Eröffnungsrede des Regierungschefs Adrian Hasler am Festakt 20 Jahre EWR am 11. Mai 2015

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Transkript:

11. Mai 2015 Eröffnungsrede des Regierungschefs Adrian Hasler am Festakt 20 Jahre EWR am 11. Mai 2015 Durchlauchter Erbprinz Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Sehr geehrte Frau Landtagsvizepräsidentin Geschätzte amtierende und ehemalige Regierungskolleginnen und -kollegen Sehr geehrte amtierende und ehemalige Gerichtspräsidenten Exzellenzen Durchlauchten Geschätzte Abgeordnete des amtierenden und von früheren Landtagen Liebe Gäste. Ganz herzlich begrüsse ich Sie im Namen der Regierung zur Feier der 20-jährigen Mitgliedschaft Liechtensteins im Europäischen Wirtschaftsraum. Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Besonders begrüsse ich die liechtensteinischen EWR-Verhandler, von deren Verhandlungsgeschick Liechtenstein auch nach 20 Jahren noch profitiert. Ebenso begrüsse ich den EWR-Jahrgang 1995, den wir persönlich zu diesem Festanlass eingeladen haben, damit Sie mit einem Augenzwinkern sehen können, dass unser Abkommen inzwischen erwachsen geworden ist. Der EWR-Beitritt stellt einen Meilenstein der jüngeren Geschichte unseres Landes dar. Er hat nicht nur unser Verhältnis zu Europa neu definiert, sondern hatte auch Konsequenzen für unser Verhältnis zur Schweiz.

Der EWR-Beitritt war ein entscheidender Schritt für eine eigenständige liechtensteinische Aussenpolitik. Rückblickend war dies eine selbstbewusste, aber auch weitsichtige Entscheidung. Das liechtensteinische Stimmvolk hat bei den Volksabstimmungen 1992 und 1994 mit jeweils knapp 56% Ja-Stimmen mutig den Sprung ins kalte Wasser gewagt und dadurch den EWR-Beitritt ermöglicht. Die Regierung kann heute, nach 20 Jahren EWR-Mitgliedschaft, eine positive Gesamtbilanz ziehen. Dies zeigt sich auch anhand der durchgeführten Befragungen. 85% der befragten Personen gaben an, ein positives Bild vom EWR zu haben. Ich glaube, so manches EU-bzw. EWR-Land würde sich wünschen, dass die verfolgte Europapolitik von der Bevölkerung so gut akzeptiert und aktiv mitgetragen wird wie in Liechtenstein. Nach dem Nein der Schweiz zum EWR-Beitritt verdankt es Liechtenstein aber auch der Unterstützung und dem Entgegenkommen der Schweiz und der EU, dass eine liechtensteinische EWR-Mitgliedschaft - unter gleichzeitiger Teilnahme am Zollvertrag - möglich wurde. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Vertreter der Schweiz und der EU. 2

Geschätzte Gäste Seit der Unterzeichnung des EWR-Abkommens hat sich die EU-Seite im Lauf der Jahre von 12 auf 28 Staaten vergrössert. Zudem hat sie die Integration schrittweise vertieft. Eine grosse Herausforderung liegt darin, dass in immer mehr Bereichen neue Behörden der EU geschaffen werden, die teilweise mit Aufgaben im Bereich der Regulierung und Aufsicht im EU-Binnenmarkt betraut werden. Die Abbildung solcher Behörden im EWR, unter Rücksichtnahme auf die vertraglich verankerte Zuständigkeit der EFTA-Überwachungsbehörde, erfordert bislang anspruchsvolle Verhandlungen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die zunehmende Integrationstiefe und Regulierungsdichte im europäischen Binnenmarktrecht für uns bedeutet, dass wir Einschränkungen in unserer gesetzgeberischen Autonomie und somit beim souveränitätspolitischen Spielraum in Kauf nehmen müssen. Solche Konzessionen sind letztlich der Preis für die Beibehaltung eines diskriminierungsfreien Marktzugangs in der EU. Meine Damen und Herren, der EWR hat uns in den letzten zwanzig Jahren fast 55 Mio. Franken an Beiträgen gekostet. Nicht zu vernachlässigen sind zudem auch die Kosten, die die EWR- Mitgliedschaft in der Verwaltung, aber auch in den einzelnen Unternehmen verursacht hat. Allerdings sind diese Kosten keine verlorenen Kosten. Es sind Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und unserer Wirtschaft. Denn nur aufgrund unserer EWR-Mitgliedschaft kann die diversifizierte und exportorientierte liechtensteinische Wirtschaft von den vier Freiheiten und vom Marktzugang profitieren. Und das stärkt den innovativen Wirtschaftsstandort Liechtenstein und macht ihn fit für die Zukunft! 3

