Begrüßung. Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes



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Transkript:

60 Jahre Staatsschutz im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit Begrüßung Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages! Sehr geehrter Herr Spilles! Sehr geehrter Herr Dr. Boge! Sehr geehrter Herr Professor Zachert! Sehr geehrte Vertreter der Justiz! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Liebe Ehemalige! Ich freue mich sehr, Sie heute im Haus der Geschichte in Bonn begrüßen zu dürfen! Dass unsere Einladung so großen Zuspruch gefunden hat, zeigt den besonderen Stellenwert des polizeilichen Staatsschutzes und die enge Verbundenheit mit unseren zahlreichen nationalen wie internationalen Kooperationspartnern. Es ist mir eine große Freude, heute so viele bekannte Gesichter zu sehen. Seien Sie herzlich willkommen zur zweiten Tagung unserer Veranstaltungsreihe 60 Jahre BKA! Nach einem Kolloquium zur Aufarbeitung der Geschichte des BKA Anfang April in Wiesbaden wollen wir heute gemeinsam auf 60 Jahre Staatsschutz im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit zurückblicken. Dass wir diese Veranstaltung in Bonn begehen, hat seinen guten Grund: Der Polizeiliche Staatsschutz im Bundeskriminalamt ist untrennbar mit den Standorten Bonn und Meckenheim verknüpft! Der polizeiliche Staatsschutz hat einen besonderen Stellenwert innerhalb der polizeilichen Aufgabenbereiche! Er dient im Kern dem Schutz des Bestandes und der Funktionsfähigkeit der freiheitlich demokratischen Grundordnung und dem Schutz dieser Grundordnung. 2

Den besonderen Rang dieser Rechtsgüter unterstreicht Artikel 79 des Grundgesetzes, in dem diese für unsere Verfassungsordnung wesentlichen Grundsätze mit einer Ewigkeitsgarantie und damit mit einer gesteigerten Legitimität ausgestattet sind. Diese verfassungsrechtliche Besonderheit wird auf einer inhaltlichen Ebene durch eine weitere ergänzt, deren Brisanz und Anfälligkeit für kontroverse Auseinandersetzungen sich nur aus unserer spezifischen deutschen Geschichte erklären lassen: das Konzept der wehrhaften Demokratie. Wehrhafte Demokratie meint offenkundig die Pflicht unserer Demokratie und der sie tragenden Institutionen, sich gegen ihre Feinde zu wehren, die Grundrechte instrumentalisieren, um die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes abzuschaffen. Auf dieser Bedeutungsebene ist schnell ein Konsens zu erzielen. Die Auseinandersetzung beginnt aber spätestens bei den aus diesem Konsens abzuleitenden Folgen für den Alltag. Auseinandersetzungen, die die Geschichte des polizeilichen Staatsschutzes von Anbeginn begleiten mit Argumenten und Positionen, die, Zeitgeschichtliches extrahiert, sich stark ähneln. Warum solcherart Auseinandersetzungen? Zum einen deshalb, weil dem Begriff wehrhaft das Spannungsverhältnis von Übermaß- und Untermaßverbot immanent ist: Ein Überwachungsstaat mag wehrhaft sein, würde die grundgesetzliche Intention aber ad absurdum führen. Ein handlungsunfähiger Staat wäre alles andere als wehrhaft, sondern mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol ein Widerspruch in sich. Zum anderen, weil wehrhaft nur sein kann, wer aufmerksam ist, Entwicklungen, Handlungen und Bestrebungen aufmerksam wahrnimmt. Diesbezüglich gewinnt die Aussage Der Staat darf sich nicht bewusst blind und taub machen losgelöst vom jeweils zur Debatte stehenden Ermittlungsinstrumentarium eine tiefgehende und zugleich weiterführende Bedeutung. 3

