Magazin zur Bosch-Geschichte



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Transkript:

Herausgeber: Robert Bosch GmbH Historische Kommunikation (C/CCH) Postfach 30 02 20 70442 Stuttgart Magazin zur Bosch-Geschichte 2012 Telefon +49 711 811-44156 Telefax +49 711 811-44504 Leitung: Dr. Kathrin Fastnacht Im Internet: geschichte.bosch.com Weitere Exemplare dieser Broschüre können per E-Mail angefordert werden: bosch@infoscan-sinsheim.de März 2012 Zeitläufe 3 Andere Eisen ins Feuer Geschichte der Diversifizierung von Bosch Zeitzeugen 3 Ist doch Ehrensache Bosch-Mitarbeiter engagieren sich Zeitpunkte 3... eine schicksalsreiche Begegnung Bosch fertigt erste Magnetzündung

2 Magazin zur Bosch-Geschichte Inhalt 3 Vorwort Inhalt Die Bosch-Gruppe heute das ist ein weltweit vernetztes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen, dessen vielseitige Kompetenzen sich immer wieder ergänzen. Wie sich diese breite Aufstellung entwickelte, ist unser Schwerpunkt im vorliegenden Magazin zur Bosch-Geschichte. In der ersten Phase der Diversifizierung in den 1920er und 1930er Jahren integrierte Bosch neue Geschäftsfelder, die noch heute prägend sind, beispielsweise Elektrowerkzeuge, Hausgeräte und Thermotechnik. Später kam unter anderem die Automationstechnik, vor wenigen Jahren auch die Solarenergie dazu. Dabei ging es immer um eine fokussierte Diversifizierung eine Erweiterung um Geschäftsfelder, die zu den Kernkompetenzen von Bosch passten. In der Rubik Zeitläufe zeigen wir die Hintergründe und die Meilensteine dieser Strategie. Beispielhaft für die fokussierte Diversifizierung stehen die Geschäftsbereiche Packaging Technology und Security Systems. Als Zeitzeugin berichtet Marianne Waas-Frey, wie und warum sie und ihre Kollegen Anfang der 1990er Jahre gemeinsam den Verein Primavera Hilfe für Kinder in Not ins Leben gerufen haben. Ob in Brasilien oder Indien, die Projekte von Primavera werden ausschließlich von Boschlern vor Ort betreut. Dass die Mitarbeiter sich leidenschaftlich auch für andere gemeinnützige Projekte einsetzen ist das Zeitläufe 4 Andere Eisen ins Feuer Geschichte der Diversifizierung von Bosch 10 Ein Mosaik aus vielen Steinen Bosch Security Systems im Rückblick 14 Schachteln, Beutel, Flaschen Geschichte der Bosch Packaging Technology Zeitzeugen 18 Ist doch Ehrensache Bosch-Mitarbeiter engagieren sich 22 Helfen, nicht wegschauen Interview mit Marianne Waas-Frey Zeitpunkte 24... eine schicksalsreiche Begegnung Bosch fertigt erste Magnetzündung 28 100 Jahre Produktion in den USA Zündkerzen aus Springfield 32 100 Jahre Boschhof Vom Torf zur Milch Thema des Artikels Ist doch Ehrensache. In den Zeitpunkten können wir erstmals auf ein 125-jähriges 34 75 Jahre Gesellschaft mit beschränkter Haftung Garant für Stabilität und Erfolg Produktjubiläum blicken. 1887 baute Robert Bosch seinen ersten Magnetzündapparat. 25 Jahre später wurde dieses Erzeugnis erstmals in einer neuen Fabrik in den USA produziert. Schließlich 36 Vor 50 Jahren Der Eis-Fix erobert Herzen und Haushalte zeigen wir, warum unser Unternehmen vor 75 Jahren eine GmbH geworden ist. 38 Ein Bild und seine Geschichte Titelfoto: Die Fabrik der US-amerikanischen Tochtergesellschaft Bosch Magneto Company in Springfield/ Massachusetts um 1912 Dr. Kathrin Fastnacht

4 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 5 Zeitläufe Aktuelle Themen haben immer auch eine Geschichte. Ihre Wurzeln reichen oft bis tief in die Vergangenheit zurück. In Zeitläufe zeichnen wir die Entwicklung von Produkten und Geschäftsbereichen nach und nutzen dabei die Gelegenheiten, unabhängig von Jubiläen spannende Verläufe und Wege zu zeigen. Eine Kamera der Fernseh AG verfolgt vom Dach eines Busses das Geschehen, 1932. Andere Eisen ins Feuer Geschichte der Diversifizierung von Bosch Ich habe eine Eintagsfliege. Eines Tages kommt eine Erfindung, die den Zündapparat überflüssig macht. Und wie beschäftige ich dann meine Leute? Robert Boschs Tochter Margarete erinnerte sich im Rückblick an diesen Ausspruch ihres Vaters aus dem Jahr 1905. Die Angst vor Eintagsfliegen beschäftigte Robert Bosch Zeit seines Lebens. Was wäre, wenn eine technische Neuerung seinen Magnetzünder überflüssig machte? Also begannen die Ingenieure im Unternehmen weitere Produkte zu entwickeln. Nachdem sich Robert Bosch anfangs ausschließlich im Automobilgeschäft diversifiziert hatte, stieg er später auch in andere Branchen ein. Sein Ziel war es, den Anteil, den die Kraftfahrzeugtechnik am Umsatz ausmachte, zu verkleinern. Zu stark schien vor allem in Krisenzeiten diese Abhängigkeit. Dies brachte Robert Bosch 1927 folgendermaßen auf den Punkt: Wir selber suchen möglichst von den Automobilsachen wegzukommen oder, genauer gesagt, noch andere Eisen ins Feuer zu kriegen. 10 000 Vorschläge für neue Geschäftsfelder Bis weit in die 1920er Jahre hinein hatte Bosch fast nur Komponenten fürs Auto auf den Markt gebracht sieht man einmal vom Radlicht ab. Dabei war die Diversifizierung innerhalb der Kraftfahrzeugtechnik auch eine Antwort auf die Herausforderungen der Nachkriegszeit gewesen. Die internationalen Absatzchancen waren durch den Ersten Weltkrieg stark geschrumpft. Um die Ausfälle aufzufangen, bot das Unternehmen über Magnetzünder und Automobilbe-

6 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 7 Von links nach rechts: Helfer im Bad: warmes Wasser dank dem Gasbadeofen Typ W32E von Junkers, 1930 Helfer im Haushalt: der runde Bosch-Kühlschrank, 1933 Helfer in der Produktion: das Elektrowerkzeug von Bosch, 1938 leuchtung hinaus weitere Produkte an. In dieser Zeit verkaufte es die ersten Scheibenwischer, Winker und elektrischen Hörner. Gerade als die Produktion dieser neuen Erzeugnisse auf Hochtouren lief, brach Mitte der 1920er Jahre der deutsche Automobilmarkt ein. Um seine Leute weiter zu beschäftigen und die Produktionsstätten auszulasten, suchte Robert Bosch nun neue Geschäftsfelder außerhalb der Automobilindustrie. Eine eigens eingerichtete Abteilung prüfte dazu mehr als 10 000 Vorschläge. Wichtig bei der Auswahl war die technische Ähnlichkeit zum bislang angebotenen Produktportfolio. Man wollte das Rad nicht neu erfinden, sondern das technische Know-how nutzen, das man schon erworben hatte. Bereits damals stieg Bosch möglichst dort ein, wo es Berührungspunkte zu den Vorarbeiten der eigenen Entwickler gab. Haarschneider und Bosch-Hammer Das konnte allerdings zu ungewöhnlichen Erzeugnissen führen. So flossen Erfahrungen aus der Entwicklung der Dieseleinspritzpumpe in die sogenannte Spinnpumpe ein. Deren Einsatzgebiet war weit entfernt von der Automobiltechnik: die Herstellung von Kunstseiden. Das aber blieb für Bosch nur eine kurze Episode. Viel wichtiger wurde die Konstruktion und Massenfertigung von elektrisch betriebenen Werkzeugen. Denn in Krisenzeiten ruft man zuerst nach dem Konstrukteur, wie der damalige Personalleiter Otto Debatin im Rückblick schrieb. Es war der Ingenieur Hermann Steinhart, der die Elektrowerkzeuge serientauglich machte. Die Entwicklung führte von der Forfex- Haarschneidemaschine 1928 zum Bosch-Hammer 1932. Innerhalb weniger Jahre wuchs Bosch zur größten Elektrowerkzeug-Fabrik des Kontinents heran, hieß es 1938 im Bosch-Zünder. Der erste Fernseh-Heimempfänger Mit dem ersten Schub der Diversifizierung hatte sich das Produktportfolio im Jahrzehnt zwischen 1928 und 1938 erheblich verändert. Ende der 1920er Jahre waren die beiden Bosch-Vorstände Karl Martell Wild und Erich Raßbach nach London gereist, um sich vom schottischen Fernsehpionier John Logie Baird dessen Versuche zeigen lassen. Was sie sahen, überzeugte sie. So entstand die Fernseh AG in Berlin, ein Gemeinschaftsunternehmen von Bosch mit Baird, Zeiss Ikon und Loewe. Ziel war es, die noch junge Technik weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Für die Olympischen Spiele in Berlin 1936 lieferte die Fernseh AG die ersten rein elektronischen Aufnahmegeräte. Im selben Jahr stellte sie den ersten Fernseh- Heimempfänger vor. Damit war Fernsehen im Wohnzimmer möglich. Autoradios, Kühlschränke und mehr Schon 1932 hatten Bosch-Mitarbeiter in Stuttgart gemeinsam mit Ingenieuren der Berliner Ideal-Werke das erste serienfähige Autoradio Europas entwickelt. Eine Zusammenarbeit, die bald zur Übernahme von Ideal führte daraus entstanden die Blaupunkt- Werke. Die Akquisition der Stuttgarter Firma Bauer, die Film- und Kameratechnik herstellte, passte zu diesem neuen Bild von Bosch. Längst aber waren auch Gebrauchsgüter im Fokus des Unternehmens. Um dabei den Einstieg zu beschleunigen, kaufte Bosch 1932 die Thermotechniksparte von Junkers in Dessau. Doch für die Marke Bosch sollte eine Eigenentwicklung besonders wichtig werden: Auf der Frühjahrsmesse in Leipzig stellte Bosch 1933 einen Kühlschrank vor das erste Erzeugnis des Geschäftsbereichs Hausgeräte. Neue Geschäftsfelder zum Zweiten Mit dem Zweiten Weltkrieg und noch während des Wiederaufbaus hatte Bosch andere Sorgen als die Diversifizierung. Erst als die Produktion wieder auf Hochtouren lief, schien die Zeit reif, nicht nur neue Erzeugnisse in vorhandenen Geschäftsbereichen auf den Markt zu bringen, sondern auch wieder ganz neue Geschäftsfelder in Angriff zu nehmen. 1963 stieg Bosch in die Verpackungstechnik ein. Auf den Kauf der Erich Wetzel Verpackungsmaschinen GmbH folgten kontinuierlich weitere Akquisitionen. Zugleich baute Bosch den Sondermaschinenbau aus, der schon 1930 als kleiner Bereich gegründet worden war. In den 1950er und 1960er Jahren spezialisierte sich der Maschinenbau zum neuen Geschäftsbereich Industrieausrüstung. Daneben waren bei Bosch die Produktbereiche Pneumatik und Hydraulik entstanden. Im Werk der Firma Hesser wird eine neue Verpackungsmaschine getestet, 1962.

