Im Besitz der Erkenntnis?



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Transkript:

Prof. Dr. Matthias Schwarz Mathematisches Institut Im Besitz der Erkenntnis? Gedanken zu Urheberschaft und Open Access Kann man Erkenntnis besitzen? Für einen Wissenschaftler, Gelehrten und Lehrenden ist es die Aufgabe, Erkenntnis zu erwerben und weiterzugeben. Aber gibt es in diesem Zusammenhang Besitzverhältnisse? Es ist ein alter Topos der Menschheitserzählungen, dass der Erwerb von Erkenntnis für die Menschen mit einem Diebstahl verbunden war. Nicht nur in dem Sündenfall der Genesis war Erkenntnis durch ein Verbot geschützt. Auch in der griechischen Mythologie wird Prometheus bitter dafür bestraft, den Menschen durch die Weitergabe des Feuers, auch als Metapher für die Erkenntnis, aus der Unmündigkeit geholfen zu haben. Was bedeutet Diebstahl von Erkenntnis in der heutigen Welt? Wie müsste man das siebte Gebot des Dekalogs für einen Wissenschaftler formulieren, vielleicht: Du sollst korrekt zitieren? Um es ganz konkret auf meine eigene Situation als Mathematiker zuzuspitzen: Kann ich ein Theorem stehlen? Sicherlich es möglich, einem wissenschaftlichen Kollegen die Idee zu der Lösung eines Problems zu stehlen, die Idee zu einem Beweis einer weit bekannten Vermutung zum Beispiel, bevor dieser Gelegenheit oder Zeit hatte, diese unter seinem eigenen Namen zu veröffentlichen. Die Frage läuft offenbar auf die Publikation hinaus, die Bekannt- und Allgemeinmachung von Erkenntnis, der Verwendbarmachung für andere. Zu den zentralen Aufgaben einer Universität gehört die Vermehrung, Pflege und Bewahrung sowie die Weitergabe und Lehre von Wissen und Erkenntnis. All dies kann nicht ohne die schriftliche Fixierung und Verbreitung stattfinden. Das bekannte Gleichnis des Frühscholastikers Bernhard von Chartres, wir seien Zwerge auf den Schultern von Riesen, also der

wissenschaftliche Erkenntnis-Fortschritt aufbauend auf der Vorarbeit der Vorgänger, kann nicht ohne die Weitergabe von Erkenntnis durch Publikation wirken. Dennoch bestehen die Triebkräfte der Forschers und Gelehrten nicht nur in selbstloser Hingabe zum Wohle der Allgemeinheit, oder in ganz und gar uneigennütziger Neugier und faustisch rastlosem Wissensdurst. Jedem Wissenschaftler ist, wenn auch in unterschiedlichem Maße, Eitelkeit, Geltungsbedürfnis und der Drang nach Selbstdarstellung zu eigen, ganz zu schweigen natürlich von dem modernen Existenzdruck des Publish or Perish. Hier gilt es neben dem hehren Ziel der Verbreitung und Weitergabe von Wissen auch an den Schutz von Rechten zu denken: Wie sieht es aus mit Urheberrechten, Zugangsrechten, vielleicht sogar Besitzrechte und konkret Nutzungs-, oder Patentrechte? Ein Besitz an einem mathematischen Theorem ist offenbar absurd. Man könnte ihn ja versuchen dadurch zu sichern, dass man sein Resultat geheim hält und nicht veröffentlicht. Doch kann dies natürlich nicht andere davon abhalten, von selbst zu derselben Erkenntnis zu gelangen. Ich traf einmal in einer Runde illustrer englischer Mathematiker auf einen Kollegen in einem fortgeschrittenen akademischen Alter, welcher kurz zuvor seine Arbeit als Mathematiker im Auftrag des britischen Geheimdienstes beendet hatte. Auf die Frage nach seiner Forschungsarbeit konnte er nur mit gewichtiger Miene antworten: "It's all classified!" Dies sei alles der Geheimhaltung unterworfen. Könnte man dies nicht sogar als tragisch ansehen? Ich wüsste gern, wieviel hervorragende mathematische Forschung in den Akten der diversen Geheimdienste: NSA usw. verschlossen ist. Was die Patentierung mathematischer Theorie anbetrifft, so ist unser Recht, siehe 1 Abs. 3.1 PatG, eindeutig: Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden werden nicht als Erfindungen angesehen und sind somit nicht patentfähig. Dennoch ist mir ein amerikanischer Kollege bekannt, der ein US-Patent

