analysieren sollten. Ergebnis: Es gebe mit ausreichender Sicherheit einen erkennbaren Einfluß von Tabakwerbung auf das Rauchverhalten Jugendlicher. Dieses Resümee war anscheinend unerwünscht. Denn anstatt der Bundesregierung zu empfehlen, das empfohlene EU-Werbeverbot für Tabakwaren zu unterstützen, ließ das Ministerium das Papier ein weiteres Mal überarbeiten wieder von den Gesomed-Leuten, die von solchen Studien nichts halten. Doch diesmal kamen die Freiburger Überraschung zu dem Schluß, daß ein Totalverbot der Werbung in Kombination mit anderen begleitenden Maßnahmen wahrscheinlich zu einer Reduktion des Rauchens führen würde wenn auch unklar sei, ob dann Kinder oder Erwachsene die Finger von den Glimmstengeln ließen. Daß sich das Ministerium diesem Fazit anschließen und Zigarettenreklame total verbieten wird, ist unwahrscheinlich. Zu wichtig sind allein die Einnahmen aus der Tabaksteuer. In eigener Sache vertrauen die Gesundheitsbeamten allerdings auf genau die Mechanismen, deren Wirkung sie bei der Zigarettenwerbung erst wissenschaftlich bewiesen sehen wollten. Die Aufklärungsspots, mit denen Jugendliche vor dem Rauchen bewahrt werden sollen, locken mit Sport und Vergnügen. Ein energiesprühender, attraktiv transpirierender Nikotinverächter erklimmt eine Steilwand: Du bist stark, so der Slogan, auch ohne Drogen. 130 DER SPIEGEL 14/1994

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132 MODERNES LEBEN S P E C T R U M Kinder Gesunde Schlamperei Bauklötze, Stofftiere, Märchenkassetten, T-Shirts zwischen Cola-Dosen, Joggingstiefel im ungemachten Bett, und im Kleiderschrank sieht es wie nach einem Tornado aus. Eltern, die beim Anblick solcher Zustände in den Zimmern ihrer Sprößlinge zweifeln, ob aus solchen Kindern gesellschaftsfähige Erwachsene werden, können sich beruhigt in ihre aufgeräumten Wohnstuben zurückziehen: Kinder brauchen Chaos, verkündet die Psychologin Hedwig Wallis. Auch heranwachsende Deutsche machen es sich danach gern gemütlich ein urdeutscher Begriff von Lebenskultur, der in keine andere Sprache zu übersetzen ist. Aber Teenager finden eben Schlamperei gemütlich, weil das Freiheit und Designerkleider von Mugler (l.), Chloé Mode Einfach, aber erhaben Der Sommer gehört den Göttern, das haben die Modedesigner für dieses Jahr festgelegt. Und so wandelten die ersten der göttlichen Art über die Laufstege in Paris, Mailand und London: Models wie Statuen, in gewickelten, gefältelten und geschnürten Kleidern, die mal die Schultern frei lassen, mal den Bauch und die weich um den Körper fließen. Romeo Gigli, Thierry Mugler, Issey Miyake, Dolce & Gabbana und Chloé ließen sich inspirieren von den alten Standbildern und Wandgemälden, welche die Eleganz des Einfachen, aber Erhabenen über die Jahrtausende konserviert haben. Weiß wie Marmor oder in sanften Naturfarben schufen die meisten Designer ihre Kollektion. Das Revival der grellen sechziger und siebziger Jahre ist den Göttern sei Dank vorbei, Grunge ist tot, es lebe die Antike, Helena und Aphrodite. Kind in Chaos-Zimmer Zwanglosigkeit ausdrücke. Anstatt mit Stubenarrest und Fernsehentzug zu drohen, raten Wissenschaftler Vätern und Müttern, auf die natürliche Entwicklung zu setzen. Der Ordnungssinn, das ergaben alle Untersuchungen, entwickelt sich von ganz allein spätestens wenn aus Kindern Eltern werden. Beatles Liebe und Schweinerei I saw her standing there war ein Rock n Roll-Song auf der ersten Beatles-LP von 1963, und Paul McCartney zählte diesen Song mit 132 DER SPIEGEL 14/1994 der schönen Zeile One, two, three... fuck! an. Daß fuck! ein Wort ist, das im Rock n Roll immer richtig ist, daß es im Rock n Roll überhaupt darum geht, Radau zu schlagen, von Schweinereien zu singen und ein wenig auch von Liebe das lernten die Beatles in den neun Monaten, die sie 1960/61 in den Nachtklubs an der Hamburger Reeperbahn verbrachten. Die damals noch fünfköpfige Band konnte kaum spielen, aber sie wußte, wie man sich amüsiert. John Lennon feuerte sein Publikum mit Heil Hitler! -Rufen an. Stuart Sut- Beatles (mit Sutcliffe, r.) auf dem Hamburger Dom 1960 cliffe, der fünfte und große Unbekannte Beatle, verliebte sich in die Hamburger Fotografin und Schönheit Astrid Kirchherr. Diese und andere Geschichten erzählt Backbeat, ein Film des britischen Regisseurs und Drehbuchschreibers Iain Softley, der Mitte April in deutsche Kinos kommt. Klassiker wie Money und Twist and Shout hat eine Superband des amerikanischen Rock n Roll von heute nachgespielt, Mike Mills (R.E.M.) an der Gitarre, Dave Grohl (Nirvana) am Schlagzeug, Dave Pirner (Soul Asylum) als Stimme von Paul McCartney und John Lennon. Die Musik von Backbeat klingt aufregend, Dave Pirner schreit zweimal fuck!. Die musikalische Revolution, welche die Beatles damals anzettelten, ist es trotzdem nicht.

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135 GESELLSCHAFT Scheidungen Schritt ans Licht Ein Pariser Verleger hat eine Marktlücke entdeckt: eine Zeitschrift für die Ehe im Endstadium. ie Welt ist schlecht und die Liebe kurz. Frauen, klagt Peter, 60, Dkönnten einfach nicht begreifen, daß die Romantik vergänglich sei: Sobald sie ihren Mann nicht mehr lieben, schicken sie ihn zum Teufel. Die Ehe, glaubt Paul, 55, sei ein Kreuz und Treue nichts als Illusion: Divorce-Titelblatt Wer kriegt das Sorgerecht für den Hund? Entweder du nimmst dir eine Mätresse. Oder du sitzt zu Hause auf dem Sofa und verkalkst. Die Liebe, trauert Anne-Sophie, 42, sei ein Lottospiel: Nur wenige ziehen den Hauptgewinn. Wenn man eine Frau mit leuchtenden Augen dasitzen sehe, dann ist garantiert nicht der Ehemann schuld. Und wenn ein Mann galant zu einer Frau ist, kann er nicht mit ihr verheiratet sein. Dann gibt es diesen Moment, da der Mensch auf dem Sofa sitzt und weint und von Scheidung redet und selbst gutwillige Freunde die Geduld verlieren. Von rechtlichen Fragen verstehen sie ja ohnehin nichts. Manchmal, die Statistik will es so, erwischt es auch jemanden in einem Medienunternehmen. So geschah es jüngst im Pariser Verlagshaus Geps: Eine Kollegin saß schniefend am Schreibtisch, die Arbeit litt, die Kollegen auch, und keiner konnte helfen. Plötzlich, so erzählt Geps-Chef Jean-Michel Pascali die Firmenlegende, war da diese Idee, daß diese Probleme im Grunde immer dieselben seien und daß man diesen Leuten helfen müsse: mit einer Zeitschrift. Wo ein Problem ist, da ist auch ein Markt. In Frankreich läßt sich, wie in Deutschland, jedes dritte Paar scheiden; in der Pariser Region scheitern bereits zwei von drei Ehen; Leser genug, wie es scheint. Und so steckt nun zwischen Frauen-, Familien- und Elternheften ein neues Produkt in den Regalen, das die düstere Seite der Liebe beleuchtet: Divorce, Scheidung das Magazin für das geplatzte Glück. Der Titel mag abschreckend, das Thema deprimierend wirken, doch die Käufer greifen zu. Im November lag die erste Ausgabe des französischen Monatsblatts am Kiosk, mittlerweile hat sich die verkaufte Auflage auf Stück gesteigert, und in Kürze sollen Ableger in Italien und Großbritannien erscheinen. Das Konzept ist einleuchtend und die Idee nicht neu. Schon 1987 hatte ein New Yorker Anwalt namens Daniel Hirsch, der schwer unter seiner Scheidung litt, ein Magazin mit demselben Titel auf den Markt gebracht. Doch nach der ersten Nummer war wieder Schluß, und die geplante Ausgabe in Großbritannien gelangte niemals zum Kiosk. Kommt Zeit, kommt Zeitschrift. Das Pariser Divorce-Projekt paßt jetzt in die moderne Welt: Die Krise drückt, der Spaß ist vorbei, Lebenshilfe ist gefragt, bieder und bunt. Divorce setzt auf Low Budget. Da gießt, neben einem Bericht über Alleinerziehende, eine Mutter dem Kind seine Fertignahrung ins Fläschchen, und die Bildunterschrift informiert genau, was sie serviert: Frühstück von Nestlé. Ein dramatischer Bericht über Kinder als Scheidungsopfer ist mit Bildern von hübschen Kindermodels in schicken Klamotten illustriert: Kleider von Floriane, lehrt die Legende eine legale, wenn auch fragwürdige Art der Kostensenkung. Als Schleichwerbung gilt so etwas in Frankreich nicht. Den Leser, denken die Macher, stört das nicht: Er hat Wichtigeres im Kopf. Bin ich reif für die Scheidung? Wie werde ich meinen brutalen Mann los, wie meine sektenhörige Frau? Wie finde ich den richtigen Anwalt? Wer kriegt das Sorgerecht für den Hund? Fragen über Fragen. Das Expertenteam von Divorce jeder dritte hat eine gescheiterte Ehe hinter sich weiß Bescheid. So ein Trennungsprozeß kann Jahre dauern, und der Mensch braucht hohe DER SPIEGEL 14/

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138 Dosen Trost und Rat in dieser Zeit. Schluß mit dem Schluchzen; die Scheidung, lehrt Herausgeber Pascali, ist ein Schritt ans Licht. Und Blattmacher Franck Cadet will, daß das Ende einer Ehe sein Katastrophenimage verliert: Liz Taylor hat achtmal geheiratet, das weiß jeder. Aber kaum einer macht sich klar, daß sie dafür siebenmal geschieden wurde. Allmählich findet die Klientel Gefallen an Cadets moralischem Aufrüstungsprogramm, und das macht ihn stolz. Nur die Deutschen sind leider schwer von Begriff in der Bundesrepublik hat sich noch niemand gefunden, der das Blatt auf den Markt bringen will. Dabei sind die Sorgen, die Krisen, die Dramen doch die gleichen, diesund jenseits des Rheins. Er könnte auch Deutscher sein, dieser Leser Charles, 45, der brieflich seine traurige Geschichte erzählt: In ein junges Mädchen hatte er sich verliebt und wollte alles stehen- und liegenlassen für sie. Doch dann habe er angefangen zu rechnen, das halbe Haus, der Unterhalt für meine Frau und meine zwei Kinder, und unter dem Strich stand ganz schön viel. Da hat er den Gedanken aufgegeben, mein Leben zu verändern. GESELLSCHAFT Mecki mit Pin-up-Girl (Hör zu, 1949) Hinrichsen. Das stachelige Biest, sagt er, ist ein historisches Phänomen. Als Spiegelbild der bürgerlichen Familie in der Adenauer-Ära (Hinrichsen) präsentiert er das biedere Stacheltier in Schrebergarten und Fünfziger-Jahre- Wohnzimmer. Um Mecki wurde schon früh gestritten. Als Erfinder des heimeligen Stachelkopfes gab sich Hör-zu-Redaktionschef Eduard Rhein aus. Die Comic-Serie half mit, das TV-Blatt zur größten Programmzeitschrift Europas (Auflage 1965: rund vier Millionen) zu machen. Daß die Schöpfungsgeschichte des Chefredakteurs jedoch nicht haltbar war, Mecki als Wahlkämpfer (1953) Comics Agit-Prop mit Stacheln Eine Ausstellung würdigt die erfolgreichste deutsche Comic-Figur: den Igel Mecki. Mecki-Prototyp aus Ton (von Hermann Diehl) Mecki-Comic Makler Charly (Hör zu, 1969) Comic-Held Mecki: Spiegelbild bürgerlicher Familien in der Adenauer-Ära r fraß sich durch den Griesbrei ins Schlaraffenland, besiegte mit Win- Enetou die Rotfeder-Indianer und erlöste Prinz Aladin von einem bösen Zauber. Mecki, der stachelige Comic- Igel, reiste schon in den fünfziger Jahren um die ganze Welt, und die Nachkriegsgeneration verschlang seine Abenteuer bei den Eskimos, Chinesen oder Negerlein. Meckis Aufstieg zur erfolgreichsten deutschen Comic-Figur war beispiellos: journalistisches Maskottchen der Fernsehzeitschrift Hör zu und Bilderbuchheld, kuschelige Steiff-Puppe und Postkartenmotiv. Sogar als Helfer im Bundestagswahlkampf 1953 beeinflußte Mecki die Nierentischepoche. Und selbst ein Kurzhaarschnitt trägt seinen Namen. Jetzt ist die Mischung aus Wohnzimmer-Gartenzwerg und Mickymaus mit seinen Freunden Charly Pinguin, den sieben Goldhamstern, Kater Murr und der Ente Watsch wieder zurückgekehrt. Das Altonaer Museum in Hamburg zeigt von Mittwoch an eine umfassende Retrospektive des Mythos Mecki. Rund 500 Exponate aus deutschen Sammlungen, von Originalzeichnungen bis zu Mecki-Puppen und Objekten wie Spardosen und Rauchverzehrern, wurden zusammengetragen. Organisator der Ausstellung ist der Kunsthistoriker und stellvertretende Leiter des Altonaer Museums Torkild * Eckart Sackmann: Mecki. Einer für Alle. Comicplus + Verlag Sackmann und Hörndl, Hamburg; 96 Seiten; 39,90 Mark (Buchhandel), 29,90 Mark (Ausstellung). deckt jetzt der Comic-Verleger und Katalogautor Eckart Sackmann auf*. Die Trickfilmer Ferdinand, Hermann und Paul Diehl aus dem bayerischen Gräfelding hatten schon 1937 im Auftrag der Reichsstelle für den Unterrichtsfilm die Mecki-Puppe erschaffen und einen Trickfilm über das Märchen Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel gedreht, der in Schulen und zur Unterhaltung von Frontsoldaten eingesetzt wurde. Mecki, ein früher Agitpropsoldat des Dritten Reiches. Nach diesem Vorbild ließ Blattmacher Rhein, schreibt Sackmann, seinen Mecki zeichnen. Ein Rechtsstreit wurde mit einer Lizenzzahlung an die Brüder Diehl beigelegt; Mecki durfte, nach kurzer Unterbrechung, wieder in der Hör zu erscheinen. Die Dankbarkeit der Zeitschriftenmacher hält sich allerdings in Grenzen. Für die Mecki-Ausstellung spendet der Großverlag gerade mal 5000 Mark. 138 DER SPIEGEL 14/1994

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140 AUSLAND P A N O R A M A China Hungrig ins Manöver Chinas Genossen sind wegen der Verarmung ihrer Soldaten beunruhigt. Eine geheime Erhebung in 125 Einheiten der Volksbefreiungsarmee ergab, daß der Lebensstandard der Soldaten und Offiziere innerhalb von nur zwei Jahren um mehr als zehn Prozent gefallen ist. Mitunter müssen die Soldaten hungrig ins Manöver, Chinesische Soldaten beim Essenfassen Türkei Religiöse Herrscher Nach ihrem guten Abschneiden bei den türkischen Kommunalwahlen wollen die Anhänger der islamistischen Wohlfahrtspartei das lebenslustige Istanbul in eine moslemisch geprägte Stadt verwandeln. Der künftige Oberbürgermeister der Millionenstadt, der Fundamentalist Tayyip Erdogan, hat als erste Amtsmaßnahme angekündigt, die Bordelle am Bosporus schließen zu lassen. Außerdem dürfen in Restaurants, die sich in städtischem Besitz befinden und auf Empfängen keine alkoholischen Getränke mehr serviert werden. Als weil die Essensrationen nicht ausreichen. Was die Truppe besonders erbost: Im gleichen Zeitraum ist das chinesische Bruttosozialprodukt um 13 und der Rüstungsetat, mit dem modernere Waffen beschafft werden sollen, sogar um 20 Prozent angestiegen. Mit einer Blitzaktion hat das Verteidigungsministerium deshalb umfassende Solderhöhungen gestartet, zunächst aber nur für Offiziere der Armee. Der Sold normaler Soldaten bleibt bei monatlich fünf bis zehn Mark. Neugewählter Oberbürgermeister Erdogan, Taksim-Platz in Istanbul Londoner Ärztin mit Schutzhunden Großbritannien Panzerwesten für Notärzte Englische Ärzte, die Hausbesuche bei ihren Patienten machen, werden immer häufiger Opfer von Drogensüchtigen und Straßenkriminellen. Jeder zwölfte der Mediziner, so hat eine Umfrage der British Medical Association ergeben, war in den letzten beiden Jahren im Dienst angegriffen worden zuletzt ein Hausarzt in Kent, der bei Symbol ihrer Machtübernahme wollen die neuen Herren Istanbuls am berühmten Taksim-Platz, den sie als Zentrum westlicher Verderbtheit ansehen, eine große Moschee samt islamischem Kulturzentrum errichten gleich neben dem Denkmal des Staatsgründers Kemal Atatürk, der in der Türkei die Trennung von Religion und Staat durchsetzte. Zwar ging die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller mit ihrer Partei des Rechten Wegs als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor, doch der Machtzuwachs der islamischen Opposition verheißt für sie nichts Gutes: Die Wohlfahrtspartei brachte dreimal so viele Bürgermeisterkandidaten durch und siegte außer in Istanbul auch in der Hauptstadt Ankara. dem Überfall drei Schußwunden erlitt. Auch Ärzte in Gemeinschaftspraxen wappnen sich gegen die Gewalt im Londoner Stadtteil Stockwell mit kugelsicheren Scheiben, nachdem mehrere Kollegen mit Schußwaffen bedroht wurden. Während andere Ärzte nur noch mit Schutzhunden Hausbesuche machen und Kurse zur Selbstverteidigung belegen, hat die Stadt Manchester noch radikalere Maßnahmen beschlossen: Notärzte und Ambulanzfahrer, die in Armenvierteln unterwegs sind, müssen bei den Einsätzen Panzerwesten mitführen. Frankreich Paris erwartet Massenflucht Sechs Pariser Ministerien bereiten Frankreich in aller Stille auf einen Massen-Exodus aus dem Bürgerkriegsland Algerien vor. Angesichts der über drei Millionen Arbeitslosen, einer dramatisch überschuldeten Sozialversicherung und der scharfen Rassengegensätze in den Großstädten würden die Algerien- Flüchtlinge Frankreich allerdings vor kaum lösbare Probleme stellen, warnt ein hoher Pariser Beamter. Zu integrieren wären französische Staatsbürger, die in Algerien leben, und etwa Bürger mit doppelter Nationalität. Darüber hinaus erteilt Frankreich schon jetzt täglich rund tausend Einreisegenehmigungen an Algerier, die sich in ihrem Heimatland von islamischen Gruppen bedroht fühlen. 140 DER SPIEGEL 14/1994

141 Jordanien Fanatiker bedrohen König In Jordanien versuchen islamische Extremisten, das Regime des pro-westlichen Königs Hussein zu stürzen. Angeführt werden die Ultras von kriegserprobten Vetera- Hussein nen, die als Freiwillige im Bürgerkrieg Afghanistans dabei waren. Sie haben in Jordanien ein Sabotagenetz aufgezogen, das die Wirtschaft des Wüstenstaats schwächen und destabilisieren soll. Vorige Woche hoben die jordanischen Sicherheitsdienste in der Hauptstadt Amman und in der mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Universitätsstadt Irbid einen Ring angeblicher Verschwörer aus. Studenten und arbeitslose Jugendliche sollen geplant haben, Politiker zu liquidieren und Sprengsätze in Regierungsämtern und Hotels zu zünden. Zuletzt war im August vorigen Jahres ein Anschlag auf König Hussein verhindert worden, der Offiziersschülern der Militäruniversität Muta zur Last gelegt wurde. 22 Untergrundkämpfer waren vor kurzem nach Bombenanschlägen auf Banken und Kinos festgenommen worden. Die Auftraggeber befinden sich nach Angaben ihres Anführers im Jemen, im Sudan und in Iran.

142 AUSLAND Asylanten DIE BRONX VON EUROPA Über eine Million Migranten und Flüchtlinge sammeln sich in Osteuropa. Mit verschärften Asylgesetzen, klagen die Nachbarn, lösen die Deutschen ihre Probleme auf unsere Kosten. Gegen Widerstand ist Bonn gefeit: Die Aussicht auf Wirtschaftshilfe und EU-Beitritt zwingt die wirtschaftlich wackeligen Staaten zu Wohlverhalten. en Morgenmantel hat Habiba Safić, 67, auch am Nachmittag noch Dnicht abgelegt. Am liebsten würde sie den ganzen Tag gegen die Monotonie des Flüchtlingslagers von Zagreb anschlafen. In einer Holzbaracke fand die Bosnierin vor 20 Monaten Unterschlupf. Ihre Familie zog nach Deutschland, nachdem sie der Geschwächten versprochen hatte, sie bald nachzuholen. Der Neffe ahnte nichts von deutschen Gesetzen, die der Tante die Einreise verwehren: Ihr Dorf ist Schutt, die Familie auf einem fernen Planeten und ich bin ein Überbleibsel. Die Familie Hafti aus Afghanistan ist seit zwei Jahren auf der Flucht. Die Glaubenskrieger wollten den Vater einsperren, er war in der falschen Partei. Über Moskau, Kiew, Prag gelangten Eltern und sechs Kinder in die Wohncontainer eines tschechischen Lagers, 30 Kilometer vor der deutschen Grenze. Eines Nachts werden sie über den Zaun klettern, um durch den Wald nach Sachsen zu wandern. Was haben wir zu verlieren? fragt der älteste Sohn. Philomena Poubgia, 26, entkam dem Bürgerkrieg in Liberia. Über Ungarn wollte sie nach Deutschland. Doch sie schaffte es nur bis Kerepestarcsa. Von dort wurden vor 50 Jahren Juden nach Auschwitz deportiert, heute werden dort illegale Einwanderer wie Tiere gehalten, klagt die Afrikanerin. Sie glaubte an das Paradies, nun sitzt sie in der Hölle. Die Wärter sind weder mit Hungerstreik noch Selbstmordversuch zu beeindrucken. Schlägereien werden mit Tränengas beendet, Flüchtende von scharfen Hunden gehetzt. Noch vor einem Jahr wären die Bosnierin, die Afghanen und die Liberianerin in der deutschen Statistik aufgetaucht. Die Bundesrepublik hätte ihnen Asyl gewährt. Damit ist Schluß, seit die Grenzen Anfang Juli letzten Jahres auch für politisch Verfolgte quasi geschlossen wurden. Im Wahljahr, glaubt Herbert Leuninger von der Frankfurter Aktion Pro Asyl, sollen die Zahlen um jeden Flüchtlinge im ungarischen Lager Kerepestarcsa: Leben in der Mausefalle Unerreichbarer Westen In Osteuropa wartende Flüchtlinge DEUTSCHLAND registrierte Flüchtlinge und Asylbewerber Migranten mit befristeter oder ohne Aufenthaltsgenehmigung* *die Schätzungen differieren stark ITALIEN ÖSTERREICH Preis gedrückt werden. Mit Erfolg: 56 Prozent weniger Flüchtlinge meldete Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) Anfang März. Mit der Verschärfung der Asylgesetze hat die Regierung Kohl das internationale Flüchtlingsproblem nach dem Prinzip Giftmüll lediglich gen Osten verschoben auf Kosten ihrer Nachbarländer, sagt Peter Kuchar, ehemaliger Sprecher des slowakischen Innenministeriums. Nun müssen die jungen und wirtschaftlich morbiden Wende-Staaten wie Polen und Ungarn, die Slowakei, die Tschechische Republik, Slowenien und Kroatien sehen, wie sie mit Migranten aus aller Welt zurechtkom- BOSNIEN- HERZE- GOWINA POLEN 2300 ca TSCHECHIEN bis SLOWAKEI bis UNGARN SLOWENIEN KROATIEN DER SPIEGEL 14/1994

143 Vertriebene Mutter, Tochter*: Unerwünscht Kroatischer Flüchtlingsbeauftragter Rebić: Bonn bot nur Kredite men; mit Kriegsflüchtlingen aus Bosnien, Kurdistan, Afghanistan, dem Kosovo und Mazedonien, Strahlen-Flüchtlingen aus der Region um Tschernobyl. Dazu noch Sinti und Roma, Arbeitsuchende aus der Dritten Welt und den armseligen Resten des Sowjetreichs. Im Osten, prophezeit Brita Sydhoff von der International Organisation for Migration (IOM), könnte diebronx von Europa entstehen. Mehr als eine Million Menschen stauen sich nach IOM- Schätzungen vor dem westlichen Schutzwall (Grafik Seite 142). Und die Dunkelziffer, so Olaf Neußner von Amnesty International, wächst beständig. Die Gastländer, bisher nur Transitstopps für Flüchtlinge und Migranten auf dem Weg nach Westen, dürfen bestenfalls leise murren. Wer, wie der tschechische Regierungschef Václav Klaus, weit vor dem Jahr 2000 dem exklusiven Zirkel der EU beitreten will oder auf den * Im tschechischen Lager Červený Újezd. Schutz der Nato hofft, muß guten Willen zeigen und der westlichen Wohlstandsfestung als Wellenbrecher dienen. Die Probleme, welcher sich die Deutschen so smart entledigten, müssen jetzt Leute wie Adalbert Rebić, 56, bewältigen. Als Professor für alttestamentliche Theologie führte er ein ruhiges Leben, bis die Regierung den Pfarrer drängte, das neugeschaffene Flüchtlingsbüro in Zagreb zu übernehmen. Damit ist Rebić für Menschen, zwölf Prozent der derzeitigen Bevölkerung Kroatiens, zuständig. Und jeden Tag kommen 100 hinzu. Rebić muß jene sortieren, die alle Papiere haben, um dann in der deutschen Botschaft ein Visum zu beantragen. In Schuhkartons stecken Tausende Aktendeckel, dazwischen klemmen Schicksale. Wahllos zieht Rebić Akten heraus: Wie Lotto, sagt er. Wohin mit den Menschen? Es gibt keine Unterkünfte mehr, jeden Monat muß Rebić 50 Millionen Dollar auftreiben. Früher gab es zehn Mark, jetzt die Hälfte pro Tag und Mensch. Wenigstens hungert hier niemand, sagt Rebić. Schon bald könnte es noch knapper werden. Ab Mai will Bonns Innenminister Kanther die ersten Kriegsflüchtlinge nach Kroatien zurückschicken. Bis Juni 1995 soll der Rücktransport von Menschen erfolgt sein, wo auch immer sie landen werden. Bei Gesprächen im Bonner Innenministerium spürte Rebić zwar Verständnis für seine Sorge, daß ein großes Problem auf uns zukommt. Doch die Deutschen stellten lediglich Kredite in Aussicht. Solche Geldofferten haben bereits einige Regierungen veranlaßt, die von den Deutschen angepeilten Rücknahmeerklärungen zu unterzeichnen. Rumänien kassierte 1992 für ein derartiges Abkommen 30 Millionen Mark, zeigte sich zuletzt jedoch widerspenstig. Die Regierung in Bukarest sperrte sich, als bekannt wurde, daß vier Chartermaschinen im März Balkan-Flüchtlinge aus Nordrhein-Westfalen ins rumänische Temesvar fliegen sollten, um sie per Bus an Serbiens Grenze zu bringen (SPIEGEL 10/1994). Diese Variante war im Vertrag nicht vorgesehen. Nun müssen die Bonner nachverhandeln. Die Tarife für die Abkommen zum massenhaften Verschieben von Menschen sind in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Warschau kassierte im Vorjahr 120 Millionen Mark für die Zusage, Flüchtlinge, die aus Polen nach Deutschland eingesickert waren, klaglos zurückzunehmen. Auch die tschechische Regierung erhofft sich über 100 Millionen Mark für einen solchen Kontrakt. Diese Abkommen sind immer ungünstig, klagt Jiří Grumlík, stellvertretender Chef der tschechischen Ausländerpolizei, aber im Hinblick auf unsere EU-Eingliederung sind sie wohl unerläßlich. Die Deutschen drängen, denn die Grenze zu Sachsen ist schwer zu kontrollieren. Zudem pflegt Tschechien einen großzügigen Umgang mit Visa. Willkommen sind billige Arbeitskräfte. Je nach Saison halten sich bis zu Ausländer illegal in Václav Havels Republik auf; viele trauen den Schleppern, die ihnen einen Weg nach Westen versprechen. Seit die deutschen Grenzpatrouillen verstärkt wurden, spürt Alena Kubičková den Rückstau. Jede Woche macht sich die Aktivistin einer Prager Hilfsorganisation auf den Weg ins Lager Červený Újezd, 30 Kilometer vor der deutschen Grenze, um Irakern, Albanern, Rumänen und Afrikanern Mut zu machen. Deutsch können nur wenige in der einstigen Russenkaserne, aber ein Wort ist jedem geläufig: unerwünscht. Das haben ihnen deutsche Grenzer in den Paß gestempelt. Als die Tschechen noch unter Hammer und Sichel lebten, war der Flüchtling ein unbekanntes Wesen. Es gab keine Gesetze, Unterkünfte, Behörden für ihn. Der derzeitige Wirrwarr bietet Migranten ein weites Feld, gen Westen zu gelangen, macht es jedoch ebenso leicht, sie hier wieder abzuladen. Die Deutschen, glaubt Alena Kubičková, nutzen unsere Unerfahrenheit aus. Bereits jetzt, berichten Prager Zeitungen, hängt hinter der Lok des Eurocity DER SPIEGEL 14/

144 Albert Einstein aus München ein Waggon, der jeden Mittwoch 40 Abgeschobene auf den Prager Bahnhof entläßt. Läuft die Rücknahme im Sommer erst im großen Stil, werde die Regierung die Gesetze schnell verschärfen und sich der Ausländer nach teutonischem Vorbild entledigen, prophezeit Alena Kubičková. Mit dem slowakischen Brudervolk verhandeln die Tschechen ebenfalls über ein Rücknahmeabkommen. So entsteht ein gewaltiger Dominoeffekt Richtung Osten. Die Flüchtlinge werden an das nächstschwächere Nachbarland weitergeschoben. Allein die Ungarn entziehen sich elegant der gängigen Durchreichepraxis. In Hochglanzbänden, mit bewegenden Aufnahmen vom Flüchtlingselend, demonstriert das Budapester Flüchtlingsbüro humane Gesinnung: hübsche Lager mit Schulen, Kindergärten, Museen und Sporthalle; jeder erhält die Arbeitserlaubnis und einen zinslosen Kredit für ein Haus, ein Stück Land oder beides. Die Regierung kann sich die bevorzugte Behandlung leisten. Als eines der wenigen Länder der Welt unterzeichnete Ungarn die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit einer wichtigen, einschränkenden Klausel: Bürger nichteuropäischer Länder genießen kein Recht auf Asyl. Nur 9000 Antragsteller, meist Nachfahren ausgewanderter Ungarn, wurden 1993 als bleibeberechtigt anerkannt, Menschen dagegen abgewiesen. Mit harter Hand sorgt Polizeileutnant Imre Klujber dafür, daß die Zahlen übersichtlich bleiben. Der wuchtige Offizier kommandiert Kerepestarcsa, offiziell als provisorische Unterkunft für Ungarischer Lagerkommandant Klujber Scharfe Dobermänner von der Leine 144 DER SPIEGEL 14/1994

145 AUSLAND ausländische Bürger deklariert. Tatsächlich ist es ein Internierungslager, verrät Klujber augenzwinkernd. In Berichten von Amnesty International werden wir als Faschisten dargestellt, klagt Klujber. Doch manchmal würden eben nur Schlagstock und Reizgas helfen. Und wenn Flüchtlinge, wie neulich, die Gitter zersägen und sich am Laken abseilen, müssen Dobermänner von der Leine, um von 100 Geflüchteten 101 zurückzubringen. Mit seinen Ergebnissen, sagt der bullige Polizist, brauche er sich vor seinen deutschen Kollegen nicht zu verstecken Menschen aus 101 Nationen hielt er in den letzten drei Jahren hinter Gittern, bevor sie repatriiert, also abgeschoben wurden. Am Telefon lassen die deutschen Kollegen ihre Dankbarkeit durchblicken. Wer bei Klujber war, dem ist die Lust auf Europa vergangen. Der Kommandant hämmert mit der Faust gegen die Gitter vorm Heizkörper. Vandalensicher, dröhnt er triumphierend. Ein Dutzend Kosovo-Albaner zuckten zusammen. Sie müssen ihre Pässe abliefern, dafür gibt es einen Satz Plastikgeschirr. Mit einem vergitterten Bus wurden sie von Österreichs Grenze hergeschafft. In vorauseilendem Gehorsam hat der alpine EU-Novize die Ostflanke der Gemeinschaft abgeriegelt. Dann werden die Albaner zu den anderen 250 Lagerinsassen gebracht: zu der Irakerin Awatif Karim, der nirgendwo Asyl gewährt wurde. Mit ihren beiden Töchtern lebt sie seit einem Jahr in dieser Mausefalle, ohne daß ihre Älteste, inzwischen sechs Jahre alt, zur Schule gehen dürfte; zu Selim Mujaković, 49, dem autistischen Bosnier, der seit Wochen auf dem Bett hockt, wo er Papier aus Zigarettenschachteln schweigend mit Gedichten bekritzelt; zu den serbischen Deserteuren, die Bündel Deutschmark als Nachweis von Rechtschaffenheit hervorkramen. Die Vorteile des brachialen Modells grünes Licht für ausgesuchte Europäer, Rot für den Rest beeindrucken inzwischen selbst die liberaleren EU-Staaten. Spanien klagt über rapide steigende Asylbewerberzahlen, seit die deutsche Abwehrpolitik greift; Dänemark schickt Kriegsschiffe in die Ostsee, die aus polnischen Häfen anlandende Migranten vertreiben sollen. Und der niederländische Ministerpräsident Ruud Lubbers verteidigt Forderungen rechter Parteien, daß künftig vorrangig europäische Flüchtlinge anerkannt werden sollen. Diese Entwicklung war für Kommandant Klujber schon lange abzusehen. Früher, sagt der Ungar, waren wir altmodisch, weil wir die Genfer Konvention nur eingeschränkt unterzeichnet haben. Heute sind wir vielleicht als erste auf westeuropäischem Standard. Italien Die Linke redet, wir hören den Leuten zu Aus dem Stand krempelte Medienmogul Silvio Berlusconi die politischen Verhältnisse um ein Erfolg ohne Beispiel in der westlichen Welt. An der absoluten Macht fehlen ihm nur einige Stimmen im Senat. Mit dabei in seinem Bündnis: die Nachfahren des Faschisten Mussolini. Jubelnde Berlusconi-Anhänger: Triumph nach nur zwei Monaten ein ungewöhnliches Talent dokumentiert sich in abgründigen Bei- Snamen. Sua Emittenza der kirchlichen Anrede Eminenz nachgebildet steht für die Herrschaft des Medienmagnaten über den Äther. Il Cavaliere, nach dem ziemlich gewöhnlichen Titel Ritter der Arbeit, der ihm in jungen Jahren verliehen wurde, wird Berlusconi auch gern genannt. Das klingt in Italien ein bißchen nach Magie, nach dem Weißen Ritter, der aus dem Nichts auftaucht, um Bedrängte aus ihrer Not zu retten. Doch seit Silvio Berlusconi, 57, Anfang vergangener Woche mit seinem rechten Wahlbündnis einen überwältigenden Erfolg einfuhr, kam in italienischen Zeitungen ein neuer Schmeichelname auf: Jetzt nennt man ihn Berluskaiser. Der Titel scheint angemessen. Denn aus dem Stand schaffte es der Mogul, der erst vor gut zwei Monaten offen in die Politik einstieg, die Machtverhältnisse in Italien umzukrempeln. Die Altparteien erlitten deprimierende Niederlagen. Die vereinigte Linke, die sich dem Sieg so nah wähnte wie nie zuvor, verfehlte abermals ihr Ziel. Wahlsieger Berlusconi Weißer Ritter aus dem Nichts Berlusconis Partei, Forza Italia, erst Anfang des Jahres gegründet, stieg aus dem Nichts zur stärksten politischen Kraft Italiens auf ein Erfolg, wie er in den Demokratien der westlichen Welt ohne Beispiel ist. In seinem Durchmarsch vom äußersten Norden Italiens bis in die südlichsten Breiten des Stiefels haben Berlusconis rechte Truppen 19 der 27 Wahlkreise erobert. Jeder vierte Wähler DER SPIEGEL 14/

146 AUSLAND stimmte für den Pol der Freiheit des Milliardärs, zu dem außer Berlusconis Forza Italia die Regionalisten von der Liga Nord und die neofaschistische Nationale Allianz gehören. Zwar konnte Berlusconis Gefolge die traditionellen roten Festungen im Zentrum Italiens, in der Toskana, in Umbrien oder Emilia-Romagna nicht schleifen; auch die Basilikata, Kalabrien und halb Kampanien widerstanden der rechten Woge. Doch der Rest des Landes gehört nun Silvio triumphans. Edle Namen der italienischen Politik mußten vor ihm kapitulieren. So versagten die Wähler in Sardinien dem Helden der Volksentscheide zur Wahlrechtsreform, Mario Segni, das Direktmandat. Statt dessen kürten sie einen örtlichen Potentaten der Neofaschisten. Im persönlichen Zweikampf mit Berlusconi um das Direktmandat im prestigeträchtigen Wahlkreis Rom Eins unterlag der Haushaltsminister Luigi Spaventa, ein gescheiter Wirtschaftsprofessor. Die rechte Fronde zerschmetterte in Sizilien die idealistische Antimafiabewegung La Rete (Das Netz), die der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, gegründet hatte. Auch der nördliche Brückenkopf der Rete ging unter, als in Mailand der Soziologe Nando Dalla Chiesa unterlag, Sohn des von der Mafia ermordeten Carabinieregenerals Carlo Alberto Dalla Chiesa. Mit 366 Mandaten verfügt der Berlusconi-Bund über eine satte Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Doch im Senat fehlen ihm eine Handvoll Stimmen an der absoluten Mehrheit, so daß Berlusconis Bestätigung als Premier im Parlament scheitern könnte. Wenn es denn überhaupt so weit kommt. Noch bevor die Stimmen ausgezählt waren, schien Berlusconis bizarre Allianz an den Unvereinbarkeiten zwischen der Liga Nord, die Süditalien am liebsten abtrennen will, und der vaterlandstreuen Nationalen Allianz des Neofaschisten Gianfranco Fini auseinanderzubrechen. Nie und nimmer sei er bereit, mit dieser scharfmacherischen Rechten in einer Regierung zu sitzen, polterte Liga- Chef Bossi in der Wahlnacht. Die gröbsten Anwürfe aber richtete er gegen Berlusconi, den Führer jener Freiheitsallianz, mit der im Schulterschluß er gerade noch angetreten war. Berlusconi sei ein Geschäftemacher, der beim Regieren jeden Tag nur auf seine Wirtschaftsinteressen bedacht sein werde. In keinem Land der Welt verfüge ein Politiker über drei Fernsehketten ; der Mega-Unternehmer verkörpere das alte Regime. Das neue Parlament in Rom ABGEORDNETENHAUS Insgesamt 630 Sitze Sonstige Linksallianz Zentrum SENAT Insgesamt 326 Sitze, davon 11 auf Lebenszeit Sonstige Linksallianz 46 Zentrum Rechtsbündnis 155 Rechtsbündnis Wahrscheinlich wollte Bossi mit seinen Attacken nichts anderes versuchen, als seinen Preis für den Eintritt in eine Berlusconi-Regierung hochzutreiben. Schon am zweiten Tag nach der Wahl zwang der vom Volk gesalbte Kaiser seinen rebellischen Verbündeten an den Verhandlungstisch. Bossi stimmte einer Regierung zu, in der sein Stellvertreter Roberto Maroni Vizepremier werden soll. Dennoch lassen sich die inneren Gegensätze der Koalition nur schwer überbrücken. Trotz des glänzenden Siegs schwebt über Berlusconis Zweiter Republik das Zeichen der Unregierbarkeit (l Unità). Ein Wahlgesetz mit einem zweiten Wahlgang hätte das verhindern können. Dann nämlich hätten sowohl die siegreiche Allianz wie auch die nächststärkere Gruppierung für die Stichwahl mehr Kohärenz zeigen und womöglich schon Premier und Programm präsentieren müssen, und so hätten sich die Wähler für eine von zwei realen Alternativen entscheiden können. Mit dem Wahlrecht, das nur einen Urnengang zuläßt, sind Italiens Wähler schlicht verraten worden so die neue Tageszeitung la Voce. Sie glaubten ihre Stimme festgefügten Koalitionen zu geben, diesieineiner neuen Regierung wiederfinden würden. Doch sie sind wahltaktischen Kunstgebilden aufgesessen, die an ihren inneren Widersprüchen scheitern, sobald sie ein Lufthauch der Wirklichkeit trifft. Das gilt für die rechte Allianz ebenso wie für die der Linken. Und daran ist nicht Silvio Berlusconi schuld. Der hatte nichts anderes getan, als es jeder begabte Geschäftsmann tut, dem sich plötzlich eine Marktlücke öffnet: Er entwickelte ein Produkt, das sie füllt. Über zwei Jahre lang hatten die Italiener nun schon einen Umsturz gewohnter Liga-Chef Bossi, Neofaschisten-Führer Fini: Allianz der Unvereinbarkeiten 146 DER SPIEGEL 14/1994