8 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 9 Bild links: Ein Schwenkarm-Roboter von Bosch-Automationstechnik bei der Montage am Fließband, 1986 Bild rechts: Bei der Feuerwehr kamen die Funkgeräte der Mobilen Kommunikation von Bosch zum Einsatz, 1986. Inzwischen war die Diversifizierung soweit vorangekommen, dass der Vorsitzende der Geschäftsführung, Hans L. Merkle, dazu vor Mitarbeitern auf der Gerlinger Schillerhöhe am 10. Februar 1971 einen Grundsatzvortrag hielt. Er verkündete, dass der Anteil der Kraftfahrzeugausrüstung am Gesamtumsatz im vorangegangenen Jahrzehnt von rund 70 Prozent auf etwa 54 Prozent zurückgegangen sei. Dies sei die Folge einer bewusst auf Wagnisstreuung abzielenden geschäftspolitischen Entscheidung. Dann führte Merkle aus: Diversifikation birgt Gefahren in sich. Diese sind umso größer, je weiter man sich von dem Feld wegbewegt, auf dem man Erfahrung hat, sei es technischer oder kaufmännischer Art. Während es überholtes Zunftdenken wäre, wenn man sich heute noch an den Ratschlag,Schuster bleib bei deinen Leisten halten wollte, ist es noch immer zu empfehlen, dass man neue Arbeitsgebiete aus den Erfahrungselementen der alten aufbaut. Erfolge und Rückschläge Mit großen Schritten jedoch kam die Diversifizierung gerade in den folgenden Jahrzehnten voran, wenn auch mit einigen Rückschlägen. 1989 richtete Bosch den Unternehmensbereich Telekommunikation ein, kurz Bosch Telecom. Zunächst gab es große Erfolge, etwa mit dem intensiven Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur. Damit stieg der Umsatz von Bosch Telecom zeitweise doppelt so stark wie im Schnitt des gesamten Unternehmens. Das verminderte die Abhängigkeit von der Automobilindustrie ein Ziel, das Bosch seit den 1930er Jahren verfolgt hatte. Allerdings kam die Telekommunikationsbranche Ende der 1990er Jahre massiv unter Druck, sei es durch die Öffnung nationaler Märkte, sei es wegen grundlegender technologischer Umwälzungen. Das gab für Bosch den Ausschlag, sich von diesem Geschäft wieder zu trennen. Angesichts der nachfolgenden Turbulenzen in der Branche erwies sich dieser Schritt als rechtzeitig und richtig. Mehr Technik für Umweltund Klimaschutz Bei diesem Schritt aber blieb Hermann Scholl, der damalige Vorsitzende der Geschäftsführung, nicht stehen. Entschlossen nutzte er zu Beginn des neuen Jahrtausends die Chance, Bosch durch Zukäufe in der Industrie- und Thermotechnik entscheidend zu stärken: mit der Übernahme von Rexroth 2001 und von Buderus 2003. Damit sank der Umsatzanteil der Kraftfahrzeugtechnik, der zwischenzeitlich 70 Prozent überschritten hatte, wieder auf rund 60 Prozent. Das erklärte Motiv nach wie vor: jede sich bietende Wachstumschance im Automobilgeschäft wahrzunehmen, aber auch Risiken zu balancieren. Dieser Logik des sektoralen Ausgleichs folgte auch die größte Portfolio-Erweiterung der vergangenen fünf Jahre: der Einstieg ins Photovoltaik- Geschäft mit der Akquisition des Solarzellenherstellers ersol im Jahr 2008. Deutlicher denn je wurde damit die Ausrichtung des Unternehmens auf Technik für Umwelt- und Klimaschutz. Das vielseitige Unternehmen Auch darin steckt keine beliebige, vielmehr eine fokussierte Diversifizierung. Wie Franz Fehrenbach, der heutige Vorsitzende der Geschäftsführung, formuliert, achten wir sehr genau darauf, was zu unseren Kernkompetenzen passt und was nicht. Dazu gelte es systematisch Fragen zu stellen, die wie strategische Filter wirkten: Passen die möglichen Geschäfte zu Vision und Werten von Bosch? Beherrschen wir ihre kritischen Erfolgsfaktoren, ihre Risiken und ihre Komplexität? Schaffen wir damit ein nachhaltiges Erfolgsmodell? Bei allem, so betont Fehrenbach, folgt Bosch seinem strategischen Leitmotiv Technik fürs Leben. Und was mit der Angst vor der Eintagsfliege begann, hat zu einem vielseitigen und zugleich vernetzten Unternehmen geführt. // Christine Siegel Zeittafel der Diversifizierung 1928 Erstes Elektrowerkzeug von Bosch: Forfex 1929 Gründung der Fernseh AG 1932 Übernahme Thermotechniksparte von Junkers 1933 Übernahme Idealwerke (später Blaupunkt) 1933 Erstes Hausgerät von Bosch: Kühlschrank 1934 Kauf der Eugen Bauer GmbH 1953 Markteinführung der Bosch-Hydraulikgeräte 1963 Erwerb der Erich Wetzel Verpackungsmaschinen GmbH 1981 Übernahme der Telenorma Beteiligunsgesellschaft mbh 2001 Übernahme der industriellen Führung der Mannesmann Rexroth AG 2004 Übernahme der Buderus AG 2008 Übernahme der ersol Solar Energy AG Bild rechts: Dem Sonnenstand nachgeführte Solarsysteme mit kristallinen Modulen vom Bosch-Geschäftsbereich Solar Energy, 2011

10 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 11 Ein Mosaik aus vielen Steinen Bosch Security Systems im Rückblick Im Jahr 1935 übernahm die Telefonbau und Normalzeit GmbH, ansässig in Frankfurt am Main, die Hanseatische Notruf AG. Daraus sollte sich die erste Verbindung der Sicherheitstechnik nach Stuttgart ergeben. Denn Bosch übernahm die Telenorma, wie das Telefonbauunternehmen später genannt wurde, mehrheitlich im Jahr 1981. Vielseitige Erfahrungen in der Nachrichtentechnik Im Rückblick lässt sich erkennen, dass Bosch schon zuvor verschiedene für die Sicherheitstechnik wichtige Kompetenzfelder aufgebaut hatte. Denn längst waren mit der Diversifizierung neue Technologien jenseits des Automobilgeschäfts erschlossen worden. So gäbe es zum Beispiel ohne die Pionierleistungen zur Bildund Tonübertragung heute keine Videoüberwachung. Gemeinsam mit Partnerunternehmen machte Bosch seit 1929 die Fernsehaufzeichnungstechnik serienreif, drei Jahre später entwickelten Ingenieure aus Stuttgart das erste Autoradio Europas. Seit 1954 lieferte Bosch Funkgeräte, von 1985 an auch Autotelefone. Diese Erfahrungen in der Nachrichtentechnik kamen später auch der Sicherheitstechnik zugute. Der Weg über Telenorma zu Bosch Telecom Im Zuge der schrittweisen Übernahme der Telenorma und der ANT, eines Herstellers von Kommunikationssystemen für Luft- und Raumfahrt, formte Bosch all diese Aktivitäten 1989 zur Bosch Telecom, einem vierten Unternehmensbereich, der den drei Traditionssparten Kraftfahrzeugtechnik, Industrietechnik sowie Gebrauchsgüter und Gebäudetechnik gleich geordnet war. Die Geschäftsfelder waren vor allem Telefone und Telefonanlagen, private und öffentliche Netze, Luft- und Raumfahrttechnik sowie Mobile Kommunikation Autoradios, Navigationssysteme und mobile Telefone. Zu diesem Unternehmensteil gehörte aber auch ein Produktbereich namens Sicherheitstechnik, der sich hauptsächlich mit der Gebäudesicherung beschäftigte. Nachdem sich Bosch Telecom zunächst positiv entwickelt hatte, verschlechterten sich die geschäftlichen Aussichten in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Die Sicherheitssparte jedoch blieb davon ausgenommen. Sie brachte in dieser Zeit wichtige Neuheiten auf den Markt: die Universelle Notruf- und Brandmeldezentrale UEZ oder das Videospeicherungs- Bild Seite 10: Seit 1937 überspannt die Golden Gate Bridge die San Francisco Bay. An ihren gut 200 Meter hohen Pylonen sind Kameras von Bosch zur Videoüberwachung angebracht. Bild unten links: Der im Bau befindliche Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) wird umfassend mit Bosch Sicherheitstechnik ausgerüstet werden. Bild unten rechts: Für die 207 Meter hohe Heini-Klopfer-Skiflugschanze in Oberstdorf hat Bosch 2010 ein Sicherheitskonzept entwickelt, das alle wichtigen Belange vom Brandschutz bis zur Einbruchmeldetechnik umfasst. Was hat ein Feuermelder mit einer Kamera am Rande eines aktiven Vulkans zu tun, was eine Taxifunkzentrale mit einem Notrufsender für Senioren? Oder die Optimierung von Geschäftsprozessen mit dem Sound aus den Lautsprechern der südafrikanischen WM-Stadien? Die Antwort heißt: Bosch Security Systems ein Geschäftsbereich, der erst zehn Jahre alt ist, aber viele Wurzeln im Unternehmen hat. Sein Ursprung liegt gut 90 Jahre zurück der Rückblick führt durch viele Verzweigungen in die Gegenwart. Die Sicherheitstechnik von Bosch hat sich nicht, wie bei anderen Sparten des Unternehmens, geradlinig aus einer kleinen Keimzelle entwickelt. Sie ist ein Kompetenzfeld, das aus Ton- und Bildübertragung, aus Telekommunikation und Alarmmeldetechnik hervorgegangen ist. Diese Techniken waren in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Bereichen von Bosch angesiedelt. Hanseatische Wurzeln Der Ursprung der Sicherheitstechnik von Bosch liegt im Norden Deutschlands: 1920 wurde die Hanseatische Notruf AG gegründet. Sie entwickelte Alarmmeldetechniken und fungierte als Polizeinotruf-Empfangszentrale in Hamburg. Im Süden Deutschlands hatte das heutige Mutterunternehmen Bosch in jenen Jahren zahlreiche Neuerungen fürs Auto auf den Markt gebracht, elektrisches Horn, Winker und Scheibenwischer zum Beispiel. Aber der Weg des Automobilzulieferers sollte sich noch lange nicht mit dem des Notrufunternehmens kreuzen. Es lagen buchstäblich Welten zwischen den Produktportfolios.

