Arbeitsmedizinisches Fortbildungs-Symposium Asbest: Eine Bilanz aus arbeitsmedizinischer Sicht

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Arbeitsmedizinisches Fortbildungs-Symposium Asbest: Eine Bilanz aus arbeitsmedizinischer Sicht Asbest tödlicher Arbeitsstoff Bereits 1973 stufte die Deutsche Forschungsgemeinschaft Asbest als krebserzeugend ein. Das Verbot der Produktion und Verwendung von Asbest in Deutschland wurde allerdings erst 20 Jahre später ausgesprochen. Kein anderer gefährlicher Arbeitsstoff oder berufsbedingtes Humankanzerogen ist so intensiv Gegenstand von Diskussionen und Forschungen der letzten Jahre wie Asbestfaserstaub. Haupttodesursachen Asbest-verursachter Berufskrebserkrankungen in den Industriestaaten sind weltweit das Mesotheliom und der Lungenkrebs. Seit 1999 sind in Deutschland mehr als 1000 Todesfälle pro Jahr auf eine berufliche Exposition gegenüber Asbestfaserstaub zurückzuführen im Jahre 2005 waren es sogar 1527 Todesfälle. Neben dem Larynxkarzinom sind auch benigne pulmonale Erkrankungen wie die Asbestose oder asbestbedingte Pleuraveränderungen häufig anzutreffende Folgeerkrankungen einer bereits länger zurückliegenden Exposition gegenüber Asbestfaserstaub. Mit dem Thema : Asbest Eine Bilanz aus arbeitsmedizinischer Sicht eröffnete Univ.-Prof. em. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz das arbeitsmedizinische Symposium vom 01.03.2008 an der Uniklinik Homburg unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Axel Buchter, Leiter des Instituts und Poliklinik für Arbeitsmedizin der Universität des Saarlandes und des Präventivmedizinischen Zentrums für arbeits- und umweltbedingte Erkrankungen. In Deutschland ging man von 26 000 Leistungsfällen (anerkannte asbestbedingte Berufserkrankungen mit finanziellen Entschädigungsleistungen) aus einhergehend mit jährlichen Kosten von 300 000 000 Euro. Die Gesamtkosten der berufsgenossenschaftlichen Haftung betrugen bisher 2,7 Milliarden Euro zukünftig wird eine Summe von 8 10 Milliarden erwartet. Unter dem Begriff Asbest versteht man natürliche mineralische Fasern oder Silikate, die als Serpentine oder Amphibole vorkommen. Zu den Serpentinen zählt das Chrysotil oder auch Weißasbest, das mit 94% den größten Anteil der verwendeten Asbestmenge ausmacht und elektronenoptisch spiralig erscheint. Amosit (Braunasbest, 2%) und Krokydolith (Blauasbest, 3%) werden ebenso wie Antophyllit, Aktinolith und Tremolit unter dem Begriff Amphibole subsummiert und imponieren elektronenmikroskopisch nadelförmig (Abb. 1). Der WHO- Faser oder Faser mit den sogenannten kritischen Abmessungen (Länge > 5 μm, Durchmesser < 3 μm und einem Verhältnis von Länge zu Durchmesser > 3) kommt eine besondere Bedeutung zu. Diese Faser ist nicht nur gut alveolargängig sondern auch - aufgrund der besonders hohen Biobeständigkeit - kanzerogen. 10 Asbest Eine Bilanz aus arbeitsmedizinischer Sicht Univ.-Prof. em. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz, Universität Gießen Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts stellte Asbest (aus dem griechischen: asbestos: nicht brennbar, unvergänglich) das Mineral der 1000 Möglichkeiten dar. Asbest kam aufgrund seiner besonderen Eigenschaften (der Temperaturbeständigkeit, Reißfestigkeit und Biegsamkeit) in verschiedensten Technologien breitflächig zum Einsatz. Schwerpunkte lagen in der Bauwirtschaft, im Ingenieur- und Elektrizitätswesen sowie in der Werftindustrie, aber auch im Handwerks-, Haushalts- und Hobbybereich. Erst 100 Jahre später erkannte man die weltweite sozio-ökonomische Dimension von Fehleinschätzungen der Technologiefolgen. So verzeichnete man in den USA im Jahr 2003 etwa 300 000 Klagen von Asbest-Geschädigten. Die individuellen Schadensersatzzahlungen lagen dabei zwischen 20 000 und 1 Million Dollar ein Entschädigungsfond in Höhe von 108 Milliarden Dollar wurde geschaffen. Abb. 1: Asbest, Prof. Woitowitz Natürliche Asbestvorkommen sind überwiegend an basische Erguß- und Tiefengesteine gebunden. Nach dem Abbau wird Asbest einer industriellen Aufbereitung zugeführt und zu vielfältigen Produkten weiterverarbeitet. Folge der Produktbearbeitung, des Verbrauches fertiger Produkte sowie der Beseitigung und Deponie von Asbestmaterial ist auch heute nach wie vor eine beruflich bedingte inhalative Exposition entsprechender Personen. Differenziert werden kann zwischen einem Hochdosisbereich in der Asbestindustrie und Asbestentsorgung sowie einem Nie-