147 Verhältnisse erlebt, der in früher Euphorie als friedliche Revolution bezeichnet wurde. In der Tat geschah Unerhörtes. Es begann im Jahre 1992 mit der Aktion Mani Pulite (Saubere Hände). Die Mailänder Ermittlungsrichter hatten ein dichtes Netz von Korruption aufgedeckt, in dem Politiker und Wirtschaftsführer ineinander verstrickt waren. Alle hatten gewußt, daß Italiens Politiker bestechlich sind. Niemand ahnte, wie sehr. In der Zeit des Kalten Krieges wurden alle Versuche der Justiz, den Sumpf auszutrocknen, immer wieder von den herrschenden Politikern abgeblockt. Doch nach dem Fall der Mauer in Deutschland wirkte der Schutzschild des Antikommunismus nicht mehr. Jetzt konnte ermittelt werden. Spuren führten zu hohen und immer höheren Politikern. Anfang 1993 mußte Bettino Craxi, unumschränkter Herrscher über die Sozialisten seit 1976, unter schwerem Korruptionsverdacht sein Amt aufgeben. Zahlreiche andere Koryphäen der Regierungskoalition, darunter der ehemalige Haushaltsminister Pomicino oder Ex-Außenminister Gianni De Michelis, kamen zu Fall. Reumütige Mafiosi, die zu Mitarbeitern der Justiz geworden waren, plauderten die Verbindungen zwischen Politikern und der Mafia aus. Sensationellster Fall: Der ehemalige Ministerpräsident Giulio Andreotti sollte nicht nur die Cosa Nostra gedeckt, sondern sogar aus politischen Gründen einen Mord in Auftrag gegeben haben. So stürzte schließlich ein Machtkartell in sich zusammen, das fast fünf Jahrzehnte Italien beherrscht hatte. Parteien wie die Christdemokraten, die den meisten Italienern als gottgegeben galten, lösten sich auf. Innerhalb zweier Jahre lag Italiens Erste Republik in Trümmern. Immer deutlicher wurde indes, daß der sogenannten friedlichen Revolution, die durch Italiens politische Landschaft brauste, ein zukunftsweisendes Projekt und vor allem überzeugende Führer fehlten. Zugleich wuchsen die Ängste im Land. Die Staatsschulden wollten sich nicht bändigen lassen, der Kursverfall der Lira stellte Italiens Anschluß an Europa in Frage, die Arbeitslosigkeit nahm immer bedrohlichere Formen an. Bewährte Methoden, die Schwierigkeiten des Alltags zu meistern den Job für die Tochter, die Wohnung, der Platz im Krankenhaus funktionierten nicht mehr, weil die Parteipotentaten, die früher gegen eine entsprechende Gegenleistung aushelfen konnten, keine Macht mehr hatten. Liebgewordene Sitten waren auf dem Abfallhaufen der Geschich- Das Reich des Silvio Die wichtigsten Gruppen: FERNSEHEN te gelandet. In solcher Stimmung wuchs in Italien die Sehnsucht nach Wunderheilern. In diesem Vakuum bot sich Berlusconi an. Sein stets gebräuntes Gesicht wirkte unverbraucht. In der postrevolutionären Depression, die viele Italiener überfallen hatte, zählte diese Frische mehr als alle aufdringlichen Fragen von Nörglern etwa nach der Höhe von Berlusconis Schulden oder nach der obskuren Herkunft seines Geldes. Wie immer, wenn er sich etwas Großes vornimmt, bereitete sich Berlusconi auch auf seinen Einstieg in die Politik äußerst akkurat und umfassend vor. Bereits im Juni vergangenen Jahres setzte er sich mit einigen Spitzenleuten aus seinen Unternehmen, mit Wissenschaftlern und Experten aus der Marktund Meinungsforschung zusammen. Sie sollten eine Politik entwerfen, welche die Italiener annehmen würden, als hätten sie schon lange darauf gewartet. Dazu benutzten die Berlusconi-Helfer das Marketing-Verfahren von focus groups. Es stammt aus den USA und hat auch Bill Clinton geholfen, George Bush zu besiegen. In acht solcher Gruppen, die über ganz Italien verteilt waren und einem repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt entsprachen, ließen sich die Abgesandten des Medienfürsten genau erklären, FININVEST HOLDING, Mailand etwa 300 Gesellschaften Mitarbeiter geschätzter Umsatz 1993: 12 Milliarden Mark 3 Sender und verschiedene Werbe-Produktionsgesellschaften, Pay-TV-Kanal Telepiù, Beteiligung an ausländischen Sendern, darunter Deutsches Sportfernsehen DSF und Telecinco, Spanien KINO/UNTERHALTUNG Musik- und Videoproduktionsgesellschaften; Cinema 5, die größte Kinokette Italiens VERLAGE mit vielen Tageszeitungen und Zeitschriften, darunter Il Giornale, Panorama, Epoca und die TV-Programmzeitschrift Sorrisi e Canzoni VERSICHERUNGEN Versicherungs- und Finanzgesellschaften, darunter die Lebensversicherung Mediolanum Vita HANDEL Kaufhauskette Standa, Supermärkte in der Lombardei IMMOBILIEN Baugesellschaft Cantieri Riuniti, verschiedene Immobilienfirmen SPORT Fußballklub AC Mailand, Rugby-, Hockey- und Volleyballmannschaften wie sich die Wähler ihre Politiker wünschten und was sie inhaltlich von ihnen erhofften. Und so konnte es geschehen, daß Berlusconi seinen Zuhörern immer das zu erzählen wußte, was sie schon immer gern hören wollten. Das Verfahren ist kaum verwerflich, eher nachahmenswert. Die Linke redet, wir hören den Leuten zu, sagte kürzlich Angelo Codignoni, der Sprecher Berlusconis. Ob sich Berlusconis marktstrategisch aufbereiteter bunter Strauß schöner Versprechungen eine Million neue Arbeitsplätze, weniger Steuern, höhere Pensionen, mehr Konsum für die Familien auch politisch verwirklichen lassen wird, bleibt vorerst ungewiß. Forza Italia wirkt wie ein Kunstprodukt. Eine politische Kraft kann man nicht in zwei Monaten aus dem Boden stampfen, hielt nach der Wahl Umberto Bossi seinem Bündnispartner vor. Wird Italien mit Berlusconi in eine glücklichere Zukunft schreiten? Ein dunkles Kapitel in Italiens Nachkriegsgeschichte geht freilich unabänderlich seinem Ende entgegen: Am Tag nach der Wahl, am 29. März, begann in Mailand der Prozeß gegen Berlusconis einstigen Gönner, den vormals allmächtigen Sozialistenchef und Ministerpräsidenten Bettino Craxi. DER SPIEGEL 14/

148 AUSLAND SPIEGEL-Gespräch Berlusconi ist ein Lügner Der Publizist Indro Montanelli über den Wahlsieg der italienischen Rechten und die neue Republik SPIEGEL: Signor Montanelli, hat die vielbeschworene italienische Revolution nun endlich stattgefunden? Ist dies die Geburtsstunde der Zweiten Republik? Montanelli: Die Italiener reden gern von der Revolution, aber sie machen sie nicht. Unsere gesamte politische Geschichte weist einen Hang zum Parodistischen auf. Mussolini war eine Parodie des wahren, totalitären Faschismus. Die Nachkriegsrepublik mit ihrer Parteienherrschaft war eine Parodie der Demokratie, und jetzt erleben wir die Parodie einer Revolution. Die Opera buffa ist unsere Lieblingsgattung. SPIEGEL: Immerhin ist die alte Ordnung, unter der das Land fast fünf Jahrzehnte lang regiert wurde, völlig zusammengebrochen. Die ewige Regierungspartei Democrazia Cristiana besteht nicht mehr. Montanelli: Das ist die verspätete Revision eines korrupten Systems, das in Wahrheit nach den Regeln der Mafia Montanelli (r.) beim SPIEGEL-Gespräch*: Die Parodie einer Revolution Indro Montanelli ist der Nestor der italienischen Publizistik. Als junger Mann begeisterte er sich für den Faschismus, ging aber schon früh auf Distanz zu Mussolini trat er in die Redaktion des Mailänder Corriere della Sera ein, dem er bis 1973 als Korrespondent, Kolumnist und Kommentator angehörte. Ein Jahr später gründete er seine eigene Zeitung (Il Giornale nuovo), die zum Zentrum der Opposition gegen die Politik des historischen Kompromisses zwischen Christdemokraten und Kommunisten wurde. Sein Kampf gegen die Linke machte ihn zur Zielscheibe für die Roten Brigaden, die ihm 1977 bei einem Attentat vier Kugeln ins Bein schossen. Kurz zuvor hatte er den Giornale an den Bauunternehmer Silvio Berlusconi verkauft, der daraus den Grundstein für sein späteres Medienimperium formte. Im Januar 1994 verließ Montanelli die Zeitung, in der er Chefredakteur auf Lebenszeit sein sollte, aus Protest gegen Berlusconis politische Einmischung. Mit Redaktionskollegen gründete Montanelli, 84, in Mailand noch einmal eine Tageszeitung (La Voce), die seit dem 22. März erscheint und auf Anhieb über eine halbe Million Auflage erreichte. funktionierte. Solange die kommunistische Gefahr bestand, konnte Italien sich den Luxus nicht leisten, den demokratischen Parteien den Prozeß zu machen. Jedermann wußte, daß die Machtstrukturen verfault waren. Aber erst der Fall der Berliner Mauer eröffnete die Möglichkeit, die klassischen Parteien zu zerschlagen. Vorher galt nur die Alternative: Nase zuhalten und DC wählen oder die Kommunisten kommen. SPIEGEL: Hat mit dem Untergang des alten Systems zugleich auch eine moralische und politische Erneuerung stattgefunden? Montanelli: Leider nicht. Wir haben die Schwierigkeit unterschätzt, eine ganze politische Klasse auszuwechseln. Die alte mafia-artige Parteienherrschaft hatte alle Möglichkeiten eines Neubeginns blockiert. Politik war zu einem Beruf verkommen, der auf bestimmte Kreise von Eingeweihten begrenzt blieb. Der Rest der Bevölkerung war davon ausgeschlossen. Es fehlt deshalb an demokratischen Lehrjahren, an politischer Erziehung. Die Bürger lehnen die alte Politkaste ab, ohne zu wissen, wie sie Ersatz finden können. SPIEGEL: Es sieht doch so aus, als hätten sie diesen Ersatz gefunden den strahlenden Wahlsieger Silvio Berlusconi. Montanelli: Die Italiener warten stets auf einen Mann der Vorsehung, der vom Himmel auf den Altar herabsteigt und Wunder verspricht. Wer diesen Typus lange genug sucht, findet ihn am Ende. Berlusconi ist die Folge des Hasses auf das alte System. Sein einziger Aktivposten ist, daß er nicht zu den Politikern von gestern gehört. Weil er in der Wirtschaft Erfolg hatte, trauen ihm die Wähler nun auch die Sanierung des Staates zu. SPIEGEL: Kann er sich denn vom Geschäftsmann zum Staatsmann wandeln? Montanelli: Das bezweifle ich. Er ist überzeugt, daß er Italien so führen kann, wie er seine Unternehmen geleitet hat. Berlusconi hat die Schlichtheit eines Kaufmanns, der auf seine Bilanzen schaut und seine Ware anpreist. Aber in der Politik werden andere Rechnungen aufgemacht. Sein Glaube an einfache Lösungen wird ihn noch zu verhängnisvollen Irrtümern verleiten. * Mit Redakteuren Romain Leick und Valeska von Roques in Mailand. 148 DER SPIEGEL 14/1994

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150 AUSLAND SPIEGEL: Sie können aber kaum bestreiten, daß er die demokratische Legitimation gewonnen hat, die Regierungsgewalt zu übernehmen. Wohin wird er Italien führen? Montanelli: Ich glaube nicht, daß Berlusconi nur den Ehrgeiz hat, eine Regierung zu bilden. Er wird sich schwertun, seine Koalitionspartner zusammenzuhalten. Wofür steht er eigentlich? Für die Rechte, sagt er. Aber er verfügt weder über Ideologie noch über Geschichtsbewußtsein. Sein Programm ist er selbst. Er ist ein großer Schauspieler, ein glänzender Verkäufer von Bildern und Schlagworten. Seine Intuition läßt ihn Wünsche und Erwartungen des Volkes erspüren. Das verleiht ihm die Ausstrahlung eines Gurus, der alle Krankheiten zu heilen verspricht. SPIEGEL: Sie kennen Berlusconi besser als fast alle anderen Italiener, weil er 15 Jahre lang Ihr Verleger als Eigentümer der Zeitung Il Giornale war. Ist er ein Demokrat aus Überzeugung? Montanelli: Eher ein Volkstribun. Im parlamentarischen Spiel ist er ein Lehrling, der aufpassen muß, daß er nicht untergeht. Wie alle großen Kommunikatoren ist er ein Mann des Plebiszits. Sein heimlicher Wunsch richtet sich darauf, Italien in eine Präsidialdemokratie nach französischem Vorbild zu verwandeln mit allen Vollmachten für sich selbst. SPIEGEL: Der Heilsbringer, die Führerpose erinnert das nicht an den Duce, an Benito Mussolini? Montanelli: Berlusconi verhält sich zu Mussolini wie Molière zu Racine, wie der Komödienzum Tragödiendichter. Wir sind in die komödiantische Phase Italiens eingetreten, was in gewisser Weise natürlich sehr beruhigend ist. SPIEGEL: Es geht also keine Gefahr für die Demokratie von ihm aus? Montanelli: Da bin ich mir nicht ganz schlüssig. Berlusconi hat ein Talent für Überraschungen; er ist wie eine Wundertüte man weiß nicht, was alles noch drinsteckt. Gefährlich könnte es werden, wenn er sich an seinem Erfolg berauscht, wenn er sich von seinem Enthusiasmus fortreißen läßt. Dann kann niemand wissen, wohin die Reise geht. SPIEGEL: Ist er in Versuchung, den Staat zu mißbrauchen, um sein Ego aufzuplustern oder, schlimmer noch, um seine privaten Geschäfte zu fördern? Montanelli: Sicher, wenn ihm denn wirklich die ganze Macht zufallen sollte. Aber so weit wird es kaum kommen. Der Chef der Liga Nord, Bossi, hatte ja zunächst die Kelle mit dem Stopzeichen geschwenkt. Es ist sehr wohl möglich, daß Berlusconi mit dem Wahlerfolg den Scheitelpunkt seines Aufstiegs bereits erreicht hat. Sobald er mit den konkreten Problemen Italiens konfrontiert wird, geht es mit ihm bergab, dann kommt die Entzauberung. Er hat nur einen verläßlichen Partner, den Neofaschistenführer Gianfranco Fini. Der steht nicht nur viel weiter rechts als Berlusconi, er ist auch der klügere politische Kopf. SPIEGEL: Ohne seine Medienmacht wäre Berlusconis Triumph nicht möglich Unternehmer Berlusconi, Ehefrau Veronica Er hat die Schlichtheit eines Kaufmanns gewesen. Hat er versucht, auch Sie für seine politischen Ziele einzuspannen? Montanelli: Berlusconi war für mich 15 Jahre lang ein idealer Verleger, der mir freie Hand gab und nie in die Redaktionsgeschäfte eingriff. Er war ein Freund des damaligen Sozialistenchefs Bettino Craxi, ich war dessen erbitterter Gegner. Das trübte unsere Zusammenarbeit nicht. Als er mir dann Anfang Januar zu meiner Überraschung seinen Entschluß mitteilte, in die politische Arena zu steigen, sagte ich ihm sofort, daß ich ihm auf diesem Weg nicht folgen würde. Ich habe mich als junger Mann vor über einem halben Jahrhundert geweigert, zum Sprachrohr von Mussolini zu werden. Wie käme ich jetzt dazu, die Trompete für Berlusconi zu blasen? SPIEGEL: Das war der Bruch zwischen Ihnen beiden? Montanelli: Er tat etwas äußerst Illoyales. Er berief ohne mein Wissen zum erstenmal eine Redaktionsversammlung ein und erklärte den Journalisten: Ich weiß, daß ihr euch über eure niedrigen Gehälter beklagt, ihr könnt mehr verdienen, wenn ihr bereit seid, mir zu folgen und die Linie des Blattes zu ändern. SPIEGEL: Der unverhohlene Bestechungsversuch eines Mannes, der als Kämpfer gegen die Korruption anzutreten vorgibt... Montanelli:... eine unglaubliche Würdelosigkeit, die zur Folge hatte, daß ich das Blatt verließ und ein großer Teil der Redaktion mit mir ging, um eine neue Zeitung, La Voce, zu gründen. SPIEGEL: Ihre Standhaftigkeit in Ehren aber werden auch der italienische Staat und der Bürgersinn der Italiener stark genug sein, um dem Sirenengesang Berlusconis zu widerstehen? Montanelli: Sie belieben zu scherzen. In Italien gibt es keinen Staat und schon gar keinen Bürgersinn. Unser Nationalstaat ist sehr jung... SPIEGEL:... das hat Italien mit Deutschland gemeinsam. Montanelli: Ja, aber die Deutschen haben einen Sinn fürs Dienen, ein vielleicht übertriebenes Pflichtgefühl, das Die Kirche hat eine schreckliche Rolle gespielt uns Italienern völlig abgeht. Für die große Masse der Italiener ist der Staat ein Feind geblieben. Jahrhundertelang wurde die Staatsgewalt durch fremde Herren vertreten, durch Spanier, Franzosen und Österreicher. Die Italiener haben diese Fremdherrschaft ertragen, sie begehrten nicht offen auf, sondern leisteten passiven Widerstand. Das hat die Mentalität bis heute geprägt: Mit dem Staat ist jede Kollaboration verpönt, gegen die Inanspruchnahme durch den Staat jede Verteidigung erlaubt. SPIEGEL: Hat nicht auch die katholische Kirche zu dieser Haltung beigetragen? Montanelli: Die Kirche hat in der italienischen Geschichte eine schreckliche Rolle gespielt. Während der Renaissance war Italien der schöpferische Mittelpunkt der Welt. Binnen weniger Jahrzehnte verödete diese Schaffenskraft zu einem geistigen Friedhof. Die Erklärung für diesen beispiellosen intellektuellen Zusammenbruch ist die Gegenreformation. Italien hat sich den Dogmen des Vatikans gefügt, ohne wirklich an sie zu glauben. Es ersparte sich damit Religionskämpfe, aber auf diesem Boden gedieh ein Geist von 150 DER SPIEGEL 14/1994

151 Heuchelei und Unterwürfigkeit, in dem Italiens Gewissen untergegangen ist. Unter den Nachwirkungen leiden wir noch heute. SPIEGEL: Sie selbst haben sich Ihr Leben lang als Konservativer betrachtet... Montanelli:... sagen Sie lieber: als Anarcho-Konservativer. Ich war immer in der Opposition. SPIEGEL: Wie kommt es, daß die klassische Rechte so kläglich untergegangen ist und Sie sich in der neuentstandenen Rechten nicht wiedererkennen? Montanelli: Die traditionellen Konservativen, vor allem die früheren Christdemokraten, tragen noch die Maske der alten Parteienherrschaft, welche die Italiener loswerden wollen. Ihre neuen Führer wie Mino Martinazzoli* sind ehrliche, würdige Politiker. Aber die Wähler hören nicht auf sie, weil sie den Bruch mit der Vergangenheit wünschen. SPIEGEL: Warum sind die Italiener dann nicht zur Linken übergelaufen, deren Chancen noch nie so gut schienen wie diesmal? Montanelli: Auch die Linke trägt an einer Erblast, mit der die Italiener am liebsten nichts mehr zu schaffen haben wollen. Occhettos Partei der Demokratischen Linken hat zwar keine Gemeinsamkeiten mehr mit der früheren KPI, aber die Abstammung vom Kommunismus läßt sich nicht ganz verleugnen. Das macht viele Italiener mißtrauisch. Ich habe den Kommunismus mein ganzes Leben lang bekämpft. An Occhettos Programm mißfällt mir allerlei, aber ich habe keine Angst mehr vor seiner Partei. SPIEGEL: Gibt es denn auch keinen Grund mehr, sich vor den Neofaschisten zu fürchten? Die haben ihren Stimmenanteil erheblich vergrößert. Montanelli: Diese Partei ist nicht mehr wirklich faschistisch. Fini ist ein recht umgänglicher, sogar gemäßigter Mann, kein Neonazi. SPIEGEL: Einige Bestandteile sind durchaus noch zu erkennen, etwa die Ausländerfeindlichkeit und das rabaukenhafte Gehabe vieler seiner Anhänger. Montanelli: Fini tritt für Ordnung ein, aber das macht ihn nicht wirklich gefährlich. Berlusconi verkörpert den Machtmenschen viel mehr, für seine Ziele scheut er keine Gaukelei. Berlusconi ist ein gewohnheitsmäßiger Lügner, er lügt sogar ohne Grund und Ziel. Zusammen mit seiner Theatralik, seiner Fähigkeit, * Martinazzoli trat am Mittwoch vergangener Woche als Parteichef zurück. Diktator Mussolini (1935) Parodie des wahren Faschismus dem Volk nach dem Munde zu reden und sich selbst in die Rolle der verfolgten Unschuld zu versetzen, bildet diese Verstellungskunst eine bedenkliche Mischung. Das eigentliche Problem ist, daß die Italiener sowenig demokratisches Rückgrat haben. Das macht sie anfällig für die Verführungen eines Magiers. Italien lebt in der ewigen Illusion, daß eines Tages jemand kommt, der alle Probleme für uns löst. Das enthebt uns der Notwendigkeit zur Selbsthilfe. Nun ist die Meisterung der Krise an Berlusconi delegiert. Er wird daran scheitern. SPIEGEL: Sie haben Italiens Entwicklung vom Königreich über den Faschismus bis zur Parteienherrschaft der Gegenwart publizistisch begleitet. Wohin treibt Italien jetzt, wohin soll es Ihrer Meinung nach gehen? Montanelli: Vielleicht ist es der Fatalismus des Alters, der mich zu sagen verleitet: Italien geht nirgendwo hin, Italien ist unverbesserlich. Wir Italiener gehen nie bis zum Ende, sondern bleiben stets auf halbem Weg stehen. Daran ist etwas Gutes und etwas Schlechtes. SPIEGEL: Es schützt vor Radikalismus. Montanelli: Ja, die Italiener sind allergisch gegen extreme Lösungen. Wir sind unfähig zu jeder wirklichen Revolution. Italien bleibt das Land der ewigen Kompromisse, Pirouetten und Kehrtwenden. Wenn wir Bündnisse eingehen, verraten wir unsere Alliierten alsbald und freunden uns mit unseren Feinden an. Gerade die Deutschen wissen darüber bestens Bescheid. SPIEGEL: Herr Montanelli, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Südafrika Heilige Pflichten Mit der Verhängung des Ausnahmezustands in Natal wollen Regierung und ANC die Wahlen am Kap retten. edächtig wägt er jedes Wort, vorsichtig meidet er jegliche Partei- Bnahme. Sein Gesicht wirkt sorgenvoll, sein Lächeln ein wenig gequält. Ich bin trotz allem optimistisch, sagt Richter Johann Kriegler. Und das klingt so, als wolle er sich selbst Mut machen. Kriegler, 63, Richter am Obersten Berufungsgericht in Bloemfontein und langjähriger Vorsitzender der südafrikanischen Anwälte für Menschenrechte, steht vor dem schwierigsten Fall seiner Laufbahn. Als Chef der Unabhängigen Wahlkommission soll er Ende April darüber entscheiden, ob die ersten demokratischen Wahlen am Kap frei und fair waren. Inzwischen ist zweifelhaft, ob der Richter seinen Schiedsspruch überhaupt wird abgeben können. Denn knapp vier Wochen vor der Wahl herrscht in Teilen des Landes Bürgerkrieg. Einschüchterung und Gewalt, so befürchtet nun sogar der Uno-Sicherheitsrat, könnten den Demokratisierungsprozeß in Südafrika zum Entgleisen bringen. Gefähr- ANC-Führer Mandela Täglich Dutzende von Toten DER SPIEGEL 14/

152 AUSLAND Steinzeit vor den Bankpalästen SPIEGEL-Reporter Walter Mayr über das Blutbad beim Zulu-Marsch auf Johannesburg autlos ist die Bügelfalte ins Herz von Johannesburg zurückgekehrt. LSchalterhallen-Männer in dunklen Hosen und artigen Hemden scherzen wie gewohnt vor den Glastürmen der City-Meile. Ihre Miene verrät nichts vom Tag ohne Cash-flow. In den Müllkübeln, wo sie Lunchreste entsorgen, stecken noch Eisenstangen, scheckige Stirnbänder und Schuhe. Gegen geronnenes Blut auf den Bürgersteigen kämpfen Domestiken mit Seifenlauge. Die Zulus sind fort. Im Zentrum der südafrikanischen Millionenstadt werden Bilanzen gezogen. Die Invasion bizarr kostümierter Stammesbrüder hat knapp fünf Dutzend Menschen das Leben gekostet und die City einen kompletten Geschäftstag. Johannesburgs Börse reagierte verstimmt. Die Chronik des Schlachtfestes am Montag vor Ostern registriert am frühen Morgen die Ankunft erster Busse beim Aufmarschgelände. Zulu-König Goodwill Zwelithini hat seine Untertanen zum Protest gegen Südafri- Polizei, bewaffnete Zulus im Zentrum von Johannesburg: Das Gemetzel hat viele Väter kas bevorstehende Wahlen gebeten. Er fordert sein eigenes Reich. In den Arbeiterwohnheimen, wo die deklassierten Teile des stärksten Volkes im Staat ihre Stützpunkte haben, hören Zehntausende seinen Ruf. Die Polizei riegelt die Innenstadt mit Barrikaden und Streifenwagen ab. Hinter Eisengittern und auf Dachgärten nehmen adrette Geschäftsleute Logenplätze ein. Mit nachsichtigem Schmunzeln verfolgen sie, wie die Zulus zum Platz vor der Bibliothek strömen. Die Männer sind mit Streitäxten, Holzstöcken, Speeren und Sägeblättern bewaffnet. Viele tragen Stirnbänder in der Farbe ihrer Heimatprovinz. Sie stoßen schrille Schreie aus, die vom Dröhnen kreisender Hubschrauber und dem Geheul der Polizeisirenen geschluckt werden. Anführer schwingen Plastikpeitschen, um ihre aufgeputschten Truppen in Schach zu halten. Eine politische Kundgebung am Ende des 20. Jahrhunderts? Feiert vielleicht das diffamierte Volk der Kaffern den bevorstehenden Sieg über den Burenstaat nur auf seine eigene martialische Weise? Als stünde eine entscheidende Schlacht bevor, besprühen Zulu-Medizinmänner ihre Untergebenen mit Zauberlösungen, die unverwundbar machen sollen. Unermüdlich tänzeln Männer und Frauen, stürzen mit Bocksprüngen und Ausfallschritten auf unsichtbare Feinde zu. Und schlagen dabei auf Schilder aus Rindsleder ein. Vor dem futuristischen Bühnenbild aus Bürohäusern und Bankpalästen wird ein Stück Steinzeit gegeben. Die Maskerade trügt. In ausgebeulten Windjacken und Hosentaschen stecken die Nachfolgemodelle der Holzspeer-Ära. Vor dem Hauptquartier von Nelson Mandelas ANC hat es am frühen Morgen blutige Duelle mit schwerem Kaliber gegeben. Die Masse der Tanzenden weiß davon nichts. Die ersten Schüsse, die aus Richtung der Stadthalle kommen, werden mit Klatschen und Pfeifen bejubelt. Ausgelassen in die Luft zu feuern gilt im waffenstarrenden Land am Kap als Ausweis von Wehrhaftigkeit. Vor der Standard Bank aber ist ein Mann tot zusammengebrochen. Er wird hastig mit Zeitungspapier und Plastiktüten bedeckt und zurückgelassen. Plötzlich peitschen Schüsse von den Dächern der Hochhäuser, das Feuer wird aus allen Richtungen erwidert, Panik bricht aus. Zu Tausenden fliehen die Menschen aus dem offenen Schußfeld, suchen Zuflucht in Eingangsschneisen und an Hausecken. Alle Türen sind verschlossen, es bleibt kein Ausweg. Auf am Boden Liegende werfen sich in Todesangst andere, die den Kugeln entkommen sind. Eine Serie von Maschinengewehrsalven erschüttert die Luft. Aus den Reihen der Zulus wird mit AK-47- Modellen gefeuert, Spezialeinheiten der Polizei antworten mit heimischen 152 DER SPIEGEL 14/1994

153 R-5-Schnellfeuerwaffen. Vor dem Pavillon in der Platzmitte liegen Opfer. Niemand rührt sich, um sie zu bergen. Schwerbewaffnete Zulus legen sich flach auf die sechsspurige Simmonds Street und robben durch den Kugelhagel, als führten sie Buschkrieg. Sie haben keinerlei Deckung. Die Polizei versucht, Killer auf den Hausdächern zu orten. Von Provokateuren im Sold der Weißen und des ANC wird später die Rede sein, ohne daß glaubwürdige Beweise erbracht würden. Das sinnlose Gemetzel hat viele Väter. Als sich die ersten Überlebenden nach einer halben Stunde aus der Deckung wagen, ist mancherorts das Blut auf dem Asphalt schon getrocknet. Zwischen der klassizistischen Stadthalle und dem Kriegerdenkmal, wo der ruhmreichen Toten früherer Tage gedacht wird, liegt ein mächtiger Mann, von einem Kopfschuß gefällt. Auf der Flucht hat er Schuhe und Speer verloren, ehe ihm eine Kugel das Gesicht zerfetzte. Mit bemerkenswertem Gleichmut steigen die Zulus über die Leichen ihrer Stammesbrüder hinweg und sammeln sich zum Abmarsch. Wieder tanzen sie, singen sie, schütteln drohend die Speere. Nichts scheint sie zu erschüttern im Glauben an die eigene Stärke und an die Notwendigkeit von Opfern im gerechten Krieg. Daß es an sichtbaren Feinden fehlt, stört nicht. Es genügt, daß der König und sein politischer Adjutant Mangosuthu Buthelezi dumpfen Opfermut einfordern. Viel wird im neuen Südafrika davon abhängen, ob es gelingt, auch in den störrischsten Köpfen der kriegerischen Zulu-Nation den Geist der Vorfahren mit dem der Moderne zu versöhnen. Erst wenn der Druck der Sippe abnimmt, ist Raum für Selbstbestimmung. So mancher Kämpfer mit Steinzeitwaffe beherrscht längst die Spielregeln der Bügelfaltengesellschaft. Als nach dem Massaker die Zulus aus der Johannesburger Innenstadt strömen, tritt ein kleiner stämmiger Krieger unauffällig zur Seite. Er lehnt seinen Holzspeer gegen die Außenmauer der First National Bank und fischt eine Plastikkarte hervor. Die Klappe des Bargeldautomaten öffnet sich. Der Kämpfer gibt seine Geheimzahl ein und verstaut Sekunden später die druckfrischen Scheine in seiner Hose. Dann packt er den Speer und kehrt zur tanzenden Truppe zurück. Zulu-Führer Buthelezi, Richter Kriegler: Der Endkampf hat begonnen det ist der Übergang zur Demokratie vor allem durch die Konfrontation Schwarz gegen Schwarz. Wie schnell die auch auf bislang ruhige weiße Wohlstandsgebiete übergreifen kann, wurde in der vergangenen Woche sichtbar. Mit Speeren, Äxten, aber auch mit Schußwaffen ausgerüstete Zulus zogen zu Tausenden in die Innenstadt von Johannesburg. Ihr Marsch endete in einem Blutbad, als Heckenschützen in die Menge schossen und die Zulus das Hauptquartier von Nelson Mandelas Afrikanischem Nationalkongreß (ANC) angriffen. Was in Johannesburg Horror hervorrief, ist Alltag im Stammesgebiet der Zulus, der Provinz Natal und dem Homeland KwaZulu, wo etwa ein Viertel von Südafrikas 22,7 Millionen Wahlberechtigten lebt. Dort fordert die Rivalität zwischen ANC und der Inkatha-Freiheitspartei (IFP) des Zulu-Führers Mangosuthu Buthelezi fast täglich Dutzende von Toten. Der Machtkampf spaltete die Wohngebiete ininkatha-land und ANC- Territorium. In völliger Anarchie versinkt die Gegend, seit Zulu-König Goodwill Zwelithini Mitte März ein souveränes Zulu- Reich ausrief und Buthelezi mit seiner IFP die Wahlen endgültig boykottieren will. KwaZulus Einparteien-Parlament schrie den Wahlkommissionschef Kriegler nieder, als der bei einem Besuch für die Teilnahme an den Wahlen warb. Buthelezi heizte die Stimmung an: Der Endkampf zwischen ANC und der Zulu- Nation hat begonnen. Tatsächlich ist die Zulu-Nation gespalten. Nuretwa35Prozent, soergaben Umfragen unabhängiger Institute, würden sich bei Wahlen für Buthelezi entscheiden, während rund die Hälfte der Zulus für Mandela stimmen würde. Drei Tage vor dem Zulu-Marsch gegen das ANC- Hauptquartier in Johannesburg hatten Zulus in Durban für den ANC demonstriert. Nachdem schon die Chefs der zu Apartheid-Zeiten geschaffenen Homelands Bophuthatswana, Ciskei, Lebowa und QwaQwa entweder von selbst zurücktraten oder Volksaufständen zum Opfer fielen, scheint nun Buthelezis politische Zukunft höchst bedroht. In Südafrikas Übergangsverfassung, die nach den Wahlen in Kraft treten soll, sind die Homelands nicht mehr vorgesehen. Dann ist Herr Buthelezi, höhnt Joe Slovo, Chef der mit dem ANC verbündeten Kommunistischen Partei, nur noch ein Furz in der Geschichte. Vergangenen Donnerstag folgte Präsident de Klerk der Forderung von ANC sowie dem Mehrparteien-Übergangsrat und verhängte den Ausnahmezustand über KwaZulu-Natal. Die südafrikanischen Streitkräfte werden die Provinz besetzen. Doch die Invasion in KwaZulu könnte zu noch mehr Blutvergießen führen. Denn anders alsder entmachtete Bophuthatswana-Herrscher Lucas Mongope, der unter der Bevölkerung seines Homelands kaum Anhänger hatte, unterstützen die Zulu-Monarchisten fanatisch die Inkatha-Partei. Die Mehrzahl der rund 250 Häuptlinge hat Buthelezi Treue geschworen. Außerdem verfügt der Zulu-Führer über einflußreiche Gönner im südafrikanischen Sicherheitsapparat. Die unabhängige Goldstone-Untersuchungskommission enthüllte im vergangenen Mo- DER SPIEGEL 14/

154 nat, daß hohe Offiziere, unter ihnen General Basie Smit, stellvertretender Chef der südafrikanischen Polizei, Inkatha- Mitglieder ausgebildet und mit Waffen versorgt haben sollen. Weiße Agenten schüren die Gewalt unter den Schwarzen, indem sie Todesschwadronen organisieren, die scheinbar wahllos Züge, Taxistände und Wohnhäuser überfallen. In einem Interview mit der Johannesburger Weekly Mail brüstete sich der frühere Geheimdienstmann Philip Powell, 5000 Inkatha- Krieger in der Taktik des Guerilla- Krieges à la Vietnam ausgebildet zu haben. Powell: Wir bereiten uns auf den Tag vor, an dem der ANC KwaZulu auslöscht und wir in den Untergrund gehen. Ein letzter Versuch, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen, scheiterte kurz vor Ostern. Zulu- König Goodwill Zwelithini ließ ein bereits vereinbartes Treffen mit Mandela, Präsident de Klerk und Buthelezi platzen, weil er heilige Pflichten habe. Erst müßten die Toten vom Marsch auf Johannesburg unter die Erde gebracht werden, ehe über Frieden diskutiert werden kann. AUSLAND 12 Millionen Russen gegenüber. Auf beiden Seiten gewinnen radikale Kräfte an Einfluß. So votierten beim ersten freien Urnengang am 27. März beide Volksgruppen alternativ wie bei einem Plebiszit: Die russische Bevölkerung im Osten wählte moskautreue Kommunisten, Ukrainer, vorwiegend in den westlichen Landesteilen, entschieden sich für rechte und extreme Nationalisten. Demokraten und das Zentrum um Präsident Leonid Krawtschuk, 60, verloren bei der ersten Wahlrunde und dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Wenn am Sonntag nach Ostern die Stichwahlen abgeschlossen sind, steht die Ukraine vor der Zerreißprobe. Eine Donezker Zeitung prophezeit: Der freie Fall steht bevor. Das Parlament wird weiter entscheidungsunfähig bleiben. Krawtschuk, der große Manipulator und nach dem Urteil von Kiew-Besucher Richard Ukraine Freier Fall Extremisten geben nach den ersten freien Parlamentswahlen in der Ukraine den Ton an. Der jungen Republik droht die Spaltung. ie Uhren sollen wie auf der Krim eine Stunde nachgehen, Moskauer DZeit anzeigen. Der lokale Parteichef der Kommunisten macht kein Hehl aus seinem Ziel, nicht nur die Uhren umzustellen, sondern auch die Währung, die Amtssprache, die Staatsbürgerschaft. Langfristig will Georgij Bujko die Donezker Industrieregion an Rußland angliedern: In Kiew sind wir ohnehin als Separatisten verschrien, erklärt der zum Großrussen mutierte Altkommunist, also können wir auch offen unsere Forderungen stellen. Seine Genossen und er nehmen die Krim zum Vorbild: Dort haben sie schon einen eigenen Präsidenten, eine eigene russische Verwaltung. Was auf der Halbinsel im Schwarzen Meer möglich sei, so die Argumentation, das gelte für das wichtigste Industriezentrum der Ukraine erst recht denn hier stellen die Russen die Bevölkerungsmehrheit. 38 Millionen Ukrainern stehen in Europas zweitgrößtem Flächenstaat knapp Präsident Krawtschuk: Nur Blutvergießen im Sinn Nixon einer der weltbesten Strategen, steht vor dem politischen Exitus. Die alten Gegner Ex-Premier Leonid Kutschma, Parlamentspräsident Iwan Pljuschtsch oder der nationalistische Ruch-Führer Wjatscheslaw Tschornowil kehren als Gewinner in die Kiewer Nationalversammlung zurück. Ihr Ziel ist der Sturz des selbstherrlichen Landesvaters. Tschornowil: Die Diktatur der Oligarchie muß ein Ende haben. Ein entnervter Krawtschuk reagierte geradezu tölpelhaft auf die veränderte politische Situation. Die Extremisten, so der angeschlagene Präsident, hätten nur eines im Sinn: Blutvergießen. Schon läßt Krawtschuk den russischen Krim-Rebellen zeitweise den Strom sperren und droht, auch das Trinkwasser abzudrehen. Den Kohle- und Industriearbeitern im Donezkbecken wird zum wiederholten Male die Zahlung ausstehender Löhne versprochen. Lokale Autonomierechte und doppelte Staatsbürgerschaft sind für Kiew indes tabu. Verschlossen reagiert Krawtschuk auch auf den Rat amerikanischer Berater. Für den US-Abgesandten Ian Brzezinski etwa steht fest, die Ukraine wird sich Rußland annähern. Ohne die Einbindung in die Rubelwirtschaftszone und den politischen Anschluß an die GUS, so suchen auch andere Ukraine- Kenner aus dem Westen der Kiewer Führung zu bedeuten, drohe ein zweites Bosnien. Konstantin Morosow, erster Verteidigungsminister der unabhängigen Ukraine, schlägt solche Warnungen in den Wind. Ich sorge dafür, daß der Ausverkauf der Ukraine gestoppt wird, erklärt der pensionierte Kampfpilot, der vorigen Oktober sein Amt niederlegen mußte, da er sich gegen die Vereinbarung stemmte, die eigenen 176 Interkontinentalraketen und rund 1800 Atomsprengköpfe Rußland zu übergeben. Die Zusicherung der großen Zwei, im Gegenzug die Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen zu garantieren, ist für den General a. D. bloß Larifari. Viele Wähler pflichten Morosow bei. Der Haudegen dürfte bei der Stichwahl in Kiew durchkommen. Im Parlament will der parteilose Morosow sich keinem extremistischen Lager anschließen. Doch eines steht auch für ihn fest: Die Ukraine muß zentralistisch geführt werden, mit einer einheitlichen Staatsbürgerschaft und einer Amtssprache. 154 DER SPIEGEL 14/1994

