Inhalt 1. Porträt des Investors als junger Mann... 11 2. Ein Argloser im Ausland... 25 3. Auf eigene Faust... 43 4. Wie man die Baisse besiegt... 59 5. Der Investment-Biker... 79 6. Der Aufstieg der Rohstoffe... 99 7. Daheim am Hudson... 113 8. Die größte Schuldnernation der Geschichte... 121 9.»Kapitalismus ohne Bankrotte ist wie Christentum ohne Hölle«... 133 10. Die Reise in den Osten... 145 11. Nationen von Einwanderern... 163 12. Land of the Free?... 177 13. Die Krise des Papiergelds... 189
14. Niemand hat jemals die Gesetze von Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt... 205 15. Die Sonne geht im Osten auf... 219 16. Kreative Zerstörung... 233 Danksagung... 249
3. Auf eigene Faust 1966 entkam in Marengo County niemand der Einberufung. Das Einberufungsbüro bestand nur aus einer Dame, deren beide Söhne man seinerzeit ebenfalls für den Militärdienst rekrutiert hatte. Beide waren gefallen, allerdings schon in früheren Kriegen als dem, der damals gerade in Vietnam stattfand. Ich war strikt gegen diesen Krieg, und das hätte man eigentlich auch von der Dame erwarten können, aber ihr Opfer hatte ihre Unterstützung dieses Konflikts eher verstärkt als geschwächt. Ehe ich an die Wall Street gehen konnte, musste ich zwei Jahre Wehrdienst ableisten. Als ich mich an der Offiziersschule einschrieb, durfte ich meine Einheit wählen; ich entschied mich für das Quartermaster Corps, die Nachschubabteilung der Armee. Nach der Grundausbildung schickte man mich an eine Schule in Fort Lee, Virginia. Lois promovierte damals an der Columbia University, und so oft wie möglich kam sie aus New York nach Virginia, um bei mir zu sein. Nachdem ich die Offiziersschule als Bester meiner Klasse abgeschlossen hatte, konnte ich mir meine Stationierung aussuchen, und den einzigen verfügbaren Quartiermeister-Posten in New York, wohin ich versetzt werden wollte, gab es in Fort Hamilton in Brooklyn. Ich erhielt ihn und wurde dort stationiert, wo ich, zusammen mit einem anderen jungen Leutnant, den Offiziersklub managte. In einem Gespräch mit meinem Kommandanten sagte ich ihm, ich würde nach meiner Militärzeit an die Wall Street gehen. Das war 1968, und die Aktienkurse gingen durch die Decke. Überall prahlten die Leute damit, wie viel Geld sie an der Börse verdienten. Daher bat mich mein Kommandant, ihm bei seinen Investitionen zu helfen, und ich war einverstan- 43
Die Wall Street ist auch nur eine Straße den. Ich glaubte zu wissen, was ich tat. Zum Glück verlor ich sein Geld nicht, sondern erzielte sogar kleine Gewinne. Als ich die Armee im August 1968 verließ, hatte ich seine Investitionen und die Gewinne in bar zurückgezahlt. Ich weiß nicht, was er danach mit dem Geld machte. Ende 1968 erreichte die Hausse ihren Höhepunkt, dann brach die Wall Street zusammen und es folgte eine lange Baissephase. Aber ich hatte ihn in guter Form zurückgelassen. ICH KAM AM BEGINN EINES JAHRZEHNTS an die Wall Street, das sich als eines der trostlosesten der gesamten Börsengeschichte erweisen sollte. Der Zusammenbruch des Dow 1970 war der schlimmste seit den 1930er-Jahren. Ich arbeitete einige Jahre als Analyst für drei verschiedene Firmen, bevor ich in diesem Jahr eine Anstellung bei Arnhold and S. Bleichroeder erhielt, einer alten deutsch-jüdischen Investmentfirma höchsten Kalibers. (Gerson Bleichröder war der Bankier Bismarcks gewesen.) Nach dem Aufstieg der Nazis hatte die Firma ihre Geschäfte 1937 nach New York City verlagert. Und dort, in diesem kleinen, von der Familie geleiteten Büro, breitete ich wirklich meine Schwingen aus. Das Schöne und Aufregende an der Wall Street ist, dass sich die Dinge ständig verändern. Man