BENEŠ-MEMORANDEN ZUR PARISER FRIEDENSKONFERENZ 1919/1920. MEMORANDUM NR. 4: DAS PROBLEM DES TESCHENER SCHLESIEN



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Transkript:

BENEŠ-MEMORANDEN ZUR PARISER FRIEDENSKONFERENZ 1919/1920. MEMORANDUM NR. 4: DAS PROBLEM DES TESCHENER SCHLESIEN I. Problemstellung Für die Polen ist das Problem des Teschener Schlesien nur eine Frage zweitrangiger Wichtigkeit, während sich für die Tschechoslowaken dieses Problem als Lebensfrage darstellt, von deren Lösung das Dasein des tschechoslowakischen Staates selbst abhängt. Das Teschener Schlesien ist der östliche Teil von Österreichisch-Schlesien. Mit dem Troppauer Schlesien bildete es einen Teil des alten Schlesien, heute Preußisch-Schlesien und gehörte lange Zeit zur Krone Böhmen. Als nach den Kämpfen zwischen Maria Theresia und Friedrich II. Schlesien durch den Friedensvertrag von Hubertusburg von 1763 zwischen Preußen und Österreich geteilt wurde, blieben das Troppauer und das Teschener Schlesien bei der Krone Böhmen und damit bei Österreich. Sie wurden stets als Teile des böhmischen Staates betrachtet. Heute, im Augenblick, wo es sich um die Teilung und Reorganisierung des ehemaligen österreichisch-ungarischen Gebietes handelt, verlangen die Polen einen großen Teil des Teschener Schlesien, indem sie sich vor allem auf das Nationalitätenprinzip berufen. Das Teschener Schlesien erstreckt sich über 2282 qkm. Es zählt im ganzen 426.370 Einwohner. Nach der Statistik von 1910 ist diese Bevölkerung in bezug auf die Nationalität folgendermaßen aufgeteilt: Polen 233.850 54,85% Tschechoslowaken 115.604 27,11% Deutsche 76.916 18,04% Das Teschener Schlesien zerfällt in vier Bezirke: Friedek, Freistadt, Teschen und Bielitz. Mit Ausnahme der Bevölkerung von Friedek, die völlig tschechisch ist, setzt sich die der drei anderen Bezirke aus Tschechen, Polen und Deutschen zusammen. Das Teschener Schlesien ist also ein gemischtes Land, wo drei Volksstämme leben: Tschechen, Polen und Deutsche. Im Hinblick auf die Tatsache, daß das polnische Element in den drei Bezirken Bielitz, Freistadt und Teschen die Mehrheit besitzt, verlangen die Polen jedoch die Abtrennung dieser drei Bezirke von der tschechoslowakischen Republik und ihre Angliederung an den polnischen Staat. II. Die tschechoslowakische These Diesen polnischen Forderungen gegenüber weigern sich die Tschechen, das umstrittene Gebiet abzutreten und setzen ihnen mehrere Gründe entgegen.

a) Geschichtliche Gründe Zu allererst sind die politischen Überlieferungen der Tschechen in Erwägung zu ziehen. Seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts hat Schlesien einen Teil der Krone Böhmen gebildet, und die gesamte Geschichte und die ganze spätere Politik der tschechischen Nation beruhte auf dieser Tatsache. Maria Theresia hat durch den Hubertusburger Frieden 1763 den größten Teil Schlesiens, heute Preußisch-Schlesien genannt, verloren, aber, wie wir schon gesagt haben, ist das ihr verbliebene (d. h. das Troppauer und Teschener Schlesien) stets als integrierender Teil des tschechischen Staates betrachtet worden, der rechtlich niemals aufgehört hat zu bestehen. Dies war übrigens auch die Grundlage aller modernen Politik der tschechoslowakischen Nation. b) Ethnographische Gründe Nach den auf der Umgangssprache beruhenden Statistiken bildeten die Polen 54,85% der Bevölkerung, 45,15% waren nicht-polnisch. Diese Mehrheit der Polen ist künstlich; sie besteht in Wirklichkeit nicht. Es mag hier gezeigt werden, wie sie zustande kam. 1. Sie geht aus einem ungerechten Volkszählungssystem hervor. Ohne der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Umgangssprache keineswegs die Volkszugehörigkeit bestimmt, muß bemerkt werden, daß die Polen die eingeborene Bevölkerung Schlesiens trotz aller ihrer Proteste als polnisch verzeichnet haben. In Albersdorf (Bezirk Freistadt) zählte man 1880 1079 Tschechen, aber keinen einzigen Polen, 1890 1079 Polen, aber keinen einzigen Tschechen. In Reichwaldau (Bezirk Oderberg) zählten die Polen 1900 11 Tschechen und 4545 Polen. Sie trugen als Tschechen nur die in Böhmen geborenen Bewohner ein, die einheimische Bevölkerung wurde für polnisch erklärt. 