Zudem kann die Bevölkerung Vorteile aus der Teilnahme in verschiedenen EU- Programmen ziehen, insbesondere im Bereich der Bildung und der Jugend. Es freut mich ganz besonders, dass zwei Projektteilnehmer uns heute von ihren persönlichen Erfahrungen berichten werden. Das EWR-Abkommen weist auch Schwachpunkte auf. Ich möchte im Folgenden zwei dieser Schwachpunkte nennen. Gemäss dem institutionellen Aufbau des Abkommens kann Liechtenstein beim Erlass von EU-Rechtsakten nicht mitentschieden. Das führt dazu, dass in den EU- Rechtsakten die besondere Situation unseres Landes nicht immer so berücksichtigt wird, wie wir uns das wünschen würden. Die Erfahrung zeigt zudem, dass die EU-Seite im Lauf der Zeit weniger Kompromissbereitschaft an den Tag legt. Das bedeutet, es wird immer schwieriger, Liechtensteinspezifische Anpassungen zu verhandeln. Gerade bei den Diskussionen zu den europäischen Aufsichtsbehörden im Finanzbereich fällt der zweite Schwachpunkt des EWR-Abkommens auf: Das Einstimmigkeitsprinzip. Dieses besagt, dass die EWR/EFTA-Staaten im Entscheidungsprozess gegenüber der EU nur mit einer Stimme sprechen können. Es ist offensichtlich, dass die jeweiligen nationalen Interessen durchaus unterschiedlich sein können. Dazu kommt, dass Liechtenstein als kleinster EWR/EFTA-Staat keine Marktmacht hat, um diese bei wichtigen Angelegenheiten auszuspielen. Einer der wesentlichen Gründe für den Beitritt Liechtensteins zum EWR war die damit zu erreichende Beteiligung am Europäischen Binnenmarkt. Dieser ungehinderte Zugang zum EU-Binnenmarkt ist DAS Schlüsselargument für die EWR-Mitgliedschaft und stellt heute einen bedeutenden Standortvorteil dar. 4

Der Beitritt zum EWR bewirkte eine Öffnung des Wettbewerbs, was insbesondere für das Gewerbe eine grosse Herausforderung darstellte. Die Wirtschaft hat sich dieser Herausforderung gestellt und vermochte die erfolgte Öffnung des EU-Binnenmarktes zu ihren Gunsten zu nutzten. Positiv zu beurteilen ist zudem die mit dem EWR-Beitritt einhergehende Diversifizierung und Internationalisierung im Dienstleistungsbereich. Der EWR Beitritt Liechtensteins hat ähnlich wie der Beitritt zu den Vereinten Nationen einen wichtigen Beitrag zu einer eigenständigen liechtensteinischen Aussenpolitik geleistet. Die EWR-Mitgliedschaft hat es Liechtenstein ermöglicht, an aussenpolitischem Profil zu gewinnen und die Wahrnehmung Liechtensteins als souveränes Mitglied der Staatengemeinschaft zu erhöhen. Wie eingangs erwähnt, zieht die Regierung nach 20 Jahren EWR eine durchwegs positive Bilanz. Dennoch darf die Dynamik in- und ausserhalb des EWR nicht unterschätzt werden. Ich denke dabei insbesondere an die integrationspolitischen Entwicklungen in der EU, in den Ländern der EFTA und allen voran in der Schweiz. Insbesondere die Diskussionen in der Schweiz über die Beziehungen zur EU haben gezeigt, dass auch eine Vielzahl bilateraler Verträge trotz ihres massgeschneiderten Charakters erhebliche Problemstellungen mit sich bringen. Gerade für ein kleines Land wie Liechtenstein ist, trotz aller durch die EWR- Mitgliedschaft entstehenden Abhängigkeiten und Kosten, eine umfassende Lösung im Rahmen des EWR weiterhin für die absehbare Zukunft ein attraktives europäisches Integrationsmodell. Durchlaucht, liebe Gäste, ich wünsche Ihnen nun eine interessante Veranstaltung und hoffe, dass Sie den einen oder anderen Aspekt des EWR-Abkommens heute aus einem bisher unbekannten Blickwinkel wahrnehmen können. Besten Dank. 5