muss den Entwicklungen voraus sein. Die Action hört niemals auf. Das ist wie ein vierdimensionales Puzzle, gebunden an Umsatz und Zeit. Jeden Tag kommt man ins Büro und stellt fest, dass sich viel verändert hat. Jemand stirbt, es gibt einen Streik oder einen Krieg oder die Wetterlage ist eine andere. In jedem Fall ändert sich das Umfeld. Beim Investieren hat man nicht den festen Rhythmus wie bei anderen Arbeiten, und daher wird man ständig geprüft. Wenn man ein Auto entwirft, gibt es einen prognostizierbaren Zeitrahmen, in dem man das Auto produziert und verkauft; der Markt wird es entweder akzeptieren oder ablehnen, aber zumindest hat das Projekt eine bestimmte Lebensdauer. Beim Investieren bewegt sich alles immer weiter, und das macht es zu einer kontinuierlichen, ständi- 44
Auf eigene Faust gen Herausforderung ein Spiel, eine Schlacht nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich liebte es in jeder einzelnen Minute. Ich war in meinem Element. Und ich arbeitete die ganze Zeit, manchmal sieben Tage pro Woche. Ich weiß noch, dass ich mir manchmal wünschte, der Aktienmarkt würde am Wochenende nicht schließen so sehr liebte ich ihn. Ich weiß noch, dass ich in einer einzigen Woche zehn Unternehmen in zehn verschiedenen Städten besuchte. Mir konnte das gar nicht lange genug dauern. Verständlicherweise war Lois gar nicht glücklich darüber, wie viel ich arbeitete. Während ich 15 Stunden pro Tag im Büro verbrachte, nahm sie an den Studentendemonstrationen auf dem Campus der Columbia University teil, wo die Wall Street in schlechtem Ruf stand. Sie verstand diesen verrückten, getriebenen ehrgeizigen Jungen nicht, der dort sein Vermögen machen wollte. Als ich bei Bleichroeder anfing, waren wir schon geschieden. (Lois und viele ihrer Kommilitonen lernten erst nach dem Abgang von der Universität das wirkliche Leben kennen. Weder ihre Eltern noch ihr 40-jähriger Bruder wollten nach ihrem Uni-Abschluss für ihren Autokredit bürgen. Also fragte sie mich. Ich lehnte ebenfalls ab.) Viereinhalb Jahre später heiratete ich erneut, und wegen meiner einseitigen Konzentration auf die Arbeit hielt auch diese Ehe nicht lange. Ich bin nicht besonders stolz darauf, aber tiefe menschliche Beziehungen waren nie meine Stärke. Ich war 57, als ich Paige heiratete, und erst von da an konnte ich wirklich mit einer Frau zusammenbleiben. Ständig begannen Beziehungen und endeten wieder, darunter auch meine ersten beiden Ehen. Paige ist sicher ein besonderer Mensch, weil sie es mit mir aushalten konnte und immer noch kann. Ich bin einer von fünf Brüdern wir haben keine Schwestern, und mit einer Ausnahme haben wir alle mindestens eine Scheidung hinter uns. Wenn ich mit meinen Brüdern rede, habe ich das Gefühl, dass keiner von uns von den Eltern beraten wurde, wie man mit dem anderen Geschlecht umgeht. Und ich glaube auch nicht, dass mein Vater oder meine Mutter gewusst hätten, was sie uns sagen sollten, wenn wir sie danach 45
Die Wall Street ist auch nur eine Straße gefragt hätten. Beide waren knapp über 20, als sie heirateten, und besaßen nicht viel Erfahrung, was Beziehungen betraf. Da ich die Mängel meiner eigenen Erziehung kenne zu Selbsterkenntnis gelangte ich erst spät in meinem Leben, hoffe ich, es bei meinen Töchtern besser zu machen. Alle Eltern müssen ihren Kindern die Grundlagen von Beziehungen mit dem anderen Geschlecht beibringen. Wenn die Mädchen älter werden, hoffe ich, ihnen meine Einsichten und Ratschläge vermitteln zu können. Ich möchte ihnen den Nutzen meiner Erfahrungen weitergeben, nachdem ich vieles auf die harte Art und Weise lernen musste. Harte Arbeit ist eine Grundvoraussetzung