12 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 13 Bild unten: Bosch baute für das Polizeipräsidium Hannover bereits 1976 eine Video- Verkehrsüberwachungsanlage mit 19 schwenkbaren Kameras an den wichtigsten Verkehrsknotenpunkten. und Überwachungssystem ViStar. Zudem wuchs das Dienstleistungsgeschäft, das 1985 mit einer Sicherheitsleitstelle in Frankfurt begonnen hatte. 1997 wurde in Magdeburg das erste Communication Center gegründet damals noch Bosch Telecom Service Center genannt. Heute hat die Dienstleistungssparte mehr als 4000 Mitarbeiter in Europa, Asien und Südamerika. Sie übernimmt und optimiert Geschäftsprozesse internationaler Kunden und bietet ihren Service in mehr als 25 Sprachen an. Die Geburtsstunde des Geschäftsbereichs Security Systems Während sich Bosch von der Kommunikationstechnik nach 2000 Schritt für Schritt trennte, blieb die Sicherheitstechnik als erfolgreiche Sparte im Unternehmen. Allerdings musste sie unter ein neues organisatorisches Dach gestellt werden. Das war die Geburtsstunde des Geschäftsbereiches Security Systems im Jahr 2002. Gezielt verbreiterte dieser Bereich jetzt sein Know-how. Noch 2000 war die Bosch-Sicherheitstechnik vor allem auf das Anlagengeschäft in Deutschland ausgerichtet. Darüber ist sie seither weit hinausgewachsen aus eigener Kraft, aber auch durch Akquisitionen. Insbesondere betrifft dies den Kauf von Unternehmen, um das Know-how in bestimmten Geschäftsfeldern zu stärken und die Produktbandbreite der Bosch-Sicherheitstechniksparte zu vergrößern. Zu den wichtigsten Übernahmen zählen Detections Systems (2001), Philips Communication Seit 1980 bietet Bosch den Haus-Service-Ruf an, der hilfsbedürftigen oder kranken Menschen Unabhängigkeit und Sicherheit bietet. Das System gewährleistet schnelles Eintreffen von Hilfe in Notfällen. Security & Imaging (2002), Video Communication Systems AG (2004), ADC Technologies International (2005), TeleAlarm Group und Telex Communications (2006) sowie Extreme CCTV (2008). Heute gehört der Geschäftsbereich Bosch Security Systems zu den großen Anbietern im internationalen Produktgeschäft vor allem im wachstumsstärksten Segment der Branche, der Videoüberwachung. Die Strategie der Systemintegration Dabei zielt die Strategie der Sicherheitstechnik auf die Systemintegration, um den Kunden komplette Pakete anbieten zu können. So rüstete Bosch die Stadien der Fußball- Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika nicht nur mit Audioanlagen aus, sondern auch mit Videoaufzeichnungs- und Brandmeldesystemen. Noch weiter wird die Systemlösung für den neuen Flughafen Berlin-Brandenburg International reichen: Hier wird Bosch die komplette Sicherheitstechnik liefern: Brandmeldean- lage, elektroakustisches Notfallwarnsystem, Fluchttürsteuerung, Einbruchmeldeanlage, Videoüberwachung, Zutrittskontrolle und Gebäudefunktionssteuerung. Sicherheitstechnik von Bosch ist ein Mosaik, das aus vielen Steinen besteht. Bosch kann sie aus einer Hand anbieten. Was heute Systemkompetenz genannt wird, ist aus jahrzehntelangen Erfahrungen in sehr verschiedenen Kompetenzfeldern hervorgegangen. Diese Strategie, in wichtigen Produktsegmenten Komplettsysteme anzubieten und sich vornehmlich auf die eigenen Produkte zu verlassen, liegt dem Unternehmen offenbar in den Genen. Schon Robert Bosch überließ bei der Hochspannungsmagnetzündung vor 110 Jahren die Herstellung der systemwichtigen Zündkerze keinem Lieferanten, sondern ließ sie in der eigenen Fabrik herstellen. // Dietrich Kuhlgatz Zeittafel Security Systems 1920 Gründung der Hanseatischen Notruf AG (Hamburg) 1935 Gründung Telefonbau und Normalzeit 1989 Gründung Bosch Telecom GmbH 1997 Gründung Bosch Communication Center Magdeburg 2001 Übernahme Detection Systems Inc. 2002 Übernahme Philips Communication Security & Imaging 2002 Gründung des Bosch Geschäftsbereichs Security Systems 2004 Übernahme der Micos GmbH 2004 Übernahme der Video Communication Systems AG 2005 Übernahme der ADC Technologies International Pte Ltd 2006 Übernahme der Telex Communications 2006 Übernahme der TeleAlarm Group 2008 Übernahme der Extreme CCTV Inc.

14 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 15 Schachteln, Beutel, Flaschen Geschichte der Bosch Packaging Technology Als die Schnellste der Welt kündigte Bosch 1971 die neue Verpackungsmaschine zur automatischen Herstellung einfacher Beutelpackungen an. Die neue Anlage stellte die Beutelpackungen aus einer Papierrolle her und befüllte diese über hochpräzise Waagen. Sie eignete sich besonders für leicht fließende Stoffe wie Zucker oder Salz und schaffte 240 Einheiten pro Minute. An den Paketauslauf schloss sich eine automatisch arbeitende Sammelpackmaschine an, die je zehn Beutel zu einem Gebinde verpackte und anschließend gleich palettierte. Verpackungstechnik bei Bosch Der Einstieg von Bosch in die Verpackungstechnik erfolgte 1963: die Eugen Bauer GmbH, eine Bosch- Tochtergesellschaft, übernahm die Erich Wetzel Verpackungsmaschinen GmbH in Karlsruhe. Zügig wurden weitere Akquisitionen getätigt und das neue Geschäftsfeld ausgebaut: bereits zehn Jahre später, 1973, zählten die Höller GmbH in Bergisch- Gladbach, die Viersener Hamac- Hansella AG, die Friedrich Hesser aus Stuttgart-Bad Cannstatt, die Höfliger & Karg KG aus Waiblingen sowie die in Köln und Crailsheim ansässige Fa. H. Strunck & Co. zur Bosch-Gruppe. 1974 schließlich wurde der Bosch-Geschäftsbereich Verpackungsmaschinen gegründet. Am Anfang war der Briefumschlag Die ersten Verpackungsmaschinen wurden in den 1850er Jahren in den Vereinigten Staaten patentiert. Sie stellten Briefumschläge und Beutel aus Papier her. 1861 gründete Friedrich Hesser mit seinem Schwager in Cannstatt bei Stuttgart eine mechanische Werkstatt und baute dort die erste Briefkuvertmaschine in Deutschland. Bild Seite 14: Mehlpaketieranlage der Firma Hesser in der Bremer Rolandsmühle, 1930 Bild unten links: Schaffte 28 bis 30 Tafeln in der Minute: Die Schokoladentafel- Einwickelmaschine der Firma Hesser, 1921 Bild unten rechts: Arbeiterinnen an einer Thermoformmaschine von Höfliger & Karg bei der Herstellung von Durchdrückpackungen für Tabletten, 1965

