D DGAA GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE Deutschland BADEN-WÜRTTEMBERG Regionen und Orte Schwetzingen 1933-1945 Verfolgung und Widerstand AUFSATZSAMMLUNG 16-1 Verfolgte, Widerständige, Ausgebeutete : über die Nazizeit in der Region Schwetzingen-Hockenheim / Frank-Uwe Betz. - Ubstadt-Weiher [u.a.] : Verlag Regionalkultur, 2015. - 175 S. : zahlr. Ill. ; 24 cm. - ISBN 978-3-89735-924-6 : EUR 13.90 [#4568] Im Jahr 1992 konstituierte sich der Arbeitskreis Freundliches Schwetzingen (AFS) zunächst als Bürgerinitiative, drei Jahre später als eingetragener Verein. In seinen Veranstaltungen setzt sich der Arbeitskreis mit der regionalen Zeitgeschichte auseinander, vor allem mit der Geschichte von Verfolgung, Unterdrückung und Widerstand während der NS-Zeit. Bis zum heutigen Tag konnten über 70 Veranstaltungen durchgeführt werden, bspw. eine Lesung von Michael Degen aus seiner Autobiographie Nicht alle waren Mörder, in der der bekannte Schauspieler über seine Erfahrungen als Kind im Berlin der NS-Zeit berichtete. Daneben standen auch Vorträge mit Historikern, die sich mit der Geschichte der NS-Zeit und dem Widerstand und der Verfolgung in der Kurzpfalz auseinandersetzten. Schließlich ist es das Anliegen des Arbeitskreises, auch Opfer der NS-Zeit noch zu Wort kommen zu lassen. In diesem Sinne kann Frank-Uwe Betz auf Gespräche, nicht nur mit jüdischen Opfern, sondern auch Vertretern anderer Verfolgter des NS-Regimes verweisen, gerade auch mit solchen Opfergruppen, die auch nach 1945 lange an den Rand der Gesellschaft gedrängt waren und denen es erst sehr spät gelungen ist, ihre Ansprüche auf Entschädigung erfolgreich zu artikulieren. Dies gilt bspw. für Sinti und Roma oder auch für Wehrmachtsdeserteure. Neben den Vortragsveranstaltungen und Gesprächen konnte der Arbeitskreis Freundliches Schwetzingen schon eine Reihe kleinerer Broschüren vorlegen. Zudem hat sich Franz-Uwe Betz als einer der Aktivposten des Arbeitskreises immer wieder in Artikeln in der Schwetzinger Zeitung mit der Geschichte von Verfolgung und Widerstand in Schwetzingen und Umge-
bung befaßt. Die vorliegende Publikation stellt nun eine Zusammenstellung dieser Artikel dar und möchte an Hand der Lebensläufe und des Wirkens von NS-Opfern und Gegnern Formen nationalsozialistischer Unterdrükkung, Aussonderung und Verfolgung konkret und exemplarisch deutlich machen (S. 5). In den Erfahrungen, im Leiden der Opfer bildet sich die Verfolgung ab, sie schlug sich in ihren Lebensläufen nieder. Die mangelnde Versorgung, die fehlende Familie, abrupt aus dem sozialen und kulturellen Umfeld gegriffen, die fehlende Ausbildung, nicht mehr nachzuholende Zeit (ebd.). Daneben geht der Blick jedoch auch auf viele kleine, unbekannte Leute, die in der NS-Zeit den Mut hatten, nein zu sagen, zu widerstehen und sich im begrenzten Rahmen, aber eben doch mit all ihren Möglichkeiten dem Regime entgegenzustellen, mit häufig ebenfalls schwerwiegenden Konsequenzen. Der Band selbst ist in 10 Kapitel gegliedert. Zunächst richtet Betz den Fokus auf die Verfolgung der Juden (I), woran sich die Würdigung von Regimegegnern, überwiegend aus dem sozialdemokratischen und kommunistischen Lager anschließt (II). Doch auch andere Menschen hatten den Mut zu widerstehen (III), so bspw. katholische Priester aber auch Zeugen Jehovas wie das Ehepaar Heinrich und Eva Ballreich. Ihnen wurde bereits zum Verhängnis, daß sie nicht wie vom Regime verlangt an den Reichstagswahlen teilnahmen, so bereits der Verkauf von Bibeln in den Jahren des Dritten Reiches zum Strafdelikt wurde. Ebenfalls in einem eigenen Kapitel wird die Ermordung sogenannter