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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst The Man Who Fell To Earth Der Mann, der vom Himmel fiel Autor: Rob Walker Redaktion: Karin Hutzler Adaption: Karin Hutzler Produktion: BBC World Service 2013 / SWR 2015 Sendung: Wiederholung: Montag, 04.05.15 um 19.20 Uhr in SWR2 Dienstag, 05.05.15 um 10.05 Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 1

MANUSKRIPT Straße, Vogelzwitschern Mein Name ist Rob Walker. Ich bin in London, um eine rätselhafte Geschichte zu recherchieren. Hier fing sie an, in einer ruhigen Vorortstraße, an einem Septembermorgen. Musik James: Clare: Santina: James: Es war ein sonniger Tag. Sogar richtig heiß. Sonntagmorgen, da hab ich ausgeschlafen. Es war sehr warm, wir wollten grillen. 7 Uhr 42. Wenn ich aufwache, schaue ich immer auf die Uhr. Ich heiße James. Seit dreißig Jahren wohne ich in dieser Straße. Clare: Ich bin Clare Watson und wohne seit 14 Jahren in der Portman Avenue. Santina: Ich bin Clare s Mutter Santina Watson. Lizzie: Ich heiße Lizzie Carth und wohne seit 10 Jahren hier. Wir haben einen gewaltigen Schlag gehört. Clare: Mein Bruder sagte: Clare, wach auf. Da liegt ein toter Mann. James: Wir zogen die Vorhänge zur Seite und sahen den Mann auf dem Gehweg liegen. Polizist: Hier ist der Notruf der Polizei. Anrufer: Wir waren gerade in der Kirche in der Portman Avenue, und jetzt sind wir auf etwas gestoßen, das wie eine Leiche aussieht. 2

Vielleicht ist es ein Scherz, aber wir dachten, Sie sollten das wissen. Da ist auch Blut. Sehr merkwürdig. Clare: Er hatte kein Gesicht mehr. Sein Kopf war zertrümmert. James: Zuerst dachten wir, dass er umgebracht wurde. Polizist: Also da ist Blut, ja? Anrufer: Ja. Polizist: Wir sind in ein paar Minuten da. Ich bin Jeremy Allsup von der Londoner Polizei. Mein erster Gedanke war: das sieht ja schlimmer aus als nach einer Schießerei. Sein Kopf wies schwere Verletzungen auf. Vielleicht wurde er erschlagen oder niedergeschossen. Oder er wurde woanders umgebracht und ist dann hier abgeladen worden. Der Polizist, der zuerst am Fundort war, hat bei dem Toten ein Handy und eine Sim Card gefunden. Der Telefonanbieter sagte uns nichts. Der Mann hatte Geld aus Angola in seiner Tasche. Ein männlicher Afrikaner, mit Fetzen von Papiertaschentüchern in den Ohren. Und grünem Schmieröl an seiner Kleidung. Lizzie: Das Geräusch! Als ich an der Uni war, fiel jemand aus dem 20. Stock. Es war so, als ob eine Tür aus großer Höhe gefallen wäre. So hat es hier auch geklungen. Clare: Als ich gesehen habe, wie der Mann dalag, dachte ich sofort, er ist aus einem Flugzeug gefallen. Weil es diesen dumpfen Schlag gab und es früher schon vorkam, dass blinde Passagiere aus Flugzeugen gefallen sind. Straße, überfliegendes Flugzeug 3

James: Hier führt eine Flugroute durch. Die Leute schauten in den Himmel da haben wir verstanden, was geschehen ist. Alle dachten dasselbe, als sie den Herrn da auf der Straße liegen sahen. Wir haben am Flughafen einiges überprüft. Der Mann hatte ja angolanisches Geld dabei. Genau zu der Zeit war ein Flugzeug von British Airways im Landeanflug auf Heathrow. Es kam aus Luanda in Angola. Die Leute schauten in den Himmel und dachten: das ist grauenhaft. Flugzeug Wir wissen jetzt, dass der Mann sich im Fahrgestell eines Flugzeugs aus Angola befand und heraus gefallen ist, als die Räder im Landeanflug ausgefahren wurden. Seit den späten 90er Jahren gab es ein Dutzend Fälle von blinden Passagieren in Flugzeugen nach London, aber nur zwei von ihnen haben überlebt. Die Frage ist, warum der Mann dieses enorme Risiko auf sich genommen hat, und wer er war, denn er hatte keine Papiere bei sich. Sein Gesicht hat durch den Aufprall entsetzliche Verletzungen erlitten. Seine Identität zu ermitteln war also die Hauptaufgabe für die britischen Behörden. Kiri: Es ist ein ganz dünnes Material, das man unter der Haut nicht sehen kann. Wie ein Operationsfaden? Kiri: Ja. Wir haben dieses Material für die tiefen Wunden im Gesicht des Mannes verwendet. Ich heiße Kiri und arbeite in der städtischen Leichenhalle. 4

