Ist gezieltes Lernen vor und nach der Fahrausbildung notwendig und möglich? Prof. Dr. Sabine Remdisch 15. September 2010 Internationales ADAC/DVR-Symposium m in Kooperation mit der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände: Die Fahranfängerbetreuung auf dem Prüfstand
Risiken am Anfang einer Fahrkarriere: Anfängerrisiko und Jugendlichkeitsrisiko Studien zum Verhalten und zur Ausbildung junger Fahrer berichten über ein erhöhtes Unfallrisiko: Anfängerrisiko durch geringe Fahrerfahrung und Fahrpraxis + Jugendtypische Verhaltenseigenschaften (z.b. Risikobereitschaft) Forschung zur Risikoreduktion hat sich bislang überwiegend mit der Frage nach dem "WAS" des Lernens und weniger mit der Frage nach dem "WIE" beschäftigt. es ist notwendig, Lernprozesse zu untersuchen und die Wirksamkeit empirisch zu überprüfen 15.09.2010 1
Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos Die Kompetenzen für sicheres Autofahren nehmen erst mit steigender Fahrerfahrung zu. Fahranfänger müssen: eigene Erfahrungen machen und Kenntnisse erwerben über unterschiedliche Verkehrssituationen und Verkehrsumstände»Fahren auf Schnee oder bei Regen, mit unterschiedlichen Autos, mit und ohne Ablenkung durch Beifahrer oder Musik die Fähigkeit zum vorausschauenden Fahren erwerben»frühes Erkennen verkehrsrelevanter Informationen und von Änderungen im Straßenverkehr ständig wiederkehrende Fahrreaktionen automatisieren (setzt kognitive Ressourcen für angemessene Reaktionen in kritischen Situationen frei)»regulation der Geschwindigkeit bei wechselnder Verkehrsdichte oder Geschwindigkeitsvorschrift 15.09.2010 2
Psychologische Grundlagen des Anfänger-Risikos Die Kompetenzen für sicheres Autofahren nehmen erst mit steigender Fahrerfahrung zu. Fahranfänger müssen: eigene Erfahrungen machen und Kenntnisse erwerben über unterschiedliche Verkehrssituationen und Verkehrsumstände»Fahren auf Schnee oder bei Regen, mit unterschiedlichen Autos, mit und ohne Ablenkung durch Beifahrer oder Musik die Fähigkeit zum vorausschauenden Fahren erwerben»frühes Erkennen verkehrsrelevanter Informationen und von Änderungen im Straßenverkehr ständig wiederkehrende Fahrreaktionen automatisieren (setzt kognitive Ressourcen für angemessene Reaktionen in kritischen Situationen frei)»regulation der Geschwindigkeit bei wechselnder Verkehrsdichte oder Geschwindigkeitsvorschrift Reduktion des Anfängerrisikos Übung in authentischen Anwendungssituationen unter Anleitung und Unterstützung des Automatisierungsprozesses 15.09.2010 3
Psychologische Grundlagen des Jugendlichkeits-Risikos Bei Jugendlichen kommt es im Straßenverkehr zum Austesten der eigenen Grenzen: Selbstüberschätzung, unrealistisches Selbstkonzept eigener Fähigkeiten» Ich kann das. hohes Interesse am Vergleich mit Gleichaltrigen, Mutproben, Sensationslust (sensation seeking), hoffen auf mehr Anerkennung innerhalb der Peer-Group» Ich kann das besser als... höhere Risikobereitschaft bei geringerem Verantwortungsbewusstsein, Bildung der Fahranfänger hat einen Einfluss auf die Risikobereitschaft» weniger gebildete Fahrer haben erhöhte Bereitschaft, Risiken einzugehen Phänomen des unrealistischen Optimismus, junge Fahrer glauben, dass die Wahrscheinlichkeit, selbst in einen Unfall verwickelt werden, bedeutend geringer ist, als für andere (gleichaltrige) Autofahrer» Es wird schon gut gehen.. jugendlicher Lifestyle Lifestyle, ältere Fahrzeuge, Disco-Besuche, Alkohol, viele Mitfahrer» Stell Dich nicht so an.. 15.09.2010 4