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156 Vor dem Passah-Fest verbrennen Satmar gesäuertes Brot: Die Fundamentalisten unter den Frommen Juden Bollwerk gegen Schmutz SPIEGEL-Reporter Matthias Matussek über die Ghetto-Kultur der Satmar-Chassidim in New York ür die beiden Fotografen war es zunächst ein Job. Doch als sie die FBrücke überquerten, die von Manhattan nach Brooklyn führt, betraten sie eine fremde, rätselhafte Welt, die sie zwei Jahre lang nicht loslassen sollte. Maud Weiss und Michel Neumeister gerieten in ein dunkles Labyrinth aus Mißtrauen, Verdrängungen und Regeln, in ein Ghetto, in dem die Zeit stehengeblieben war. Denn hier, hinter der Williamsburg Bridge, beginnt die Welt der Satmar. Sie sind die Fundamentalisten unter den Chassidim. Sie sind eingeschworene Antizionisten. Sie halten die Gründung des Staates Israel für Gotteslästerung. Der Holocaust ist nach Ansicht ihres verstorbenen Rebbe die Rache Gottes für die Pläne zur Staatsgründung. Erst der Messias, das entnehmen sie Maimonides, wird das Volk heimführen und den Tempel in Jerusalem wiedererrichten. Die Satmar sind die größte chassidische Gruppe Amerikas und die stillste. Juden, die nicht streng nach den Gesetzen leben, gelten ihnen als Verräter. Eindringlinge haben bei den Satmar keine Chance. Wochenlang fuhren die beiden Fotografen durch das Viertel, bis sich die ersten Kontakte herstellten. Die Gespräche liefen über Michel Neumeister. Maud Weiss hatte demütig ihren Kopf zu neigen die Satmar sprechen nicht Die Bewegung der Chassidim, der Frommen, bildete sich in den jüdischen Gemeinden Osteuropas ab der Mitte des 18. Jahrhunderts als orthodoxer Widerstand gegen die Assimilierung. Die Satmar-Chassidim stammen aus dem ungarisch-rumänischen Grenzgebiet. Sie, wie viele andere Chassidim, die den Nazi-Mördern entkommen waren, emigrierten nach Amerika. Die Chassidim organisieren sich in hoyfs, in Höfen, und verehren ihren Rebbe als höchste geistliche und weltliche Autorität. 156 DER SPIEGEL 14/1994

157 AUSLAND mit fremden Frauen, selbst Blickkontakte sind untersagt. Doch auch Michel Neumeister, der eine jüdische Mutter hat, rannte oft gegen Mauern. Die beiden Fotografen sitzen bei Gottlieb s, dem koscheren Restaurant am Westende des Viertels, und essen gebratene Leber, eine der Spezialitäten. Da geht Selig, sagt Michel Neumeister und deutet durchs Fenster auf die Straße. Der lebt von Almosen. Er taucht an hohen Feiertagen auf Friedhöfen auf und auf Hochzeiten, um zu betteln. Der Alte draußen in dem abgeschabten schwarzen Rock bückt sich nach Brotresten auf der Straße. Er bemerkt die Blicke und geht hastig weiter. Es war das Obdachlosenproblem unter den Chassidim, die Verdrängung der Schwachen und Geisteskranken an den Rand dieser stolzen Gesellschaft, was die beiden zunächst irritierte. Da war diese Frömmigkeit, die uns faszinierte und manchmal eine unglaubliche Bigotterie. Immerhin: Es ist ihnen gelungen, was bisher niemand schaffte in die hermetische, geheimnisvolle Welt der Satmar vorzudringen. Sie fotografierten Beschneidungen und das Purim-Fest, eine Art jüdischen Karneval. Sie besuchten den alten Diamantenschleifer, der bei der Arbeit über Kopfhörer die Tora lernt, und sie sprachen mit dem Buchhändler, der Auschwitz überlebte und den internen Satmar- Sicherheitstrupp in Williamsburg gründete, die Shomrim. Die Kriminalitätsrate hier ist nahe Null. Sie schlossen Freundschaft mit Mathes, dem Schneider, der, wie er erzählt, nur durch ein Wunder des alten Rebbe überhaupt geboren wurde. Sie saßen in den Jeschiwas und in der Tora-Schule der Senioren. Sie fotografierten die Verbrennung des Chamez, des gesäuerten Backwerks, vor dem Passah-Fest. Und sie waren bei den Kapores dabei, die am Vorabend des Jom-Kippur-Tages vollzogen werden, wenn Hühner über dem Kopf geschwungen und anschließend geschlachtet werden, als Sühneopfer für unwissentlich begangene Sünden. Nun wirken sie wie Verirrte, verloren und ratlos zwischen zwei Welten, fasziniert und abgestoßen, und bereiten sich auf ihren abschließenden Einsatz vor. In zwei Tagen wird einer der höchsten Feiertage des Satmar-Kalenders gefeiert: Dann jährt sich die Befreiung des inzwischen verstorbenen Rebbe Joel Teitel- Rebbe Moshe Teitelbaum (M.), Synagogenvorsteher: Respektiert und umstritten Diamantschleifer: Tora-Aufnahmen über Kopfhörer Opferung von Hühnern: Sühne für Sünden DER SPIEGEL 14/

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159 AUSLAND Bettler, Frauen, Jungen in Williamsburg: Festgefügte Schtetl-Ordnung für Strenggläubige baum, der aus dem KZ Bergen-Belsen freigekauft wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der Satmar-Rebbe mit seinen Getreuen nach Williamsburg. Von weltweit Satmar drängen sich allein in diesem Viertel Brooklyns, einem Schtetl mit Ziegelstein-Häuschen und engen Treppen, mit koscheren Krämerläden, Talmud-Schulen und vielen Geschäften für Schwangerschaftsmoden. Kinos wurden zu Synagogen umgebaut. Fernsehen ist untersagt. Das enge Geviert, in dem sich zuweilen zehnköpfige Familien drei Zimmer teilen und in dem auch kleinere Gruppen wie die Klausenburger oder die Wischnitzer ihre Synagogen und Schuln haben, platzt aus den Nähten haben die Satmar deshalb eine zweite Siedlung gegründet, 50 Kilometer nördlich im Bundesstaat New York. Mittlerweile leben dort Satmar, nach den gleichen strengen Regeln wie in Williamsburg, und die sind seit Jahrhunderten unverändert. Es sind die 613 Mizwot, die Gebote und Verbote der Tora und des Talmud und ihrer Myriaden von Ausdeutungen. Die Frauen tragen Perücken nach ihrer Heirat, so sagt es eine ihrer Vorschriften, muß der Kopf der Frau geschoren werden. Früher trugen sie Kopftücher, an die eine Haarlocke angenäht war. Die Perücken, die der neue Rebbe gestattete, halblange, gelackte Dauerwellen, kamen einer kleinen Revolution gleich. Ihre Mäntel sind bodenlang. Über die Frage, wie durchsichtig ihre Strümpfe sein dürfen, wurde monatelang mit verschiedenen Talmud-Auslegungen diskutiert. Nichts soll den Mann von seinen Studien und seiner Arbeit ablenken. Tora und Talmud sind Männersache, Herrschaftswissen. Der Mann denkt, die Frau schweigt. Was soll ich mir über diese Spitzfindigkeiten Gedanken machen, sagt Frau Herschkowitz, die den Sabbat vorbereitet. Ihre Wohnung ist im DDR-Biedermeier möbliert Deckchen und Schonbezüge auf jeder freien Fläche. Ich bin glücklich mit meiner Rolle. Doch selbst wenn sie es nicht wäre, sie würde es nicht zeigen, denn in einen Get, eine Scheidung, muß der Mann einwilligen. Ein Get ist hier nahezu ausgeschlossen. Die Frau ist in erster Linie Gebärerin, und bei den Satmar erfüllt sie ihr Plansoll klaglos und perfekt durchschnittlich sieben Kinder bringt sie zur Welt. Die moderne Welt der Popmusik, der Gleichberechtigung, der Drogen, der Videos wird ausgesperrt. Auf Außenstehende wirkt Williamsburg bisweilen wie ein trister fundamentalistischer Zuchtverein, neben dem die Hisb Allah wie ein fröhlicher Karnevalshaufen erscheint. Zwar verdienen viele Satmar ihr Geld in den Foto- und Elektronikläden Manhattans, arbeiten als Juweliere oder im Immobiliengeschäft, doch abends kehren sie zurück in eine Gemeinde, in der die Zeit stillgestanden ist. Es gibt kaum Abtrünnige. Die Fotografen stießen auf Einzelfälle wie jene Frau, die studieren wollte und daher die Gemeinde verlassen mußte trotz aller Bemühungen des Heiratsvermittlers fand sie keinen Mann, der sie in ihren ehrgeizigen Plänen unterstützt hätte. Rabbi Taub, der eine Jeschiwa leitet, ist 41 Jahre alt und hat 17 Kinder. 6 davon unterrichtet er in seiner Schule. Jetzt, kurz vor Beginn des Sabbat, hat er die trampelnde Horde von Pennälern mit Schläfenlocken und Kipas in die gelben Schulbusse verfrachtet und sitzt für einen Moment allein im Klassenzimmer. Wie er seine Kinder auf die Welt draußen vorbereitet? Ich hoffe, daß sie nie mit ihr in Berührung kommen. Allerdings passiere dies leider Gottes manchmal doch. Dann werde Schmutz hereingeschleppt. Was für ein Schmutz? Straßenschmutz. Er Selbst Reformjuden zählen zu den Ungläubigen meint damit Heftchen, in denen Frauen abgebildet sind. Rabbi Taub wird ein Bollwerk sein gegen den Schmutz. Und bald wird der Messias kommen, da ist er sich sicher. Er wird ihn noch zu seinen Lebzeiten sehen. Was seine Kinder bis dahin machen sollen? Sie sollen Rabbiner werden. Und die Mädchen? Die sollen Rabbiner heiraten. Ausnahmslos alle Ehen werden über Heiratsvermittler angebahnt. Peinlich genau werden dabei Blut- und Erblinien verfolgt. Eine Rabbiner-Linie gilt als prestigereich. Nie würden Ehen mit Ungläubigen gestattet, und zu denen zählen selbst die Reformjuden. Hertz Frankel, ein Schulleiter, spricht über die Geburtenfreudigkeit der Satmar-Frauen mit dem stolzen Wahnsinn eines erfolgreichen Züchters. Am letz- DER SPIEGEL 14/

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162 AUSLAND ten Freitag hat er 14 Beschneidungen erlebt. Alle sieben Jahre, so hat er errechnet, verdoppelt sich die Satmar-Population. Er berichtet, wie er die Jugend auf Kurs hält: Durch Zensur selbstverständlich. Er zeigt Unterrichtsbücher der New Yorker Schulbehörde, aus denen Seiten herausgerissen sind. Bei manchen genügen Retuschen. Auf einem Bild, das einen kleinen Jungen zeigt, der einem kleinen Mädchen die Hand reicht, ist der Junge übermalt. Kontakte zwischen den Geschlechtern sind untersagt. Frankel schwärmt: Bei uns gibt es keine Drogen. Wir verteilen keine Kondome. Bei uns gibt es keine Teenager- Schwangerschaften. Keine Abtreibung. Religion und Demokratie vertragen sich nicht, das haben wir mit unserem Experiment bewiesen. Mit unverkennbar rassistischen Untertönen verdammt Hertz Frankel das Übel der Mischehen. Bei ihm klingt das Konzept des auserwählten Volkes wie eine Variante zum Herrenmenschentum. Er spricht über Erbgut und genetische Linien, die geschützt und rein gehalten werden müßten. Von Konvertiten hält er nichts. Erst recht nichts von deutschen Konvertiten. Eine Deutsche, die konvertiert, um einen Juden zu ehelichen Teufelswerk. Er, der Jahrgang 1934 ist und den Nazi-Terror in Verstecken überlebte, hält die Deutschen für genetisch böse. Eine Blutmischung mit diesen Genen ausgeschlossen. Tatsächlich wird dieser Wahn nicht nur von Hertz Frankel, sondern auch von anderen Rabbinern mit dem Alten Testament untermauert. So wie Gott verfügte, daß die Nachfahren der sündigen Amon und Moab in alle Ewigkeit gehindert werden sollten, dem auserwählten Volke anzugehören, so sei der Deutsche für die von ihm begangenen Verbrechen für alle Zeiten verflucht. Hertz Frankel hat selbst Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel darüber reden hören. Nach dem Kriege, sowiesel, hätte man für einen Bannfluch gegen die Deutschen die Unterstützung durch Rabbiner gehabt. Heute sei dies aus politischen Gründen nicht mehr durchsetzbar. Aber offenbar, sagt Frankel befriedigt, ist Elie Wiesel in letzter Zeit wieder religiöser geworden. Er soll, den Angaben eines Rabbi zufolge, diese Idee jüngst in einer Synagoge wieder aufgenommen haben, was Wiesel dem SPIEGEL gegenüber bestreitet. Um die Blutreinheit des auserwählten Volkes und um die reine Lehre geht es den Satmar auch in den alltäglichen Kämpfen mit anderen chassidischen Gruppen. Da sind die Lubawitscher von Crown Heights, nur ein paar Kilometer südlich von Williamsburg. Eine Heirat mit Lubawitschern? Ausgeschlossen. Noch heute erinnert man sich an die Schande des Rabbi Mendel Wechter, eines Satmar, der zu den Lubawitschern überwechselte. Er wurde von einer Gruppe von Eiferern überwältigt, die ihn verprügelten und ihm den Bart abschnitten. Die Täter wurden nicht ermittelt. Wechter zog aus Furcht vor weiteren Attacken nach Israel. Um die Reinheit der Linie kämpfen die Satmar auch nach innen. Es tobt ein Erbfolgekrieg. Der 1979 verstorbene Rebbe Joel Teitelbaum wurde als Wundertäter verehrt. Dessen Nachfolger und Neffe Moshe Teitelbaum wurde von der Rebbezn, der Frau des verstorbenen Rebbe, nie richtig anerkannt. Nun bereiten sich die beiden Parteien auf einen Gerichtsstreit vor. Die Rebbezn soll ein Haus verkauft haben, das Gemeindeeigentum ist. Der neue Rebbe wird vor einem weltlichen Gericht aussagen peinlich, denn natürlich haben die Chassidim normalerweise für Vergehen innerhalb der Gemeinschaft ihre eigene Gerichtsbarkeit. Die fugendichte Welt der Satmar hat notwendige Berührungen mit der des modernen Amerika. Da hatten sich 1984 Busfahrerinnen im Bezirk Monroe über den Gleichheitsgrundsatz das Recht auf größere, lukrativere Touren Behinderte Kinder wurden wie Hunde nachts Gassi geführt erstritten. Pech, daß diese Touren auch die Satmar-Ansiedlung umfaßten die Jeschiwa-Schüler dort weigerten sich, zu einer Frau in den Bus zu steigen. Derzeit liegt ein Satmar-Fall vor dem Obersten Gerichtshof. Da die chassidischen Eltern sich weigerten, ihre Kinder in öffentliche Schulen zu schicken, wurde für die Satmar-Siedlung ein eigener Schuldistrikt gegründet. Aaron Friedmann, Chef des Yid, Leibblatt der Satmar, gibt der eigenen Sache gute Chancen. Schon daß wir gehört werden, ist ein Erfolg. Doch selbst wenn die weltlichen Gerichte gegen die Satmar entschieden er persönlich würde stets das religiöse über das säkulare Recht setzen: Nie würde ich meine Kinder dem öffentlichen Schulsystem aussetzen. Die Traditionsgläubigkeit der Satmar- Orthodoxie kann umschlagen in einen Belesenheitskult, in eine zerebrale Auslegungsprotzerei, in eine zwanghafte Olympiade der Besserwisserei, welche Opfer fordert. In einem kulturellen Umfeld, in dem eine auf Buchwissen spezialisierte Intelligenz höchste Tugend ist, gelten geistig behinderte Kinder als Schandfleck. Sie, die Meschuggenen, wurden noch vor nicht allzu langer Zeit versteckt 162 DER SPIEGEL 14/1994

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164 und nur nachts auf die Straße geführt, wie Hunde, mit denen man Gassi geht. Sie schmälerten die Heiratschancen der Geschwister als Zeichen für schlechtes Erbgut in der Familie. Vor zwölf Jahren gründete Rabbi Chaim Stauber die psychiatrische Hilfsorganisation Pesach Tikvah (Tor der Hoffnung), die sich um die Opfer dieser Zuchtgesellschaft kümmert. Chaim Stauber ist ein Mann, dessen Klugheit wohltuend wirkt in einem Hexenkessel aus Verdrängung und Hyperaktivität und pathologischer Rechthaberei er strahlt Güte und Freundlichkeit aus und Verständnis für die Schwachen unter seinen Mitmenschen. Früher hatten wir Exorzisten, die den Dibbuk, den bösen Dämon, vertrieben, sagt der Rabbi. Heute haben wir Soll ich einem Verdurstenden Salzwasser empfehlen? modernere Methoden. Derzeit bearbeitet er 500 aktive Fälle. Doch auch er kann nur bis zu einer gewissen Grenze helfen. Darüber hinaus überweist er an weltliche Therapeuten. Was soll er einer Frau sagen, die zu ihm kommt, weil sie keine Kinder mehr haben möchte? Verhütungsmittel empfehlen, die streng verboten sind? Ich kann mir das Elend oft nur anhören, sagt er, doch schon das Zuhören hilft vielen Patienten. Chaim Stauber ist psychologisch geschult, aber er ist auch Rabbi. Das Homosexuellenproblem beantwortet er zunächst als Psychologe: Ein moderner Therapeut würde sagen vergiß diese Schuldgefühle, lebe dich aus. Doch dann gewinnt der Rabbi in ihm die Oberhand. Nicht alles, was die moderne Therapie empfiehlt, ist richtig. Soll ich einem Verdurstenden auf dem Meer empfehlen, Salzwasser zu trinken? Dennoch: In der verschwiegenen Kesselsituation des Satmar- 164 DER SPIEGEL 14/1994 Rabbi Taub beim Unterricht: Warten auf den Messias Ghettos ist Chaim Stauber einer, der die Schwachen bemitleidet und Frauen ernst nimmt. Für Maud Weiss ist Chaim Stauber einer der Gründe, warum sie von den Satmar, trotz aller Demütigungen, fasziniert ist. Auch mit Many, dem Sohn des Mohel, des Beschneiders, sind die Fotografen befreundet. Er führt eine Autowerkstatt. Seinen eigenen Jeep nennt er liebevoll sein 007-Auto. Er kann es über Fernbedienung starten, was wichtig ist, falls der Gegner eine Autobombe deponiert hat. Welcher Gegner? Egal, irgendeiner findet sich immer. Many, 31 Jahre alt und Vater von fünf Kindern, erinnert an ein erwachsenes Kind, das sich die Welt als Abenteuerspielplatz wünscht. Er hat sich einen Pressepaß besorgt, seinen Wagen mit Funkgeräten und Telefonen gespickt und Blinklichter und Sirenen installiert. So kommt er schnell durch alle Polizeisperren. Stolz berichtet er, wie schnell und effizient das Satmar-Netzwerk funktioniert. Sie konnten einen FBI-Agenten blockieren, der über die Satmar re- Feier zu Ehren Joel Teitelbaums: Meer schwarzgekleideter Männer cherchierte. Gegen einige der orthodoxen Gemeinden laufen Ermittlungsverfahren sie sollen, so sagt es ein Senatsbericht, vom Staat für Scheinstudenten Studiengebühren in Millionenhöhe kassiert haben. Ob Manys Intervention nötig war, wird sich erst herausstellen gegen die Gruppe wird weiter ermittelt. Many war nie in seinem Leben im Kino. Wie kommt es, daß er 007 kennt? Er wird rot. Sein Freund, sagt er, habe ein Videogerät. Auf die Idee, sich selber einen Fernseher zuzulegen, käme er nie. Ich möchte nicht, daß meine Kinder mit der Verdorbenheit der Welt in Berührung kommen, sagt er, ganz Satmar. Er selber hält sich für gefestigt genug. Ob er einen Lebenstraum habe? Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Ich wäre gern FBI-Agent, sagt er schließlich verträumt. Aber dazu hätte ich eine College-Ausbildung gebraucht. Und die habe ich leider nicht. Zwei Tage später arbeiten Maud Weiss und Michel Neumeister, die mit ihren Fotos ein Buch und eine Ausstellung vorbereiten, auf der Feier zum Gedächtnis an den verstorbenen Rebbe ein letztes Mal unter den Satmar Männer mit schwarzen Hüten und langen schwarzen Mänteln strömen in den späten Abendstunden zusammen, um den Rebbe zu ehren und Geld für die Schulkosten der Satmar- Schüler zu sammeln: Eine Million Dollar kommen in dieser Nacht zusammen. Rudolph Giuliani, der auch mit den Stimmen der Satmar gewählte neue Law-and-Order-Bürgermeister New Yorks, sprach über die Gemeinde als leuchtendes Beispiel. Hier gibt es keine Drogen, keine Kriminellen. Nur rund 40 Frauen waren zugelassen, die sich auf dem oberen abgetrennten, sichtbehinderten Balkon verloren. Unten ein Meer von schwarzgekleideten Männern. Maud Weiss hat durch ein kleines Loch, das die Frauen in die Brüstung gebohrt haben, fotografiert. Fotografieren ist ihr Job. Und manchmal ein Mittel, sich, als Frau gegen Männer, durchzusetzen.

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167 B Ü C H E R S P I E G E L Anhaltende Gefechte AUTOR: Robert Hughes TITEL: Nachrichten aus dem Jammertal. Wie sich die Amerikaner in political correctness verstrickt haben. VERLAG: Kindler, München; 272 Seiten; 38 Mark. US-Demonstration von Frauen und HIV-Infizierten Oh, Kalifornien: Da saß, eines Morgens im Jahre 1991, ein Gast in Betty s Oceanview Diner in der Universitätsstadt Berkeley, wartete auf sein Frühstück und las dabei einen Artikel über die Unverletzlichkeit der amerikanischen Grundrechte. Allerdings: Der Bericht war im Playboy abgedruckt, und der Anblick des Blattes entsetzte und schockierte (eigene Aussage) eine Serviererin namens Barbara. Das ertragen zu müssen, beschwerte sie sich bei ihrem Arbeitgeber, sei eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sowie fast schon eine Vergewaltigung. Der Chef mußte den Mann zum Verlassen des Lokals auffordern, was örtlich als Sieg des Fortschritts über eine besonders abgefeimte Klasse von Unterdrückern gefeiert wurde. Die heißen in herrschaftsfreier Neusprache: patriarchal pale penis people ; auf deutsch: patriarchalische Schwanzträger weißer Rasse. Wer geglaubt hatte, das Ende des Kalten Kriegs hätte auch dessen ideologische Schützengräben geleert, sieht sich getäuscht. Der australische Autor Robert Hughes schildert die nicht minder erbitterte Konfrontation, die in den USA an seine Stelle getreten ist. Die Anhänger politischer Korrektheit, die alles Unheil auf die Umtriebe der Blonden Bestie (des weißen Mannes europäischer Herkunft) zurückführen, liefern sich eine Schlacht mit Konservativen, die für Gott, Vaterland und Familie in den Kulturkampf gegen Schwule und Feministinnen gezogen sind. Rechte jammern, Linke jammern: jeder sieht sich als Opfer von Verschwörungen, fordert Wiedergutmachung für erlittenes oder eingebildetes Unheil. Der Preis dieser Opfer-Mentalität ist hoch: die Amerikaner verfallen einem eigensüchtigen Tribalismus. Die traditionell multikulturelle US-Gesellschaft hat sich auf den Weg zur Balkanisierung begeben. Kaum jemand hat die Aufgeblasenheit und Heuchelei von Kombattanten und Demonstranten sarkastischer beschrieben als Hughes, im Hauptberuf Kunstkritiker für das Nachrichtenmagazin Time. Seine vernichtenden Beobachtungen, Grundlage seiner brillanten Polemik, rücken den Verfallsprozeß in grelles Licht. Was kann es Widersinnigeres geben als etwa schwarze Studenten, Nachkommen von Sklaven, die im Kampf gegen den Rassismus bereit sind, das Grundrecht der Meinungsfreiheit preiszugeben: Fuck Free Speech. Die Fähigkeit zum Interessenausgleich haben die Extremisten beider Seiten längst verloren, und unter dem Banner eines neuen Puritanismus könnten sie sich schnell verbrüdern. Daß der Playboy gesundheitsgefährdend für Frauen sei, glauben christliche Fundamentalisten und agnostische Feministinnen gleichermaßen. Deutscher Drang nach Süden AUTOR: Kum a Ndumbe III. TITEL: Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas. VERLAG: Verlag für Interkulturelle Kommunikation, Frankfurt; 296 Seiten; 29,80 Mark. Die Bodenpolitik der Zukunft, schrieb Adolf Hitler, könne nicht etwa in Kamerun ihre Erfüllung finden, sondern fast ausschließlich in Europa. Folglich beschäftigte sich die Forschung über die Kriegsziele der Nationalsozialisten vorwiegend mit dem Drang nach Osten. Beweise dafür, daß Hitler indes auch südlich der Sahara ein Kolonialreich errichten wollte, fand der Kameruner Kum a Ndumbe in deutschen Archiven. Nach Frankreichs Niederlage 1940 erarbeiteten Hitlers Ministerien detaillierte Pläne über die Neuaufteilung Afrikas. So ließen sie bereits ein Arbeitsbuch für Eingeborene drucken. In Afrika sollten schwarze Heloten Rohstoffe für das Reich erzeugen. Hitlers Behörden wählten sogar schon Volksgenossen für den Einsatz in Afrika aus. Eine Bescheinigung über Kolonialtauglichkeit gaben sie nur Personen, die neben robuster Gesundheit auch rechtes Rassenbewußtsein vorweisen konnten. Um jede Fraternisierung auszuschließen, entwarfen Juristen auf der Grundlage der Nürnberger Gesetze ein Kolonialblutschutzgesetz : Schwarze, die mit einer weißen Frau geschlechtlich verkehren, werden mit dem Tode bestraft. Weil die christliche Religion Teil des abendländischen Kulturgutes sei und die Auffassung von der Gleichheit aller vor Gott ihrer Herrenmenschen-Ideologie widersprach, wollten die Nazis Missionsarbeit in Afrika unterbinden. Bereits christianisierte Afrikaner sollten eigene Eingeborenenkirchen bilden. Die Recherche des Politologen Ndumbe gerät zum erneuten Beleg für den Größenwahn der verhinderten Weltaufteiler. Die afrikanische Perspektive des Autors war dabei vorbestimmt: Ndumbes Großvater, Kum a Mbape, hatte 1884 in Kamerun den ersten Aufstand gegen die sich etablierende deutsche Kolonialmacht geführt. Ganz müder Krieger AUTOR: Jean Ziegler TITEL: Wie herrlich, Schweizer zu sein. VERLAG: Piper Verlag, München; 308 Seiten; 39,80 Mark. Als therapeutisches Unternehmen bezeichnet der scharfzüngige Genfer Sozio- Ziegler DER SPIEGEL 14/

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170 B Ü C H E R S P I E G E L logieprofessor Jean Ziegler, 59, sein Erinnerungsbuch. Allzulange, findet der im Ausland ebenso geachtete wie zu Hause geschmähte Politiker, habe er bei seinem Einsatz gegen Armut und Ungerechtigkeit seine Subjektivität verdrängt. Nun, da er das magere Ergebnis seines atemlosen Engagements als Versagen empfindet, spürt er, ganz müder Krieger, seinen Wurzeln nach. Bei der Beschreibung seines Werdegangs vom wohlgeratenen Bürgersproß aus Thun zum Herold linker Befreiungsbewegungen in Südamerika und Afrika überraschen die selbstkritischen Töne. Den Oligarchen in den Industrieländern mag er nicht mehr die ganze Verantwortung für das Elend in der Dritten Welt aufladen. Die pauschalen Schuldzuweisungen an die bösen Kolonialisten hätten die Eliten des Südens oft ihrer eigenen Verantwortung enthoben und autoritäres Gehabe, Korruption und persönliche Bereicherung ignoriert. Zieglers zuweilen etwas selbstgefällige Rückschau ist ein Zeugnis für den lähmenden Verlust der ideellen Perspektiven, mit dem sich sozialistische Intellektuelle überall im Westen schwertun. Das Bekenntnis zur Heimat, mit dem der berühmteste Nestbeschmutzer der Eidgenossenschaft seine Rückbesinnung einführt, mag irritieren. Als Angebot zur Versöhnung ist es nicht gemeint, versichert Ziegler. Kulturkampf in Nahost AUTOR: Milton Viorst TITEL: Sandcastles. The Arabs in Search of the Modern World. VERLAG: Alfred A. Knopf, New York; 416 Seiten; 25 Dollar. Ein Buch über die arabische Welt, in dessen Mittelpunkt nicht der lange Zeit übermächtige Konflikt mit Israel steht, sondern die facettenreiche Suche der Araber nach eigener Identität in der modernen Zeit. Sie wird Ägyptische Fundamentalisten vor Gericht deutlich im Kampf der säkularen, auch der korrupten, Regime gegen die religiösen Kräfte in den Ländern des Nahen Ostens. Dabei haben die um Modernität bemühten Araber sie sind zumeist besser ausgebildet, aufgeschlossener gegenüber dem Westen, unterstützen aber auch bereitwillig autoritäre Herrscher einen schweren Stand. Anders als Gebündeltes Grauen AUTOR: Roy Gutman TITEL: Augenzeuge des Völkermords. VERLAG: Steidl, Göttingen; 256 Seiten; 24 Mark. Die Rückblende ist unerbittlich: 23 Monate Krieg werden wie in Zeitlupe abgespult. Die präzisen Bestandsaufnahmen über Haß und Zerstörung, über Vergewaltigungen und Todeslager in Bosnien lesen sich streckenweise unglaublich. Der amerikanische Journalist Roy Gutman bündelt das Grauen so scharf, daß dem Leser der Atem stockt: So kann, so darf es nicht gewesen sein, sagt die innere Stimme. Doch der Pulitzerpreisträger hat sorgsam recherchiert die Reportagen von den Kriegsschauplätzen sind sachlich und distanziert geschrieben. Gutman gehörte zu den ersten Journalisten, die serbische Gefangenenlager von innen sehen konnten, Beweise von Massenvergewaltigungen an moslemischen Mädchen vorlegten, aber auch die brutalen Abrechnungen zwischen den einst verbündeten Kroaten und Moslems miterlebten. Sein Verdienst ist es, klar auseinanderzuhalten, was er selbst sah, wovon er nur hörte und was nicht zu überprüfen war. Gewissenhaft unterscheidet Gutman zwischen Wahrheit und Gerücht, zwischen Tatsachen und Vermutungen. das von der Aufklärung geformte christliche Abendland kennt der Islam keine Trennung zwischen weltlicher und religiöser Macht. In der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, hat recht, wer sich streng an die Quellen hält. Daß die Menschheit sich auf dem Wege des Fortschritts befindet, ist für fromme Moslems ein eher befremdli- Kriegsopfer in Sarajevo cher Gedanke. Viele glauben, daß das Gegenteil der Fall ist: Gerade weil die Gebote Allahs nicht beachtet wurden, zerbrach das arabische Weltreich. Ein Karl Marx, schreibt der Autor, hätte die Bruchlinien innerhalb der arabischen Gesellschaften nicht erkennen können. Sie konstituieren einen Kulturkampf und keinen Klassenkampf. Solange diese Auseinandersetzung nicht entschieden ist, gleichen die Staaten der arabischen Welt den Sandburgen des Buchtitels: Sie sind politisch zerstritten, sozial instabil, militärisch schwach. In vielen Gesprächen mit Politikern, Intellektuellen und religiösen Führern spürt Viorst den Argumenten beider Seiten nach. Seine plastischen Beschreibungen orientalischen Lebens sind aber auch Journalismus von Rang Ergebnisse ausgedehnter Recherchereisen im Dienste des New Yorker. Weniger überzeugend sind dagegen die analytischen Passagen des Buchs ausgefallen. Dem Autor gelingt es nicht, die komplexe Geschichte der Balkanvölker und der neuentstandenen nationalchauvinistischen Ideologien überzeugend aufzuarbeiten. Praktikable Konfliktlösungen für die geschundene Region bietet das Buch nicht. Die Balkankrise zeigt die Grenzen des journalistischen Handwerks, gesteht Gutman resigniert in einem Epilog. Und er klagt an: Die europäischen und amerikanischen Politiker leugneten die offensichtlichen und von den Nachrichtenmedien ausführlich publizierten Fakten... um ihre Unentschlossenheit zu vertuschen. 170 DER SPIEGEL 14/1994

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172 AUSLAND Laos Leben wie im Werbespot Die erste Brücke über den Mekong beendet die selbstverordnete Isolation der Volksrepublik. Laos will zur Schweiz Asiens werden. eo erkannte früh, daß in einer Planwirtschaft mit den eigenen KLandsleuten kein Geschäft zu machen ist. Dieser Einsicht verdankt der schmächtige Laote und Händler von Fischsaucen ein Mr. vor seinem Namen und die Aussicht, bald das erste Tourismusbüro seines Dorfes zu leiten. Seit zehn Jahren hängt ein Holzschild an der aus Palmenblättern geflochtenen Wand seines Restaurants. Auf ihm bietet Mr. Keo, 50, in fehlerfreiem Englisch seine Dienste als Führer durch Tropfsteinhöhlen und unberührte Dörfer an. Auf die Idee brachte ihn ein Australier. Den begeisterte die Silhouette steil aufragender Karstfelsen, die anmuten wie die getuschten Gebirgszüge chinesischer Landschaftsmalerei. Doch die zentrallaotische Kleinstadt Vang Vieng stand nicht auf dem Programm der Tourplaner, ohne die Reisen ins Landesinnere verboten sind. Und Laos, eines der ärmsten asiatischen Länder, zog mit seinen knapp über vier Millionen Menschen Geschäftsreisende nicht so an wie das benachbarte Thailand oder das Riesenreich China. Dabei hatten die 1975 nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg an die Macht gelangten Führer der linken Guerillabewegung Pathet Lao bereits vor dem Zusammenbruch des Sozialismus begonnen, die Planwirtschaft zu reformieren: Seit 1986 gaben sie die Reispreise frei, privatisierten Staatsunternehmen, tilgten Hammer und Sichel aus dem Staatswappen und das Wort Sozialismus aus der Parteipropaganda. Jene, gegen die man die Unabhängigkeit erkämpft hatte, kehrten peu à peu als Investoren und Geldgeber zurück: Die Kolonialherren von einst, die Franzosen, bauen in Vang Vieng ein Transformatorenwerk, das die Kleinstadt mit Strom versorgen soll; Amerikaner, deren Armee während des Vietnamkriegs mehr Bomben über Laos abwarf, als während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland detonierten, schürfen nach Gold und Öl; Thais, deren Vorfahren laotische Tempel niederbrannten, brauen das einzige lokale Bier. Dennoch warteten in der Provinz Menschen mit Unternehmergeist wie Mr. Keo vergeblich auf den Anschluß an den Rest der Welt. Die Anreise war zu beschwerlich und nicht ungefährlich: Regierungsfeindliche Rebellen attackierten immer wieder die Anfang des Jahrhunderts in den Dschungel geschlagene Trasse, welche Vang Vieng mit der Hauptstadt Vientiane verbindet. Seit zwei Monaten ist die Straße asphaltiert und Mr. Keo im Geschäft. Viermal in der Woche führt er Touristengruppen an Wasserfälle und Höh- Neue Mekong-Brücke: Mit dem Auto von Singapur bis Peking 172 DER SPIEGEL 14/1994

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174 AUSLAND Lastwagen als öffentliches Verkehrsmittel: Atemberaubender Staub lenseen. Und wenn am nächsten Freitag die Brücke über den Mekong freigegeben wird, dann liegt Mr. Keos verschlafene Heimatstadt plötzlich an der wichtigsten Nord-Süd-Achse, die Laos mit Thailand verbindet; dann beginnt, da ist sich der drahtige Mann sicher, die beste Zeit meines Lebens. 1,2 Kilometer Beton, von Australien mit 28 Millionen US-Dollar finanziert, sind zum Symbol für das Ende selbstverordneter Isolation geworden. Auf thailändischer Seite erwartet eine neue achtstöckige Bettenburg den Ansturm von Touristen und Geschäftsreisenden; die Reisfelder am laotischen Ufer sollen Fünf-Sterne-Hotels, Kasinos, Golfplätzen weichen. Und Mr. Keo verhandelt mit Reiseveranstaltern über die Eröffnung einer Agentur in Vang Vieng. Dem ersten Brückenschlag über den Grenzfluß wird der Ausbau der Nord- Süd-Achse über Vang Vieng hinaus folgen, vorbei an der alten Königs- und Tempelstadt Luang Prabang bis hinauf an die chinesische Grenze. Ist diese Straße erst einmal fertiggestellt, werden Touristen wie Händler den Kontinent von Singapur bis Peking mit dem Auto durchqueren können. Leuan Sombunkhan, stellvertretender Direktor des für die Wirtschaftsentwicklung zuständigen Regierungskomitees, nennt Laos wegen der Mittellage bereits visionär die Schweiz Asiens. Bis zum Jahr 2000 werde das Land, in dem das jährliche Pro-Kopf-Einkommen bei 200 US-Dollar liegt, Handelsund Bankenzentrum der Region geworden sein. Um uns herum leben 200 Millionen Menschen, sagt der Chefplaner. Das ist ein Riesenmarkt für uns. Noch hat Laos wenig anzubieten im Handel mit den Nachbarstaaten. Die 174 DER SPIEGEL 14/1994 CH INA BURMA Mekong THAILAND INDIEN Bangkok Luang Prabang Vang Vieng LAOS Vientiane Brücke CHINA Straße wird ausgebaut Tha Naleng Kilometer 13 KAMBODSCHA Hanoi VIETNAM Golf von Tonkin meisten Laster, die am Mekong-Hafen Tha Naleng auf die Fähre in Richtung Thailand rollen, sind unbeladen. Edelhölzer werden auf diesem Wege transportiert, und immer mehr Textilien. Der Export von T-Shirts, Shorts und Jeans brachte im vergangenen Jahr 37 Millionen US-Dollar ein nur eine Million weniger als das wichtigste Exportprodukt Holz. Vor allem Thais investieren jenseits des Mekong in Nähereien: Sie sparen so zwei Drittel der Lohnkosten. Die Baumwollbahnen, die in der schnell wachsenden Zahl kleiner Kleidungsfabriken zugeschnitten werden, stammen nicht aus laotischer Produktion. Von der Schubkarre bis zum Schaufelbagger, von der Seife bis zur Stereoanlage wird alles, was für den Aufbau und das Wohlbefinden nötig ist, aus Thailand importiert. Daß die laotische Wirtschaft dennoch boomt und der Wohlstand wächst, zeigt ein Blick in die Zollbücher des Hafens von Tha Naleng: Importeure bringen mehr Zement über den Fluß und neuerdings Limousinen mit Hubraumgrößen, die in der Tabelle der Einfuhrzölle nicht vorgesehen sind. Die Laoten sind Nachkriegsgewinnler: Während der amerikanische Wirtschaftsboykott Vietnam und Kambodscha von westlicher Hilfe abschnitt, flossen nach Laos so viele Entwicklungsgelder wie, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, in kaum ein anderes Land der Welt. Geradezu mustergültig, konstatieren die Geldgeber, treiben die Regierenden heute den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft voran: Seit sie 1988 ein neues Investitionsgesetz verabschiedeten, wächst die Wirtschaft jährlich um 7 Prozent. Dreiviertel aller Staatsbetriebe sind privatisiert, die Inflationsrate fiel von 76 auf 6 Prozent. Sechs von inzwischen sieben zugelassenen Privatbanken sind in thailändischem Besitz; 40 Prozent aller ausländischen Investitionen tätigen Unternehmer vom anderen Ufer des Mekong. Diese Abhängigkeit beunruhigt, und das thailändische Beispiel rücksichtsloser Ausbeutung von Ressourcen, seien es Wälder, Flüsse oder Frauen, wirkt auf die Laoten abschreckend. Bis zum magischen Jahr 2000 müsse der Anteil der Thais an der inländischen Wirtschaft auf 25 Prozent reduziert sein, verkündet Chefplaner Leuan. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt Laos auf die Wasserkraft. Zwanzig neue Dämme sollen bis zur Jahrtausendwende 6800 Megawatt Strom liefern für den Export. Schon heute ist Elektrizität das drittwichtigste Ausfuhrprodukt. Im vergangenen Jahr brachte der Verkauf von Strom nach Thailand 18 Millionen US- Dollar ein. In sechs Jahren, glaubt Leuan, werde Laos, das selbst einen Jahresverbrauch von 80 Megawatt hat, Wasserkraft im Wert von 1,5 Milliarden US-Dollar erzeugen. Vorläufig fehlt das Kapital, um die ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen. Nur für fünf Dammbauprojekte haben sich bisher Investoren gefunden. Mit einer Milliarde US-Dollar finanzieren die Australier

