Gericht. Entscheidungsdatum. Geschäftszahl. Spruch. Text 22.04.2015. BVwG 22.04.2015 W164 1430467-1 W164 1430467-1/6E IM NAMEN DER REPUBLIK!



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22.04.2015 Gericht BVwG Entscheidungsdatum 22.04.2015 Geschäftszahl W164 1430467-1 Spruch W164 1430467-1/6E IM NAMEN DER REPUBLIK! Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.10.2012, Zl. 11 12.404-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 24.3.2015 zu Recht erkannt: A) Der Beschwerde wird stattgegeben und Herrn XXXX gemäß 3 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass Herrn XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE: I. Verfahrensgang: 1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 18.10.2011 nach illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. 2. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Tag der Antragstellung gab der BF im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll: Er sei Moslem, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und seine Muttersprache sei Afghanisch. Er sei am XXXX in Panjshir geboren und sei verheiratet. Er habe neun Jahre die Grundschule besucht. Er habe keine Berufsausbildung und habe zuletzt als Hilfsarbeiter gearbeitet. Er habe Afghanistan am 30.09.2011 von seiner Wohnadresse XXXX, XXXX, aus verlassen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, brachte der BF vor, dass sich vor ca. vier Jahren seine jetzige Frau XXXX und sein Bruder XXXX verliebt und geheiratet hätten. Da die Familie seiner Frau im Gegensatz zu seiner reich sei, habe diese ein sehr großes Problem mit dieser Verbindung gehabt. XXXX habe jedoch den Wunsch ihrer Familie ignoriert, seinen Bruder geheiratet und von da an bei seiner Familie gelebt. Da nach afghanischer Tradition die Ehre von XXXX nun verletzt gewesen sei, habe ihre Familie nach Blutrache gesonnen. Sie hätten hin und wieder Anrufe von ihrer Familie bekommen und seien von diesen bedroht worden, jedoch hätten sie nicht daran gedacht, dass ihnen wirklich etwas zustoßen könnte. Eines Morgens habe der BF mit seinen zwei Brüdern und seinem Vater im Geschäft seines Vaters gearbeitet, als ca. 15 wütende Personen dieses gestürmt hätten. Es habe sich dabei um die Familie von XXXX gehandelt. Sie hätten ihn und seine Brüder zusammengeschlagen und schwer verletzt. Sein Bruder XXXX sei bei dieser Attacke mit einem Messer ermordet www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 14

worden. Da XXXX nun Witwe gewesen sei und umgebracht worden wäre, wenn sie nach Hause zurückgegangen wäre und nicht zuletzt um ihre Ehre zu retten, habe seine Familie dem BF dazu geraten sie zu heiraten. Dies habe er auch getan und sie hätten ca. zwei Jahre in Frieden im Haus seiner Eltern gelebt. Vor ca. einem Jahr habe die Familie von XXXX wieder damit begonnen sie zu bedrohen und zu verfolgen. Sie hätten gesagt, dass sie seine Familie umbringen würden um die verlorene Ehre des Vaters von XXXX zu rächen. Daraufhin habe sein Vater beschlossen den BF ins Ausland zu bringen, da er nicht noch einen Sohn verlieren wollte. Zu diesem Zweck habe der Vater sein Auto verkauft und die Schleppung organisiert. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er von der Familie seiner Frau umgebracht zu werden. 2. Am 04.11.2011 wurde der BF vom Bundesasylamt, Außenstelle Wien, einvernommen, wobei er im Wesentlichen Folgendes angab: Er sei sunnitischer Moslem, gehöre der tadschikischen Volksgruppe an und sei verheiratet. Er habe neun Jahre die Schule XXXX, XXXX, Kabul, besucht und könne lesen und schreiben. Er sei im Jahr XXXX geboren. An welchem Tag und in welchem Monat wisse er nicht. Der BF legte als Beweismittel einen USB-Stick vor, auf dem das Begräbnis seines Bruders aufgenommen sei, und gab dazu an, es seien bei dieser Trauerzeremonie etwa 200 Menschen anwesend gewesen. Sein Vater erzähle davon, wie sein Bruder von den Feinden getötet worden sei. Insgesamt seien es 25 oder 27 Teile, jeweils eineinhalb bis zwei Minuten lang. Der BF sei auch auf dem Video zu sehen. Er und sein Bruder seien angegriffen und verletzt worden. Das Video sei vor vier Jahren gedreht worden. Das Video sei auf einer Speicherkarte gewesen, die er in seinem Schuh versteckt hatte. Der BF habe Afghanistan vorher noch nie verlassen. Er habe bis zu seiner Ausreise in der Stadt Kabul, Stadtteil XXXX, gewohnt, wo er geboren und aufgewachsen sei. Er habe in Afghanistan noch seine Eltern, seinen jüngsten Bruder und seinen ältesten Bruder sowie seine Ehefrau. Sie sei die Frau seines Bruders gewesen, der getötet worden sei. Seine Familie habe ein Haus mit fünf Zimmern, das sie von ihren Großeltern geerbt hätten. Sein Vater sei XXXXhändler. Sie hätten früher ein Geschäft gehabt, das sie nach dem Tod seines Bruders verkauft hätten. Sein Vater betreibe nun Großhandel. Er hole sich Ware aus XXXX und verkaufe sie in Kabul. Sonst arbeite niemand in der Familie. Die letzten zwei Jahre habe der BF nicht gearbeitet. Die meiste Zeit sei er zu Hause gewesen, da sie sehr oft bedroht worden seien. Vorher habe er gemeinsam mit seinem Vater und seinen zwei Brüdern gearbeitet. Er habe keine Berufsausbildung absolviert sondern als XXXXhändler gearbeitet. Auch in Österreich wolle er Handel betreiben oder im Verkauf arbeiten. Er sei arbeitsfähig, kenne sich mit Computern und könne etwas Englisch und Hindi; er könnte dolmetschen. Hindi habe er durch Filme, Englisch in Kursen gelernt. Ferne Verwandte seiner Mutter würden im Iran leben. Er habe zwischenzeitlich keinen Kontakt zu seinen Familienangehörigen aufgenommen. Er habe eine Telefonnummer gehabt. Er habe es einige Male versucht, habe aber niemanden erreichen können. Er habe auch zu sonst niemand Kontakt in Afghanistan. Zu seinen Fluchtgründen näher befragt, gab er an, sein Bruder habe ein Verhältnis mit einer jungen Frau gehabt. Diese junge Frau hätte mit jemand anderen verheiratet werden sollen. Sie sei gegen diese Heirat gewesen. Sie sei ohne Einverständnis ihrer Eltern zu ihnen nach Hause gekommen. Sie hätten sie versucht zu überreden zurück zu ihrer Familie zu gehen. Sie habe gesagt, dass sie entweder hier bleibe oder getötet werden möchte, aber keinesfalls den anderen Mann, den sie überhaupt nicht liebe, heiraten wolle. Schließlich sei die Ehe mit seinem Bruder geschlossen worden. Sein Vater sei mit einigen älteren Herren aus ihrer Gegend zur Familie seiner späteren Schwägerin gegangen. Ihr Vater und ihre Brüder seien gegen diese Heirat gewesen. Ihre Mutter sei einverstanden gewesen. Die Familie sei der Meinung gewesen, dass die junge Frau den Namen ihrer Familie in Verruf gebracht habe und dass das unehrenhaft sei, deshalb solle seine Familie sie zu ihrer Familie zurückschicken. Sie hätten die junge Frau nicht überreden können. Sie sei bei ihnen geblieben und sei Teil seiner Familie geworden. Ihr Vater habe seine Familie bedroht und gesagt, dass er die gesamte Familie vernichten werde, da sie ihn durch diese Tat unehrenhaft