16 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitläufe 17 Bild ganz links: Für einen japanischen Kunden fertigte die Firma Strunck einen Abfüll- und Verschließapparat für Augentropfen, der 6000 Flaschen pro Stunde schaffte, 1960. Bild links: Fertig ausgestanzte und geprägte Bonbons auf der Kühlbahn im Viersener Hamac-Hansella-Werk, 1971 Bild rechts: Ultraschall-Siegeltechnologie für Schlauchbeutel verpackt Temperatur, Wasserdampf und Sauerstoff empfindliche Produkte, 2011. Eine weitere Aufgabe, die das ganze Können des Konstrukteurs abverlangen, stellte wenig später der Auftrag dar, eine Maschine zu entwickeln, die Zichorien-Kaffee, einen Bohnenkaffeeersatz, verpacken konnte. Die Maschine sollte ein Blatt Papier zu einem runden Zylinder formen und am Boden verschließen. Als 1885 diese erste Zichorien-Hülsenmaschine ausgeliefert wurde, war der Grundstein der automatischen Paketiermaschinen gelegt. Nachfolgende Anlagen boten zusätzlich Verstellmöglichkeiten für verschiedene Paket- und Hülsenformen. Der Absatz florierte, und zahlreiche Bestellungen kamen aus aller Welt. Die vollständige Automatisierung der Verpackung In der Jubiläumsschrift zum 75-jährigen Bestehen der Firma Hesser blickte man 1936 auf die Jahre nach der Jahrhundertwende zurück: Die natürliche Weiterentwicklung lag in der Richtung einer vollständigen Automatisierung der Verpackung, mit der Aufgabe, nicht mehr bloß die leeren Packungen herzustellen, sondern auch dieselben unmittelbar anschließend automatisch zu füllen und zu schließen. 1911 war es schließlich soweit: die erste ganz automatische Hesser sche Paketiermaschine kam auf den Markt. Ständige Verbesserungen führten in den 1920er Jahren zu neuen Hochleistungsmaschinen. In England und anderen Staaten wurde mit dieser Maschine das ganze Gebiet der Zuckerverpackung erobert und in den USA dasjenige der Kaffee-Verpackung in großem Umfang, war in der Jubiläumsschrift zu lesen. Weltweit verpackten Betriebe Mehl, Salz, Seifenpulver, Tee, Tabak, Nudeln und vieles mehr fortan vollständig automatisiert mit Hesser. Aber auch bei festen Produkten gab es entscheidende Fortschritte. Einwickelmaschinen übernahmen das Verpacken von Schokoladentafeln, Suppenwürfeln, Seifenstücken und Rasierklingen. Selbstbedienung und Einsatz neuer Materialien In den 1950er und 1960er Jahren folgte eine nächste Welle großer technologischer Neuerungen auf dem Gebiet der Verpackungsmaschinen. Der kleine Kaufmannsladen um die Ecke wurde von modernen Selbstbedienungsgeschäften abgelöst. Die persönliche Beratung rückte in den Hintergrund, fortan ließ sich die Kundin bei ihrem Wocheneinkauf von der aufwändig und werbewirksam gestalteten Verkaufsverpackung überzeugen. Zudem setzten sich neue Verpackungsverfahren durch, so ließen sich etwa thermoplastische Kunststoffe leicht formen und boten bestmöglichen Schutz für empfindliches Packgut. Kunststoffe konnten im Verbund mit Papier und Metall eingesetzt werden, und zusammen mit entsprechenden Füll- und Verschließeinrichtungen ergaben sich zukunftweisende Verpackungslösungen. Vor allem im Pharmabereich mit der besonderen Anforderung der absoluten Keimfreiheit wurden zahlreiche Neuerungen vorgestellt. Höfliger & Karg hatte sich auf trockene pharmazeutische Erzeugnisse spezialisiert und baute in den 1960er Jahren Thermoformmaschinen für Tablettendurchdrückpackungen. Abfüll- und Verschließautomaten für flüssige Arzneistoffe hatte die Firma Strunck im Programm. Zahlreiche technologische Neuerungen prägten die folgenden Jahrzehnte; so etwa eroberten Verfahren zum aseptischen Verpacken den Markt. Darf es noch etwas Süßes sein? Prozess- und Verpackungslösungen für die Süßwarenindustrie haben bereits eine lange Tradition in der Bosch Verpackungstechnik und ihren Vorläuferunternehmen. Die erfolgreichen Hesser schen Schokoladentafel- Einwickelmaschinen erfreuten die Schleckermäuler ebenso wie die Maschinen der Hamac-Hansella zur Herstellung und Verpackung von Bonbons. Der Bau einer ersten Bonbon-Prägemaschine im Jahr 1921 begründete die Firma 400 geformte Bonbons aus einem handgekneteten Zuckerstrang konnten sich als Ergebnis durchaus sehen lassen. Es folgten Strangprägemaschinen, Ausziehmaschinen und Kühlbahnen; Bonbonkochmaschinen, Toffeemaschinen, Maschinen für gefüllte Bonbons, Schneidemaschinen und für das fertige Naschwerk die Bonbonverpackungsmaschinen. Eine der neuesten süßen Entwicklungen von Bosch Packaging Technology ist die Starpack 600 HL. Sie produziert die weltweit erste Einfacheinschlag-Faltpackung mit hermetischer Siegelung. Gut aufgestellt für die Zukunft Heute ist Bosch Packaging Technology mit Sitz in Waiblingen ein führender Anbieter von Gesamtlösungen für Verpackungs- und Prozesstechnik. Das Leistungsangebot umfasst die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb von Modulen und Systemen für die Pharma-, Nahrungsmittel- und Süßwarenindustrie. In enger Zusammenarbeit mit den Kunden entstehen sowohl Einzelmaschinen als auch Komplettlösungen für Herstellungsund Verpackungsabläufe verschiedenster Art. Seit 2003 verstärkten weitere Unternehmen wie etwa die niederländische Tevopharm, SIG Pack aus der Schweiz, Pharmatec in Dresden, die dänische Moeller & Devicon, Paal aus Remshalden, Hüttlin aus Schopfheim oder die britische Manesty den Geschäftsbereich. Für die kommenden Jahre stehen die Zeichen auch klar auf nachhaltigem und profitablem Wachstum. // Bettina Simon Zeittafel Packaging Technology 1963 Übernahme der Erich Wetzel Verpackungsmaschinen GmbH, Karlsruhe 1964 Höller GmbH, Bergisch Gladbach 1966 Hamac-Hansella AG, Viersen 1967 77 Schrittweiser Erwerb der Hesser AG, Stuttgart-Bad Cannstatt 1970 Höfliger&Karg KG, Waiblingen 1973 84 Schrittweiser Erwerb der Fa. Strunck, Köln/ Crailsheim 1974 Gründung des Geschäftsbereichs Verpackungsmaschinen, seit 2004 Packaging Technology 1995 TL Systems Corporation, Minneapolis (USA) 2003 Tevopharm, Schiedam (NL) 2003 07 Moeller&Devicon A/S, Sandved (DK) 2004 SIG Pack, Neuhausen (CH) 2007 Pharmatec GmbH, Dresden 2008 Paal Verpackungsmaschinen GmbH & Co KG, Remshalden 2011 Hüttlin GmbH, Schopfheim und Manesty Ltd., Knowsley (GB)

18 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitzeugen 19 Zeitzeugen Menschen prägen mit ihren Entscheidungen den Lauf der Geschichte und geben ihr ein Gesicht. Sie sind Zeugen und häufig auch Gestalter der Ereignisse und damit das Gedächtnis unseres Unternehmens. Die Rubrik Zeitzeugen lässt diese Menschen zu Wort kommen. Durch ihre Erfahrungen wird die Unternehmensgeschichte lebendig und fassbar. Bosch-Lehrlinge übergeben dem Stuttgarter Jugendsozialwerk einen Kleinbus, 1981. Ist doch Ehrensache Bosch-Mitarbeiter engagieren sich Großes Engagement, eine gehörige Portion Kreativität und nicht zuletzt Organisationstalent stellen Bosch- Mitarbeiter immer wieder unter Beweis, wenn es darum geht, anderen zu helfen. Sie setzen ihre Zeit ein und spenden Geld, um Menschen in Not zu unterstützen. Nicht nur für das Unternehmen, auch für die Mitarbeiter hat soziale Verantwortung traditionell einen hohen Stellenwert. Zahlreiche Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart zeugen davon. Schon nach dem Ersten Weltkrieg setzten sich Boschler aktiv für ihre Nächsten ein waren doch viele Kollegen im Krieg gefallen, die oftmals Witwen und Waisen in Armut hinterließen. Um deren Not zu mildern, gründete das Unternehmen 1922 die Robert- Hilfe, benannt in Erinnerung an den verstorbenen ersten Sohn von Robert Bosch. Von vornherein war diese Hilfe nicht ausschließlich auf finanzielle Unterstützung bedacht. Vielmehr sollten Ehrenpaten eine persönliche Beziehung zu dem Kind pflegen und es zusammen mit der Mutter durch Rat und Tat bei Fragen von Erziehung, Berufswahl und Ausbildung bis zum 18. Lebensjahr begleiten. Zahlreiche Bosch-Mitarbeiter zögerten nicht und übernahmen eine Patenschaft. Mit persönlicher Anteilnahme sorgten sich viele um ihr Patenkind. So berichtete zum Beispiel ein Pate, wie er für seinen Schützling, der an der Hand verstümmelt war, durch beharrliches Vorsprechen bei verschiedenen Ämtern endlich eine Lehrstelle als Schreiner beschaffen konnte. Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es wieder Ehrenpaten bei Bosch. Über 100 Paten für fast 200 Kriegswaisen hatte die Robert-

20 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitzeugen 21 Fünf Tonnen Hilfsgüter packten Boschler des Feuerbacher Werkes für die Erdbebenopfer in der Türkei, 1991. Hilfe nach 1947. 1963 endete die Patenschaft für die letzte Kriegswaise. Freiwilliges soziales Engagement zeigten auch immer wieder die Auszubildenden. 1976 zum Beispiel hatten Lehrlinge aus Feuerbach erstmals die Idee als Übungsstücke allerlei nützliche Gegenstände anzufertigen und auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt für gemeinnützige Zwecke zu verkaufen. Dabei konnten sie all die Grundfertigkeiten der Metallverarbeitung anwenden, die sie während ihrer Ausbildung erworben hatten: Feilen, biegen, bohren und schneiden und fertig war ein Kerzenständer. Um noch mehr Geld für einen guten Zweck zu sammeln, gingen die Lehrlinge auch Kooperationen mit anderen Firmen ein. So beteiligten sie sich zum Beispiel 1981 an der Weihnachtsmann & Co KG, einem Zusammenschluss Stuttgarter Firmen, um aus dem Erlös des Weihnachtsmarkt-Verkaufes einen Kleinbus für das Stuttgarter Jugendsozialwerk mitzufinanzieren. Bis heute hat das Engagement der Auszubildenden bei Weihnachtsaktionen und Kooperationen mit anderen sozialen Einrichtungen nicht nachgelassen. Auf der Suche nach Überlebenden Zahlreiche Tränen flossen, als 1990 Mitarbeiter des Standortes Ansbach ein Weihnachtsfest für die Familien von US-Soldaten ausrichteten, die am Vorabend des zweiten Golfkriegs in die Golfregion abkommandiert worden waren. Das Motto der liebevoll organisierten Weihnachtsfeier: Ihr seid nicht allein! Überall ist uns in diesen Wochen viel Mitgefühl zuteil geworden, aber niemand hat uns so viel Freundschaft gezeigt wie die Mitarbeiter der Firma Bosch, kommentierte ein bewegter US-Offizier. Schnelle Hilfe und ein gehöriges Maß an Organisationstalent waren gefragt, als 1999 in der Türkei die Erde plötzlich bebte und Tausende von Menschen ihr Leben und ihr Zuhause verloren. Sofort am Morgen nach der Schreckensnacht taten sich 40 Mitarbeiter aus Istanbul und den Bosch- Werken in Bursa zusammen, um im Erdbebengebiet die Suche nach Überlebenden zu unterstützen. Das menschliche Elend, das wir hier sahen, war nur schwer auszuhalten erinnert sich einer der Helfer. Andere Mitarbeiter wiederum sammelten Geld, Bekleidung und Nahrungsmittel. Auch die Bosch-Mitarbeiter in Japan zögerten nicht zu helfen als 2011 ein Erdbeben und ein Tsunami den Norden des Landes schwer zerstörten. Sie verzichteten auf die geplanten Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen von Bosch in Japan zugunsten der Hilfe für die Opfer und beteiligten sich in ihrer Freizeit an den Aufräumarbeiten. Helfen während der Arbeitszeit Ganz andere Wege der Hilfsbereitschaft ging die australische Bosch- Regionalgesellschaft 2002 am Standort Clayton. Dort konnten sich Mitarbeiter melden, sei es, um Blut zu spenden, sei es, um älteren Menschen den Rasen zu mähen dies alles während der Arbeitszeit. Nichts Ungewöhnliches für den fünften Kontinent, wo es üblich ist, dass Firmen das soziale Engagement ihrer Mitarbeiter unterstützen. Nicht ohne Grund, denn auch die Firma profitiert vom gemeinnützigen Einsatz ihrer Beschäftigten: Das gemeinsame Engagement für eine Sache stärkt Zusammengehörigkeitsgefühl und Motivation. Im Jubiläumsjahr 125 Jahre Bosch wirkten Unternehmen und Mitarbeiter ganz ähnlich zusammen. So lief in den USA zum Beispiel das Programm Bosch builds. Dabei bekamen die Mitarbeiter in Farmington Hills und Plymouth einen Tag bezahlten Urlaub, um sich für soziale Organisationen einzusetzen. In Deutschland konnten sich Auszubildende sogar eine ganze Woche lang für gemeinnützige Zwecke engagieren. Bis heute unterstützt Bosch aktiv das soziale Engagement seiner Mitarbeiter. Zum Beispiel beteiligen sich auf Initiative des Unternehmens alljährlich Auszubildende an Projekten der Wissensfabrik Deutschland e.v. Konkret heißt das: Wasserräder bauen mit Kindergartenkindern, Elektromotoren herstellen mit Grundschülern. Auch ein Verein wie Primavera wird vom Unternehmen unterstützt (siehe Interview Seite 22 23). Das Engagement der Mitarbeiter hat bis heute in nichts nachgelassen, egal ob es sich um den Einsatz bei langfristigen Projekten oder um spontane Hilfe handelt. Dabei erhalten sie auch einiges zurück: Es gibt kein schöneres Gefühl als andern unerwartet eine Freude machen zu können befand ein Ehrenpate der Robert- Hilfe 1922. Aber wodurch auch immer das Engagement motiviert ist, es hilft in Not geratenen Menschen - ist doch Ehrensache. // Vera Dendler Von links nach rechts: Gündüz Özgüc vom Werk Bursa (li.) berät mit Vertretern des Militärs und der Politik die Verteilung der Hilfsgüter an die Erdbebenopfer, 1991. Für einige Stunden waren die Sorgen um den abkommandierten Ehemann fast vergessen, Ansbach 1990. Von Bosch-Lehrlingen gebaut: Kletterturm mit Rutschbahn für den Spielplatz der Behindertenschule Vaihingen/Enz, 1981