drigdosisbereich bei Anwendern von Asbestprodukten und durch Haushaltskontakte. Zum Hochdosisbereich zählte die Produktherstellung aus Asbestfasermaterial, u.a. die Aufbereitung von Weißasbest verbunden mit einer Belastung von 11 200 Millionen Fasern/m 3 Atemluft. Im Rahmen der Spritzasbesttechnologie kann sogar von einer Dosis von 30 300 Millionen biobeständiger Blauasbestfasern/m 3 Atemluft ausgegegangen werden. Nicht nur die direkt beteiligten Arbeiter, die vielleicht noch über einen adäquaten Atemschutz verfügten, waren gegenüber dem kanzerogenen Fasermaterial exponiert, sondern auch weitere, sich in unmittelbarer Nähe aufhaltende Arbeitnehmer, die häufig auf persönliche Schutzmassnahmen verzichteten. Hier spricht man von einer sogenannten Bystander-Exposition. Beispielhaft betonte Prof. Woitowitz das Schicksal einer Asbest- Spritzergruppe, die im Zeitraum 1951 bis 1978 in Zugwaggons, Turbinenhallen sowie im Hoch- und Tiefbau beruflich eingesetzt wurde: 11 von 14 Arbeitern verstarben, u.a. 7 an einer Lungenasbestose, 2 an einem Bauchfellmesotheliom. Als Folge einer Niedrigdosis-Exposition erkrankten u.a. mehrere Familienmitglieder an einem Pleuramesotheliom durch Haushaltskontakte gegenüber Asbestfaserstaub (Abb. 2). Erwähnenswert erscheint die Anamnese in einem besonderen Fall: ein Arbeitnehmer, der über einen Zeitraum von 15 Jahren beruflich Kontakt zu Asbestfaserstaub hatte, erkrankte und verstarb etwa 15 Jahre nach Expositionsende an einer Asbestose. Die Ehefrau, welche die verschmutzte und asbestverstaubte Arbeitskleidung ihres Ehegatten im häuslichen Bereich gereinigt hatte, verstarb einige Jahre später an einem Pleuramesotheliom, ebenso der Sohn, der als Kind dem Vater das Mittagessen auf den Arbeitsplatz brachte und dort spielte er ließ sich in die mit Asbestwolle gefüllten Jutesäcke fallen. Auch half er dort dem Vater bei der Arbeit so konnte zumindest eine versicherte Tätigkeit des Sohnes nachgewiesen werden. Diagnostisch wegweisend wäre infolgedessen eine bildgebende Diagnostik der exponierten Tochter (als radiologische Untersuchung des Thorax: posterior-anterior und seitlich anliegend in Hartstrahltechnik) zur Beurteilung von möglicherweise be - reits vorliegenden asbestbedingten Lungenparenchym- und/ oder Pleuraveränderungen. Asbestose und asbestbedingte Pleuraveränderungen Im Vordergrund der Asbestose, einer asbestbedingten Lungenfibrose, steht radiologisch eine retikulär-streifige, netzförmigunregelmäßige Zeichnungsvermehrung von Mittel- und insbesondere Lungenunterfeldern. Pathologische Veränderungen der Pleura treten häufig frühzeitiger auf als die Fibrose der Lunge. Differenziert werden kann zwischen umschriebenen hyalinen oder verkalkten Pleuraplaques (bevorzugt an der Pleura parietalis) und diffusen Bindegewebsneubildungen i.s. einer meist doppelseitigen diffusen Pleurafibrose (der Pleura visceralis). Häufig finden sich begleitende Pleuraergüsse, später mit bindegewebig-schwartigen, postpleuritischen Folgezuständen einhergehend (Hyalinosis complicata). Asbestbedingte Pleuraveränderungen sind differentialdiagnostisch von unspezifischen postentzündlichen oder posttraumatischen Pleuraveränderungen abzugrenzen. Bei Vorliegen einer Lungenasbestose (einschließlich histologischem Nachweis einer Minimalasbestose) ist das Lungenkrebsrisiko erhöht. Auch die asbestbedingte Pleuraveränderung ist als Marker einer zurückliegenden, wesentlichen Asbestfaserstaub-Einwirkung und darüber hinaus für ein erhöhtes pulmonales Malignomrisiko anzusehen. Ein weiteres Kriterium zur Verifizierung einer wesentlichen Asbestfaserstaub-Einwirkung (am Arbeitsplatz) ist neben diesen unter dem Begriff der Brückenbefunde zusammengefassten Parametern die kumulative Asbestfaserstaubdosis. Kumulative Asbestfaserstaubdosis - Faserjahr Ein Faserjahr ist ein arbeitsmedizinisches Schätzmaß, definiert als Exposition gegenüber einer Konzentration von 1x10 6 Asbestfasern der kritischen Größe pro m 3 Luft während eines Jahres bei 8-stündiger täglicher Arbeitszeit. 