1910 waren es ebenfalls die Polen, die die Volkszählung durchgeführt haben, allerdings unter der Kontrolle der deutschen Regierungsstellen Schlesiens. Man fand damals in Reichwaldau 2907 Tschechen und 3001 Polen. 2. Ein weiterer Grund ist die polnische Kolonisierung. Gegen 1870 nahm die Kohlengewinnung und die Industrie im Teschener Schlesien und in der angrenzenden Gegend von Mährisch-Ostrau eine beträchtliche Entwicklung. Man brauchte dort zahlreiche Arbeiter, denen gute Verdienstmöglichkeiten geboten wurden. Polnische Arbeiter begannen daher in das Teschener Schlesien einzuwandern. Nach polnischen Schätzungen haben sich allein in dem Jahrzehnt von 1880 bis 1890 20.000 Polen aus Galizien im Teschener Schlesien niedergelassen. Die Zeitung Dziennik Cieszynski schreibt, daß es in dem umstrittenen tschechisch-polnischen Gebiet 60% galizische Auswanderer gibt. 1910 hat man in Schlesien 74.145 österreichische Untertanen gezählt, die nicht nach Schlesien zuständig waren und 11.669 Angehörige fremder Staaten. Nur ein schwacher Teil dieser Zahl setzt sich aus Deutschen, Tschechen und Ukrainern zusammen, aber mehr als 50.000 davon sind Polen. Diese eingewanderten polnischen Arbeiter bilden kein beständiges Element des Landes. Bereits jetzt, wo sich die Ausbeutung der Steinkohle vom Westen nach dem Osten des Landes verlagert, vermindert sich die Zahl der polnischen Arbeiter in den westlichen Gebieten. 3. Sie hängt mit der Polonisierung der eingeborenen Bevölkerung zusammen. Die eingeborene Bevölkerung des Teschener Schlesiens spricht einen tschechische und

polnische Bestandteile enthaltenden Dialekt. Dieser Dialekt bildet im Westen den Übergang zwischen dem Tschechischen und Polnischen. Ein Eingeborener sagt niemals, daß er polnisch spreche; er sagt, er spreche mährisch, d.h., daß er spreche wie man in Mähren spricht. Wenn man ihn einen Polen nennt, so betrachtet er diese Bezeichnung als eine Beleidigung. Die Kultur der eingeborenen Bevölkerung ist tschechisch. Während mehrerer Jahrhunderte war die Verwaltungs-, Schul- und Kirchensprache ausschließlich das Tschechische und die Bevölkerung bewahrt heute noch ihr tschechisches Bewußtsein. Bis 1848 gab es im Teschener Schlesien keine einzige polnische Schule, man gebrauchte dort das Polnische nicht in der Kirche und fand dort überhaupt kein polnisches Buch. Alles war tschechisch oder in den Städten deutsch. Diese Tatsache wird durch einen Polen, Popiolek, in seinem Buche Dzieje Slaska Austryackiego (Teschen 1913) bestätigt, und durch den polnischen Professor Londzin, der im Sprawozdanie direkcii polskiego gimnazjum (Teschen 1910) schreibt, daß dieser Behauptung nicht widersprochen werden könne. [Anmerkung im Original:] In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die eingeborene Bevölkerung durch die Schule und die polnische Geistlichkeit polonisiert, was erklärlich ist, wenn man bedenkt, daß das Volk einen mit dem Polnischen verwandten Dialekt sprach. Das Volk fühlte sich jedoch tschechisch und sträubte sich gegen die Polonisierung. In Deutsch-Leuten (Bezirk Oderberg), einer heute als völlig polnisch angesehenen Ortschaft, hat die Bevölkerung dermaßen energisch der Polonisierung zu widerstehen versucht, um ihre tschechische Nationalität zu behalten, daß man die Bajonette zu Hilfe nehmen mußte, um sie zum Besuch der polnischen Schulen zu zwingen, denen sie lange einen passiven Widerstand entgegensetzte. Im Westen des Gebiets von Teschen war ein breiter Gebietsstreifen bereits seit langem von durchweg tschechischen Elementen bewohnt. Im Osten war es von Stämmen bewohnt, die den Übergang