London Office Der G20-Gipfel: Aus der Sicht Bulgariens Von Georgi Kadiev Die Währungen mittel- und osteuropäischer Länder mussten zu Jahresbeginn herbe Einbußen hinnehmen, einige einfallsreiche Geister bezeichneten den Block sogar als Europas Sub-prime. Das ist nicht gerecht. In jedem einzelnen Land herrschen unterschiedliche Bedingungen. Und manche Länder sind ja eine ganz andere Geschichte. In Bulgarien und einigen anderen Ländern werden die Währungen fest an den Eurokurs gekoppelt, womit gewissermaßen die Kontrolle der Geldmarktpolitik an die EZB übergeben wird. So haben sie keine Chance, sich über eine Währungsabwertung aus der Misere zu retten oder die Zinsraten zu senken, um die Nachfrage zu stärken. Die Finanzpolitik ist der wichtigste Rettungsanker. Das ist natürlich ein beschwerlicher Weg, insbesondere weil die populistischen Strömungen, die sich derzeit bemerkbar machen, die Haushaltspolitik äußerst schmerzhaft gestalten. Bulgarien schlägt sich jedoch wacker. Nachdem das Land im Jahr 1997 eine durchschnittliche Inflationsrate in Höhe von 1,132 % überstanden hatte und seitdem eine Wechselkursregulierung unterhält, werden strenge Haushaltsregeln als Eckpfeiler der bulgarischen Wirtschaftspolitik
angewendet. In den letzten vier Jahren überstiegen die Haushaltsüberschüsse regelmäßig 2 % des BIP und erreichten 2008 sogar 3 %. Der Zustrom an ausländischem Kapital nahm jedes Jahr weiter zu, zwischen 2005 und 2008 lag der Durchschnittswert bei 21 % des BIP. Die Staatsrücklagen erreichten knapp 13 % des BIP, es wurden Währungsreserven von knapp unter 35 % des BIP verzeichnet. Ende 2008 konnte die externe Staatsschuld auf 11,4 % des BIP gesenkt werden. Das Bruttoinlandsprodukt selbst wuchs zwischen 2005 und 2008 durchschnittlich um 6,2 %. Aber natürlich hat alles seinen Preis. Die ausländischen Direktinvestitionen und die Preiskonvergenz schürten die Inflation, die 2008 durchschnittlich bei 12,3 % lag. Das Leistungsbilanzdefizit stieg von 18,4 % des BIP im Jahr 2006 auf 25,3 % im Jahr 2008. Ähnliche Konsequenzen einer Wechselkursregulierung waren auch im Baltikum bemerkbar. Die Volkswirtschaften Litauen, Lettland und Estland legten alle deutlich über den normalen Wachstumsraten während der Boom-Jahre bis 2007 zu, wobei sich ebenfalls die Defizite der Leistungsbilanz ausweiteten. Lettland führte das Feld mit zweistelligen Wachstumsraten an, es war aber auch das Land mit der negativsten Haushalts- und Außenhandelsbilanz. Von den drei Staaten des Baltikums war Estland am vorsichtigsten, denn es baute ähnlich wie Bulgarien staatliche Rücklagen auf, obwohl es ebenfalls schwer getroffen wurde. Da Investoren nach sicheren Häfen suchen, leiden Länder mit Wechselkursarrangements genau so wie alle anderen auch. Fehlende frische Investitionen aus dem Ausland, sinkende Haushaltseinnahmen, ein langsameres Wirtschaftswachstum und der schwierige Zugang zu den 2
internationalen Finanzmärkten brachten die Länder an den Rand der Rezession und üben starken Druck auf die Wechselkursregulierungen aus. Das BIP schrumpfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum im vierten Quartal 2008 in Lettland und Estland um 10 %. In Litauen fiel es nur um 2 %. Neben der dramatischen Rezession kam es zu schnell sinkenden Leistungsbilanzdefiziten, einer fallenden Inflationsrate und steigenden Haushaltsdefiziten. Die Aussichten für 2009 sind düster: Lettlands Wirtschaft