Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Schiedsmann Gedanken zur Entlastung der Gerichte Von Justizoberamtmann a. D. Karl Drischler, Lüneburg 1. Einleitung Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass die ordentlichen Gerichte, insbesondere auch auf den Gebieten des Zivilprozesses, seit langer Zeit hoffnungslos überlastet sind. Kein geringerer als der Staatssekretär im Nieders. Ministerium der Justiz, Rehwinkel, hat dies in neuester Zeit in einem Vortrag, der in der SchsZtg. gedruckt ist', deutlich ausgesprochen. Die Bürger unseres Landes bekommen diese Situation auch deutlich zu spüren aber die Prozesslawine rollt und rollt. Im Gespräch ist eine Ausweitung der Zuständigkeit der Amtsgerichte, wodurch ein Teil der jetzt in 1. Instanz vor das Landgericht gehörenden Rechtsstreitigkeiten auf die Amtsgerichte verlagert werden würden. Dieser Weg führt aber nur zu einer Verlagerung von Prozessen von einem Gericht auf ein anderes, nicht aber zu einem Rückgang der anhängigen Sachen überhaupt. Die Justizverwaltungen des Bundes und auch der Länder sehen diese Entwicklung nicht ohne Sorge. Eine durchaus denkbare Verlagerung weiterer richterlichen Geschäfte auf die Rechtspfleger bedeutet m. E. aber keine Gesamtentlastung der Gerichte. Man muss schon auf Institutionen außerhalb der Gerichte zurückgreifen. Zu denken ist dabei an die Schiedsmänner, denen durchaus eine Anzahl bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten zur Vornahme eines Sühneversuchs mit dem Ziel einer vergleichsweisen Erledigung der Sache übertragen werden könnte. Die Zahl der bei den Gerichten tätigen Richter und Rechtspfleger lässt sich schon aus reinen finanziellen Gründen nicht vermehren. Eine sich als notwendig herausstellende Vermehrung der Zahl der ehrenamtlich tätigen Sehr. kostet dagegen die öffentliche Hand keinen Pfennig. Der Schm., der keine Lobby hat, ist zwar immer noch das unbekannte Wesen2, und Rehwinkel spricht a.a.o. von der durch die Vergrößerung der SchsBezirke ganz offenbar bedingten weiteren Anonymität dieser schon seit über 150 Jahren zunächst nur für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten geschaffenen und auch heute noch für solche Sachen zuständigen Institution. Das Land Nordrhein-Westfalens hat sich ernsthaft Gedanken gemacht, wie sich die Tätigkeit der Schr. auf dem Gebiete der bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten erfolgreicher gestalten lässt. Es ist also offenbar auch die weitere Heranziehung der Schr. zum Wohle der Gesamtheit unserer Bürger im Ge- Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/6
spräch. Mir seien deshalb einige Gedanken in dieser Richtung gestattet. II. Der Schiedsmann in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Es soll hier keine Darstellung der Entwicklung des SchsWesens geben werden. Insoweit kann auf die Darstellungen von Beyerl4, Müller-Eversbusch 5 und Falke6 und das in den einzelnen Aufsätzen zitierte Schrifttum verwiesen werden. Dennoch soll zum Verständnis auf einige Tatsachen hingewiesen zu werden. Das Schslnstitut kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Seine Wiege stand in den damaligen preußischen Provinzen, später Ost- und Westpreußen genannt, in denen zunächst versuchsweise durch eine VO von zwei Ministern vom 7. September 1827 das Institut des Schs. eingeführt wurde. Als es sich bewährte, wurde es nach und nach, mit der territorialen Vergrößerung des Landes Preußen, auch in den neu erworbenen Gebietsteilen eingeführt. Es bedarf des ausdrücklichen Hinweises, dass die Schr. bei Schaffung dieser Einrichtung ausschließlich für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zuständig wurden. Ihre Zuständigkeit als obligatorische Vergleichsbehörde in Strafsachen wurde erst viel später, nämlich durch das Strafgesetzbuch für die Preuß. Staaten von 1851 