an der Wall Street. Aber nur wenige haben Erfolg. In den Haussejahren verdienen viele Leute viel Geld, aber es ist schwieriger, das auch unter normalen Voraussetzungen zu schaffen und während einer Baisse fällt es noch schwerer. Die meisten Leute fliegen aus diesem Geschäft heraus. Beharrlichkeit und Ausdauer sind absolut überlebensnotwendig, aber das Urteilsvermögen ist ebenso wichtig. Um an der Wall Street Erfolg zu haben, muss man extrem neugierig sein. Wer weiß schon, was unter einem Felsbrocken hervorkriechen wird, wenn man ihn anhebt, und was daraus werden kann? Außerdem muss man skeptisch sein. Das meiste, was man Ihnen erzählt, wenn Sie diesen Felsbrocken angehoben haben, trifft nicht zu und ist das Ergebnis eines Mangels an Wissen oder verzerrter Informationen, sei es seitens der Regierung, einer Firma oder eines Individuums. Man kann nicht jedem alles glauben. Man muss alles selbst nachprüfen und beweisen. Man muss jede Quelle anzapfen. Hundert Leute können einen Raum betreten und gleichzeitig dieselben Informationen hören, aber nur 3 oder 4 Prozent von ihnen werden wieder herauskommen und zum richtigen Urteil gelangen. Als ich an der Wall Street anfing, investierten nur sehr wenige Leute in Aktien. Noch in den 1960er-Jahren steckten Privatanleger und institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und Stiftungen ihr Geld hauptsächlich in Anleihen. (Währungen und Rohstoffe? Kaum jemand an der Wall Street konn- 46
Auf eigene Faust te diese Wörter auch nur buchstabieren.) Ende der 1960er-Jahre gab die Ford Foundation eine Studie in Auftrag, die zu dem Ergebnis kam,»stammaktien«seien vernünftige Investments, denn die Kombination von Dividenden und Kapitalgewinnen mache sie ebenso attraktiv wie Anleihen. Eine neue Welt tat sich auf, als Investoren an den Markt gingen und aufgrund dieser Erkenntnisse agierten dank der Glaubwürdigkeit der Ford Foundation. Für die MBAs von heute ist es unfassbar, dass Stammaktien noch vor wenigen Jahrzehnten als ungewöhnliche Investments galten. Aber erst nach Beginn der großen Hausse in den 1980er-Jahren kam es zu wirklich bedeutenden Veränderungen. Heute halten die meisten großen Institutionen den größten Teil ihrer Investitionen in Aktien. Als ich 1964 anfing, war es an der New York Stock Exchange ein großer Tag, wenn drei Millionen Aktien umgesetzt wurden. Dieses Volumen entspricht heute einem einzigen Trade. Drei Millionen Aktien werden oft schon vor dem Frühstück umgesetzt, also bevor der offizielle Börsenhandel überhaupt begonnen hat. Heute liegen die Umsätze bei ungefähr fünf Milliarden Aktien pro Woche, hinzu kommen weitere etwa fünf Milliarden an der NASDAQ. Damals kannte man nur die an der New York Stock Exchange gelisteten Aktien, wenn man überhaupt etwas über Aktien wusste. Nur wenige Amerikaner investierten im Ausland. Infolge des Zweiten Weltkriegs war ein großer Teil der Welt zerstört, und die Menschen in den USA, dem einen reichen und mächtigen Land, hatten noch nicht angefangen, im Ausland nach Anlagechancen zu suchen. Diese beschränkte Sichtweise hatte mehrere Ursachen, aber nichts schreckte wirksamer von solchen Investitionen ab als die Devisenkontrollen, die es damals auch in den USA gab. 1962, als die deutsche Wirtschaft wuchs, Japan autarker wurde und die wirtschaftliche Lage in anderen Ländern sich besserte, verließen viele Dollars die USA. Wir importierten immer mehr Güter aus dem Ausland, und plötzlich gab es ein Problem mit der Handelsbilanz. Daher sah sich der Kongress 1963 in seiner (fehlenden) Weisheit veranlasst, so etwas wie das Zins ausgleichsgesetz zu verabschieden, eine 15-prozentige Steuer auf je- 47