Leseprobe aus Höfler, Mein Sommer mit Mucks. In Einfacher Sprache, ISBN Gulliver in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel
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- Hedwig Hertz
- vor 6 Jahren
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1 Leseprobe aus Höfler, Mein Sommer mit Mucks. In Einfacher Sprache, ISBN isbn=
2 1 Männliche Elefanten sind Einzel gänger. Jedenfalls die, die in Afrika leben. Genau wie Giraffen, Igel und Streifen hörnchen. Sogar der Blauwal ist ein Einzel gänger. Also, warum nicht auch ich? Meistens denke ich, meine Eltern sind daran schuld. Wer nennt sein Kind schon Zonja. Mit Z. Wer Zonja heißt, muss einfach einsam wie ein Blauwal umherziehen. Der Name Sonja ist eine liebevolle Form von Sophia. Sophia bedeutet weise Frau. Aber Zonja, mit Z: Das klingt nach einer Prinzessin aus einer fernen Galaxie. Vielleicht liegt mein Leben als Einzel gänger auch an mir selbst. Meine Haare sind blond, schulter lang und zu dünn. Meine Augen sind zu klein. Und ich habe Angst vor zu großen Hunden und zu lauten 5
3 Mitschülern. Ich fürchte mich vor wütenden Lehrern und vor Opas Mundgeruch. Vor allem aber bin ich unglaublich neugierig. Ich interessiere mich für alles. Ich liebe Sta tis ti ken* und schwierige Wörter. Ich sammle Fragen, auf die ich eine Antwort finden will. Jeden Tag. In meiner Hosentasche habe ich eine Liste mit Fragen. Habe ich eine Antwort gefunden, streiche ich die Frage durch. Diese Woche sieht meine Liste so aus: Was ist der wertvollste Stein der Welt? Wie viele Haare hat ein Mensch in seinem ganzen Leben? Wie alt wird ein Löwe? Welche Tiere sind Einzel gänger? Ich will ständig Antworten auf meine Fragen erhalten. Vor allem frage ich Menschen, die Antworten haben könnten. Zum Beispiel meine Mutter. Ich nenne sie * unterstrichene Wörter werden im Glossar ab S. 83 erklärt 6
4 Mati. Ihr Opa stammte aus Kroatien und Mati ist das kroatische Wort für Mama. Mati hat sehr viele Bücher. Manche braucht sie als Apo the ke rin, aber sie hat auch Tausende andere Bücher. Meinen Vater nenne ich einfach Papa. Er ist Ma the ma ti ker, also ist er für Zahlen fragen zuständig. Außerdem für alles, was mit Essen zu tun hat. Er kann sehr gut kochen. Meine Deutsch lehrerin Frau Knör weiß alles über Opern. Herr Martinovic ist der Hausmeister meiner Schule. Er kennt alle wichtigen Jahres zahlen. Die besten Antworten schreibe ich in ein kleines Buch. Da steht zum Beispiel: Ein Mensch ist auf dem Mond sechsmal leichter als auf der Erde. Wiegt jemand 60 Kilogramm, wären es auf dem Mond nur 10 Kilogramm. Das liegt an der Anziehungs kraft. Weil der Mond kleiner ist als die Erde, zieht er andere Körper nicht so stark an. 7
5 Die meisten Leute in meiner Klasse halten mich für eine Spinnerin. Weil ich einfach zu neugierig bin. In den Pausen bin ich allein. Aber in der Schule gibt es genug zu sehen und zu zählen. Langweilig wird mir nicht. Meistens setze ich mich ans große Aquarium in der Schule. Wenn ich dort sitze, kommt immer Paul aus der neunten Klasse vorbei. Wahrscheinlich fragt er mich, ob ich einen Euro spenden möchte. Paul organisiert immer mal wieder irgendwas, zum Beispiel eine Spenden sammlung für eine neue Schule in Afrika. Wenn ich die Euros einsammeln würde, dann würde die Schule vermutlich nicht einmal ein Dach bekommen. Das liegt an der Anziehungs kraft. Wäre Paul ein Himmels körper, wäre er wegen seiner Anziehungs kraft völlig zugemüllt von Weltraum schrott. Jeder mag ihn. Er hat ständig gute Ideen. Ideen, die alle einfach gut finden müssen. Er nennt sie»einfälle für eine bessere Welt«. Seit Tagen ist es heiß. Wir sind schlapp und kleben auf unseren Stühlen. Aber alle in meiner Klasse haben gute Laune, denn heute ist der letzte Schultag. 8