Es ist die Gesellschaft, die die Grundwerte unseres Staates trägt und sichert. Und es ist daher an ihr, das Hinnehmbare von dem Nichthinnehmbaren zu trennen. Vor diesem eher abstrakten Hintergrund wird nachvollziehbar, warum die polizeiliche Bekämpfung der Staatsschutzkriminalität in den zurückliegenden 60 Jahren Gegenstand von zum Teil heftigen politischen, justiziellen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um den richtigen Weg war. Die Spiegel-Affäre, der sogenannte Deutsche Herbst mit dem Terrorismus der RAF und der RZ, die Ermordung von Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft sowie von Unbeteiligten, der so genannte NATO-Doppelbeschluss, der Bau der Startbahn West in Frankfurt, der Bau von Kernkraftwerken bzw. von Lagerstätten für Atommüll, die Welle der fremdenfeindlichen Gewalttaten in den 90er Jahren mit den abscheulichen Fanaltaten wie in Solingen, Mölln oder Rostock, die Zeit der Ost-West-Konfrontation und des Kalten Krieges, die sich u. a. in der Spionageaffäre Guillaume, im Agentenaustausch auf der Glienicker- Brücke, aber auch die importierten Konflikte um die PKK bzw. die nordirische PIRA, der 11. September 2001 und die bis heute anhaltende Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus, die derzeit laufenden Völkermord-Verfahren vor dem OLG Stuttgart als sichtbare Anstrengungen der Völkergemeinschaft zur Ächtung von Genoziden und Gewaltorgien sind nur einige wenige Marksteine in der Wegstrecke von sechs Jahrzehnten polizeilicher Staatsschutz. Sie verweisen zugleich eindringlich auf den jeweils übergeordneten gesellschaftlichen und politischen Kontext. Es ist daher nicht vermessen zu sagen, dass 60 Jahre Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in allen ihren Facetten untrennbar auch mit der Geschichte des polizeilichen Staatsschutzes verknüpft ist. Es liegt von daher auf der Hand, dass wesentliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zum Beispiel zur Reichweite der Presse- und der Versammlungsfreiheit sowie des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes auch auf dem Gebiet des polizeilichen Staatsschutzes getroffen wurden. 4

Oder denken Sie an die Entscheidungen zum Kontaktsperregesetz, zur Rasterfahndung, zur Wohnraumüberwachung, zur Onlinedurchsuchung oder Vorratsdatenspeicherung. Wesentliche Grundsätze zur Ausbildung und Reichweite staatlicher Schutzpflichten formulierte das Bundesverfassungsgericht in seiner nach einer Nachtsitzung in den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 1977 getroffenen Eilentscheidung zur Entführung von Hanns- Martin-Schleyer. Das Gericht war sich der überaus schwierigen, zwiespältigen Lage, über die es zu befinden hatte bewusst: Ist die Bundesregierung verpflichtet, inhaftierte RAF-Gefangene gegen den entführten Arbeitgeberpräsidenten auszutauschen? Der Senat stellte fest, dass das Grundgesetz eine Schutzpflicht nicht nur gegenüber dem Einzelnen begründe, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger: Die Schutzpflicht ist umfassend. Sie gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. 1 Zugleich stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass eine wirksame Wahrnehmung der staatlichen Schutzpflicht voraussetze, dass die zuständigen staatlichen Organe in der Lage sind, auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles angemessen zu reagieren. Zitat: Die Eigenart des Schutzes gegen lebensbedrohliche terroristische Erpressungen ist dadurch gekennzeichnet, dass die gebotenen Maßnahmen der Vielfalt singulärer Lagen angepasst sein müssen. 2 Damit wurde auf dem Höhepunkt des Deutschen Herbstes 1977 eine Entscheidung getroffen, deren Kernaussagen bis heute in allen Diskussionen um das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit richtunggebend sein sollten. 1 BVerfGE 46, 160 (165) 2 BVerfGE 46, 160 (165) 5