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176 AUSLAND das größte Wasserkraftwerk. Damit, so Leuan, sei die wirtschaftliche Übermacht der Thais gebrochen. Einer, der den als Invasoren gefürchteten Thais den Weg ebnete, ist der Staatskapitalist Vinai Inthawong, 47. Der in Frankreich ausgebildete Sohn einer der wohlhabendsten Familien von Laos war bereits ein Jahr nach der Machtübernahme durch die Kommunisten zurückgekehrt, weil er lieber in einer kleinen Gemeinschaft groß, als in einer großen anonym sein wollte. Heute fürchtet der von den Kommunisten umworbene Kapitalist, sich selbst um die Vormachtstellung gebracht zu haben: Die Thais werden unsere Wirtschaft kontrollieren, und damit auch uns. Wir lokalen Unternehmer kämpfen gegen Giganten. Inzwischen hofft Vinai, daß nicht alle Dammprojekte, für der sechsmonatigen Trockenzeit wächst weder Reis noch Gemüse. Seit einige der Männer Lohnarbeit auf Vinais Baustelle gefunden haben, flimmern batteriebetriebene Fernseher in den Pfahlbauten, und die Menschen in Kiukatscham träumen von einem Leben wie in thailändischen Werbespots. Doch in den Aufbauplänen der Regierung kommt das Dorf nicht vor. Kiukatscham ist nur Relaisstation. Das Dorf bleibt ohne Telefon. Leuan hofft auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen. Als Sicherheit, fordern Kreditgeber wie der Internationale Währungsfonds, müsse Laos seine Ressourcen stärker mobilisieren. Gemeint sind Bodenschätze wie Gold und Edelsteine, aber auch Eisenerzvorkommen, die so groß sind, daß ihre Magnetfelder die Navigationsgeräte US-Bombenkanister als Zaun: Die Laoten sind Nachkriegsgewinnler die er die Partner suchte, Wirklichkeit werden. Denn Überproduktion, soviel versteht er allemal von Marktwirtschaft, führt zu Preisverfall. Vinais Firmenkonsortium hat in alles investiert, was Zukunft hat: in die Hotellerie und Bauwirtschaft, in die Holzverarbeitung und Trinkwasserherstellung, in den Handel mit Autos. Und gemeinsam mit einem französischen Partner baut er Relaisstationen für ein landesweites Telefonnetz. Achtzig Kilometer nördlich der alten Königsstadt Luang Prabang, am noch nicht asphaltierten Abschnitt der Nord- Süd-Achse, gießen Vinais Arbeiter das Fundament für einen Sonnenkollektor, der die Relaisstation Kiukatscham mit Energie versorgen wird. Die 148 Familien des Dorfes leben von Brandrodung, Vogeljagd und Schweinezucht, während amerikanischer Kampfbomber bei deren Angriffsflügen auf Vietnam irritierten. Leuans Büro vergibt Abbaulizenzen nur widerwillig. Keine Ausbeutung ohne Verarbeitung lautet seine Maxime: Wir wollen nicht Rohstoffe, sondern Fertigprodukte exportieren. In Vang Vieng, Mr. Keos kleinem Paradies, dürfen die Chinesen deshalb die malerischen Kalkfelsen zu Zement verarbeiten. Wenn die Kleinstadt Mitte des Jahres ans Stromnetz angeschlossen wird und Mr. Keo seine Besucher nicht länger mit der Taschenlampe durch die dann beleuchteten Tropfsteinhöhlen führen muß, wird auch das Zementwerk die Produktion aufnehmen. Atemberaubender weißer Staub wird sich über die Landschaft legen. Mr. Keos Geschäft ist versaut, bevor es begann. 176 DER SPIEGEL 14/1994

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179 AUSLAND Balkan Ein Angriff wäre der Krieg Mazedoniens Präsident Kiro Gligorov über den Konflikt mit Serbien und Griechenland SPIEGEL: Seit zwei Jahren führt Serbien Krieg gegen Bosnien. Droht auch Mazedonien eine militärische Aggression? Gligorov: Übertriebene Angst habe ich zwar nicht, doch ich kann nicht ausschließen, daß sich dieser Konflikt auch nach Süden ausweitet. SPIEGEL: Bereits im November 1992 forderten Sie Uno-Schutz an, seit Juli vergangenen Jahres patrouillieren amerikanische Blauhelme entlang der gemeinsamen Grenze zu Serbien. Garantiert dies den Frieden? Gligorov: Diese Einheiten kamen, als die Kriegsgefahr akut war. Die Anwe- Aus der Konkursmasse des untergegangenen Jugoslawien erbte Mazedonien die gleichen ethnischen Probleme wie Bosnien. Allein in diesem Jahrhundert teilten sich Serben, Bulgaren und Griechen das Gebiet viermal untereinander SERBIEN Sofia Skopje BULGARIEN MAZEDONIEN Tirana Ohrid GRIECHENLAND ALBANIEN Saloniki 100 km Ägäisches Meer auf. Heute fällt es ihnen abermals schwer, die Souveränität des neuen Staates anzuerkennen. Im Norden droht Mazedonien eine Konfrontation mit Serbien, im Süden sieht sich die kleine Vielvölkerrepublik von der Größe Brandenburgs durch das Handelsembargo der Griechen blockiert. Athen will denunliebsamen Nachbarn dazu zwingen, Verfassung, Staatsnamen und Flagge zu ändern, da darin angeblich territoriale Ambitionen gegenüber der gleichnamigen Region im Norden Griechenlands zum Ausdruck kommen. Die neue Isolierung trifft die 2,1 Millionen Einwohner hart. Die Arbeitslosenrate liegt bei 40, die Inflationsrate bei 400 Prozent, die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten nimmt zu. senheit der Amerikaner sollte eine ausreichende Warnung an die Serben sein. SPIEGEL: Die serbische Armee könnte in wenigen Tagen Mazedonien besetzen; im Bosnien-Krieg reagierte die Nato erst nach fast zwei Jahren. Täuschen Sie sich da nicht, wenn Sie glauben, Ihre junge Republik bei einem Belgrader Angriff verteidigen zu können? Gligorov: Das Mazedonien-Problem ist viel komplexer als das bosnische. In Bosnien handelt es sich um einen Krieg in einer Enklave, der kaum Gefahr läuft sich auszuweiten. Ein Angriff auf Mazedonien wäre der Krieg an der Nato-Nordgrenze, in den alle Balkanstaaten verwickelt würden. Außerdem könnte es zum Konflikt zwischen den zwei Mitgliedstaaten Griechenland und Türkei kommen. SPIEGEL: Im vergangenen Frühjahr kam Serben-Präsident Milošević unangemeldet zu einer Kurzvisite an den Ohridsee. Was wollte er von Ihnen? Gligorov: Er unterbreitete einen Vorschlag zur intensiven Zusammenarbeit; doch als ich ihn fragte, warum er denn dann nicht unsere Republik anerkenne, war seine Antwort: Dies geschehe erst, wenn Griechenland Mazedonien diplomatisch anerkannt habe. Denn Athen sei für ihn der einzige wahre Verbündete auf dem Balkan... SPIEGEL:... mit dem Milošević ja auch Mazedonien gern aufteilen würde. Gligorov: Athens ehemaliger Ministerpräsident Konstantin Mitsotakis sagt, Milošević habe ihm dies tatsächlich vorgeschlagen. Doch er habe abgelehnt. SPIEGEL: Die Pläne sind wohl nicht vom Tisch. Vor drei Wochen besuchte der griechische Außenminister Papoulias Belgrad, um über die Renaissance des früheren Jugoslawien zu debattieren. Gligorov: Wir werden uns einer neuen jugoslawischen Föderation um keinen Preis freiwillig wieder anschließen. SPIEGEL: Geht es beim Streit zwischen Skopje und Athen wirklich nur um den Namen Mazedonien, den die Griechen für sich beanspruchen? Gligorov: Ach was, dann wäre diese Frage schon vor 50Jahren aufgetaucht. Solange tragen wir diesen Namen bereits, ohne daß es jemanden störte. In Griechenland regiert heute der Nationalismus. SPIEGEL: Wie lange können Sie der Bedrohung aus dem Norden und dem Embargo aus dem Süden standhalten? Gligorov: Wir warten ab. Unsere wirtschaftliche Lage ist schwierig, alternative Handelswege sind nicht vorhanden. Doch langfristig werden die Wege nach und über Griechenland wieder offenstehen. SPIEGEL:BefürchtenSieSpannungenmit der albanischen Minderheit, die immerhin ein Drittel der Bevölkerung Mazedoniens ausmacht? Präsident Gligorov*: In Athen regiert Nationalismus Gligorov: Selbst in unseren schlimmsten Zeiten hatten wirkeine Probleme mit den albanischen Mitbürgern. Nur die Forderung gewisser Kreise, sie zum zweiten staatstragenden Volk Mazedoniens zuernennen, lassen wir nicht zu. Wir gewähren der albanischen Minderheit alle Rechte, wie sie in der Helsinki-Schlußakte verbrieft sind. SPIEGEL: Wird das radikale Albaner davon abhalten, langfristig eine Vereinigung mit dem albanischen Mutterland anzustreben? Gligorov: Daß auch die Idee eines Großalbaniens besteht, ist kein Geheimnis. Aber all diese Träume von einem Großserbien, Großkroatien, Großalbanien wohin führen die? * Mit dem von Athen beanstandeten Staatswappen, dem Stern von Vergina. DER SPIEGEL 14/

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182 SPORT Kampagnen GRÜNER PUNKT DES SPORTS Sie lächeln von Plakatwänden, sie mahnen in Fernsehspots, sie tragen das Logo beim Absingen der Nationalhymne: Deutschlands Sportler unterstützen die Aktion Keine Macht den Drogen. Eine Kampagne, so urteilen Experten, die viel mit Vermarktung, Alibi und Scheinheiligkeit zu tun hat und wenig mit Suchtprävention. er Fußballer Lothar Matthäus hält sich bei Oktoberfest und Sechsta- Dgerennen zünftig an Schnapsglas oder Bierkrug fest. Die Eishockey-Nationalspieler Klaus Merk, Stefan Ustorf und Michael Rumrich feiern bei Olympia ihren Sieg gegen Rußland bis morgens früh um zwei mit reichlich Bier aus dem Liter- Container des Deutschen Hauses in Lillehammer. Und Hochspringer Ralf Sonn, vierter der Weltmeisterschaft 1993, steckt sich nach dem Wettkampf gern mal eine Zigarette an. So sieht die Wirklichkeit im Leben von Sportlern aus. Sie weicht etwas ab von der Scheinwelt, die in Zeitungsanzeigen, Fernsehspots und auf Plakatwänden angeboten wird. Ob Matthäus, Merk oder Sonn, ob Steffi Graf, Katja Seizinger, Franziska van Almsick, die Nationalelf mit ihrem Trainer Berti Vogts oder jeder Olympiakämpfer wer etwas zählt im deutschen Sport, wirbt für die Kampagne Keine Macht den Drogen. Der Aufnäher, weiße Schrift auf schwarzem Grund mit dickem rosa Balken, prangt irgendwo zwischen Herzgegend und Bundesadler. Phänomenal, schwärmt Andreas Abold von der Aktion, die er erfunden hat. Verlegen nestelt der Münchner Werber am Blümchenschlips, als könne er nicht fassen, wieviel Prominenz sich der guten Sache angeschlossen hat. Sogar die Bundeswehr-Big-Band swingt gegen die Sucht. Und Schirmherr ist Kanzler Kohl persönlich. Dem nationalen Feuerwerk wider die Droge kann sich kaum jemand entziehen: 87 Prozent der Bundesbürger kennen den markigen Spruch. Aus dem imposanten Bekanntheitsgrad würde Abold gern ableiten, daß die Kampagne ein großer Erfolg ist. Doch Experten halten die Reklameschlacht für Heuchelei, bezweifeln den Nutzen und argwöhnen, daß der Slogan womöglich gar schade beim Kampf gegen die Rauschmittel. Daß Kampagnen ein in Jahren gewachsenes Suchtverhalten ändern, ist Anti-Drogen-Werber van Almsick, Eishockeyspieler*, Klinsmann: Keine Macht den für Lutz Rosenstiel, Professor der Werbepsychologie in München, fragwürdig. Horst Bossong, Drogenbeauftragter in Hamburg, hält den Feldzug schlicht für Unfug. Mit Hochglanzbroschüren sei die Sucht nicht zu bekämpfen, sondern nur mit mühsamer, kleinteiliger Aufklärungsarbeit auf der Straße, in Schulen, im Gespräch mit den Gefährdeten, so Bossong. Insbesondere die Fixierung auf illegale Drogen stößt bei Fachleuten auf Unverständnis. Ob der Vater Doppelkorn kippt oder der Sohn am Joint zieht, habe die gleichen Ursachen, sagt Ulrich Bode von der Zentralstelle für Drogenprävention im Landeskriminalamt Niedersachsen: Gegen Frustration helfen eher konkrete Angebote und Hilfen. Die hat Keine Macht den Drogen nicht zu bieten. Hilfesuchende, die bei Abolds Agentur um Rat fragen, werden mit der Nummer des nächsten Sucht-Telefons abgespeist. Eine Prävention, die sich darauf beschränkt, mit T-Shirts, Baseballmützen und Aufklebern einen flotten Spruch zu verbreiten, glaubt Michael Hoffmann-Bayer vom Drogennotdienst Berlin, ist kaum wirksam. Im Gegenteil: Womöglich zeitigt der Glaube, viel Reklame helfe viel, sogar negative Effekte. Als Nancy Reagan 1986 Just say no rief, wurde Amerikas Jugend erst recht neugierig: Wenn die spießige Präsidentengattin so vehement dagegen zu Felde zieht, schlossen die Kids, müßten Drogen ähnlich spannend sein wie Horrorfilme oder Onanie. Verbote ohne Argumente, glaubt Gerd Rakete von der Hamburger Landesstelle gegen Suchtgefahren, mystifizieren Drogen nur unnötig. Die Reagan-Botschaft verschwand schnell und leise. Solche Einwände wischt des Kanzlers Drogenbeauftragter Eduard Lintner als akademisch und mithin abwegig vom Tisch. Die Kampagne sei nicht der Königsweg, weil eine drogenfreie * Klaus Merk (r.) und Michael Rumrich (2. v. r.) nach dem Sieg über Rußland am 18. Februar im deutschen Olympiaklub in Lillehammer. 182 DER SPIEGEL 14/1994

183 Slogans, keine Nacht ohne Drogen Gesellschaft nur im Traum existiere. Doch immerhin biete die Aktion ein sinnvolles Präventionskonzept. Erdacht wurde die Kampagne kurz vor der Fußball-WM 1990 vom ehemaligen Profi Karl-Heinz Rummenigge, dem 1992 verstorbenen Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes, Hermann Neuberger, dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble und dem Münchner Sportvermarkter Fedor Radmann. Das Motto, formulierte Rummenigge wolkig, will ein soziales Klima schaffen, das Drogenkonsum ablehnt. Weil die Mehrheit der Bürger harte Drogen und ihre Händler für eine Bedrohung des Gemeinwohls hielten, versprach eine Anti-Sucht-Kampagne reichlich Imagegewinn, frei nach der Wahlkampf-Maxime: Bei Problemen, die nicht leicht zu lösen sind, erzeugt Reklame wenigstens den Anschein von politischer Aktivität. Und die Athleten- Elite hilft kostenlos dabei. Für den Philosophieprofessor Hans Lenk bedeutet die Kampagne pure Augenwischerei für die Öffentlichkeit. Denn offenbar geht es bei Keine Macht den Drogen weniger um Suchtvorbeugung als um ein Tauschgeschäft zwischen Politik und Leibesübung: Die Regierung nutzt den Werbewert des Sports, um Tatkraft zu suggerieren; im Gegenzug bekommen Athleten und Funktionäre Gelegenheit, sich und den ins Gerede gekommenen Spitzensport mit etwas Moral zu garnieren. Über 20 Millionen Mark pumpte Kohl aus dem Etat des Gesundheitsministeriums seit 1990 in den Slogan. Inzwischen funktioniert die Kampagne wie der grüne Punkt: Symbolik statt Taten. Aus Hilflosigkeit oder Bequemlichkeit, glaubt der Geschäftsführer des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel, Jost Leune, wird eine Aufgabe der Pädagogen an Werber vergeben. So bemüht Abold, der ehedem für den Fremdenverkehrsverein Berchtesgadener Land flotte Zeilen entwarf, Synergie-Effekte, Assoziationswelten und Multiplikatoren. Und Kompagnon Radmann spielt den Bestürzten, der seine Arbeit zum Kampf David gegen Goliath hochstilisiert. Zwar raucht er gern eine Zigarre und genießt einen Cognac. Aber Drogen findet er abscheulich. Mit dem komplexen Thema Prävention hat sich Radmann noch nicht eingehender beschäftigt, dafür um so gründlicher mit Vermarktungsstrategien. Bei Fußball-Länderspielen werden beispielsweise Werbebanden für Keine Macht den Drogen gebucht, das Geschäft wickelt der Schweizer Cesar W. Lüthi im Auftrag des DFB ab. So verteilt sich das Geld aus Bonn nicht auf die Arbeit mit Suchtgefährdeten, sondern wird in den Sponsoring- Kreislauf geschleust: Abolds Agentur kassiert Provision, Radmann-Freund Lüthi ebenfalls und der DFB die Einnahmen aus der Bandenwerbung. Deutschlands Sportfunktionäre haben Gefallen gefunden am bunten Logo, das heile Welt verspricht. Und auch die Athleten endlich fragt keiner nach Doping, Stasi, Attentaten oder Kommerz schmücken sich gern mit dem Scheinheiligenschein. Schließlich erhöht sich ihr Marktwert durch die millionenfachen Gratisanzeigen in Telefonbüchern oder die TV-Spots, die von den Sendern kostenlos ausgestrahlt werden. Mit der großen Koalition des guten Willens erwirbt die Aktion ihre Popularität zum Sonderpreis. Zigarettenkonzerne investieren pro Jahr und Land 40 Millionen Mark, damit eine Marke dem Volk im Gedächtnis haften bleibt; Abold begnügt sich mit jährlich etwa fünf Millionen Mark aus Bonn. Viel Kampagne für wenig Geld ein tolles Geschäft, findet der Drogenbeauftragte Lintner. Daher wolle er, der Bonner Sparpflicht zum Trotz, dem Kanzler dringend empfehlen, die Aktion fortzuführen. Schließlich wiesen die Sportler doch überzeugend auf das Ideal der Gesundheit, überhaupt ein positives Lebensgefühl hin. Bis nach Marzahn, einer Hochhausgegend im Magermilchgürtel rund um Berlin, ist dieses Lebensgefühl nicht durchgedrungen. Hier fand noch nie ein Trimmfest statt, bei dem Abolds bunte Transparente über die Straße gespannt wurden. Berti Vogts und Franziska van Almsick blicken auch nicht warnend von den Plakatwänden. In Marzahn wird für Schnaps und Zigaretten geworben. Der Einzelhandel hat sich auf die Bedarfslage eingestellt. Im Aldi auf der Marzahner Promenade ist das Spirituosensortiment militärisch geordnet. Korn ab 7,69 Mark, der Liter Wein zu 1,99. Auf der Straße bieten fliegende Händler polnische Schmuggelzigaretten feil. Zum Rauchen verziehen sich die Schulkinder in die Schatten der Häuser. Aus dem Haus der Kontakt- und Konsultationsstelle für Suchtprophylaxe blickt Christa Jahnke, 52, auf eine Sandgrube mit Turngerüsten und ein eingezäuntes Basketballfeld. Vor der Wende war sie Lehrerin, danach wurde sie zur Präventionsfachkraft umgeschult. Drogenvorsorge ist ein mühsames Geschäft in Marzahn: Kaputte Familien, viele Arbeitslose, die meisten Jugendklubs von einst sind geschlossen. Alkohol gilt hier nicht als Droge, eher als Lebensmittel. Die ersten Dealer schleichen schon durch die Häuserschluchten. Es sei nur eine Frage der Zeit, sagt Suchtexpertin Jahnke, bis auch illegale Drogen das Viertel im Griff haben. Obwohl Keine Macht den Drogen hier ungehört verhallt, steht das Berliner Prophylaxe-Haus in enger Bezie- DER SPIEGEL 14/

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186 SPORT hung zur Kampagne. Beide Projekte werden aus dem Präventionstopf des Bonner Gesundheitsministeriums bezahlt. Der Unterschied besteht darin, daß die Verträge vieler Mitarbeiter Ende Juli auslaufen. Bis dahin stemmt sich das Team gegen die Sucht. Kinder werden mit Fotoapparaten losgeschickt, um Alkoholund Tabakreklame zu fotografieren und die Ergebnisse hinterher gemeinsam auszuwerten. Im Sommer läuft die Marzahner Sucht- und Gewaltprophylaxe- Woche, die Mitarbeiter gehen in Schulen, koordinieren Projekte. Kleine Schritte, sagt Christa Jahnke klaglos, viele kleine Schritte. Die Aktion aus dem Westen hilft dabei kaum. Denn Keine Macht den Drogen basiert auf wissenschaftlich ungesicherten Annahmen aus der Steinzeit der Wirkungsforschung. Die Kanzler-Kampagne geht von einem Reiz-Reaktions- Schema von Pawlowscher Einfachheit aus: Sportler müssen ihren Spruch möglichst häufig und multimedial wiederholen, dann wird die Jugend folgen. Das sind Millionäre und keine Vorbilder, wehrt Jahnke ab. Auf Kinder wirkten Steffi Graf und Franziska van Almsick eher frustrierend: Es bleibt das Gefühl: Das schaffst du nie. Athleten haben als moralische Instanzen längst ausgedient, glaubt auch Sportphilosoph Lenk: Die Jugendlichen sind nicht so naiv, daß sie Spitzensportler kritiklos vergöttern. Abstrakte Stars, die unerreichbare Rekorde produzieren, erhöhen vielmehr den Druck auf labile Jugendliche. Die Kids fragen nach Lösungen, die Antwort ist aus schlichter Mittelstandsideologie geboren: Leistung. Der Sport, sagt Lenk, ist nicht Vorbild, sondern Abbild der Gesellschaft. Der Nürnberger Streetworker Heinz Ausobsky erntet bei Vorträgen in Schulen regelmäßig Lacherfolge, sobald die Sprache auf Keine Macht den Drogen kommt. Die Schüler ließen sich neue Sprüche ( Keine Macht den Doofen ; Keine Nacht ohne Drogen ; Keine Macht den Slogans ) einfallen und philosophierten über den Sinn von Anti-Drogen-Werbung, die in Stadien eingebettet zwischen Alkohol- und Pharma-Reklame prangt. Für besondere Heiterkeit sorgen die Fernsehspots mit Matthäus oder Skispringer Jens Weißflog, in denen das fachgerechte Häckseln von Kokainbrokken demonstriert wird oder seit 20 Jahren überkommene Kifferklischees aufleben. Solche Darstellungen, glaubt Ausobsky, nehmen die wenigsten ernst. Doch von den Bedenken, die den Experten aus ihrem täglichen Kampf gegen die Sucht erwachsen, lassen sich die Kreativen aus München nicht bremsen. Schließlich droht Konkurrenz auf dem Markt der Moral. Abold hat bereits einige Nachahmer ausgemacht. Da gibt es Ohne Rauch geht s auch, Popstars werben gegen Alkohol am Steuer, und die Sparkassen setzen mit Fair play auf Imagetransfer. Abold und Radmann kontern. Rechtzeitig zur WM läuft das US-Team in Trikots mit der Aufschrift No power to drugs auf. Weitere Modelle sind schon angedacht: eine Stiftung, ein Verein wie Greenpeace oder eine Fernsehshow nach dem Vorbild der Aktion Sorgenkind. Kampagnen-Schirmherr Kohl, Nationalspieler (1990): Symbolik statt Taten 186 DER SPIEGEL 14/1994

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188 SPORT Boxen Machwerk des Teufels Noch eine Männerbastion bröckelt: Eine Tübinger Studentin kämpft um das Recht, gegen Frauen boxen zu dürfen. a standen sie nun, fünf junge Burschen, und versperrten die Stra- Dße. Stets hatte sie sich vor dieser Situation gefürchtet. Einer forderte johlend einen Kuß als Wegezoll. Ulrike Heitmüller zitterte vor Angst. Dann schlug sie zu. Kurz und trocken, gar nicht so hart. Der Macho taumelte. Seht ihr, was sie mit mir gemacht hat, brüllte er seinen Kumpanen zu, seht ihr es? Sie ließen die Frau passieren. Als die mutige Straßenkämpferin Ende des vorigen Jahres den Antrag stellte, Frauen zu offiziellen Boxkämpfen zuzulassen, reagierten die Funktionäre des Deutschen Amateur-Box-Verbandes (DABV) ähnlich verblüfft wie die Wegelagerer. Boxen als Fitneßtraining, das kannten sie. Fast 7000 Frauen sind in den Boxvereinen gemeldet. Ein Gros davon joggt, springt Seil, traktiert den Sandsack und geht heim. Ulrike Heitmüller, 27, aber will kämpfen, ihre in zwei Jahren antrainierten boxerischen Fertigkeiten an die gegnerische Frau bringen. Das Sparring mit zurückhaltenden Männern und die braven Komplimente ( Es hat Spaß gemacht, mit dir zu boxen ) reichen der Weltergewichtlerin (bis 63 Kilogramm) nicht mehr. Wenn ich mit Frauen boxe, lerne ich die auch besser kennen, man ist gleich, sagt sie. Das blaue Auge weist den Weg zum Selbst. Die Emanzipation sucht sich neues Terrain. Wenn man unter Feminismus versteht, daß Männer und Frauen grundsätzlich die gleichen Chancen haben, dann bin ich eine Feministin, sagt Linksauslegerin Heitmüller. 188 DER SPIEGEL 14/1994 Studentin Heitmüller Vergängliche Flecken Faustkämpferin Heitmüller: Wenn sie möchten, sollen sie dürfen Wenn Frauen boxen möchten, sollen sie es auch dürfen. Die edlen Faustfechter schüttelten sich vor Entsetzen. Als habe Ulrike Heitmüller die Schwangerschaft für den Mann gefordert, mußte sie sich endgültige Wahrheiten aus dem Geschlechterkampf anhören. Meinen Sie nicht, raunzte ein fassungsloser Boxfreund, daß der liebe Gott sich etwas dabei gedacht hat, als er einen Unterschied machte zwischen Mann und Frau und jedem seine Aufgabe zuwies? Daß, wer Kinder kriegen kann, auch Kinnhaken verteilen darf, glauben weltweit immer mehr Frauen. Als die 16jährige Dallas Malloy vor Gericht das Recht erstritt zu boxen und am 30. Oktober 1993 die fünf Jahre ältere Heather Poyner auspunktete, ebnete sie den Weg aus der Theorie. 59 fightende Suffragetten erwarben seitdem in den USA die Lizenz zum Zuschlagen. In England und Norwegen ist die Gleichstellung fäusteschwingender Frauen vollzogen. Schwestern im Geiste hat auch Ulrike Heitmüller in Deutschland schon gefunden. Die noch kleine schlagende Verbindung der Verband schätzt die Zahl furchtloser Boxerinnen auf etwa 60 schafft sich mit beherzten Plädoyers Gehör: Nur im Wettkampf, sagt die Schwäbin, kann ich mein Leistungsvermögen austesten. Den Gralshütern der maskulinen Boxmoral bleibt bei den Argumenten der Frauen die Luft weg. Wir können schlecht den Gesundheitsaspekt bei den Männern unterstreichen und es den Damen verbieten, sagt Verbandspräsident Kurt Maurath. Auch Graciano Rocchigiani, Prototyp des allein mit Herz kämpfenden Boxers, gibt sich geschlagen: Von mir aus sollen se kämpfen. Wenn se nüscht Besseres zu tun haben. Ende Mai berät der DABV über den Heitmüller-Antrag. Wir können uns dem Frauenboxen nicht widersetzen, sagt Maurath. Sogar die Sportmedizin hält Frauenboxen für unbedenklich. So mußte Verbandsärztin Angelika Fischer einräumen, daß Schläge auf die weibliche Brust keineswegs Krebs fördern, sondern allenfalls vergängliche blaue Flecken hinterlassen. Ohnehin entlarvt Heitmüller die Diskussion über das vermeintliche Machwerk des Teufels als pures Schattenboxen: Da ist doch die Deckung vor. Schläge auf die Brust gibt es auch bei den Männern kaum. Von den Gegnern im DABV wird Frauenboxen dennoch als geschmacklose voyeuristische Peep-Show (Verbandsärztin Fischer) getadelt. Gerade in den Zeiten, in denen sich Boxen dank Henry Maske vom Schmuddelimage zu befreien beginnt, befürchtet der Verband durch Heitmüllers Aufbegehren einen Rückfall ins Milieu. Bislang dienten prügelnde Mädchen im Ring lediglich dem Vergnügen gierig sabbernder Männerrunden. Und weil boxende Frauen allein wohl zu fad wirkten, hatten sie Slip an und Netzstrümpfe und sonst gar nichts. Die Angst des Verbandes ist im Falle Ulrike Heitmüllers unbegründet. Die Boxerin, die dubiose Angebote für illegale Kämpfe ablehnte, hat höchste moralische Rückendeckung. Zur Zeit studiert sie in Tübingen evangelische Theologie. Ihr Berufsziel: Pastorin.

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190 KULTUR Bücher David gegen Golems Kann dem Mann geholfen werden? Ich will die Unsterblichkeit nicht durch mein Werk erringen, spricht er: Ich will sie dadurch erringen, daß ich nicht sterbe. Woody Allen, der kleine Rötliche mit dem schwarzen Witz, ist der einzige Intellektuelle des amerikanischen Kinos; folglich legt er sich, ewiger David, weniger mit Goliaths an als mit Golems wie Allen in Manhattan Tod, Sex, Neurosen. Eine Blütenlese aus dem Allen- All, schön bebildert, ist jetzt als Das BilderLesebuch erschienen, herausgegeben von Linda Sunshine (Kindler Verlag, 49,80 Mark), gemacht zum Blättern und Verweilen. Etwa dabei: Ich will niemals heiraten. Ich will nur geschieden werden. Oder hier: Es ist nicht so, daß ich Angst zu sterben hätte, ich möchte einfach nicht dabei sein, wenn s passiert. Oder da, total bitter: Das letztemal war ich in einer Frau, als ich die Freiheitsstatue besucht hab. Film Ein deutsches Huren-Leben Sie war die heilige Hure vom Kiez, mit rastlosem Einsatz in der Hamburger Herbertstraße und spektakulären Talk-Show-Auftritten. Domenica Niehoff, 48, einst populärste deutsche Prostituierte, ist ganz nach dem Geschmack des Düsseldorfer Regie-Exzentrikers Peter Kern, der in seinen Filmen Kern-Film Domenica S Z E N E am liebsten Ausgebeutete und Außenseiter porträtiert. Mit Domenica, seinem neuesten Produkt, das jetzt ins Kino kommt, will er nun in Form eines Melodrams den Weg einer Frau zur Hure nachgehen. Herausgekommen ist erwartungsgemäß das Elendspanorama vom geprügelten Kind, das erst im katholischen Erziehungsheim und dann in den Armen eines brutalen Bordeliers landet. Alles schrecklich traurig, aber zum Weinen sind in diesem krausen Rührstück allein die öden Dialoge und die unbeholfene Schauspielerei. Ein Paradefall für deutschen Kino-Dilettantismus. Museen Kapital im Depot Ausstellungen Kaution für Diktatoren Im tschechischen Olmütz lagen die Dickköpfe auf der Müllhalde, doch österreichische Zöllner wollten die neun Tonnen schweren Monumentalbüsten der Sowjetführer Lenin und Stalin nur gegen Schilling Kaution ins Land lassen. Dabei darf der lebende Schi- Sabine Fehlemann, 53, Direktorin des Wuppertaler Von-der-Heydt-Museums, über die Pläne von Kommunalpolitikern, Kunstwerke aus ihrem Haus zu verkaufen SPIEGEL: Die Stadtratsfraktionen von SPD und FDP fordern, in regelmäßigen Abständen Verkäufe des Sammlungsbestandes durchzuführen. Was haben Sie für den Kunstmarkt parat? Fehlemann: Gar nichts. Die Aufgabe eines Museums ist es nicht, zu verkaufen, sondern zu sammeln und zu bewahren. SPIEGEL: Aber Sie könnten doch totes Kapital aus dem Depot aktivieren? Fehlemann: Das ist kein totes Kapital. Wir holen die Werke immer wieder hervor, und wir werden in Zukunft noch mehr Ausstellungen aus eigenen Beständen machen müssen, weil wir immer weniger Zuschüsse von der Stadt bekommen. Fehlemann rinowski problemlos einreisen, giftet der Wiener Ausstellungsmacher Jan Tabor, der die Skulpturen entdeckt und herangeholt hatte; erst eine Intervention des Wissenschaftsministers verhalf ihnen zu freier Fahrt. Kippfest in das Erdreich vor dem Wiener Künstlerhaus eingelassen, sollen die Sandstein-Götzen nun in das Thema Kunst und Diktatur einstimmen, dem Tabor eine Großausstellung mit Gemälden, Plastiken und Dokumenten kommunistischen wie faschistischen Ursprungs widmet (bis 15. August). Wie Wiener Rivalitäten so spielen, eröffnet in dieser Woche das Museum für Angewandte Kunst eine Schau über stalinistische Architektur. Tabor erklärt sie, souverän parteiisch, zum bloßen Anhängsel seiner eigenen Veranstaltung. Tabor, Lenin-Kopf SPIEGEL: Was wäre denn im Ernstfall loszuschlagen Meisterwerke von Canaletto bis Picasso? Fehlemann: Nein, den größten Teil unserer Sammlung machen Stiftungen und Schenkungen aus. Auch Werke, die mit Geldern des Landes erworben worden sind, können nicht verkauft werden. Aus städtischen Mitteln ist nur weniges finanziert. SPIEGEL: Zum Beispiel? Fehlemann: Bilder von Wuppertaler Künstlern; das war ein besonderer Wunsch des Rats. Verkäufe würden den Künstlern einen Tort antun und ihren Marktwert kaputtmachen. SPIEGEL: Hat dasmuseum schon einmal eigene Bestände verkaufen müssen? Fehlemann: Nur im Dritten Reich. SPIEGEL: Befürchten Sie, daß diese Idee zur Geldbeschaffung populär wird? Fehlemann: Allerdings, und das ist auch das Gefährliche daran. Wenn sich diese Einstellung durchsetzt, gibt es kein Halten mehr. 190 DER SPIEGEL 14/1994

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194 KULTUR Autoren TANTE CHRISTA, MUTTER WOLFEN Marcel Reich-Ranicki über Christa Wolfs Buch Auf dem Weg nach Tabou nser literarisches Leben ist außer Rand und Band geraten. Von Maß Uund Maßstab will die Kritik nichts mehr wissen. Der Dilettantismus regiert die Stunde, Verherrlichung und Verwerfung sind dicht beieinander, und bisweilen ist es nur ein kleiner Schritt, der von der Verklärung zur Verachtung und Verteufelung führt. Christa Wolf, die lange Jahre hindurch in Ost und West bewunderte und gefeierte Schriftstellerin, hat dies bis zur bitteren Neige erfahren: Sie, der man leichtsinnig den höchsten Rang zuerkannte, wird nun streng verurteilt und auch grausam verhöhnt. Sie hat in letzter Zeit viel leiden müssen. Nun wäre es angebracht, Milde und Nachsicht walten zu lassen. Aber leider macht sie es uns sehr schwer, ja unmöglich. Ihr neues Buch, Auf dem Weg nach Tabou, vereint (so der Untertitel) Texte **: Es sind Reden und Briefe, Skizzen, Vorworte und Tagebuchaufzeichnungen. Also wieder einmal ein Sammelband, auf den der von Robert Musil geschaffene Begriff Nachlaß zu Lebzeiten zutrifft? Nein, denn so unterschiedlich die Themen dieser Beiträge und so groß die Qualitätsschwankungen, so ist doch die Einheitlichkeit des Ganzen unübersehbar. Wir haben es mit einem Buch der Klage und Anklage zu tun, der Rechtfertigung und der Selbstverteidigung. Als Christa Wolf Anfang Mai 1945 deutsche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen sah, da verspürte sie ein dumpfes Unbehagen, das bis an die Schwelle des Schuldgefühls gedieh. Das ist die Grundstimmung ihrer neuen Aufsätze: ein dumpfes Unbehagen, das sich hier und da der Schwelle des Schuldgefühls nähert und sie gelegentlich überschreitet. Der Ton ist sanft und schwermütig, aber zugleich auch rechthaberisch. Wir hören die Stimme einer Frau, die sich beschwert, die unentwegt murrt und grollt, weil ihr übel mitgespielt wurde. Gedämpftes und würdevolles Pathos verbindet sich häufig mit Larmoyanz Eine Mitläuferin war sie nicht, wohl aber eine Repräsentantin und auch mit offenkundiger Sentimentalität und zurückhaltendes Selbstlob mit unverheimlichtem Selbstmitleid. Aber es gibt in dem Buch auch ganz andere Töne, zumal in dem längsten und wichtigsten Stück, der erst kürzlich in der Dresdner Oper gehaltenen Rede. Da wird die Sprache bieder und betulich, mal neckisch, mal hilflos. Das klingt dann so: Das will ich behaupten... Lassen wir das... Worauf will ich hinaus...wohin treibt es mich... Scherz beiseite. Oder gar: Hier halte ich ein, denke ich nach. Ohne diesen Hinweis wäre uns dieser Denkprozeß vielleicht gar entgangen. Und obwohl Christa Wolf den größten Teil ihres Lebens in Berlin verbracht hat und auch nie Lehrerin war, fällt es schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, daß es eine Volksschullehrerin aus der Provinz ist, eine tüchtige und eifrige, die sich unentwegt bemüht, uns die Augen zu öffnen, uns zu warnen und zu ermahnen. Ein zentraler Satz dieses Buches lautet: Beim Schreiben kann man ja nicht lügen, sonst wird man blockiert. Wirklich? Ich kenne Genies, die mitunter gelogen und dennoch gut geschrieben haben. Doch für Christa Wolf selber gilt dieses Diktum uneingeschränkt: Sie lügt nicht. Ich bin dessen sicher, denn sie ist, was man ihr auch vorwerfen mag, eine treue Seele, eine ehrliche Haut. Am 4. November 1989 glaubte sie auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz, jetzt werde sie meinte das ganz ernst die sozialistische Gesellschaft vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die Sprache erinnere sich jetzt ihrer Gefühlswörter, und eines davon sei das Wort Traum : Also träumen wir mit hellwacher Vernunft forderte sie die Versammelten, die Verzweifelten auf. Schriftstellerin Wolf*: Ehrgeizlinge, Feiglinge Da haben wir es nein, nicht etwa das Bild der deutschen Frau, sondern deren Karikatur und Parodie. Was tut also Christa Wolf angesichts dramatischer politischer Vorgänge in der Stunde der Gefahr und der Hoffnung? Sie träumt. Und sie empfiehlt dem Volk, dies ebenfalls zu tun. Es ist kaum zu fassen: Sie war damals tatsächlich überzeugt, die Berliner hätten nicht etwa gegen den Staat demonstriert, den sie längst zu allen Teufeln wünschten, sondern für eine revolutionäre Erneuerung. Im backfischhaften Übermut rief sie: Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg! Die Arme, sie hatte von der politischen Situation im Herbst 1989 absolut nichts begriffen. Wie ist das zu erklären, wie war das möglich? Hier kam zum Vorschein, was man natürlich seit eh und je wahrnehmen konnte, was aber viele Anhänger der Christa Wolf nun überraschte und entsetzte. Es war nichts anderes als jene Mischung aus Gläubigkeit und Schwärmerei, die zunächst die Sicht nur trübt, bald jedoch zur fatalen Verblendung * Am 18. März auf der Leipziger Buchmesse anläßlich ihres 65. Geburtstages. ** Christa Wolf: Auf dem Weg nach Tabou. Texte Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln; 344 Seiten; 38 Mark. 194 DER SPIEGEL 14/1994

195 und Arschkriecher, die sich zielbewußt von Stufe zu Stufe hochgedient haben führt. Sie selber spricht und mehr als einmal von ihrer Angst vor Widerspruch und Widerstand, vor dem Ausgeschlossenwerden aus der Gruppe. Freilich sucht sie die Schuld nicht bei sich, sondern stets bloß bei anderen bei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der sie bis zu deren Ende angehörte, und auch, obwohl sie 1945 alles in allem 16 Jahre alt war, beim nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädel. Aber washilft es, daß sie ihre Schwächen erkennt, wenn sie offenbar nicht imstande ist, daraus Konsequenzen zu ziehen. Sie scheint immer noch nicht verstanden zu haben, daß jene, die der Autorität hörig sind, die Konflikte mit der Mehrheit scheuen, die den Widerspruch fürchten und den Widerstand daß sie sich nicht für die Politik eignen. Es habe der Arbeiter-und-Bauern- Staat schreibt Jürgen Habermas in einem hier abgedruckten Brief fortschrittliche Ideen zu seiner Legitimation mißbraucht und sie durch eine unmenschliche Praxis höhnisch dementiert und dadurch in Mißkredit gebracht ; dies werde für die geistige Hygiene in Deutschland ruinöse Folgen haben. Das ist bestimmt richtig. Christa Wolf jedoch protestiert entschieden, sie will von der unmenschlichen Praxis nichts hören, sie glaubt nicht an die ruinösen Folgen. Es geht nicht darum, daß sie verblendet war, sondern daß sie es geblieben ist: Man dürfe nicht schreibt sie im Jahre 1994! die DDR auf den Begriff Unrechtsstaat reduzieren oder sie gar dem Reich des Bösen zuordnen. Gewiß doch: Unrechtsstaat ist für eine Tyrannei eine etwas beschönigende Bezeichnung, und man kann die DDR, die Treue Haßliebe verbindet den prominenten Kritiker mit der nicht minder prominenten Dichterin: Marcel Reich-Ranicki, 73, schrieb vor 25 Jahren erstmals eine Kritik über ein Buch der damals noch am Beginn ihrer DDR-Schriftstellerkarriere stehenden Christa Wolf eine Hymne auf den Roman Nachdenken über Christa T., auf die poetische Verteidigung des Individuums. Doch schon der Roman Kindheitsmuster (1976) war für ihn bloß noch Christa Wolfs trauriger Zettelkasten, ein entwaffnend dilettantisches Buch. Als gesamtdeutsche Mahnerin vom Dienst bezeichnete er die Autorin dann 1987 nicht ohne hämischen Unterton und lange bevor es im Westen zur Mode wurde, sie als zu wenig Millionen Menschen wie Häftlinge behandelt hat, nicht dem Reich des Bösen zuordnen, sie war es selbst. Aber Christa Wolf bleibt unbelehrbar. Wer waren denn die wirklich Schuldigen in der DDR? Sie sagt es uns: die Ehrgeizlinge, Feiglinge und Arschkriecher, die, die sich zielbewußt von Stufe zu Stufe hochgedient haben. Daran also ist die DDR untergegangen. Was soll das? Weiß denn Christa Wolf nicht, daß es Ehrgeizlinge, Feiglinge und Arschkriecher in Bonn oder München auf Schritt und Tritt gab und gibt? So hanebüchen es auch ist: Nach wie vor weigert sie sich zu begreifen, daß nicht die Untugenden und Schwächen der Menschen das Unglück der DDR waren, vielmehr die Ideologie, das System. Sie bekennt: Ich habe dieses Land geliebt. Das ist ein ehrliches Wort. Schon gut, aber muß man, wenn man von der Liebe mit Blindheit geschlagen wurde, für immer blind bleiben? Nach wie vor ist es ihr unmöglich, ihre eigene Rolle und Situation im Arbeiter-und-Bauern-Staat zu ermessen. Sie sei entschlossen gewesen, kompromißlos zu schreiben, sonst hätte sie dort nicht leben können. Sie zögert nicht, sich selber im Jahre 1993! zu bescheinigen: Kompromißlos geschrieben habe ich. Nein, das stimmt nicht. In allen ihren Büchern hat sie größere oder kleinere Zugeständnisse gemacht und anders konnte es gar nicht sein, niemand wirft ihr das heute vor. Im Gegenteil: Man hatte dafür im Westen viel Verständnis. Ist es ihr immer noch nicht aufgegangen, daß jeder Autor in der DDR zu Kompromissen bereit sein mußte, sogar ein Ernst Bloch, ein Peter Huchel, selbst ein Genie wie Bertolt Brecht? Dieser Staat brüstet sie sich hat mich jedenfalls nicht als,seine Dichte- Reich-Ranicki kritisch, zu wenig mutig zu geißeln. Nun hat Christa Wolf, 65, neue Prosa veröffentlicht: gesammelte Notizen, Briefe und andere Texte aus den ersten vier Jahren nach der Wende für Reich-Ranicki Anlaß zu einem herben Fazit. DER SPIEGEL 14/