schrumpfte um einen Rekordwert von 13 %, Litauen erwartet einen Rückgang um 10,4 %. Bulgarien ging seinerseits überoptimistisch von 4,7 % BIP-Wachstum des Haushalts von 2009 aus, aber jetzt scheinen alle Einflussfaktoren dem Untergang geweiht. Koordiniertes gemeinsames globales Handeln ist dringend vonnöten, um den Ländern mit festen Wechselkursen eine weiche Landung zu ermöglichen. Der Zusammenbruch einer Wechselkursregulierung in einem Land wird wahrscheinlich einen Ansturm auf die Banken in anderen Ländern auslösen und dort die Wechselkursvorgaben zunichte machen, die Wirtschaften zerstören und die Geister der Vergangenheit zurückbringen. Der IWF benötigt mehr Pulver für die Lösung der Probleme, die die weltweite Krise in den aufstrebenden Volkswirtschaften mit sich bringt. Bulgarien und das Baltikum sind nicht die einzigen Länder mit finanziellen Sorgen. Die Krise trifft alle Kontinente, Chile ist jetzt das erste Land in Lateinamerika, dem eine Rezession droht. In akuten Fällen können manche Länder, wie Ungarn und die Ukraine, womöglich ihre Auslandsschulden nicht zurückzahlen. 3
Als kurzfristige Maßnahme des Krisenmanagements sollten die G20 eine deutliche Aufstockung der IWF-Finanzressourcen beschließen. Der Fonds selbst sollte die gesamtwirtschaftliche Forschung vorantreiben, diese transparenter gestalten und kreative Finanzhilfelösungen nicht nur für Länder mit Liquiditätsproblemen entwickeln, sondern auch für denjenigen, die eine solide Steuer- und Geldpolitik bewiesen haben. Langfristig werden Regulierung und weltweite Standards die Parole sein. Die G20, die internationalen Finanzinstitute und die wichtigsten Standardagenturen sollten ihre Bemühungen verstärken, weltweit gültige Bilanzierungsrichtlinien bereitzustellen und Verordnungen für Bankkapital, Derivate, Hedge-Fonds und Ratingagenturen zu erlassen. Der Austausch von Steuerinformationen sollte intensiviert werden, und Länder sollten die OECD-Standards zur Transparenz und zum Informationsaustausch zu Steuerzwecken akzeptieren, wie es bereits von einigen der größten Finanzzentren, wie z.b. Hongkong und Singapur, vorgelebt wird. Die Steuerbasis und Steuersätze für direkte Steuern sollten weiterhin unter Staatshoheit bleiben. EU-Länder könnten jedoch die Ausweitung der OLAF-Autorität oder die Einrichtung einer ganz neuen Institution erwägen, die die nationalen Steuer- und Zollprüfungen in den EU-Mitgliedsstaaten streng kontrolliert. Für Bulgarien hat die sofortige Aufnahme in die ERM-2-Zone vor der Euro- Einführung oberste Priorität. Das Land ist bereits seit 12 Jahren der Musterschüler des IWF und erfüllt alle Maastricht-Kriterien bis auf die Inflationsrate. Der Mechanismus würde einen dringend benötigten Ausweg aus der Situation darstellen. Und auch für die Bevölkerung würde dies ein starkes Signal darstellen. 4
Für alle vier Länder ist ein unverzügliches Abkommen mit dem IWF unabdinglich. Lettland, das es am schlimmsten von den vier Ländern getroffen hat, konnte sich bereits ein Hilfspaket des IWF und der EU in Höhe von 7,5 Mrd. Euro sichern. Litauen und Estland werden wahrscheinlich ebenfalls bald Hilfe anfordern. Bulgarien sollte klug genug sein, um nach einem Vorsichtsabkommen zu fragen. Die Landesregierung hat bewiesen, dass sie den Gürtel enger schnallen kann, aber ein wachsames externes Auge ist besonders im Wahljahr eine weitere willkommene Vorsichtsmaßnahme in schwierigen Zeiten. 5