So ging der rechtspolitischen Initiative zur Änderung des BKAG zum 1. Januar 2009 ein mitunter heftiger Streit voraus: Zum einen prognostizieren unsere Kritiker, die Etablierung eines Überwachungsstaates stehe mit der Novellierung des BKAG unmittelbar bevor. Die Schaffung eines deutschen FBI, die Aushebelung des förderalen Gefüges wurde beschworen, von einem Paradigmenwechsel war die Rede. Die massenhafte Infiltrierung von Computern aller Bürger durch den Bundestrojaner wurde vorhergesagt. Heute müssen wir uns vor denselben Kritikern gerade für den zurückhaltenden Einsatz bestimmter Eingriffsinstrumentarien wie der Onlinedurchsuchung rechtfertigen. Ein nur selten eingesetztes Instrument sei offensichtlich nicht erforderlich. Eine für mich sehr eigenwillige Interpretation der Bedeutung einer ultima ratio Maßnahme. Um unseren Schutzauftrag adäquat zu erfüllen, brauchen wir eine breite Auswahl an passgenauen Instrumenten, die in engem Bezug zur Schwere und Sozialschädlichkeit eines Delikts sowie zum speziellen Modus Operandi der Täter stehen. Ich darf an dieser Stelle nochmals aus der bereits erwähnten Schleyer-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zitieren: Die Eigenart des Schutzes gegen lebensbedrohliche terroristische Erpressungen ist dadurch gekennzeichnet, dass die gebotenen Maßnahmen der Vielfalt singulärer Lagen angepasst sein müssen. Dass sich die im Vorfeld der Erweiterung des BKAG geäußerten Befürchtungen unserer Kritiker nicht bestätigt haben und wir mit hoher Sensibilität vorgehen, zeigt u. a. folgendes Beispiel: Seit der Einführung des 4a und der 20 ff. BKAG am 1. Januar 2009 hat das BKA über 100 Gefährdungshinweise im Bereich des islamistischen Extremismus bzw. Terrorismus geprüft. Bislang bearbeitete das BKA insgesamt acht Gefahrenermittlungsverfahren gemäß 4a BKAG, was in etwa auch dem Ausmaß von vier bis sechs Einsatzlagen pro Jahr entspricht, wie im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens prognostiziert wurde. 6

Wie zuletzt im Fall der in Düsseldorf Ende April festgenommenen Beschuldigten, haben die auf Grundlage des 4a BKAG durchgeführten aufwändigen Gefahrenermittlungen durch das BKA eine zügige Aufhellung der jeweiligen Sachverhalte sowie ein rasches Ausräumen der mutmaßlichen Gefahrenlage ermöglicht. Bei keinem der vom BKA nach 4a BKAG bearbeiteten Fällen bestand bisher eine Konkurrenz mit den Ländern. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Kriminalitätsbekämpfung und insbesondere im Bereich des polizeilichen Staatsschutzes war und ist hervorragend und meines Erachtens beispielgebend für andere Politikfelder. Dieser Fall hat auch gezeigt, dass es keine den Erfolg allein garantierenden Instrumente oder Maßnahmen an sich gibt. Vielmehr leistete jede der durchgeführten Maßnahmen einen wichtigen kriminalistischen Beitrag in der Gefahrenermittlungskette. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass getroffene Maßnahmen unter Umständen erst in einem späteren Verlauf der Ermittlungen zum Erfolg führen, z. B. durch eine veränderte Ermittlungstaktik oder durch mögliche Fehler der Täterseite. Wie gestaltet sich die Gefährdungslage im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) heute? Nach wie vor das zeigen die Meldungen der letzten Tage ist der internationale religiös motivierte Terrorismus die größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden weltweit. Deutschland hat sich in diesem Kontext von einem Ruhe- und Rückzugsraum islamistischer Terroristen in den 90er Jahren über einen Tatvorbereitungsraum im Jahr 2001 zu einem Teil des weltweiten Aktions- und Anschlagsraumes gegen westliche Interessen entwickelt. Es kann keine leider Entwarnung geben kann. Die Bedrohung ist präsenter denn je. Wie real diese Bedrohung ist, hat sich im Laufe des Jahres 2011 bereits mehrfach gezeigt. 7