begründet'. Das Amt des Schs. wurde 1827 auch nicht von heute auf morgen geschaffen, vielmehr waren der Einführung langwierige Überlegungen vorausgegangen. Falke (a.a.o.) stellt diese Entwicklung ausführlich dar. Dabei ist interessant festzustellen, dass schon damals Gedanken erörtert wurden, die heute noch das SchsWesen beherrschen. Man lehnte schon damals eine Art»Friedensrichter«ab. Ich darf aus den Beitrag von Falke folgendes zitieren: Die Qualifikation der Schiedsmänner betreffend, so setzt solche voraus: erstens Unbescholtenheit und ein erreichtes Alter von 24 Jahren; zweitens Selbständigkeit in seinen Verhältnissen; drittens den Wohnort im Bezirk, jedoch ohne dass Ansässigkeit Bedingung ist; viertens Bekanntschaft mit den Geschäften des bürgerlichen Lebens, ohne notwendigen Besitz juristischer Kenntnisse; fünftens die Fähigkeit, einen zustande gekommenen Vergleich deutlich zu Papier zu bringen. Weiter wird ausgeführt: Der Beruf des Schs. besteht darin, Parteien, welche sich freiwillig zur Schlichtung ihrer streitigen Rechte an ihn wenden, anzuhören, ihre gegenseitigen Nachweise nachzusehen und sich zu bemühen, die Parteien über den Grund oder Ungrund ihrer Forderungen und Einwendungen zu belehren, und eine Vereinigung zwischen ihnen zu stiften, solche, wenn sie zustande kommt, schriftlich abzufassen, wenn sie aber nicht gelingt, den Parteien die Ausführung ihrer Rechte vor dem Richter zu überlassen." Der von Falke (a.a.o.) ebenfalls stichwortartig wiedergebende Inhalt der VO vom 27. September 1827 enthält Bestimmungen, die über die PreußSchO von 1879 bzw. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/6
1924 in die jetzt geltenden Gesetze der einzelnen Länder, in denen Schr. amtieren8, Eingang gefunden haben. Genannt sei nur die Befugnis des Schs., die Amtsausübung in Angelegenheiten, die ihm zu weitläufig und schwierig erscheinen, abzulehnen (jetzt 17 Abs. 1 Nr.2 SchO/Ges)9. An das Primat der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei der Tätigkeit der Schr. erinnert noch heute der Aufbau sämtlicher SchO/Ges. Überall werden die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten an erster Stelle und erst danach die Strafsachen behandelt, wenngleich letztere immer mehr in den Vordergrund getreten sind. Auch der Status der Schr. hat sich in der über 150-jährigen Geschichte dieser Einrichtung nicht grundlegend geändert. Das ergibt sich z. B. aus der Amtlichen Begründung der Nieders.SchO von 1972 zu 5 6 (inhaltlich übereinstimmend mit den entsprechenden Amtl. Begründungen der übrigen Länder). Sie lautet: Der Schiedsmann übernimmt nach wie vor nebenberuflich, ohne Beamter zu werden1o, einen Kreis von Verwaltungsaufgaben, deren Wahrnehmung zugleich im Interesse der Justiz und der Gemeinden liegt, denn die Gerichte werden von Bagatellsachen entlastet, und dem Frieden in der Gemeinde kann die vom Schiedsmann anzustrebende schnelle, gütliche Erledigung der zumeist nachbarschaftlichen Streitigkeiten oft nachhaltiger dienen als eine förmliche gerichtliche Entscheidung. dass der Schm. nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (z.b. 10a Nds.SchO) auch noch nach dem Ausscheiden aus dem Amt zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet ist und zur Aussage als Zeuge über Dinge, die er in Ausübung seines SchmAmts erfahren hat, der Aussagegenehmigung des Aufsichtsrichters bedarf, rundet das Bild vom Schm. ab. Nicht außer acht gelassen werden sollte auch, dass der Schm. der zwar von den Wahlkörperschaften der Gemeinden und Kreise gewählt wird der Bestätigung und Vereidigung durch die Justizverwaltung bedarf und ein Organ der Rechtspflege ist. Schon alle diese Gesichtspunkte sprechen m. E. dafür zu prüfen, ob nicht Schiedsmänner auch die Zivilgerichte entlasten könnten. III. Anregungen zur Heranziehung von Schiedsmännern zur Entlastung der Gerichte