25 Asbestfaserjahre können zustande kommen durch 1 Jahr bei einer Faserkonzentration von 25x10 6 F/m 3 oder 50 Jahre bei 0,5x10 6 F/m 3 Luft. Hierbei bezieht sich der Wert von 25 Faserjahren auf die sogenannte Verdopplungsdosis der Lungen- und Kehlkopfkrebsverursachung. Abb. 2: Familie mit Asbestexposition, Prof. Woitowitz Aktuell bestehen auch bei der Tochter Befürchtungen an einem asbestassoziierten Malignom zu erkranken. Gerade für ein Mesotheliom sind Niedrigdosisexpositionen (wie durch Haushaltskontakte) ausreichend. Beispielhaft kann man bei einer lebenslangen Umweltexposition von 0,06 Faserjahren entsprechend 6,6 mg Asbest von einer Exposition gegenüber 130x10 6 Fasern ausgehen. Ein Faserjahr entspricht einer Exposition gegenüber 110 mg Asbest bzw. 2 200x10 6 Fasern. Vergleichsweise reichen zur Verursachung eines Mesothelioms bereits 0,25 Faserjahre aus. 11

Beispiele von Asbestexpositionen an verschiedenen Arbeitsplätzen der Produktherstellung (Asbestindustrie 1969) Entleerung der Staubkammern Einfüllen von Weißasbest in die Schlagmühle Asbestgarnherstellung (Weißasbest) 60 Millionen Fasern/m 3 Luft 11-200 Millionen Asbestfasern/m 3 10-20 Millionen Asbestfasern/m 3 6,6-60 Millionen Asbestfasern/m 3 meinschaft wurde in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss für Gefahrstoffe Asbest 1973 als für den Menschen gesichert kanzerogener Arbeitsstoff eingestuft. Ein Grenzwert (initial als Massenwert, später als Faserwert) für Weißasbest wurde festgelegt und im Laufe der folgenden Jahre entsprechend (den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen) abgesenkt (Abb. 5). Asbestpappenherstellung 14 Millionen Asbestfasern/m 3 Tätigkeit an der Asbestbrückenstanze Reibeputz-Oberflächenstrukturierung 11-200 Millionen Asbestfasern/m 3 Beispiele von Asbestexpositionen an verschiedenen Arbeitsplätzen der Produktverarbeitung Flexen von Asbestzement Wellplatten (1980) Sägen von Asbestzement-Trinkwasserrohren (aus Blauasbest) Ausblasen von KFZ- Trommelbremsen mit Pressluft Überdrehen neuer asbesthaltiger Bremsbeläge 30-60 Millionen Fasern Weißasbest/ m 3 Atemluft 30 Millionen Asbestfasern/m 3 2 Millionen Asbestfasern/m 3 6 Millionen Asbestfasern/m 3 Spritzasbest-Entsorgung 2005 40-300 Asbestfasern / m 3 Abb. 3: Umgang mit Asbestwolle, Prof. Woitowitz Abb. 5: Grenzwert Asbestfaserstaub, DFG und AGS, Prof. Woitowitz Folgen der langjährigen beruflichen inhalativen Exposition gegenüber Asbestfaserstäuben sind einerseits nicht maligne Erkrankungen wie die Asbestlungenfibrose (Asbestose) und durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura, andererseits Malignome wie das Bronchial- und Kehlkopfkarzinom sowie das Pleura-, Perikard- und Peritonealmesotheliom. Weltweit gilt das Mesotheliom als der bedeutsamste Signaltumor einer lange zurückliegenden Asbestexposition. Abb. 4: (unten) Spritzasbest, Prof. Woitowitz 12 Von der zuständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsge- Abb. 6: Pleuramesotheliom links Die konventionelle Thoraxübersichtsaufnahme (in posterioranterior) stellt bei Asbestosen ein bewährtes diagnostisches Instrumentarium dar. Primär in den Lungenunterfeldern auftretende, retikulär-lineare Strukturvermehrungen im Sinne einer Asbestose sind gemäß ILO-Staublungenklassifikation zu beschreiben. Die Computertomographie in Hochauflösungstechnik (HRCT) ermöglicht eine frühere und exaktere Erfassung reaktiver asbeststaubinduzierter Befunde am Lungenparenchym aber auch an der Pleura dem in diesem Zusammenhang sensitivsten Organ.