Psychologische Grundlagen des Jugendlichkeits-Risikos Bei Jungendlichen kommt es im Straßenverkehr zum Austesten der eigenen Grenzen: Selbstüberschätzung, unrealistisches Selbstkonzept t eigener Fähigkeiten it» Ich Ihkann das. hohes Interesse am Vergleich mit Gleichaltrigen, Mutproben, Sensationslust (sensation seeking), hoffen auf mehr Anerkennung innerhalb der Peer-Group» Ich kann das besser als... höhere Risikobereitschaft bei geringerem Verantwortungsbewusstsein, Bildung der Fahranfänger hat einen Einfluss auf die Risikobereitschaft» weniger gebildete Fahrer haben erhöhte Bereitschaft, Risiken einzugehen Phänomen des unrealistischen Optimismus, junge Fahrer glauben, dass die Wahrscheinlichkeit, selbst in einen Unfall verwickelt werden, bedeutend geringer ist, als für andere (gleichaltrige) Autofahrer» Es wird schon gut gehen.. jugendlicher Lifestyle, ältere Fahrzeuge, Disco-Besuche, Alkohol, viele Mitfahrer» Stell Dich nicht so an.. Reduktion des Jugendlichkeitsrisikos Sozialisation und Entwicklung durch Regellernen und Normenübernahme 15.09.2010 5
Systematische Kompetenzförderung Studien zeigen, dass Fahranfänger nicht nur Wissen und Können, sondern auch Werthaltungen und die richtige Selbsteinschätzung bzw. Selbstreflexion einüben müssen. (Hatakka, Keskinen, Gregersen, Glad & Hernetkoski, 2002) Es geht nicht mehr nur um Fähigkeiten zum regelorientierten Fahren, sondern auch um eine selbstreflexive Kompetenzentwicklung und das Training sozialer Kompetenz. (Mesken, Hagenzieker & Rothengatter, 2008) Entsprechend müssen neben die klassischen Ausbildungsziele des motorischen Fahrens Könnens komplexere Ziele treten, die eine reflektierte und situationsangepasste Fahrweise sicherstellen. Inhaltlich muss sich der Interventionsfokus auf die Ebene der Einstellungen richten. Methodisch müssen Vermittlungsformen gewählt werden, die den besonderen Ansprüchen an eine Bearbeitung persönlicher Einstellungen gerecht werden (personalisierter Coachingansatz) 09.09.2010 6
Programm zur Analyse und zum Ausbau persönlicher Stärken im Straßenverkehr Methodisch eine Kombination aus Coachingelementen und Fahrübungseinheiten Entwickelt vom DVR in Kooperation mit dem BZE, den Berufsgenossenschaften und den Unfallkassen Teilnehmende lernen, das eigene Verkehrsverhalten zu hinterfragen die richtige Selbsteinschätzung einzuüben sich bewusst mit ihren Potenzialen auseinanderzusetzen professionell mit eigenen Emotionen im Straßenverkehr umzugehen trainieren ihre sozialen Kompetenzen 15.09.2010 7
Einordnung Vier Präventionstools (vgl. Krüger 2010) Education Engineering Enforcement Exercise Bemühungen, die Ausund Fortbildung zu verbessern: Maßnahmen zur Verkehrserziehung, Mobilitätserziehung, Gesundheitserziehung oder Sicherheitserziehung Bemühungen, die durch technische Änderungen sowohl in der Verkehrsumwelt als auch im Fahrzeug die Fahrsicherheit erhöhen sollen entsprechende rechtliche Regelungen, z.b. Promillegrenze, Nachtfahrverbot Fahrenlernen durch Praxis Coachingtool PROFILER - Fahren wie die Profis 15.09.2010 8
Aufbau des Tools Potenzialtest zur Ermittlung persönlicher Eigenschaften Gruppencoaching Teil I Gruppencoaching Teil II Feedbackfahrt (Einzelfahrt mit Unterstützung durch Coach) Gruppencoaching Teil III 15.09.2010 9
Übung: Kritische Verkehrssituationen Aufgabe: Sammlung von erlebten kritischen oder außergewöhnlichen Fahrsituationen Ziel: Verdeutlichung des Einflusses sozialer Kompetenzen im Straßenverkehr 15.09.2010 10
Übung: Kritische Verkehrssituationen Aufgabe: Beispielhafte Analyse von kritischen Fahrsituationen und Beschreibung von Verhaltensalternativen Ziel: Teilnehmende sollen Anstöße bekommen, um an sich selbst zu arbeiten und um zu verstehen, warum man selbst aktiv werden muss Was kann ich tun, damit ich Regeln noch häufiger beachte? 15.09.2010 11
Übung: Feedbackfahrt Aufgabe: Feedbackfahrt unter Anleitung DVRzertifizierter Trainer auf Basis einer persönlichen Stärken- Schwächen-Analyse und individueller Lernziele Ziel: Eigenes Verhalten am Steuer optimieren 15.09.2010 12