gemacht hätten. Danach hätten sie seinen Bruder einige Male belästigt. Ein, zwei Mal hätten sie ihn auch geschlagen, aber er habe sich vor ihnen retten können. Sie hätten gegen die Bedrohungen und Angriffe nichts unternommen, weil sie hofften, dass sich die ganze Sache mit der Zeit legen werde. Innerhalb von einem Monat sei zwei, drei Mal angegriffen worden. Er habe sich meistens zu Hause aufgehalten. Während dieser Zeit sei sein Vater am Telefon bedroht und gewarnt worden. Sie hätten ihnen gesagt, dass sie sie gegen 100.000,00 Dollar vernichten würden. Er habe gesagt, wenn er sie selbst nicht vernichten könne, dann könne er jemanden bezahlen. Der BF verwies diesbezüglich auf den von ihm vorgelegten Film. Eines Tages, vor vier Jahren, seien 15 Personen zu ihrem Geschäft gekommen und seien auf ihn, seinen ältesten Bruder und XXXX losgegangen. Sie hätten XXXX getötet. Sie seien dann zu den Behörden gegangen. Da diese Familie der Frau wohlhabend gewesen sei, sei es wahrscheinlich, dass sie jemanden mit Geld bestochen hätten und sich die Angelegenheit so erledigt habe. Die Familie des BF habe von den Behörden erfahren, dass sie auf der Suche nach diesen Personen seien. Einige Zeit später habe sein Vater deutlich allen verkündet, dass er keine Rache nehmen möchte. Er selbst habe dem Mörder bzw. der Familie verziehen und Gott möge mit ihnen www.ris.bka.gv.at Seite 2 von 14

abrechnen. Der Vater habe das deshalb gesagt, um eine Blutrache zu vermeiden, damit sich die Feindschaft nicht noch mehr ausbreite. Zwei Jahre lang hätten sie von dieser Familie nichts gehört. Sie hätten nicht gewusst, wo sie sich aufhalten. Die Frau seines Bruders habe weiter bei ihnen gelebt und habe das Haus nie verlassen. Sie hätten Angst um sie gehabt. Wenn sie das Haus verlassen hätte, hätte man sie getötet. Seine Schwägerin habe auch einige Male den Entschluss gefasst sich zu töten, da sie alles, was sie gehabt hatte, verloren hatte. Schließlich habe der Vater mit dem BF ein Gespräch geführt und ihn davon überzeugt, seine Schwägerin zur Frau zu nehmen. Die Nekha sei geschlossen worden und sie hätten zwei Jahre lang gemeinsam gelebt. Sie hätten die ganze Zeit angenommen, dass die Familie verschwunden sei. Vor einigen Monaten hätten sie wieder Drohungen bekommen. Es sei ihnen gesagt worden, man habe die Namen dieser Familie in Verruf gebracht. Auch die Familie habe ihr zu Hause verloren. Sie hätten auch gesagt, dass seine Familie aus dem ersten Fehler nichts gelernt habe. Man habe den einen Bruder getötet, aber da seien sie gnädig gewesen und hätten der Familie seinen Leichnam übergeben. Beim Zweiten Mal werde das nicht der Fall sein. Man werde das Opfer vernichten und niemand werde erfahren, wie es vernichtet wurde. Das alles hätte die Familie von den Leuten ihrer Gegend erzählt bekommen. Der BF habe dann gemeinsam mit seinem Vater den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen und nach Europa zu gelangen, da es dort sicherer für ihn sei. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor dieser Familie. Diese Familie sei sehr wohlhabend und gefährlich. Sie hätten so teure Autos wie die Minister in Afghanistan. Er glaube, dass sie XXXXhandel betreiben. Es sei gerade er ausgereist und der Rest der Familie zu Hause geblieben, weil sie nicht die Möglichkeit gehabt hätten und eigentlich sei er bedroht worden, da er es gewagt habe, die Tochter der Familie zu heiraten. Sein Bruder habe bereits Schande über diese andere Familie gebracht, weil das Mädchen ihr Haus verlassen habe und zu ihnen gekommen sei. Befragt, was er über diese Familie erzählen könne, gab er an, sie hätten die Familie früher nicht gekannt, bis seine jetzige Frau ohne Erlaubnis ihrer Eltern zu ihnen nach Hause gekommen sei. Erst dann sei mit ihrer Familie Kontakt aufgenommen worden. Der BF wisse nicht, wo sie im Moment leben, aber früher hätten sie in Kabul, XXXX, XXXX, gelebt. XXXX sei der Vater, XXXX sei der Onkel väterlicherseits. Er kenne nur diese zwei Personen. Er sei nie mit ihnen im direkten Kontakt gewesen. Die Tochter dieser Familie sei zu seiner Familie nach Hause gekommen, weil sie seinen Bruder geliebt habe. Sie habe seinem Vater gesagt, sie habe bei seiner Familie Zuflucht gefunden und wolle auch hier bleiben. Wenn sein Vater sie zurückschicke in ihr Elternhaus, würde sie Selbstmord begehen. Es sei eigentlich darum gegangen, dass das Mädchen an diesem Abend, an dem sie von zu Hause weggelaufen sei, mit jemand anderen verlobt werden hätte sollen. Befragt, wie man so eine Angelegenheit unblutig regeln könne, antwortete er, es sei üblich, dass sich die Ältesten sammeln und mit einem Schaf zu der Familie des Mädchens gehen. Das hätten sie getan, es habe aber nichts gebracht. Er habe, nachdem er geheiratet hatte, erfahren, dass er wieder von dieser Familie bedroht werde, weil sein Onkel mütterlicherseits -dieser sei Bauingenieur - und somit auch Händler, es von anderen Leuten gehört und seinen Vater kontaktiert habe. Sein Onkel habe ihnen berichtet, dass er von diesen Leuten gehört habe, dass sie den BF vernichten würden und niemand würde erfahren, auf welche Art und Weise er getötet wurde. Die Verwandten seiner jetzigen Frau hätten das seinem Onkel gesagt. Sie hätten ihm gesagt, dass sie seinen Neffen vernichten würden. Der BF habe nicht alleine von zu Hause weggehen wollen. Er habe gewollt, dass seine gesamte Familie von dort weggehe, jedoch habe sein Vater ihm gesagt, dass er jetzt direkt in Gefahr sei. Auf den jüngeren Bruder könne er aufpassen. Deshalb sei es besser, wenn der BF jetzt die Heimat verlasse. Es sei in Kabul etwas sicherer als in den anderen Teilen Afghanistans. Er habe es vier Jahre ausgehalten, wenn er jetzt nach XXXX, Pakistan oder den Iran gegangen wäre, hätten sie ihn sehr leicht finden können, da diese Familie Handel betreibe. In anderen Teilen Afghanistans gebe es keine Sicherheit. Sie hätten eineinhalb Jahre in Ruhe gelebt, danach sei er bedroht worden. Einmal habe er die Nachricht durch seinen Onkel mütterlicherseits bekommen. Ein anderes Mal hätten sich ihm unbekannte Menschen in den Weg gestellt. Er habe geahnt, dass es Personen aus der Familie seiner Ehefrau seien und so sei er geflüchtet. Zuerst hätten sich diese unbekannten Menschen ihm in den Weg gestellt und hätten gewollt, dass er ein Stück mit ihnen gehe. Drei Monate später sei der Bericht von seinem Onkel gekommen. Dann sei er noch etwa fünf Monate, vielleicht etwas mehr, in Afghanistan gewesen. Als diese Leute sich ihm in den Weg gestellt hätten, sei er am XXXX gewesen. Auf dem Weg nach Hause habe sich ein Auto vor ihm hingestellt mit drei Insassen. Einer von ihnen habe ihm gesagt, er solle einsteigen, man wolle mit ihm reden. Anfangs habe er gar nicht an diese Familie gedacht. In dem Moment habe er gedacht, dass ihn diese Personen entführen wollen, aber er habe sich die Frage gestellt, dass er gar nicht so viel Geld habe, dass sie ihn entführen könnten. Es sei ihm in den Sinn gekommen, dass es vielleicht jemand aus dieser Familie www.ris.bka.gv.at Seite 3 von 14