Medizinische Präparationsassistentin in der Pathologie ist die genaue Berufsbezeichnung. Wir versuchen, die Leichen so zu präparieren, dass sie wieder aussehen wie zuvor, als sie noch am Leben waren. Wenn wir den Kopf wieder aufbauen, wird er mit einem Stoff wie Watte gefüllt, der Flüssigkeit aufsaugt und weich genug ist, um die Form des Schädels wieder herzustellen. Bei diesem Herrn habe ich von innen nach außen gearbeitet, um das Gesicht, die Knochen zu gestalten. Wenn Sie jemanden wie diesen Mann vor sich haben: welche Anhaltspunkte gibt es, um sein früheres Aussehen zu rekonstruieren? Kiri: Gar keine. Manchmal gibt es ein Passbild oder sonst ein Foto, nach dem man arbeiten kann. Aber er hatte keinen Ausweis? Kiri: Nein. Was machen Sie dann? Im Grunde haben sie ja nur Haut und Knochen. Kiri: Als erstes muss ich die Haut zusammenfügen. Wenn alles genäht ist, kann ich damit beginnen, die Knochen zu formen, die ja gebrochen sind. Dann kann man mit den Händen in gewisser Weise das Gesicht modellieren. Oval, etwas breiter oder länger. Ich habe es so gemacht, wie ich mir sein Aussehen vorstellte. Selbst ich war schockiert, als ich das Foto des Mannes nach der Autopsie gesehen habe. Sein Gesicht war wieder aufgebaut. Er hatte eine sehr hässliche Wunde, die quer über die Stirn vernäht war. Aber ich dachte mir, jemand, der den Mann kennt, würde ihn wieder erkennen. Das ist wirklich außergewöhnlich. Sein Gesicht war zerstört. Und jetzt sieht er aus, als ob er schlafen würde. 5

Das war auch mein erster Gedanke. Von der fiesen Wunde auf der Stirn mal abgesehen, könnte man meinen, er schläft in einem Bett. Er sieht aus wie Mitte zwanzig. Er hat einen kleinen Kinnbart, sonst ist er glatt rasiert. Sein Haar ist kurz geschnitten. Er hat eine markante Tätowierung auf seinem linken Arm. Ein Z und ein G, über seinem linken Ellbogen. Vielleicht sind es die Anfangsbuchstaben seines Namens. Könnte sein. Aber im Moment haben wir nur das Foto und die Tätowierung. Außerdem das Telefon, DNA Spuren und ein zahnmedizinisches Gutachten. Wir gehen davon aus, dass der Mann aus Angola stammt wegen der Münzen, seiner Handy-Sim-Card und der Tatsache, dass das Flugzeug aus Luanda hier lang flog. Wir müssen diese Informationen den angolanischen Behörden zur Verfügung stellen. Vielleicht können die uns sagen, wer der Mann ist. Bislang konnten wir ihn nicht identifizieren. Musik/ Flugzeug James: Das ist ein British Airways Flugzeug. Die kommen alle aus dem Osten, fliegen mit Rückenwind. Seit der arme Kerl aus dem Flugzeug gefallen ist, sehe ich immer nach oben und denke, ob wohl noch jemand aus einem Fahrwerk fallen wird. Ich denke an diesen Mann. Andere Leute tun das auch. Santina: Wir legten eine Rose für ihn auf den Gehweg, andere Leute Lilien. Jemand hat ein Gedicht geschrieben. Es hieß: Der Mann, der vom Himmel fiel. Clare: Wenn sie ihn nicht identifizieren können und ihn hier beerdigen, wird seine Familie nie erfahren, was ihm zugestoßen ist. 6