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197 rin gesehen. Da irrt sie sich, das möchte sie sich jetzt einreden. Wahr ist: Die SED hat jedem Schriftsteller von einigem Rang mißtraut selbst wenn er seit Jahrzehnten der Partei angehörte. Das gilt für Stephan Hermlin, für Heiner Müller und Volker Braun und natürlich auch für Christa Wolf. Georg Lukács soll einmal gespottet haben: Talent ist ohnehin eine Rechtsabweichung (vom Kurs der Partei). Kurz: Für die SED-Führung waren Dichter mit Talent immer unsichere Kantonisten. Gleichwohl wurden sie geschätzt und gehätschelt als Produzenten benötigter Texte, solcher zumal, die sich für den Export eigneten. Gewiß, eine zuverlässige Parteiautorin war Christa Wolf nicht, aber doch eine Staatsdienerin, die man mit Nationalpreisen auszeichnete. Wenn man sie im Westen gelegentlich für eine Mitläuferin hielt, so täuschte man sich gründlich. Eine Mitläuferin war sie keineswegs, wohl aber eine Repräsentantin. Und nicht der Opportunismus wurde ihr zum Verhängnis, sondern ihr Glaube. Niemand zieht sie dafür zur Rechenschaft, am wenigsten der Schreiber dieser Zeilen, der auch einmal an den Kommunismus geglaubt hat, doch von der Partei mit gutem Grund ausgeschlossen wurde übrigens vor knapp 45 Jahren. Nur sollte Christa Wolf nicht so tun, als geschähe ihr jetzt ein schreckliches Unrecht. Wer hat ihr denn dieses Unrecht zugefügt? Die Deutschen. Denn: Die Deutschen brauchen es so sehr, andere fertigzumachen. Das verschlägt mir den Atem. Seit ich in meiner Kindheit gehört habe, daß die Juden und die Polen betrügen und schmutzig seien und überdies Untermenschen, fürchte ich solche Generalisierungen, und seit ich weiß, was man den Juden und den Polen angetan hat, bringen mich derartige Verallgemeinerungen in Rage. Ich sei da überempfindlich? Mag sein, nur ist es bisweilen dringend nötig, überempfindlich zu sein. Verblüffend ist auch, was Christa Wolf nun über ihre Rolle in der Geschichte der deutschen Literatur sagt. Sie erinnert sich an den Hölderlinturm in Tübingen und an Büchners Grab in Zürich, sie steht vor Brechts Haus in Pacific Palisades. Tatsächlich wagt sie einen Vergleich: Wir waren gescheitert wie diese. Und: Ich lernte mich als deutsche Schriftstellerin sehen. KULTUR Das verschlägt mir abermals den Atem: Sie hat keine Hemmungen, sich in eine Reihe mit den Größten zu stellen. Ist das etwa Schamlosigkeit? Nein, Geschmacklosigkeit. Das Buch endet mit einer Hymne auf das Brot: Ein sinnlicher Genuß sei es, einfach und köstlich zugleich, es sättige, dufte und schmecke und rege, zusammen mit Wein, zum Gespräch, zu Vertrautheit, Freundschaft und Gastfreundschaft an. Die Deutschen sollten sich an einen Tisch setzen und auf selbigen das Brot legen, das sie aus verschiedenen Landschaften mitgebracht haben: Es einander zu kosten geben und es Sie wird gebraucht und mißbraucht als Identifikationsfigur gerne und großzügig mit anderen teilen. Nicht einmal in den Lesebüchern, die man in meiner Jugend an preußischen Gymnasien verwendete, war derartiges zu finden. So etwas nennt man ich bitte um Entschuldigung, ich muß mich hier eines ganz und gar unwissenschaftlichen, eines unseriösen und dennoch nicht ersetzbaren Wortes bedienen, so etwas nennt man schlicht und klar: Kitsch. Doch wird das Christa Wolf bei einem Teil ihres Publikums mit Sicherheit nicht schaden. In DDR-Zeiten war sie ein Idol, zumal westlich der Elbe, heute ist sie es wieder, zumal östlich der Elbe. Sie, die in ihren frühen Jahren die literarische Laufbahn unter Berlins geteiltem Himmel begann, die über Christa T. nachdachte (wir werden diesen Roman nicht vergessen) und dann ein fragwürdiges Kindheitsmuster entwarf, sie war zunächst die brave Tante Christa aus Landsberg an der Warthe, und sie ist mittlerweile die Mutter Wolfen der alten DDR. Ob es ihr gefällt oder nicht: Sie wird gebraucht und wohl auch mißbraucht als Identifikationsfigur. Verärgerte und enttäuschte Bürger der neuen Bundesländer, die Zukurzgekommenen und Benachteiligten, jene, denen es nicht ganz so gut geht wie zu Ulbrichts und Honeckers Zeiten, alle, die damals in mehr oder weniger ernste Verstrickungen geraten sind sie glauben, die Leiden der berühmten, doch heute so oft attackierten Schriftstellerin könnten sie trösten und entsühnen. Sie huldigen ihr dankbar, ja ehrerbietig: Denn sie ist unser! Ja, sie ist, trotz allem, schon unser und dabei bleibt es. So habe ich denn neulich mit größter Verwunderung lesen müssen, sie dürfe weiterschreiben. Diese gnädige Genehmigung ist schon eine Frechheit. Nein, sie darf nicht nur, sie sollte unbedingt weiterschreiben. Und ein anderer Kollege sagte im Fernsehen, er glaube nicht, daß von ihr noch je etwas Gutes kommen werde. Ich bin zuständig für die Literatur der Gegenwart und der Vergangenheit, nicht für die der Zukunft. Daher kann ich nichts voraussehen. Aber hoffen darf ich doch: Ich erhoffte mir von Christa Wolf ein wichtiges, ein schönes Buch. Dann werde ich schreiben wie einst Tucholsky: Hätte ich einen Degen, ich senkte ihn. * Am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Rednerin Wolf*: Treue Seele, ehrliche Haut DER SPIEGEL 14/

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200 KULTUR Film In die Grube Shadowlands. Spielfilm von Richard Attenborough. Großbritannien/USA och eilt Anthony Hopkins als devot-verkniffener Butler durch die Nlangen Gänge von Darlington Hall, in Was vom Tage übrig blieb, und schon begegnet er uns, ein paar Grafschaften und einen Film weiter, als nicht weniger verklemmter Professor in Oxford. Wie sich die Rollen gleichen. Auch in Shadowlands gibt Hopkins einem veritablen Gefühlskrüppel seine Gestalt, diesmal dem Schriftsteller und Hochschullehrer C. S. Lewis, der bei Reden vor Damenklubs gern Unfugsfloskeln daherschwatzt wie jene, daß der menschliche Schmerz das Megaphon Gottes in einer tauben Welt sei. Von wahrem Schmerz hat der Sesselphilosoph keine Ahnung, von der Liebe demzufolge ebenfalls nicht, und deshalb muß eine frische, tapfere Frau her ebenfalls wie in Was vom Tage übrig blieb, wo Emma Thompson den undankbaren Part übernahm, die den armen Mann das Fühlen lehrt. Debra Winger hat, es sei lobend erwähnt, mehr Erfolg als ihre britische Kollegin. Die angelsächsische Presse versuchte sogleich, daraus einen Kinotrend zu destillieren, doch dazu müßte Hopkins das von ihm geschaffene Männer-unterdrücken-ihre-Gefühle-Genre noch ausbauen. Vielleicht in einer Verfilmung Regisseur Attenborough: Profis mit feuchten Augen 200 DER SPIEGEL 14/1994 Attenborough-Film Shadowlands *: Frauen fürs Herz, Männer fürs Hirn der Lebensgeschichte von Lewis Carroll? Oder der von Dennis Thatcher? Immerhin, Shadowlands gerät dank des Stoneface von Sir Anthony zu einem Melodram, das bei den Berliner Filmfestspielen einen Saal voll hartgesottener Profi-Zuschauer verstohlen zum Taschentuch greifen ließ. Ähnliches wird von britischen Pressevorstellungen berichtet, bei denen Rezensenten, die den Regisseur Richard Attenborough jahrelang ob mangelnder Intellektualität geschmäht hatten, mit feuchten Augen Abbitte geleistet haben sollen. Intellektualität allerdings stellt Sir Richard auch in Shadowlands, dem wie schon seinen Filmen Gandhi und Chaplin eine wahre Geschichte zugrunde liegt, nicht unter Beweis, wohl aber Talent für den großen pathetischen Augenblick. Sein Held, im Freundeskreis Jack genannt, hat bis in die besten Mannesjahre das Junggesellenleben in einem behaglichen Cottage gepflegt. Unerwartet sucht ihn dort Anfang der fünfziger Jahre eine resche amerikanische Dichterin namens Joy Gresham mit ihrem kleinen Sohn heim. Joy verehrt sein Werk und bald auch ihn, wenngleich sich nie ganz erschließt, was sie an dem hartleibigen Schreibtischmuffel eigentlich findet. * Mit Hopkins, Winger. Gegen ihren herben, hartnäckigen Charme kann sich Jack auf Dauer nicht wappnen, auch wenn es ihm erstaunlich lange gelingt, die Contenance des College-Zynikers zu wahren. Doch dann erkrankt Joy unheilbar an Knochenkrebs, und der Professor erkennt endlich seine Bestimmung: alle kleinlichen Bindungsängste fahrenzulassen und diese Frau vor Gott und der Welt zu ehelichen. Ein idyllisches Jahr ist dem Doppel noch gegönnt, dann stirbt Joy. Und Jack schluchzt auf dem Dachboden, Seite an Seite mit dem Stiefsohn, geläutert und gereift. Das Drehbuch hat sich, wie sein Verfasser William Nicholson gesteht, einige Freiheiten genommen, denn im Grunde weiß niemand, wie und warum genau die beiden sich verliebten. Aber warum soll man eine wahre Geschichte nicht ein wenig unwahr erzählen? Nur harsche Feministinnen können etwas daran aussetzen, daß einmal mehr in guter abendländischer Kulturtradition die Heldin in die Grube fahren muß, damit der Held sich endlich voll entfalten kann. Nur sie können sich, Elisabeth Bronfens gerade erschienenes Ästhetik-Brevier des weiblichen Massensterbens in der Hand, Nur über ihre Leiche, allen Ernstes fragen, warum ein Filmemacher gerade diese Love-Story für erzählenswert hält, vier Jahrzehnte nach ihrem tragischen Ende. Und nur sie können trockenen Auges mutmaßen, daß Sir Richard sich nach jener untergegangenen Ära zurücksehnt, in der sich die Frauen noch fürs Herz und die Männer fürs Hirn zuständig glaubten. Alle anderen aber werden ihre Taschentücher fest umklammern. Denn was kann es Erstrebenswerteres geben, als für Sir Anthony zu sterben?

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204 KULTUR Musik Aufzug der Viererbande Mit der Premiere von Boris Godunow hat der Chef der Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado, nun auch bei den Salzburger Osterfestspielen die Nachfolge Karajans angetreten. In Abbados Gefolge kommen die Gegner des Sommerfestspiel-Intendanten Gerard Mortier zum Zuge verliert der unbequeme Flame seinen Posten? ch, Mütterchen Rußland, nun auch das noch: keine Kreml-Türme, kei- Ane Pelzmützen, nicht mal Ikonen. Es wallt kein Velours, es schimmert kein Brokat. Boris Godunow, des Landes Schicksalssinfonie und Goldstück aller Opernhäuser, wirkt grau in grau. Der Titelheld trägt Schlips statt Bart und singt seine Noten im Nadelstreifen. In Salzburg ist, kurz nach Gerard Mortiers Sommer-Reformen, wieder Wende: Nun kommt auch bei den Osterfestspielen neue Sachlichkeit auf. Sachwalter ist Regisseur Herbert Wernicke, 48, kühler Designer und kühner Couturier des modernen Musiktheaters. Und der Profiteur heißt Claudio Abbado, 60, neuer künstlerischer Leiter der Osterfestspiele. Abbado engagierte Wernicke und darf sich nun auch als Salzburger Reformer feiern lassen. Mit üblen Folgen für Mortier. Der umstrittene Erneuerer galt bislang als unersetzbarer Einzelkämpfer. Nun tritt in der Gestalt Abbados ein gefährlicher Konkurrent auf den Plan. Mit einem Schlag hat sich damit auch für Abbados mächtige Freunde die Schallplattenkonzerne, Großagenturen und privaten Gegenspieler Mortiers in Salzburg der Wind gedreht: Geschäft wird wieder ganz groß geschrieben. Und ausgerechnet Wernicke, der Regisseur des schönen Schocks, macht mit. Auf der Salzburger Bühne hat er Rußlands Massen in 96 vergitterte Kojen gepfercht und läßt die gigantische Klagemauer rollen, drehen, aufklappen und zusammenfalten. Dahinter montiert er, als Fresco am Bühnenhorizont, die Konterfeis der landeseigenen Machthaber zu einer schwarzweißen Ahnengalerie von Boris Godunow bis Boris Jelzin. Und das auf 74 maßlosen Metern Bühnenbreite. Aller Plunder bleibt im Fundus. Als Klosterzelle dient ein knallweißer Kubus mit großer Bahnhofsuhr, die tickt Premiere war vorletzten Samstag richtig nach Salzburger Winterzeit. Das polnische Schloß Sandomir ist eine leere Bühne mit sattrotem Vorhang, schwarzem Flügel und Spiegelfläche. Star ist das Volk, und das Volk sind die Chöre. Im Rhythmus eines grandios geschnittenen Films rennen sie rum, stieben auseinander, rotten sich zusammen. Wernickes Chorus Line ist kinoreif. So weit, so gut, so gegen den Strich. Dieser Boris, eine ungewöhnliche Geschichtsstunde aus dem zaristischen Rußland, ist, kaum zu glauben, eine Veranstaltung der Osterfestspiele Salzburg GmbH, von Karajan gegründet, beherrscht und als Spielplatz szenischer Luxuskonvention etabliert. Hier, in dem Großes Festspielhaus genannten Colosseum, hatte er als Regisseur von eigenen Granden geschaltet, gewaltet und kaum je so geaast wie 1965 bei seinem Boris Godunow. Da prangte und prunkte die Zarenbühne, und der Kreml sah aus wie von Cartier. Die Inszenierung roch nach Samowar, als habe Modest Mussorgski kein Drama von Puschkin vertont, sondern einen Folk-Lore-Roman. So fielen denn auch erst die Bojaren vor dem Zar und dann die Herrschaften vor Karajan auf die Knie. Vergangene Pracht. Als sich jetzt Wernicke Karajans Stammpublikum stellte, giftete ein harter Kern in massiven Buhs seinen Unmut heraus, als wäre das eine Schändung der heiligen Stätte und nicht auch Wernicke-Inszenierung Boris Godunow bei den Salzburger Osterfestspielen: Aller Plunder bleibt im Fundus 204 DER SPIEGEL 14/1994

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206 Sommer-Festivalier Mortier Konkurrent auf dem Plan im Sinne Abbados gewesen. Tatsächlich hatte Abbado versucht, dem Regisseur vielerlei Treppen, Ikonen und Bärte aufzuschwatzen. Doch als Wernicke sich weigerte, gab er nach. Nun strahlte Abbado: Der Zar war tot und er, der Star, auf dem Thron. Zum Rumoren aus dem Salzburger Auditorium kam Applaus aus den deutschen Feuilletons. Die FAZ sah das verkrustete Festival durch Wernickes gehärtete musikalische Geschichtsdepressionen nunmehr glorios geweitet, Kritiker Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung womöglich einen wichtigen Wendepunkt moderner Mussorgski-Rezeption gekommen. Gemach, gemach. Sicher hat nun auch das österliche Salzburg abgetakelt und Karajans Irrglauben begraben, klotzige Ausstattung ersetze kluge Regie. Und doch hat sich Wernicke heuer auch auf manchen Gemeinplatz verrannt: Er wollte nicht an Details rumpopeln. Wernicke steckt seine Mannen in Anzüge von der Stange und läßt sie dann, reichlich unpassend, mit vaterländischem Pathos gen Himmel schreien. Sogar eine uralte Unart frischt er wieder auf: Wer singt, steht vorn. Die Salzburger Rampe ist vokale Zielgerade. Das hatten wir schon und eigentlich über. Dennoch werden die durchweg schönen Stimmen oft überdeckt, denn Abbado mag die volle Dröhnung. Was immer er seinen Berliner Philharmonikern an Wohllaut und Raffinement entlockt seine Dramatik ist vor allem laut. Von einer unausweichlichen Sogwirkung der Musik hat die Wiener Presse, mit vollem Recht, nichts vernommen : KULTUR Oster-Festivalier Abbado Generalprobe für den Sturz Im schlimmsten Falle quälte sich das Orchester von Takt zu Takt. Auch die Salzburger Nachrichten haben kritisch gelauscht: Alles wirkt sehr gekonnt, sehr alert, sehr schön oberflächlich. Ein Bombenerfolg war das alles trotzdem als Generalprobe für den Sturz des in Salzburg ungeliebten und von Abbado eifersüchtig beobachteten Sommerfestspiel-Intendanten Mortier. Ohne Rücksicht auf Etats und Repertoire planen Abbado und Mortier, seit langem über Kreuz, Doubletten, beispielsweise Elektra, und werfen sich gegenseitig die Schuld daran vor. Mortier-Gegner Abbado steht nicht allein. Gleich neben Mortier sitzt Hans Landesmann, mächtiger Makler im Musikgewerbe, wie Mortier Direktoriumsmitglied bei den Sommerfestspielen und, anders als Mortier, Freund und Förderer Abbados. Unqualifiziert findet Landesmann manches, was Mortier sagt, und über das Engagement von Künstlern kriegen sich beide auch schon mal laut in die Haare. Doch Landesmann, soviel scheint sicher, will in Salzburg kein Hauptmann werden. Da ist der Schweizer Offizier Werner Kupper schon eher am Drücker. Als kommerziell bestimmende Persönlichkeit (News) der Osterfestspiele und Nachlaßverwalter Karajans weiß er das Heer der Karajaniden hinter sich. Auch er schneidet Mortier, wirft diesem unwahre Behauptungen vor und hält dessen Ratschläge an die Osterfestspiele für anmaßend. Noch weicht der Zürcher Anwalt allen Fragen nach persönlichen Ambitionen auf die Mortier-Nachfolge aus ( Ich spekuliere nicht ). Doch er versteht sich auf die juristischen Finessen des Betriebs und kann mit Geld umgehen. So einen könnte man brauchen. Und noch ein Mann ist im Gerede: der Kölner Intendant Michael Hampe, als gediegener Regisseur von Karajan gefördert und deshalb oft als dessen Hampemann verulkt. Mortier hat Hampes Mozart-Inszenierungen so schnell wie möglich eingemottet. Die beiden mögen sich nicht. Gleichgültig, ob die neue Viererbande den bis 1997 vertraglich abgesicherten Mortier nun vorzeitig vergrault oder dessen Vertragsverlängerung zu verhindern sucht lachender Fünfter ist schon jetzt die Schallplattenindustrie. Mit ihr hatte Karajan in schöner Harmonie gewirtschaftet, mit ihr hat sich Mortier auf Biegen und Brechen angelegt: Sie betreibe ihre Geschäfte als * Mit Anatoli Kotscherga als Titelheld. Boris Godunow -Inszenierung*: Sehr gekonnt, sehr schön oberflächlich 206 DER SPIEGEL 14/1994

207 Zirkus. Aus Wut über das Kommerzgeklüngel hat Mortier im Festspielhaus schon eigenhändig Plattenwerbung abgerissen. Genützt hat es nichts. Denn Abbado, die neue österliche Zentrifugalkraft, übernimmt von seinem Vorgänger Karajan die cleveren Produktionspraktiken, übertrifft den Alten aber noch an digitalem Output. Rechtzeitig brachte Sony Classical, terminlich fein abgestimmt, zu den Osterspielen den neuen Boris Godunow heraus, den Abbado mit den Philharmonikern 1993 in Berlin konzertant und für CD gespielt hat die Einbindung der philharmonischen Senatsangestellten in Privatgeschäfte war einst Karajans genialischer Trick gewesen. Im Boris -Gefolge verheißt Sony jetzt jede Menge Nachschub aus der außerordentlichen künstlerischen Partnerschaft : Mozart- und Dvořák-Sinfonien, Musik nach Hölderlin und Prometheus-Legenden und, welche Überraschung, Abbados nunmehr dritte Version von Tschaikowskis Fünfter. Die Deutsche Grammophon hält mit und dagegen. Sie kündigt die fünf Klavierkonzerte Beethovens mit dem Dirigenten an, Mahlers Zweite, Bruckners Siebte, auch Mozart, Mussorgski, daneben Prokofjew und Rachmaninow, von Schönberg die monströsen Gurre-Lieder, von Wagner den Lohengrin, auch keine Petitesse. Alles Durch den Schaffensdrang des unermüdlichen Plattenmachers Abbado kommt, gleichsam auf Umwegen, in Salzburg auch wieder jene graue Eminenz zum Zuge, die seit langem die weltweite Dirigentenszene beherrscht: Ronald A. Wilford, der Chef der allmächtigen Künstleragentur Columbia Artists Management, kurz Cami genannt (SPIEGEL 37/1993). Solange Karajan taktierte, war Salzburg Wilfords Hochburg und Cami dort dick im Geschäft. Mortier legte sich quer und begegnete Wilford mit frostiger Freundlichkeit. Doch mit dem Oster-Triumph Abbados, den er seit langem unter Vertrag hat, und dem Erfolg der Berliner Philharmoniker, die er immer gern betreut, ist Wilford schon mit einem Fuß wieder auf dem Salzburger Marktplatz. Das Standbein zieht er jetzt nach, Sony leistet Hilfestellung. Denn ohne viel Aufhebens haben Cami und Sony sich liiert: Wilford verkaufte den Japanern seine Unterabteilung Cami Video und sitzt dafür jetzt bei Sony Classical in der Geschäftsführung. Da ist er also wieder, der stets auffällig unauffällige Mister aus Manhattan, und im Verbund mit all den Gleichgesinnten dürfte er Mortier schon zeigen, wo künftig in Salzburg die Musik spielt: bei ihm im Kontor, New York, 57. Straße. DER SPIEGEL 14/

208 KULTUR Renaissance-Baustelle*: Der reitende Architekt repräsentiert schöne Nützlichkeit Architektur Bau als Pferd Eine Renaissance-Ausstellung in Venedig präsentiert erstmals große Holzmodelle berühmter Bauwerke. ricky Michelangelo: Als der italienische Künstlerarchitekt in der Mitte Tdes 16. Jahrhunderts Chefplaner des römischen Petersdoms wurde, machte er erst einmal seinen Vorgänger mies. In den Umgängen und den Fensternischen des Fassadenentwurfs von Antonio da Sangallo dem Jüngeren könnten sich, so Michelangelo, allzuleicht Schurken verstecken; um diese bei Toresschluß zu finden und zu verjagen, brauche man mindestens 25 Wachleute. Antonio da Sangallo (1484 bis 1546), der ehemalige Zimmermann, war gewiß der solidere Baumeister eben darum mußte der genialische Michelangelo ihn dort schwächen, wo er besonders stark war: bei der pragmatischen Rechtfertigung ästhetischer Entscheidungen. Sangallos Entwurf wurde nicht weitergebaut. Aber sein imposantes Holzmodell blieb Sieger: Es hat, im Unterschied zum Hauptmodell seines Rivalen, die Jahrhunderte überdauert. In einem Kellergewölbe des Petersdoms entdeckten die Architekturhistoriker Henry A. Millon und Vittorio M. Lampugnani vor drei Jahren das Modell: von Holzwürmern zerfressen, von Vogelkot bekleckert und völlig verstaubt. Die glücklichen Finder ließen es * Gemälde von Piero di Cosimo (16. Jh.). ** Bis 6. November, danach in der Berliner Neuen Nationalgalerie und im Frankfurter Architektur- Museum; Katalog 80 Mark. für rund eine Million Mark restaurieren. Nun steht der rotbraune Holzdom wie ein begehbares Prunkmöbel im Innenhof des Palazzo Grassi von Venedig Ouvertüre der glanzvollen Renaissance-Ausstellung Von Brunelleschi bis Michelangelo **. Mit seinen Ausmaßen gut sieben Meter lang, sechs Meter breit, viereinhalb Meter hoch ist es das größte erhaltene Architekturmodell der italienischen Renaissance. Zusammen mit 30 anderen Holzmodellen und knapp 400 Zeichnungen, Gemälden, Medaillons erzwingt das Sangallo-Werk die Revision eines Klischees. Wie Sandro Benedetti im Katalog schreibt, wurde der Sangallo-Entwurf vor allem nach Michelangelos Verdikt, er sei zu deutsch bis vor kurzem generell unterschätzt. Rein formal ist der kuppelbewehrte Zentralbau, den Michelangelo, frei nach Bramantes erster Vision von 1506, anstrebte, dem Langhaus des Sangallo überlegen. Er wirkt geschlossener, plastischer, entschiedener. Doch auf den Zweck des Gebäudes, den Gläubigen einen festlichen Weg zum Altar über Petri Grab zu bahnen, hat sich Sangallo viel sorgfältiger eingelassen. Die Rehabilitation des Konstrukteurs gegenüber dem brausenden Künstlergenie entspricht durchaus der Geschichte. Dafür ist das Breitwand-Gemälde von Piero di Cosimo ein trefflicher Beleg. Sangallo-Holzdom: Sieger der Geschichte? Es zeigt eine Palast-Baustelle des 16. Jahrhunderts. Vorne rechts reitet, mit einem Lehrbuben hinter sich, eine Schulter entblößt wie ein antiker Gelehrter, der Architekt. Dieser Architekt ist Praktiker. Er führt die Bauaufsicht. Sein Roß ist zugleich Rangzeichen und Symbol: Das Pferd galt in der Renaissance als lebende Architektur. Leonardo da Vinci schätzte an diesem Tier die Verbindung von schöner Proportion und vitaler Kraft. Das hieß: Die Schönheit der Form läßt sich nicht trennen von der energetischen Nützlichkeit. Der reitende Architekt war also das Programm-Bildnis eines Bauens, das sogar noch im Säulenzitat den Bezug auf die Natur und ihre Zweckmäßigkeit wahrt. Eben diesen Bezug hat die Architektur nach Michelangelo, dem Vorreiter der autonomen Raumästhetik, mehr und mehr verloren. So gesehen, ist die Ausstellung auch eine Polemik gegen den Künstlerarchitekten der Moderne. 208 DER SPIEGEL 14/1994

209 Zauberer Da lacht der Satan Ein Buch über die Geschichte der Scharlatane belegt: Das Zeitalter der falschen Propheten hat eben erst begonnen. s muß in den späten zehner Jahren gewesen sein, bald nach dem Ende Edes Ersten Weltkriegs, als irgendwo in England mit der Ermordung eines Frosches das neue Zeitalter feierlich begann. Der Mörder hatte das unschuldige Tier schon am Nachmittag auf den Namen Jesus getauft, hatte ihm gehuldigt, zu ihm gebetet und von ihm ein Zeichen oder Wunder verlangt. Der Frosch jedoch verweigerte sich, und als der Abend kam, begann der Mann sein Opfer zu quälen und zu verhöhnen. Er kreuzigte das Tier, er klagte es der Gotteslästerung an, und schließlich stach er ihm mit seinem Dolch ins Herz. Als der Frosch verendet war, kochte sein Peiniger die Schenkel und verspeiste sie; den Rest des Leichnams verbrannte er und während dieses Rituals verwandelte sich der rauschgiftsüchtige Maler und Poet Aleister Crowley in den leibhaftigen Antichristen. Fortan folgten ihm seine Jünger, auch wenn der Weg durch Schmutz und Elend ging und hin zu Orgien und Perversionen. Diktatoren wie Mussolini fürchteten diesen Mann, die Re- Crowley gierungen mächtiger Länder waren immer wieder genötigt, ihn auszuweisen. Sein Ruf war schon damals ungeheuer, und sein Ruhm ist seither noch gewachsen. Es gab andere Magier und Hexenmeister, die hatten mit ihren Künsten weit weniger Erfolg und Gregor Eisenhauer, 34, weiß, woran das liegt: Der Heidelberger Literaturwissenschaftler hat in zehn Fallstudien das We- sen des Scharlatans im Verlauf der Weltgeschichte erkundet*. Und er porträtiert die Heilsbringer und Propheten meist als tragische Figuren, als Opfer ihrer selbst und anderer widriger Umstände. Apollonios von Tyana beispielsweise, der vermutlich im Jahre vier vor Christus geboren wurde, war als Erlöser durchaus begabt: Er wanderte durchs römische Imperium, er predigte Enthaltsamkeit und wetterte wider das Laster; er sagte mit respektabler Trefferquote gelegentlich die Zukunft voraus, und manchmal wirkte er ein kleines Wunder, heilte die Unheilbaren und vertrieb die Pest aus Ephesos. Doch jenen genialen Zaubertrick, der es einem seiner Zeit- und Zunftgenossen möglich machte, mit fünf Laiben Brot und ein paar Fischen mehrere tausend Leute satt zu machen, den beherrschte Apollonios nicht. Und als der Prophet nach hundert reichen Lebensjahren starb, da lobte kein Evangelist sein segensreiches Wirken; es fand sich als Biograph nur ein gewisser Philostratos, der ein Schwafler und ein Langweiler war. Und so kam es, daß heute kaum jemand Apollonios von Tyana kennt, während Jesus von Nazareth unvergessen bleibt. Was den falschen Propheten vom anerkannten Erlöser unterscheidet, den Scharlatan vom Universalgenie, das sind oft nur die Rahmenbedingungen und ein paar lächerliche Zufälle, auf welche die Meister selber keinen Einfluß haben. Der Doktor Athanasius Kircher etwa wußte sensationelle Neuigkeiten über Drachen und Meerjungfrauen zu erzählen; er kannte auch die Erklärung für die Bewegung der Planeten und den Stillstand der Fixsterne, und er entschlüsselte, ohne große Anstrengung, die altägyptischen Schriftzeichen. Hätte Kircher seine Bücher tausend Jahre früher verfaßt, dann wäre er heute sicher so berühmt wie Plato und Aristoteles (deren Vermutungen über Atlantis und das geozentrische Universum ja auch nicht gehalten werden konnten). Aber Kircher wirkte im 17. Jahrhundert, zur Zeit von Kepler und Galilei, die zu ganz anderen astronomischen Erkenntnissen gelangten; auch seine Übersetzung der Hieroglyphen erwies sich bald als pure Phantasie und die Nachwelt scherte sich wenig darum, daß Kirchers Erfindungen, wenn schon nicht wahr, so doch poetisch und heiter und oft sehr sensibel empfunden waren. Nun * Gregor Eisenhauer: Scharlatane. Eichborn Verlag, Frankfurt/ Main; 320 Seiten; 48 Mark. Cagliostro Copperfield Historische Hexenmeister, Nachfolger: Tu, was du willst, sei das Gesetz DER SPIEGEL 14/

210 wartet sein Werk auf die Wiederentdekkung. Der Magier Cagliostro schaute durch Wände und sah künftige Katastrophen, er ließ Gespenster erscheinen und wieder verschwinden; er beeindruckte und betörte Europas Adlige zwischen Warschau und Paris und wurde doch am Schluß als Schwindler enttarnt und mußte im Gefängnis büßen: Für die perfekte Illusion, für den totalen kommerziellen Durchbruch mangelte es ihm an den technischen Mitteln, über welche inzwischen David Copperfield verfügt. Der Hellseher Nostradamus mit seinen dunklen Ahnungen und kryptischen Gedanken fände heute gewiß einen hochbezahlten Job als Berater von Managern und Unternehmern. Und dem Wunderdoktor Paracelsus fehlte zu seiner Zeit, im frühen 16. Jahrhundert, nur die Infrastruktur, um als Autor naturheilkundlicher Bestseller ganz groß herauszukommen. Gregor Eisenhauer beschreibt das Leben dieser Leute und spart sich alle Häme dabei. Er zeigt Respekt vorder schöpferischen Leistung und obwohl der Autor auf Vor- und Nachwort verzichtet hat, findet der Leser dennoch genügend Hinweise darauf, wozu Eisenhauer dieses Buch geschrieben hat: Es geschehen auch heute Zeichen und Wunder, und die Ära der Scharlatane ist noch lange nicht vorbei. Siewollten Wege weisen durch jene ungeheure Leere, die den Himmel von der Erde trennt, den schwachen Menschen von den Mächten des Schicksals und sie fanden keine Hilfe bei Religion und Wissenschaft. Sie hielten sich nicht an die Hierarchien des Wissens und des Glaubens, sondern brachten mit Vorsatz alles durcheinander: Wo die Kirche bedingungslose Unterordnung verlangte, bestanden sie auf ihren Zweifeln. Wo die Universitäten nur gesicherte Erkenntnisse akzeptierten, kamen sie mit Visionen und Imaginationen, mit Träumen und Gesichten. Und wo die Gesellschaft ihnen eine Rolle zuwies, erfanden sie sich neue Biographien und Persönlichkeiten. Sie suchten das Gespräch mit dem Satan, wenn Gott nichts von sich hören ließ. Sie gaben sich Räuschen und Ekstasen hin, wenn es ihnen zu eng wurde in den Grenzen des gesunden Verstandes und der herrschenden Vernunft. Und sie vertrauten auf Magie und Beschwörungen, weil die Wesen aus dem Jenseits mit Argumenten allein nicht zu beeindrucken waren. Manche verstörten für kurze Zeit die Mächtigen doch auf Dauer setzten Kirche, Staat und Wissenschaft ihre Interpretationen des Himmels und der Erde durch. Der Brite Aleister Crowley war vielleicht der erste, der diese Mächte schwanken sah. Das 20. Jahrhundert hatte begonnen, und Crowley war kein schlechter

211 KULTUR Astronom Kepler, Hellseher Nostradamus: Der Zufall entscheidet, wer ein Genie ist Prophet: Er spürte schon in den ersten Dezennien, daß der Fortschritt von Technik, Wissenschaft und Gesellschaft am Ende auch deren eigene Normen und Grundsätze zerstören würde aber nicht die Sehnsucht nach Erlösung, den Hunger nach Spiritualität und übersinnlicher Erfahrung. Also begegnete er den Kräften der Aufklärung mit konsequenter Verdunkelung. Crowley nahm nicht bloß Drogen, sondern pries die Wirkung von Haschisch, Heroin und Kokain als bewußtseinserweiternd, womit er dem Zeitgeist mindestens 50 Jahre voraus war. Crowley gab sich nicht nur seiner Geilheit hin, sondern predigte die freie Liebe und nahm so schon die sexuelle Revolution der sechziger Jahre vorweg. Manchmal flüsterte ihm der Teufel auch einen Lehrsatz ins Ohr, und diese Sprüche haben Karriere gemacht: Tu, was du willst, sei das ganze Gesetz! Ein unbegabter Science-fiction- Schreiber aus Los Angeles war von dem Magier so fasziniert, daß er seine eigene Sekte gründete und Crowleys geheime Zeichen als deren Wappen und Embleme übernahm. Der Mann hieß Lafayette Ronald Hubbard; seine Scientology Church unterwandert erfolgreich die westliche Welt. Die Künstler Andy Warhol und Joseph Beuys ließen sich vermutlich von Crowleys Jeder Mann und jede Frau ist ein Star zu ihren wichtigsten Axiomen inspirieren: Jeder kann einmal für 15 Minuten ein Star sein, heißt Warhols Variante, und Beuys erklärte: Jeder Mensch ist ein Künstler. So unterwandert Crowley auch die Hochkultur und die Spuren seiner Scharlatankollegen finden sich heute fast überall. Der Literaturwissenschaftler Helmut Bachmaier hat neulich, in einem Aufsatz für die Zürcher Weltwoche, den Verdacht geäußert, daß Cagliostros Zeitalter soeben erst begonnen habe: Als Beleg für die Herrschaft der Magier und Schwindler fällt ihm etwa der Golfkrieg ein, den er als gigantischen Zaubertrick deutet (was nicht originell, aber schwer zu widerlegen ist). Auch der Finanzminister ist ein Scharlatan Und jene Kunststücke, mit welchen der Bundesfinanzminister seinen Etat aufstockt, umschichtet und in irgendwelchen Posten wieder verschwinden läßt, erinnern den Autor an den Grafen Cagliostro, der Dreck in Gold verwandeln wollte. Bachmaier hat recht und geht doch längst nicht weit genug mit seinen Thesen: Nicht nur die großen Zauberer der Politik inszenieren Gaukelspiele in der fortgeschrittenen Kommunikationsgesellschaft bestimmt Scharlatanerie die meisten Entscheidungen: Denn die Sicherheiten des Glaubens und des Wissens, die sich früher gegen allen Hokuspokus behaupten konnten, sind endgültig verloren. Und dem westlichen Menschen bleiben nur noch Rituale und Beschwörungen, wenn er sich der Welt und seiner selbst vergewissern will. Einst hörten die Priester und Heiligen noch ganz deutlich, wie Gott zu ihnen sprach, und daß es Himmel und Hölle gab, war schon deshalb keine Frage. Die Scharlatane aber, die meist in Zeiten des Umbruchs und der Unruhe kamen, mußten schon Drogen schlucken oder schwarze Messen feiern, damit der Teufel und die anderen Geister aus dem Jenseits sich blicken oder hören ließen. Für den modernen Angestellten, ob er nun Autos verkauft oder Fernsehshows entwickelt, ist nicht einmal das Diesseits mehr deutlich erkennbar: Seine Kunden, Käufer und Märkte haben die Tendenz, sich aufzulösen und zu verschwinden, und gleichen darin den Gespenstern vormoderner Zeiten. Und weil die Existenz der Büromenschen an solchen Phänomenen hängt, sind sie, schon um sich selber zu erhalten, zum Aberglauben gezwungen. Deshalb tragen sie ihre magischen Apparate ständig mit sich herum: Die Zauberer früher brauchten ein menschliches Medium, um die Botschaften der höheren Wesen empfangen zu können. Heute gibt es dafür drahtlose Telefone: So haben sich die Medien vermehrt und sind in ihrem Kern doch gleich geblieben. Deshalb dienen Sitzungen und Konferenzen weniger dem Austausch von Argumenten als vielmehr der Herstellung einer großen gemeinsamen Illusion, jener kollektiven Autosuggestion, welche früher das Publikum an Cagliostros Zauberei glauben ließ und die heute die Existenz der Welt, des eigenen Produkts und eines Marktes bestätigt. Und deshalb werden all die Scharlatane der Bürokratie und die Magier der Telekommunikation von dieser schrecklichen Angst geplagt, daß ihr imaginäres Universum, wie ein Spuk, eines Tages verlöschen und untergehen werde: weil keiner mehr daran glaubt. Seriöse Wissenschaftler leiten den Ausdruck Scharlatan von ciarlare ab, was italienisch ist und einfach schwätzen heißt; ein naheliegender Schluß. Eingeweihte und Esoteriker aber befragen außerdem das Anagramm und finden schnell den verborgenen Sinn: Aus Scharlatan wird Lach, Satan! Ein R bleibt übrig, als transzendentaler Rest. Claudius Seidl DER SPIEGEL 14/