Wirkmodell Voraussetzungen Prozessvariablen Ergebnisvariablen Charakteristika/ Kompetenz Coach Charakteristika Coachee Geschütztes Lernfeld Zielgruppenadäquater Coachingansatz Beziehung Coach/ Coachee Gruppenklima Feedback/Selbstreflexion u. Standortbestimmung Selbstwahrnehmung Wissenszuwachs Verhaltensänderung Persönliche Zielsetzungen 15.09.2010 13
Prozessvariablen und Wirkfaktoren Zielgruppenadäquater Coachingansatz Teilnehmeradäquate Sprache persönliche Problemanalyse (eigener Fall) als zentraler Baustein im Training (wie habe ich mich in bestimmten Situationen verhalten, warum war ich abgelenkt,.) Reflexion in der Gruppe und Austausch zu den Problemsituationen, Attributionsmodelle (wo sehen die Teilnehmer Gefahren, wo nehmen sie persönlichen Handlungsspielraum wahr) sozialer Vergleich schafft persönliche Erleichterung 15.09.2010 14
Prozessvariablen und Wirkfaktoren Beziehung Coach-Coachee wertschätzende Haltung den Teilnehmern gegenüber / Beziehungsebene aktive Ansprache, hohe Teilnehmeraktivität Glaubwürdigkeit des Coaches aufgrund persönlicher Kompetenz (Fahrlehrer/in) 15.09.2010 15
Prozessvariablen und Wirkfaktoren Gruppenklima Kleine Lerngruppe identische Teilnehmerzusammensetzung über die drei Coachings hinweg offenes Lernklima / Vertrauensatmospäre 15.09.2010 16
Prozessvariablen und Wirkfaktoren Feedback / Selbstreflexion Multidimensionales Feedback (Feedback aus der Gruppe, Trainer-Feedback, Selbstevaluation) Qualität des Feedbacks differenziertes, situationsbezogenes Feedback zu persönlich erlebten Gefahrensituationen Handlungsleitendes l d Feedback Erkenntnis von der andere hat Fehler gemacht bis zu ich hätte etwas tun können, eigene Handlungsmöglichkeiten erkennen, vorausschauend handeln 4 Funktionen von Feedback Motivationsfunktion (Mechanismus der Verstärkung, Selbstwirksamkeit) Informationsfunktion (Knowledge of results) Lernfunktion (Modifizierung / Verbesserung einer Handlung) Entwicklung des Selbstbildes (Angleichung zwischen Selbst- und Fremdbild) 15.09.2010 17
Prozessvariablen und Wirkfaktoren Persönliche Zielsetzungen Hohe persönliche Betroffenheit in den Übungen, auch emotionale Involviertheit Bewußtmachen und Aufbrechen von Alltagsroutinen Auseinandersetzung mit den eigenen Werthaltungen Förderung von Selbstevaluationsprozessen Arbeit an persönlichen Zielsetzungen 15.09.2010 18
Ergebnisvariablen: Ergebniseindrücke nach erster Coachingphase Zuwachs an Wissen und Problembewusstsein Ich verstehe jetzt besser, wie es zu kritischen Fahrsituationen kommt. 10,9% 45,7% 39,1% 4,3% MW 2,6 Mir ist die Wichtigkeit von Regeln im Straßenverkehr klarer geworden. 14,9% 37,2% 33,0% 13,8% 1,1% 2,5 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% trifft völlig zu trifft überwiegend zu teils/ teils trifft wenig zu trifft gar nicht zu Antwortskala: 0 = trifft gar nicht zu, 4 = trifft völlig zu 15.09.2010 19
Ergebnisvariablen: Ergebniseindrücke nach erster Coachingphase Reflexionsimpulse und Motivation zur Verhaltensänderung Das Coaching hat mich dazu angeregt, über mein Fahrverhalten nachzudenken. 4,3% 41,5% 43,6% 7,4% 3,2% MW 2,4 Das Coaching hat mir die Stärken und Schwächen meines Fahrverhaltens verdeutlicht. 44% 4,4% 30,8% 39,6% 17,6% 77% 7,7% 21 2,1 Das Coaching hat mich dazu motiviert, mein eigenes Fahrverhalten zu verändern. 1,1% 40,7% 31,9% 19,8% 6,6% 2,1 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% trifft völlig zu trifft überwiegend zu teils/ teils trifft wenig zu trifft gar nicht zu Antwortskala: 0 = trifft gar nicht zu, 4 = trifft völlig zu 15.09.2010 20
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. k 15.09.2010 21