Europäisches Semester und Säule sozialer Rechte

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Transkript:

Europäisches Semester und Säule sozialer Rechte Der dbb erkennt die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Koordinierung in der Europäischen Union an, besonders in der Wirtschafts- und Währungsunion. Allerdings müssen die Ziele stärker als bisher auch am Kriterium der sozialen Ausgewogenheit und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Der dbb befürwortet daher eine verstärkte Anwendung der Grundsätze der Säule sozialer Rechte, wie die Kommission sie ab 2018 vorsieht. Die soziale Dimension darf jedoch im Europäischen Semester kein Feigenblatt sein. Die politische Entwicklung in den EU-Mitgliedstaaten weist auf eine zunehmende Verunsicherung vieler Bürger hin, die Abstiegsängste haben oder sich bereits von der wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen sehen. Gleichzeitig ist es für die Identität der Nationalstaaten wesentlich, dass sie die prinzipielle Zuständigkeit für ihre sozialen Sicherungssysteme und ihre öffentlichen Dienste behalten. Hierin ist aber kein Widerspruch zu sehen, denn es geht aus dbb Sicht nicht darum, konkrete sozialpolitische Kompetenzen zu vergemeinschaften. Vielmehr gilt es, die auf europäischer Ebene zu treffenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen, etwa in der Binnenmarktpolitik und der Wirtschafts- und Währungsunion, viel mehr als bisher auf ihre sozialen Folgen hin zu betrachten, so etwa auf die Auswirkungen, die sich aus der Binnenmarktgesetzgebung für die nationalen Sozialschutzsysteme ergeben. Das Europäische Semester muss also um eine soziale Dimension ergänzt und verstärkt werden, weil auch die Innovations- und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie von politischer Stabilität abhängig sind, die wiederum ohne sozialen Ausgleich, effektiven Schutz der Schwächeren und klare Aufstiegsperspektiven für hart arbeitende Menschen nicht dauerhaft zu gewährleisten sein wird. In Teilen Europas sind die politischen Verhältnisse bereits instabil geworden, wie etwa die jüngste italienische Parlamentswahl, aber auch die veränderte politische Landschaft in Deutschland gezeigt hat. Eine glaubwürdige soziale Dimension kann am besten erreicht werden, wenn sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene alle Sozialpartner wirksam in die Prozesse einbezogen werden und endlich auch der Wert der öffentlichen Verwaltung, öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistungen von den politisch Verantwortlichen erkannt und in der Politikgestaltung berücksichtigt wird: 1. Sozialer Zusammenhalt ( Kohäsion ) und soziale Angleichung nach oben ( Aufwärtskonvergenz ) im Sinne besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union sind für wirtschaftliche Nachhaltigkeit und politische Stabilität unabdingbar. 2. Der dbb begrüßt es deshalb, wenn im Europäischen Semester ein stärkerer Schwerpunkt auf sozialen Prioritäten liegt und diese gleichberechtigt neben die bisher dominierenden wirtschaftlichen Zielsetzungen treten. 3. Die sozialen Indikatoren im Europäischen Semester sind stark zu gewichten, um einseitige politische Empfehlungen zu vermeiden, die den sozialen Zusammenhalt in den EU-Mitgliedstaaten schwächen.

4. Eine innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft ist zwar zentrale Voraussetzung für eine starke soziale Dimension Europas; beides wird aber bedingt durch eine zukunftsfeste öffentliche Infrastruktur mit einem leistungsfähigen öffentlichen Dienst. 5. Mehr öffentliche Investitionen in die staatliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge, vor allem auch in Bildung und Sicherheit, müssen maßgebliches Ziel werden und dementsprechend in den Länderberichten und länderspezifischen Empfehlungen Berücksichtigung finden. 6. Die wirtschaftliche Koordinierung im Europäischen Semester bedarf einer stärkeren sozialen Dimension und einer besseren Einbeziehung aller Sozialpartner, auch der unabhängigen europäischen Gewerkschaften. 7. Die 20 Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte müssen bei der Bewertung der Länderberichte und der Entwicklung länderspezifischer Empfehlungen systematisch Anwendung finden. 8. In der Beschäftigungs- und Sozialpolitik müssen auch im Hinblick auf die Umsetzung der Säule sozialer Rechte die jeweiligen Zuständigkeiten von Union und Mitgliedstaaten geachtet werden, die europäische Kompetenzordnung im Sinne von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ist einzuhalten. 9. Gleichzeitig aber müssen die sozialen Folgen europäischer Initiativen, vor allem in den Bereichen Binnenmarkt und Währungsunion, stärker berücksichtigt werden, um auf allen Ebenen (Europa, Mitgliedstaaten, Regionen) nachhaltige Politiken entwickeln zu können. 10. Der dbb wirkt gegenüber Bundesregierung und Bundestag darauf hin, angemessen in die Erarbeitung des nationalen Länderberichts und des Jahreswirtschaftsberichts einbezogen zu werden. 11. Der dbb wirkt gegenüber den EU-Institutionen, besonders der Europäischen Kommission darauf hin, direkt oder indirekt über die CESI angemessen in die Erarbeitung der länderspezifischen Empfehlungen einbezogen zu werden. Begründung: Die europäische Säule sozialer Rechte Zweck der europäischen Säule sozialer Rechte ist die Bereitstellung neuer und wirksamerer Rechte für Bürgerinnen und Bürger, die auf 20 Grundsätzen aufbauen.