sei. Er habe die Flucht ergriffen. Der Beifahrer sei ihm hinter her gelaufen. Er sei ein Stück gelaufen bis zu einer asphaltierten Straße, wo es Polizei gegeben habe. Als er in die Gegend XXXX gekommen sei, dort sei ein großer XXXX, habe er seinen Vater angerufen. Dieser habe ihm gesagt, er solle sich ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Sie hätten alle geahnt, dass es jemand von dieser Familie war, aber sein Vater habe ihn beruhigt und gemeint, dass das nicht sein könne. Drei Monate später seien sie von seinem Onkel mütterlicherseits benachrichtigt worden. Dieser Vorfall sei vor fünf Monaten gewesen, genauer wisse er es nicht mehr. Sie hätten diese Sache nicht ernst genommen. Sein Bruder sei vor vier Jahren, Ende 2007, Anfang 2008, getötet worden. Genauer wisse er es nicht, das Datum sei aber auf dem Film zu sehen. Sie hätten sich nicht auch wieder an die Polizei gewandt. Sein Vater habe gesagt, er habe kein Vertrauen in die Regierung, da sie auch die Mörder seines Bruders nicht ausfindig gemacht und nichts gegen ihn unternommen hätten. Seine Frau heiße XXXX. Er wisse nicht, ob sie den Nachnamen ihres Vaters trage oder ob sie seinen Namen annehmen wolle. Sie sei 23 Jahre alt und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie hätten vor zwei Jahren geheiratet. Es habe keine offizielle Hochzeit gegeben. Die Ehe sei von einem Vorbeter geschlossen worden. Befragt, was passieren müsse, damit er wieder in sein Heimatland zurückkehren könne, antwortete er, Gott müsse den ganzen Stamm ihrer Feinde vernichten. Befragt, ob nicht eigentlich seine Familie am Zug wäre, Rache zu üben, gab er an, man könne nicht aus einem Gebirge ein Gewässer machen. Die Familie der Frau sei wohlhabend. Wenn man in Afghanistan Geld habe, könne man den Präsidenten bestechen und Minister werden. Die Familie sei einer der größten Händler Afghanistans. Ganz genau wisse er nicht, was sie machen. Er habe weder Familienangehörige noch sonstige gegen eine Ausweisung sprechende familiäre oder private Anknüpfungspunkte in Österreich. 3. Mit Verfahrensanordnung vom 06.12.2011 wurde der BF aufgefordert den nach seinen Angaben auf dem USB-Stick befindlichen Film der Behörde auf einem geeigneten Trägermedium zur Verfügung zu stellen, da sich der von ihm vorgelegte USB-Stick nicht auslesen lasse. Die vom BF in weiterer Folge vorgelegte DVD wurde seitens der Behörde einer Auswertung/Übersetzung durch einen Dolmetscher der Sprache Dari zugeführt. 4. Am 10.10.2012 wurde der BF vom des Bundesasylamt, Außenstelle Wien, erneut einvernommen, wobei er im Wesentlichen Folgendes angab: Er sei gesund und nicht in ärztlicher Behandlung. Er wolle noch etwas erzählen, weil er beim letzten Mal nicht die Gelegenheit dazu gehabt habe. Er sei am linken Oberschenkel verletzt worden. Es sei Ende 2008 gewesen, im Monat September oder Oktober, als er eines Tages in der Früh Brot holen gegangen sei. In der Nähe der Bäckerei habe ein rotes Auto angehalten und es sei in seine Richtung geschossen worden. Er habe zwei Schüsse gehört. Der erste Schuss habe ihn nicht getroffen, der zweite aber schon. Der Bäcker habe ihm dann geholfen. Er habe ihm erste Hilfe geleistet und seinen Vater benachrichtigt. Dann sei er ins Krankenhaus gebracht worden. Er sei dann im Krankenhaus von der Polizei dazu befragt worden. Die Polizei habe ihn gefragt, ob er jemanden verdächtige. Er habe gesagt, dass sie sie mit einer Familie verfeindet seien und sonst mit niemand ein Problem hätten. Als das rote Auto angehalten habe, habe er eine Stimme gehört, die nach ihm gerufen habe "Sohn des Aslam, bleib stehen". Die Stimme habe ihn an den Vorfall erinnert, als der Bruder getötet wurde. Die Polizei habe ihm gesagt, dass er ihnen Namen nennen solle, aber da er diese Personen nicht so richtig erkannt habe, habe er keine Namen nennen können. Auch sein Vater habe ihm gesagt, dass er keine Namen nennen solle, da sie mit diesen Feinden eigentlich Frieden geschlossen hätten. Aber die Feinde hätten sie trotzdem angegriffen und seinen Bruder getötet. Der BF sei eine Woche im Krankenhaus XXXX in der Stadt Kabul gewesen. Er habe den Vorfall bei der Bäckerei bei der letzten Einvernahme nicht angegeben. Dieser Vorfall sei ja vor drei oder vier Jahren gewesen. Er habe die letzten Probleme, die ihn dazu bewogen hätten Afghanistan zu verlassen, erzählt. Es sei nicht noch zu weiteren Verfolgungshandlungen gegen ihn gekommen. Er habe aus Angst das Haus nicht mehr verlassen können. Der BF habe einmal pro Monat telefonisch und auch per Internet Kontakt mit seinen Angehörigen. Seine Angehörigen würden sich in Kabul, an der alten Adresse aufhalten. Seine Frau lebe bei seiner Familie. Sein Vater arbeite, er hole XXXX aus XXXX und verkaufe sie dann in XXXX, in der Stadt Kabul. Er sei Großhändler und liefere an andere Verkäufer. Ein Geschäft habe er aber nicht. Befragt, ob er nochmals sagen könne, was er alles über die Personen, mit denen er in Afghanistan Probleme gehabt habe, angeben könne, brachte er vor, sie würden XXXX und XXXX heißen und seien Brüder. XXXX habe zwei Söhne namens XXXX und XXXX. XXXX habe nach Meinung des BF seinen Bruder getötet. Sie seien Händler. Sie würden XXXX importieren und exportieren XXXX und solche Sachen ins Ausland. Das sei alles, was er wisse. Diese Personen würden sich in XXXX, XXXX, Kabul, aufhalten. www.ris.bka.gv.at Seite 4 von 14

Befragt, warum eigentlich seine Angehörigen und seine angebliche Frau weiterhin in Afghanistan leben, während er ausreisen habe müssen, gab er an, ihre Feinde hätten ihn umbringen wollen, weil sie Angst vor seiner Rache gehabt hätten. Tatsächlich habe der BF geplant, sich an ihnen zu rächen, aber sein Vater habe ihn davon abgehalten. Sie hätten sich wegen des Todes seines Bruders um Hilfe an die Behörden gewandt. Es habe auch ein Gerichtsverfahren gegeben. XXXX und XXXX seien dann auch drei Monate im Gefängnis gewesen, hätten sich aber durch Bestechung wieder freigekauft. Ein Staatsanwalt habe ihnen diese Auskunft gegeben. Die Mutter von XXXX komme ab und zu versteckt zu ihnen nach Hause. Sie habe seiner Mutter erzählt, dass das sehr gut sei, dass er ins Ausland geflohen sei, denn sonst hätte ihre Familie ihn umgebracht. Als er noch dort gewesen sei, sei ihre Mutter zwei Mal zu ihnen gekommen und jetzt nach seiner Ausreise auch einmal, da sie sich freue, dass er nicht mehr in Afghanistan sei. 5. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 16.10.2012, Zahl: 11 12.404-BAW, den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.). Begründend führte das Bundesasylamt insgesamt aus, dass die vom BF gemachten Angaben hätten den Voraussetzungen für die Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung nicht zu entsprechen vermocht haben, da er wesentliche Aspekte seines Vorbringens im Verlauf des Verfahrens widersprüchlich dargestellt habe. Er habe sein Vorbringen in der Erstbefragung und in der ersten Einvernahme zunächst damit begründet, dass sich die Familie seiner angeblichen Ehefrau an ihm rächen wolle, da er die Familie durch die Heirat entehrt habe, bei der zweiten Einvernahme hingegen habe er behauptet, dass man ihn quasi präventiv töten wolle, damit er sich nicht umgekehrt an der Familie von XXXX räche. Es sei auch ganz grundsätzlich nicht nachvollziehbar, dass er, trotz der behaupteten Rachegefahr, nach dem Tod seines Bruders noch jahrelang in Afghanistan leben habe können und seine Familie auch weiterhin dort leben könne. Widersprüchlich zur ersten Einvernahme, wo er behauptet habe, sich wegen des Todes seines Bruders an die Behörden gewandt zu haben, diese den Mörder aber nicht finden haben können, habe er in der zweiten Einvernahme behauptet, dass der Mörder seines Bruders bzw. dieser und sein Bruder für drei Monate inhaftiert und gegen Schmiergeldzahlung frei gekommen seien. Auch die angeblich gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen habe er insofern widersprüchlich dargestellt, als er das Abgeben von Schüssen auf ihn samt erfolgter Verletzung und Krankenhausaufenthalt erst bei der zweiten Einvernahme erwähnt habe. Die Behauptung, dass er in der ersten Einvernahme nicht danach gefragt worden sei, stelle keinen tauglichen Grund für eine Rechtfertigung dar, zumal er seine Fluchtgründe über eineinhalb Seiten geschildert habe und er auch dezidiert zu den gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen geschildert habe. Dass er dabei ausgerechnet einen Vorfall, im Zuge dessen auf ihn geschossen worden sei, vergessen habe, sei aufgrund der Schwere des Vorfalls, der Bedeutung, die derartiges wohl im Leben eines Menschen darstelle, schlicht nicht glaubhaft. Auch die Angaben zu seinen angeblichen Verfolgern seien widersprüchlich gewesen, da er einerseits pauschal davon spreche, dass diese sehr einflussreich seien und glaublich mit XXXX handeln würden und es sich um einen der größten Händler handeln würde, dann aber wieder angegeben habe, sie würden mit XXXX und XXXX handeln und zwischendurch wieder behauptet habe, einfach nicht mehr darüber zu wissen. Völlig unrealistisch sei auch die Behauptung, dass man ihn an einem anderen Ort in Afghanistan, sogar im Iran leichter finden würde als zu Hause in Kabul. Auch die angebliche Hochzeit mit einer gewissen XXXX sei nicht glaubhaft, da er nur vage angeben habe können, diese angeblich 2009 geheiratet zu haben und nicht einmal in der Lage gewesen sei, anzugeben, welchen Familiennamen sie führe. Auch dass sich die Mutter von XXXX alleine zu den Feinden seiner Familie gewagt habe, sei schlicht nicht nachvollziehbar und daher nicht glaubhaft. Aus der vorgelegten DVD gehe nicht hervor, dass es sich tatsächlich um das Begräbnis seines Bruders oder um Angehörige seiner Familie handle. Selbst wenn die DVD das Begräbnis des Bruder gezeigt haben sollte, so ergebe sich daraus nicht, dass die im Anschluss daran behaupteten Verfolgungshandlungen deshalb glaubhafter werden würden. Aus einer Gegenüberstellung seiner Schilderung der Todesumstände seines Bruders und der Auswertung der DVD würden sich gravierende Widersprüche ergeben. Aus der Auswertung der DVD ergebe sich, dass die verstorbene Person mit zwei Personen weggegangen und dann getötet worden sei und sein Vater dies beobachtet habe. Von, wie von ihm angegebenen 15 Personen oder einer Art Erstürmung des Geschäftes, sei dabei keine Rede. Ferner werde auf der DVD nichts über die Heirat seines Bruders und somit den angeblichen Grund für dessen Ermordung erwähnt. Rechtlich führte das Bundesasylamt zu Spruchpunkt I. aus, dass seinem Fluchtvorbringen keinerlei Glaubwürdigkeit zukomme und er daher keinesfalls in der Lage gewesen sei, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen glaubhaft zu machen. Auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hätten sich bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 14

Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher gem. Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 GFK zur Gewährung von Asyl führen würde, ergeben. Rechtlich führte das Bundesasylamt zu Spruchpunkt II. aus, dass er aus Kabul und somit einem Gebiet stamme, das als hinreichend sicher anzusehen sei. Vor allem sei dabei auf die Feststellungen zur Lage in Kabul zu verweisen, woraus sich ergebe, dass er als erwachsene, arbeitsfähige, gesunde Person zumutbarer Weise in der Lage sei, wenn auch unter Schwierigkeiten, für sein Auslangen zu sorgen. Er verfüge vor allem auch über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch seine Familie, die sich nach wie vor in Kabul im eigenen Haus aufhalte, die vor seiner Ausreise für ihn gesorgt habe (bzw. er seinen Vater bei dessen Geschäften unterstützt habe) und spreche aus Sicht der Behörde daher nichts gegen eine Rückkehr zu seiner Familie nach Kabul. Vor allem sei darauf zu verweisen, dass seinen Fluchtgründen keine Glaubwürdigkeit zugesprochen worden sei und auch aus diesem Grund eine Rückkehr nach Kabul jedenfalls als zumutbar zu erachten sei. In einer Gesamtschau sei daher unter Berücksichtigung seiner individuellen Ressourcen, des sozialen Netzwerks, aber insbesondere auch unter Berücksichtigung der in Kabul existierenden Hilfseinrichtungen davon auszugehen, dass ihm kein reales Risiko drohe, im Fall der Rückkehr in eine ausweglose Situation zu geraten, da Arbeit, Unterkunft und eine hinreichende Versorgung mit Lebensmittel in Kabul für ihn gewährleistet erscheine. Zu Spruchpunkt III. kam das Bundesasylamt zu dem Ergebnis, dass kein Eingriff in das Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers vorliege, sowie dass durch seine Ausweisung nicht auf unzulässige Weise isd. Art. 8 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention in sein Recht auf Schutz des Familien- oder Privatlebens eingegriffen würde. 6. Mit Verfahrensanordnung vom 17.10.2012 wurde dem BF gemäß 66 Abs. 1 AsylG 2005 die ARGE- Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof amtswegig beigegeben. 7. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob der BF fristgerecht Beschwerde, worin Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und im Wesentlichen die Nichteinhaltung des Rechts auf Parteiengehör kritisiert wird. Der BF habe schon von Anfang an versucht, der Behörde von seiner Schussverletzung zu erzählen. Es sei ihm nicht die Möglichkeit gegeben worden, seine Narbe von der Schussverletzung zu zeigen. Der Dolmetscher habe nur Paschtu gesprochen, was vielleicht der Grund dafür gewesen sei, dass er seine Aussage, mit der er die Behörde auf seine Wunde aufmerksam gemacht habe, nicht richtig weitergegeben worden sei. Laut Failed State Index befinde sich Afghanistan an 7. Stelle der am Meisten gescheiterten Staaten. Dem BF sei zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren. Die Zahl ziviler Opfer in Afghanistan steige stetig und es sei keine Besserung der Lage zu erkennen, wobei diesbezüglich auf den Bericht von UNAMA, Afghanistan - Annual Report 2011, Protection of Civilians in Armed Conflict, Februar 2012, verwiesen wurde. Betreffend die Länderfeststellungen wurde auf Auszüge aus dem Bericht von Daisuke Yoshimura aus dem Asylmagazin 12/2011 verwiesen. In diesem Zusammenhang wurde auch das ecoi.net-themendossier vom 14.02.2012 zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul zitiert. Sollte die belangte Behörde der Ansicht sein, dass der BF in Kabul in Sicherheit leben könne, sei ebenfalls auf den zitierten Bericht des Informationsverbund Asyl und Migration sowie den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20.10.2011 zu verweisen, der von einer dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul ausgehe. Die in den Länderfeststellungen zitierten Informationen zur Rückkehrsituation würden u.a. aus dem Bericht des Bundesasylamtes "Bericht zur Fact Finding Mission Afghanistan" vom Dezember 2010 stammen, worin auch ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass es nicht genügend Hilfsprogramme für Rückkehrer gebe. Auch hinsichtlich des Abschiebungsschutzes afghanischer Flüchtlinge sei auf den Bericht des Informationsverbunds Asyl und Migration zu verweisen. Weiters wurde die ACCORD - Anfragebeantwortung vom 08.02.2013 (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Zwangsrekrutierung von erwachsenen Männern durch die Taliban) zitiert. Auch der Länderschwerpunkt des Deutschen Amtes für Migration und Flüchtlinge beschreibe sehr treffend die aktuelle Gefährdungslage in Afghanistan. Zudem werde in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 24.03.2011 darauf hingewiesen, dass die Gesamtsituation in Afghanistan vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Übereinstimmung mit den Definitionen und dem Umfang gemäß Art. 1 (1) des Protokolls II der Genfer Abkommen anerkannt worden sei. 8. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 13.11.2012 beim Asylgerichtshof ein. www.ris.bka.gv.at Seite 6 von 14

9. Mit Wirksamkeit 01.01.2014 wurde das nunmehr zur Behandlung der Beschwerde zuständige Bundesverwaltungsgericht eingerichtet. 10. Am 24.07.2014 brachte der BF drei Fotographien und die bereits einmal vorgelegte DVD mit Aufzeichnungen vom Begräbnis seines Bruders sowie eine Bestätigung über die Teilnahme beim Projekt "Team Österreich" vom Radio-Sender Ö3 und dem Österreichischen Roten Kreuz vom 14.06.2013 in Vorlage. 11. Anlässlich der am 24.3.2015 abgehaltenen mündlichen Verhandlung machte der BF die folgenden ergänzenden Angaben: Er sei in Kabul geboren, von seinen Brüdern seien zwei älter und einer jünger gewesen. Die älteste Schwester sei früh verstorben. Eine weitere Schwester lebe noch. Den Moment, als die junge Frau ins Elternhaus der Familie kam, schilderte der BF aus eigener Wahrnehmung wie folgt: Eines Abends etwa im Jahr XXXX sei der ältere Bruder XXXX heimgekommen und habe gesagt, er habe eine Frau mitgebracht, die nicht zu ihrer Familie zurück könne, da sie ansonsten gegen ihren Willen jemand anderen heiraten müsse. Das Mädchen hätte sich einstweilen im Garten versteckt. Der Vater habe das Mädchen hereinholen lassen. Man habe versucht ihr zuzureden, dass sie zu ihrer Familie zurückkehren solle, sie aber habe XXXX heiraten wollten. Ihre Familie, eine einflussreiche Familie mit viel Geld, habe für sie einen wohlhabenden älteren Mann ausgesucht. Das Mädchen sei bei der Familie des BF geblieben. Am nächsten Tag habe der Vater die Ältesten der Siedlung "XXXX" und die Ältesten des Stammes versammelt und sich mit ihnen im Elternhaus des BF beraten. Der BF habe Tee serviert. Die Ältesten hätten dann die Familie der Frau aufgesucht, um eine friedliche Lösung zu erarbeiten. Der Bruder XXXX habe das Mädchen im Elternhaus des BF in Form einer Nekah im kleinen Kreis geheiratet. Zur Versöhnung habe die Familie des BF der anderen Familie ein Schaf geschickt. In der Folge habe die Familie des BF regelmäßig Drohanrufe erhalten, habe aber gehofft, dass sich die Stimmung beruhigen würde. Den Überfall auf das Geschäft schilderte der BF wie folgt: Es seien etwa 15 bis 20 Personen, darunter der Vater und die zwei Brüder der Frau von XXXX mit mehreren Autos zum Geschäft gekommen und hatten XXXX in aggressivem Ton aufgefordert, aus dem Geschäft zu kommen. Der Bruder XXXX habe die Sache regeln wollen. Die Brüder hätten den Vater ersucht wegzugehen, damit er nicht verletzt werde. Ein Nachbar, XXXX, habe den Vater weggebracht. XXXX sei in eines der Autos gestiegen und habe die Sache bereden wollen. Er sei aber herausgezerrt worden und mit einem Messer getötet worden. Der BF und sein anderer Bruder seien verletzt worden. Im nachfolgenden Gerichtsverfahren sei der Schwager XXXX verurteilt und inhaftiert worden. Durch Bekannte habe die Familie jedoch ein paar Monate später erfahren, dass er durch Geld wieder freigekommen sei. Der Vater habe von da an einen Großhandel betrieben. Er habe Muster angeboten und XXXX von XXXX nach Kabul geführt, die er im Elternhaus des BF zwischenlagerte. Da die Situation nach dem Tod des Bruders für die Familie sehr schwer war - besonders für die Mutter und die Witwe des Bruders - diese habe einen Selbstmordversuch unternommen - habe der Vater ihr zugeredet, nun den BF zu heiraten (der älteste Bruder sei bereits verlobt gewesen). Auch der BF sei einverstanden gewesen um seinen Vater zu unterstützen und habe die Witwe seines Bruders im kleinen Kreis geheiratet. Der BF sei insgesamt zwei Mal verfolgt worden: Etwas mehr als ein Jahr nach dem Tod seines Bruders habe er einmal in der Früh zum Bäcker gehen wollen, und sei angeschossen worden. Im Krankenhaus, sei er von der Polizei vernommen worden. Auf Anraten seines Vaters habe er keine Namen genannt. Im Jahr 2011 sei der BF eines Nachmittags, als er zum XXXX im Stadtteil XXXX gehen wollte, auf ein schnell fahrendes Auto aufmerksam geworden, dass neben ihm plötzlich stehenblieb. Die Personen im Auto hätten ihn aufgefordert, einzusteigen, es gäbe etwas zu besprechen. Dem BF sei klar gewesen, dass es sich um die Familie seiner Frau handeln müsse. Er sei davon gelaufen, in das Geschäft eines Bekannten und habe den Vater angerufen, der ihm riet mit einem Taxi heimzufahren. Ein paar Monate später habe der Onkel mütterlicherseits, der als Ingenieur in einem Unternehmen arbeitete, das Angehörigen der Ehefrau gehört, dass ihm zu Ohren gekommen sei, dass die Familie der Ehefrau nun plane, den BF zu vernichten und verschwinden zu lassen. Der BF habe Afghanistan nicht allein verlassen wollen sondern habe vorgeschlagen, dass die ganze Familie in ein Nachbarland Afghanistans fliehen möge. Der Vater habe jedoch veranlasst, dass der BF als erster ausreiste www.ris.bka.gv.at Seite 7 von 14