Anfang März dieses Jahres ist es einem fanatisierten Einzeltäter in Deutschland erstmals gelungen, seinen islamistisch motivierten Anschlagsplan in die Tat umzusetzen. Erst nachdem er zwei Militärangehörige der US Army am Flughafen Frankfurt getötet und zwei weitere schwer verletzt hatte, konnte er von den Sicherheitskräften überwältigt werden. Im April dieses Jahres konnten drei mutmaßliche Mitglieder einer Terrorzelle in Düsseldorf und Bochum festgenommen werden. Sie hatten sich im Internet Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoffen und Zündern besorgt und die Vorbereitungen zum Bau eines Sprengsatzes vorangetrieben. Der Haupttäter soll im Frühjahr 2010 von al-qaida den Auftrag erhalten haben, in Deutschland einen Anschlag zu begehen. Der Typus des fanatisierten Einzeltäters, der zwar an al-qaida bzw. ihr nahe stehende Gruppierungen angebunden bzw. von deren Ideologie inspiriert ist, letztlich aber autonom, spontan und damit fast unvorhersehbar handelt, wird auch künftig ein erhebliches Bedrohungspotenzial darstellen. Eine besondere Bedrohung geht weiterhin auch von Personen aus, die sich zum Zweck einer islamistisch-terroristischen Ausbildung in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet begeben und wieder nach Deutschland zurückkehren. In den Ausbildungslagern werden die durchweg gewaltbereiten Rekruten zur Beteiligung am Jihad befähigt. Sie werden darauf vorbereitet, Anschläge zu begehen oder als Anwerber und geistige Führer tätig zu werden. Welche Zäsur der Tod Usama Bin Ladins in der weiteren Entwicklung der al-qaida, ihrer Ableger und des globalen Jihad darstellen wird, ist aktuell noch nicht in Gänze absehbar. Fest steht, dass die Organisation mit ihm seine zentrale charismatische Integrations- und Leitfigur verloren hat. Ob Aiman al-zawahiri diese Lücke ausfüllen kann, ist für mich zweifelhaft. 8

Der Tod Bin Ladins könnte emotionalisierten Einzeltätern und Kleingruppen auch in Deutschland Anlass bieten, abhängig von den individuellen Möglichkeiten und vorhandener Logistik entsprechende Anschläge zu begehen. Darüber hinaus steht zu befürchten, dass al- Qaida nunmehr verstärkt die Planung, Vorbereitung und Durchführung eines Anschlags in der westlichen Welt vorantreibt, um zu beweisen, dass die Organisation auch ohne Bin Ladin willens und in der Lage ist, Anschläge durchzuführen. Konkrete Hinweise auf Anschläge liegen uns jedoch nicht vor. Ebenfalls noch nicht in Gänze abzuschätzen sind die Folgen der jüngsten Umwälzungen in der arabischen Welt. Allerdings wird sich bei Entstehen von Machtvakuen und nur langsamer oder gar stagnierender Demokratisierung und Wirtschaftsentwicklung in der Region eine Gefahr der Radikalisierung ergeben. Schon jetzt versucht al-qaida beispielsweise den Aufstand in Libyen medial für sich zu vereinnahmen, indem sie die Ziele der Opposition mit den eigenen gleichsetzt. Anlass zur Sorge gibt auch die Entwicklung der Straftaten im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität -rechts-, die sich mit rund 16.500 Fällen im Jahr 2010 nach wie vor auf einem hohen Niveau bewegt. Die rechte Szene stellt sich organisatorisch wie ideologisch sehr heterogen dar. Sie besteht unter anderem aus Kameradschaften, Freien Nationalisten, Skinheads, Neonazis und der so genannten intellektuellen Rechten. Die Aktionsform Autonomer Nationalismus, deren personelles Potenzial bundesweit bei rund 1.000 Personen liegen dürfte, hat sich in der rechten Szene mittlerweile etabliert. Deren Anhänger sehen Militanz als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung und Zielerreichung an. 9

