Sonntag Sexagesimae 23.2.2014 mit Kirchenchor und Lobpreisteil Apostelgeschichte 16, 9-15 Dort hatte Paulus in der Nacht eine Vision. Ein Mazedonier stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10 Auf diese Vision hin wollten wir sofort nach Mazedonien abfahren; denn wir waren überzeugt, dass uns Gott dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkünden. Das Wirken des Paulus in Philippi 11 So brachen wir von Troas auf und kamen nach Philippi, in eine Stadt im ersten Bezirk von Mazedonien, eine Kolonie. In dieser Stadt hielten wir uns einige Tage auf. 13 Am Sabbat gingen wir durch das Stadttor hinaus an den Fluss, wo wir eine Gebetsstätte vermuteten. Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen, die sich eingefunden hatten. 14 Eine Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; sie war eine Gottes-fürchtige und der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte. 15 Als sie und alle, die zu ihrem Haus gehörten, getauft waren, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, dass ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns. Es freut mich, liebe Schwestern und Brüder, über Lydia, die erste europäische Christin zu predigen, nicht nur weil dieser Name eine wichtige Rolle in meinem Leben spielt. Diese kurze Episode über die Bekehrung einer bemerkenswerten Frau und ihrer Familie, birgt in sich den Anfang einer Entwicklung, die unseren Erdteil und die Welt aufs nach-haltigste geprägt hat und immer noch prägt, wir werden Zeugen, wie sie entsteht: die Ortsgemeinde, auch Parochie genannt. Lydía muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein: selbständige Unternehmerin in der Purpur-Branche. Ost-West-Import-Export aus ihrer Heimat Lydien hinein ins Römerreich, Handel mit sehr teuren Luxustextilien, die nur für die Creme de la Creme, für gekrönte Häupter und dergleichen bestimmt war.
Keine Jüdin, sondern eine der vielen sog. Gottesfürchtigen. So bezeichnete man die Heiden, die mit dem Judentum sympathisierten, die sich den Glauben an den einen Gott und die ethische Lehre aneigneten, ohne völlig zu Juden zu werden, was gar nicht so einfach möglich ist. Lydía ist eine in vieler Hinsicht außergewöhnliche Frau, eine, die aus dem Rahmen fällt, Außenseiterin, Ausländerin, Geschäftsfrau in einer Männerwelt, die auch in Sachen Religion selbstbewusst auftritt. In der jungen Garnison Philippi gibt es zwar eine kleine jüdische Gruppe, aber keine Synagoge. So feiert man ersatzweise am Fluss Gottesdienst, (vielleicht so, wie der Kirchenchor traditionell am Neckar an einer geschützten Stelle unterm Krappenfelsen Sommerfest feiert.) Dort hört Lydía den soeben aus Asien eingetroffenen Wandermissionar Paulus und der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte. Umgehend erfolgt die Taufe - von Taufunterricht und schriftlichem Antrag ist nicht die Rede. Das Familienoberhaupt Lydia lässt sich taufen mit ihrem ganzen Hause, d.h. ihrer familia, der Hausgemeinschaft, zu der die Unmündigen (Kinder und Sklaven) selbstverständlich dazu gehören. Die erste Unmündigen-Taufe, von der wir in der Bibel hören. Und dann spricht Lydia einen sehr interessanter Satz: Wenn ihr anerkennt, dass ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie drängte, sie nötigte uns. Lydia, die Selbstbewusste und Selbständige nötigt Paulus und seine Begleiter, in ihr Haus zu kommen und zu bleiben. Dazu waren wohl mehr als 2,3 Worte nötig waren, eher die orientalische dreimalige Aufforderung. Wir alle wissen, wie Nötigung aussieht. Es gibt Leute, die sind wirklich gut im Nötigen. Ein Schulkamerad, der unbedingt etwas von seinen Freunden haben will. Ein Gastgeber, der uns zum Dableiben nötigen will, zum Abendessen, zu einem zweiten Stück Braten oder einem zweiten Viertel Wein, was oft auch etwas Erpresserisches an sich hat. Wer lässt sich schon gerne drängen und nötigen? Andere sind nicht gut im Nötigen, bei denen kann es dann spaßeshalber heißen: Das Essen war gut, nur die Nötigung war schlecht. Die frischbekehrte Heidenchristin Lydia will, dass der Volljude und christliche Missionar Paulus ihr Haus betritt. Doch Paulus zögert. Was befürchtet er? Was geht ihm gegen den Strich? Ich denke die Haus-und Tischgemein-schaft mit einer solchen Frau, würde ihn angreifbar machen für die orthodoxen Juden.