Annahme der europäischen Säule sozialer Rechte Wie von Präsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union am 13. September 2017 gefordert, haben das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission auf dem Göteborger Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum am 17. November 2017 die europäische Säule sozialer Rechte proklamiert. Diese Proklamation spiegelt die einhellige Unterstützung der durch die Säule garantierten Grundsätze und Rechte seitens aller EU-Institutionen wider. Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte Die Umsetzung der im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte festgelegten Grundsätze und Rechte ist eine gemeinsame Verpflichtung und Verantwortung der Organe der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten, der Sozialpartner und anderer Interessenträger. Die Organe der EU werden dazu beitragen, den Rahmen hierfür zu schaffen, und wenn nötig Leitlinien für die Umsetzung der Säule in der Gesetzgebung vorgeben, wobei die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten voll gewahrt bleiben und die Verschiedenheit der Bedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigt wird. Überwachung der Fortschritte Die Umsetzung der Säule wird durch ein sozialpolitisches Scoreboard unterstützt, mit dem Tendenzen und die Leistungen der EU-Mitgliedstaaten verfolgt werden sollen. Zukunft des sozialen Europas Die Gespräche über die soziale Dimension Europas sind Teil einer größeren Debatte um das Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas. In diesem Zusammenhang hat die Kommission ein Diskussionspapier zur sozialen Dimension Europas veröffentlicht. Darin werden vor allem die Veränderungen beleuchtet, die den europäischen Gesellschaften und ihren jeweiligen Arbeitswelten bevorstehen, und eine Reihe von Möglichkeiten für eine kollektive Antwort vorgestellt.

Die 20 Grundsätze der Säule sozialer Rechte (Quelle: EU-Kommission) Kapitel I: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang 1. Allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen Jede Person hat das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form, damit sie Kompetenzen bewahren und erwerben kann, die es ihr ermöglichen, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen. 2. Gleichstellung der Geschlechter Die Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Frauen und Männern muss in allen Bereichen gewährleistet und gefördert werden; dies schließt die Erwerbsbeteiligung, die Beschäftigungsbedingungen und den beruflichen Aufstieg ein. Frauen und Männer haben das Recht auf gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit. 3. Chancengleichheit Unabhängig von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung hat jede Person das Recht auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit im Hinblick auf Beschäftigung, sozialen Schutz, Bildung und den Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleistungen. Die Chancengleichheit unterrepräsentierter Gruppen wird gefördert. 4. Aktive Unterstützung für Beschäftigung Jede Person hat das Recht auf frühzeitige und bedarfsgerechte Unterstützung zur Verbesserung der Beschäftigungs- oder Selbständigkeitsaussichten. Dazu gehört das Recht auf Unterstützung bei der Arbeitssuche, bei Fortbildung und Umschulung. Jede Person hat das Recht, Ansprüche auf sozialen Schutz und Fortbildung bei beruflichen Übergängen zu übertragen. Junge Menschen haben das Recht auf eine Weiterbildungsmaßnahme, einen Ausbildungsplatz, einen Praktikumsplatz oder ein qualitativ hochwertiges Beschäftigungsangebot innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Arbeitslose haben das Recht auf individuelle, fortlaufende und konsequente Unterstützung. Langzeitarbeitslose haben spätestens nach 18-monatiger Arbeitslosigkeit das Recht auf eine umfassende individuelle Bestandsaufnahme. Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen

5. Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung Ungeachtet der Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht auf faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf Arbeitsbedingungen sowie den Zugang zu sozialem Schutz und Fortbildung. Der Übergang in eine unbefristete Beschäftigungsform wird gefördert. Im Einklang mit der Gesetzgebung und Kollektiv- bzw. Tarifverträgen wird die notwendige Flexibilität für Arbeitgeber gewährleistet, damit sie sich schnell an sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen können. Innovative Arbeitsformen, die gute Arbeitsbedingungen sicherstellen, werden gefördert. Unternehmertum und Selbstständigkeit werden unterstützt. Die berufliche Mobilität wird erleichtert. Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, werden unterbunden, unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge. Probezeiten sollten eine angemessene Dauer nicht überschreiten. 6. Löhne und Gehälter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf eine gerechte Entlohnung, die ihnen einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Es werden angemessene Mindestlöhne gewährleistet, die vor dem Hintergrund der nationalen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familien gerecht werden; dabei werden der Zugang zu Beschäftigung und die Motivation, sich Arbeit zu suchen, gewahrt. Armut trotz Erwerbstätigkeit ist zu verhindern. Alle Löhne und Gehälter werden gemäß den nationalen Verfahren und unter Wahrung der Tarifautonomie auf transparente und verlässliche Weise festgelegt. 7. Informationen über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht, am Beginn ihrer Beschäftigung schriftlich über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden, die sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergeben, auch in der Probezeit. Bei jeder Kündigung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, zuvor die Gründe zu erfahren, und das Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist. Sie haben das Recht auf Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und bei einer ungerechtfertigten Kündigung Anspruch auf Rechtsbehelfe einschließlich einer angemessenen Entschädigung. 8. Sozialer Dialog und Einbeziehung der Beschäftigten Die Sozialpartner werden bei der Konzeption und Umsetzung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik gemäß den nationalen Verfahren angehört. Sie werden darin bestärkt, Kollektivverträge über sie betreffende Fragen auszuhandeln und zu schließen, und zwar unter Wahrung ihrer Autonomie und des Rechts auf Kollektivmaßnahmen.

Wenn angebracht, werden Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf Unionsebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten umgesetzt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihre Vertretungen haben das Recht auf rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung in für sie relevanten Fragen, insbesondere beim Übergang, der Umstrukturierung und der Fusion von Unternehmen und bei Massenentlassungen. Die Unterstützung für eine bessere Fähigkeit der Sozialpartner, den sozialen Dialog voranzubringen, wird gefördert. 9. Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben Eltern und Menschen mit Betreuungs- oder Pflegepflichten haben das Recht auf angemessene Freistellungs- und flexible Arbeitszeitregelungen sowie Zugang zu Betreuungs- und Pflegediensten. Frauen und Männer haben gleichermaßen Zugang zu Sonderurlaub für Betreuungs- oder Pflegepflichten und werden darin bestärkt, dies auf ausgewogene Weise zu nutzen. 10. Gesundes, sicheres und geeignetes Arbeitsumfeld und Datenschutz Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein hohes Gesundheitsschutz- und Sicherheitsniveau bei der Arbeit. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein Arbeitsumfeld, das ihren beruflichen Bedürfnissen entspricht und ihnen eine lange Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglicht. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf den Schutz ihrer persönlichen Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses. Kapitel III: Sozialschutz und soziale Inklusion 11. Betreuung und Unterstützung von Kindern Kinder haben das Recht auf hochwertige, bezahlbare frühkindliche Bildung und Betreuung. Kinder haben das Recht auf Schutz vor Armut. Kinder aus benachteiligten Verhältnissen haben das Recht auf besondere Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit. 12. Sozialschutz Unabhängig von Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unter vergleichbaren Bedingungen Selbstständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz.