Musik Vielleicht wird er nie identifiziert. Die heißeste Spur ist sein Mobiltelefon, aber das ist gesperrt. Wir brauchen die Pin Nummer. Wir haben die angolanischen Behörden gebeten, mit der Telefongesellschaft Kontakt aufzunehmen und zu klären, wie dieses Telefon entsperrt werden kann. Damit wir an gespeicherte Namen kommen, an Verbindungsnachweise. Wer hat ihn angerufen, wen rief er an. Haben Sie schon etwas gehört? Bislang nicht. Vogelzwitschern James: Was kann den Mann dazu gebracht haben, so was zu tun? Selbst wenn Sie mir 5 Millionen Pfund bieten, würde ich das nicht machen. Clare: Ich möchte verstehen, warum sich Menschen so großen Gefahren aussetzen, um ihr Land zu verlassen. Schlimm, wenn man so etwas durchmachen muss. Flugzeug Alison: Ich heiße Alison Thompson. Seit 14 Jahren bin ich amtliche Leichenbeschauerin und habe mich mit 5 oder 6 ähnlichen Fällen befasst, wo ein blinder Passagier aus einem Flugzeug gefallen ist. So etwas erschüttert jeden. Diese Menschen hatten so große Hoffnungen auf ein besseres Leben. Vielleicht hat ihnen jemand fälschlicherweise gesagt, dass sie normal atmen könnten und es warm haben würden da oben. Man kennt den Hintergrund einer solchen Flucht nicht, ob Leute das ausnutzen. /Musik/ Wir sorgen dafür, dass alles getan wird, um den Mann so schnell wie möglich zu identifizieren. 7

Es ist traurig, manchmal können wir die Identität nicht feststellen. Wenn wir keine Familie ausfindig machen konnten, veranlassen wir die Bestattung bei der zuständigen Gemeinde. Aber wir wollen eigentlich niemand als unbekannten Toten registrieren. Denn wir schulden der Familie herauszufinden, um wen es sich handelt. Musik/ außen Ich bekam eben einen Anruf. Es scheint einen Durchbruch zu geben. Das angolanische Telefon des blinden Passagiers war gesperrt, aber jetzt hat die Polizei eine zweite Sim Card in einer Hosentasche seiner Jeans gefunden. Ich bin wieder auf dem Weg zu Jeremy Allsup von der Londoner Polizei. Was gibt es Neues? Ich habe jetzt eine Telefonnummer, an die er sms geschickt hat. Sieben in seinem Adressbuch gespeicherte Nummern und welche, die er angerufen hat. Eine Nummer aus seinem Adressbuch, die, mit der er auch sms ausgetauscht hat, ist eine Schweizer Nummer. Das ist eine Spur. Haben Sie schon angerufen? Ich habe es versucht, aber es klingelt immer nur. Eine Nachricht kann man nicht hinterlassen. Gut möglich, dass es sich um eine alte Telefonnummer handelt. Flugplatz Surrey / in Boeing 747 Ich bin jetzt auf einem Flugplatz in Surrey. Das ist eine ausrangierte Boeing 747. So ist der Mann wahrscheinlich ins Flugzeug gekommen: Er ist auf eines der Hinterräder geklettert, als niemand hinsah. Von da muss er auf den Radkasten gesprungen und in den Radschacht geklettert sein, wie ich das jetzt mache. Es ist sehr eng hier drin. 8

Er musste sich hier irgendwo zusammen krümmen. Als das Flugzeug beim Start beschleunigte, muss es sehr laut gewesen sein. Wir wissen ja, dass er Papiertaschentücher in seine Ohren stopfte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn das groß geschützt hat. Nach dem Start wurden die Räder eingefahren, und dann war der Raum hier so gut wie voll. Er war eingeschlossen. Ich bin kaum hier drin, schon hab ich Platzangst. Was ihm wohl durch den Kopf ging. - Die Temperatur muss schnell gesunken sein. Der Sauberstoff wurde weniger und weniger. Ich frage mich, ob ihm da klar wurde, dass er einen fürchterlichen Fehler gemacht hat. Dass es keinen Weg zurück gab. Ich bin wieder bei der Polizei in London, weil es Neuigkeiten in dem Fall gibt. Neulich habe ich eine Sim Card erwähnt, die in einer Hosentasche des Mannes gefunden wurde. Gespeichert war eine Schweizer Handynummer. Ein paar Mal hab ich angerufen, aber es hat nur geklingelt. Letzte Woche wurde ich plötzlich von dieser Nummer angerufen. Eine junge Frau war dran. Sie ist halb Schweizerin, halb Engländerin. Er sagte, dass ein blinder Passagier aus einem Flugzeug gefallen ist. Zuerst sah es so aus, als ob sie mir nicht weiterhelfen könnte. Sie sagte: Warum fragen Sie mich? Ich weiß von keinem blinden Passagier. Ich habe wirklich nicht verstanden, wovon er gesprochen hat. Aber als er sagte, dass das Flugzeug aus Angola kam, wusste ich sofort, um wen es ging. Es war schmerzhaft für sie, so ganz ohne Vorwarnung. Sie fing an zu weinen und sagte: Ich kenne diesen Mann. 9

