Palmsonntag (B): Der Einzug Jesu in Jerusalem (Mk 11,1-10)



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Transkript:

Palmsonntag (B): Der Einzug Jesu in Jerusalem (Mk 11,1-10) Kontext und Literarkritik Mit der Einzugserzählung (Mk 11,1-10) leitet Mk die letzten Tage Jesu in Jerusalem ein. Ihre Zahl lässt der Evangelist offen, füllt sie aber in einer sich steigernden Dramatik mit Ereignissen (z.b. Mk 11,15-19: Tempelreinigung) und Diskussionen (Mk 12: Streitgespräche), die fast zielstrebig auf die Passionsgeschichte (Mk 14-15) zulaufen und dort ihren Höhepunkt finden. Dem feierlich-festlichen Einzug, der wie ein Triumphbogen den letzten Teil seines Evangeliums einleitet, kommt für die Jesusdeutung zentrale Bedeutung zu. Luther nennt die Perikope gar ein Hauptstück des Evangeliums (Adventspostille 1522). Die von Mk aus der Tradition entnommene Erzählung wurde bereits auf der vormk Stufe, nicht erst durch Mk (Pesch 176), kerygmatisiert. Neben deutlichen Bezügen zu Sach 9,9 sind weitere zu Gen 49,11; Ps 118,25f; 1 Sam 10,2-10; 1 Kön 17,8-16 zu erkennen. Nicht zu übersehen sind auch inhaltliche und sprachliche Übereinstimmungen mit der Erzählung von der Vorbereitung des Paschamahls in Mk 14,13-16. In beiden Geschichten schickt (vgl. Mk 11,1 = Mk 14,13: ἀποστέλλει) Jesus zwei seiner Jünger (Mk 11,1 = Mk 14,13: δύο τῶν µαθητῶν αὐτοῦ) mit einem Auftrag (Mk 11,2 = Mk 14,13: ὑπάγετε εἰς τὴν κώµην bzw. εἰς τὴν πόλιν) los; beide Male finden (Mk 11,4 = Mk 14,16: καὶ εὗρον) die beiden das Vorhergesagte. Das historische Interesse an dieser Erzählung ist bis heute hin lebendig. Trotz der zu beobachtenden Kerygmatisierung ist von einem tatsächlichen Geschehen in den letzten Tagen Jesu auszugehen. Umstritten bleibt allerdings, wie Jesu Einzug im einzelnen vorzustellen ist, ob als triumphale Demonstration, bei der Jerusalem und die in ihm versammelten Pilgermassen Jesus buchstäblich zum König von Israel ausrufen, oder als eine bloß festliche Begrüßung, wie sie vielen Pilgern in diesen Tagen zuteil wurde. Für Brandon, Eisler, Carmichael u.a. hatte Jesu Einzug in die Heilige Stadt einen unmissverständlichen politischen Sinn (Brandon 8; 255 A. 4; 324; 333; 349) und ist als Angelpunkt einer zelotischen Jesusinterpretation zu bewerten. Anreise bzw. auf dem Weg nach Jerusalem (V 1a) 1a Καὶ ὅτε ἐγγίζουσιν εἰς Ἱεροσόλυµα εἰς Βηθφαγὴ καὶ Βηθανίαν πρὸς τὸ Ὄρος τῶν Ἐλαιῶν, Und als sie nahekommen an Jerusalem, nach Betfage und Betanien zum Berg der Ölbäume, Die Ortsangaben bereiten Probleme, welchen Weg von Jericho man auch ins Auge fasst. Wer über die alte Römerstraße, den eigentlichen Pilgerweg, nach Jerusalem hinaufstieg, kam zuerst in die Nähe von Betfage (Feigenhausen) östlich der Kuppe des Ölbergs (vgl. Kroll 401: Karte vom Ölberg); der Abstieg von hier nach Betanien (Haus der Armen) bedeutete in jedem Fall einen beschwerlichen Umweg und war nach dem mühsamen, 30 km langen Anstieg unwahrscheinlich. Nimmt man aber an, dass die Galiläerpilger früh genug von der Römerstraße nach Südosten in Richtung Betanien abbogen, um dort vor dem Besuch der Stadt zunächst ihr traditionelles Quartier zu beziehen, dann hat man den Text Perikopen.de 1