13. Leistungen bei Arbeitslosigkeit Arbeitslose haben das Recht auf angemessene Unterstützung öffentlicher Arbeitsverwaltungen bei der (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsmarkt durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und auf angemessene Leistungen von angemessener Dauer entsprechend ihren Beiträgen und den nationalen Bestimmungen zur Anspruchsberechtigung. Diese Leistungen sollen die Empfänger nicht davon abhalten, schnell wieder in Beschäftigung zurückzukehren. 14. Mindesteinkommen Jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, hat in jedem Lebensabschnitt das Recht auf angemessene Mindesteinkommensleistungen, die ein würdevolles Leben ermöglichen, und einen wirksamen Zugang zu dafür erforderlichen Gütern und Dienstleistungen. Für diejenigen, die in der Lage sind zu arbeiten, sollten Mindesteinkommensleistungen mit Anreizen zur (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsmarkt kombiniert werden. 15. Alterseinkünfte und Ruhegehälter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Selbstständige im Ruhestand haben das Recht auf ein Ruhegehalt, das ihren Beiträgen entspricht und ein angemessenes Einkommen sicherstellt. Frauen und Männer sind gleichberechtigt beim Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen. Jeder Mensch im Alter hat das Recht auf Mittel, die ein würdevolles Leben sicherstellen. 16. Gesundheitsversorgung Jede Person hat das Recht auf rechtzeitige, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung. 17. Inklusion von Menschen mit Behinderungen Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf Einkommensbeihilfen, die ein würdevolles Leben sicherstellen, Dienstleistungen, die ihnen Teilhabe am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, und ein an ihre Bedürfnisse angepasstes Arbeitsumfeld. 18. Langzeitpflege Jede Person hat das Recht auf bezahlbare und hochwertige Langzeitpflegedienste, insbesondere häusliche Pflege und wohnortnahe Dienstleistungen. 19. Wohnraum und Hilfe für Wohnungslose a) Hilfsbedürftigen wird Zugang zu Sozialwohnungen oder Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung von guter Qualität gewährt. b) Sozial schwache Personen haben das Recht auf angemessene Hilfe und Schutz gegen Zwangsräumungen.

c) Wohnungslosen werden angemessene Unterkünfte und Dienste bereitgestellt, um ihre soziale Inklusion zu fördern. 20. Zugang zu essenziellen Dienstleistungen Jede Person hat das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt. Das Europäische Semester im Überblick Das Europäische Semester folgt einem klar festgelegten Fahrplan; diesem Fahrplan entsprechend erhalten die Mitgliedstaaten Empfehlungen von der EU-Ebene ("Leitlinien") und legen dann ihre politische Planung ("nationale Reformprogramme" und "Stabilitätsoder Konvergenzprogramme") vor, die auf EU-Ebene bewertet wird. Im Anschluss an diese Bewertung der Planung werden den Mitgliedstaaten individuelle Empfehlungen (die sogenannten länderspezifischen Empfehlungen) zu ihrer nationalen Haushalts- und Reformpolitik unterbreitet. Von den Mitgliedstaaten wird erwartet, dass sie diese Leitlinien bei ihrer Haushaltsplanung für das kommende Jahr und bei Entscheidungen über Maßnahmen in den Bereichen Wirtschaft, Beschäftigung, Bildung usw. berücksichtigen. Nötigenfalls werden ihnen auch Empfehlungen zur Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte unterbreitet. Vorbereitungsphase: Analyse der Lage und Ergebniskontrolle in Bezug auf das Vorjahr November und Dezember Die Kommission legt einen Jahreswachstumsbericht und einen Warnmechanismus-Bericht für das folgende Jahr vor. Ferner schlägt sie den Entwurf für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets vor. Im Jahreswachstumsbericht werden die politischen Prioritäten der EU für das kommende Jahr aus der Sicht der Kommission dargelegt. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, diesen Prioritäten bei der Festlegung ihrer Wirtschaftspolitik für das kommende Jahr Rechnung zu tragen. Im Warnmechanismus-Bericht werden die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen in einzelnen Mitgliedstaaten der EU analysiert. Gestützt auf den Warnmechanismus-Bericht kann die Kommission beschließen, in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen das Risiko potenzieller makroökonomischer Ungleichgewichte als hoch eingeschätzt wird, eine eingehendere Analyse der Lage durchzuführen.