und habe geplant, das Geld für die Ausreise der übrigen Familie danach aufzutreiben. Etwas später habe er die beiden anderen Söhne nach Russland geschickt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat seine Teilnahme an dieser Verhandlung mit Schreiben vom 3.3.2015 abgesagt. II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: 1. Feststellungen: Der unbescholtene Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, er ist im Jahr 1988 in Kabul geboren, ist Staatsangehöriger von Afghanistan, sunnitischer Moslem, und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der BF lebte mit seinen Eltern, zwei Schwestern, zwei älteren Brüdern und einem jüngeren Bruder in Kabul in einem Haus. Eine Schwester verstarb früh. Der BF besuchte neun Jahre die Grundschule in Kabul und arbeitete dann im Betrieb seines Vaters, der mit XXXX handelte. Eines Abends etwa im Jahr XXXX kam der ältere Bruder XXXX heim und sagte, er habe eine Frau mitgebracht, die nicht zu ihrer Familie zurück könne, da sie ansonsten gegen ihren Willen jemand anderen heiraten müsse. Das Mädchen hatte sich einstweilen im Garten versteckt. Der Vater ließ das Mädchen hereinholen. Man versuchte ihr zuzureden, dass sie zu ihrer Familie zurückkehren solle, sie aber wollte XXXX heiraten. Ihre Familie hatte für sie einen wohlhabenden älteren Mann ausgesucht. Das Mädchen blieb bei der Familie des BF. Am nächsten Tag versammelte der Vater die Ältesten der Siedlung und die Ältesten des Stammes, die dann die Familie der Frau aufsuchten, um eine friedliche Lösung zu erarbeiten. Noch am selben Abend heiratete der Bruder XXXX das Mädchen im Elternhaus des BF in Form einer Nekah. Zur Versöhnung schickte die Familie des BF der anderen Familie ein Schaf. In der Folge erhielt die Familie des BF regelmäßig Drohanrufe, hoffte aber, dass sich die Stimmung beruhigen würde. Eines Tages, als der BF mit seinen zwei älteren Brüdern und dem Vater im Geschäft arbeitete, kamen 15 bis 20 Personen, darunter der Vater und die zwei Brüder der Frau von XXXX, herein und forderten XXXX auf, aus dem Geschäft zu kommen. Die Brüder baten den Vater wegzugehen. Ein Nachbar, XXXX, kümmerte sich um ihn und brachte ihn weg. Dann stieg XXXX in eines der Autos, mit denen die Personen gekommen waren, um zu verhandeln. Er wurde aber herausgezerrt und mit einem Messer getötet. Im nachfolgenden Gerichtsverfahren wurde der Schwager XXXX verurteilt, kam aber bald wieder frei. Der Vater verkaufte in der Folge seinen Laden und betrieb von da an einen Großhandel. Er transportierte XXXX von XXXX nach Kabul. Der BF und sein überlebender Bruder verließen das Haus selten und nur untertags, wenn viele Menschen auf der Straße waren. Als der BF etwas mehr als ein Jahr später einmal in der Früh zum Bäcker gehen wollte, wurde er angeschossen. Er kam ins Krankenhaus, wurde dort vernommen, nannte aber auf Anraten seines Vaters keine Namen. Die Witwe des Bruders XXXX unternahm einen Selbstmordversuch. Um der tragischen Situation ein Ende zu setzen redete der Vater der jungen Frau zu, nun den BF zu heiraten. Auch der BF war damit einverstanden und heiratete die Witwe seines Bruders im kleinen Kreis. Beide verlebten zwei ruhige Jahre. Dann wurde der BF eines Nachmittags, als er zum XXXX im Stadtteil XXXX gehen wollte, auf ein schnell fahrendes Auto aufmerksam, dass neben ihm plötzlich stehenblieb. Die Personen im Auto forderten ihn auf, einzusteigen, es gäbe etwas zu besprechen. Dem BF war klar, dass es sich um die Familie seiner Frau handelte. Er lief davon, in das Geschäft eines Bekannten und rief seinen Vater an, der ihm riet mit einem Taxi heimzufahren. Ein paar Monate später erzählte der Onkel mütterlicherseits des BF, der als Ingenieur in einem Unternehmen arbeitete, das Angehörigen der Ehefrau gehörte, dass ihm zu Ohren gekommen sei, dass die Familie der Ehefrau nun plane, den BF zu vernichten. Der Vater veranlasste daraufhin die Ausreise des BF, der sich nach dieser Nachricht nicht mehr aus dem Elternhaus wagte. Aus den aktuell verfügbaren Länderberichten über die Situation in Afghanistan ergibt sich Bezug nehmend auf den festgestellten Sachverhalt folgendes: Afghanistan ist von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen, bei dem die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF), mehreren regierungsfeindlichen Kräften (AGEs), insbesondere Mitgliedern der Taliban, des Haqani-Netzwerks und von Hezb-e-Islami Hekmatyar, gegenüberstehen. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nicht vorhersehbar, die Zivilbevölkerung trägt die Hauptlast des Konflikts. Der Konflikt betrifft mittlerweile auch Provinzen, die zuvor als stabil gegolten haben. Die Regierungsgewalt Afghanistans wird als besonders schwach wahrgenommen. Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von ineffektiver Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staats untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden Personen selten für www.ris.bka.gv.at Seite 8 von 14

Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen, und für die Fortschritte der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung trotz entsprechender, in der Vergangenheit eingegangener Verpflichtungen seitens der Regierung. Zudem ist die Polizei in den meisten Gebieten nicht mit einem funktionierenden Justizsystem verbunden, und in vielen Gebieten existiert keine effektive Regierungsgewalt, die die Polizei unterstützt. Der fortwährende Konflikt wirkt sich negativ auf die Fähigkeit der Regierung aus, die Menschenrechte zu schützen. Die afghanische lokale Polizei hat zwar Berichten zufolge in den meisten Gebieten, in denen sie tätig ist, zu einer höheren Sicherheit beigetragen, allerdings bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich des vorgeworfenen Mangels an Verantwortlichkeit der Mitarbeiter der afghanischen lokalen Polizei für in der Vergangenheit und Gegenwart begangene Menschenrechtsverletzungen und hinsichtlich der für Rekrutierung und Sicherheitsprüfungen der afghanischen lokalen Polizei vorgeschriebenen Richtlinien und Verfahren, die Berichten zufolge inkonsistent angewendet werden. Schädliche traditionelle Praktiken sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat; Hausarrest und Ehrenmorde. Nach dem EVAW-Gesetz stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"- Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch wie oben festgestellt langsam und inkonsistent. (Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes Afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013) In Blutfehden verwickelte Personen: Gemäß alt hergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Akte der Vergeltung die Mitglieder einer anderen Familie. In Hinblick auf Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Pashtunwali verwurzelt. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Vergehen wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführungen oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Pashtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann die Blutfehde ruhen, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters durch das formale Rechtssystem schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. Auf http://www.refworld.org/docid/5124c6512.html, S. 9. wird berichtet, dass Blutfehden vorrangig eine paschtunische Tradition seien, Blutfehden und private Rache aber auch unter nicht-paschtunischen Gruppen in Afghanistan vorkämen, insbesondere in Gegenden, in denen sich historisch gesehen Paschtunen und andere ethnische Gruppen gemischt und über die Zeit gemeinsame Normen etabliert hätten. Blutfehden sind jedoch unter nicht-paschtunischen Gruppen weniger üblich, da dort eine größere Bereitschaft besteht, das formale Rechtssystem in Anspruch zu nehmen, um Streitigkeiten beizulegen. Ebd., S. 15-16. http://www.refworld.org/docid/4dd21fe52.html, S. 20, berichtete Human Rights First über das Phänomen in Familienfehden verwickelter Einzelpersonen, die falsche Informationen an die internationalen Streitkräfte in Afghanistan über Familienmitglieder der Gegenseite gaben, damit die von ihnen verfolgten Personen festgenommen und inhaftiert werden. (Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender HCR/EG/AFG/13/01, 6.8.2013) www.ris.bka.gv.at Seite 9 von 14

