Autonomie und Fürsorge

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Transkript:

11. Nordische Hospiz- und Palliativtage, Sankelmark, 17. Mai 2012 Hospizliche und palliative Behandlung und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung Autonomie und Fürsorge aus medizinischer Sicht, aus Sicht von Angehörigen Dr. Dietrich Wördehoff Arzt für Innere Medizin und Palliativmedizin Saarbrücken

AUTONOMIE UND FÜRSORGE aus medizinischer Sicht, aus Sicht von Angehörigen 1. Autonomie und Fürsorge heute, aus ärztlicher Sicht 2. Autonomie und Fürsorge bei Menschen mit geistiger Behinderung 3. Palliative Care und Menschen mit geistiger Behinderung

1. AUTONOMIE UND SELBSTBESTIMMUNG HEUTE Alle reden nur noch von Selbstbestimmung, aber Fremdbestimmung in der Praxis?

Arzt-Patientenbeziehung voluntas aegroti (Patientenwille) salus aegroti (Patientenwohl) Selbstbestimmung und Fachkompetenz des Patienten des Arztes in ein Verhältnis von gegenseitigem Respekt bringen Husebö 2006

Therapieentscheidung Medizinische Indikation abhängig vom Zustand des Patienten Alternativen Wille des Patienten: entscheidungsfähig vom Krankheits-Stadium nicht entscheidungsfähig (Patientenverfügung, Vollmacht, mutmaßlicher Wille) Arzt schlägt vor, Patient entscheidet

Selbstbestimmung und Fürsorge Gute Fürsorge ist unverzichtbare Voraussetzung für eine sinnvolle Selbstbestimmung nach Linus Geisler

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SELBSTBESTIMMUNG und FÜRSORGE bei MENSCHEN mit GEISTIGER BEHINDERUNG Patientenverfügungsgesetz 2009 1901a1 : Betreuer hat dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen

Recht auf Selbstbestimmung Dimension der Selbstbestimmung: Selbstbestimmung ist nicht von Alter, Bewusstsein, Mitteilungsfähigkeit abhängig, sondern vom Menschsein.

Selbstbestimmung oder Fürsorge bei Menschen mit geistiger Behinderung a, Aspekte der Selbstbestimmung: 1. Umsetzung der Selbstbestimmung 2. Problem Patientenwillen b, Kommunikation c, Aspekte der Fürsorge: 1. Bedeutung der Angehörigen, Pflegenden etc. 2. Wille-Wohl-Abwägung d, Therapieentscheidungen

Aspekte der Selbstbestimmung bei Menschen mit geistiger Behinderung Umsetzung der Selbstbestimmung - Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit erhalten (Sprache, Bilder nutzen, Zeit, PV) - Einwilligungsfähigkeit eingeschränkt (individuelle Kompetenzen und Potentiale) - Einwilligungsfähigkeit stark reduziert (Verhalten, schwer entschlüsselbare Äußerungen) Fähigkeiten und Ressourcen des Einzelnen bestimmen das Vorgehen!

Aspekte der Selbstbestimmung bei geistig Behinderten Herausgeber: Förderverein für Menschen mit geistiger Behinderung Bonn e.v. Stiftsstraße 77a, 53225 Bonn info@foerderverein-bonn-beuel.de

Aspekte der Selbstbestimmung bei geistig Behinderten Problem Patientenwille Verbale Kommunikation Worte übersetzen Verhalten deuten, Emotion statt Kognition Fluktuierende Wünsche und Vorstellungen Psychopharmaka vermeiden

Kommunikation mit geistig behinderten Menschen Sie hören mehr als sie wiedergeben Sie können medizinisch-fachliches nicht verstehen Sie haben andere Wahrnehmungen Sie haben oft andere Prioritäten

Kommunikation mit Behinderten Mit dem Herzen zu sehen, ist nicht die Stärke unserer Kultur, wir sehen v.a. mit den Augen des Verstandes

Aspekte der Fürsorge bei Menschen mit geistiger Behinderung 1.Bedeutung der Angehörigen, Pflegenden, Betreuenden und Sorgenden: - Sensibilität, Erfahrung und Geduld nötig, - Beobachtung und eigene Bewertung lernen, klar zu unterscheiden - Erfahrungen mit anderen thematisieren und austauschen Vertrauen und langfristige Beziehung wichtig!

Aspekte der Fürsorge bei geistig Behinderten Unsere Vorstellungen und die der Betreuten: - eigene Vorstellungen kritisch hinterfragen - mit Emotionen der Betreuten rückkoppeln lassen - in beschütztem Raum Entwicklung fördern

Aspekte der Fürsorge bei geistig Behinderten 2. Wille-Wohl-Abwägung Ist es Fürsorge, wenn ich jemandem etwas Sinnvolles abverlange, das er zunächst ablehnt? a, Problem zu überwinden b, stärkere Ablehnung Beispiel: Ernährung wider Willen?

Therapieentscheidungen bei Menschen mit geistiger Behinderung 2. Entscheidungskriterien - (Alter, Behinderung) - medizinische Fakten - (Wieder-) Gewinn an Selbständigkeit - Problem der (Vor-) und Nachbehandlung (Kommunikation, Motivation, Zeit!) > Ärztliche Indikation!

Therapieentscheidungen bei Menschen mit geistiger Behinderung 2. Entscheidungskriterien - Lebenswille - Lebensqualität Biografiearbeit Gewohnheiten, Rituale quality of life is wathever the patient says it is WHO

3. PALLIATIVE CARE und MENSCHEN MIT GEISTIGER BEHINDERUNG 1. Selbstbestimmung Erfahrungen zu Sterben und Tod Kommunikation über Sterben und Tod 2. Fürsorge Beschwerden erkennen und reduzieren Hoffnung erhalten

Palliative Care bei Menschen mit geistiger Behinderung Symptome und Beschwerden Beispiel Schmerz: wahrnehmen und deuten Selbstauskunft, standardisierte Skalen Beobachtung Beobachtungsinstrumente (Bestskala, Doloplus-2 Skala)

Palliative Care bei Menschen mit geistiger Behinderung Verhaltensstörungen will nicht aufstehen stiller als sonst, starrt vor sich hin redet Wortsalat ballt die Fäuste, schreit weint ist zornig schlägt um sich kann nicht schlafen läutet ständig, drückt die Hände zusammen hält Hand immer an gleiche Stelle nach Marina Kojer

Kommunikation Doloplus-2 Skala zur Einschätzung des Schmerzes verbaler Schmerzausdruck Schonhaltung Schutz von schmerzhaften Körperzonen Mimik Schlaf jeweils 0 4 Punkte, Waschen/ Ankleiden morgens, mittags, abends Bewegung/Mobilität Kommunikation Soziale Aktivitäten Verhaltensstörungen

Kommunikation BESD-Skala Beurteilung von Schmerzen (Dt. Fassung der PAINAD-Scale) Atmung Negative Lautäußerungen mehrere Aspekte Gesichtsausdruck zum Ankreuzen Körpersprache Trost Warden et al., JAMA 2003

FÜRSORGE Leid reduzieren, Leid mittragen, Freude bringen, Hoffnung geben wir brauchen eine Kultur mitleidenschaftlichen Helfens Andreas Heller

Selbstbestimmung und Fürsorge Jeder von uns kann dazu beitragen, dass Krankheit nicht ein unerwünschter Betriebsunfall im Leben eines Menschen wird und Sterben eine Panne, sondern ein würdevoller Abschluss einer einmaligen Geschichte. R.Verres