Insgesamt hat sich das rechtsextremistische Gewaltpotenzial in Deutschland über die 90er Jahre hinweg fast verdoppelt und belief sich im vergangenen Jahr auf etwa 9.500 Personen. Die herausragenden verbindenden Themen sind nach wie vor fremdenfeindlich geprägte Hassgewalt und die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern. Ausgangspunkte für gewalttätige Rechts-Links-Konfrontationen sind im Wesentlichen Vergeltungsmaßnahmen, Provokationen oder die Unterstreichung lokaler rechter Präsenz. Eine Abkehr vom gesteigerten Gewaltpotenzial in der Rechts-Links-Auseinandersetzung ist derzeit nicht in Sicht. Dem Tatmittel Internet kommt im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität rechts zwischenzeitlich eine hohe Bedeutung zu. Divergente Strafrechtsnormen im Ausland und die eingeschränkte Rechtshilfefähigkeit bei Propagandadelikten werden durch rechte Akteure gezielt genutzt, um vermeintlich unerkannt oder ohne Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung rechtsextremistische Propaganda oder gewaltverherrlichende Musik in Deutschland zu verbreiten. Die jüngsten Ereignisse gerade in Berlin belegen, dass das Spektrum der Straftaten im Bereich der Politisch motivierten Kriminalität -links- nicht selten auch unter dem Eindruck aktueller Ereignisse steht. So findet derzeit insbesondere der gesellschaftliche und politische Diskurs zum Thema Atomkraft auch im linksextremistischen Spektrum seinen Niederschlag. Wir rechnen mit weiteren Resonanzaktionen insbesondere in Form von Sachbeschädigungen und Brandanschlägen gegen Fahrzeuge, Gebäude und Einrichtungen vermeintlich Verantwortlicher oder Profiteure der Atomindustrie. 10

Insgesamt ist die linksextremistische Szene aktiver geworden. Gruppen autonomer Linker sind zunehmend vernetzt und organisatorisch stärker verfestigt. Die linke Szene reagiert schnell, mobilisiert überregional und zeigt Solidarität mit Ereignissen im europäischen Ausland. Die linke Szene ist aber auch gewaltbereiter geworden. Zwar gilt nach wie vor: Gezielte Tötungen und Verletzungen von Personen sind in der linken Szene allgemein nicht vermittelbar; sie werden von einem Teil der gewaltbereiten Linksorientierten jedoch offenbar zunehmend billigend in Kauf genommen. Allerdings sind linksterroristische Bestrebungen in Deutschland weiterhin nicht erkennbar. Im Zuge eines Gewalttourismus reisen insbesondere gewaltbereite Jugendliche zu Veranstaltungen, um dort ihre Zerstörungswut und Aggressivität auszuleben. Insgesamt muss weiterhin auch von einer hohen Grundaggression und somit niedrigen Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen eingesetzte Polizeibeamte ausgegangen werden. Der schwere Brandanschlag auf die Polizeidienststelle des Abschnitts 51 in Berlin- Friedrichshain hat verdeutlicht, dass vereinzelt mit gezielten gewaltsamen Aktionen gegen Polizeidienststellen zu rechnen ist. Angesichts der geschilderten Entwicklungen stellt sich die Frage, was polizeilicher Staatsschutz zu Beginn des 21. Jahrhunderts leisten können muss. Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Die Sicherheitsbehörden müssen sich vor allem auf die Auswirkungen der zwei wichtigsten Megatrends einstellen: Globalisierung und Technologisierung. Beispielhaft für diese Entwicklungen seien hier nur die internationale Vernetzung der verschiedenen Szenen und der Trend zur verschlüsselten und anonymisierten Kommunikation der Täter über das Internet genannt. 11