Musik Sie erzählte mir, dass sie 2010 mit ihrer Familie in Südafrika gelebt hat. Dort haben sie einen Mann beschäftigt, der sich um Haus und Garten kümmerte. Die junge Frau aus der Schweiz glaubt, dass er der blinde Passagier ist. Nachrichten: Der Mann, der tot aufgefunden wurde, nachdem er aus dem Fahrgestell eines Flugzeugs gefallen war, ist identifiziert. Es handelt sich um den mosambikanischen Staatsbürger Jose Matada. Seine Identität konnte mithilfe einer Sim Card ermittelt werden, die in seiner Jeans gefunden wurde. Ich heiße Josaka, Jessica auf Englisch. Ich war eine frühere Arbeitgeberin von Jose Matada. Jose s Leben war hart, er hat sich mir oft anvertraut, wenn wir im Garten gearbeitet haben. Sein Vater starb, als Jose fünf oder sechs Jahre alt war. Kurz darauf gab es in Mosambique Überschwemmungen. Im Wasser suchten sie nach etwas zu essen. Was für ein Mensch war Jose? Wie würden Sie ihn beschreiben? Er hatte ein sanftes Auftreten, alles hat er sehr behutsam gemacht. Er war ehrlich und offen. Er hat nicht viel geredet, aber wenn, dann hat es was bedeutet. Er war nicht gerade ängstlich. Musik: Manu Chao Wir haben auch über Musik gesprochen. Das hat ihn interessiert. Ich habe ihm Manu Chao vorgespielt... Er sagte dann: Das ist unsere Musik. Jose war ein ungezwungener Typ. Es war schön, dass er bei uns war. 10

Die Geschichte wird noch komplizierter. Im Verlauf des Gesprächs hat sich gezeigt, dass die Beziehung zwischen Jose und Jessica viel enger war als zwischen Chefin und Angestelltem. Er ist zum Islam konvertiert. Ich bin auch konvertiert, bin Muslima. Nach seinem Job bei mir sind wir zusammen verreist. Ich war mit ihm in Mosambique. Wir sind einander sehr nahe gekommen. Wir waren wie Bruder und Schwester. Ich versuchte ihm zu helfen, Arbeit für ihn zu finden. Ich wusste, dass seine Familie nicht viel besaß, also habe ich für ihn gesorgt. Er war für mich wie ein Familienmitglied. Als ich nach Europa zurückkehrte, habe ich ihm sofort Geld geschickt, ziemlich viel Geld, damit er alle notwendigen Schritte tun konnte, um ein Visum zu bekommen. Ich war bereit, ihm zu helfen, wenn er nach Europa kommen wollte. Aber Jose hatte wenig Aussicht, legal an ein Visum zu kommen. Er wandte sich in Mosambique an einen korrupten Beamten, der ihm versprach, falsche Papiere zu besorgen. Leider hat ihn der Mann, dem er sich anvertraut hatte, im Regen stehen lassen. Er sagte: Kommen Sie morgen wieder. Aber da war der Mann mit dem ganzen Geld verschwunden. Jose Matada hat dann beschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen. Er reiste von Maputo zurück nach Südafrika und von da auf dem Landweg durch Botswana und Sambia nach Angola. Jessica war damals frisch verheiratet und schwanger; sie hatte kein Geld, um ihm weiter zu helfen. Als er in Angola ankam, hat er mich gleich angerufen und gesagt, dass er nach Luanda geht. Er hat mich gefragt, ob ich ihm Geld schicken könne. Aber ich hatte damals ein Geld. 11