Asbestbedingte Berufserkrankungen nach der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Nr. 4103 BKV: Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura Nr. 4104 BKV: Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs In Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose), In Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder Bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25x10 6 [(Fasern/m 3 ) x Jahre]) Nr. 4105 BKV: Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards Abb. 9: Pleuraasbestose beidseits lateral, diaphragmal beidseits verkalkte Plaques Asbestbedingte Pleuraveränderungen Diffuse Fibrose (Pleurasaum) Hyaline Plaques Verkalkte Plaques Pleuraerguß Ohne Asbestose (asbestos pleural effusion / Gaensler- Pleuritis) Als Komplikation bei Asbestose Als Frühsymptom bei Mesotheliom Hyalinosis complicata Rundherdatelektase Abb. 10: Asbestose: retikuläre Zeichnungsvermehrung der Unterfelder beidseits, rechts Adenokarzinom der Lunge mit zentraler Nekrose Abb. 11: Asbestose Abb. 7: Verkalkte Plaques der Pleura dorsolateral rechtsbetont Abb. 8: Verkalkte Plaques der Pleura beidseits dorsal Als Rundherdatelektase auch Kugel- oder Kometenschweifatelektase, Pleurom oder folded lung genannt beschrieb erstmalig HANKE 1971 einen rundlichen, an die verdickte Pleura angrenzenden Herd, meist in den Unterfeldern gelegen. Häufig sind gleichzeitig parenchymale Bänder in peripheren Fibrose-zonen (als craw s feet ) zu erkennen. Inhalative Rauchgewohnheiten stellen bei asbeststaubassoziierten Lungenkrebserkrankungen einen wesentlichen Risikofaktor dar. Das Risiko eines Rauchers an einem Lungenkrebs zu erkranken ist 11 mal höher als das eines Nichtrauchers, bei gleichzeitiger Exposition gegenüber Asbestfaserstaub sogar mehr als 50-fach erhöht im Vergleich zu einem asbestexponierten Nichtraucher, d.h. Asbestfaserstaub und Zigarettenkonsum wirken multiplikativ synkanzerogen (Abb. 12, Seite 14). Aus arbeitsmedizinischer Sicht ist auch ein multikausales Zusammenwirken einer gleichzeitigen oder aufeinander folgen 13

Abb. 12: Synkanzerogenese, Prof. Woitowitz den Expositionen gegenüber mehreren beruflich einwirkenden Noxen zu berücksichtigen. So sprechen epidemiologische und tierexperimentelle Studien für ein zumindest additives Zusammenwirken hinsichtlich einer Tumorauslösung im Bereich der Atemwege durch eine Ko-Exposition von Asbest und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Die Empfehlung zur Aufnahme der Erkrankung Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in die Anlage zur Berufs krank heiten-verordnung wurde (vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales) bereits ausgesprochen. Bei Exposition und Inkorporation beider Stoffe ist (bei dieser Konstellation) nicht das Erreichen der für die Einzelstoffeinwirkung geforderten Dosisgrenzwerte von 25 Faserjahren bzw. 100 Benzo[a]pyren-Jahren