212 KULTUR Clowns Ketchup vom Himmel Der schwäbische Possenreißer Frieder Nögge verwöhnt sein Publikum mit garantiert politikfreier Komik. D er Mann macht sich mal wieder zum Narren. Er schminkt sich das Gesicht weiß, malt den Mund rot, färbt Brauen und Wimpern schwarz. Im weißen Leinenanzug steigt er auf die Bühne der ausverkauften Jahnhalle im schwäbischen Gerlingen, erzählt und singt Selbstgedichtetes zur Gitarre. Frieder Nögge, 39, macht für 300 Leute den gescheiten August. Die Gerlinger traktiert er mit Einsichten poetisch-verschrobener Natur. Die Welt, von der er dichtet, ist seltsam, aber nie bedrohlich. Ein kluger Narr, so singt Nögge gleich zu Beginn, ist einer, der die Pommes rausstellt, wenn s vom Himmel Ketchup schneit. Und wie die sämige Tomatensauce so nieseln auch Nögges Pointen: stetig, gehaltvoll und ein bißchen süß. Nögge nölt nicht. Er fleddert nicht die Großen, sondern reibt sich am Kleinen. Er schaut mit naivem Kinderblick aufs Allzu-Alltägliche und kommt ins Staunen. Zum Beispiel über Mensch und Tier im Zoo. Da steht der Narr ganz starr auf der Bühne und äfft das Liebeswerben der Giraffen nach. Langsam öffnen und schließen sich die Augenlider, hebt sich die Nase und reckt sich unsichtbar, aber suggestiv der Hals: perfekte Illusionspantomime der guten alten Art. Nögge ist auf Tour. Von BaltmannsweilerbisBielefeld reist er mit einem neuen Programm. Im Südender Republik genießt seine kauzige Komik kultische Verehrung, im Norden noch nicht ganz. Da, inder Pampa,sagt der Schwabe Nögge, muß man eine Pointe ja auch noch nach fünf Bier verstehen können. Nögges Kammerspiel-Komik taugt nicht fürs Fernsehen, sein politfreier Humor paßt nicht ins Kabarett: kein Kanzler-Kalauer und kein Scharping- Schrapnell. Narr Nögge spart sich Klamauk und Verstärker, seine Pointen zünden zärtlich. Nicht nur Psychologen wissen es schon lange: Wer Späße macht, hat etwas zu verbergen. Bei Nögge ist es eingestandene, tiefe Angst. Das Trauma seines Lebens schält sich aus einer halbverschütteten Erinnerung. Als Vierjähriger überraschte er die Eltern im Schlafzimmer bei seltsamem Tun. Sie wollten sich, so sieht es Nögge heute, die Pulsadern aufschneiden. Stumm rannte der verstörte Sohn aus dem Zimmer und malte sich das Gesicht als Clown an. Wie eine grelle, surreale Momentaufnahme erlebt Frieder Nögge noch heute die absurde Szene. Und wie ein festes Muster, so scheint es ihm, zieht sich seine Reaktion durchs ganze Leben. Die Rolle des Spaßmachers dient ihm als Versteck, als aggressionsfreie Enklave, in der nur er die Gesetze bestimmt. Wenigstens als Komiker auf der Bühne manipuliert er die Gefühle der anderen. Dann kann ihm keiner. Die unglückliche Ehe der Eltern endete nicht im Suizid, man trennte sich vor dem Scheidungsrichter. Frieder litt, versagte in der Schule und rebellierte Humorist Nögge: Liebeswerben der Giraffe nur noch. Er wurde der Kasper der Klasse, fühlte sich fehl am Platze, verraten und angeschissen. Irgendwie schaffte er mit 14 die mittlere Reife und heuerte für ein Jahr auf einem Küstenmotorschiff als Leichtmatrose an, schrubbte das Deck, klopfte den Rost von der Ankerkette und lernte zu leiden. Die Verwirklichung jenes Traums vom Clown, der das Leben leichter macht, ging er pragmatisch an: Frieder studierte an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, holte sich dann die Manegen-Reife auf einer Schweizer Zirkusschule, kam 1977 zum Stuttgarter Forum Theater, einem anthroposophisch angehauchten Jugend- und Kulturzentrum. Doch der Komiker geriet mit Rudolf Steiners Glaubenssätzen aneinander, fühlte sich ideologisch eingeengt und zog 1987 erneut gen Norden. Auf dem Hamburger Kiez fand er Unterschlupf. Im alternativen Schmidt Theater an der Reeperbahn, humoristische Heimstatt derber neudeutscher Kleinkunst, erkämpfte sich Nögge eine neue Solo-Nische. Doch 1992 die Fans der ortsansässigen Marlene Jaschke hatten die Stimmung im Theater immer mehr in Richtung Bierzelt getrieben erlitt der Schwabe einen akuten Heimweh-Schub und verlangte nach der subtilen Sprache der Doppelgründigkeit im heimatlichen Ländle. Von dort aus klappert er nun über die Dörfer und preist Mensch und Tier. Selbst der Dung der buntgescheckten Liesel wird lyrisch verdichtet: Und hebt sie ihren Wedel und plätschert s aus ihr raus, sieht jede braune Flade wie eine Sonne aus. Seine Aphorismen haben dem Erkenntnisstand der Zuhörer meist nur die griffige Formulierung voraus: Das Alleinsein macht traurig, das Zuzweitsein macht dick. Man heiratet, und der Kopf kommt nicht mit. Wenn der Narr spricht, kommt jeder mit, und mancher dran. Denn Glanznummer seiner Programme ist das Stegreif-Chanson. Da läßt sich der Dichter drei Begriffe zurufen, aus denen er auf der Stelle ein Liebeslied zimmert. Die Komik ist Mathematik, erklärt er seine Methode. Und, zweite Regel: Nimm alles an, was da ist. Denn auch für Lieder gebe es Gesetze. Und die kann man lernen und lehren. Im Frühjahr 1995 will Nögge in einer ehemaligen Schule in Backnang ein Trainingscamp für Kleinkünstler eröffnen. Der Brettl-Nachwuchs soll unter seiner Ägide Pantomime, Improvisation, Chanson und Kabarett pauken. Mit dem eigenen theatralischen Tun ist der Narr allerdings noch nicht ganz zufrieden. Er strebt nach dem noch höheren Ideal, dem Clown an sich. Denn allein der schaffe das Wunder, in nur zehn Minuten die Welt zu erobern. Narr Nögge braucht noch immer zweieinhalb Stunden Pause inklusive. 212 DER SPIEGEL 14/1994

213 Soziologie Wenn es bloß um Sex ginge SPIEGEL-Redakteur Johannes Saltzwedel über Günter Dux und seine Geschichte der Liebe Denker Dux: Erkenntnisse aus dem ruppigen Sozialleben der Eskimos o abgelegen und idyllisch möchte mancher wohnen, in einem Holz- Shaus am Waldrand, nahe dem Titisee. Bücher im Wohnzimmer, Bücher selbst im Hausflur, Gelehrten-Heimeligkeit pur. Doch seinem Gast schwärmt der Professor nichts vor. Die Leitungen sind das Problem, sagt Günter Dux. Ein Sägewerksbesitzer hat sich das Haus hier gebaut, in den dreißiger Jahren, als es noch kein Plastik gab. Hinter der Vertäfelung lägen nackte Drähte, die könnten brüchig werden oder seien es schon. Für eine Renovierung müßte man das Haus abreißen. An dem will der Professor aber nicht rütteln; er hat genug mit einem anderen Sanierungsfall zu tun, mit der Soziologie, seinem Fach. Wenn Dux, 60, loslegt, dann geht es immer ums ganz Große, um Die Logik der Weltbilder oder Die Zeit in der Geschichte. Und stets rät der Freiburger Forscher seinen Kollegen, von vorn anzufangen, buchstäblich bei Adam und Eva. Er macht es ihnen sogar vor. Sein jüngstes Werk, demnächst im Buchhandel, soll die historisch-genetische Theorie, der sich Dux verschrieben hat, um ein neues Beispiel erweitern diesmal ein besonders gewaltiges. Es soll erklären, was Geschlecht und Gesellschaft miteinander zu tun haben. Oder, laut Untertitel: Warum wir lieben *. Muß man das denn erklären? Natürlich nicht, wenn es dabei bloß um Sex ginge, sagt der Gelehrte lächelnd. Aber ich bin ja kein Biologe. Wenn ich von den Grundlagen des Geschlechterverhältnisses rede, meine ich zum Beispiel, daß Menschen fast ausnahmslos überall auf der Welt in Familien leben Sex und Fortpflanzung wären auch ohne solche Bindungen denkbar. Oder warum es eben kein purer Zufall sei, daß Liebesbriefe in allen Kulturen verblüffend ähnlich klingen. Auf den ersten Blick scheint auch das kaum verwunderlich: So sind Menschinnen und Menschen nun mal. Aber * Günter Dux: Geschlecht und Gesellschaft Warum wir lieben. Die romantische Liebe nach dem Verlust der Welt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; 504 Seiten; 64 Mark. dem Wissenschaftler sind anthropologische Konstanten, die ein Phänomen einfach zum feststehenden Merkmal ernennen, nicht genug. Solchen Eigenschaften habe bereits sein Lehrer, der Soziologe und Philosoph Helmuth Plessner, nachgespürt. Plessner zeigte, daß wir schon in der biologischen Organisation auf geistige Welten hin angelegt sind. Dux hingegen interessiert sich für den nächsten Schritt: Wie kommen kulturelle Welten, biologisch, kognitiv, moralisch, ästhetisch, überhaupt zustande? Eine merkwürdige Frage, auch innerhalb der Zunft. Kritiker haben Dux vorgeworfen, was er herausfinde, sei tautologisch, selbstverständlich und banal. Tatsächlich mag es für viele so klingen weil Naturwissenschaftler den geistigen Bereich gern ausklammern, während Geisteswissenschaftler ihn gleich voraussetzen. Grenzgänger Dux hingegen möchte klären, wie ebendies spezifisch Menschliche sich entwickelt hat. Was andere dazu sagen, findet der bedächtige Realist kaum hilfreich. Nehmen Sie Niklas Luhmann. Für ihn ist Liebe ein Code innerhalb eines gesellschaftlichen Systems, und die Individuen hasten dann hinter diesem Code her. Von Subjekten, ihrer Entwicklung und ihren Bedürfnissen ist nicht die Rede. Dux zieht der Brillanz immer die Wahrheit vor, so hausbacken sie daherkommen mag. Etwa über den Ursprung der Liebe: Zuerst sei da jene Intimität zwischen Mutter und Kind, die in neuer Form wiederzugewinnen fast allen Menschen ein Bedürfnis bleibe. Eine Partnerbeziehung, Sex inbegriffen, biete dafür schlicht die vorzügliche Chance. Genauso wichtig sei der gemeinsame Umgang. Als Menschen bilden wir uns dauernd eigene Geisteswelten. Zugleich DER SPIEGEL 14/

214 KULTUR aber brauchen wir Bestätigung, daß wir uns in der realen Umwelt akzeptabel verhalten. Wortwechsel unter Fremden reichen da nicht. Nötig ist beinahe die Quadratur des Kreises Kommunikation über Individuelles. Und noch etwas schaffe nur die Liebe: Körperlichkeit unterbringen, das biologische System, das sonst nur für sich selber sorgte, für einen anderen dasein zu lassen. Der Körper ist eigentlich akommunikativ, sagt Dux etwas gestelzt. Erst Liebe bringe es fertig, daß er in der Körperzone des anderen gleichsam zum Sprechen komme. Doch der Soziologe liefert kein statisches Bild. Er will eine Fortschrittslinie nachweisen, vom Triebleben der Jäger und Sammler bis zur romantischen Liebe, dem jüngsten Beziehungsmuster, und zum offenen Subjekt von heute. Eine Entwicklungslogik gar sieht er am Werk, die er rekonstruieren möchte. Daß dabei nicht immer hehrer Tiefsinn herauskommt, ist ihm egal. Von einem Freund bekomme ich manchmal zu hören: Also deine Diktion, die geht mir einfach auf den Geist. Dem entgegnet er dann nur: Es ist einfach so. Und wenn ihm wieder mal einer vorhält, auch er könne doch nur Theoriekonstrukte liefern, dann zitiert er gern ein ethnologisches Fallbeispiel, etwa über das ruppige Sozialleben der Eskimos: Leute, was ich sage, ist überprüfbar. Solange es um die Geschichte der Liebe, um gleichberechtigte Wesen und ihre Zuwendung geht, wird das kaum einen erbittern. Anders beim ersten Band seines Projekts, in dem der glücklich verheiratete Professor recht unsentimental die Spur der Macht im Verhältnis der Geschlechter untersucht hat. Frauen, so die These, seien zwangsläufig ins Hintertreffen geraten nicht wegen der Versorgung oder wegen der Kinder, sondern weil ihnen Macht fehlte. Sie konnten sich gegenüber einem Mann rein physisch nicht verteidigen. Männern also blieb fürderhin die Aufgabe vorbehalten, um Macht zu kämpfen. Verzweifelt schloß eine Rezensentin: Als Frau möchte man sich am liebsten einen Strick nehmen. Sie hat es einfach nicht ertragen, ihre eigene Geschichte nachlesen zu müssen. Das schrieb sie mir später auch, erzählt Dux, der sich bestätigt fühlte. Daß es noch immer Ungleichheit gibt, ist in unserer Gesellschaft ein Atavismus, sagt er. Aber schon in den frühesten Gemeinschaften wurden Frauen in ihrer Entwicklung ganz klar behindert, wirklich systematisch. Dieses geschichtliche Verhängnis wolle er nachzeichnen, damit es begriffen und überwunden werde. Denn neue Mythen über Geschlechtscharaktere, Eisenhans-Seminare oder Urmutter-Ideologien richteten gegen das schon vor der Kultur angelegte Übel gewiß nichts aus. Bei allem Elan: Auch diese Studie betrachtet Dux zunächst als ein Beispiel, wie Kultur- und Naturgeschichte aneinandergekoppelt werden müßten, was alles erklärbar würde, wenn nur die Kollegen ihre Theoriedrähte zwischen beiden Reichen des Wissens neu und besser verlegten. Wir müssen, so lautet der BELLETRISTIK 1 Grisham: Die Akte Hoffmann und Campe; (1) 44 Mark Gaarder: Sofies Welt (2) 2 Hanser; 39,80 Mark 3 Høeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee (3) Hanser; 45 Mark Pilcher: Wilder Thymian (4) 4 Wunderlich; 42 Mark Gordon: Der Schamane (5) 5 Droemer; 44 Mark 6 Zimmer Bradley: Die Wälder von Albion (6) W. Krüger; 49,80 Mark Atwood: Die Räuberbraut (8) 7 S. Fischer; 48 Mark Pirinçci: Francis Felidae II (7) 8 Goldmann; 38 Mark 9 Pilcher: Die Muschelsucher (9) Wunderlich; 45 Mark 10 Hensel: Glück gehabt Insel; 38 Mark Clavell: Gai-Jin (10) 11 C. Bertelsmann; 49,80 Mark Nooteboom: Rituale (11) 12 Suhrkamp; 28 Mark Walters: Im Eishaus (12) 13 Goldmann; 38 Mark 14 B E S T S E L L E R Kinkel: Die Puppenspieler Blanvalet; 44 Mark Morrison: Jazz (14) 15 Rowohlt; 36 Mark 214 DER SPIEGEL 14/1994

215 Grundparagraph, den er seinen Studenten eintrichtert, aus der Geschichte heraus vor die Geschichte zurückdenken, um die Bedingungen zu klären, unter denen es möglich war, in die Geschichte hineinzugehen und dann dieser Geschichte so lange folgen, bis wir uns selbst einholen. Ein stolzes Programm, ein sehr deutsches auch. Dabei sammelt Dux die vie- SACHBÜCHER 1 Ogger: Nieten in Nadelstreifen (1) Droemer; 38 Mark 2 Wickert: Und Gott schuf Paris (2) Hoffmann und Campe; 42 Mark 3 Carnegie: Sorge dich nicht, lebe! (3) Scherz; 42 Mark 4 Ogger: Das Kartell der Kassierer Droemer Knaur; 38 Mark 5 Filipović: Ich bin ein Mädchen aus Sarajevo (4) Lübbe; 29,80 Mark 6 Zachert/Zachert: Wir treffen uns wieder in (5) meinem Paradies Lübbe; 29,80 Mark 7 Hartwig: Scientology Ich klage an Pattloch; 34 Mark 8 Sasson: Ich, Prinzessin Sultana, und meine Töchter (8) C. Bertelsmann; 38 Mark 9 Falin: Politische Erinnerungen (7) Droemer; 48 Mark 10 Hawking: Einsteins Traum Rowohlt; 36 Mark (6) 11 Scholl-Latour: Eine Welt in Auflösung (9) Siedler; 44 Mark Kelder: Die Fünf Tibeter (10) 12 Integral; 19 Mark 13 Hacke: Der kleine Erziehungsberater (11) Kunstmann; 19,80 Mark 14 Gore: Wege zum Gleichgewicht (13) S. Fischer; 39,80 Mark 15 von Arnim: Staat ohne Diener (15) Kindler; 38 Mark Im Auftrag des SPIEGEL wöchentlich ermittelt vom Fachmagazin Buchreport len Fakten gerade, um sich von der deutschen Denktradition abzugrenzen. Auf keinen Fall will er sich den Vorwurf einhandeln, er präsentiere Hegelsche Weltgeistlichkeit im neuen Aufguß. Zweifel sind da durchaus möglich: Formulierungen wie Es gibt diese Entwicklungslogik; man muß sie nur aufzudecken wissen erinnern fatal an jene Geschichtsphilosophie, die im Lauf der Dinge die Entfaltung eines ursprünglichen Sinnes zu entdecken glaubte. Aber Dux bleibt hart: Er sei Empiriker, wolle nur plausibel machen, was ohnehin zu ermitteln sei. Entsprechend wenig hält er vom Traumdeuter Sigmund Freud und dessen Mythos (Dux) vom Ödipuskomplex. Weniger noch freilich beeindrucken ihn postmoderne Theoretiker, die Geschichte von vornherein für beliebig erklären und sich bei Sinnfragen auf einen gefälligen Pluralismus zurückziehen in Weltanschauungen vagabundieren, wie Dux es nennt. Die können nicht einmal mehr die Neuzeit von früheren Epochen unterscheiden. Dabei laute die Frage doch stets: Wie sind wir denn hier angekommen? Romantische Liebe ist in seiner Diagnose die fortgeschrittenste Variante im Umgang der Geschlechter aber auch die am meisten gefährdete. Sich von der Existenz des anderen überwältigen zu lassen, wie er ihr Wesen definiert, das werde immer schwerer, so wenig die Bedürfnisse sich verändert hätten. Friedrich Schlegel konnte um 1800 noch von zwei Liebenden sagen:,sie waren einer dem anderen das Universum. Aber wenn keiner seinem Partner mehr eine Welt, seine Welt anzubieten hat, wie soll das dann noch gehen? fragt Dux. Früher bildete das Subjekt sich Lebensformen, Handlungszusammenhänge. Heute gehört keine der früheren festen Umwelten noch irgend jemandem. Die Identität wird fließend. Nach dem Sinn des Lebens zu fragen, das sei, wenn kein Absolutes diesen Sinn mehr garantiere, unsinnig. Beziehungen drohe deswegen ja noch nicht der Untergang. Man kann sich nicht mehr über alles mögliche verständigen. Wenn aber beide das wissen, kann es gutgehen. Und wenn nicht, wo soll dann der Halt in der Liebe herkommen? Ach wissen Sie, meint der Soziologe, das kann vieles sein. Gemeinsame Tätigkeit, Politik, Sektiererei. Er blickt hinaus. Ich wundere mich zum Beispiel manchmal, wenn ich Mann und Frau sehe, jung, die hier mit dem Fahrrad den Feldberg hinauf asten. Was muß dazu gehören, daß zwei so ein Hobby entwickeln, sagt er nachdenklich. Die verbringen doch die Hälfte ihrer Freizeit auf Rädern. Nähme man ihnen die, sie hätten vielleicht erhebliche Schwierigkeiten, ihr Sozialleben zu gestalten. DER SPIEGEL 14/

216 KULTUR Jugend Haste mal ne Million? Sie schreien No Future, tragen grüne Irokesenhaare und spucken auf Partys gern mit Bier: Die Punks sind zurückgekehrt. Knapp 20 Jahre nach der Revolte der Sex Pistols und Clash sind Ratten und Rasierklingen wieder modern, eine wütende junge Generation spielt erneut zum Kampf gegen die Gesellschaft auf. ls Tim Neal aufwuchs, in jener fernen Zeit, die man heute Die ASiebziger nennt, waren zwei Dinge in seiner Familie unbeliebt: Tim und Tims Gitarre. Oft dröhnte das kleine Backsteinhaus in Birmingham unter drei Akkorden der Stratocaster und tausend Flüchen des Vaters. Und als Tim seine Haare so rot-weiß wie sein Instrument färbte, war es mit der Verständigung zwischen Sohn und Erzeuger ganz vorbei. So war es nicht nur in Birmingham, zu jener Zeit, als der Punk geboren wurde. Heute trägt Neal, 33, sein Haar nicht mehr rot-weiß, sondern pechschwarz, aber natürlich ist diese Farbe auch nicht. Und mehr als drei Akkorde bekommt er auf seiner Gitarre auch jetzt kaum zustande. Aber ansonsten hat sich einiges getan: Neal, der ewige Punk, der sich in den vergangenen 15 Jahren quer durchs Land und hundert Jobs schlagen mußte, hat einen festen Wohnsitz und macht auf einmal richtig Geld. Er ist Manager geworden bei einer der zur Zeit erfolgreichsten Musikveranstaltungen in London, dem wöchentlichen Punk-Abend Cheapskates (Geizhals). Viel mehr als seine Frisur und ein paar Platten aus den schlechten alten Zeiten brauchte Neal nicht: Daß man mit dem Zeug so viel Kohle verdienen kann, hätte ich nie gedacht. Die massigen Türsteher in ihren auf Taille und Trizeps geschneiderten Smokings wirken an diesem Abend reichlich deplaziert, denn im edlen Soho-Klub Prohibition, den Neal gepachtet hat, trifft sich sonst das junge, hippe Publikum der Metropole. Die Gäste nippen ein wenig am Gin Tonic, nehmen ein paar Designerdrogen und begnügen sich damit, ihre feine Garderobe beim Tanzen nicht allzusehr zu zerknittern. Heute, beim Cheapskates, trinkt und spuckt das Publikum Bier, wirft Speed in rauhen Mengen ein, und wer seine Jeans nicht schon für gutes Geld abgeschabt und zerrissen gekauft hat, dem werden sie beim Pogo automatisch gestylt. Manchmal trauen die Klubwächter ihren Augen nicht, wenn Stammgäste, per Sicherheitsnadeln und Irokesenhaar auf Punk getrimmt, mit ihrer goldenen Mitgliedskarte Einlaß begehren. Nicht nur in Soho, nicht nur im Prohibition -Klub: Punk meldet sich zurück die schrillste, aggressivste und, laut Selbstdefinition, spaßigste Jugendbewegung des Jahrhunderts; die radikale Provokation, der Aufbruch einer chancenlosen Generation. Punk begann 1976, wurde dann schnell vom Modeund Musik-Business einkassiert und degenerierte schließlich zur einsamen, traurigen Pose in den Fußgängerzonen Europas ( Haste mal ne Mark? ). Die beginnende soziale Verelendung des unteren Gesellschaftsdrittels war seine Wurzel, und die Botschaft der Underdogs hieß Du kannst es tun Teil einer Gegenkultur werden, mit bizarren Symbolen wie Rasierklingen und Ratten. Nun, da sich die Rezession durch die sozialen Schichten nach oben frißt, bündeln sich Hoffnungslosigkeit, Jugendprotest und seine Vermarktung zu einem Aktionstheater gegen die verwaltete Welt der Etablierten, Mächtigen und Langweiligen, das vitaler ist als der Ur- Punk. Dies ist unsere letzte Chance, unser Blut zu geben Das Epizentrum der musikalischen Erschütterung liegt, wie 1976, in England, und das Beben ist fast schon so heftig wie in der Ära von Sex Pistols und Clash. So zum Beispiel vor kurzem in London, als bei einer Autogrammstunde der Band Therapy? in einem Plattenladen am Piccadilly Circus Tausende schrill gekleideter und frisierter Kids den Verkehr lahmlegten: Irritierte Einheimische und Touristen erlebten eine Mischung aus Karneval und Déjà vu, aus den Lautsprecherboxen, die außen am Gebäude hingen, drangen Textfetzen wie Neo-Punker in London: Alle Leute sind Scheiße Der Himmel hat dich rausgeschmissen oder Alle Leute sind Scheiße. Umherlaufende weiße Ratten sprengten japanische Besuchergruppen, und clevere Straßenhändler machten mit Union- Jack-T-Shirts, Sicherheitsnadeln und Revolvergürteln beste Geschäfte. Einen Tag später war der Electric Ballroom in Camden, ein Weihetempel der alternativen Musik, rappelvoll, die Mädchenband Elastica bat, zusammen mit zwei anderen Punk-Gruppen, zum Pogo. 15- bis 18jährige Mädchen und Jungen stürzten sich verwegen von der Bühne, tanzten sich gegenseitig die Springerstiefel platt und warfen fröhlich mit Bierdosen. Die Zeitmaschine scheint rückwärts zu laufen, und die Vereinnahmung der neuen alten Bewegung erfolgt noch flotter als vor knapp zwei Jahrzehnten. Die Späher der Musikindustrie reagieren reflexhaft. Therapy?, eine bisher kaum bekannte Band, dudelt nun in sämtlichen Hitparaden Europas. Elastica saßen schon bei MTV-Starmoderator Ray Cokes auf der Couch und durften zwei der sieben Lieder, die sie im Repertoire haben, vortragen. Auch anderswo läuft die Masche mit dem alten Punk-Motto: Viele sind besser keiner ist schneller und lauter bestens. So spielt die amerikanische Star- 216 DER SPIEGEL 14/1994

217 Punk-Mode (von Gaultier) Accessoires statt Aufbegehren Band Guns N Roses auf ihrer neuen Platte fast ausschließlich alte Punk- Songs nach. In Deutschland liegen die Toten Hosen und die Ärzte mit ihren aktuellen Werken im Trend und sind kommerziell erfolgreich wie nie zuvor. Viele Bands springen jetzt auf den Zug, aus dem sie vor Jahren schon ausgestiegen waren: Oldtimer wie UK Subs oder Stiff Little Fingers formierten sich neu und gehen wieder auf Tour. Selbst Elvis Costello, der Großvater aller Punks, drängt es erneut auf bespuckte Bühnen in düsteren Kaschemmen. Schon mäkeln Kritiker, die neue Bewegung sei nur ein Medienspektakel, eine von vielen Nostalgiewellen, die sich in den bislang konturlosen neunziger Jahren immer schneller abwechseln. Dieser Punk sei nicht authentisch, die Rebellion überflüssig, weil ohne Feindbilder, und was 1977 noch provoziert habe, werde heute doch schon auf den Laufstegen von Mailand und Paris als Haute Couture vorgeführt. Tatsächlich überlebten ein paar klägliche Reste des Punk in den vergangenen Jahren vor allem dank der Modeindustrie. Sie deutete die fransigen Haare und Nietengürtel, einst Ausdruck einer Kulturrevolte, zu Accessoires für Supermodels und Vorstadtschönheiten um. Das hatte mit Punk soviel zu tun wie Kniestrümpfe mit der Französischen Revolution. Die Rebellion der Unterschicht wurde vereinnahmt und nimmt nun, so scheint es, genau den umgekehrten Weg, von oben nach unten. Was kürzlich noch kostspielige Couture war, avanciert heute in ehemals winzigen Läden wie Sign of the Times, der bereits seine vierte Filiale eröffnet hat, zur billigen Massenware für Londoner Kids. Selbst die Kaufhauskette Marks & Spencer hat mittlerweile eine Ecke für den kleinen Neo-Punk. In Croydon ist die Protestmode noch nicht angekommen. Dabei ist die verrottete Vorstadt im Süden Londons die steingewordene Einlösung des alten Punk-Schlagwortes No Future. Croydon hat nichts von jenem architektonischen Schnickschnack, den der kurze Aufschwung der Thatcher-Jahre in anderen Teilen des Londoner Speckgürtels angerichtet hat. An den Häusern hängen keine For sale - Schilder wie überall sonst in der von Rezession gebeutelten Metropole. Nach Croydon zieht niemand freiwillig, höchstens per Zwangseinweisung der Sozialbehörde. Und wer hier lebt, kommt nicht mehr raus. In Croydon ist auch noch kein Repräsentant des großen Geldes aufgetaucht, kein eifriger Modedesigner, kein gieriger Plattenboß und auch kein maulender Kritiker, der über die Sinnlosigkeit von Kulturrevolten in den neunziger Jahren schwadroniert. Dabei sind solche Londoner Band Flying Medallions : Spaß, Sex und Protest sozialen Endlager die wahren Heimstätten der neuen Punk-Bewegung. Wir hatten keine Lust mehr, unsere Häuser noch mehr kaputtzumachen, als sie es ohnehin schon sind, sagt Gary Palmer, 18, da haben wir mit der Musik angefangen. Die tiefen Jahresringe unter seinen Augen lassen ihn erheblich älter wirken. Er ist Schlagzeuger bei den Flying Medallions, einer von vielen neuen Punk-Gruppen des Viertels. Die Vorbilder seiner Band ( Zwischen sechs und zehn Mitglieder, je nach Laune ) malträtierten ihre Instrumente zu einer Zeit, als Palmer noch in den Windeln gelegen hatte. Ich weiß nicht viel über Sid Vicious, aber ich finde ihn geil, sagt Ben, der Gitarrist. Der 1979 gestorbene Bassist der Sex Pistols sei die gelungenste Mischung aus Spaß und Rebellion gewesen, sagt Ben und verschweigt den Ursprung seines altklugen Spruches. Das Zitat stammt aus einem Buch, das, im Zeitalter der Videoclips erstaunlich genug, der neuen Bewegung vor zwei Jahren den Boden ebnete. England s Dreaming (Autor: der Musikjournalist Jon Savage) erhob Punk von einer beliebigen Jugendmode in den Status einer radikalen politischen Bewegung eine gewagte Interpretation, die aber von einer neuen, frustrierten Generation dankbar übernommen wurde. Wie eine Gebrauchsanleitung zum besseren Leben rezipiert sie seine Geschichten und Anekdoten aus ersten Punk-Zeiten. Denn die simple Mischung aus Wut und Aufbruch, die Savage glorifiziert, ist ihre einzige Hoffnung in einem Jahrzehnt, das alle Theorien mit Jubel verabschiedet hat. Die Kinder von Croydon haben keine schlechten Perspektiven, sie haben gar keine. Mies ausgebildet, hangeln sie sich DER SPIEGEL 14/

218 von einem Job zum nächsten. Rave- und Trance-Musik, eine schicke Form der Lethargie, ist nicht mehr der zu ihrem desperaten Alltag passende Soundtrack. Auch Grunge, die Protestmusik der US-Generation X, die verzweifelte, aber künstlerisch ambitionierte Hoffnungslosigkeit von nordamerikanischen Bands wie Nirvana oder Pearl Jam, ist diesen Kids viel zu zahm: Die brüllen ihre Wut doch nur nach innen und betäuben ihr persönliches Chaos dann mit teuren Drogen, sagt Gary. So ähneln die Klänge aus Croydon mehr dem aggressiven Hip-Hop der Schwarzen aus den Ghettos von Los Angeles und New York. Die Themen: Spaß, Sex und Aufbegehren. Und wer nicht mal eine Gegenwart hat, röhrt sein No Future um so lauter. Dies ist der letzte Aufschrei des britischen Rock, glaubt Dave Hague, Manager von S*M*A*S*H, einer der wildesten Newcomer-Bands. Songs wie Kill Somebody, in dem die Exekution von Premierminister John Major gefordert wird, haben die Gruppe bekannt gemacht. Jedenfalls reicht ihre kleine Prominenz, die Plattencover unbeschriftet zu lassen; die Nachfrage steigt auch so ständig, spätestens seit beim letzten S*M*A*S*H -Konzert Jon Savage, ganz selbstgefälliger Guru, jedem Musiker eine signierte Ausgabe seines England s Dreaming überreichte. Die meisten von uns sind unter der Anti-Leben-, Anti-Sex- und Anti-Spaß- Regierung der Tories aufgewachsen, schrieb das Magazin New Musical Express und machte sich zur Stimme der neuen Punks. Dies könnte unsere letzte Chance sein, unser Blut zu geben, bevor sie uns vollständig fertigmachen. Wir werden ihnen schon zeigen, was,back to Basics heißt. Die Politiker haben eine ganze Generation apathisch gemacht, sagt Rob, ein S*M*A*S*H -Mitglied. Leben müsse mehr sein, als zu Hause auf der Couch zu sitzen, Ecstasy zu werfen und nur zu jammern. Die Botschaft des Punk lautet: Nimm dir ne Gitarre und tu was. Das wäre selbst ohne Gitarre mehr, als diese Kids jemals gemacht haben. Tim Neal, der Manager der Cheapskates -Nächte, glaubt, dieses Revival werde länger andauern als vorangegangene Wiederbelebungsversuche: Die Zeit ist reif für einen Wechsel. Und zwar für einen richtigen, nicht so einen Clinton-Scheiß. Er jedenfalls will den kleinen Rebellen dabei helfen, so gut es geht. Und neben dem ganzen Spaß, den die Sache bringen wird, ist Neal vor allem froh, daß der neue Punk ein Tabu des alten gebrochen hat: Warum sollte ich nicht sagen:,haste mal ne Million? Gegen Geld habe ich nichts. 218 DER SPIEGEL 14/1994

219 KULTUR Produkte Notorische Giganten Von LSD zu VW: Pink Floyd und Volkswagen vereinigen ihre Zielgruppen. VW-Pressekonferenz mit Pink Floyd*: Mörder der Vergangenheit Popgruppe Pink Floyd*: Das Gras war grüner, heller war das Licht rüher war Bier noch Bier. Es hatte immer anständig Alkohol statt we- Fnig oder gar keinen. In jenen Zeiten lief im Fernsehen ein Werbespot, der Friesland von oben zeigte, während aus dem Off eine Baßstimme raunte und eine elektrische Gitarre sparsam Töne plazierte. Die Sehnsuchtsmelodie machte Durst wie das Land, so das Jever. Die musikalische Untermalung entstammte dem Song Shine On You Crazy Diamond der englischen Gruppe Pink Floyd. Bis heute leiden Deutsche unter Spätfolgen des Jever-Spots und gehen zwanghaft zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Bier zu holen, wenn sie gerade ein Pink-Floyd- Stück hören. In den Sechzigern und Siebzigern brachte der psychedelische Elektrorock der Band die Leute dazu, Haschisch oder LSD zu sich zu nehmen. Sogar Studenten ohne jedes Bewußtsein glaubten eines zu haben und es zu erweitern, sobald Pink Floyd und Drogen zum Einsatz kamen. Syd Barrett, Gründungsmitglied des Quartetts, ertrug den Ruhm nicht und wurde ersetzt. Wäre er nicht schon damals irre geworden spätestens jetzt müßte er an seinem Verstand zweifeln. Denn Pink Floyd, mittlerweile zum Trio geschrumpft, machen mit Europas größtem Autohersteller gemeinsame Sache. Auf einem Festakt in Köln präsentierte der Volkswagen-Konzern Ende März die Golf-Sonderauflage Pink Floyd, die von Mai an als Limousine und Cabrio erhältlich ist. Die Innenausstattung beider Modelle nennt VW On the road. Für die Gestaltung des Zubehörs Stoffbezüge, bestickte Kopfstützen, Radio, Aschenbecher ist Nick Mason zuständig, Schlagzeuger der Gruppe und nach Auskunft der Wolfsburger ein lebenslanger Autonarr. Nachdem der erste Fusionsversuch von Pop und Pkw vergangenes Jahr gelang von den Genesis -Modellen Golf und Polo wurden rund 8000 Exemplare abgesetzt, kauften VW-Marketingstrategen nun die nächste Supergruppe als PR-Truppe ein. Wir haben, sagt ein VW-Sprecher, der über das Honorar für die Engländer schweigen möchte, eine interaktive Methode der Kommunikation mit den Kunden gefunden : Pink Floyd bieten der gemeinsamen Zielgruppe auf einer Europatournee, die am 22. Juli in Lissabon beginnen wird, 42 Shows in 16 Ländern; 48 Sattelschlepper befördern die Bühnenanlage, darunter VW-Transparente und erstklassige Laserkanonen, 120 Roadies bauen die Ladung auf und ab. Auch die neue Pink-Floyd-CD, die erste seit sieben Jahren, zeugt erneut * Oben: Nick Mason, David Gilmour und Rick Wright am 25. März in Köln; unten: in den sechziger Jahren, mit Gründungsmitglied Roger Waters (2. v. l.). von der notorischen Gigantomanie des Trios aus Cambridge. Selbst ein Ensemble wie U2, das viel Material braucht und einen erheblichen Produktionsaufwand treibt, erscheint gegen Pink Floyd moderat. Unterstützt von etlichen Musikern und Knopfdrückern, haben Pink Floyd ihr Werk The Division Bell hergestellt. Was Rick Wright an den Tasteninstrumenten leistet und Nick Mason am Schlagzeug, ist jedoch nicht erinnernswert. Und Gitarrist David Gilmour, der im Konzert so ergreifend ins Leere gukken kann wie O. W. Fischer als Bayernkönig Ludwig II., hat offenbar auch die letzten kreativen Impulse eingebüßt. Pink Floyd geben sich aus als Mörder DER SPIEGEL 14/

220 der Vergangenheit, verloren in Gedanken. Bilanz: Das Gras war früher grüner, heller war das Licht. Bislang hat die Band 140 Millionen Platten verkauft hing das Kuh-Cover von Atom Heart Mother in jeder Wohngemeinschaft erschien Dark Side of the Moon und hielt sich länger als jede zuvor erschienene LP in den amerikanischen Hitparaden exakt 14 Jahre und 2 Wochen veröffentlichte die Band ihr Konzeptalbum The Wall zu einem Zeitpunkt, als Punks in aller Welt angetreten waren, um mit einer Totaloperation die Jugend vom Rock-Geschwür zu befreien. The Wall war erfolgreich trotz seiner Überfrachtung mit Psychokitsch, wonach das Leben hart und Mutter irgendwie an allem schuld sei. Selbst Frank Sinatras Strangers in the Night sagt mehr über Entfremdung als The Wall mit der berühmten Zeile: We don t need no education. Die drei verbliebenen Mitglieder von Pink Floyd, alle um die 50, wirken inzwischen wie Herren, die gern mit ihrem Geld sprechen und da barhäuptig zu Hause ihren Angeberhut vergessen haben. Ohne sich anzustrengen, täuschen Gilmour und Kollegen vor, sie hätten den alten Schwung. So erwarten Pink Floyd in den Arenen ihre Fans, die im Pink-Floyd-Auto vorfahren ausgerüstet mit Extras wie Spezialstoffbezügen, verstellbarer Lenksäule, Leichtmetallrädern, Spiegelgehäuse. Aber da fehlt noch was: Auf die Kühlerhaube gehört eine Laserkanone und in den Kofferraum ein Kasten Bier. Pop Donner und Doria Nach den Hitparaden erobert Meat Loaf nun auch die Hallen zurück: Mit bombastischem Kitsch inszeniert er seine eigene Legende. anchmal werden Rock n Roll- Träume wahr; dann sitzt Gottva- Mter am Mischpult, und die himmlischen Heerscharen tanzen. Manchmal werden Alpträume wahr; dann sitzt der Notarzt am Bett, und es tanzt der Gerichtsvollzieher. Gebenedeit unter den Rockern ist nur einer wie Meat Loaf, der beides durchlebt hat: Erst wenn du in der Hölle warst, kannst du irgendwann das Paradies erblicken. KULTUR Ganz still wird es im Saal, als die Worte inhaltsschwer aus den Boxen hallen. Das Publikum hält inne, starrt andächtig auf die Gestalt im Scheinwerferlicht, und als würde der Mann mit seinem aschfahlen Gesicht und dem schwarzen Rüschenfummel nicht schon glaubhaft genug den Wiedergänger spielen, läßt er den Worten sogleich Taten folgen. Mal schüttelt er sich wie vom Bösen besessen, mal kniet er verklärt im weißen Lichtkegel. Mal symbolisiert ein flammenumzüngeltes Klavier das Fegefeuer, dann wieder labt er sich an elysischem Saitenklang. Der Sänger Meat Loaf, 46, vitalster aller musizierenden Untoten, inszeniert Sänger Meat Loaf: Dunkle Seite routiniert seine eigene Legende: die Geschichte von frühem Ruhm und jähem Absturz, von harten Zeiten der Prüfung und finalem Segen. Der seit jeher Dickste der Branche ist derzeit wieder der Größte; für seine laufende Welttournee, die ihn vom 14. April an auch in die geräumigsten Hallen der Bundesrepublik führt, mußten vielerorts Zusatzkonzerte anberaumt werden. In der immer mythenärmeren, vonmaschinen beherrschten Pop-Welt kam die Rückkehr des singenden Fleischberges gerade recht sein Martyrium ( Back into Hell lautet der Titel seines aktuellen Albums) taugt zur Heiligsprechung. Denn Meat Loaf sang und singt nicht nur die Lieder des Komponisten Jim Steinman, er lebt sie. Das macht sie einerseits so erfolgreich, treibt ihn aber andererseits immer wieder in die Paranoia. Während eines Auftritts 1978 in Kanada kollabierte der Koloß auf der Bühne, und als er wieder zu sich kam, war seine Stimme weg. Zwei Jahre brauchte er, um zu genesen. Danach war auch Steinman weg, das Geld und der Ruhm sowieso. Der Sänger hatte reichlich ein Jahrzehnt Zeit, um die dunkle Seite kennenzulernen: Es war eine große Erfahrung. Mitte der achtziger Jahre fanden die beiden wieder zueinander. Wagner- Freak Steinman hatte erkannt, daß nur ein Getriebener wie Meat Loaf seine Boy-meets-Girl-Dramen in ihrer ganzen pompösen Pracht erstrahlen lassen konnte. Und Meat Loaf mit seiner Vier- Oktaven-Stimme hatte eingesehen, daß nur ein Genie wie Steinman ihn zum Äußersten und Allerletzten treiben konnte. Den ersten Beweis hatten beide mit dem Klassiker Bat out of Hell erbracht, der seit 1977 ununterbrochen in der amerikanischen Hitparade steht das ist Weltrekord und hat zu einem Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde geführt. Der Nachfolger sollte noch größer, noch bunter, noch bombastischer werden als Bat out of Hell (Produktionszeit: sechs Jahre). Im Herbst 1993 erschien Bat out of Hell II Back into Hell, 16 Jahre nach dem ersten Teil. Das Duo Meat Loaf/Steinman galt immer noch als Qualitätsversprechen, entsprechend höllisch war die Nachfrage. Die Plattenfirma Virgin kam dem Interesse kaum nach, das Single-Epos I d do anything for love, but I won t do that beherrschte wochenlang die Hitlisten. Was einst als Konzept gegen Punk und New Wave erfolgreich war, verfängt nun ebenso in Zeiten von Techno und Hip Hop. Dabei paßt Meat Loaf ungefähr so gut in die zeitgenössische Musik-Landschaft wie Pavarotti auf ein Independent-Festival. Der neue Bestseller funktioniert ganz nach dem anachronistischen Rezept seines Vorgängers: 11 Songs, aus deren Zutaten jeder andere Komponist locker 33 gebacken hätte. 11 Songs voller Donner, Doria und Halleluja, die den Eindruck beschwören, der Hörer wohne einer Live-Übertragung des Jüngsten Gerichts bei. Was denn der 250-Pfund-Barde, getreu seiner Liedzeile, für Liebe alles tun würde und, vor allem, was nicht, erschließt sich allerdings selbst in seinen Konzerten nicht. Meat Loaf: Der Song könnte statt elf Minuten auch elf Jahre dauern, und keiner könnte es sagen. 220 DER SPIEGEL 14/1994