Wissen Sie, warum er nach Angola ging? Ich glaube, weil Angola im südlichen Teil Afrikas dafür bekannt ist, dass von dort viele Menschen nach Europa gehen. Als er mich anrief, sagte ich ihm, er solle es ruhig angehen lassen. Erstmal einen Ort zum Wohnen finden, sich umhören, Arbeit suchen. Was dann passierte, weiß ich nicht. Von da an verliert sich seine Spur. Wenige Tage nach diesem letzten Telefongespräch bestieg Jose das Flugzeug. Wir wissen nicht, warum er dieses Risiko eingegangen ist. Ob er jemanden bezahlte, der ihn aufs Rollfeld brachte. Und diese Person ihm weismachte, dass er im Flugzeug sicher wäre. Jessica hat erst erfahren, was geschehen ist, als die britische Polizei sich mit ihr in Verbindung setzte. Ich war schockiert. Ich war im 8. Monat schwanger. Nach dem Gespräch musste ich mich hinlegen, ungefähr 48 Stunden hab ich mich nicht bewegt. Ich lag einfach nur da. Ich versuchte, nicht so viel zu weinen. Denn ich wollte mein Baby nicht verlieren. Aber ich war zutiefst erschüttert. Ich dachte nur: Jose, was hast du getan? Warum bist du in dieses Flugzeug gestiegen? Warum warst du nicht geduldiger? Musik: Manu Chao / Außenatmo Die gerichtliche Untersuchung der Todesursache hat jetzt in London stattgefunden. Wie erwartet hieß es: Jose Matada starb aufgrund eines Unfalls. Aufgefallen sind mir die näheren Angaben zu seinem Tod. Blinde Passagiere sterben meistens infolge der Kälte und des Sauerstoffmangels. Laut Pathologe Dr. Robert Chapman hat Jose aber lange Zeit, vielleicht sogar den ganzen Flug überlebt. 12

Chapman: Es gibt Anzeichen, dass sein Herz noch geschlagen haben könnte, als er auf dem Boden aufschlug. Er war dem Tod sicher sehr nahe, aber bis zu einem gewissen Grad gab es vielleicht eine Herztätigkeit. Denn er hatte Blutergüsse. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass er tot war, als er auf der Erde aufgeschlagen ist. Atmo Friedhof Hier liegt Jose Matada begraben. Im Frühsommer ist hier alles üppig grün, und jede Menge Wildblumen blühen zwischen den Gräbern. Die Londoner Polizei stand in Kontakt mit den Behörden in Mosambique, die aber über Joses Herkunft nichts herausgefunden haben. Seine Familie weiß also noch nicht, was ihm zugestoßen ist. Ich kenne die Tätowierung auf seinem Arm, ein G und ein Z. Das Z steht für Zuze so hat ihn seine Mutter immer genannt. Ich weiß, dass ein Bruder von Jose in Maputo lebt. Bis jetzt haben sie ihn noch nicht gefunden. Vogelzwitschern Santina: Ich dachte an die Eltern dieses Mannes. Ich bin selbst Mutter und frage mich, wie es mir wohl ginge, wenn ich nicht wüsste, ob mein Sohn es geschafft hat, irgendwo ein besseres Leben zu führen. Vielleicht warten sie auf einen Brief oder einen Anruf. Und jetzt werden sie natürlich nie etwas bekommen. James: Er war verzweifelt. Ich hätte ihn hier willkommen geheißen. Ich möchte ihm auf die Schulter klopfen und sagen: Gut gemacht, Kumpel. Du hast s geschafft. 13

Ich habe zu meinem Mann gesagt: Wenn Jose nicht ins Paradies kommt, dann schafft es keiner von uns (weint). Er war so eine gute Seele. Und er hat so viel durchgemacht in seinem Leben. Flugzeug Das Grab ist nur ein kleiner Flecken brauner Erde zwischen frisch geschnittenem Gras. Jemand hat einen Blumenstrauß hingelegt. Es gibt keinen Grabstein, nichts, worauf sein Name und sein Geburtsdatum stehen. Aber wir wissen jetzt, dass Jose Matada am 9. September 1986 geboren wurde. Er starb nur wenige Kilometer von hier entfernt. Am 9. September 2012 seinem 26. Geburtstag. 14