Vorraussetzung einer Anerkennung als Berufserkran kung. Die Verwendung von Asbest stieg von 1955 1970 in Deutschland stark an und sank anschließend rasch wieder ab. Ab 1985 war die Produktion und Verwendung angesichts des bevorstehenden Verbotes bereits minimal. Seit 1993 ist die Produktion und Verwendung von Asbest in Deutschland verboten. Der maximale Asbestverbrauch lag in Gesamtdeutschland bei etwa 230.000 Jahrestonnen. Von einem Ende des Asbestzeitalters kann dennoch nicht gesprochen werden. Gesundheitliche Auswirkungen werden die Menschheit aufgrund der jahrzehntelangen Latenz nach der sogenannten Dreißig-Jahres-Regel der Latenzzeit asbestbedingter Erkrankungen noch in den nächsten Jahren beschäftigen. War es zu Beginn des Einsatzes das Mineral der 1000 Technologien so kann man retrospektiv von dem Mineral des 1000-fachen Todes sprechen. 56,1% der Todesfälle im Rahmen von Berufserkrankungen wurden 2006 auf asbestbedingte Erkrankungen zurückgeführt: 29,2% verstarben an einem Mesotheliom, 22,6% an Lungen- und Kehlkopfkrebs sowie 4% an einer Asbestose. Als Fazit bemängelte Prof. Woitowitz rückblickend, dass elementare primärpräventive Massnahmen des Arbeitsschutzes (Grenzwertabsenkungen und schließlich Verbot des Einsatzes von Asbest) zu spät einsetzten und Beweisführungen zur Ursache-Wirkungsbeziehung (Kausalität) zu lange angezweifelt wurden. 20 Jahre vergingen zwischen der Erkenntnis der Kanzerogenität des Arbeitsstoffes und dem Ausspruch des Verwendungsverbotes. Eine Aufklärung über mögliche Folgen der Exposition kann bei Betroffenen durchaus zu berechtigten Sorgen wegen einer bevorstehenden malignen Erkrankung (auch im Sinne einer Karzinophobie) führen. Erst nachfolgende Generationen und nicht die haftpflichtigen Verursacher haben die enormen sozioökonomischen Folgekosten zu tragen. 14 Abb. 13: Asbestverbrauch und entschädigte asbestverursachte Berufskrankheiten 1942 2005, Prof. Woitowitz Asbest im Bergbau Dr. jur. Björn Schumacher, Bergbau-Berufsgenossenschaft, Saarbrücken Den zweiten Teil des Symposiums bestritt Herr Dr. Björn Schumacher von der Bergbau-Berufsgenossenschaft Saarbrücken, der über den Einsatz von Asbest im saarländischen Steinkohle- Bergbau berichtete und hierbei auf Ermittlungen des technischen Aufsichtsdienstes der BG dem Präventionsbereich zurückgriff. Bis 1986 wurde Asbest im Steinkohle-Bergbau Saar verwendet, anschließend begannen die Entsorgungsmaßnahmen. Schwerpunkte des Einsatzes lagen im Bereich der Kraftwerke, der Zentralwerkstatt Hirschbach und der Kokereien. In den Kraftwerken kam es zu einer Exposition der Arbeiter gegenüber Asbestfaserstäuben während der alle zwei Jahre stattfindenden Turbinenrevisionen. Durch Abbau der alten Schutzschicht aus Asbest und Auftragung von Spritzasbest (Blauasbest) ist von einer Belastung von 300 Millionen Fasern/ m 3 auszugehen, entsprechend einem Faserjahr/Arbeitsschicht.