gegen sich. Die topographische Unstimmigkeit erklärt sich am ehesten so, dass ein früher Erzähler, der selber keine Ortskenntnisse besitzt, die Geschichte vom Hörensagen niederschreibt, dass Mk seinerseits, ebenfalls nicht mit der Topographie Jerusalems vertraut, unkorrigiert tradiert. Wahrscheinlich steuert Jesus zuerst Betanien (680 m), seine Bleibe in den nächsten Tagen, an, um von hier aus dann anschließend über Betfage (740 m) und die Höhe des Ölbergs (800 m) in die Stadt einzuziehen. Die Tatsache der Freundschaft mit Lazarus und seinen Schwestern Marta und Maria (Joh 11) wie auch die Bekanntschaft mit Simon dem Aussätzigen (Mt 26,6) geben zu erkennen, dass Jesus offenbar immer, wenn er nach Jerusalem kam (vgl. Joh 2,23; 5,1; 7,2f), in Betanien einkehrte. Ein ungewöhnlicher Auftrag bzw. die Vorbereitung des Festzugs (VV 1b-7) 1b ἀποστέλλει δύο τῶν µαθητῶν αὐτοῦ 2 καὶ λέγει αὐτοῖς, Ὑπάγετε εἰς τὴν κώµην τὴν κατέναντι ὑµῶν, καὶ εὐθὺς εἰσπορευόµενοι εἰς αὐτὴν εὑρήσετε πῶλον δεδεµένον ἐφ ὃν οὐδεὶς οὔπω ἀνθρώπων ἐκάθισεν λύσατε αὐτὸν καὶ φέρετε. 3 καὶ ἐάν τις ὑµῖν εἴπῃ, Τί ποιεῖτε τοῦτο; εἴπατε, Ὁ κύριος αὐτοῦ χρείαν ἔχει, καὶ εὐθὺς αὐτὸν ἀποστέλλει πάλιν ὧδε. 4 καὶ ἀπῆλθον καὶ εὗρον πῶλον δεδεµένον πρὸς θύραν ἔξω ἐπὶ τοῦ ἀµφόδου, καὶ λύουσιν αὐτόν. 5 καί τινες τῶν ἐκεῖ ἑστηκότων ἔλεγον αὐτοῖς, Τί ποιεῖτε λύοντες τὸν πῶλον; 6 οἱ δὲ εἶπαν αὐτοῖς καθὼς εἶπεν ὁ Ἰησοῦς καὶ ἀφῆκαν αὐτούς. 7 καὶ φέρουσιν τὸν πῶλον πρὸς τὸν Ἰησοῦν, καὶ ἐπιβάλλουσιν αὐτῷ τὰ ἱµάτια αὐτῶν, καὶ ἐκάθισεν ἐπ αὐτόν. 1b... schickt er zwei seiner Jünger los 2 und sagt ihnen: Geht fort in das Dorf euch gegenüber, und sofort, hineingehend in es, werdet ihr finden ein Füllen angebunden, auf das keiner der Menschen noch sich setzte; löst und bringt es. 3 Und wenn einer zu euch spricht: Was tut ihr dies? Sprecht: Der Herr hat es nötig, und sofort schickt er es wieder hierher. 4 Und sie gingen weg und fanden ein Füllen, angebunden bei (der) Tür draußen auf der Straße, und sie lösen es. 5 Und einige der dort Stehenden sagten ihnen: Was tut ihr, lösend das Füllen? 6 Die aber sprachen zu ihnen, gleichwie Jesus gesprochen hatte, und sie ließen sie. 7 Und sie bringen das Füllen zu Jesus, und sie werfen auf es ihre Gewänder, und er setzte sich auf es. Die VV 1-6, die von der Aussendung zweier Jünger zur Auffindung eines Jungesels im gegenüberliegenden Dorf berichten, von der die joh, von den Synoptikern unabhängige Quelle interessanterweise nichts weiß (Joh 12,12-19), wirken legendenhaft. Außer dem prophetischen Unterton (vgl. die detaillierte Vorhersage) irritiert, dass die Szene sich formal eng mit der Vorbereitung des Paschamahls (Mk 14,12-17) berührt. Auch lässt die sprachliche wie inhaltliche