22 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitzeugen 23 Helfen, nicht wegschauen Interview mit Marianne Waas-Frey Marianne Waas-Frey war Gründerin sowie Vorsitzende und ist heute Ehrenvorsitzende von Primavera. Sie wurde am 27. Oktober 1931 in Stuttgart geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Politologie arbeitete sie als freie Journalistin. Von 1961 bis 1974 war sie Redakteurin bei den Stuttgarter Nachrichten, bevor sie 1974 zu Bosch wechselte. Hier gehörte ws bis 1991 zu den Federn des Bosch-Zünders. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Marianne Waas-Frey jedoch ist es als Journalistin gelungen, etwas Bleibendes zu schaffen. Unter dem Eindruck einer Brasilien- Reise gründete sie 1990 den Verein Primavera e.v. Hilfe für Kinder in Not. Eine Leistung, die 2008 mit der Ehrennadel des Landes Baden- Württemberg in Würdigung langjähriger Verdienste im Ehrenamt gewürdigt worden ist. Der Verein, dem ausschließlich Bosch-Mitarbeiter angehören, hat in 20 Jahren nahezu vier Millionen Euro an Spendengeldern gesammelt. Gelder, die heute 20 000 Kindern in den Elendsvierteln in der Nähe von Bosch-Standorten in Lateinamerika und Asien zugute kommen. Mit unermüdlichem Engagement hat Marianne Waas-Frey sich dafür eingesetzt, diesen Kindern Zukunftschancen zu geben. Angefangen aber hatte alles in Brasilien. Frau Waas, wie war das, als Sie die Initiative zur Gründung von Primavera ergriffen? 1989 war ich in Brasilien, um über ein Bosch-Jubiläum zu berichten. Nach der Arbeit habe ich vor Ort noch drei Wochen Urlaub gemacht. Sylvia Leeven, die Frau eines Bosch- Managers, ist mit mir durch das Land gefahren und hat mir alle unsere Standorte gezeigt. Sie führte mich auch in die Favelas, die Armenviertel in der Nähe der Standorte. Das war unglaublich bewegend, dort hinzugehen, wenn auch nicht ungefährlich. Aber Sylvia Leeven, eine sozial sehr engagierte Frau, kannte keine Angst. Wir waren mittendrin, sprachen mit den Leuten. Dann kam eine alte Frau auf mich zu, nahm meine Hand und hat mich angefleht Helfen Sie uns, wir brauchen Wasser für unsere Kinder, die sterben sonst. In diesem Moment wusste ich, da muss man was machen. Aber eine solche Idee auch umzusetzen, war vermutlich nicht ganz einfach? Haben Sie dabei denn Unterstützung von Bosch bekommen? Das ist richtig. Ich war mir von Anfang an darüber bewusst, wie die Struktur aussehen sollte. Wir in Deutschland wollten uns ausschließlich um das Sammeln von Geld für Kinder in Not kümmern, während die Arbeit vor Ort unter Aufsicht und Beteiligung von Bosch-Mitarbeitern stattfinden musste das war und ist noch heute Bedingung. Aber wie konnten wir nun an Geld kommen? Zuerst war meine Idee, dass jeder Mitarbeiter im Jahr einen Euro spendet. Nur wie sollten wir das machen? Für so etwas braucht man einen entsprechenden Verwaltungsapparat. Da habe ich mich an meinen Vorgesetzten, Wolfgang Knellesen, gewendet. Er hat mein Anliegen angehört und es an die richtigen Stellen weitergeleitet. Durch seine Vermittlung haben wir die Erlaubnis der Geschäftsführung erhalten, die Bosch-Organisation für unsere Belange zu nutzen. Um an Geld zu kommen, haben wir Spendenaufrufe im Bosch-Zünder gemacht, das war unendlich viel Kleinarbeit. Zuvor hatte ich mich mit der Rechtsabteilung in Verbindung gesetzt, die mich darüber aufgeklärt hat, dass wir für die korrekte Spendenabwicklung einen eingetragenen, gemeinnützigen Verein gründen mussten. Schon nach kurzer Zeit hatten wir zehn Personen zusammen und konnten 1990 Primavera Hilfe für Kinder in Not e.v. ins Leben rufen. Der erste Vorstand brachte noch im Gründungsjahr den ersten Spendenaufruf im Bosch-Zünder. Dennoch, die Anfänge waren bescheiden und mühsam. Zwei Jahre nach der Gründung hatten wir die Idee, im Park des Robert-Bosch- Hauses in Stuttgart Sommerfeste zu veranstalten, um weiteres Geld zu sammeln. Seitdem werden wir wahrgenommen, und auch die Geschäftsführung unterstützt Primavera bis heute großzügig. Wie kam es zu den Projekten in anderen Ländern? Erste Berichte über unsere Arbeit in Brasilien fanden auch in Indien ein Echo. Auch dort waren schon Frauen von Bosch-Managern bewundernswert helfend in den Slums von Bangalore tätig. Sie baten um Unterstützung, und Primavera gewährte sie. Überhaupt fanden sich auf allen Ebenen Menschen, die für unser Anliegen aufgeschlossen waren, uns weiterbrachten. Wir hatten unendlich viel Arbeit. Die Initiative für weitere Projekte ging also immer von Bosch-Mitarbeitern aus? Ja, Bosch-Mitarbeiter waren von Anfang an die Initiatoren. Sie haben sich aus verschiedenen Ländern bei uns gemeldet und berichtet, wir machen dieses oder jenes Projekt. Sobald wir die Garantie hatten, dass Boschler an einem Vorhaben federführend beteiligt waren, haben wir das finanziell auch unterstützt. Und dann hat Sylvia Leeven sogar ein eigenes Projekt gegründet. Das ist heute unser größtes, das Centro Promocional Tia Ileide (CPTI) in Campinas. Es holt die Kinder der Ärmsten von der Straße weg und bietet ihnen nicht nur Essen und medizinische Versorgung, sondern auch ein breites schulbegleitendes Bildungsprogramm. Dafür hat es sogar schon internationale Auszeichnungen erhalten. Wie kommt es, dass eine Frau wie Sie keine Zeit und Mühen scheut, sich für Kinder in Not einzusetzen? Das sind vielleicht die Gene. Ich komme aus so einer Familie, meine Mutter hat immer anderen geholfen, hat angepackt, wo Not war. Es hat auch mit meiner Wertevorstellung zu tun, ich bin christlich erzogen und habe meinen alten Kinderglauben erhalten können, der hat mir immer geholfen. Man muss also Werte haben und vor allem man muss eines: nicht wegschauen! www.primavera-ev.de

24 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 25 Zeitpunkte Die großen Entwicklungen im Unternehmen, ob in der Produktion, der Organisation oder in der Struktur des Unternehmens, nahmen immer zu einem bestimmten Zeitpunkt ihren Anfang. In Zeitpunkte spüren wir diesen konkreten Daten nach und erinnern an die Jubiläen nach 125, 100, 75, 50 und 25 Jahren. An Standmotoren wie diesem aus dem Jahr 1890 waren Magnetzündapparate angebracht, wie sie Bosch seit 1887 herstellte. Sie dienten zur Zündung des Kraftstoffs. eine schicksalsreiche Begegnung Bosch fertigt erste Magnetzündung Man wird sagen dürfen, dass es eine mobile geschaffen. Und damit den kleinen Königreich Württemberg mit sehr schicksalsreiche Begegnung Grundstein zum Aufstieg seiner Firma dem Monarchenpaar Karl und Olga gewesen ist. Mit diesen Worten um- zum Weltunternehmen gelegt. musste alles seine Ordnung haben. Theodor Heuss jenen Sommertag im Mit offizieller Genehmigung Im Hinterhof mit Telefon Jahr 1887, als Bosch den Auftrag für Angefangen hatte alles im Herbst Die Werkstatt hatte Bosch im Hinterhof einen magnetelektrischen Zündappa- 1886. Die Werkstätte für Feinmecha- der Stuttgarter Rotebühlstraße 75 B rat für einen ortsfesten Motor erhielt. nik und Elektrotechnik war bereits angemietet, wenige hundert Meter In der Tat steht dieses Produkt für am 11. November fertig eingerichtet. südwestlich des Zentrums von den Beginn der Erfolgsgeschichte von Robert Bosch hätte samt Werkmeis- Stuttgart. Sie umfasste zwei Arbeits- Bosch: Als es ihm 1897 gelang, den ter und Lehrling den Geschäftsbe- räume und ein kleines Büro. Die Apparat so umzukonstruieren, dass trieb aufnehmen können. Aber etwas Rotebühlstraße war eine Allee mit er an einem Motordreirad genutzt Entscheidendes fehlte noch: Bosch Platanen. Wer von der Werkstatt zur werden konnte, hatte er das erste wartete auf die offizielle Genehmi- Straße ging, blickte auf der anderen alltagstaugliche Zündsystem für Auto- gung des Werkstattbetriebes. Im Seite auf die Johanneskirche, die elf schreibt Robert Boschs Biograph