Am 18.11.14 wurde im Distrikt Kohistani der zentralafghanischen Provinz Kapisa ein junges Paar wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs von einem staatlichen Gericht zu 100 Peitschenhieben verurteilt und die Strafe öffentlich vollzogen. In der Provinz Punjab, Pakistan, erschoss eine Gruppe bewaffneter Männer am 21.10.14 ein Ehepaar, das gegen den Willen seiner Familien geheiratet haben soll. (Quelle: BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Deutschland: Briefing Notes vom 24.11.2014, 24. November 2014 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/file_upload/4232_1416904912_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlingebriefing-notes-24-11-2014-deutsch.pdf (Zugriff am 14. Januar 2015) Auch der letztgenannte Länderbericht wird für die hier zu treffende Beurteilung herangezogen, da er zwar nicht unmittelbar Afghanistan, sehr wohl aber den umliegenden Kulturkreis betrifft und das hier relevante Thema einer Heirat gegen den Willen der Eltern behandelt. 2. Beweiswürdigung: Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die Angaben des BF, die von ihm vorgelegte Filmaufnahme und die damit im Einklang stehenden hier herangezogenen allgemeinen Länderinformationen. Die Identität des BF erscheint unbedenklich. Der BF konnte in der mündlichen Verhandlung vom 24.3.2015 auf Nachfrage zu einzelnen Details seiner Fluchtgeschichte spontan Stellung nehmen und seine bisherigen Angaben in lebensnaher Weise ergänzen. Seine Aussagen ergeben insgesamt die logische Abfolge von nachvollziehbaren Geschehnissen. Seine Fluchtgeschichte ist in ihren wesentlichen Punkten widerspruchsfrei. Die Unbescholtenheit des BF ergab sich aus dem österreichischen Strafregisterauszug. Soweit im erstinstanzlichen Bescheid eingewendet wird, der BF sei deshalb nicht glaubwürdig, da er seine Flucht in der Erstbefragung und in der ersten Einvernahme zunächst damit begründete, dass sich die Familie seiner "angeblichen Ehefrau" an ihm rächen wolle und bei der zweiten Einvernahme behaupte, dass man ihn quasi präventiv töten wollte, damit er sich nicht umgekehrt an der Familie seiner Frau rächen könne, wird diesen Bedenken nicht gefolgt, da der vom BF dargelegte Hergang der Ereignisse klar erkennen lässt, dass der BF war, wie er nachvollziehbar darlegen konnte, darauf angewiesen, zu mutmaßen, weshalb er nach Jahren der Ruhe wieder angegriffen wurde. Seine diesbezüglichen Aussagen erscheinen unter Berücksichtigung dieses Umstandes unbedenklich. Soweit im erstinstanzlichen Bescheid eingewendet wird, es sei nicht nachvollziehbar, dass der BF trotz der behaupteten Rachegefahr, jahrelang in Afghanistan blieb, wird diesen Bedenken im hier vorliegenden Gesamtzusammenhang nicht gefolgt, da der BF vom Beginn des Verfahrens an ausgesagt hat, dass seine Familie stets eine versöhnliche Haltung eingenommen, und darauf vertraut hat, dass dies ein geeigneter Weg wäre, um in Ruhe weiterleben zu können. Erst die Nachricht des Onkels und die dieser Nachricht vorangegangene dem BF widerfahrene Zudringlichkeit auf der Straße haben die Familie veranlasst, den BF (und in der Folge auch die nächst jüngeren Söhne der Familie) außer Landes zu bringen. Was den Umstand betrifft, dass die vom BF geschilderten Angriffe in Abständen von mehreren Jahren stattfanden, so ist diesbezüglich auf die allgemeinen Informationen bezüglich des typischen Ablaufes einer Blutrache zu verweisen, denen zufolge zwischen den einzelnen Attacken einer Blutrache Jahre und sogar Generationen liegen können. Soweit im Bescheid erster Instanz Widersprüchlichkeiten darin gesehen werden, dass der BF einerseits vorbrachte, er hätte sich wegen des Todes seines Bruders an die Behörden gewandt, diese hätten den Mörder aber nicht finden haben können und andererseits, der Mörder des Bruders wäre für drei Monate inhaftiert worden, sei aber gegen Schmiergeldzahlung frei gekommen, so wird auch diesem Einwand nicht gefolgt: Die Aussagen des BF zeigen insgesamt, dass er selbst annahm, dass einer der Brüder seiner Frau den Bruder XXXX getötet hat. Gleichzeitig musste die Familie vom Staatsanwalt erfahren, dass kein Mitglied der Familie der Frau langfristig inhaftiert wurde, was rechtlich zu dem Schluss führen muss, dass im rechtlichen Sinn kein Mörder gefunden wurde. Auch der Umstand dass der BF seine Schussverletzung und seinen Krankenhausaufenthalt erst bei der dritten Einvernahme erwähnt hat spricht im vorliegenden Gesamtzusammenhang nicht gegen seine Glaubwürdigkeit: Der BF hat selbst angegeben, dass dieser Vorfall viele Jahre vor seiner Ausreise war und er sich bei den ersten beiden Einvernahmen auf jene Vorfälle beschränkt hat, die unmittelbar mit seiner Ausreise aus Afghanistan in Verbindung standen (bzw. zu deren Verständnis erforderlich waren). www.ris.bka.gv.at Seite 10 von 14

Soweit im erstinstanzlichen Bescheid eingewendet wird, die Angaben des BF zu seinen Verfolgern seien widersprüchlich, da er sie einerseits pauschal als sehr einflussreich bezeichnet habe und angeben habe, sie würden als Großhändler mit XXXX handeln, dann aber wieder angegeben habe, sie würden mit XXXX und XXXX handeln und zwischendurch behauptet habe, er wisse nicht mehr darüber, wird auch diesem Einwand im vorliegenden Gesamtzusammenhang kein entscheidendes Gewicht beigemessen: Der BF hat dazu anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 24.3.2015 ausgesagt, dass er über die Familie seiner Frau nur durch ihre Erzählungen erfahren habe und daher die Information habe, dass diese mit XXXX und XXXX handelten. Auch der Umstand, dass der BF den Familiennamen seiner Frau nicht nennen konnte spricht im vorliegenden Gesamtzusammenhang nicht gegen seine Glaubwürdigkeit: Der BF hat dazu im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben, dass seine Frau mit dem Vornamen angesprochen werde. Bei der Hochzeit habe sie der Mullah als "XXXX, Tochter des XXXX" angesprochen. Den im erstinstanzlichen