Berührung mit Sach 9,9 (vgl. V 9:... und reitet auf einem Esel, auf dem Füllen einer Eselin ) aufhorchen. Trotz der zweifellos starken Redaktionsdecke ist ein historischer Kern in den fünf Versen nicht auszuschließen. Möglich erscheint, dass Jesus von Betanien aus zwei Jünger mit dem Auftrag der Eselsbeschaffung in das kleine, vor ihm liegende Betfage vorausschickt. Hier war der Prophet aus Galiläa kein Unbekannter, hatte er den Weiler bei seinen Besuchen in Jerusalem doch immer wieder auf dem Weg zum oder vom Tempel passiert. Seinen Wünschen würde man gerne entgegenkommen, erst recht, wenn es um einen Esel als Reittier ging; die Auffindung selbst eines Füllen in dem kleinen, aus ein paar Gehöften bestehenden Weiler war nichts Ungewöhnliches. Was in Wirklichkeit wenig Perikopen.de 2

spektakulär war, wurde von der nachösterlichen Gemeinde später mit mirakulösen Farben ausgemalt. Wäre die Szene jedoch aus der prophetischen Weissagung Sach 9,9 heraus lediglich erschlossen worden, wie z.b. Leroy (101f) vermutet, wären die Beziehungen viel deutlicher ausgefallen. Da aber nirgendwo in den Evangelien bezeugt wird, dass Jesus auf seinen Predigtwanderungen in Galiläa oder auf einer seiner Reisen nach Jerusalem auf einem Esel geritten ist, bleibt Jesu Tun erklärungsbedürftig. Die Antwort, er habe nach einem Esel verlangt, weil er nach der fünfstündigen Wanderung auf steil ansteigendem Weg durch die judäische Wüste zu müde gewesen sei, um die beiden letzten Kilometer zu Fuß nach Jerusalem zurückzulegen, befriedigt nicht. Wer dem galiläischen Wanderprediger ein solches Tun zuschreibt, wird es als ein hintergründiges Tun im Stil einer Zeichenhandlung erklären müssen. Daher die Frage: Kann man Jesus ein solch symbolträchtiges Tun zutrauen? Die Frage wird von einer Mehrzahl von Exegeten bejaht (vgl. Blank 299 mit Hinweis auf die gründliche Untersuchung von Trautmann). Jesus liebte es, seine Botschaft von der Nähe der Gottesherrschaft durch symbolträchtige Zeichenhandlungen wie Wunder, Exorzismen, Mahlgemeinschaften zu veranschaulichen und zu bekräftigen, und das immer wieder und allerorten. Wenige Stunden nach dem Einzug wird er in der sogenannten Tempelreinigung (Mk 11,15-19) gleiches tun und durch eine von ihm selbst kommentierte Zeichenhandlung Kritik am Tempel üben, aber auch seine Verheißung kundtun (vgl. Joh 2,19 parr). Auch wenn in den VV 2-6 die prophetische Vorhersage aus Sach 9,9 (im Unterschied zu Mt, der den Vers zitiert; vgl. Mt 21,5) nur diskret durchschimmert, darf sie dennoch im Hintergrund des Tuns Jesu gesehen werden. Indem Jesus auf einem Esel, dem Tier des Messias schlechthin (vgl. Kuhn 89), in die Heilige Stadt reiten wird, wird er augenfällig gegen jenen politisch-kriegerischen Messianismus demonstrieren, wie er in jener Zeit der römischen Besatzung in ganz Palästina, insbesondere in Galiläa mit seiner Zelotenbewegung, lebendig war. Der in Sach 9,9f vorhergesagte messianische