26 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 27 Von links nach rechts: Robert Bosch aus einem Portrait des Jahres 1888. Der schlichte Anzug ist für den jungen Unternehmer ebenso typisch wie der breitkrempige Hut und der Vollbart. Anna Kayser stammte aus dem nahe gelegenen Untertürkheim. Bosch und sie hatten sich schon 1885 brieflich verlobt, die Hochzeit folgte 1887. Die Kinder Paula, Robert und Margarete (v.l.n.r.) im Jahr 1896. Als sie zur Welt kamen, befand sich die kleine Werkstatt des Vaters noch in der schwierigen Anfangsphase. Jahre zuvor fertig gestellt worden war und an einem idyllischen See lag, dem als Löschteich angelegten Feuersee. Die Umgebung der Werkstätte war von drei- bis vierstöckigen Wohnhäusern an den Straßen und Handwerksbetrieben in den Hinterhäusern geprägt. Es war eine geschäftige, überschaubare Welt mit Dutzenden kleiner aufstrebender Betriebe, ähnlich der Werkstatt von Robert Bosch. Der junge Unternehmer scheute von Anfang an keine Investition, wenn sie sich langfristig zu lohnen versprach. Beispielsweise schaffte er sich ein Telefon für eine Jahresmiete von 150 Mark an. Zum Vergleich: Ein gelernter Arbeiter verdiente bei Bosch rund 80 Mark im Monat. Ein Auftrag wie jeder andere Als Robert Bosch im Sommer 1887 den Auftrag erhielt, für einen Kunden einen Magnetzündapparat zu bauen, der an einem stationären Motor für die Entzündung des Kraftstoffs sorgen sollte, war das eigentlich ein Auftrag wie jeder andere. Bosch hatte noch kein klar umgrenztes Aufgabengebiet: Er installierte, reparierte, führte Wartungen und Inspektionen durch und baute Geräte ganz nach Kundenwunsch. Unter einer Voraussetzung: Es mussten Erzeugnisse der Feinmechanik oder Elektrotechnik sein. In einer Zeitungsanzeige im Februar 1887 beschrieb Bosch sein Arbeitsgebiet so: Telephone, Haustelegraphen. Fachmännische Prüfung und Anlegung von Blitzableitern. Anlegung und Reparatur elektrischer Apparate sowie aller Arbeiten der Feinmechanik. Auftraggeber für den Magnetzündapparat war die Firma Schmehl & Hespelt aus dem württembergischen Möckmühl. Sie benötigte den Magnetzündapparat für einen jener Stationärmotoren, wie sie damals für den Antrieb von Drehbänken und anderen Fertigungseinrichtungen oder für die Erzeugung von Strom üblich waren. Diese Motoren waren weit verbreitet, und so versprach die Magnetzünderproduktion ein verlässliches Geschäftsfeld zu werden, spätestens dann, wenn sich die Zuverlässigkeit des Apparates von Bosch herumgesprochen hätte. Kleine Erfolge und Einbrüche Der Preis des ersten Apparates lag bei stolzen 216,50 Mark, und er blieb der Einzige, der 1887 produziert wurde. Doch nach und nach stellte sich bescheidener Erfolg ein: Vom Jahresumsatz von rund 9000 Mark entfiel 1889 schon rund ein Sechstel auf Fabrikationsartikel, mit denen die Magnetzündung in der Buchhaltung betitelt wurde. 1891 machten diese bereits rund 60 Prozent am Umsatz aus, der etwa 25500 Mark betrug. Das Produkt schien auf den ersten Blick betrachtet zum soliden Fundament des Unternehmens geworden zu sein. Trotzdem war der Geschäftsverlauf weiter von Höhen und Tiefen gekennzeichnet. Bosch hatte zwar einen Kundenstamm, doch die Auftragslage war einfach zu unstetig. 1892 musste er von den 24 Mitarbeitern zunächst alle bis auf zwei entlassen. Im Folgejahr konnte er zwar einen großen Teil von ihnen schon wieder beschäftigen. Dennoch musste das Unternehmen weiter ums Überleben kämpfen, und es ist sicherlich der Zähigkeit des Gründers zu verdanken, dass er trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgab. Über den Berg Als 1896 der tausendste Magnetzündapparat die Werkstatt verlassen hatte, feierte Bosch dies mit einem Ausflug in ein Lokal im Remstal. Jetzt endlich hatte Bosch die schwierigen Jahre überwunden, die ihn oft nahe an den Bankrott geführt hatten und die er selbst im Nachhinein ein böses Gewürge nannte. Dass es so kam, liegt interessanterweise nicht an der Magnetzündung für Stationärmotoren, sondern am wachsenden Installationsgeschäft. Die Magnetzündung, heute als erster großer Meilenstein von Bosch gefeiert, kam erst später wirklich zum Zug als Bosch sie 1897 erfolgreich im Automobil eingesetzt hatte. Denn von diesem Zeitpunkt an entwickelte sich alles ganz anders als bisher. Das Auf und Ab des Geschäftes gehörte nun der Vergangenheit an. Die Geschäfte gediehen so prächtig, dass Robert Bosch sich bereits 1901 eine Fabrik bauen lassen konnte. Und gut zehn Jahre später verließ die millionste Magnetzündung das Unternehmen mit seinen fast 5000 Mitarbeitern. Soweit wäre es jedoch ohne den kleinen Auftrag aus Möckmühl im Sommer 1887 vielleicht nie gekommen. // Dietrich Kuhlgatz Bild rechts: Die Anfänge von Robert Bosch waren sehr bescheiden, wie der Blick in den Hinterhof der Rotebühlstraße 75 B zeigt, in dem sich seine erste Werkstatt befand. Bild ganz rechts: Im Jahr 1896, als bei Bosch der tausendste Magnetzünder gefertigt war, lud der Chef zum Ausflug ein. Noch passten alle Mitarbeiter an einen Tisch.

28 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 29 100 Jahre Produktion in den USA Zündkerzen aus Springfield Bild Seite 29: Blick in die Werkzeugabteilung der neugebauten Fabrik in Springfield, 1912 Bild unten links: Außenansicht der Bosch Magneto Company in Springfield, 1912 Bild unten rechts: Fabrikleiter Karl Martell Wild machte das Springfielder Werk zur model factory. Das Bild zeigt ihn 1932. Mit dem Bau einer hochmodernen Fabrik fing alles an: Knapp drei Hektar brachliegendes Bauland fanden die ersten Bauarbeiter 1910 in Springfield im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts vor. Dort sollte auf vier Stockwerken die erste Fabrik der Bosch Magneto Company, der 1906 in New York gegründeten Tochtergesellschaft, entstehen. Mehr als 1000 Mitarbeiter begannen im Januar 1912 die ersten Magnetzündapparate dort zu fertigen. Nicht nur die Produktion entsprach neuesten Erkenntnissen, auch Beleuchtung und Belüftung waren vorbildlich. Die neue Fabrik war notwendig geworden, weil die deutschen Standorte die Nachfrage nicht mehr befriedigen konnten und um die hohen Schutzzölle zu umgehen. Gerade in den USA wollten immer mehr Kunden die Zündsysteme von Bosch haben. Zwar hatte die amerikanische Niederlassung, die Bosch Magneto Company, schon an ihrem New Yorker Standort eine bescheidene, kleine Produktion eingerichtet. Aber diese reichte bei Weitem nicht aus, um den schnell wachsenden nordamerikanischen Markt langfristig zu bedienen. Model factory Bei der Planung der Fabrik hatten sich die Verantwortlichen am Stuttgarter Bosch-Werk in Deutschland orientiert. Von dort kam der junge Diplomingenieur Karl Martell Wild nach Springfield, sozusagen als Projektleiter, um den Bau und die Einrichtung der Fabrik und anschließend deren Leitung zu übernehmen. Mit Erfolg, galt doch das Springfielder Werk bald als model factory in US-amerikanischen Fachkreisen. Im Laufe des Jahres 1913 verließen 226 000 Magnetzünder die Fabrik, bis 1916 stieg die Zahl der Mitarbeiter auf über 2000. Inzwischen wurden im Springfielder Werk auch Öler nach Feuerbacher Vorbild zusammengebaut. Mit der Markteinführung von Licht und Anlassern 1914 übernahm Bosch in den USA eine Fabrik zur Herstellung von Anlassern in Plainfield, New Jersey: die Rushmore Dynamo Works. Das Geschäft in Nordamerika lief für Bosch außerordentlich erfolgreich. Allerdings nur bis zum Jahr 1917, als die USA in den Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten eintraten. Bosch wurde in den USA unter Militärverwaltung gestellt und kurze Zeit später enteignet. Mit vereinten Kräften Der Bosch-Besitz in den USA und die Patente wurden Ende 1918 von einer Investorengruppe um den Geschäftsmann Martin E. Kern aufgekauft, die weiter unter dem Namen Bosch produzieren ließ. Für das ehemalige deutsche Mutterhaus eine wirtschaftliche Katastrophe. 1921 gründete Bosch eine neue Tochtergesellschaft in New York, die Robert Bosch Magneto Company. Im Laufe der 1920er Jahre trafen sich die Rechtsvertreter von American Bosch, wie die enteignete Firma nun hieß, und von Bosch aus Stuttgart mehrmals vor amerikanischen Gerichten. Es ging vor allem darum, wer den Namen Bosch wie nutzen durfte. Beide Parteien einigten sich im Oktober 1929 schließlich auf einen Vergleich. Wenige Tage später brach an der Wall Street die Börse zusammen und die Welt stürzte in eine der schwersten Wirtschaftskrisen der Geschichte. Die rapide fallenden Aktienkurse brachten auch American Bosch in große Schwierigkeiten. Bosch in Deutschland ergriff die Gelegenheit, und begann so lange Aktien aufzukaufen, bis dem deutschen Bosch 77 Prozent der Anteile an American Bosch gehörten. 1930 schlossen sich die American Bosch und die Robert Bosch Magneto Company zur United American Bosch Corporation zusammen. Damit war auch die Fabrik in Springfield, wo immer noch in großem Umfang produziert wurde, wieder im Besitz der ehemaligen Eigentümer.