Gemeinschaftsfremder behandelt Menschen, die sich nicht in das von den Nationalsozialisten propagierte angebliche Ideal der Volksgemeinschaft einreihen wollten (IV) und deshalb als Asoziale oder Gewohnheitsverbrecher angesehen wurden. Kapitel V wendet sich schließlich der Arisierung, d.h. der schrittweisen Entrechtung der jüdischen Bürger bzw. deren Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben zu. Beides erreichte seinen abscheulichen Höhepunkt mit der Reichspogromnacht vom November 1938 und der Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden ins Lager Gurs im Oktober 1940 (Kapitel. VI). 1 Das Kapitel VII wendet sich schließlich der Zwangsarbeit in Schwetzingen zu. Sowohl Kriegsgefangene aus Frankreich wie auch aus der Sowjetunion wurden im Reich dringend benötigt, um angesichts der Vielzahl einberufener Männer überhaupt den Wirtschaftsbetrieb aufrechterhalten zu können. Auch in Schwetzingen waren Zwangsarbeiter untergebracht als fast schon beschämend muß man die Haltung der Stadtverwaltung bis tief in die 1990er Jahre bezeichnen. Hier wurden Akten versteckt, bewußt zurückgehalten, denn nein, Zwangsarbeit habe es in Schwetzingen nicht gegeben. 1 Vgl. Geschichte und Erinnerungskultur : 22. Oktober 1940 - die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden in das Lager Gurs / hrsg. vom Stadtarchiv Karlsruhe im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft zur Unterhaltung und Pflege des Deportiertenfriedhofs in Gurs durch Ernst Otto Bräunche und Volker Steck. - Karlsruhe : Info-Verlag, 2010. - 240 S. : Ill. ; 21 cm. - (Lindemanns Bibliothek ; 116). - ISBN 978-3-88190-606-7 : EUR 16.80 [#1600]. - Rez.: IFB 11-1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz333241835rez-1.pdf
Sowohl in bereits vorangegangenen Publikationen wie auch an dieser Stelle konnte Frank-Uwe Betz belegen, dass etwa im Jahr 1944 in Schwetzingen bei rund 11.000 Einwohnern 2500 Zwangsarbeiter beschäftigt und in mindestens 17 Lagern in und bei Schwetzingen (einige davon in Plankstadt) und in Privatunterkünften untergebracht waren 2 (S. 109). Es ist nun das Verdienst von Betz den Lebensalltag der Zwangsarbeiter in der Region Schwetzingen und ihr Leiden vorzustellen. In diesem Zusammenhang geht er auch auf das Schicksal von Frauen ein, die ein Verhältnis mit einem Zwangsarbeiter begannen und sich aufgrund dessen in der NS-Gesellschaft vielfältigen Ächtungen und Demütigungen ausgesetzt sahen. Kapitel VIII fragt danach wie die Naziherrschaft Raum und Kultur zurichten wollte (S. 128), oder anders gefragt, welche angeblichen Ideale durch den NS-Staat propagiert wurden. Die beiden Abschlußkapitel behandeln die Nachkriegszeit, das Verhalten von Menschen in den letzten Kriegstagen, die Frage des Neubeginns nach 1945 und schließlich Formen des Gedenkens, wie sie u.a. eben durch das Engagement des Arbeitskreises Freundliches Schwetzingen getragen werden. Dieser kurze und schlagwortartige Durchgang durch die Publikation von Frank-Uwe Betz bliebe allzu schematisch, wenn man nicht auch im Rahmen einer Rezension, zumindest kurz, das eine oder andere Einzelschicksal anreißen würde, um das Leiden der Opfer, aber auch den Mut der Gegner des Nationalsozialismus zu würdigen. Pfarrer Franz Sattelmann (vgl. S. 58-61) aus Plankstadt hatte den Mut der zunehmenden Vereinnahmung gerade der Jugend durch die Nationalsozialisten entgegenzutreten. So protestierte er im Zusammenhang mit einer Schulfeierlichkeit am 1. Mai 1934 gegen die Maßregelung katholischer Jugendlicher durch einen nationalsozialistisch eingestellten Lehrer: Dieser hatte Jugendliche, die in der Uniform der katholischen