König, den Jesus hier offenbar im Blick hat, verzichtet auf das prunkvolle Auftreten der geschichtlichen Könige, die mit Wagen und Rossen (Jer 17,25) in die Stadt einzuziehen pflegen. Das Zeichen vertieft sich durch das Reiten auf dem Fohlen, dem Jungen einer Eselin, auf dem noch kein Mensch gesessen hat (V 2). Dadurch, dass das ungezähmte, noch wilde Tier Jesus, ohne Widerstand zu leisten, tragen wird, wird wiederum sehr diskret angezeigt, dass selbst die unvernünftige Natur den tiefen Frieden spürt, der von seinem Reiter ausgeht. Jesu Einzug auf dem Eselsfüllen ist für den, der Zeichen zu deuten versteht und das sind um die Zeitenwende nicht nur die Schriftgelehrten nicht weniger beredt als seine mahnende Bitte: Haltet Frieden untereinander! (Mk 9,50). Huldigung vieler (V 8) 8 καὶ πολλοὶ τὰ ἱµάτια αὐτῶν ἔστρωσαν εἰς τὴν ὁδόν, ἄλλοι δὲ στιβάδας κόψαντες ἐκ τῶν ἀγρῶν. 8 Und viele breiteten aus ihre Gewänder auf den Weg, andere aber Büschel, abschlagend (sie) von den Äckern. Die beiden Jünger haben dem Fohlen, da Reitzeug und Decken fehlen, ihre Gewänder übergeworfen (V 7). Ihnen nacheifernd, breiten nun viele der Jesus begleitenden Festpilger (Mt verstärkt zu die sehr Perikopen.de 3

große Volksschar ) ihre Mäntel aus, um Jesus mit einer Art rotem Teppich zu huldigen (V 8a). In 2 Kön 9,13 ist das Ausbreiten der Kleider zur Bezeugung der Ehrfurcht belegt. Andere schmücken in der gleichen Absicht den Weg mit (Blumen-)Büschel, die man von den Feldern abreißt (inspiriert von Ps 118,26 [ Mit Zweigen in den Händen... ], verändert Mt die Blumen- und Grasbüschel zu Zweigen ab, die man von den Bäumen abhaut). In Joh 12,12-15 zieht die große Volksmenge (V 12), die sich aus den angereisten Pilgern zusammensetzt, aus der Heiligen Stadt Jesus mit Palmzweigen entgegen, um ihn als ihren messianischen König (V 13) einzuholen. In Fortsetzung dieses königlichen Einzuges in Jerusalem wird die joh Passionsgeschichte (Joh 18-19) dann zu einer Siegesgeschichte (vgl. Bösen 46f.52ff.215ff). Den Einzug aufgrund der joh Palmzweige in die Zeit des Laubhüttenfestes im Herbst zu verlegen (vgl. Petuchowski 61), ist unbegründet (vgl. Ernst 321; Blank 300). Enthusiastische Akklamation (VV 9-10) 9 καὶ οἱ προάγοντες καὶ οἱ ἀκολουθοῦντες ἔκραζον, Ὡσαννά Εὐλογηµένος ὁ ἐρχόµενος ἐν ὀνόµατι κυρίου 10 Εὐλογηµένη ἡ ἐρχοµένη βασιλεία τοῦ πατρὸς ἡµῶν αυίδ Ὡσαννὰ ἐν τοῖς ὑψίστοις. 9 Und die Vorausgehenden und die Folgenden schrien: Hosanna, gesegnet der Kommende im Namen (des) Herrn. 10 Gesegnet das kommende Königtum unseres Vaters David; Hosanna in den Höhen! Die Erzählung erreicht ihren Höhepunkt in den hymnischen Rufen der Vorausgehenden und der Nachfolgenden. Die Differenzierung ist für Mk auffällig. Will er zwischen Sympathisanten auf der einen und Jüngern und Jüngerinnen (Mk 8,34: ὀπίσω µου ) auf der anderen Seite unterscheiden? Oder aber nur andeuten, dass Jesus von vielen begleitet wird? Die Jesusbegleiter schreien laut (ἔκραζον). Nein, nicht sie allein! Ihre Gruppe ist nur eine von vielen Dutzend, ja hundert anderen (vgl. Lk 2,44: συνοδία), die unterwegs sind und alle ihre persönlichen Gründe für ausgelassene Freude haben. Die Stimmung der Hinaufziehenden ist insgesamt ausgelassen und fröhlich; man singt, man lacht, man schreit. Die Begeisterung der vielhundertköpfigen Menge wirkt ansteckend und reißt mit. Noch im Nachhinein wird ein unbekannter Beter von Gefühlen überwältigt, wenn er sich zurückerinnert: Das Herz geht mir über, wenn ich gedenke, wie ich zog mit den Scharen des Volkes; wie ich einher zog vor ihnen zum Hause des Herrn unter Jubel und Lobgesang in festlicher froher Gemeinde (Ps 42,5). Aus den vielstimmigen Gesängen ist aber immer wieder ein Ruf herauszuhören: Hosanna! (im NT nur in den Einzugserzählungen belegt). Das Wort, das aus der Tempelliturgie stammt, lautet hebräisch hoschi a na, aramäisch hoscha na, griechisch hosanna und ist mit Hilf doch! bzw. Sende Heil! zu übersetzen. Dieser Hilferuf findet sich auch in Ps 12,2; 20,10; 28,9; 60,7; 108,7 und ist fest verankert im Pascha- und Laubhüttenfest. Der ihm nachfolgende Vers Gesegnet der Kommende im Namen des Herrn! entstammt dem Einzugslied der Festpilger (Ps 118,26) und gilt jedem Hinaufziehenden. Perikopen.de 4

Ganz anders dagegen die zweite Akklamation in V 10! Durch den Hinweis auf die kommende Königsherrschaft unseres Vaters David hat sie einen eindeutig messianischen Klang und wird hier zur feierlichen Begrüßung des erwarteten Messias. Dass Jesus seine Jünger zu Beginn seiner Verkündigung in Jerusalem zu diesem Ruf direkt oder indirekt aufgefordert haben könnte, scheint höchst unwahrscheinlich, war doch der Messiastitel stark politisch belastet (vgl. Bösen 181-188). Möglich aber scheint, dass die Jünger und die übrigen Mitreisenden sich von der Stimmung mitreißen ließen und diese zweite Akklamation in messianischem Enthusiasmus intonierten (so Pesch 185). Wenn dies tatsächlich der Fall gewesen sein sollte, muss der Ruf aber im Jubelgeschrei der Massen untergegangen sein. Denn nur so lässt sich erklären, warum der Einzug Jesu nicht die Behörden, die jüdischen wie die römischen, auf den Plan ruft und auch später nicht mehr angesprochen wird. Ganz und gar unbedenklich ist wiederum die dritte Akklamation Hosanna in den Höhen, die in ihrer zweiten Hälfte den Blick deutlich auf Gott lenkt. Wer wollte es wagen, aus dem Stimmengewirr der Menschenmenge, die in der Stunde des Einzugs Jesu die Straße ins Kidrontal hinab bevölkert, die Rufe der Jesusgruppe zu analysieren? Predigtempfehlung Im Einzug Jesu nach Jerusalem überliefert uns Mk ein farbenfrohes, höchst lebendiges Bild. In ihm war zweifellos die nachösterliche Gemeinde mit starkem, messianisch und theologisch gefärbtem Pinsel am Werk, allerdings nicht in der Weise, dass sie die Szene als Ganze erfunden hätte. Jesus ist tatsächlich in den Tagen des Paschafestes des Jahres 30 nchr, begleitet