auf die Verwendung des wichtigen Uniformisierung-Theorems für bildgebende Verfahren in der Medizin hält. Es bleibt somit als zentrales Recht eines Wissenschaftlers das Urheberrecht. Unter diesen Begriff möchte ich auch die Praxis aus der Mathematik fassen, ein neues Theorem dem Mathematiker gewissermaßen zuzusprechen, welcher dieses als erster mit Beweis veröffentlicht hat. So ist zum Beispiel das genannte Uniformisierungs- Theorem auch bekannt als der Riemannsche Abbildungssatz, nach dem Mathematiker Bernhard Riemann (1826-1866). Ein bekannter Urheberstreit hatte zwischen Newton und Leibniz um die Entwicklung des Infinitesimal-Kalküls getobt, ich zitiere aus Wikipedia: Der englische Naturwissenschaftler Sir Isaac Newton hatte die Grundzüge der Infinitesimalrechnung bereits 1666 entwickelt. Jedoch veröffentlichte er seine Ergebnisse erst 1687. Daraus entwickelte sich Jahrzehnte später der vielleicht berühmteste Prioritätsstreit der Wissenschaftsgeschichte, der bis heute nicht eindeutig entschieden ist: Man kann nicht genau sagen, in welchem Stadium seiner zweifellos eigenständigen Entwicklung Leibniz welche Newton-Briefe gesehen hat und welchen Vorteil er daraus gezogen hat. Die ersten Pamphlete, in denen Leibniz beziehungsweise Newton beschuldigt wurden, den jeweils anderen plagiiert zu haben, erschienen 1699 und 1704. Im Jahr 1711 brach der Streit in voller Schärfe aus. Die Royal Society verabschiedete 1712 einen Untersuchungsbericht, der von Newton selbst fabriziert worden war; Johann Bernoulli antwortete 1713 mit einem persönlichen Angriff auf Newton. Der Streit wurde über Leibniz Tod hinaus fortgeführt und vergiftete die Beziehungen zwischen englischen und kontinentalen Mathematikern über mehrere Generationen hinweg. Es geht hier also nicht so sehr um klassisches Urheberrecht, wie man es aus der Literatur, jüngsten Diskussionen um Blogs und nicht vergebene Buchpreise oder dem Heidelberger Appell vom März 2009 kennt, sondern um die Priorität der Erkenntnis, quasi die Erstbesteigung eines Berges. Im Hinblick auf Prioritätsstreitigkeiten bietet übrigens die Académie Française einen Service an, und zwar die Möglichkeit der Aufbewahrung von wissenschaftlichen Resultaten in einem versiegelten Umschlag zum Zwecke der Sicherstellung der Erstentdeckung. Dieser Umschlag kann außer von dem Autor erst 60 Jahre nach dessen

Ableben geöffnet werden. Dieser Service war von dem Mathematiker Walter Döblin, einem Sohn des bekannten Schriftstellers, kurz vor seinem Tod im 2. Weltkrieg genutzt worden. Vor kurzem wurde somit erst bekannt, dass Döblin unabhängig und ungefähr zeitgleich zu dem japanischen Mathematiker Ito eine wichtige Methode in der Stochastik entwickelt hatte, welche bis dato fest und ausschließlich mit Itos Namen verknüpft war. Der bereits genannte Heidelberger Appell zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte wissenschaftlicher Autoren nimmt auch Bezug auf das in jüngster Zeit stark diskutierte und von der Wissenschaftspolitik stark propagierte Publikationskonzept Open Access. Es beruht auf der Ansicht, dass derjenige Wissenschaftsautor, der vom Staat bezahlt wird, anzuhalten sei, der Allgemeinheit Offenen Zugang zu gewähren. Wenn der Staat die Wissenschaft finanziert, dann müsse er oder die Allgemeinheit auch ungehinderten freien Zugriff auf die Forschungsergebnisse nehmen können. In der Praxis bedeutet das unter vielem anderen, dass die Kosten der wissenschaftlichen Publikation in einer Zeitschrift nicht der Nutzer qua Subskription zu tragen habe, da dies den offenen Zugang einschränke. Stattdessen sollen, so die Verlage, die Kosten allein auf den Autor umgewälzt werden. Vor 6 Wochen erreichte mich eine Mitteilung der Bibliothek des MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften. Die MPG hatte sich über die vergangenen 2 Jahre auf einen Vertrag namens Open Choice mit dem Springer-Verlag aus Heidelberg eingelassen, der es den wissenschaftlichen Mitgliedern ermöglichte, ihre Arbeiten in der Open- Access-Variante zu veröffentlichen. Nun möchte der Verlag eine massive Kostenerhöhung durchsetzen. Dazu ist das MPI nicht mehr bereit. Wer weiterhin seine wissenschaftlichen Arbeiten bei Springer mit der Open-Access-Option veröffentlichen möchte, müsste nun selbst einen Betrag von 2000 Euro pro Artikel aufbringen. Man mag in der Diskussion um Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht und Nutzungsrecht für die Allgemeinheit stehen wie man will. Ein Ergebnis

scheint immer schon im voraus festzustehen, nämlich die fortschreitende Ökonomisierung der Wissenschaft sowie das findige Geld-Abschöpfen durch Dritte aus jedem neuen politischen Prozess. Man vergleiche dies auch mit den Akkreditierungsagenturen im Bologna-Prozess. Leipzig, den 21.04.2010