zwischen Polen und Tschechen bildeten. Während der deutschen Kolonisation hat sich eine deutsche Insel um Bielitz herum gebildet und stets weiterbestanden. Von Beginn des 15. Jahrhunderts an bildete das gesamte Land einen Teil des tschechischen Geistesgebiets und erkannte die tschechische Sprache als offizielle Sprache an. Im 16. Jahrhundert erkannte ihr eigenes Parlament das Tschechische auch als Gerichtssprache an. Zu derselben Zeit wird das Tschechische die Umgangssprache in Schulen und Kirchen ohne Religionsunterschied. Erst während der Periode des Absolutismus des 18. Jahrhunderts wurde die tschechische Sprache fortschreitend durch das Deutsche ersetzt, aber damals blieb keine Spur von der polnischen Sprache übrig. Im Laufe des Jahres 1848 trat eine vollständige Änderung dank des Einflusses gewisser Einwohner von Teschen ein, und gegen den Willen der eingeborenen Bevölkerung, die sich nicht als polnisch, sondern als mährisch und schlesisch empfand, nahm die nationale Bewegung in der Gegend von Teschen einen polnischen Charakter an. Dies beruht auf dem Schutz seitens der ehemaligen österreichischen Regierung, die der Ansicht war, daß die Polonisierung die Vorstufe der Germanisierung sei, welcher Schlesien erliegen sollte. Nichtsdestoweniger konnte man die Bevölkerung des östlichen Teschener Gebietes noch nicht dazu bringen, sich als polnisch zu bekennen. Der Großteil betrachtet sich als Schlesier und widersetzt sich jeder Gemeinschaft mit den Polen. Gegenwärtig ist die Lage die, daß der ganze westliche Teil des Teschener Gebiets tschechisch ist; von hier aus dringen zahlreiche tschechische Minderheiten besonders zum Mittelpunkt des Landes vor. Im Osten findet man Deutsche und Schlesier. Wenn wir noch die Goralen im Südosten des Landes, deren nationale Herkunft sehr umstritten und rätselhaft ist, hinzufügen, so gehört den Polen nichts als ein

kleiner Teil des um Teschen liegenden Gebietes. Überdies ist dieses Gebiet von deutschen, aus den Städten Teschen Freistadt usw. gebildeten Inseln durchsetzt. c) Religiöse Gründe Ein Drittel der polnischen Bevölkerung des Teschener Schlesien (ungefähr 80.000) ist protestantisch, während alle anderen Polen katholisch sind. Die polnischen Protestanten stehen in Opposition gegen das katholische Polen. Vor dem Kriege empfand ihre Mehrzahl lebhafte Sympathien für die Deutschen und sympathisiert heute in der Mehrzahl mit dem tschechischen Volk, das liberale Überlieferungen besitzt. Der Führer der früheren germanophilen Partei der protestantischen Polen, der Abgeordnete des Bezirks Bielitz, Koždoň, äußerte seine Sympathien für die tschechoslowakische Republik und wurde deshalb von den polnischen Truppen, die gewaltsam das Teschener Gebiet im Dezember 1918 besetzt haben, eingekerkert, Ebenso will die jüdische und deutsche Bevölkerung der Umgegend von Bielitz dem tschechoslowakischen Staate einverleibt werden. d) Wirtschaftliche Gründe 1. Die tschechoslowakische Republik könnte das Teschener Schlesien nicht herausgeben. Der tschechoslowakische Staat ist in der Tat vor allem ein Industriestaat; hier liegt seine Kraft und auf dieser Kraft beruht sein ganzes Dasein. Diese wirtschaftliche Kraft, d.h. die ungemein hohe Entwicklung seiner Industrie und seines Handels, weist ihm auch eine besondere, sehr wichtige Rolle in Mitteleuropa zu. Bei seiner schwierigen geographischen Lage muß er über andere Kräfte verfügen, um nicht der beständigen Drohung seiner Nachbarn zu unterliegen und um sich in jeder Beziehung ruhig entwickeln zu können. Nun liegen in dem von den Polen beanspruchten Teil des Teschener Schlesien ungeheure Kohlenreichtümer. Das hat Anlaß zur Errichtung großer tschechischer industrieller Unternehmen, besonders in den tschechischen Gebieten des Teschener Schlesiens und dem benachbarten Gebiet Mährens gegeben. Es ist dies eine der industrialisiertesten Ecken der tschechischen