von Männern und Frauen, die ihm von Galiläa her als Jünger und als Sympathisanten gefolgt waren, in Jerusalem eingezogen. Das äußere Geschehen war eher unauffällig und ging im allgemeinen Trubel der Vorfeiertage unter. Bemerkenswert blieb allein die Tatsache des Eselritts. Dass Jesus sich auf ein Eselsfüllen setzte, ist als wohl überlegte, symbolträchtige Zeichenhandlung zu verstehen und von Sach 9,9 her zu interpretieren - und zwar als demonstrative Absage an jede Gewalt, sei sie nun gegen die römische Besatzungsmacht, gegen die galiläischen Zeloten oder gegen persönliche Feinde und Gegner gerichtet. Auf seiner Fahne steht in großen Lettern: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin! (Mt 5,39). Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen! (Mt 5,44)! Jesu Weg ist ein Weg der Gewaltlosigkeit, des persönlichen Appells, der sich primär an das Gewissen des einzelnen richtet, der Weg der geduldigen Überzeugung und der konkreten Lebenshilfe (Blank 305). In der gegenwärtigen Situation der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen bietet Mk 11,1-10 die große Chance, den bewussten Gewaltverzicht Jesu als ein Herzstück seiner Verkündigung (Hengel 20) vorzustellen. Da dieser Aspekt so wenig in unsere sozialen, religiösen und politischen Konzepte passt und gerne spitzfindigen Unterscheidungen zwischen gerechter und ungerechter Gewalt geopfert wird, muss er immer wieder in Erinnerung gerufen und angemahnt werden. In der radikalen Friedensbotschaft Jesu, wie sie zeichenhaft und anschaulich im Einzug nach Jerusalem sichtbar wird, liegt einer der Schätze des Christentums, mit dem es zu wuchern gilt. Nicht nur, um im Wettstreit der Weltreligionen dem Buddhismus das Image der friedlichsten Religion Perikopen.de 5

streitig zu machen, sondern vielmehr um die Welt ihrem von Gott gesetzten Endziel, dem endzeitlichen Schalom, näher zu bringen. Willibald Bösen Patsch, Hermann: Der Einzug Jesu in Jerusalem. Ein historischer Versuch, in: ZThK 68 (1971) 1-26; Trilling, Wolfgang: Der Einzug in Jerusalem Mt 21,1-17, in: Ders., Studien zur Jesusüberlieferung, Stuttgart 1988, 67-75; Pesch, Rudolf: Markusevangelium II, Freiburg 1977, 176-189; S.G.F. Brandon: Jesus and the Zealots, Oxford 1967; Kroll, Gerhard: Auf den Spuren Jesu, Suttgart 91983; Leroy, Herbert: Jesus, Darmstadt 1978; Blank, Josef: Das Evangelium nach Johannes. 1 Teil b, Düsseldorf 1981, 296-305; Trautmann, Maria: Zeichenhafte Handlungen Jesu. Ein Beitrag zur Frage nach dem geschichtlichen Jesus, Würzburg 1980, 347-378; Kuhn, H.W.: Das Reittier Jesu in der Einzugsgeschichte des Markusevangeliums, in: ZNW 50 (1959) 82-91; Bösen, Willibald: Der letzte Tag des Jesus von Nazaret, Freiburg 4 1999; Petuchowski, J. Jakob: Feiertage des Herrn. Die Welt der jüdischen Feste und Bräuche, 1984; Ernst, Josef: Das Evangelium nach Markus, Regensburg 1981; Hengel, Martin: War Jesus Revolutionär?, Stuttgart ³1971. Perikopen.de 6