Bescheid geäußerten Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage, dass sich die Mutter von XXXX alleine zu den Feinden ihrer Familie gewagt habe wird nicht gefolgt: Anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 24.3.2015 gab der BF an, die Mutter der Frau sei niemals zu Besuch gekommen sondern habe unter dem Vorwand, sie würde zum XXXX gehen, immer nur ganz kurz vorbei geschaut. Die Glaubwürdigkeit des BF ist vor diesem Hintergrund nicht in Zweifel zu ziehen. Dem im erstinstanzlichen Bescheid geäußerten Einwand, aus der vorgelegten DVD gehe nicht hervor, dass es sich tatsächlich um das Begräbnis des Bruders des BF handle, ist dem entgegenzuhalten, dass der Name des Bruders auf dem am Sarg angebrachten Schild aufscheint. Dieser Name wurde zwar in der schriftlichen Übersetzung mit "XXXX" angeführt. Anlässlich der beim Bundesverwaltungsgericht abgehaltenen mündlichen Verhandlung konnte jedoch mit Hilfe der anwesenden Dolmetscherin geklärt werden, dass auf der Film- Aufnahme der Buchstabe XXXX des Namens "XXXX" vorhanden sei allerdings schwach zu erkennen sei. Der BF konnte anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 24.3.2015 auch zur aufgezeichneten Rede seines Vaters erläuternd Stellung nehmen und die darin genannten Namen zuordnen. Soweit im erstinstanzlichen Bescheid eingewendet wird, aus der DVD ergebe sich, dass die verstorbene Person mit zwei Personen weggegangen und dann getötet worden sei und sein Vater dies beobachtet habe, wird dem entgegnet, dass sich die Rede einer bildhaften feierlichen Sprache bedient, dass die Inhalte der Rede aber durchaus mit den Schilderungen des BF übereinstimmen: So hat dieser etwa hinsichtlich des Beginns des Überfalls angegeben, dass Personen ins Geschäft kamen, XXXX aufforderten, mit ihnen hinauszukommen, dass XXXX seinen Vater ersuchte, ihn die Sache selbst ins Reine bringen zu lassen dass XXXX dann hinausging, zu Vertretern seiner verschwägerten Familie ins Auto stieg und verhandeln wollte, dass er aber hinausgezerrt und getötet wurde. Dass der Vater den der Ermordung seines Sohnes zu Grunde liegenden Konflikt in seiner Rede nicht erwähnt hat, erscheint nach Heranziehung der Länderberichte über Afghanistan verständlich und spricht nicht gegen die Beweiskraft des vorgelegten Videos. Der Vater sagt im Übrigen in seiner Rede mehrmals, dass er keine Namen erwähnt, weil der keine Rache will. Auch dies steht mit den Aussagen des BF im Einklang und bekräftigt deren Glaubhaftigkeit. 3. Rechtliche Beurteilung: Gemäß 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.f. BGBl. I 2013/122, geregelt ( 1 leg.cit.). Gemäß 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. www.ris.bka.gv.at Seite 11 von 14

Zu A) Zuerkennung des Status des Asylberechtigten: Gesetzliche Grundlagen und Judikatur: Gemäß 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Der Antrag auf internationalen Schutz ist gem. 3 Abs. 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht (Ziffer 1) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund gesetzt hat (Ziffer 2). Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 27.06.1995, 94/20/0836; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, 99/20/0373; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwn; VwGH 12.09.2002, 99/20/0505 sowie VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung kommt dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen www.ris.bka.gv.at Seite 12 von 14

Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 2006/01/0191 vom 13.11.2008). Mangelnde Schutzfähigkeit des Staates liegt nicht schon dann vor, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine BürgerInnen gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (vgl. VwGH 2006/01/0191 vom 13.11.2008); Mangelnde Schutzfähigkeit des Staates ist jedoch dann gegeben, wenn der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 22.03.2003, 99/01/0256). Für eine/n Verfolgte/n macht es nämlich keinen Unterschied, ob er/sie aufgrund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm/ihr dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm/ihr nicht möglich bzw im Hinblick auf seine/ihre wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen. Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 8.10.1980, VwSlg. 10.255). Verfolgungsgefahr muss nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem/der Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden. Vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der/die Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er/sie könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2001 2000/01/0322). rechtliche Beurteilung des konkreten Sachverhaltes: Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht des BF vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention wohlbegründet ist: Der BF ist in den Kreislauf einer Blutfehde geraten. Der BF hat keine reale Möglichkeit, sich durch die Anstrengung eines rechtsstaatlichen Verfahrens den wirksamen Schutz staatlicher Behörden in Anspruch zu nehmen und sich so der Gefahr seiner Verfolgung effektiv zu entziehen: Der BF ist in Afghanistan insgesamt einer nicht funktionierenden Staatsgewalt ausgesetzt. Die von ihm geäußerte Furcht vor Verfolgung ist daher als objektiv möglich und als wohlbegründet anzusehen. Die vom BF dargelegte Verfolgung hat ihre Ursache in einem Grund, welchen Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt. Sie ist Ursache dafür, dass sich der BF außerhalb seines Heimatlandes befindet. Der BF hat Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der in eine Blutfehde verwickelten Personen. Für den BF existiert keine sinnvolle interne Schutzalternative. Die Umstände, die vom BF als Grund für die Ausreise angegeben werden und die Ausreise selbst standen in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang. Der BF hielt sich, sobald seiner Familie klar war, dass die verfeindete Familie nach Jahren der Ruhe nun gezielt dem BF nach dem Leben trachtet, daheim versteckt und bis seine Ausreise aus Afghanistan organisiert war. Die vom BF erwartete Verfolgung ist als ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des BF anzusehen. Sie ist geeignet, die Unzumutbarkeit seiner Rückkehr nach Afghanistan zu begründen. Die vom BF dargelegte Verfolgung droht ihm mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit. Sie ist auch aktuell. Die vom BF dargelegte Verfolgung stellt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung dar, da aktuell von mangelnder Schutzfähigkeit des Afghanischen Staates ausgegangen werden muss. Dem BF wäre es nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen. www.ris.bka.gv.at Seite 13 von 14

Es sind auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes gegeben. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Zu B Unzulässigkeit der Revision: Gemäß 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2015:W164.1430467.1.00 www.ris.bka.gv.at Seite 14 von 14