Diese eingehenden Analysen können dabei helfen, festzustellen, ob potenzielle makroökonomische Ungleichgewichte vorliegen, und bei bestehenden Ungleichgewichten Art und Umfang exakt zu ermitteln. Zudem kann die Kommission den Mitgliedstaaten auf der Grundlage dieser Analysen politische Empfehlungen unterbreiten. Im Entwurf der Empfehlung zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets werden die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, aufgefordert, speziell auf Mitglieder des Euro-Währungsgebiets ausgerichtete Maßnahmen zu ergreifen. Ziel ist eine bessere Integration des Euro-Währungsgebiets und der nationalen Dimensionen der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU. 1. Phase: politische Leitlinien auf EU-Ebene Januar und Februar Der Rat der EU berät über den Jahreswachstumsbericht, formuliert übergreifende politische Leitlinien, nimmt Schlussfolgerungen an. Ferner berät er über den Entwurf für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, nimmt erforderlichenfalls Änderungen vor und billigt die Empfehlung. Das Europäische Semester wirkt sich auf eine Vielzahl von Politikbereichen aus. Der Rat der Europäischen Union führt die Beratungen darüber in seinen verschiedenen Zusammensetzungen. Das Europäische Parlament berät ebenfalls über den Jahreswachstumsbericht und kann einen Initiativbericht dazu vorlegen. Es gibt eine Stellungnahme zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien ab. Das Europäische Parlament ist auch durch den wirtschaftspolitischen Dialog in das Semester einbezogen. Es kann den Präsidenten des Rates, die Kommission und gegebenenfalls auch den Präsidenten des Europäischen Rates oder den Präsidenten der Euro- Gruppe einladen, um Fragen im Zusammenhang mit dem Europäischen Semester zu erörtern. Auch einzelnen Mitgliedstaaten kann Gelegenheit gegeben werden, an einer Aussprache teilzunehmen. März Die Kommission veröffentlicht Länderberichte für alle am Europäischen Semester teilnehmenden Mitgliedstaaten. Die Länderberichte enthalten eingehende Analysen der makroökonomischen Ungleichgewichte derjenigen Mitgliedstaaten, in denen die Gefahr eines Ungleichgewichts als hoch eingeschätzt wurde. Auf der Grundlage dieser Analysen kann die Kommission Empfehlungen an die betroffenen Mitgliedstaaten ausarbeiten, damit sie die festgestellten Ungleichgewichte korrigieren. Die Empfehlungen können zeitgleich mit den eingehenden Analysen oder zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit weiteren länderspezifischen Empfehlungen vorgelegt werden.

Auf der Grundlage des Jahreswachstumsberichts und der Analysen und Schlussfolgerungen des Rates der EU gibt der Europäische Rat politische Leitlinien vor. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, diese Leitlinien sowie die Feststellungen in den Länderberichten bei der Ausarbeitung ihrer nationalen Stabilitäts- oder Konvergenzprogramme und ihrer nationalen Reformprogramme zu berücksichtigen. In den Programmen legen die Mitgliedstaaten ihre haushaltspolitischen Maßnahmen und ihre Maßnahmen zur Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit dar. 2. Phase: länderspezifische Ziele, politische Maßnahmen und Pläne April Die Mitgliedstaaten legen ihre politische Planung vor: ihr jeweiliges Stabilitäts- oder Konvergenzprogramm, in dem sie ihre mittelfristige Haushaltsstrategie erläutern, und ihr jeweiliges nationales Reformprogramm, in dem sie die von ihnen geplanten Strukturreformen, insbesondere zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung, darlegen. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, diese Programme bis zum 15. April, spätestens jedoch bis Ende April vorzulegen. Mai Die Europäische Kommission bewertet die nationale politische Planung und legt die Entwürfe der länderspezifischen Empfehlungen vor. Juni Der Rat der Europäischen Union berät über die vorgeschlagenen länderspezifischen Empfehlungen und verständigt sich auf die Endfassung. Der Europäische Rat billigt dann die endgültigen Empfehlungen. Juli Der Rat der Europäischen Union nimmt die länderspezifischen Empfehlungen an; die Mitgliedstaaten sind zur Umsetzung dieser Empfehlungen aufgefordert. 3. Phase: Umsetzung Juli - Ende des Jahres In der zweiten Jahreshälfte, manchmal auch als "nationales Semester" bezeichnet, berücksichtigen die Mitgliedstaaten die Empfehlungen bei der Festlegung ihrer nationalen Haushalte für das folgende Jahr.

Die Mitgliedstaaten des Euro-Gebiets müssen der Kommission und der Euro-Gruppe ihre Haushaltsplanentwürfe bis Mitte Oktober vorlegen. Am Ende des Jahres verabschieden die Mitgliedstaaten ihre nationalen Haushaltspläne. Beginn des nächsten Zyklus Der Zyklus beginnt erneut gegen Ende des Jahres, wenn die Kommission in ihrem Jahreswachstumsbericht für das kommende Jahr einen Überblick über die Wirtschaftslage gibt. Dabei prüft die Kommission bereits die Fortschritte, die von einzelnen Ländern bei der Umsetzung der Empfehlungen erzielt wurden.