30 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 31 48 Hektar großen Grundstück eine Fabrik, in der 1974 die Produktion von Dieseleinspritzsystemen mit etwa 300 Mitarbeitern anlief. Das Fertigungsprogramm wurde drei Jahre später um Einspritzventile für die elektronisch gesteuerte Benzineinspritzung erweitert. Millionen-Investition in Charleston Für das kommende Jahrzehnt gab der Vorsitzende der Geschäftsführung, Hans L. Merkle, die Devise aus, den Umsatz in den USA erheblich zu steigern. 1981 liefen die ersten in den USA produzierten Bosch-Elektrowerkzeuge in New Bern, North Carolina, vom Band. In Farmington Hills bei Detroit entstand 1983 ein Applikationszentrum und im selben Jahr gelang es Bosch schließlich nach fast 40 Jahren die enteigneten Markenrechte zurück zu kaufen. Drei Jahre später investierte Bosch erneut in South Carolina. In Anderson errichtete Bosch ein Werk zur Herstellung von Komponenten für die Benzineinspritzung. In den folgenden Jahren baute Bosch durch zahlreiche Zukäufe seine Kapazität auch an anderen Standorten in den USA erheblich aus. Insgesamt hat Bosch heute in Nordamerika mehr als 22000 Mitarbeiter an über 100 Standorten. 2011 kündigte die Regionalgesellschaft an, in den folgenden fünf Jahren 125 Millionen Dollar in den Standort Charleston zu investieren und dort 300 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und wieder wird eine hochmoderne Bosch-Fertigungsstätte in den USA entstehen wie bereits vor 100 Jahren. // Christine Siegel Bild Seite 30: Mitarbeiter der Robert Bosch Corporation bei der Einstellung von Benzineinspritzpumpen in Broadview/Illinois, 1986 Die Produktion boomte, doch der Zweite Weltkrieg beendete diese Entwicklung jäh. Wieder wurde der Bosch-Besitz in den USA samt Patenten und Namensrechten enteignet und 1948 verkauft. Eine Klausel im Kaufvertrag stellte sicher, dass nur ein US-amerikanischer Investor Anteile an der American Bosch Corporation kaufen könnte. Damit gab es für das Stuttgarter Mutterhaus keine Möglichkeit mehr, das Werk in Springfield jemals wieder zurückzubekommen. Es wurde noch viele Jahrzehnte als Produktionsstätte von anderen Firmen genutzt und brannte 2004 fast vollständig nieder. Zwei Stücke aus dem Mauerwerk der Springfielder Fabrik, auf denen noch die alten Markenzeichen von Bosch zu sehen sind, stehen heute zur Erinnerung vor den Gebäuden der US-amerikanischen Bosch-Regionalgesellschaft in Farmington Hills und Plymouth, Michigan. Dieselkomponenten aus South Carolina Doch Bosch ließ sich in den USA auch durch den zweiten Rückschlag nicht entmutigen. Der Neubeginn nach 1945 gestaltete sich jedoch schwierig. Zunächst musste erneut die Namensfrage geklärt werden. In langwierigen Prozessen erreichte Bosch, dass die eigenen, außerhalb der USA hergestellten Produkte beim Verkauf in den USA den Zusatz Bosch Germany oder Robert Bosch tragen sollten die Produkte der enteigneten Firma hingegen American Bosch. Nach Abschluss des Vergleichs ließ sich Bosch 1953 mit einer kleinen Vertretung in New York wieder in den USA nieder. Die neue Robert Bosch Corporation agierte zunächst in bescheidenem Umfang. In den 1960er Jahren verlegte sie ihren Sitz nach Broadview in der Nähe von Chicago. Dort stand in unmittelbarer Nähe zu den großen US-amerikanischen Landmaschinenherstellern ein größeres Gelände zur Verfügung. Neben Vertrieb und Applikation führten Ingenieure vor Ort auch Versuchsreihen mit Dieselausrüstung durch. Man wollte besonders im Erstausrüstungsgeschäft bei Dieselnutzfahrzeugen Marktanteile gewinnen. Nur wenige Jahre später, 1973, folgte ein nächster Schritt in diese Richtung. Am Rand von Charleston, South Carolina, entstand auf einem Mitarbeiter in einem Werk von Bosch Thermotechnology in Fort Lauterdale in Florida, wo Elektrowärmepumpen hergestellt werden

32 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 33 Abfüllanlage für die gekühlte Milch auf dem Boschhof, 1930 Deckblatt einer Milchwerbung vom Boschhof, 1936 100 Jahre Boschhof Vom Torf zur Milch Im Jahre 1912 kaufte ich in Ober- einen direkten Gleisanschluss und Die beste Kuh steht in Stuttgart bayern Torfmoore und Bauernhöfe. wurde zum Logistikzentrum mit eige- Trotz eigener Verkaufsstellen im nahe- ( ) Die Moorflächen will ich entwäs- ner Molkerei, großen Werkstätten und gelegenen München und neuartigen sern und landwirtschaftlich nutzen, der Verwaltung. Anbaumethoden blieb der Boschhof ein Zuschussbetrieb finanziert schrieb Robert Bosch 1921 in seinen Erinnerungen. Eigentlich hatte er Auf einer Reise durch Argentinien durch die Erträge aus dem Industrie- geplant, Torf für die Brennstoff- 1921 lernte Robert Bosch die Silome- unternehmen. Die beste Kuh der herstellung zu gewinnen. Daraus thode kennen. Zurück in Deutschland Boschhöfe steht in Stuttgart das wurde allerdings nichts, denn das ließ er Siloanlagen bauen, mit denen soll damals ein geflügeltes Wort Verfahren war unausgereift und er die Grünfuttergewinnung nicht nur gewesen sein. Nach dem Tod von unwirtschaftlich. Doch das Land war auf seinem Bauernhof, sondern in der Robert Bosch 1942 führte dessen Robert Bosch ans Herz gewachsen. gesamten Region revolutionierte. Frau Margarete den Hof noch lange Sein Ehrgeiz war geweckt, und so Außerdem begann Robert Bosch, die mit verschiedenen Verwaltern weiter. beschloss er, im oberbayrischen Moore trocken zu legen und dehnte Die Landwirtschaft wurde wiederholt Mooseurach ein landwirtschaftliches so die landwirtschaftliche Nutzfläche verkleinert, 1976 ganz aufgegeben. Mustergut aufzubauen. Die Prinzipien aus. Große Obstgärten wurden an- Die Waldwirtschaft blieb bestehen. seiner industriellen Tätigkeit sollten gelegt, eine Gemüsegärtnerei und auch in der Landwirtschaft umgesetzt eine moderne Geflügelzucht. Bei der Seit 1986 werden die dem Moor werden. Robert Bosch wollte mit Schädlingsbekämpfung setzte der abgerungenen Flächen renaturiert. dem Einsatz moderner Techniken Boschhof auf ein natürliches Ver- Christof Bosch, Enkel von Robert hochwertige Agrarprodukte erzeugen fahren damit konnte sich dort ein Bosch und promovierter Forstwirt, und regional vermarkten: Damals Vogelparadies entfalten. betreibt heute wieder eine kleine ökologische Landwirtschaft. Ein schien es mir eine Grosstat, aus Luftbild des Boschhofes, 1935 einem Sumpfe ein Land zu machen, Anfang der 1930er Jahre arbeiteten Vogelparadies ist der Boschhof auf dem Milch und Honig flösse, insgesamt 300 Menschen auf dem geblieben. Denn dort sind immer so Robert Bosch 1921. Hof. Wie in seinem Industrieunter- noch seltene Vogelarten wie der nehmen legte Robert Bosch auch in Schwarzstorch und das Schwarz- Milchwirtschaft und Obstgärten der Landwirtschaft Wert auf gute kehlchen zuhause. So entstand der Boschhof ein Arbeitsbedingungen. Er errichtete Zusammenschluss von sieben ehe- beispielsweise in Mooseurach Wohn- mals selbstständigen Bauernhöfen. häuser für seine Beschäftigten. Aber Die Torfverwertungsanlage hatte auch für sich und seine eigene Familie baute Robert Bosch ein Haus. // Dr. Kathrin Fastnacht