Die Bystander-Dosis betrug noch annähernd 10% der Dosis der eigentlichen Revisionsarbeiter. In den Kraftwerken wurden zudem Asbestisolierungen an Rohren erneuert - verbunden mit einer Exposition von etwa 40 Fasern/cm 3 Atemluft. Durch Wechseln asbesthaltiger Dichtschnüre kam es zu einer Belastung von 0,2 0,8 Faserjahren/Kalenderjahr. Der Zuschnitt asbesthaltiger Dichtungen erfolgte in den Werkstätten. Hier ist von einer Kumulativ-Dosis von 0,25 0,9 Faserjahren/Kalenderjahr auszugehen. Auch mussten im Rahmen der Lokomotiv-Revisionen und KFZ-Reparaturen Bremsbeläge an den Saarberg-eigenen LKW's gewechselt werden, verbunden mit einer entsprechenden Asbestbelastung. Eine Exposition gegenüber Blauasbest war während beruflicher Tätigkeiten in Kokereien durch Austausch von Dichtungen an Leitungen, Kompressoren und Stampfmaschinen möglich bzw. durch den Austausch von Ofentüren und Reinigung von Dichtflächen (entsprechend einer Exposition von einem Faserjahr/ Kalenderjahr). In den Bergwerken waren vornehmlich die Arbeiter an Heizkesseln ebenso wie die untertägigen Lokführer und Schrapperfahrer insbesondere in unmittelbarer Umgebung von Band anlagen asbestexponiert. Eine Kumulativdosis von 1 Faser jahr während 50 Kalenderjahren wurde für diese Tätigkeit berechnet. Während eines Zeitraumes von 5 Jahren (2002 2006) wurden 53 Fälle asbestinduzierter Berufserkrankungen von der BV Saarbrücken erstmals entschädigt, darunter 6 Fälle nach BK-Nr. 4103, 25 Fälle nach BK-Nr. 4104 und 22 Fälle nach BK-Nr. 4105. 28 dieser Fälle waren auf berufliche Tätigkeiten in Kraftwerken verbunden mit Asbestexposition, 7 in Werkstätten und 10 innerhalb der Bergwerke zurückzuführen. 6 der 10 Bergwerksfälle waren Mesotheliomfälle ehemals untertägiger Arbeiter, 3 der 10 entschädigten Fälle betrafen Lungenkrebserkrankungen. Arbeitsmedizinische Prävention und Gesundheitsüberwachung Eine berufliche Exposition gegenüber Asbestfaserstaub ist immer noch durch Abbruch-, Sanierungs- und Instandsetzungs- (ASI)arbeiten an bestehenden Anlagen, Einrichtungen und Geräten unvermeidbar. Durch arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen (G1.2 Gesundheitsgefährlicher mineralischer Staub Teil 2: Asbesthaltiger Staub ) sollen individuell vorgeschädigte Arbeitnehmer einerseits vor zusätzlichen besonderen arbeitsbedingten Ge - sundheitsgefahren geschützt und andererseits Frühstadien beginnender Berufskrankheiten diagnostiziert werden. Vorgesehen sind Erstuntersuchungen vor Aufnahme einer Tätigkeit, Nachuntersuchungen und nachgehende Untersuchungen nach insgesamt mindestens 3-monatiger Tätigkeit mit Einwirkung von asbesthaltigem Staub in der Vergangenheit. Zur Erfassung Asbeststaub-gefährdeter Arbeitnehmer einschließlich administrativer Organisation dieser Untersuchungen wurde eine Zentrale Erfassungsstelle (bei der Textil- und Bekleidungs-BG) in Augsburg eingerichtet. Literatur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) sowie Amtliche Merkblätter zu den Berufskrankheiten der Anlage 1 (Liste der Berufserkrankungen), Berufskrankheiten-Verordnung, Bundes ar beitsblatt 12 (1997) Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung: Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen. In: Bek. d. BMAS vom 1.2.2007 GMBI 23/2007, 474 DGAUM: Arbeit unter Einwirkung fibrogener, chemisch-irritativ, sensibilisierend und kanzerogen wirkender Aerosole Arbeit unter Einwirkung von Asbeststaub. In: Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. www.dgaum.de Enderle G, Seidel H-J: Arbeitsmedizin. 581-591 (2004). München: Urban und Fischer Verlag Woitowitz H-J: Droht auch in Deutschland eine Mesotheliom- Epidemie? In: Hessisches Ärzteblatt 4/2004, 201-204 Dankvermerk: Die Referenten haben uns freundlicherweise ihre Präsentationen übermittelt, sodass wir, wie vereinbart, die Vorträge dieses Arbeitsmedizinischen Fortbildungssymposion zusammenfassen konnten. Autoren: Dr. med. Michaela Mittmann Hendrik Berger Dr. med. Oliver Neis Univ.-Prof. Dr. med. Axel Buchter Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin der Universität des Saarlandes und Präventivmedizinisches Zentrum für arbeits- und umweltbedingte Erkrankungen Leiter: Univ. Prof. Dr. med. A. Buchter Universitätsklinikum 66421 Homburg Gebäude 80.2 Web: www.uniklinkum-saarland.de/arbeitsmedizin E-Mail: amabuc@uniklinikum-saarland.de Telefon (06841) 1626801 Fax (06841) 1626810 Online-Ärzteblatt www.aerzteblatt-saar.de verfügbar 5 Arbeitstage vor der Druckausgabe! 15