6 Frau Knör verteilt die Zeugnisse feierlich. Dann ruft sie:»schöne Ferien!«, und schwebt aus der Tür. Die anderen stürmen gleich hinterher, aber ich lasse mir Zeit. Wir fahren in diesem Jahr nicht in den Urlaub. Aber das ist nicht das Problem. Das Problem sind die Ferien selbst. Denn in den Sommer ferien fehlen mir viele, die Antworten geben könnten. Überhaupt passiert in den Ferien viel weniger. Vermutlich werde ich jeden Tag im Freibad verbringen. Leute beobachten. Einfach, weil dort die meisten Leute sind. 9
7 2 In einem Liter Wasser im Schwimm becken befinden sich 0,5 bis 2 Milligramm Chlor. Das Chlor tötet Bakterien und Algen ab, die im Wasser schwimmen. Das ist wichtig bei so vielen Leuten, die ins Schwimm becken steigen. An einem sehr heißen Tag habe ich mal 204 Menschen gezählt. Und jeder hat vorher geschwitzt, sich mit Sonnenmilch eingecremt oder seine Haare mit Gel verschönert. Nicht nur Kinder bleiben im Schwimm becken, wenn sie mal müssen. Blätter von Bäumen fallen ins Bad und oft landet eine Pommes im Wasser. Diesmal sehe ich im Schwimm becken auf Anhieb: 1 an gebissenen Apfel 1 verlorenen Schlüssel 1 pink farbenes Haargummi 1 rote Kinder badehose. 10
8 Im Freibad kann man unbemerkt Leute beobachten. Ich gucke den Leuten beim Pommes essen zu. Dabei zähle ich mit, wie viele den Mund beim Kauen im Kreis bewegen wie ein Kamel. Andere bewegen den Mund nach vorne. Der Rest kaut unauffällig. Und ich schreibe auf, wie viele sich vor dem Baden nicht duschen. Natürlich sehe ich den Leuten beim Schwimmen zu. Manche schwimmen krumm und schräg. Andere paddeln wie ein Hund. Und die kleinen Kinder gehen beim Schwimmen lernen fast unter. Heute ist nicht viel los. Da steht ein Junge am Beckenrand, dünn und groß. Er ist weiß wie eine Birke. Mit grasgrüner Badehose und rotblonden Haaren, die wild vom Kopf abstehen. Aber nicht nur die Haare stehen vom Kopf ab, auch seine Ohren. Solche Absteh ohren habe ich noch nie gesehen. Ich sehe ihn von hinten. Die Sonne durch leuchtet seine Ohren orangerot. Das sieht so aus, als hätte er zwei kleine unter gehende Sonnen an seinem Kopf. Deshalb wirkt er wie ein Außer irdischer. Auf dem 11
9 linken Schulter blatt hat er einen großen blauen Fleck. Er ist wohl so alt wie ich. Aber ich habe ihn noch nie hier gesehen. Ich lehne mich an einen Baum. Ich warte darauf, dass er ins Wasser hüpft. Mal sehen, ob er Kopf sprung kann. Aber dann geht alles plötzlich ganz schnell: Aus dem Nichts tauchen zwei kleine Jungen auf. Der eine jagt den anderen um das Becken. Einer rutscht auf dem nassen Boden aus. Für einen Augenblick hält er sich an der Badehose des großen Jungen fest. Der schwankt und purzelt ins Wasser. Ich muss grinsen. Aber nicht lange. Der große, dünne Junge schlägt um sich und strampelt wild. Das sieht nicht wie Spaß aus. Weit und breit ist kein Bademeister zu sehen. Also springe ich mit T-Shirt, Hose und Sandalen ins Wasser. Ich lande direkt neben dem Jungen und packe ihn unter den Achseln.»Ruhig bleiben«, sage ich.»halt deine Arme ruhig!«aber er schlägt weiter um sich. Endlich lässt sich der Junge zum Rand ziehen, wo wir uns beide aus dem 12
10 Wasser stemmen. Er ist jetzt so weiß, dass sich die Sommer sprossen auffällig gegen seine helle Haut absetzen. Es dauert eine Minute, bis wir wieder zu Atem kommen. Dann gibt er mir die Hand, und zwar die linke. Eine ganz knochige, dünne Hand. Er drückt erstaunlich fest zu.»danke«, sagt er. Und dann:»mucks.«mucks? Sagen Außer irdische auf diese Weise Danke, oder was?»mucks. Das bin ich«, erklärt er knapp. Er lächelt überhaupt nicht. Nicht ein winziges bisschen. Er hat Schatten unter den Augen. Die Augen selbst haben rote Ränder, aber dabei sind sie so hellblau wie das Wasser im Schwimmbad. Ich vergesse zu fragen, wie er wirklich heißt.»zonja. Aber mit Z.«Er nickt mir zu. Sein Gesicht ist immer noch reglos. 13
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