Jugendverbände erschienen waren, nach Hause geschickt, verbunden mit der Anweisung das Braunhemd der HJ anzuziehen. Sattelmann hatte dem entgegengehalten, daß es sich bei dieser Anweisung um eine Verletzung des Konkordats handelte, woraufhin der Lehrer erneut konterte: Dass bei uns erst der Staat und dann die Kirche komme. Dies wiederum wollte Sattelmann nicht auf sich sitzen lassen und blieb dem Lehrer seinerseits die Antwort nicht schuldig, der Kulturkampf muss kommen und die katholische Kirche wird ihn führen bis aufs Messer und wenn Blut fließt dabei. Die katholische Kirche werde den Sieg auch heute davontragen und bestehen, ob aber der heutige Staat weiter besteht, das entscheiden die kommenden Jahren (Zitate S. 58). Diese Bemerkung brachte Sattelmann bereits eine erste Verwarnung ein. In den folgenden Jahren steigerten sich die Auseinandersetzungen, so als sich der Pfarrer im Juli 1935 weigerte, trotz Aufforderung und Drohungen seitens der HJ, einen Zeitungskasten katholischer Jugendorganisationen zu entfer- 2 Das Zitat in Anlehnung an Widerstand und Verfolgung zur NS-Zeit im Raum Schwetzingen / Frank-Uwe Betz. - In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins. - 155 (2007), S. 467-504, hier S. 496.
nen und schließlich im August 1935 im Rahmen eines Gottesdienstes nochmals Kritik am NS-Regime übte. Nunmehr wurde ihm u. a. die Äußerung vorgeworfen, solange eine Konfession mit Füßen getreten wird, wird es nie Friede und Einigkeit geben. Schließlich gehe es um alles, um die Religion (S. 59). In der Folgezeit sah sich der Pfarrer einer Vielzahl von Denunziationen ausgesetzt, die öffentliche Anfeindung erfolgte nun sogar im Führer, dem Hauptorgan der badischen Nationalsozialisten. Es folgte die Schutzhaft im Konzentrationslager Kisslau, an deren Folgen Sattelmann erheblich litt. Immerhin besuchte ihn Erzbischof Conrad Gröber zweimal, genauso wie sich Männer aus seiner Gemeinde solidarisch zeigten. Ja letztlich erhielt er Ovationen bei seiner Rückkehr in die Gemeinde. Hatte das erzbischöfliche Ordinariat gehofft, Sattelmann werde sich nach Verbüßen der Schutzhaft keinen weiteren Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt sehen, so erfolgte durchaus überraschend jetzt noch eine Anklageerhebung vor dem Sondergericht Mannheim. Auf der Grundlage des so genannten Heimtückegesetzes und schließlich wegen angeblichen Mißbrauchs der Kanzel sollte er nochmals eine neunmonatige Haftstrafe (abzüglich der Schutzhaft) verbüßen müssen. Bei seiner Entlassung mußte er letztlich darauf verzichten, in seine Pfarrei in Plankstadt zurückzukehren. In den folgenden Jahren war er als Pfarrer in Bietingen und schließlich in Waghäusel-Kirrlach tätig. Im Zentrum der Verfolgung Sattelmanns stand er in seiner Funktion als Prediger, in der Verkündigung, der direkten Einwirkung auf Öffentlichkeit. Sattelmann wollte Einschränkungen der kirchlichen durch die staatliche Macht (auch hinsichtlich des Einflusses auf die Jugend) nicht hinnehmen, der sich die kirchliche im Allgemeinen nahtlos einordnete (S. 61). Marie Schäfer wurde ebenfalls zum Opfer des Sondergerichts Mannheim (S. 138-141) sie gehörte zu den wenigen Menschen, die den Mut hatten, ihre Meinung über Hitler, das Dritte Reich und dessen sogenannte Erfolge offen zu äußern und dabei Nachstellungen bzw. Denunziationen zum Opfer fiel oder etwas anders ausgedrückt: An ihrem Beispiel wird deutlich, wie sehr NS-Behörden durch Zuträger aus Reihen der Bevölkerung stets gut unterrichtet waren. Konkret wurde Marie Schäfer, die in Schwetzingen Zimmer vermietete, im Herbst 1942 das erste Mal denunziert, in diesem Fall von drei