Es macht mir Sorge, dass die Beweissicherung, ein existentieller Baustein strafrechtlicher Ermittlungen an ihre territorialen und funktionalen Grenzen geführt wird. Die Welt ist multizentrisch. Es gibt keine Peripherie, die zu vernachlässigen wäre. Wünschenswerte Mobilität verbindet sich mit Gefährdungen deutscher Staatsbürger und Interessen weltweit. Den internetbasierten globalen Informations- und Kommunikationsstrukturen Grenzen zumessen zu wollen, wäre ein Widerspruch in sich. Terroristischen Netzwerken und Netzwerken der Organisierten und Schwerstkriminalität kann auf einer frühen Stufe nur durch Informationsnetzwerke begegnet werden. Drohende Gefahren für deutsche Staatsangehörige bzw. deutsche Interessen im Ausland können bei Wahrung der jeweiligen staatlichen Souveränität nur durch Informationsaustausch als mildestes Mittel abgewehrt werden. Dabei sind wir uns durchaus der Grenzen und Schwierigkeiten in der Kooperation mit Staaten bewusst, die unseren rechtsstaatlichen Maßstäben nicht entsprechen. Genauso wie dem Erfordernis eines diesbezüglichen öffentlichen und politischen Diskurses. Inwiefern eine Zusammenarbeit mit Problemtaaten vertretbar ist, wird heute vom BKA auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung einzelfallabhängig und unter Einbindung des Bundesamtes für Justiz, des Bundesministeriums des Innern und der Justiz und des Auswärtigen Amtes entschieden. Dabei steht außer Frage: Die deutsche Polizei hat sich im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung unter allen Umständen an demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze zu halten. Wir verurteilen Menschenrechtsverletzungen und sind dazu aufgefordert, rechtsstaatlichen Grundsätzen auch in der Zusammenarbeit mit anderen Staaten Geltung zu verschaffen. 12

Betrachtet man die Lageentwicklung im Bereich der politisch motivierten Kriminalität in den vergangenen sechs Jahrzehnten zeigt sich, dass der Staatsschutz von Beginn an durch unterschiedliche Phänomene entscheidend geprägt wurde. So war z. B. die Bekämpfung des nationalen Terrorismus der Roten Armeefraktion ebenso bestimmend für die 70er und 80er Jahre wie Spionageverfahren, politisch motivierte Kriminalität rechts und Ausländerkriminalität für die 90er Jahre. Ebenso sind in der Geschichte der politisch motivierten Kriminalität die Zusammenarbeitsstrukturen der Sicherheitsbehörden sowie deren strategische Ausrichtung stetig modifiziert und optimiert worden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang. an die Strategie der vernetzten Sicherheit, der wir aufgrund der Erfahrungen des 11. September 2001 hohe Bedeutung beimessen. Kennzeichnend für das ganzheitliche Vorgehen war die Gründung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums im Dezember 2004 und in Fortsetzung dieses Ansatzes die Einrichtung der Anti-Terror-Datei und des Gemeinsamen Internetzentrums. Das GTAZ und das GIZ sind ein Erfolgsmodell, um das uns viele ausländische Staaten beneiden: sie stehen für eine moderne Form vernetzter Organisation und für eine Abkehr von unzeitgemäßen, weil schwerfälligen Mammutbehörden. Wie wir heute noch genauer erfahren werden, wurde die Geschichte des polizeilichen Staatsschutzes von großen Wellenbewegungen bestimmt: auf Phasen relativer Ruhe, folgten Phasen erheblicher Belastungen. 13

Ich freue mich sehr, dass es uns gelungen ist, für unsere Tagung ehemalige herausragende Akteure des Staatsschutzes zu gewinnen, die einzelne Zeitspannen dieser Geschichte Revue passieren lassen werden. Im Anschluss daran werden wir darüber diskutierten, wie sich die Staatsschutzkriminalität künftig entwickeln könnte und wie der Staat bzw. die Strafverfolgungsbehörden diesen Herausforderungen wirksam begegnen können. Ich begrüße alle Referenten und Diskussionsteilnehmer des heutigen Tages sehr herzlich. Ich freue mich, dass wir heute Vertreter der Länderpolizeien, der Dienste und auch des Generalbundesanwalts sowie Vertreter der Staatsschutzssenate der Oberlandesgerichte und Vertreter der Justiz insgesamt in unserer Mitte begrüßen dürfen. Ich danke Ihnen sehr für Ihr Kommen, denn das zeigt uns Ihre Verbundenheit. Danken möchte ich auch der Leitung dieses imposanten Hauses für die Möglichkeit, hier zu tagen sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BKA, die heute für einen reibungslosen Ablauf unserer Veranstaltung sorgen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung ST, die diese Veranstaltung organisiert und inhaltlich vorbereitet haben. Vielen Dank! Wir haben uns für heute ein ebenso spannendes wie umfangreiches Programm vorgenommen. Herr Wittling, ich darf das Wort nun an Sie übergeben. 14