34 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 35 75 Jahre Gesellschaft mit beschränkter Haftung Garant für Stabilität und Erfolg Gesellschaftern. Robert Bosch wollte aber den Einfluss als Eigentümer und Vorsitzender des Aufsichtsrats für sich und seine Familie erhalten. Dies war aber nur der erste Schritt, der nächste folgte ein Jahr später. 1938 verfasste er sein Testament. Seine obersten Prinzipien waren neben der langfristigen Sicherung des Unternehmens und dessen Entwicklungsmöglichkeiten auch die dauerhafte Verbindung von Boschs Nachkommen mit der Firma und die Verwendung von Teilen der erwirtschafteten Erträge für das Gemeinwohl. Er wünschte sich von Herzen, seinem Unternehmen nicht bloß das Leben zu erhalten, sondern ihm auch über die unausbleiblichen Schwierigkeiten und Krisen der Zukunft eine kraftvolle und reiche Entwicklung zu sichern. Unabhängig und erfolgreich Die Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat sich als ein Garant für die Stabilität und den Erfolg des Unternehmens erwiesen. Ein weiterer folgte 1964. Seither ist Bosch mehrheitlich im Besitz der gemeinnützigen Robert Bosch Stiftung. Die Stimmrechte aber liegen zu 93 Prozent bei der Robert Bosch Industrietreuhand KG, die damit die unternehmerische Gesellschafterfunktion ausübt. Dank dieser besonderen gesellschaftsrechtlichen Struktur konnte und kann die Robert Bosch GmbH auch in Wirtschaftskrisen unbeeinflusst von eher kurzfristigen Interessen des Kapitalmarkts und von Aktionären langfristiger planen als andere und in die Zukunft investieren. // Dieter Schmitt Was ist eine GmbH? Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist eine in Deutschland sehr verbreitete Rechtsform für Unternehmen. Der Name weist darauf hin, dass für Verbindlichkeiten die Haftung auf das Vermögen der Gesellschaft beschränkt ist und die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem eigenen Vermögen dafür haften. Bild S. 34: Schwäbisch sparsam: Das Briefpapier wurde 1937 nur ergänzt. Bild unten: Das Portal der Zentrale der Robert Bosch AG war ein beliebter Ort für Erinnerungsfotos, wie für Atlantikflieger Hermann Köhl, 1928. Schade, dass es keine Bosch-Aktien gibt. Wir würden welche kaufen. So schrieb Boris Schmidt, Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Juni 2011. Bosch hatte sich nach der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise unerwartet schnell erholt. Dies überzeugte den Kommentator so sehr, dass er und seine Kollegen sich gerne daran beteiligt hätten. Allerdings gibt es keine Bosch-Aktien zu kaufen, denn das Unternehmen ist schon lange eine GmbH, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Zeit als Aktiengesellschaft Als Robert Bosch 1937 die Umwandlung in eine GmbH beschloss, hatte er verschiedene Gründe dafür. Zum einen war er gerade 76 Jahre alt geworden und die Frage, wie das Unternehmen nach seinem Tod fortgeführt werden sollte, beschäftigte ihn schon lange. Bereits 1917 schien er eine Lösung gefunden zu haben: die Umwandlung seines Unternehmens in eine Aktiengesellschaft. Robert Bosch beteiligte seine wichtigsten Mitarbeiter am Unternehmen und wollte ihnen nach seinem Tod auch die Mehrheit der Aktien einräumen. So sollte das Unternehmen in den Händen von Männern bleiben, die damit eng verbunden waren und sich dem langfristigen Erfolg verpflichtet fühlten. Doch es kam anders als gedacht. Einige Vorstände und Aktionäre starben unerwartet früh, wie beispielsweise Gottlob Honold. Obwohl die Aktien nicht an der Börse gehandelt wurden und nicht frei verkäuflich waren, sah Robert Bosch die Papiere nun in den Händen von firmenfremden Erben der verstorbenen Vorstände. Die 1917 getroffene Entscheidung zur Umwandlung bereitete ihm deshalb mehr Probleme als sie löste. Im Rückblick beurteilte Robert Bosch die Gründung der Aktiengesellschaft als eine der folgenschwersten Entscheidungen seines Lebens. GmbH statt AG Deshalb kaufte er in den 1920er und 30er Jahren schrittweise alle Aktien wieder zurück. Die Änderung des deutschen Aktienrechts 1937 veranlasste ihn schließlich noch im selben Jahr auch die Rechtsform zu ändern. Rechtlich war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung leichter zu führen als eine Aktiengesellschaft. Die Regeln beispielsweise für die Fassung von Beschlüssen der Eigentümer und zur Veröffentlichung von Geschäftszahlen waren weniger strikt als bei Aktiengesellschaften. Das neue Aktienrecht stärkte außerdem die Stellung des Vorstands einer Aktiengesellschaft gegenüber ihren

36 Magazin zur Bosch-Geschichte Zeitpunkte 37 Vor 50 Jahren Der Eis-Fix erobert Herzen und Haushalte Bild links: Aus Reinaluminium. Handlich, robust und leicht zu pflegen. Bild rechts: Der Eis-Fix passt mit seinen ausgeklügelten Maßen in jedes Gefrierfach. Der Bosch Eis-Fix ein beliebtes und willkommenes Geschenk 1962 kam er mit seinem futuristischen Design auf den Markt: der handliche Eis-Fix, mit dem man köstliches Eis schneller und einfacher selbst zubereiten konnte. Un gelato per favore Mit dem neuen Speiseeisbereiter von Bosch, dem Eis-Fix, zog ein wenig südländisches dolce vita ins Heim. Mit diesem konnte die Hausfrau ganz ohne Anstrengung in kürzester Zeit zartes, cremiges Eis selbst zubereiten und mühelos ihre Familie verwöhnen oder Freunde mit ihrer selbstgemachten Köstlichkeit beeindrucken. Und gerade an heißen Sommertagen, wenn Freibäder und Eisdielen überfüllt waren, erfrischte man sich am besten im kühlen Zuhause oder auf Balkon und Terrasse mit einem selbstgemachten Eis. Der flache runde Behälter aus Reinaluminium schimmerte silbrig mattglänzend und vermittelte schon optisch Kühle und Modernität. Mit einem Durchmesser von 223 mm und einer Höhe von 85 mm passte er in das Gefrierfach der meisten Kühlschränke. Der Eis-Fix rührte, anders als bei den bisher üblichen Geräten, ohne weitere Zutaten die Eismasse. Die flüssige Masse für das Eis damals wie heute stehen eine Reihe verführerischer Rezepte zur Auswahl wurde in den Rührbehälter gegossen, der Deckel darauf gesetzt und das Ganze in das Gefrierfach des Kühlschranks gestellt. Etwas abenteuerlicher war die Stromversorgung. Das Kabel des Geräts wurde durch die Dichtung des Kühlschranks nach außen geführt und in die Steckdose gesteckt. Der Eis-Fix rührte nun solange, bis das Eis fertig war. Nach etwa einer halben Stunde konnte das Eis dem Gefrierfach entnommen werden. Bis zu einem dreiviertel Liter Speiseeis zauberte das Gerät: genug für die Familie oder liebe Freunde. Von der luxuriösen Delikatesse zum Massenprodukt Speiseeis selbst gab es vermutlich schon im alten China und auch in der griechischen und römischen Antike. Gletscherschnee, von Läufern an die königlichen Höfe gebracht, wurde damals mit Honig und Früchten vermischt und galt als luxuriöse Delikatesse. Viel später, erst im 13. Jahrhundert, brachte Marco Polo das Geheimnis von China nach Europa: Mit Hilfe der kühlenden Wirkung der Reaktionen von Wasser oder Schnee mit Salpeter der sogenannten Kältemischung konnten nun Fruchtsäfte oder Süßigkeiten als Gefrorenes auf die höfischen Tafeln gebracht werden. Spätestens ab dem 17. Jahrhundert wurde Speiseeis in europäischen Kaffeehäusern angeboten und begeistert von den Gästen aufgenommen. Eismaschinen, die bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden wurden, sich aber noch immer der Kältemischung bedienten, mussten mit einer Handkurbel betrieben werden. Der Rührvorgang war deshalb so wichtig, weil damit feine Luftbläschen in die Eismasse gelangten und dadurch die Bildung großer Eiskristalle verhinderten. Nur so konnte Eis zart und cremig werden. Das Prinzip der Speiseeisherstellung Mischen, Rühren, Kühlen blieb also über die Jahrhunderte unverändert. Auch der Eisbereiter-Zusatz der Bosch-Küchenmaschine Neuzeit I nutzte seit den 1950er Jahren die durch die Mischung von Eiswürfeln und Salz entstehende Kälte, setzte aber die Bevorratung von Eiswürfeln voraus. Viel einfacher war nun die Eisbereitung mit dem Eis-Fix, der weder Salz noch Eiswürfel benötigte. Erst die neue Technik des Bosch- Eisbereiters MUZ, dem Zusatz der Küchenmaschine MUM 4, ließ Ende der 1970er Jahre den Eis-Fix überflüssig werden: Zwischen den doppelten Wänden der Rührschüssel befindet sich Gefrierflüssigkeit. Wenn diese im Gefrierfach durchgekühlt wird, kann Speiseeis frisch in der Küchenmaschine zubereitet werden. Für viele Jahre war der Eis-Fix in vielen Haushalten ein beliebtes Haushaltsgerät und begehrtes Geschenk. // Angelika Merkle Vanille-Eis Original-Rezept aus den Bedienungshinweisen 1962: 2 Eigelb, 70 g Zucker, das Ausgelöste einer viertel Vanilleschote oder 1 Vanillezucker, 1/8 l Milch oder 1/8 l Sahne. Ei, Zucker und Vanillezucker schaumig rühren, Milch oder Sahne dazugeben, gut umrühren, gleich in den Eis-Fix füllen und gefrieren lassen.

38 Magazin zur Bosch-Geschichte Ein Bild und seine Geschichte 39 Ein Bild und seine Geschichte Aufbruch nach Afrika Bild links: Messe in Nigeria 1974: Jeder Teilnehmer suchte sich einen freien Platz und präsentierte seine Produkte direkt im Wüstensand, so auch Bosch. Bild rechts: Bei der Automechanika in Johannesburg erhielt Bosch den Platinum Award für den besten Stand 2011. Am besten, Herr Noetzel, wir hören nix von Ihnen, dann wissen wir, dass es gut geht! Mit diesem Vertrauensvorschuss schickte Bosch Klaus Noetzel 1970 auf die Reise nach Ghana. Der Mann sollte die Service-Station des Bosch-Vertreters in Accra auf Vordermann bringen. Diese Werkstatt führte dort seinerzeit die Briscoe Motors Dept. neben vielen anderen Geschäften. Noetzel konnte den Eigentümer zur Trennung von Bosch bewegen. Er machte sich sogleich daran, eine neue Werkstatt zu bauen. Auch auf Automobilmessen präsentierte er Bosch, etwa 1974 in Accra. Diese Messe war eine der ersten Autoshows in Ghana überhaupt. Entsprechend waren für die Präsentation der Produkte Kreativität und Improvisation gefragt. Eine Herausforderung, die Klaus Noetzel und seine Mitarbeiter mit Elan annahmen. Die Idee war schnell gefunden: Eine Art Auto sollte es sein, um die Bosch-Produkte an Ort und Stelle zu präsentieren. In nur einer Sitzung entwarf Noetzel mit seiner Mannschaft ein komplett aus Sperrholzplatten zusammengebautes Auto, lediglich mit einer Windschutzscheibe aus Plexiglas. Alles war in den damaligen Bosch-Farben Gelb und Rot lackiert. Am Holzauto konnten Klaus Noetzel und sein Team nun Bosch-Produkte zeigen. Sie waren mit dem Ergebnis sichtlich zufrieden und hatten keinen Grund, nach Stuttgart Meldung zu machen Was schon 1906 mit einer Vertretung in Johannesburg begann, die Präsenz von Bosch in Afrika, verlangte also noch Jahrzehnte danach viel Improvisation. Heute gibt es eine Regionalgesellschaft in Südafrika, Niederlassungen in Marokko und Ägypten sowie auf dem ganzen Kontinent mehr als 200 Bosch Service-Werkstätten. // Vera Dendler Aus dem richtigen Holz geschnitzt: Nicht ohne eine gehörige Portion Stolz präsentieren Klaus Noetzel (rechts) und seine Verkaufsmänner Mr. Brown (links) und Mr. Oppong (Mitte) ihr selbst entworfenes Bosch-Auto in Accra 1974.