221 WISSENSCHAFT Atomrüstung Hilfe vom großen Vetter? Sowohl Großbritanniens damaliger Premier Harold Macmillan wie die gesamte britische Presse jubelten zu früh, als sich nach zwei Testexplosionen im Mai und Juni 1957 das Inselreich im Besitz einer eigenen Wasserstoffbombe wähnte so sehen es die Autoren einer 500 Seiten starken Studie über British, French and Chinese Nuclear Weapons, die Ende letzten Monats in Washington vorgestellt wurde. In Wahrheit, so das Fazit der Untersuchung, hätten die bei diesen Versuchsexplosionen gezündeten Sprengkörper nur eine Sprengkraft zwischen 200 Krankheitskosten P R I S M A Schwerkranker in US-Klinik Sterben bleibt teuer Wenn Zyniker am Stammtisch daran erinnern, daß nicht nur das Leben teuer ist, sondern auch der Tod, finden sie sich in voller Übereinstimmung mit den meisten Gesundheitsökonomen. Für die ist es offenbar eine nur schwer erträgliche Vorstellung, daß durch die Versorgung Sterbender viele Milliarden sinnlos vergeudet werden. Jetzt untersuchte das Fachblatt New England Journal of Medicine die Frage, ob die mit dem nahen Lebensende verbundenen Kosten durch organisatorische Maßnahmen reduziert werden könnten. Anlaß war unter anderem eine 1992 veröffentlichte Studie, nach der die strikte Beachtung der (schriftlich fixierten) Patientenforderungen nach Unterlassung nur lebensverlängernder Maßnahmen in den USA zwischen 55 und 109 Milliarden Dollar jährlich einsparen würde. Insgesamt wurde der mit der Versorgung todkranker Patienten verbundene Finanzaufwand in den USA 1990 auf 184 Milliarden Dollar geschätzt. Dies entsprach 27 Prozent des gesamten Gesundheitsetats. Jetzt entkräfteten die Autoren Ezekiel J. Emanuel und Linda L. Emanuel das Vorurteil, daß sich diese Kosten durch eine bessere Abschätzung der noch verbleibenden Lebenszeit und eine entsprechende Angleichung des Behandlungsaufwandes drastisch reduzieren ließen. Sie wiesen darauf hin, daß es derzeit noch keine Methode gebe, die auch nur die ungefähre Vorhersage des Todeszeitpunktes zuverlässig ermöglicht. Kosteneinsparungen durch die Unterlassung sinnloser lebensverlängernder Maßnahmen könnten daher maximal 3,3 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben einsparen 1993 wären dies 29,7 von 900 Milliarden US-Dollar gewesen. Britischer Atomtest (Mai 1957) und 300 Kilotonnen entwikkelt. Das aber bedeute, daß nur der atomare Teil der Bomben gezündet wurde, die zweite Stufe, die thermonukleare Fusion, habe versagt. Erst bei späteren Testversuchen und dank der Nachhilfe von amerikanischen Bombenexperten hätten dann auch die Briten funktionstüchtige Wasserstoffbomben bauen können. Noch immer seien etwa 80 bis 90 Prozent der Komponenten in der Standard-H-Bombe der britischen Luftwaffe identisch mit den Bauteilen in zwei H-Bomben-Varianten der Amerikaner. Transporttechnik Weicher Tank für Wein und Saft Bis zu 23 Meter lang sind die gelben PVC-Ungetüme, bis zu Liter Wein, Saft, Speiseöl, Mineralwasser, aber auch Dieselöl, Schmierstoffe oder Druckfarben können sie aufnehmen. Mit dem helltra Softtank will die Lübecker Firma Hell + Weber den Transport von Flüssigwaren, die nicht unter die Kategorie Gefahrgüter fallen, kostengünstiger und umweltfreundlicher gestalten. Erfinder Weber, Softtank 50 der doppelwandigen PVC- Behälter, die jeden Standardcontainer oder herkömmlichen Lkw in ein Tankfahrzeug umwandeln, sind seit Monaten in der Erprobung. Besonders deutlich ist der Vorteil gegenüber dem Transport in Fässern: Der Softtank ermöglicht eine bis zu 20 Prozent höhere Auslastung eines Containers, da es keine Zwischenräume wie beim Stapeln der Fässer gibt und sogenannte Leer-Rückfrachten praktisch entfallen. In einem Standardcontainer haben 40 leere Softtanks Platz. Seuchen Schnelltest für Malaria Mehr als 5000 Erreger in nur einem Mikroliter Blut finden sich bei manchen Patienten mit akuter Malaria. Mit einem von der US-Firma Becton-Dickinson entwickelten Diagnoseverfahren ( Para- Sight F ) lassen sich schon weitaus geringere Parasiten- Lasten im Blut sicher und schneller als mit herkömmlichen Verfahren nachweisen. Die Empfindlichkeit des Systems es basiert auf einem Antikörper gegen ein Eiweißmolekül des Malaria-Erregers Plasmodium falciparum ist nach Ergebnissen einer Feldstudie in Kenia dem konventionellen Blutausstrich ebenbürtig. Schon ab 60 Malaria-Erregern pro Mikroliter Blut liefert das neue Verfahren in nur 20 Minuten einen sicheren Befund. Da zudem weder Apparate noch Elektrizität benötigt würden, ist das Diagnosesystem besonders geeignet für die Länder der Dritten Welt. DER SPIEGEL 14/

222 TECHNIK Waffen MÖRDER-SAAT IM REISFELD Manche verschießen bei Berührung tödliche Pfeile, andere detonieren mit Schrotschußeffekt weltweit liegen auf Trampelpfaden und Feldern, als tödliche Hinterlassenschaft von Kriegen, etwa 200 Millionen nicht entschärfte Landminen im Boden. 10 Millionen neue werden jedes Jahr verkauft. schea Touch, 33, Besitzer von zwei Kühen und einer Hühnerschar, war Tmit der Ernte zufrieden. Bohnen, Kartoffeln und Reis würden ihn und seine dreiköpfige Familie ernähren. Was die Tscheas sonst noch zum Leben brauchten, hoffte der kleingewachsene Farmer durch den Verkauf von Feuerholz dazuverdienen zu können. An einem Morgen im August letzten Jahres machte sich Tschea Touch gemeinsam mit drei Nachbarn auf den Weg zum Holzsammeln. Ziel war ein Waldstück am Fuße eines Hügels, der in den siebziger und achtziger Jahren abwechselnd von den Roten Khmer, den vietnamesischen Besatzern und den kambodschanischen Regierungstruppen besetzt gehalten worden war. Zum Holzsammeln kamen die vier Bauern nicht. Ein Frosch, wie Kambodschaner die Typ-69-Landmine chinesischer Herkunft nennen, lag unter einer dünnen Erdschicht auf dem Pfad, den die vier Bewohner des Dorfes Morom gewählt hatten. An den charakteristischen Quick- Quack -Ton, der das Auslösen des Minenzünders begleitet, erinnert sich Tschea Touch. Es rumste. Ich wurde zur Seite geschleudert. Mein linker Fuß war weg, der Unterschenkel zerfetzt. Seine Freunde trugen den Verletzten ins Dorf zurück, immer darauf bedacht, möglichst in die Fußspuren zu treten, die sie beim Hinweg hinterlassen hatten. Tschea Touch hatte Glück. Im Dorf war kurz zuvor ein Geländewagen der Uno-Übergangsverwaltung (Untac) eingetroffen. Die Untac-Blauhelme, die in Kambodscha den Übergang des geschundenen Landes in einen demokratischen Staat sichern sollten, brachten den Bauern ins Hospital der Provinzhauptstadt Takeo, wo ihm unterhalb des Knies das Bein amputiert wurde. Ende Februar dieses Jahres kletterte Tschea Touch mit seinen Krücken in einen überfüllten Bus nach Pnom Penh, um in der Straße Nummer 9 das Haus Nummer 7 aufzusuchen. Dort befindet * In Kambodscha. Freilegen einer Landmine*: Mit der Kinderschaufel an die versteckten Mörder 222 DER SPIEGEL 14/1994

223 Minenopfer Tschea Touch*, Landminen, Minenräumkommando: Es rumste, mein Fuß war weg sich die kambodschanische Zentrale der Vietnam Veterans of America Foundation (VVAF). Die US-Organisation bemüht sich im Rahmen ihres Indochina- Projekts darum, die schlimmsten Langzeitfolgen des 25jährigen Bürgerkriegs in Kambodscha zu lindern, soweit das überhaupt möglich ist (so der zuständige VVAF-Direktor Tom Leckinger). Im November 1991 eröffnete die VVAF in Kien Khlang bei Pnom Penh eine nach dem Orthopäden Pramod Karan Sethi benannte Werkstatt für die Herstellung von Prothesen und Rollstühlen. In der P. K. Sethi Clinic von Kien Khlang wurde für Tschea Touch ein Jaipur Limb angefertigt. Die Beinprothese wurde von Sethi, der aus der westindischen Großstadt Jaipur stammt, eigens auf die finanziellen Verhältnisse von amputierten Bewohnern armer Drittweltländer abgestimmt. Jaipur-Prothesen bestehen aus Materialien, die in den jeweiligen Ländern verfügbar und billig sind. Der Schaft des Jaipur-Beins ist aus recyceltem Alumini- * Mit Beinprothese aus Aluminium. um gefertigt, der Fuß aus den Überresten von Gummilatschen. Das Jaipur Limb trotzt allen Witterungseinflüssen und eignet sich zur Massenfertigung. Die derzeitige Monatsproduktion in Kien Khlang liegt bei rund 50 Prothesen, das Stück zu 24 bis 29 US-Dollar. In mehrfacher Hinsicht ist die Situation in Kambodscha beispielhaft für ein Problem, das von der Öffentlichkeit in den Industriestaaten bisher kaum wahrgenommen wurde, das aber in den letzten drei Jahrzehnten katastrophale Ausmaße angenommen hat. In jedem dritten Land der Erde schlummert eine todbringende Saat von Landminen, jenen Waffen, die ein General der Roten Khmer einmal den perfekten Soldaten nannte: furchtlos, nie müde werdend und immer treffsicher. Während die Großmächte im Zeitalter des Kalten Krieges nuklear hochrüsteten und ihre Unterhändler sich dann in zähen Verhandlungen allenfalls auf Obergrenzen verständigten, wurden auf den Kriegsschauplätzen der Stellvertreter-Staaten millionenfach Landminen aller Art ausgebracht. Nach Ansicht des US-Rüstungskritikers Kenneth Anderson stehen sie in ihrer Wirkung dem nuklearen Vernichtungspotential kaum nach. Minen, so Anderson, sind Waffen zur Massenvernichtung im Zeitlupentempo. Nach konservativer Schätzung liegen weltweit derzeit 85 Millionen noch nicht entschärfte Landminen im Boden; Uno- Experten halten 100 Millionen für wahrscheinlicher und bis zu 200 Millionen für möglich. Produziert werden noch immer 340 verschiedene Minentypen von 96 Herstellern in 48 Ländern. Zu den Hauptproduzenten zählen Rußland, China und Italien. Aber auch deutsche Minenhersteller und -entwickler haben, teils über ausländische Tochterfirmen, in den letzten Jahrzehnten auf dem lukrativen Weltmarkt für Minen und Minenverlegesysteme mitgeboten. Im diesjährigen Bonner Verteidigungsetat sind 192 Millionen Mark für die Produktion und Entwicklung von Landminen vorgesehen. Weltweit werden pro Jahr zwischen fünf und zehn DER SPIEGEL 14/

224 TECHNIK Italienisches Minenverlegesystem Misar (bei der Erprobung): Waffen zur Prothesen im Reha-Zentrum (in Kambodscha): Billiglösungen für die Dritte Welt Millionen Stück abgesetzt; Verkaufserlöse: 200 Millionen Dollar. Die tödliche Hinterlassenschaft von Bürgerkriegen und von erklärten bewaffneten Auseinandersetzungen wie dem Golfkrieg ist die wahrscheinlich lebensgefährlichste und am weitesten verbreitete Umweltverschmutzung, welche die Menschheit kennt. Zu diesem Urteil gelangte ein Report (Titel: Hidden Killers ), den das US- Außenministerium letztes Jahr zum globalen Problem nicht entschärfter Landminen veröffentlichte. Die versteckten Mörder lauern an Straßenrändern oder auf Trampelpfaden im Gebirge. Minen reihen sich um Wasserlöcher und E-Werke, liegen in Reisfeldern und auf Weiden, sperren den Zugang zu Brücken, Ansiedlungen und Häfen. Zum erstenmal eingesetzt wurden Minen im Ersten Weltkrieg. Gegen vorrückende Tanks verbuddelten deutsche Truppen Artilleriegeschosse, deren Kontaktzünder bloßgelegt waren. Im Zweiten Weltkrieg wurde gegen die damals neue Kriegswaffe, die Panzerverbände, auch gleich die entsprechende Abwehrwaffe in Form von Panzerminen entwickelt. Da die Panzerkiller wegen ihrer Größe leicht zu entdecken und wegzuräumen waren, versteckte man neben der großen eine kleinere Mine. Sie wurde durch einen Stolperdraht ausgelöst. Das Konzept dieser Mine bildete die Grundlage für die sogenannte Anti-Personen-Mine (APM), die von den Waffentechnikern zu heimtückischer Perfektion weiterentwickelt wurde. Als besonders erfindungsreich erwiesen sich zunächst Amerikas Minenkonstrukteure. Sie setzten im Vietnamkrieg Dutzende von APM-Typen ein, die sie tausendfach vom Flugzeug oder vom Hubschrauber abregnen ließen. Bei US- Piloten, die Kambodscha und den Ho- Tschi-minh-Pfad mit Minenteppichen belegten, wurde die abgeworfene Waffenfracht abschätzig Müll genannt. Der Müll enthielt tödliche Fracht. Manche Minen spieen bei der Explosion Hunderte von Stahlpfeilen aus, deren Wucht und Geschwindigkeit ausreichten, Menschen gleichsam an Bäume zu nageln. Eine andere, dieper Stolperdraht oder Fernzündung ausgelöste 1,6 Kilogramm schwere Ladung der Claymore- Mine, versprüht 700 Stahlkügelchen nach Art eines Schrotschusses. Der vom Claymore-Hersteller garantierte Verletzungsradius von 50 Metern verdeutlicht die Zielsetzung der Entwickler: Die Waffen des armen Mannes (so die Fachzeitschrift Wehrtechnik) sollen nicht töten, sondern verstümmeln, weil das den Gegner noch mehr schwächt. Ein verwundeter Mann, heißt es in einem Infoblatt des pakistanischen Minenherstellers Pakistan Ordnance Factories, erfordert medizinische Versorgung, Transport und Evakuierung hinter die Front und behindert dadurch den Nachschub ins Kampfgebiet. Darüber hinaus übt ein verwundeter Soldat einen nachteiligen psychologischen Effekt auf seine Kameraden aus. Das gilt auch noch für Friedenszeiten. In Kambodscha werden derzeit Monat für Monat nahezu 300 Menschen durch Minen getötet oder verstümmelt. Nirgendwo ist die Zahl der Bein- oder Armamputierten (im Verhältnis zur Bevölkerungszahl) höher als in dem asiatischen Land: Mehr als Kambodschaner schleppen sich auf Krücken oder Beinprothesen dahin. Die Behinderten sind kulturell begründeter Verachtung ausgesetzt. In Kambodscha einen Körperteil zu verlieren ist gleichbedeutend mit dem Verlust eines Teils der Seele, sagt Benoit Denise von der französischen Hilfsorganisation Handicap International. Weltweit sind nach Handicap-Schätzungen in den letzten 15 Jahren etwa Menschen durch Landminen verstümmelt worden. Doppelt so viele sind an den Verletzungsfolgen gestorben. Die Technik der unkontrollierten Minenverlegung widerspricht einer Vereinbarung aus dem Jahre 1980, wonach die Lage von Minenfeldern kartographiert und bei Kriegsende mitgeteilt werden muß. Neuentwickelte Minenverlegesysteme machen diese Kennzeichnungs- 224 DER SPIEGEL 14/1994

225 Massenvernichtung im Zeitlupentempo Minenopfer im Rollstuhl: Weltweit eine halbe Million Verstümmelte pflicht obsolet. Der Minenwerfer der italienischen Firma Valsella Meccanotecnica streut beispielsweise 30 Landminen pro Sekunde aus. Um nicht bereits bei der Lagerung oder der Beladung zu explodieren, sind die Minen mit einem speziellen Zündmechanismus ausgestattet. Der Berührungszünder reagiert erst, wenn die Mine nach dem Abwurf im Gelände zur Ruhe kommt. Italienische Minenbauer gelten mittlerweile als besonders erfinderisch. Das Minenverlegesystem Misar versenkt die Sprengkörper nach Art einer Pflanzmaschine direkt in den Boden. Die Landmine APM SB-33 aus den Werkstätten der Firma BPD Difesa e Spazio, einer Tochter des Automobilkonzerns Fiat, hat sich den Beinamen Sony Walkman der Waffentechnik (The New Yorker) verdient. Die handtellergroße SB-33 besteht überwiegend aus Plastik, ist wasserdicht und läßt sich wegen eines speziellen Schutzanstrichs auch mit Infrarotsuchgeräten kaum ausmachen. Über dem Zünder befindet sich ein Neoprendekkel, der beim Niederdrücken nur etwa den gleichen Widerstand bietet wie die Tasten eines Taschenrechners. Daß die SB-33 praktisch unräumbar ist, so das Fazit von Minenexperten der U. S. Army, erfuhren britische Entminungstruppen, die nach dem Falklandkrieg die von Argentinien verlegten italienischen Minen entschärfen sollten. Schon nach wenigen Versuchen stellten die Räumkommandos ihre Arbeit ein. Sie beließen es dabei, die Minenfelder einzuzäunen und zu markieren. Auf durchschnittlich 75 Jahre schätzt der kanadische Minenexperte Oberst George Focsaneanu die natürliche Lebenszeit einer Mine, die Zeit also, bis der Sprengkörper durch Verrotten unschädlich wird. Focsaneanu, den seine Untergebenen wegen seines zungenbrecherischen Familiennamens nur Colonel Fox nennen, organisiert in Pnom Penh die Aktivitäten des Cambodian Mine Action Centre (CMAC). Das CMAC kümmert sich seit Abzug der Untac-Blauhelme im September letzten Jahres um das Minenräumen in Kambodscha realistisch betrachtet, so Fox, ein einziges großes Minenfeld, mit dessen Räumung wir nicht 75 Jahre warten können. Die von dem CMAC zu Minenräumern geschulten 2500 Kambodschaner stehen vor einem schier unlösbaren Problem. In Kambodscha liegen wenigstens zehn Millionen Minen, vier Millionen davon an der Grenze zu Thailand. Die lassen wir verrotten, sagt Fox, die andern aber müssen entschärft werden, sonst kommt das Land sozial und wirtschaftlich nie wieder in Gang. Zentimeterweise müssen die Minenfelder von den Räumtrupps zunächst mit Suchgeräten abgelauscht werden. Jede Stelle, an der es piepst (was auf das Vorhandensein von Metall im Erdreich hinweist), wird von dem Minensucher mit einem Fähnchen markiert. Ein zweiter Kambodschaner sticht sodann mit einer Art langer Stricknadel schräg ins Erdreich. Die Stiche müssen im Abstand von zwei Zentimetern angesetzt werden. Der 30-Grad-Winkel soll sicherstellen, daß der Stich eine Mine seitwärts trifft und nicht den Zünder an der Oberfläche. Wird der Stecher fündig, tritt ein dritter Mann in Aktion, der mit einer Kindersandschaufel das verdächtige Objekt freilegt. Handelt es sich um eine Mine, buddelt er unmittelbar daneben ein Loch und legt eine Sprengladung von meist 400 Gramm TNT hinein. Der Mini-Sprengsatz wird gezündet und bringt die Mine mit zur Explosion. Etwa zehn Millionen Dollar sind nach Schätzung von Colonel Fox erforderlich, um Kambodscha in sechs bis zehn Jahren minenfrei zu machen. Zumindest für Kambodscha scheint diese Finanzierung gesichert. Die Vereinten Nationen und private Hilfsorganisationen wollen die erforderlichen Mittel bereitstellen. Daß nur eine zeitraubende Entminung per Hand, wie sie vom CMAC in Kambodscha bislang erfolgreich betrieben wird, auch Länder wie Angola, Afghanistan oder Mosambik für ihre Bewohner wieder sicher machen kann, ist unter Experten unstrittig. Für die Bewältigung der Nachkriegsaufgabe des Räumens von Landminen, so das Fazit eines Internationalen Symposiums im September letzten Jahres, gibt es keine einfache technische Lösungsmöglichkeit. Am Beispiel Afghanistans wird die perverse Diskrepanz zwischen dem millionenfachen Verlegen der verstümmelnden Killerwaffen, die schon zu Stückpreisen von 3 Dollar gehandelt werden, und dem kostspieligen Entschärfen (Expertenschätzung: 1000 Dollar pro Mine) besonders deutlich. Als die sowjetischen Okkupationstruppen aus Afghanistan abzogen, hinterließen sie, wie der Hidden Killer - Report schätzt, bis zu 35 Millionen Minen. Von der Uno unterstützte Räumteams entfernten inzwischen auf stadtnahen Minenfeldern etwa davon. Bei dem bisher erreichten Räumtempo von etwa 30 Quadratkilometern jährlich würde es, so eine Berechnung des Roten Kreuzes, 4300 Jahre dauern, um nur ein Fünftel Afghanistans minenfrei zu machen. DER SPIEGEL 14/

226 Automobile Zartes Zischeln Brennstoffzellen sollen einen Elektro-Mercedes antreiben erster Nutzen aus dem Zukauf von Rüstungs- und Raumfahrtfirmen? in geheimnisvolles Labor kurvt seit wenigen Monaten zwischen Ulm Eund Stuttgart umher. Äußerlich gleicht es einem Kleinlaster von Mercedes, wie ihn gutsituierte Klempner oder Fliesenleger fahren. Doch dieser besondere Lieferwagen ist für Passanten, die unachtsam die Straße überqueren, weit gefährlicher. Man hört ihn nicht. Statt metallisch nagelnden Diesel- Lärms entfährt dem Antriebsaggregat des Versuchsvehikels nur ein zartes Zischeln, kaum lauter als das Summen der Reifen. Dem dürren Auspuffröhrchen entweichen auch keine giftigen Gase, abgesehen von etwas Stickstoff und Kohlendioxid in ökologisch unbedenklicher Dosis (kaum mehr, als ein Mensch ausatmet). Der Rest ist Wasser. Es plätschert in einen mitgeführten Bottich. Das wundersame Vehikel, entwickelt in der Ulmer Forschungszentrale von Daimler-Benz, soll als Vorbote eines neuartigen, revolutionären Antriebs am 13. April der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In Fahrt gebracht wird der Wagen von einem Elektromotor, der nicht aus einer klassischen Batterie genährt wird. Der leise Laster hat sein eigenes Kraftwerk an Bord, eine sogenannte Brennstoffzelle. In ihr wird durch das Zusammenführen von Wasserstoff und Sauerstoff auf chemischem Weg Strom erzeugt (siehe Grafik). Das Prinzip, 1839 von dem walisischen Richter und Physiker William Robert Grove entdeckt, ist dem Batteriekonzept technisch klar überlegen. Wenn die Stromquelle versiegt, kann das Betriebsmittel Wasserstoff in kürzester Zeit nachgetankt werden. Das Hauptproblem der Elektroautos, ihre begrenzte Reichweite, wäre also gebannt. Auch beim Gewicht spielen die Brennstoffzeller in einer anderen Klasse. Moderne Batterien sind bei vergleichbarer Kapazität mindestens dreimal so schwer wie ein vollgetanktes Brennstoffzellen-Aggregat. Mit ihrem Wirkungsgrad schlägt die Brennstoffzelle ohnehin alle anderen Systeme der Stromgewinnung und Speicherung: Bis 226 DER SPIEGEL 14/1994

227 TECHNIK Kaltes Feuer Strom aus der Brennstoffzelle 2 H 2 Minuspol 2 H 2 H + H + H + H + O O zu 80 Prozent der Energie werden in Elektrizität umgewandelt. Beschaffen könnte man den Wasserstoff durchaus in großen Mengen. Er ließe sich aus Wasser mittels Sonnenenergie oder aus Methan gewinnen, einem Rohstoff, der an Ölquellen noch immer abgefackelt wird, weil kein Industriezweig ihn in großem Stil verwerten mag. Der Mercedes-Versuchswagen tankt Methanol, einen Alkohol, aus dem der begehrte Wasserstoff abgespalten wird (daher der Rest von Auspuffgasen). Auch im Kraftwerksbereich arbeiten Techniker seit langem an Konzepten zur Stromgewinnung durch Brennstoffzellen anstelle von Wärmekraftwerken. Seit Herbst 1990 erprobt Siemens im bayerischen Neunburg vorm Wald den praktischen Einsatz von Brennstoffzellen zur Stromgewinnung. Die Versuchsanlage leidet allerdings unter heftigen Startschwierigkeiten. Zweimal mußten bisher die gesamten Zellblöcke nach technischen Störungen ausgetauscht werden. Alle Pläne für einen größeren Einsatz von Brennstoffen scheiterten bislang an den Kosten. Teure Edelmetalle machen die Anlagen nahezu unbezahlbar. Pro Kilowatt installierter Leistung werden noch immer rund 2500 Dollar angesetzt. So kamen Brennstoffzellen bisher auch nur dort zum Einsatz, wo Fortschritt alles bedeutet und Geld keine Rolle spielt: in Rüstung und Raumfahrt. 2 H 2 O Die Brennstoffzelle liefert Strom durch direkte Umwandlung von chemischer in elektrische Energie. Der aus einem Tank eingeführte Wasserstoff (H) gibt pro Atom ein Elektron ab. Gleichzeitig nehmen die auf der anderen Seite O O Pluspol Elektronenabgabe Elektronenaufnahme O 2 O 2 der Zelle eintretenden Sauerstoffatome (O) je zwei Elektronen auf. Daraus ergibt sich eine elektrische Spannung. Es fließt ein Strom, der eine Glühbirne zum Leuchten bringt oder einen Elektromotor speist. Als Reaktionsprodukt entsteht Wasser (H 2 O). In Raumfähren und U-Booten sorgen häufig Brennstoffzellen für die Stromerzeugung an Bord. Der von Daimler-Benz gestartete neue Anlauf auf die Brennstoffzelle im Auto gilt als eine der ersten nützlichen Ausgeburten von Edzard Reuters Konzerngigantomanie: Forschungsergebnisse von AEG, Dornier und MBB wurden zusammengeführt für das neue Testgefährt. Ehe die für 1997 geplanten Kleinwagen (Vision A und Swatch) mit Brennstoffzellen schadstofffrei durch die Städte surren könnten, sind allerdings noch viele Hürden zu nehmen. Die Kosten sollen durch den Einsatz neuer Materialien, zum Beispiel Keramik, noch deutlich schrumpfen. Das gleiche müßte allerdings auch mit dem Volumen der Anlage passieren. Die Brennstoffzelle und der Wandler für die Gewinnung des Wasserstoffs aus Methanol nehmen im Ladeabteil des Versuchswagens etwa den Raum von zwei Waschmaschinen ein. Es sind seltsame Gebilde aus Druckbehältern und Rohren, die aussehen wie eine Alchimistenküche auf Urlaubsreise. Biographien Leuchtende Sterne Ein Ingenieur warnte Stalin vor sowjetischem Technik-Größenwahn. Der Diktator ließ ihn umbringen. rst fiel er bei Zar Nikolaus II. in Ungnade: Der Ingenieur hatte ge- Egen die sozialen Mißstände in den Zechen der Don-Region protestiert. Dann, drei Jahrzehnte später, zog er sich den Haß des Sowjetherrschers Stalin zu, weil er dessen größenwahnsinnige Industrievorhaben verdammte. Im April 1928 verschleppten Männer der Geheimpolizei den antisowjetischen Verschwörer aus seiner Leningrader Wohnung; kurz darauf starb Pjotr Paltschinski, einer der fähigsten Ingenieure des jungen Sowjetreichs, durch Genickschuß. Ein Jahr später erfuhr seine Ehefrau Nina Alexandrowna aus der Regierungszeitung Iswestija von der Hinrichtung. In der kalten Frühjahrsnacht, in der Paltschinski verhaftet wurde, hatten die Geheimpolizisten Nina Alexandrowna gezwungen, sämtliche Artikel und Studien ihres Ehemannes in einen Sack zu stopfen und zur Wache zu schleppen. Seither waren die umfangreichen Schriften, Ergebnis von drei Jahrzehnten Arbeit, verschwunden. Paltschinski blieb ein Phantom: In den sowjetischen Geschichtsbüchern taucht sein Name Ingenieur Paltschinski (um 1909): Nicht alles machen DER SPIEGEL 14/

228 TECHNIK nirgendwo auf. Nur Alexander Solschenizyn erinnert in seinem Archipel Gulag an den großen russischen Ingenieur, der auf Nimmerwiedersehen im Rachen der stalinistischen Geheimpolizei verschwunden war. Erst vor drei Jahren, unter Gorbatschow, erlaubte die damalige sowjetische Regierung dem amerikanischen Wissenschaftshistoriker Loren Graham, in einem jahrzehntelang gesperrten Archiv nach der verschollenen Paltschinski-Akte zu fahnden. In mehrmonatiger Sucharbeit entdeckte Graham auf zerkratztem Mikrofilm die beschlagnahmten Unterlagen und war überwältigt von den umfangreichen Filmrollen. Paltschinski, so resümiert Graham in seiner Monographie, habe frühzeitig mit klarem Blick erkannt und zu korrigieren versucht, was zu Beginn der sowjetischen Industrialisierung schiefging. Das Schicksal des zu seiner Zeit berühmten Ingenieurs, meint Graham, helfe zu verstehen, weshalb die Sowjetunion es nicht schaffte, zu einem modernen Industriestaat zu werden *. Anfangs war Paltschinski, Jahrgang 1875, von den Kommunisten und ihren Zielen begeistert gewesen. 1905, nach dem ersten, gescheiterten Volksaufstand, war er fälschlicherweise als Revolutionär festgenommen und nach Sibirien verbannt worden; 1908 gelang ihm die Flucht nach Westeuropa, wo er half, die veralteten Seehäfen von London und Hamburg zu modernisieren. Erst kurz vor der Oktoberrevolution von 1917 hatte er wieder russischen Boden betreten. Nach der Machtübernahme der Bolschewiken sah Paltschinski in Rußland ein Eldorado für Wissenschaftler und Techniker entstehen: Ich bin begierig, hier zu arbeiten. Hier ist mein Platz. In den zwanziger Jahren baute er Eisenbahnstrecken und Kohleminen, er schuf neue See- und Binnenhäfen, beriet die kommunistische Regierung beim Bau von Staudämmen und Stahlwerken und zeichnete Karten über Bevölkerungsdichte und Erzvorkommen. Nebenbei war er Vorsitzender der Russischen Technikergesellschaft in dieser Zeit stieg er zum einflußreichsten und bekanntesten Technokraten Rußlands auf unternahm er im Auftrag der Regierung eine zweimonatige Reise durch Zentralasien, um die dortigen Öl- und Gasbohrtürme zu inspizieren. Empört kehrte er nach Moskau zurück. Die Ölindustrie, kritisierte er, habe zu viele Verwaltungsvorschriften und zu wenig Sicherheitsregeln ; statt * Loren R. Graham: The Ghost of the Executed Engineer. Harvard University Press, London/Cambridge; 128 Seiten; 22,95 Dollar. Magnitogorsk (im Bau, 1932): Hochöfen ohne Transportwege ständig über Rowdytum und Diebstahl zu lamentieren, schimpfte Paltschinski, sollte das Management der Förderanlagen die Arbeiter lieber vor den alltäglichen Gasexplosionen und Feuersbrünsten schützen, dann würden die Leute auch motivierter an die Arbeit gehen. Immer häufiger prangerte er zugleich den technischen Größenwahn der kommunistischen Parteiführer an; Gigantomanie ohne Rücksicht auf Verluste, warnte er, sei zum Scheitern verurteilt: Wir sind keine Magier, wir können nicht alles tun. Damit machte sich Paltschinski Stalin zum Feind. Es gibt keine Festung, die Bolschewiken nicht stürmen können, erklärte der Kreml-Herrscher: Technik bestimmt alles. Im ersten Fünfjahresplan, der Ende 1928 verabschiedet wurde, setzte Stalin Monumentalbauwerke durch, ökonomisch unsinnige und sozial fragwürdige Projekte, die vor allem einem Zweck dienten: Sie sollten die Überlegenheit des kommunistischen Systems demonstrieren (tatsächlich waren die von der Weltwirtschaftskrise gebeutelten kapitalistischen Länder vom angeblichen Aufbruch im Osten anfangs stark beeindruckt). So befahl Stalin, am Dnjepr das größte Wasserkraftwerk der Menschheitsgeschichte in den Flußlauf zu rammen. Doch die für den Bau des Staudamms erforderliche Vertreibung Zehntausender Bauern (zumeist deutschstämmiger Mennoniten) hätte der Gewaltherrscher sich sparen können: Der Dnjepr führte in den Wintermonaten so wenig Wasser, daß die Anlage von Dezember bis Februar keinen Strom erzeugen konnte; in trockenen Jahren fiel das Kraftwerk sogar während der Sommermonate aus. Der Bau der titanischen Anlage verschlang weitaus mehr Geld, als im Fünfjahresplan dafür vorgesehen war. Die Arbeiter, darunter viele der enteigneten Bauern, mußten heldenhaften Verzicht üben: In ihren ungeheizten Baracken herrschten im Winter oft 20 Grad unter Null, eisiger Wind blies Schneefontänen durch die schlecht abgedichteten Räume; Tausende erfroren. Auch am Ural ließ Stalin von 1929 an eine Industrie-Oase aus dem Boden stampfen: die Stahlstadt Magnitogorsk, eine monströse Ansammlung von Hochöfen in der Nähe einer großen Erzlager- Wasserkraftwerk am Dnjepr (1931): In 228 DER SPIEGEL 14/1994

229 Baustelle in Magnitogorsk (1929): Auch Erich Honecker schwang den Hammer den Wintermonaten auf dem Trockenen stätte. In den Stahlwerken dieser einen Stadt, so lautete die Vorgabe des Diktators, sollte jährlich so viel Stahl gegossen und gewalzt werden wie in ganz Großbritannien. Freiwillige aus dem Ausland, von der propagandistisch angeheizten Pionierstimmung mitgerissen, halfen die Fabriken hochzuziehen. Auch der junge Kommunist Erich Honecker schwang begeistert den Hammer. In den Augen Paltschinskis war Magnitogorsk eine krasse Fehlentscheidung. Es sei überflüssig, Stahlwerke in der Nähe von Erzgruben zu bauen, schrieb der Ingenieur in einem aufsehenerregenden Zeitungsartikel; viel wichtiger sei ein kostengünstiger Transportweg, etwa eine ganzjährig schiffbare Wasserstraße, um die Kohle zum Beheizen der Hochöfen herbeizuholen und um den fertigen Stahl fortzuschaffen. Von und nach Magnitogorsk, erläuterte Paltschinski, könne jedoch kaum ein effizientes Transportsystem aufgebaut werden. Bis heute ist Magnitogorsk ein düsteres, inzwischen veraltetes und unwirtschaftliches Industrieungetüm exakt das Gegenteil einer menschlichen Technik, wie sie Pjotr Paltschinski bis zu seiner Erschießung immer wieder gefordert hatte. Er blieb nicht der einzige Ingenieur, den Stalin wegen seines kritischen Engagements umbringen ließ. Tausende seiner Kollegen landeten Anfang der dreißiger Jahre im Gefängnis. Stets lautete die Anklage, siehätten versucht, sowjetische Fabrikanlagen zu sabotieren. Fast jeder dritte russische Ingenieur fiel der großen Säuberung in den Reihen der technischen Intelligenz zum Opfer. Der Terror machte die überlebenden Techniker gefügig, sie wurden zu Erfüllungsgehilfen der Machthaber, bereit, auch die unsinnigsten Vorhaben zu verwirklichen. Sie arbeiteten, wie Stalin es verlangte: als Schrauben in der großen Regierungsmaschine. Um den sowjetischen Technikern den letzten Funken Eigenständigkeit auszutreiben, unterstellte Stalin die bis dahin unabhängige Ingenieursausbildung direkt den einzelnen Industrieministerien. Die Fachbehörden, die ausschließlich ihre Planerfüllung vor Augen hatten, züchteten Fachidioten heran. Techniker schlossen ihr Studium mit einem Diplom als Kugellager-Ingenieur für Papiermühlen oder als Maschinenbau-Ingenieur in der Traktorenindustrie ab. Die ehedem bedeutende russische Ingenieurskunst verflachte. Bis zum Schluß aber blieb die herrschende Kaste blind in technische Großprojekte vernarrt, die immer aufs Neue die Überlegenheit des kommunistischen Systems beweisen sollten. Als systemtypische Fehlplanung erwies sich beispielsweise die unter Breschnew gebaute Baikal-Amur-Magistrale, eine 3000 Kilometer lange, kurvenreiche Eisenbahnlinie, die 16 große Ströme und sieben Gebirgspässe überquert und auf der bis heute so gut wie keine Züge fahren. Utopie blieb ein Anfang der achtziger Jahre geplantes Kanalsystem, das den Lauf der Ströme Sibiriens umkehren sollte. Die Flußverdrehung (geschätzte Kosten: 500 Milliarden Mark) hätte das fruchtbare Mittelasien bewässern sollen, um Rußland von den Nahrungssorgen zu befreien. Die Sowjetunion baute auch die größten Atomkraftwerke der Welt; meist standen gleich ein halbes Dutzend Reaktorblöcke an einem Fleck. Atomkraftwerke sind wie Sterne, die den ganzen Tag leuchten; über das ganze Land sollten wir sie aussäen : so dichtete 1980 einer aus dem Heer der Sowjetingenieure sechs Jahre bevor sich in Tschernobyl die hochfliegende Vision in einen Alptraum verwandelte. DER SPIEGEL 14/