Das wird Lydia sehr wohl wissen, wenn sie volle Gemeinschaft und Anerkennung erbittet, ja richtiggehend fordert: Wenn ihr wirklich anerkennt, dass ich fest an den Herrn glaube, dann bitteschön- habt auch Gemeinschaft mit mir. Lydias Worte haben etwas Forderndes, ja sogar ein bisschen Unverschämtes: Freilich, ich kann ich kein rechtgläubiges Judentum vorweisen, entspreche auch nicht dem traditionellen Frauenbild. Doch nun gehören ich und meine Familie durch unsere Taufe zu euch: darum sollt ihr uns anerkennen, ja ihr müsst es! Oder geht eure Nächstenliebe und Toleranz etwa doch nicht so weit?... So entstand die erste christliche Hausgemeinde auf europäischem Boden, der noch viele andere folgen sollten, bis dann im Laufe der ersten Jahrhunderte im ganzen römischen Reich und darüber hinaus das System der Ortsgemeinden heranwuchs, das bis heute besteht: Christenmenschen, die in einem überschaubaren Gebiet beieinander wohnen, bilden eine Parochie oder Pfarrgemeinde. Sie gehören zueinander, sie versammeln sich zum öffentlichen Gottesdienst, zum Bibelstudium und zu anderen Aktivitäten, betreiben Diakonie und Unterricht und melden sich in der Gesellschaft zu Wort. Freilich wir leben inzwischen im 3. Jahrtausend. Die Völker, Gesellschaften und Kirchen haben sich fortentwickelt und entwickeln sich in geradezu atemberaubender Weise weiter. Und doch- was Gemeinde anbetrifft- befinden wir uns immer wieder an dem Punkt, an dem Lydia und Paulus waren. Immer wieder neu stellt sich die Frage nach gegenseitiger Anerkennung und Zugehörigkeit. Eine spannende Frage, zumal dann, wenn eine Orts-Gemeinde wie in unserem Fall 5200 Seelen zählt und unsere Landeskirche immerhin noch etwa 2 Millionen. Ich möchte die Fragen genauer fassen: - Anerkennen wir wirklich, dass alle, die unserer Gemeinde und Kirche angehören, gleiche Rechte, gleiche Würde und Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse erfahren sollen? Auch die Randgruppen, die Außenseiter, die von der sog. Norm abweichenden, z.b. die Demenzkranken? - Anerkennen wir, dass pietistisch und evangelikal Geprägte, Liberale und kritische Geister bei aktuellen Diskussionen um Lebens-fragen, Lebensformen und auch theologischen Fragen zu anderen, manchmal sogar gegensätzlichen Ergebnissen kommen?
-Anerkennen wir, dass die Mitglieder unserer Gemeinde und Kirche in ganz unterschiedlichen Lebenswelten oder Milieus leben? Salopp gesagt, dass es unter uns SWR 1, 2, 3 und auch SWR 4-Hörer gibt. Die Radiokanäle stellen sehr markante Stilunterschiede dar. Wir sind da in der Regel sehr festgelegt und wenig kompromissbereit. Bei den Milieus spricht da von den Ekel-Schranken des Geschmacks. -Anerkennen wir, dass die Generationen und Lebenswelten ihren jeweils eigenen Stil, ihre eigene Lebenswelt und Lebensform haben? Anerkennen die Jungen, dass die Traditions-bewussten ihre Bedürfnisse haben, was die Form der Gottesdienste, der Predigtsprache und auch der musikalischen Stile gibt? Anerkennen das auch die Traditionsbewussten gegenüber den Progressiven und nach Veränderung Drängenden? Gerade beim letzteren, den Musikstilen habe ich persönlich noch zu lernen und will das auch tun. Wer wie ich mit Bach und Händel groß geworden ist und von Jugend auf in der Kirche nicht viel mehr als Orgel, Kirchen- und Posaunenchor kannte, tut sich zuerst ein bisschen schwer, wenn andere Musikstile dazukommen sollen und zwar gleichberichtigt: Gospel, Pop, Jazz, Rock oder wie heute die Lobpreisband. Doch in Taizé, auf Kirchentagen und in meiner Arbeit, habe ich Toleranz, auch in Punkto Kirchenmusik gelernt und auch an vielem Neuem Geschmack gefunden. Und so kann ich es mit den schönen Versen von Simon Dach halten: Gott stehet mir vor allen, die meine Seele liebt. Drum soll mir auch gefallen, wer mir sich herzlich gibt. Gott hat mir Glaubensgeschwister gegeben und darum lasse ich mir ihre Art ihr Christsein zu leben, zu singen und zu muszieren einfach gefallen - wenn sie sich mir herzlich geben, d.h. wenn wir uns öffnen und uns gegenseitig gelten lassen. Ich habe mir meine Glaubensgeschwister ja nicht ausgesucht! Hätte ich mir meine Mitchristen selber zusammen gesucht, dann fürchte ich, hätte ich womöglich nicht einmal meine Kinder an meiner Seite. Dann wäre das in meinem Fall eine Gemeinde der Bachfreunde. Es wäre eine Klassik- Gemeinde, aber keine Kirche. Es wäre keine geschwisterliche Gemeinschaft und -bei Lichte betrachtet- recht langweilig. Geschwister sucht man sich nicht aus, Geschwister hat man, die sind uns gegeben, so wie uns unsere Eltern, unsere Kinder und Enkel gegeben sind. Das haben Paulus und seine Begleiter beherzigt und sich ins Haus der Lydia
bitten lassen und Gemeinschaft gelebt. So entstanden in Europa Hausgemeinden, in denen Juden und Nichtjuden, Freie und Sklaven, Männer und Frauen gleichberechtigt waren. Das war und ist unerhört, revoluzionär und richtungsweisend. Weil Menschen sich einander willen gefallen ließen - um Christi Willen und allen Unterschiede zum Trotz, darum entstanden die Ortsgemeinden. Und die sind, da stimme ich voll und ganz zu, die sind die Hoffnung der Welt. Eine Kirchengemeinde ist mehr als die Summe ihrer Mitglieder. Und eine Kirche ist mehr als die Ansammlung von Einzelgemeinden. Kirche und Gemeinde ist kein Verein wie andere Vereine, sie ist Gemeinschaft der Heiligen, ja sie ist der Leib Christi. Der auferstandene Jesus Christus ist die Hoffnung der Welt. Darum und nur darum- ist die Gemeinde die Hoffnung der Welt. Alles andere wäre vermessen. Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus. Glieder sind es viele, doch nur ein Leib. Und wir sind eins durch ihn Amen