Länder, es ist das aktivste und das wichtigste von allen, vor allem in Beziehung auf Hütten- und ähnliche Industrien. Wenn man den von den Polen verlangten kohlenreichen Teil des Teschener Schlesien von den tschechischen Industriegebieten abtrennt, wäre das ganze Gebiet und der größte Teil der tschechischen Hüttenindustrie im allgemeinen vollständig zugrunde gerichtet. Das wäre gleichzeitig ein schwerer Schlag gegen den ganzen tschechoslowakischen Staat. Ein auf drei Seiten von den wirtschaftlich so mächtigen Deutschen umgebener Staat, der sich in der Zukunft vor allem gegen den vernichtenden, wirtschaftlichen Wettbewerb Deutschlands zu wehren haben wird, darf nicht in eine derartige Lage gebracht werden. Das hieße ihn von vornherein zu einem ungleichen Kampfe verurteilen. Die tschechoslowakische Republik verlangt daher alle Gebiete des Teschener Schlesien. Sie macht mit diesen Beweisgründen geltend, daß die Abtrennung dieser Gebiete sie tödlich treffen und ihre Lebensinteressen berühren würde. Ein zweites Problem derselben Ordnung und derselben Wichtigkeit ist das der Eisenbahn Oderberg Jablunkau Kaschau. Diese Eisenbahnlinie verbindet zunächst Schlesien mit der Nordslowakei. Aber sie ist mit der Prager Eisenbahnlinie, mit Mähren und mit

Schlesien so verbunden, daß sie im Grunde die Slowakei mit den drei anderen tschechischen Provinzen verbindet. Nun ist für die allgemeine tschechische Politik diese Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung. Diese Eisenbahn durchquert nämlich das große Gebirge der Beskiden, das Mähren und die Slowakei trennt, bei Jablunkau, einem im Südosten von Teschen gelegenen Ort, zugleich fast der einzige, wo man diese Berge überschreiten und so mit den Slowaken in Verbindung treten kann. Außer diesem wichtigsten Übergang, der den Bau einer doppelgleisigen Eisenbahn gestattet hat, gibt es nur einen einzigen anderen Übergang im Süden der Beskiden bei Vlara, wo die Eisenbahn nur eingleisig - und sehr mittelmäßig ist. Gibt man den Polen die von ihnen beanspruchten schlesischen Gebiete, so droht uns nicht allein der teilweise Raub unseres Kohlenbeckens, sondern man verhindert völlig jede Berührung Böhmens, Mährens, und Schlesiens mit der Nordslowakei. Wichtig ist, daß in den Beskiden schlechterdings keine anderen Übergänge zu finden sind. Daher ist der Übergang von Jablunkau und damit zusammenhängend die Eisenbahn Oderberg Teschen Jablunkau für die Tschechoslowaken völlig unentbehrlich. Ohne sie würde man das ganze politische und wirtschaftliche Leben des neuen Staates desorganisieren in besonderem Maße das der Slowakei, die um so mehr einer Unterstützung von Seiten Böhmens und Mährens bedarf, als sie bis jetzt in schrecklicher Unterdrückung stand. Wir halten diese Gründe für so wichtig, daß sie völlig genügen, um über das Schicksal dieser umstrittenen Gebiete Schlesiens entscheiden zu können. e) Politische Gründe Wir wollen immerhin noch andere Punkte hervorheben: Wir wollen uns um keinen Preis um ein Gebiet herumstreiten, dessen Bedeutung für Polen geringfügig ist. 1. Sie bedürfen in der Tat weder der Kohle des schlesischen Gebietes von Teschen, noch der Eisenbahn Oderberg Jablunkau. Sie finden übrigens unerschöpfliche Kohlenreichtümer in Preußisch-Schlesien; diese Reichtümer sind unendlich viel größer als die des umstrittenen Gebietes. 2. Man sieht, daß das Gebiet, um das es sich handelt, kaum der Ausdehnung eines Arrondissements entspricht. 3. Es handelt sich im ganzen um 200.000 Einwohner, deren Nationalität in politischer Beziehung nicht überall klar ist, und die auf dem Gebiete der tschechoslowakischen Republik bleiben würden. Diese Einwohner würden der polnischen Nation nicht verlorengehen, weil der tschechische Staat darauf halten würde, ihnen alle Freiheit und alle Rechte zuzusichern, damit sie frei leben und in enger Zusammenarbeit mit ihren Volksbrüdern sich entwickeln können.