auf dem Gebiet der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Schon nach dem jetzt geltenden Recht besteht die Möglichkeit, bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten vor den Schm. zu bringen. Seine Zuständigkeit beschränkt sich zwar auf vermögensrechtliche Angelegenheiten, ist aber hinsichtlich des Streitwertes nach oben nicht begrenzt. Das Verfahren vor dem Schm. ist wie schon bei der Einführung im Jahre 1827 freiwillig. Anders als in Strafsachen, für die 5 380 StPO den Sühneversuch vor einer von der Landesjustizverwaltung zu bestimmenden Vergleichsbehörde zwingend vorschreibt, ist niemand verpflichtet, sich auf eine Sühneverhandlung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einzulassen. Darin liegt m. E. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/6
der Grund für die überaus geringe Inanspruchnahme der Schr. auf diesem Rechtsgebiet. Zu erwähnen ist jedoch, dass bürgerlichrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit Sühneverfahren in Strafsachen den Schm. ständig beschäftigen, z.b. Sachbeschädigung oder Körperverletzung in Verbindung mit Schadensersatzoder Schmerzensgeldansprüchen. In solchen Fällen die VV zu den SchsGesetzen sprechen von gemischten Sachen besteht auch wegen des bürgerlichrechtlichen Anspruchs Erscheinenszwang vor dem Schm. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Erscheinenspflicht unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der fakultativen Sühneverfahren in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten nicht für einen Teil von Sachen bestimmt werden kann. Nur ein obligatorischer Sühneversuch für einen Teil solcher Sachen führt zu einer spürbaren Entlastung der Gerichte. Es muss von den Beteiligten erwartet werden, dass sie sich im Interesse der Sache einem solchen Sühneversuch unterwerfen. Staatssekretär Rehwinkel ist in den Schlussfolgerungen seines Vortrages (a. a. 0.) voll zuzustimmen, auch insoweit, als er die Meinung vertritt, man solle von der Erstellung eines Katalogs derjenigen Sachen, die dem Schm. zum Sühneversuch zuzuführen sind, absehen. Ich meine aber, ohne einen obligatorischen Sühneversuch bleibt der Erfolg aus. Als geeignetes Arbeitsfeld für den Schm. erscheinen mir die Mahnsachen nach erfolgtem Widerspruch gegen den Mahnbescheid geeignet. Das Mahnverfahren ist nur zulässig wegen eines Anspruchs, der die Zahlung einer bestimmten Geldsumme in inländischer Währung zum Gegenstand hat (5 688 ZPO), also wegen eines Anspruches, zu dessen vergleichsweiser Regelung auch der Schm. zuständig ist (g 12 SchO/Ges). Der Antragsgegner kann gegen den vom Amtsgericht" erlassenen Mahnbescheid in voller Höhe oder wegen eines Teilbetrages Widerspruch erheben (g 694 ZPO). Aufgrund des Widerspruchs Hinweise auf die einzelnen Förmlichkeiten erscheinen im Rahmen dieser Abhandlung entbehrlich kommt es dann zum Streitverfahren vor dem Richter (g 697 ZPO). Es sollte m. E. überlegt werden, ob hier ein Satz in die ZPO eingefügt werden solle etwa folgenden Inhalts: Handelt es sich um einen Anspruch, der 300, DM nicht übersteigt, wird ein Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht erst anberaumt, wenn zuvor vor einer von der Landesjustizverwaltung zu bestimmenden Vergleichsbehörde ein Versuch zum gütlichen Ausgleich zwischen den Parteien stattgefunden hat. Die Wertgrenze von 300, DM ist eine Annahme, da dem Verfasser statistische Unterlagen nicht zur Verfügung stehen. Es erscheint auch eine Wertgrenze von 500, DM durchaus vertretbar. Bei meinen Überlegungen gehe ich davon aus, dass ein hoher Anteil der amtsgerichtlichen Zivilprozesse sich aus vorausgegangenen Mahnverfahren herleitet. Gelingt es dem Schm. auch nur etwa 1/3 der in der angedeuteten Wertgrenze liegenden Sachen durch einen Vergleich zu beenden, müsste sich eine spürbare Entlastung der Amtsgerichte ergeben. Man könnte auch daran denken, den Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/6