230 Werbeseite Werbeseite

231 WISSENSCHAFT Fortpflanzungsorgan Kiemendarm Steinträger am Meeresgrund Die 2,5 Zentimeter große Seescheide ernährt sich von Nahrungspartikeln, die mit dem Meerwasser durch den Kiemendarm strömen. Giftige Substanzen lagern sich als Steine in der Niere ab, durch die sich auch der schlauchförmige Herzmuskel zieht. In der Niere siedeln Pilze, die ihrerseits von Bakterien bevölkert sind. Mit ihrer Hilfe werden die Nierensteine kontinuierlich abgebaut. Bakterium Kurios ist auch, wie sehr eine Seescheide ihre beachtlichen Fähigkeiten einbüßt, wenn sie erwachsen wird. Als Larve vermag sie noch pfeilschnell die Ozeane zu durchstreifen und besitzt ein Ortungsorgan, um jederzeit ihre Lage im Unterwasserraum zu ermitteln. Später jedoch verwandelt sich die flinke Larve in eine unförmige, dumpfe Knolle, die Zeit ihres Lebens als fauler Sack auf dem Meeresgrund verharrt. stra Chemicals GmbH, die deutsche Tochter des schwedischen APharmariesen AB Astra, galt ihren Eltern als problemloses Kind. Doch ausgerechnet in Deutschland, dessen staatliche Arzneimittelaufsicht bisher weltweit als lahm und lax gilt, kommt die Firma neuerdings ins Gerede, mit Antra, ihrem Lieblingsprodukt. Der Wirkstoff ist Omeprazol, eine preiswerte (aber patentgeschützte) Substanz. Mehr als 1,5 Milliarden Dollar haben die Schweden im letzten Jahr an dem Magen-Darm-Medikament verdient. Das Arzneimittel, Ende der achtziger Jahr in den Handel gebracht, als Kapsel oder als Ampulle zu haben, gehört zu den zehn bestverkauften Präparaten der Welt. So soll es bleiben, hoffen die Schweden. Unbestritten, so ihr Argument, sei Omeprazol ein therapeutischer Fortschritt. Das Medikament habe unzählige Patienten vor dem innerlichen Verblu- Schlauchherz Nierenstein Biologie Fauler Sack Eine US-Biologin erforschte ein kurioses Meerestier, in dessen Niere sich Steine bilden wie bei einem Menschen. Pilz ewöhnliche Fruchtfliegen findet Mary Saffo langweilig. Die Meeres- Gzoologin von der University of California in Santa Cruz bevorzugt Tiere, bei denen etwas nicht ganz in Ordnung ist. Ganz nach dem Geschmack der Forscherin ist eine Seescheide: ein nur wenige Zentimeter großes Tier, das aussieht wie ein prall gefülltes Säckchen, wie festgewachsen auf dem Meeresgrund ruht und Wasser ansaugt, um Nahrungspartikel herauszufiltern. Ein Geheimnis umgab bislang die Nieren der knolligen Schlürfer. Wie bei anderen Tieren hat das Organ die Aufgabe, den Körper zu entgiften. Entscheidender Unterschied: Die Seescheiden-Niere hat keinerlei Verbindung nach draußen das Organ gleicht einem Müllbeutel, der niemals entleert wird. Ein Ausscheidungsorgan ohne jegliche Leitungen und Öffnungen ist schon ein ungewöhnliches Ding, sagt Biologin Saffo. Weil Seescheiden also nicht Wasser lassen können, sind sie gezwungen, die giftigen Stickstoffverbindungen in Form von Nierensteinen zu deponieren. In ihrer chemischen Zusammensetzung gleichen diese natürlichen Ablagerungen verblüffend den Nierensteinen von Affen und Menschen. Bei den Seescheiden kommt es jedoch zu keinen schmerzhaften Koliken, ihr innerer Müllbeutel platzt auch nicht: So schnell, wie ein Nierenstein wächst, so schnell schrumpft er auf wundersame Weise auch wieder und verschwindet spurlos. Die US-Biologin hat dieses Rätsel offenbar gelöst. In den Nieren der Seescheiden stieß Saffo auf Pilze, die sich in verdächtiger Weise stets in der Nähe der Ablagerungen tummeln; und in den Zellen der Pilze entdeckte sie Bakterien. Die drei ungleichen Lebensformen, die nach Art einer russischen Puppe in der Puppe ineinanderstecken, bilden eine in der Natur einmalige Symbiose: Die gefräßigen Pilze und Mikroben haben, wie die US-Forscherin herausfand, die Fähigkeit, die Nierensteine zu verspeisen und die Abbauprodukte in ihren eigenen Stoffwechsel einzuschleusen. Im Gegenzug liefern sie der Seescheide Stoffe, die das Meerestier gut gebrauchen kann ein eingespieltes Recycling-Team. Fällt die Mithilfe von Pilz und Mikrobe aus, wie Saffo im Laborversuch zeigte, stirbt die Seescheide. Auch Humanmediziner interessieren sich jetzt für die bizarren Lebewesen. So gibt es bislang kaum ein verläßliches Modell für die Entstehung von Nierensteinen beim Menschen; denn in den Nieren von Laborratten bilden sich auf natürlichem Wege keine Kristallablagerungen. Aufklärung über die biochemische Verdauung der Nierensteine bei Seescheiden durch Pilze und Bakterien hilft womöglich, neuartige Medikamente zu entwickeln. Auch für die Seescheiden-Forscherin Saffo bleiben noch genügend Fragen offen. So umhüllen sich die Meerestiere mit einem schleimigen Mantel aus Zellulose, jenem Stoff, den sonst nur Pflanzen herstellen. Ebenfalls ungewöhnlich ist der Herzmuskel, der aussieht wie ein Gartenschlauch und genauso funktioniert: Weil die Seescheiden keine geschlossenen Gefäße haben, spült der Herzschlauch das Blut direkt in die verzweigten Körperhöhlen. Medikamente Viel hilft viel Macht das Magenmittel Antra, das innere Blutungen stoppt, die Empfänger blind und taub? Magenmittel Antra : Säure ruck, zuck auf Null DER SPIEGEL 14/

232 WISSENSCHAFT ten gerettet. Unter Ärzten, vor allem den tatkräftigen Doktoren auf Intensivstationen, hat die nordische Spezialität einen guten Ruf. Denn Omeprazol bringt die Sekretion der Magensäure ruck, zuck auf Null. Magensäure ist Salzsäure und von Natur aus so scharf, daß sie auch einen rostigen Nagel in kurzer Zeit blitzblank putzt. Bei Überproduktion kann die aggressive Chemikalie ebenso schnell ein Loch in die Schleimhaut von Magen oder Darm ätzen. Gefürchtete Folge: Aus eröffneten Adern blutet es. Kommt die Blutung nicht zum Stillstand, ist das Leben des Patienten bedroht. Bisher sind 19 Fälle bekanntgeworden, bei denen Patienten nach Omeprazol-Gabe Sehstörungen bis zur Erblindung erlitten. Einen kausalen Zusammenhang zwischen Medikament und Blindheit weist die Astra Chemicals GmbH jedoch entschieden zurück. In der Tat sind die kausalen Zusammenhänge im Einzelfall nicht sicher zu belegen. Beispiele: 2 der 19 geschädigten Patienten waren Verbrennungsopfer, deren Körperfläche lebensbedrohlich (zu 41 bis 49 Prozent) zerstört war; sie erhielten hoch dosiert Omeprazol aber zugleich noch mindestens 25 weitere Medikamente. Einer Frau, die an metastasierendem Brustkrebs litt und eine blutende Speiseröhrenentzündung bekam, spritzten die Ärzte Omeprazol. Die Schwerkranke sah Schleier und bald gar nichts mehr wegen des Wirkstoffs oder als Folge der krebszellhemmenden Medikamente? Vier Tage später war sie tot. Daß die schwedische Arznei mit zahlreichen Nebenwirkungen einhergehen kann, räumen deren Hersteller ein. Kopfschmerzen, Durchfall, Blähungen, Hautausschlag, gelegentlich auch Halluzinationen und Geschmacksveränderungen sind auf dem Beipackzettel erwähnt. Vereinzelt, sagt Astra, wurde auch über Schleiersehen berichtet; diese Erscheinungen, so der Trost, waren reversibel. Wohl nicht bei jedem Patienten. So berichtet das unabhängige Arznei-Telegramm des Berliner Pharmakritikers Ulrich Moebius von einem 58jährigen Mann, der an chronischer Bauchspeicheldrüsenentzündung litt. Schon am Tage, als ihm zum erstenmal Omeprazol intravenös gespritzt wird, klagt er über Schleiersehen, vier Tage später kann er bei fast völliger Blindheit nur noch hell/ dunkel unterscheiden. Die Blindheit läßt sich therapeutisch nicht beeinflussen. Eine irreversible Schädigung des Sehnervs, sagt Moebius, lag dem Ausfall des Augenlichts zugrunde. Die Vermutung, daß Omeprazol nicht nur diesen Nerv attackieren kann, wird durch vier Fälle von Hörschädigungen bis zur Taubheit nahegelegt. Allen die- 232 DER SPIEGEL 14/1994

233 WISSENSCHAFT sen Kranken war wegen ihrer inneren Blutungen das Medikament verabreicht worden. Zwar rät der Hersteller den Ärzten, sich pro Ampulle mindestens zweieinhalb Minuten Zeit zu lassen, doch ist so ein Rat in der Hektik der Intensivstation nicht immer zu beherzigen. Ohnehin neigen die dort tätigen Ärzte zu Wagemut. Omeprazol dosieren sie bis zu sechsfach höher, als die Firma empfiehlt, getreu der Ärzte-Hoffnung viel hilft viel. Dem deutschen Bundesgesundheitsamt (BGA) ist das gar nicht recht. Es liegt die Annahme nahe, so die Oberbehörde, daß die unerwünschten Wirkungen durch die Konzentration des Arzneistoffs in den Blutgefäßen der betroffenen Sinnesorgane bestimmt sind. An der Hochkonzentration ist die Herstellerfirma nicht unschuldig. Einerseits empfiehlt Astra selbst bei schwerstkranken Patienten nur einmal täglich eine Spritze mit 10 bis 20 Milligramm Wirkstoff. Andererseits vertreibt sie als kleinste Menge eine Ampulle, die 40 Milligramm enthält. Zur Abwehr von Arzneimittelrisiken will das BGA die Zulassung für die intravenöse Astra-Arzneiform jetzt widerrufen. Drei Wochen Zeit sind der schwedischen Tochter für eine Stellungnahme eingeräumt worden; die Hersteller schickten mittlerweile vier Umzugskartons voll mit Papieren. Das Berliner Amt, nach der Seehoferschen Teufelsaustreibung um Tempo und Effizienz bemüht, hat aber noch mehr Wünsche. Es verlangt von dem weltweit operierenden Pharmakonzern folgende Unterlagen : Eine Liste aller Ihnen national und international aus der Spontanerfassung bekanntgewordenen Verdachtsfälle von unerwünschten Wirkungen (UAW) von Omeprazol, unabhängig von Ihrer Beurteilung des Kausalzusammenhanges. Führen Sie jeweils die Anwendungswege, die eingesetzten Formulierungen, die Dosis und die Dauer der Anwendung, den Zeitpunkt des Auftretens der UAW und den Ausgang auf. Diese Bitte muß die Schweden nervös machen, zielt sie doch über die umstrittenen Ampullen hinaus direkt auf die Kapseln. Die sind das eigentliche Geschäft; 15 Kapseln kosten in deutschen Apotheken 93,43 Mark. Dem Pharmawächter Moebius, der über ein computerisiertes Netzwerk der gegenseitigen Information (von Ärzten) herrscht, liegen über Sehstörungen, Blindheit, Hörstörungen und Taubheit im Zusammenhang mit Omeprazol-Gaben schon Hinweise aus Ländern vor, in denen das Präparat überhaupt nur als Kapsel zu haben ist. DER SPIEGEL 14/

234 P E R S O N A L I E N enning Scherf, 55, Justiz- Hsenator im Stadtstaat Bremen, scheiterte mit dem Versuch, Gerichtsakten von Ballast zu befreien. Auf 13 Seiten verbreitete sich der stets etwas s-teif wirkende Politiker in der Senatsvorlage 116/94 über die Sprachliche Gestaltung von Gesetzen und Verordnungen unter dem Gesichtspunkt der maskulinen und femininen Personenbezeichnungen in der Rechtssprache. Um eine psychologisch wirksame Benachteiligung von Frauen durch Verwendung des generischen Maskulinums auszuschließen, sollten künftig geschlechtsneutrale Begriffe verwendet werden. Beispiel: Studierende statt Studentinnen und Studenten. Solche Paarformeln wie Studentinnen und Studenten oder Beamtinnen und Beamten, so Scherf, belasten die deutsche Rechtsprechung, weil ihre Verwendung Gesetzes- und Verordnungstexte verdickt und sie noch schwerer lesbar macht. Die Vorlage wurde allerdings im Bremer Senat nicht akzeptiert. Das Frauenressort fordert eine feministischere Lösung des Verdickungsproblems. douard Balladur, 64, fran- Ezösischer Premierminister, versteht in Sachen Kunst keinen Spaß. Eine überlebensgroße Skulptur des Politikerkopfes wurde aus der Galerie de la Présidence in Paris entfernt die Anweisung kam aus dem Büro des Regierungschefs. Der Bildhauer Georges Oudot, 65, der den Gipskopf angefertigt hatte, nannte als Grund, die Plastik sei zu Balladur-Skulptur, Oudot Pinabarsi fragil gewesen und könnte beschädigt werden. Die französische Nachrichtenagentur AFP behauptete, Balladur habe jeden Anschein von Personenkult vermeiden wollen. Doch das Kunstwerk hatte den Zorn des Politikers geweckt, weil das französische Fernsehen Balladurs bronzierten Schädel mit Häme überschüttete und die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné in scheinbarer Verzweiflung feixte: Was für eine Arbeit, das erhabene Gesicht Seiner Verbindlichen Arroganz in Gips zu formen! rince Charles, 45, briti- Pscher Thronfolger, der wegen seiner konservativen Ansichten zum modernen Städtebau von Architekten Schelte bezog, erntet erneut Tadel. Diesmal geht es um den Titel der von Charles herausgegebenen Hochglanzzeitschrift Perspectives on Architecture, die jetzt erstmals erschien. Die Royal Society of Ulster Architects beschuldigte die Königliche Hoheit prompt des geistigen Diebstahls. Bereits im September Prince-Charles-Zeitschrift 1992 hatte die Gesellschaft eine Architekturzeitschrift mit dem Titel Perspectives herausgebracht. Vor dem Start des zünftlerischen Architekturmagazins hatte Chefredakteur Frank Mc- Closkey den Prinzen um einen Beitrag gebeten. Der Thronfolger lehnte damals ab. Doch der Titel muß ihn, so McCloskey, im Unterbewußtsein beeindruckt haben, um es freundlich auszudrükken. An den Buckingham- Palast gerichtete Einwendungen zur verblüffenden Titelgleichheit blieben unbeantwortet. Perspectives-Her- ülay Pinabarsi, 24, türkisches Topmodel, Gbrauchte, wie die islamistische Wohlfahrts- (Refah-)partei, ihren Einsatz im Wahlkampf nicht zu bereuen. Die Dame hatte sich ihre Brust operativ vergrößern lassen und war nach dem Eingriff zum gesuchten Model für erotische Dessous avanciert. Auch die Refah fand an ihr Gefallen. Bedacht auf einen liberalen Anstrich ihrer Partei, warben die Refah-Organisatoren Gülay Pinabarsi als Wahlhelferin an. Mit züchtig verhülltem Haupt und in der Gewißheit, daß sie damit ihr wahres Selbst gefunden habe, machte das Model für Allah und die Wohlfahrtspartei Von-Tür-zu-Tür-Wahlwerbung. Die Refah wurde am vergangenen Sonntag bei den Kommunalwahlen in der Türkei drittstärkste Partei und konnte ihren Stimmenanteil auf 18 Prozent verdoppeln. ausgeber McCloskey: Wir fühlen uns brüskiert, mißachtet und verletzt. adeleine Petrovic, 37, M Fraktionsvorsitzende der Grünen im Wiener Parlament, fordert Gleichbehandlung der Frauen auf allen Gebieten auch im Text der österreichischen Bundeshymne. Dort ist einstweilen nur von Männern die Rede, obwohl der Text von einer Frau stammt, der Dichterin Paula von Preradovic. Heimat bist du großer Söhne, heißt es da, oder: einig laß in Brüderchören, Vaterland, dir Treue schwören. Die grüne Abgeordnete will solche Frauenverachtung nicht länger hinnehmen. Gemeinsam mit vier weiteren grünen Parlamentarierinnen brachte sie einen Entschließungsantrag im Nationalrat ein: Diese Bundeshymne mißachtet die Würde aller Staatsbürgerinnen, Österreich ist ebenso reich an großen Töchtern. Der Text der Hymne sei derart zu verändern, daß frauendiskriminierende Passagen nicht mehr vorkommen. 234 DER SPIEGEL 14/1994

235 Kunst macht mir Freude McEnroe ohn McEnroe, 35, amerikani- Jscher Tennisstar, versucht sich in einer neuen Rolle. Der wegen seiner Wutausbrüche und kindischen Flegeleien auf allen Tennisplätzen der Welt gefürchtete Crack hat im New Yorker Künstlerviertel SoHo eine Galerie eröffnet. Fragen, was er denn von Kunst verstehe, beantwortet der Profi mit einem Schulterzukken: Ich liebe die Kunst, sie macht mir Freude. In einigen Jahren hofft der offenbar erwachsen gewordene Vater dreier Kinder, anerkannter Kunsthändler zu sein. Die ersten Erfahrungen mit dem Metier machte McEnroe vor fünf Jahren. Während einer Spielpause besuchte er in Los Angeles Kunstgalerien. Ein Bild eines modernen Malers gefiel ihm besonders. Es sollte Dollar kosten. Wenn er 10 oder 15 Prozent runterhandeln könnte, so dachte der Tennis-Multimillionär, dann hätte er einen guten Handel gemacht. McEnroe bot dem Kunsthändler Dollar. Der verlangte Bezahlung bis spätestens zum Ende der Woche, und der Tennisprofi verließ zufrieden den Laden: Good deal. Recherchen über den Künstler und seine Bilder aber ergaben: Noch nie war für eine seiner Arbeiten mehr als Dollar bezahlt worden. McEnroe verzichtete auf den Kauf, wenngleich mit schlechtem Gewissen. Ich hatte das Gefühl, als ob ich eine Vereinbarung gebrochen hätte. Doch Kunsthändler McEnroe nimmt seinen ersten Kontakt mit dem Kunsthandel positiv: Kein guter Start, aber ich bekam einen Eindruck davon, was in der Welt der Kunst alles möglich ist. heo Waigel, 54, Bundes- Tfinanzminister, ermuntert als CSU-Vorsitzender zu Spenden mit dem Hinweis auf erbrachte Vorleistungen. In einem Bittbrief an potente Geldgeber der Wirtschaft pochte der Christsoziale darauf, daß es unter maßgeblicher Beteiligung der CSU gelang, den Spitzensatz der Einkommensteuer für gewerbliche Einkünfte zu senken und die Abschreibungen auf bewegliche Wirtschaftsgüter auf hohem Niveau zu erhalten. Ohne Quellenangabe erbat sodann der Minister mit dem (alten FDP-Wahl-)Motto Leistung muß sich lohnen, einen Obolus nach Ihrer persönlichen Einschätzung. Gore (1992, 1994) ipper Gore, 45, Frau des Tamerikanischen Vizepräsidenten Al Gore, arbeitet hart an sich selbst. Seit Amtsantritt im Januar 1993 hat die Amerikanerin 13 Kilogramm abgenommen; nicht durch aufreibende Repräsentation, hauptsächlich durch stundenlanges tägliches Joggen. Überdies ist die agile Dame eine Anhängerin von Cindy Crawfords Video-Gymnastik und verbringt manche Stunde auf einem Gerät, mit dem schweißtreibend und bauchglättend eine Art Ski-Langlauf-Bewegung imitiert werden kann. Manchmal wird aus dem sportlichen Streben sozialer Ernst. So, als die Freizeitsportlerin beim täglichen Joggen einen Obdachlosen zusammengekrümmt auf einer Parkbank liegen sah. Während der mitlaufende Vize weiter sein Pensum joggte, brachte die um ihr Gewicht besorgte Tipper Gore dem Fremden eine Suppe. DER SPIEGEL 14/

236 NACHRUF Eugène Ionesco 1912 bis 1994 r hatte das Gesicht eines Clowns, so eine Mischung aus EHitchcock und Grock. Und er galt, in der Blüte seiner Schaffensjahre, als reaktionär, weil er gegen den allgemeinen Strom schwamm, der die Menschheitsbeglückung wissenschaftlich fundiert auf dem Marsch ins Morgen sah. Marschierende im Gleichklang waren ihm ohnehin zuwider, und gegen das Glück der Utopie setzte er die Gewißheit des Todes. Eugène Ionesco, der 1912 in Rumänien (genauer: in der Walachei) geborene Wahlfranzose, der 1938 mit einem rumänischen Stipendium nach Paris emigrierte, um sich dort heimisch niederzulassen, war ein Spielverderber. Ein spielender Spielverderber auf dem Theater. Er bildete Vorhut und Gipfel einer mächtigen (auch modischen) Theaterrichtung, die man bald das absurde Theater nannte. In seinem Hauptberuf wurde Ionesco so der mächtigste Antipode. Nämlich der Antipode zu Bert Brecht, der nicht müde wurde, die Veränderbarkeit und sinnvolle Verbesserung der Welt zu predigen. Ionesco hielt dagegen. Er glaubte, daß er nichts glaubte. In seinem Stück Die Stühle von 1952 erscheint am Schluß der lang erwartete Redner, der die Erleuchtung bringen soll, und läßt mit Krächzen und Stöhnen all die Kehllaute eines Stummen ertönen: He, mme, mm, mm, dsche, gu, hu, hu, he, kr, krr. Das war Nonsens, das war absurd, das war die Düpierung aller Erwartungen, es gebe Welterklärungen, Heilsgewißheiten. Wir wissen inzwischen, daß der Sinn, den Brecht in der Geschichte sah, (utopisch verbrämter) Unsinn war und der Unsinn, den Ionesco dem entgegensetzte, schon absurden Sinn machte. Ionescos erstes Stück, Die kahle Sängerin von 1950, ist zunächst ein Witz. Schon der Titel war ein Witz: Wie geht es der kahlen Sängerin? Sie trägt noch immer die gleiche Frisur. Ionesco, der sich als Korrektor und Sprachlehrer in seiner Wahlheimat durchschlagen mußte, hat im Dialog zweier Wildfremder, die am Schluß erkennen und logisch deduzieren, daß sie miteinander verheiratet sind, Sprachführer parodiert nicht unähnlich wie Tucholsky in seinem Deutsch für Amerikaner. Aber: Ionescos blödelnder Dialog hatte von Anfang an Löcher, durch die man in einen unendlichen Abgrund, in eine schwarze Fremde und Leere blickte: in den Tod. Insofern war Ionesco ein scheinbar heiterer Vetter Becketts, der es aber in Wahrheit genauso ernst nahm. Und der Erfolg hatte: Seine Kahle Sängerin lief in einem Winz- Theater in der Rue de la Huchette jahrzehntelang (zusammen mit der Unterrichtsstunde in Vorstellungen) und verschliß mehrere Besetzungen ein ähnliches Kunststück ist Agatha Christie mit ihrem Krimi-Boulevard Die Mausefalle in London geglückt. Später gelangte der Absurdist aus den Kellertheatern und Avantgarde-Dependancen der Studiobühnen und Antitheater auf die großen Bühnen der großen Häuser. Das geschah in Deutschland, wo sich vor allem das Düsseldorfer Schauspielhaus Ionescos annahm. Jetzt mußten größere Stücke her. Abendfüllend und mit umfassenden Themen: Das erfolgreichste war Die Nashörner (1959), in dem Ionesco kollektive Ansteckungen als plurale Verballhornung des Menschen, als dumme Verrohung darstellt: Der Brecht-Gegenspieler hatte eine Brecht-Parabel geschrieben aber sie warnte das Individuum vor dem Kollektiv und dessen Wahn. Ionesco schuf seinen Theaterjedermann Behringer, der durch den absurden Weltuntergang stolperte, reiner Tor und skeptischer Weiser in einem. Ionesco war zum Totentanzautor gereift. Jetzt ist er, der uns keine Hoffnung hinterlassen wollte und konnte und der uns doch spielend die Zeit vertrieb, 81jährig in Paris gestorben. 236 DER SPIEGEL 14/1994

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238 4. bis 10. April MONTAG Uhr ARD Donald Duck auf Schatzsuche Seit Dagobert hierzulande auf Millionenjagd geht, hält es auch seinen Neffen nicht mehr in Entenhausen: An den Gestaden von Lanzarote sucht der Pechvogel nach einem Piratenschatz. Die Kripo brauchen Donalds Ticks, Tricks und Knackse nicht zu scheren: Der Gelbschnabel ist vollkommen harmlos Uhr Pro 7 Ein Käfer auf Extratour Dudu heißt der Wunder- VW, Jimmy Bondi der Held und Manta Manta das Zielpublikum dieser deutschen Klamotte von Uhr Premiere Imagina 94 Der Hamburger Pay-TV- Sender ist Sponsor des Computergrafik-Festivals in Monte Carlo. Wenn der Beitrag an einen Werbefilm erinnert, ist das daher nur natürlich Uhr ARD Die letzten Nashörner von Ngorongoro Wilderer, auf Beschaffungstour für Männerträume von ewiger Potenz, dezimierten die Bestände des Spitzmaulnashorns innerhalb von nur zehn Jahren um 90 Prozent. Eine kleine, aber intakte Restpopulation lebt im Ngorongoro-Krater (Tansania) und wurde dort von Reinhard Künkel zwölf Monate lang beobachtet. F E R N S E H E N Ich klage an -Szenenfoto mit Heinz Hoenig, Wied Uhr Sat 1 Ich klage an Eines der düstersten Kapitel der DDR-Geschichte, die menschenräuberischen Zwangsadoptionen des Stasi- Staates, zeigen Klaus Poche (Buch) und Frank Guthke (Regie) in diesem eindrucksvollen Zweiteiler (Teil 2: Mittwoch, Uhr). Wie ein Ehepaar (Thekla Carola Wied, Peter Sattmann) beinahe daran zerbricht, daß der dreijährige Sohn während eines Harz-Urlaubs auf mysteriöse Weise verschwindet, setzt der Film sachlich und ohne peinliche Sentimentalität ins Bild Uhr RTL Kindergarten Cop Wenn Muskeln spielen: In Ivan Reitmans Komödie (USA 1990) spielt Arnold Schwarzenegger einen ultraharten Polizisten, der sich bei der Jagd nach einem Drogendealer vorübergehend als Kindergärtner tarnen muß. Nach kurzem Kräftemessen gehorcht die Rasselbande seinem Pfiff, trabt als Hilfssheriff-Truppe im Gleichschritt, und das Ganze ist auch noch lustig. DIENSTAG Uhr ZDF Elbflorenz Spring, mein Sachse, spring davon Serienwessis haben sich mal wieder eine schöne Geschichte ausgedacht: Ein Ostpaar (Uta Schorn, Günter Schubert) eröffnet einen frisch renovierten Gasthof in der Sächsischen Schweiz, da kommen zwei Westverwandte (Karin Eickelbaum, Karl Michael Vogler) und machen Ärger mit Erbansprüchen Uhr ORB Raumfahrt unter Hammer und Sichel Als eine Geschichte voller Glanz und Elend beschreibt diese zweiteilige Dokumentation (2. Teil am Mittwoch, Uhr) die sowjetische Raumfahrt. Bislang unbekanntes Archivmaterial und Äußerungen von Zeitzeugen eröffnen neue Einblicke in die abgeschirmte Welt des militärisch-industriellen Komplexes Uhr ARD Liebling Kreuzberg 13. und letzte Folge. So erfolgreich war selten eine Serie der ARD auf dem Dienstagabendplatz (acht Millionen Zuschauer). Hudson Hawk -Szenenfoto Uhr ZDF Ins Herz der Finsternis Mein Film handelt nicht von Vietnam, erklärte Francis Ford Coppola 1979 auf dem Cannes-Festival über sein Kriegs-Epos Apocalypse Now, mein Film ist Vietnam. Die Dreharbeiten ähnelten sehr dem Kampf der Soldaten: Wir waren zu viele, hatten zuviel Geld und zuviel Ausrüstung zur Verfügung und nach und nach wurden wir verrückt. Coppolas Frau hat die Reise in den Wahnsinn mit einer 16-Millimeter-Kamera begleitet, 1991 montierten Fax Bahr und George Hickenlooper daraus diese spannende Dokumentation über den Film als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. MITTWOCH Uhr ZDF Scheidungskriege Nicht nur als Detektiv-Macho ist Tom Selleck ein Magnum. In diesem Film (USA 1981, Regie: Donald Wrye) spielt der Beau einen Scheidungsanwalt, der sich während der Trennung von seiner Familie genauso rachsüchtig verhält wie seine Klienten. Ein bemerkenswert intelligentes Drama nannte die US-Kritik den Film Uhr RTL Hudson Hawk Der Meisterdieb Ein Schurkenpärchen zwingt einen Meisterdieb im Ruhestand (Bruce Willis), sein Retiro zu verlassen und Leonardo-Kunstwerke zu klauen, die zur Rekonstruktion einer Maschine gebraucht werden, die aus Blei Gold macht. Richtig: Die Story ist Blech, der Film (USA 1991, Regie: Michael Lehmann) wurde ein Flop. 238 DER SPIEGEL 14/1994

239 M E D I E N Glaskinn: Zwischen RTL- Chef Helmut Thoma und der auflagenstarken Bild am Sonntag (BamS) gibt es einen erbitterten Kleinkrieg. Mitte März hatte das Springer-Blatt in großer Aufmachung ( RTL ein Riese wankt ) über Krisensymptome im Kölner Fernsehsender berichtet, nachdem RTL im Januar und Februar die Marktführerschaft an das ZDF abgeben mußte Uhr 3Sat Viva Zapata! Emiliano Zapata ist nicht tot, sagten mexikanische Bauern über den Volkshelden und Revolutionär, der 1919 einem Attentat zum Opfer fiel. Er ist in den Bergen, und wenn wir ihn brauchen, wird er zurückkehren. John Steinbeck (Buch) und Elia Kazan (Regie) haben versucht, die Prophezeiung zu erfüllen: Ihr Zapata sieht aus wie Marlon Brando. DONNERSTAG Uhr Arte Gemeinsam gegen Aids Ein kleines Fernsehwunder: Alle französischen Sender haben sich für diese Live-Übertragung zusammengetan, die eine bessere Information über die Krankheit, eine bessere soziale Integration der HIV- Positiven und die Bildung von Fonds für Aids-Forschung und Aids-Hilfe zum Ziel hat. FREITAG Uhr ZDF So ein Hundeleben Bello Freud: Immer häufiger übernehmen Hunde für ihre Halter die Rolle eines Therapeuten Tierschützer und Psychologen halten das gleichermaßen für nicht artgerecht Uhr Sat 1 Die nackte Kanone 2 1/2 In Deutschland würde der Staatsanwalt einen solchen Film (USA 1991) verbieten. In den USA schlägt Chaos- sches TV-Programm aus, das für deutsche Lazarette und die rund tausend Fernsehgeräte bestimmt war, die damals in Frankreich existierten Uhr Dritte Programme Talkshows Freitag abends rufen die Dritten zum großen Palaver: entweder mit Überraschungsgästen (West III), mit Prominenz (Nord III / Hessen III / ORB) oder mit Themen: Auf Südwest III wird von Uhr an Last und Lust Thoma Springers Majestätsbeleidigung (RTL-Sprecher Richard Mahkorn: Der Artikel trieft vor Bösartigkeit ) beantwortete Thoma mit der Stornierung von Anzeigen für Springer-Blätter und einer vollen Breitseite gegen BamS-Chefredakteur Michael Spreng. Der Journalist habe sich, enthüllte der Fernsehmanager, über Mittelsmänner als Chefredakteur bei RTL beworben und sei vielleicht böse, weil ich nicht reagiert habe. Der attakkierte Boß der Bild am Sonntag dementiert das rundweg als Wiener Schmäh unterster Stufe. Thoma könne Kritik nicht vertragen: Der hat ein Glaskinn. Dem RTL-Boß muß nicht bange sein: Im März lag der Kölner Sender mit einem Marktanteil von 19,2 Prozent wieder klar in Führung, gefolgt vom ZDF (16,1), von der ARD (16,0) und Sat 1 (15,7) Uhr ARD Alles Glück dieser Erde Das Erste kommt in die Hufe: In Friedhelm Werremeiers neuer zwölfteiliger Serie geht es um edle Vierbeiner und ihre zweibeinigen Begleiter Uhr RTL Sexuell belästigt... können sich Zuschauer auch beim normalen RTL- Programm fühlen. Dazu braucht es nicht diesen durchschnittlichen TV-Film (USA 1993). Szenenfoto Nielsen Cop Frank Debrin (Leslie Nielsen) der First Lady die Klotür ins Gesicht und wird wie ein Volksheld gefeiert Uhr Arte Cognacq-Jay Kurt Heyzmann (Mathieu Carrière), ein Leutnant der Wehrmacht, hat von der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich erreicht, im okkupierten Paris einen Fernsehsender betreiben zu dürfen. Dieser französische Fernsehfilm von Laurent Heynemann spielt in den letzten drei Tagen des Senders im August 1944: Die letzte große Übertragung soll ein Bravourstück werden, die Schicksale all jener, die in dem Studio Unterschlupf gefunden haben, treten hervor. Der Film beruht auf historischen Tatsachen: Auf Befehl der Deutschen strahlte Cognacq-Jay während der Besatzung ein deutsch-französi- des Erbens erörtert, und Bayern III widmet sich um Uhr der Frage: Spätes Mutterglück ab 40 noch schwanger? Uhr Pro 7 Caged Heat Barbara Steele, weiblicher Star des Vampirklassikers Die Stunde, wenn Dracula kommt (1961), war mit ihrem wahnsinnigen Blick die unangefochtene Horror- Queen der sechziger Jahre. Jonathan Demme ( Das Schweigen der Lämmer ) ist unter den Regisseuren, die sich aufs Erschrecken spezialisiert haben, die horrorigste Gestalt der Gegenwart. Einmal sind die beiden sich begegnet: In Demmes feministischem Frauengefängnisfilm (USA 1974), seinem Regiedebüt, spielt Steele die Rolle der verbitterten, an den Rollstuhl gefesselten Gefängnisdirektorin. DER SPIEGEL 14/

240 F E R N S E H E N Douglas, Close SAMSTAG Uhr 3Sat Kunst konträr konträr Kunst ZDF-Volontäre zeigen, was ihr Sender ihnen beigebracht hat: Vier Beiträge sollen klären helfen, was Kunst eigentlich ist. So was kann man nur auf dem Lerchenberg lernen Uhr Pro 7 Eine verhängnisvolle Affäre Ein verheirateter Mann (Michael Douglas) steigt mit der Falschen (Glenn Close) ins Bett und wird die Geliebte nicht mehr los: Sie verfolgt ihn, quält, nervt, entführt sein Kind, um Liebe zu erpressen. Das Kinopublikum forderte dafür eine drastische Bestrafung: Das vom Regisseur Adrian Lyne ursprünglich favorisierte Ende, bei dem die Ehebrecherin sich zu den Klängen von Puccinis Madame Butterfly die Kehle durchschneidet, fiel bei Testvorführungen durch. Lyne produzierte daraufhin eine neue Version (USA 1987), in der der geschändete Ehemann die Furie regelrecht niedermetzelt. Das kam besser an Uhr ARD Mörderischer Vorsprung Fluchend muß der FBI- Agent Warren Stantin feststellen, daß ihm der eiskalte Killer Steve entwischt ist. Wahrscheinlich versucht er, mit einer Gruppe von Sportanglern über die Berge nach Kanada zu entkommen. Gemeinsam mit dem Freund der Bergführerin nimmt Stantin die Verfolgung auf. Sidney Poitier, Tom Berenger und Kirstie Alley sind die Protagonisten in diesem spannenden Thriller (USA 1988, Regie: Roger Spottiswoode) Uhr Bayern III Die Marseillaise Nüchtern wie eine Wochenschau inszenierte Jean Renoir 1938 die Ereignisse der Französischen Revolution. Die Süddeutsche Zeitung begeisterte gerade das: Dieser Film ist so sehr Utopie, genauer: so durchdrungen von deren Geist, daß er vom kläglich ausgepinselten Bild einer besseren Zukunft himmelweit entfernt ist Uhr RTL RTL Samstag Nacht Nacht muß es sein, damit in Köln die Sterne strahlen: Die jungen Jecken um Mirco Nontschew, Esther Schweins und Wigald Boning gehören zum Besten, was deutscher TV-Humor derzeit zu bieten hat. Heute ist Rudi Carrell zu Gast. SONNTAG Uhr Sat 1 Kinder-Einspruch Warum soll es die Jugend besser haben? Ulrich Meyer präsentiert seine Krach-Show als Kid-Format. Thema: Chaos im Kinderzimmer. Einspruch zwecklos Uhr Sat 1 Cat Ballou hängen sollst du in Wyoming Irgendwann will jeder Schauspieler mal sein eigenes Image aufs Korn nehmen. Lee Marvinlegte indieser Westernparodie (USA 1965, Regie: Elliot Silverstein) so genau an, daß er mit einem Schuß zweimal einen Volltreffer landete: Er brilliert in einer Doppelrolle, in der er zwei Revolvermänner darstellt Uhr ZDF ML Mona Lisa Frauen und Finanzen: Geld allein macht nicht glücklich. Liebe Göttin, wie wahr Uhr Bayern III Die Geierwally Wenn Skinheads und Neonazis einigermaßen authentisch porträtiert werden (wie in Stau jetzt geht s los oder Beruf Neonazi ), schlagen die Wellen der Empörung hoch. Da greift der Bayerische Rundfunk lieber auf altbraune Originale zurück: Der Hitler-Fan Hans Steinhoff inszenierte 1940 diese Verfilmung des gleichnamigen Romans von Wilhelmine von Hillern, die nicht frei von der damals herrschenden Blut-und-Boden-Ideologie ist. Erträglich Hatheyer ist der Film von der spröden Hoferbin zwischen Vernunftehe und stolzem Jäger wegen der bestechenden Landschaftsfotografie (Kamera: Richard Angst) und wegen der schauspielerischen Leistung Heidemarie Hatheyers Uhr MTV Headbanger s Ball Wem der eigene Kopf zum Mitmachen zu schade ist, kann zumindest aus sicherer Distanz zuschauen. Vanessa Warwick, die stets aussieht wie ein schlecht geschminkter Rock n Roll-Zombie, dessen Friseur arbeitsunfähig ist, präsentiert das Neueste aus der Heavy-Metal-Szene. DIENSTAG Uhr Sat 1 SPIEGEL TV REPORTAGE Kalli, der Meyer-Lansky von Paderborn ein ehemaliger Zuhälter plaudert über sein Leben, sein Verhältnis zu Frauen, zum Geld und über seine Vorbilder: den New Yorker Gangsterboß und Jesus Christus. MITTWOCH Uhr Vox SPIEGEL TV THEMA Der Schriftsteller Gregor von Rezzori im Gespräch mit Hellmuth Karasek. FREITAG Uhr Vox SPIEGEL TV INTERVIEW Mit Eckart Witzigmann, dem Koch des Jahrhunderts, spricht Sandra Maischberger in seinem Eß-Tempel Aubergine in München über die Kunst des Kochens und die Kokain-Affäre. SONNTAG Uhr RTL SPIEGEL TV MAGAZIN Marktbereinigung nach Euro-Norm die Schweinepest in Niedersachsen / Blutspur Mannheim Lublin eine Mörderbande auf dem Weg zur kriminellen Vereinigung / Menschenversuche an Frühgeborenen? eine Ärztin im Kampf gegen die Apparatemedizin. 240 DER SPIEGEL 14/1994

241 Werbeseite Werbeseite

242 HOHLSPIEGEL Aus der Hersfelder Zeitung: In Niedersachsen getötete Schweine dürfen nach einer Entscheidung der Europäischen Union nicht lebend außer Land gebracht werden. Für bereits geschlachtete Tiere gilt dieses Verbot nicht. Aus der Berliner Zeitung Aus der Heilbronner Stimme Aus der Focus-Kino-Hitliste Aus der Rhein-Neckar-Zeitung Zitat RÜCKSPIEGEL Die Süddeutsche Zeitung zum SPIEGEL- Gespräch mit Roman Herzog über seine Chancen und die Rolle des Staatsoberhaupts in Nr. 13/1994: Was die Wahl betrifft, so betreibt Herzog ziemlich offen Eigenwerbung. Da er so gut rechnen kann wie sein Parteifreund Helmut Kohl, weiß er, daß die Union in der Bundesversammlung keine erdrückende Mehrheit hat. Stimmen ihre Wahlmänner geschlossen für Herzog, wird es schwer sein, ihn in den weiteren Wahlgängen zu verhindern. Die treuherzige Versicherung des Kandidaten, er werde nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn er seine Wahl ausschließlich den Republikanern zu verdanken hätte, richtet sich an die FDP. Er signalisiert ihr, daß sie ihm schon eine ausreichende Zahl von Stimmen geben muß, will sie einen Eklat verhindern. Der SPIEGEL berichtete in Nr. 51/1992 DROGEN LEBENS- GEFAHR FÜR FIXER DURCH BERUHI- GUNGSMITTEL über die gefährlichen Auswirkungen des Beruhigungsmittels Rohypnol. Das Hamburger Ärzteblatt berichtet dazu in seiner neuesten Ausgabe: Nach einer Reihe von Veröffentlichungen in der Publikumspresse, in deren Folge es zu einem Einbruch der Verkaufsziffern kam, zog Hoffmann-La Roche die Notbremse: Um einen weiteren Imageverlust zu verhindern und um die absehbare Aufnahme der hochkonzentrierten 2mg- Tablette in die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (Btm-VV) zu umgehen, ließ der Pharmakonzern in wenigen Monaten eine 1mg-Zubereitung des umstrittenen Medikaments vom Bundesgesundheitsamt zulassen, die seit dem 1. Dezember 1993 auf dem Markt ist.... in Nr. 47/1993 KINDERARBEIT SKLAVEN DER ARMUT unter anderem über den Zusammenhang zwischen Teppichen, die von Europas populärster Möbelhauskette verkauft werden, und in Pakistan arbeitenden Kindern. Aus dem Guardian Nun verbreitete das schwedische Fernsehen erstmals die Nachricht, daß Ikea Teppiche aus Pakistan verkauft, die dort von Kindern in Sklavenarbeit hergestellt werden, und belegte dies mit aufrüttelnden Bildern. So wurde dem TV-Team erklärt, daß man die Kinder schon mal schlagen und festketten müsse, falls sie die 12- bis 14stündige Arbeitszeit nicht schaffen könnten. 242 DER SPIEGEL 14/1994

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