4. Ein Teil der polnischen Bevölkerung sowie die 77.000 Deutschen des Teschener Schlesien, deren wirtschaftliche Interessen eng mit dem tschechoslowakischen Staat verknüpft sind, wünschen ihm anzugehören. 5. Die Polen setzen diesen Argumenten oft ihre besonderen Gesichtspunkte entgegen, indem sie sagen, daß bezüglich der Kohle und der Oderberg Jablunkauer Eisenbahn Wirtschaftsverträge abgeschlossen werden könnten. Darauf erwidern wir, daß man angesichts der Erfahrung der letzten Jahre genügend gesehen hat, daß ein Staat, der nicht über genügende Kohlengruben verfügt, notwendigerweise der Sklave dessen wird, der sie ihm liefert. Man hat gesehen, was es Belgien gekostet hat nicht der Herr der Verbindung Antwerpens mit dem Meere zu sein. Man kann nicht dem Gutdünken eines anderen Staates, selbst wenn man mit ihm in sehr guten Beziehungen lebt, die einzigen verfügbaren Verbindungswege zwischen den beiden wesentlichen Teilen des Staates überlassen. Das wäre politisch gesehen Selbstmord. III. Schlußergebnis 1. Es gibt im Teschener Schlesien ein tschechisch-polnisch-deutsches Mischgebiet. Die Polen verlangen es für sich nach dem Nationalitätenprinzip. Es handelt sich um eine Bevölkerung von 200.000 Einwohnern, deren Volkstum nicht überall klar ist. 2. Die Tschechoslowaken setzen diesen Forderungen geschichtliche, ethnographische, religiöse, wirtschaftliche und politische Gründe entgegen. 3. Sie könnten schwerlich auf diese Bezirke verzichten, deren Angliederung an Polen a) ein ganzes großes Industriegebiet vernichten und so die Lebensinteressen der Nation verletzen würde, b) den politischen und wirtschaftlichen Zusammenhang der beiden wichtigen Gebiete der Nation durch Wegnahme der wichtigsten Verkehrsverbindung unmöglich machen würde, c) den tschechoslowakischen Staat der Gnade seines Nachbarn in diesen beiden wichtigen Fragen ausliefern und eine Spannung zwischen diesen beiden Staaten wahrscheinlich machen würde. Die Tschechoslowaken sind überzeugt, daß ihre Argumente so stark sind, daß ihr gutes Recht aller Welt sichtbar ist. Sie setzen offen und klar das Problem auseinander in dem Bewußtsein, daß über der mechanischen Anwendung eines Prinzips es noch eine höhere Gerechtigkeit gibt. Dies ist der Fall des Problems der Polen von Teschen. Sie stellen dieses Problem den Alliierten und den Vereinigten Staaten, gegebenenfalls ihrem Schiedsgericht. Sie nehmen im voraus die Entscheidung der Friedenskonferenz an und werden sich gern ihrer Entscheidung unterwerfen, indem sie damit eine Probe dafür ablegen, daß sie in allen Fragen von den Gefühlen der Versöhnung, der nationalen Gerechtigkeit und des Rechts beseelt sind. [Quelle: Raschhofer, Hermann (Hrsg.): Die Tschechoslowakischen Denkschriften für die Friedenskonferenz von Paris 1919/1920, Berlin 1937, S. 111-125.]