vorgeschlagenen Zusatz zur ZPO dahin zu erweitern, dass der Richter in geeigneten Fällen einen solchen gütlichen Ausgleich auch bei Geldansprüchen anordnen kann, die die genannte Wertgrenze übersteigen. Man wird vermuten dürfen, dass es in vielen Fällen einer zeitraubenden Erörterung bedarf, bevor ein Vergleich möglich ist. Die Parteien wollen sich einfach gründlich aussprechen. Dazu ist in einer Zivilprozeßsitzung des Amtsgerichts aber keine Zeit. Der Schm. bringt aber die Geduld auf, denn für ihn ist die vergleichsweise Erledigung einer Sache der Höhepunkt des Sühneverfahrens. Man sollte den Versuch wagen. 1827 wurde die Schiedsmannsinstitution versuchsweise eingeführt. Sie hat sich so bewährt, dass sie mehr als 11/2 Jahrhunderte überdauert hat und sicher weiter leben wird 12. Wenn der Bundesgesetzgeber die ZPO in dem angedeuteten Sinne ergänzt, bleibt den Landesjustizverwaltungen soweit in ihrem Bereich Schr. amtieren nur die Anordnung, dass sich das Verfahren und die Kosten nach den in den einzelnen Ländern geltenden SchO/Ges. richten, jedoch mit der Maßgabe, dass die Parteien verpflichtet sind, in dem vom Schm. bestimmten Termin zu erscheinen. Kommt es zu einem Vergleich, so sind in diesem die Kosten einschließlich der des vorausgegangenen Mahnverfahrens zu regeln. Bleibt der Versuch der gütlichen Einigung erfolglos, so sind die Kosten des Sühneverfahrens außergerichtliche Kosten des Antragstellers. Ihre Zahlungspflicht richtet sich dann nach der gerichtlichen Entscheidung. Im Verhältnis zum Schm. gelten die Bestimmungen des 46 SchO/Ges. IV. Schlußbetrachtung Ich habe mir lange überlegt, ob ich diese Anregung zur Diskussion stellen sollte. Wenn ich das hiermit tue, dann nur, weil die immer wachsende Prozesslawine gebieterisch eine Entlastung der Gerichte erfordert und m. E. dazu Institutionen außerhalb der Gerichte herangezogen werden müssen, wenn man nicht nur die Fülle der Arbeit hin und her schieben will ohne sie auf Schultern außerhalb der Gerichte zu legen. Der Schuldner wird dem zuständigen Richter nicht entzogen; kommt es nicht zu einer gütlichen, außer-gerichtlichen Einigung, bleibt nur der Richterspruch. Die Rücksicht auf die Bürger unseres Landes und die Sicherung des Rechtsstaats erfordern dringend Abhilfe in irgendeiner Form. Mir scheint der angeregte Weg gangbar. 1 SchsZtg. 1982, S.65. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/6
2 Dazu Drischler in SchsZtg. 1978, S.2. 3 Vgl. den in neuester Zeit erstellten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der SchO NW. 4 Ehrenamtliche Mitwirkung in der Rechtspflege ein Beitrag zur Demokratisierung der Justiz in SchsZtg. 1971, S. 117. 5 Die Entwicklung des Schiedsmannsinstituts bis zur SchO NW in SchsZtg. 1971, S. 147. 6 Das Schiedsmannsinstitut historische und rechtssoziologische Aspekte, in SchsZtg. 1977, S. 74 (Sonderheft: 150 Jahre Schiedsmannsinstitut"). 7 Drischler, 125 Jahre Sühneversuch vor dem Schiedsmann in Strafsachen in SchsZtg. 1976, S.53. 8 Keine Schr. sind tätig in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Bremen; in allen anderen Bundesländern besteht die Einrichtung der Schr. 9 Für das Sühneverfahren in Strafsachen ist diese Möglichkeit in 35 SchO/Ges. ausdrücklich ausgeschlossen, da es sich um obligatorische Verfahren handelt. 10 Eine Ausnahme besteht im Lande Rheinland-Pfalz, wo der Schm. Ehrenbeamter des Landes ist. Auch die durch die Nds SchO aufgehobene Braunschweigsche SchO räumte dem Schm. den Status eines Ehrenbeamten ein. In letzter Zeit ist diese Frage erneut ins Gespräch gekommen, vgl. z.b. Schulte in SchsZtg. 1980, S. 49. 11 Zuständig für den Erlass des Mahnbescheides ist der Rechtspfleger. 12 So Rehwinkel a. a. 0. a. E. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 6/6