Elsässern. U.a. wurde ihr die Äußerung vorgeworfen: Das Essen ist zu wenig, man muss ja verhungern alles, was in der Zeitung steht, ist Schwindel, man soll es doch nicht glauben (S. 138-139). Ihre Verurteilung zu einem Jahr und sechs Monaten Haft erfolgte auf der Grundlage des Heimtückegesetzes vom 20. Dezember 1934. Verbüßt werden mußte die Strafe im Gefängnis Gottesaue in Schwäbisch Gmünd. Schon kurz nach ihrer Entlassung sah sich Marie Schäfer erneut Nachstellungen ausgesetzt. In der Zwischenzeit hatte sie eine Frau aus Mannheim aufgenommen, deren Heim ausgebombt worden war. Nunmehr war es diese, die Marie Schäfer bei den Behörden anschwärzte und sogar noch davon sprach, sie erfülle lediglich ihre staatsbürgerliche Pflicht, indem sie das im-
mer wiederholte ketzerische Auftreten der Angeklagten, das sie tief empört habe, bekannt gebe (zit. S. 140). Marie Schäfer hatte die Regierung ein Lumpenpack bezeichnet, weshalb sie wegen öffentlicher Wehrkraftzersetzung, gestützt auf die Aussage einer einzigen Zeugin, zum Tode verurteilt wurde. Die Hinrichtung erfolgte am 25. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee. Georg Jahn, Emil Limbeck, Karl Münch, Karl Kempter und Ludwig Schröder waren, neben anderen, Mitglieder einer sozialdemokratischen Widerstandsgruppe während des Dritten Reiches (vgl. S. 33-37). Bereits während der 1920er Jahre hatten sie sich aktiv in der SPD engagiert und auch bei den Märzwahlen 1933 ihre Überzeugung wer Hitler wählt, wählt den Krieg, so Karl Kemter (S. 36), noch offen zum Ausdruck gebracht. Dies hatte freilich in den folgenden Wochen schlimme berufliche Konsequenzen. So wurde ihnen gekündigt, weil sie politisch unzuverlässig seien, dies galt bspw. für Karl Münch, der als Betriebsrat beim Reichsbahn- Ausbesserungswerk in Schwetzingen tätig gewesen war. Sein Schicksal teilten 17 weitere Kollegen. In den folgenden Jahren waren sie Teil eines sozialdemokratischen Kommunikationsnetzes, das von Mannheim organisiert wurde. Durch die Tätigkeit von knapp 200 Aktivisten erfolgte der Bezug der Zeitschrift Sozialistische Aktion, die vom Exilvorstand der SPD in Prag herausgegeben wurde. Getarnt wurde der Bezug der Zeitschrift offiziell als Seifenpulverhandel. Jedoch flog das sozialdemokratische Widerstandsnetz 1936 auf. Ausschlaggebend war hierfür der Verkehrsunfall eines Kuriers. Daraufhin wurden gegen sämtliche Mitglieder der Widerstandsgruppe Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat eingeleitet. Der Bezug der Sozialistischen Aktion wurde dabei gleichgesetzt mit dem Aufbau einer illegalen SPD, was entsprechend schwere Strafen nach sich zog. Betz geht danach auf das weitere Schicksal der Mitglieder der Widerstandsgruppe ein, die wie bspw. Georg Jahn auch über Jahrzehnte an den Folgeschäden der Haft litten. Jedoch bekamen sie dafür nur sehr bedingt Entschädigungszahlungen bzw. die Uniklinik Heidelberg war nicht bereit, diese Folgeschäden anzuerkennen. Frank-Uwe Betz legt eine mahnende Studie zu Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich in Schwetzingen vor. An erschütternden Beispielen wird gezeigt, wie der Alltag im Dritten Reich durch Denunziationen und Nachstellungen geprägt war und wie auf diese Weise der Herrschaftsapparat funktionierte. Menschen wie Pfarrer Sattelmann, Marie Schäfer oder auch die Mitglieder der sozialdemokratischen Widerstandsgruppe verdienen höchsten Respekt, daß sie gewagt haben ihre Meinung zu sagen und dafür ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert haben. Michael Kitzing QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft
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